|39|
*
Der Entwurf einer Lex Ecclesiae Fundamentalis bildet einen markanten Abschnitt in der langen Geschichte des kanonischen Rechts. Dies wird schon daran deutlich, daß er mit dem Prooemium eine Selbstaussage der Kirche über Stiftung, Wesen, Auftrag voranstellt. Er ist weder mehr eine geordnete Sammlung historisch erwachsener Normen, Grundsätze und Entscheidungen, noch ein systematisches Gesetzeswerk, welches den Gesetzgeber außerhalb seiner Aussagen voraussetzt. Im Prooemium reflektiert die Kirche auf sich selbst, auf ihre Legitimation, ihre Bestimmung, ohne den konkreten gegenwärtigen Gesetzgeber selbst zu nennen. Das Prooemium ist auch kein Bekenntnis im klassischen Sinne der altkirchlichen Bekenntnisse. Es hat nicht die Wendung ad Deum: es spricht zu den Menschen, die es innerhalb wie außerhalb der Kirche in Anspruch nimmt und die es angeht. Es unterscheidet sich auch von den Bekenntnispräambeln, welche Ordnungen reformatorischer Kirchen vorgeschaltet sind, weil hier nicht zuvor als besonderer Aussagegegenstand Basis und Inhalt des Glaubens umschrieben wird. Es zielt vielmehr von vornherein auf Begründung und Entfaltung des Rechtes der Kirche. Andererseits ist diese Aussage eine verbindliche Formulierung, auf welche sich die Kirche selbst zugleich festlegt. Diese Reflexion auf ein bisher durch die positiv-historische Offenbarung Vorausgesetztes ist andererseits nicht „response” auf eine „challenge” im Sinne von Toynbee. Ein solcher Text hat weder demonstrativen noch apologetischen Charakter. Ohne besorgte Sparsamkeit oder verborgene Unsicherheit muß es die Kirche unternehmen, ihr Sein und Sollen bündig auszudrücken.
Aber dieser, für Theologie und Kanonistik neue modus loquendi hat seine eigenen Probleme und Schwierigkeiten. Es genügt hier nicht mehr, Normen zu formulieren, die dem theologischen Inhalt sorgfältig und klar entsprechen. Theologische und rechtliche Aussagen müssen vielmehr zur Sinneinheit gebracht werden. Wir finden nun im Text Redewendungen dreifacher Qualität: dogmatische Aussagen in Anlehnung an biblische Begriffe, unmittelbare Schriftzitate und rechtliche Grundbestimmungen von programmatischem Charakter stehen einigermaßen wahllos und jedenfalls
* Zum besseren Verständnis ist am Ende dieses Aufsatzes der offizielle Text des Prooemiums den Gegenvorschlag des Heidelberger Entwurfs gegenübergestellt.
|40|
unverbunden nebeneinander. Die Schriftstellen dienen offenbar sowohl der Legitimation der übrigen Aussagen wie dazu, dem Text vor allem begrifflichen Ausdruck Unmittelbarkeit zu verleihen. Aber sie vermögen die notwendige Verbindung zwischen theologischer und juristischer Aussage nicht selbst herzustellen. Im Gegenteil: sie bergen Gefahr und Versuchung für Verfasser und Leser in sich, jene Verknüpfung wie etwa auch ihr Fehlen oder ihre gedanklichen Mängel fromm redend zu verdecken. Die Beschwörung der Schrift verbürgt vor allem nicht, daß die hier zu lösende, gewiß nicht leichte Aufgabe auch tatsächlich gelöst ist. Die Vorentscheidungen des Ansatzes liegen in jenen Grundsätzen, nicht in den biblischen Belegen.
Der Text setzt ein mit der Sendung Jesu Christi durch den Vater. Aus dieser missio leitet sich alles Folgende, insbesondere die missio der Kirche ab. Es ist indessen nicht deutlich, ob der rechtstheologische Charakter dieser Aussagen — den die Verfasser sicherlich nicht bestreiten wollten — voll einbezogen und bedacht worden ist. Wenn der Sohn den Willen des Vaters in der Welt tut, so ist, was er tut und fordert, göttlichen Rechts und er besitzt die Vollmacht, diesen Willen auszusprechen und auszulegen — wie er es auch in souveräner Überlegenheit getan hat — zugleich aber ist alles in ihm und durch ihn gegeben und erfüllt.
