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Der biblische Begriff der ekklesia 31 ist für die Ekklesiologie wie für die Kirchenrechtslehre der gegebene Ausgangspunkt. Er entstammt dem griechischen Vereinsrecht und bedeutet im allgemeinen Sinne „Versammlung”, jedoch wird er in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht und ist nicht auf einen eindeutigen Nenner zu bringen. Dem Apostel Paulus dient er als Modell für die Gemeindedisziplin. Herkunft und Mehrdeutigkeit spielen jedoch für die hier zu behandelnde, in der Überschrift formulierte Frage keine Rolle.
Unbestritten ist, daß der Begriff im Neuen Testament von vornherein eine Doppelbedeutung hat, etwa im Sinne Gesamtgemeinde und Einzelgemeinden oder ecclesia universalis und ecclesiae particulares. Indessen zeigt sich hier schon eine Mißlichkeit.
Die deutsche Sprache besitzt in „Kirche” und „Gemeinde” zwei prägnant verschiedene Begriffe, deren Unterschied in die gleiche Richtung zu weisen scheint. Aber es ist fraglich, ob sich die vorgegebene Doppelbedeutung von ekklesia mit diesem Gegensatz zur Deckung bringen läßt. Im Gegenteil könnte unser Sprachgebrauch zu der falschen Annahme verführen, in unseren Begriffen und den damit für uns verbundenen Assoziationen schon das Wesentliche der biblischen Unterschiede gegenwärtig zu haben.
Diese Schwierigkeit wird noch verstärkt durch eine gefühlsmäßige Neigung, durch die betonte Verwendung des einen und die Verdrängung des anderen Begriffes die vorgegebene Dualität zu überspielen. Es gibt im katholischen Bereich eine Art, emphatisch von „der Kirche”, ihre Fülle und Universalität zu sprechen, von der der evangelische Christ keinen Begriff habe. Umgekehrt wird der Begriff der Gemeinde gegen das „blinde und undeutliche Wort Kirche” ausgespielt. Wiederum wird das Wort Gemeinde als der Inbegriff aller Aufgaben und Möglichkeiten der Christenheit verstanden — Christus als Gemeinde existierend (Bonhoeffer). Unklar bleibt dabei regelmäßig das Verhältnis zur vorfindlichen Gemeinde in ihrer Begrenztheit und
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Schwäche. Wenn der evangelische Christ sein Kirchenverständnis ausdrücken soll, so spricht er von der Gemeinde, aus der sich die Kirche aufbaue und die zu allererst genannt werden müsse. Womöglich spricht er von einem „Gemeindeprinzip”, einer den Reformatoren unbekannten Vorstellung.
Schaltet man nun diese schwer vermeidlichen Mißverständnisse und die sich in der Interpretation der biblischen Begriffe auswirkenden Vorentscheidungen aus, so ist die sachgemäßeste Übertragung die in „Gesamtgemeinde und dieselbe in lokaler Begrenzung” (K.L. Schmidt). Wichtig ist die pneumatische Identität: Gesamtgemeinde und Gemeinde sind nicht getrennte Größen, vielmehr kommt die (Gesamt)gemeinde in einer anderen Erscheinungsform, derjenigen der lokalen Begrenzung, vor. Diese Identität ist als fundamentales Merkmal festzuhalten (sog. Äquivalenzgrundsatz des Kirchenrechts).
Die Debatte über diese vorgegebene Doppelbedeutung von ekklesia gleicht dem äußeren Bilde nach den Universalienstreit des Mittelalters — man fühlt sich an den Streit um via antiqua und via moderna erinnert. Die Einen setzen die ecclesia universalis ante rem und die Anderen post rem. Die Einen entwickeln die Gemeinde aus der Kirche und die Anderen die Kirche aus der Gemeinde. Für die Einen ist die Gemeinde ein Seelsorgebezirk der Kirche, und für die Anderen ist die Kirche ein technisch-zweckhafter Überbau der Gemeinde. Die Sache wird dadurch nicht besser, daß diese Deutungen abschwächend verschleiert werden.
