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8. Bericht über den Kongreß der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen in Wien (Auszug)

 

 

Die 1969 gegründete Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen hielt vom 22. bis 26. September 1971 an ihrem Sitz Wien ihren ersten Kongreß ab. Aus 17 Ländern waren 15 Kirchengemeinschaften vertreten, von der Orientalen die Thomaschristen ebenso wie die armenische Kirche, dagegen nur wenige hinter dem Eisernen Vorhang.

Grußworte des Papstes, des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel und zahlreichen anderen Kirchenhäupter drückten die anerkannte Bedeutung des Kongresses aus.

Dem Kongreß war unter Vorsitz von Kardinal König eine Begegnung zwischen katholischen Theologen und solchen der schismatischen Orientalen vorausgegangen, die nach den Berichten positiv verlaufen ist. Diese zeitliche Kombination hat offenbar die Teilnahme aus weit entfernten Gebieten erleichtert.

Die Gesellschaft wird die Referate in dem ersten der geplanten Jahrbücher veröffentlichen und hat beschlossen, den nächsten Kongreß im September 1973 auf Kreta zu halten. Als Thema ist das Synodalproblem vorgesehen.

Der Kongreß erhielt seine besondere Note durch die Ankündigung, daß die orthodoxe Kirche plane, im Zusammenhang mit der gesamtorthodoxen Synode eine Kodifizierung des orientalischen Kirchenrechts vorzunehmen. Man wolle einerseits die fundamentalen Position der alten Tradition rein herausarbeiten, andererseits obsoleten Canones ausdrücklich aufheben und auf diesem doppelten Wege ein Aggiornamento vollziehen. Ein entsprechendes Referat von Anastasiou (Saloniki, der persönlich am Vortrag verhindert war) über das Thema „Können alle alten Kanones heute in Gebrauch sein?” machte die für die Orthodoxie neue und besonders entscheidende Frage des geschichtlichen Wandels deutlich. Das programmatische Referat von Archondonis (Konstantinopel) über „A Common Code for the Orthodox Churches” schilderte die Vorgeschichte dieses Plans und entwickelte die damit sich stellenden methodischen Fragen. Die Beobachter des Konstantinopler Patriarchats bei der Päpstlichen Reformkommission, der Archimandrit Prof. Rodopoulos (Saloniki), mußte auf Befragen einräumen, daß eine Vorbereitung dieses gewaltigen Vorhabens nicht in einer gesonderten Arbeitskommission erfolge, sondern in Verbindung mit der allgemeinen Vorbereitung der Synode geschehen solle. Wenn die Gesellschaft als solche

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auch keine Arbeitsgemeinschaft für diese Aufgabe darstellt und der nächste Kongreß nicht ausdrücklich ihr zugewendet ist, so wird doch ihre Zusammenarbeit und das in ihr vorhandene Element der Offenheit und Gemeinsamkeit für den Fortgang wesentliche Bedeutung haben.

Die ökumenische Bedeutung dieser neuen Sachlage ist so groß, daß sie hier erwogen werden soll. Dieser Plan bedeutet eine entschiedene Wendung in der Haltung der Orthodoxie, die bisher ebenso partikularistisch wie systemfeindlich gewesen ist. Dies ist nur so zu verstehen, daß sehr eingreifende Notwendigkeiten die Orthodoxie vorangetrieben und ihr zugleich ermöglicht haben, selbst die Nachhut in diese Richtung zu bringen.