Der Kirchenbegriff wird auf diese Weise jedenfalls eindeutig zentriert entweder in der (sichtbaren) universalen Kirche oder dort, wo — im Sinne von CA VII — das opus proprium der Kirche geschieht. Jedenfalls hat die Kirche ihre Konkretion und zentrale Legitimation bei dieser Art der Betrachtung nur jeweils in dem Einen oder Anderen: im einen Falle in dem deduktiven Zusammenhänge, im anderen in diesem sich immer wiederholenden Geschehen. Das entgegengesetzte andere Moment des ekklesia-Begriffs stellt so im besten Falle nur ein Spielbein zu dem Standbein der jeweiligen zentralen Begründung dar. Damit ist aber der für den ekklesia-Begriff zentrale Identitätssatz aufgehoben. Wenn ekklesia Gesamtgemeinde und dieselbe in lokaler Begrenzung ist, so kann dieses und zweier differenter Erscheinungsformen eben nur solange durchgehalten werden, als mit einer Gleichwertigkeit und Vergleichbarkeit zweier, hier eben dieser beiden Formen überhaupt gerechnet und Ernst gemacht wird.
Aber bei aller Kritik an der unbedenklichen und ungesicherten Weise, in der realistische und nominalistische Denkformen auf die Probleme der Theologie und Kirche angewendet worden sind, muß man doch sagen, daß hier die Theologie nicht überfremdet worden ist. Im Gegenteil: jede Theologie hat diejenigen philosophischen Denkformen übernommen und herangezogen, in der ihre prinzipiellen Anliegen am leichtesten auszudrücken
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waren. Die Theologie sollte sich daher zu ihrer eigenen Wahl bekennen. Die Theologie sollte die Philosophie nicht einer Einseitigkeit beschuldigen, die sie selbst zu vertreten hat. Jene Entscheidungen der Theologie zum philosophischen Ausdruck sind auf ihre theologischen Gründe zu befragen.
Trotz dieser Polarisation der Begriffe stellt sich die ekklesia in concreto nicht nur in zwei, sondern in drei Formen dar. Bei der Klarstellung dieses Sachverhaltes ist der vokabelmäßige Unterschied von Kirche und Gemeinde unentbehrlich, aber nicht ausreichend.
Kirche im allgemeinsten wie im grundsätzlichsten Sinne ist sicherlich die ecclesia universalis, die allgemeine, allumfassende Kirche, die „catholica” des Bekenntnisses. Was die universale Kirche ist, das versteht sich eigentlich von selbst. Es ist die Kirche überhaupt als Inbegriff ihrer Wirkungen und Möglichkeiten, die Kirche in der Geschichte.
Unter ecclesia universalis wird hier die Gesamtheit der mit Christus durch die Taufe Verbundenen als Einheit, nicht als Summe von Menschen verstanden. Ihre Einheit wird durch die Identität dieses einen Herrn begründet, dem sie durch den nicht rücknehmbaren, nicht wiederholbaren Vorgang der Taufe einverleibt sind.
Ist aber der Begriff der ekklesia biblisch von vornherein ein doppelter, so bildet sich mit geschichtlicher Notwendigkeit als Zwischenglied und Vermittlung die partikulare Kirche, die etwas Anderes und mehr als die Gemeinde ist. So wie die beiden Begriffe von ekklesia nicht aufeinander reduziert werden können, sondern im Verhältnis dialektischer Identität stehen, so würde auch die ecclesia particularis notwendig mißverstanden, wenn sie aus dem verbindenden Mittel zur Folge des einen oder anderen würde.
Die Ekklesiologie als Lehre von der Kirche und hier ihrem Recht kann also nur in dieser aufeinander bezogenen Dreiheit entwickelt werden. Die partikulare Kirche wie die Gemeinde stehen begrifflich neben und sachlich innerhalb der universalen Kirche — wenigstens nach der geschichtlichen Entwicklung.
Der biblische Tatbestand war ein anderer. Hier gab es nicht nur die ekklesia überhaupt, als universale, sondern die ekklesiai in Korinthe, Ephesus ebenso wie in Asien, Lydien usw. Die ersteren waren in unserem Sinne Gemeinden, die zweiten aber keineswegs Partikularkirchen. Aber beide fallen unter den gleichen Begriff der „ekklesia in lokaler Begrenzung”, wobei das Vorhandensein einer greifbaren Organisation keineswegs Voraussetzung ist. Die ekklesia in Asien meinte sowohl die organisierten Gemeinden
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der zusammengefaßten Mehrzahl wie überhaupt alle dort vorhandenen zerstreuten Christen. Unser heutiger, einer bestimmten vorfindlichen Wirklichkeit entsprechender Begriff der Partikularkirche ist eine Art Mittelbegriff, gemessen am biblischen Tatbestand in seiner Doppelheit. Diese Partikularkirche ist „ekklesia in lokaler Begrenzung”. Dennoch ist sie etwas anderes als Gemeinde. Sie wird definiert durch die verbandsmäßige Zusammenfassung mehrerer Gemeinden; Partikularkirche in jeder denkbaren Begrenzung, auch auf eine einzelne Polis, bedeutet eine historische Singularität, Gemeinde proprie dicta meint das fortdauernde geistliche Ereignis der Versammlung. Dieses allein aber ist der geistliche Existenzgrund jedes Christen: jeder ist einmal versammelt und hinzugetan worden, wenn er auch sonst in der Vereinzelung lebt. Nur universale Kirche und leiblich-konkrete Gemeinde haben daher eine primäre theologische Dignität, nicht unsere Partikularkirche.
Manche Fragen werden hier auch durch eine Überprüfung des Sprachgebrauchs deutlich. Wenn man etwa von einer Kreissynode oder einem Dekanat als „Kreisgemeinde” spricht (wie die Verfassung der Kurhessischen Kirche von 1926) oder womöglich im analogen Sinne von der ganzen Partikularkirche, so ist die Künstlichkeit des Ausdrucks offenkundig. Denn die „Kreisgemeinde” kann gar nicht im gleichen Sinne sich versammeln, wie die Ortsgemeinde als gottesdienstliche Gemeinschaft. Die ständig vorkommende Verwechslung von Gemeinde proprie dicta und Parochie hat ihren verständlichen Grund darin, daß beide wirklich Versammlungen sind. Eine Synode aber — wiewohl geistlich und kirchenrechtlich selbst ekklesia — ist als repräsentative Versammlung wieder etwas Anderes als „Gemeinde” in dem bisher erörterten Sinne.
Die Partikularkirche als Mittelbegriff bezieht also ihre Legitimität und Kraft von beiden Seiten. Sie macht gegenüber der lokalen Gemeinde das Recht der universalen Kirche geltend, alles das, was diese Gemeinde vermöge ihrer Lokalität und Aktualität nicht selbst wahrnehmen und darstellen kann. Sie kann das aber nur dann und in dem Maße, in dem sie selbst in der Gemeinschaft der universalen Kirche rückgebunden und verantwortlich ist.
Sie ist von der anderen Seite zugleich als Erweiterung der Gemeinde in den Missionsraum zu verstehen, den die Apostel mit der Bezeichnung als ekklesia einer Landschaft stets im Auge haben. Wird diese Brückenfunktion durch Fortfall eines Verbandes mit universalem, insbesondere auch übernationalem Anspruch gegenstandslos, wird die fruchtbare Spannung von universaler Kirche und Gemeinde aufgegeben, dann gerät das Verhältnis von Partikularkirche und Gemeinde in die Problematik von Über- und Unterordnung.
Die Partikularkirche ist recht verstanden die konkrete Vermittlung zwischen
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universaler Kirche und Gemeinde. Demnach umschließt die Sammlung der universalen Kirche alle denkbare Versammlungen. Die partikulare Kirche, Brücke und Vermittlung zwischen jenen beiden Größen eigener theologischer Dignität, steht wie das Gleichheitszeichen in einer Formel a = b, S = V.
Wie tief die Bildung der partikularen Kirche ansetzt, zeigt die Apostelgeschichte. Wäre das Christentum in Gestalt der Jerusalemer Urgemeinde unter dem Patriarchat des Jakobus eine innerjüdische Erscheinung, eine Fortbildung Israels geblieben, so wären universale und partikulare Kirche in eins gefallen. Gestiftet zu Pfingsten, aber konkretisiert durch die außerjüdische Mission, zu allererst die paulinische, entfaltet sich in der Partikularität der Landschaften und Völker auch die ecclesia particularis, zunächst in Gestalt der Differenz zwischen Juden und Heiden, später in der Vielzahl der missionierten Völker.
Da die drei Weisen von Kirche miteinander verschränkt und aufeinander angewiesen sind, werden wir das Verfassungsproblem induktiv durch die Darlegung der Formen darzustellen haben, in denen eben dieses Verhältnis gestaltet ist.