Das Programm leitet ohne Zweifel eine wesentliche Strukturveränderung der Orthodoxie ein. Sie wird nunmehr selbst ausdrücklich sagen müssen, was sie für essentiell hält und nicht bei der klagenden Abwehr latinisierenden Einflüsse stehen bleiben können. Sie wird auch ihre Begriffsunschärfe und ihren Irrationalismus mindestens eine Strecke weit überwinden müssen. Ein etwaiger Entwurf wird andererseits auf die Uniaten wie auf die Schismatiker mit blicken müssen, um einer gesamtorientalischen Einheit den Weg zu bereiten und sie nicht zu versperren. Umgekehrt wird sich die Frage stellen, wie weit die von Pius XII. erlassenen Teile des Codex Orientalis eben jene Latinisierung bedeuten. Auch die Päpstliche Kommission müßte mehr als bisher und im Fortgang ihrer Arbeiten am Grundgesetz und Kodex das Verhältnis ihrer Vorschläge zu den orientalischen Grundsätzen sorgfältig prüfen. Auf das Verhältnis zu den Orientalen haben ich schon in meinem Beitrag zu dem Hampeschen Konzilsbuch 1966, hat auch die Heidelberger Kommission in ihren Voten hingewiesen. Andererseits würde sich das Verhältnis zwischen römischer und orthodoxer Kirche wesentlich verändern, wenn die kanonistischen Positionen beider Teile mit voller Präzision umschrieben wären und nicht mehr im Nebel traditioneller Auseinandersetzungen und offener Fragen verblieben. Zweifellos wird dieser Vorgang nicht zur Vereinigung führen. Aber er könnte durch das dialogische Verhältnis in dieser parallelen Gesetzgebung und durch die erwähnte Klärung zu einer Annäherung führen.

Auch der gesamte Protestantismus ist durch diese Bewegung ernstlich betroffen. Die anglikanische Gemeinschaft als westliche Orthodoxie hat ein Lebensinteresse darin, mit der östlichen Orthodoxie in einem rechtlich anerkanntes Verhältnis zu stehen. Sie müßte über die bisher fast allein erörterte Sukzessionsfrage hinaus nicht weniger wie die römische Kirche die Grundsätze ihres kanonischen Rechts überprüfen.

In diesem Zusammenhang haben die reformatorischen Kirchen scheinbar nichts zu bieten. Die orthodoxen Mitglieder des Ökumenischen Rates haben immer betont, daß sie das dreiseitige Verhältnis der Ökumene nicht durch

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eine einseitige Verständigung mit Rom verändern wollten. Diese gute Absicht könnte angesichts des Ausfalls der reformatorischen Kirchen in diesem Bereich ins Wanken kommen. Das gleichseitige Dreieck könnte zu einem ungleichseitigen werden. In dieser Lage müßte die Vertretung der reformatorischen Kirchen zwei Aspekte geltend machen. Einmal dürfen die Grundsätze der beiden großen, Systeme des kanonischen Rechts vertretenden Kirchen die Grundsätze des gemeinen Kirchenrechts nicht in einer Weise verändern, welche die Gemeinschaft der universalen Kirche verkürzt oder belastet. Dies könnte z.B. bei bestimmten Interpretationen des Taufrechts der Fall sein. Schon auf dem Kongreß traten solche Punkte hervor.

Sodann wird auch in dieser Lage die Legitimität der reformatorischen Kirchen als Kirchen und das Problem der Bedingungen der Kirchengemeinschaft offenzuhalten sein. Die Dinge dürfen durch die relativ übereinstimmenden Positionen der beiden alten Kirchen nicht gleichsam als abgeschlossen gelten. Wenn die Freikirchen und anderen Gruppen vollends in diesem Verhältnis und Gespräch nicht repräsentabel sind, so muß doch an dieser Stelle auf die langjährigen Arbeit der Faith and Order Commission on Institutionalism verwiesen werden, deren publizierte Ergebnisse bedauerlicherweise durch die Konferenz von Montreal verschluckt worden sind. Auch die Freikirchen gewannen bei geduldigem Gedankenaustausch die Einsicht, daß von den großen Kirchen in ihren Rechtsordnungen geregelte Fragen legitim seien, auch wenn die Freikirchen selbst sie für sich nicht gestellt haben. Es besteht also nicht einfach ein kontradiktorischer Gegensatz zwischen verfaßten und Vereinskirchen.

Die sich hier auf lange Sicht abzeichnende, zweifellos noch mit den größten Schwierigkeiten behaftete Entwicklung bedarf der Beobachtung und Mitwirkung. Eine loyale und sachkundige Mitarbeit und Förderung dieser ohne kirchenpolitische Verantwortung und taktische Belastung offenen Arbeit erscheint mir auch in Zukunft notwendig.