Die ekklesia theou hat ihren unverwechselbaren Auftrag in notwendiger Eigenständigkeit und richtet ihn eben darum kraft eigenen Rechtes aus. Sie hat aber als ständiges Gegenüber die Welt, in die sie gesandt ist. In sie muß sie eingehen, wie der Apostel den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche wird, ohne sich mit ihnen um ihres Judentums oder Griechentums willen gleichzumachen. Aber indem die ecclesia sich in die geschichtlichen Zusammenhänge hinein entäußert und entäußern muß, muß sie zugleich ihre unverwechselbare Sondierung und Besonderheit durchhalten. Sie muß sich aus der Verbindung mit Völkern und Kulturen auch immer wieder zurücknehmen, um aus dieser Zurücknahme zugleich die Kraft neuen missionarischen und exemplarischen Wirkens zu gewinnen. Aus geschichtlicher Notwendigkeit hat die Großkirche den weiten Umkreis der geistlichen und sozialen Verantwortlichkeiten übernommen, die ihr mit zunehmender Ausbreitung und schließlich mit der Erreichung der Deckung von Kirche und Gesamtbevölkerung zuwuchsen. Gerade eine Kirche von heute, die sich ihrer Weltverantwortung in neuer Weise bewußt wird, kann einen solchen geschichtlichen Prozeß nicht als Verfremdung abtun, sondern muß die Verschlingung legitimer und illegitimer Momente in diesem Geschehen sorgfältig in Betracht ziehen. In eben dem Maße der Weltverantwortung aber mußte auch die radikale Distanz zur Welt in immer deutlicheren Formen ausgebildet werden. Diese widersprüchliche Bezogenheit begründete eine Dialektik, die sich auch in Formen der Existenz von Kirche auszudrücken vermag, ja ausdrücken muß.
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Mit der Entwicklung zur Staats- und Volkskirche mußte sich daher auch mit einer gewissen Notwendigkeit das Ordenswesen entwickeln. Die Verweisung auf eine Sonderlinie asketischer Bestrebungen, einer besonderen Heiligungsfrömmigkeit oder womöglich Werkgerechtigkeit reicht zur Erklärung dieses Phänomen in keiner Weise aus. Es hat sich hier um eine umfassende Bewegung von großer geistlicher wie institutioneller Prägekraft gehandelt, der eine konstitutive geschichtliche Bedeutung zukommt. Sie steht in einem sinnvollen, proportionalen Verhältnis zur Großkirche. Durch 1½ Jahrtausende haben die Beziehungen zwischen Großkirche und Orden ein bedeutendes, verwickeltes, aber nicht einfach unlösbares Problem dargestellt. Die darin liegende Spannung kann nicht aufgehoben, sondern muß durchgehalten werden.
Wir erhalten damit eine vierte Art von ekklesia, die quer in einem erst noch zu bestimmenden Verhältnis zu den bisher aufgezeigten Formen und Begriffen von ekklesia steht. Auf diese Weise gliedert sich unser Thema in vier Bereiche: universale Kirche, partikulare Kirche, Gemeinde und Orden. Unter Orden sind hier alle selbständigen Gruppen zu verstehen, die auf Grund besonderer Berufung und freier Wahl ihrer Glieder in bewußter Korrelation zu der grundsätzlich jedem Christen zugänglichen „Kirche” und „Gemeinde” stehen, aber eben darum selbst nicht Kirche oder Gemeinde zu sein beanspruchen, weder gesonderte Denomination, noch ecclesiola in ecclesia, noch Heiligungsgemeinde als „eigentliche” Kirche. Aus dieser bewußten Begrenzung und bejahten Bezogenheit ergibt sich über den präzisen und engeren Begriff des Ordens hinaus der hier gemeinte, für die Struktur der Kirche charakteristische Verbandstypus, dessen weiteste, schon etwas blasse Umschreibung man im Begriff der „besonderen Dienstgemeinschaft” versuchen könnte.
Die Einsicht in diesen Tatbestand bedeutet eine tiefgreifende Revision des herkömmlichen Kirchenbegriffs. Diese enthält zugleich eine Kritik an einer einlinigen Denkstruktur, die sich in gefährlicher Nähe zum kausalen Denken befindet und theologischen Fragen unangemessen ist. Weiter ist damit ein Programm für eine veränderte Betrachtung der Verfassungsgeschichte der Kirche vorgezeichnet. Denn jene vier Bereiche sind keineswegs gleichmäßig in der ganzen Kirchengeschichte in konkreter rechtlicher Form als Verfassungselemente feststellbar. Ihr Vorkommen und ihr Verhältnis sind vielmehr ein wesentliches Thema dieser Geschichte.