Als Ziel dieser missio Christi wird die Sündenvergebung und Heiligung der Menschen genannt. Hier setzt die Interpretation ein und werden die Weichen gestellt. Die sanctificatio geschieht in der Kirche und durch die Kirche. Sanctificatio ist der Sammel- und Spitzenbegriff für die Aufgabe der Kirche in den wesentlichen nachfolgenden Aussagen. Das munus sanctificandi steht an der Spitze der drei munera, die in Caput II entfaltet werden. Diese sanctificatio geschieht durch das Handeln der Kirche, in erster Linie in Gestalt der Sakramente. Von vornherein wird das ganze Wesen und Handeln der Kirche in die Bahn einer finalen Vorstellung geleitet. Gegenüber diesem erst zu vollziehenden, konsekutiv-exekutiven Handeln tritt der Gedanke zurück, daß die durch die Wirksamkeit Christi eröffnete Gemeinschaft mit Gott in seiner Person bereits Sündenvergebung und Heiligung bedeutet. Der Vordersatz in dieser Form steht in einer verdeckten Spannung zu der anschließenden Aussage über das Volk Gottes, insbesondere zu seinem Schluß „nunc autem ...”. Die Präsenz des Heils erscheint erst merklich später, am Ende des 2. Absatzes; hier ist ihre Realität symbolistisch abgewandelt und ausgedrückt; sacramentum vel signum, zugleich aber wieder final eingeordnet „instrumentum”. Auftrag und Vollmacht der Kirche wird in einem Zweck-Mittel-Verhältnis ausgedrückt. Der entschieden geistlich-theologische Inhalt dieser Aussagen verbietet den Vorwurf der „Verdinglichung”. Aber sublim-spirituale wie gegenständliche Aussagen sind nur verschiedene Formen oder Anwendungsfälle einer
|41|
solchen Denkstruktur. Geistliche Mittel, Gnadenmittel sind zugunsten der Destinatäre zu verwalten. So erklärt sich auch, daß so unterschiedliche Termini wie sacramentum (mysterion!), signum (Zeichen oder Abbild) und instrumentum in unmittelbarer Juxtaposition erscheinen, geradezu austauschbar werden. Darin liegt in unvermeidlicher Verbindung ein sowohl spiritualistischer wie individualistischer Charakter. Gewiß wäre es zu einfach zu sagen, der Satz sei individualistisch. Aber auf alle Fälle nimmt er einen Einstieg von dem Heil des Einzelnen und drückt nichts von dem universalen und kosmologischen Gehalt des Heilswerkes Christi aus.
Die genannte Kollision zwischen dogmatischer Aussagen wird anschließend noch einmal deutlich in der Wendung „convocare statuit”. Dies impliziert oder vermeidet wenigstens nicht die Vorstellung einer besonderen Einsetzung oder eines Stiftungsaktes für die Kirche. Hier auf alle Fälle ist nicht im Blick, daß die Eröffnung der Gemeinschaft mit Gott in der Person Christi alles zum Heil Notwendige mit sich bringt. „Deo adhaerere mihi bonum est” — sagt Augustin.
Eine genaue Durcharbeitung des Textes läßt erkennen, daß die Verfasser — trotz des vielfach allzu vollen Ausdrucks — in der Bildung wie Verknüpfung der Begriffe äußerst genau und folgerichtig verfahren sind. Aber je höher man diese Leistung einschätzt, desto mehr ist es auch gerechtfertigt, den Text auf seinen Inhalt zu behaften. Leider bestätigt der zweite Abschnitt des Prooemiums in Begrifflichkeit und Aufbau die für den ersten Absatz entwickelten Bedenken. Auch hier ist, sogar in doppelter Wendung „voluit et constituit” von einem besonderen Akt der Stiftung und Gründung die Rede. Die im ersten Abschnitt verdeckte Dualität zwischen der finalen Beschreibung des Werkes Christi und der Kirche einerseits und dem Gedanken des Volkes Gottes in seiner ipso facto-Präsenz nimmt hier eine Wendung in die Dualität zweier ganz anderer Begriffe: derjenigen von communitas und societas. Der Stiftungswille wird nunmehr sogar in bestimmten materialen Begriffen beschrieben und auseinandergelegt.
Das Begriffsschema communitas-societas findet sich im Text der Konstitution „Lumen Gentium”. Es steht dort in dem vielfältigen und weitverzweigten Kontext von Aussagen über die Kirche; keineswegs bildet es einen Spitzensatz, aus dem die geschichtliche und historisch-institutionelle Wirklichkeit der Kirche abgeleitet oder in der sie wesentlich beschrieben werden könnte. Die Verfasser haben auch nicht versucht, den Rechtsgehalt auszuschöpfen, der in Abschnitt I mit dem Gedanken des erwählten Volkes, des Volkes Gottes bereits vorlag. Auch der Gedanke des Neuen Bundes ist von ihnen nicht in den Text aufgenommen worden. Unter dieser Umständen bedeutet die Voranstellung dieses einen, deutlich aus der scholastischen Tradition stammenden Gedankens eine schwerwiegende Verschiebung der
|42|
Gewichte, die, mit außerordentlichen Konsequenzen verbunden, das Gesamtwerk präjudiziert hat. Denn mit der Einführung dieser Doppelaussage wird eine tiefgreifende Spaltung des Kirchenbegriffes eingeleitet. Der Gesamtheit der Gläubigen, der communitas, wird die virtuelle und spirituale Mitwirkung am gesamten Leben der Kirche, an allen ihren Ämtern und Verrichtungen zugesprochen, während andererseits als aktive Träger von Rechten allein die hierarchisch verfaßte societas in Erscheinung tritt. Der Hierarchie-Begriff wird nicht nur prinzipiell eingeführt, sondern zugleich praktisch im Sinne der Ausschließlichkeit ausgestaltet. So mußte schon die der Päpstlichen Kommission übermittelte Gesamtkritik des Entwurfs lauten. Der ausdrückliche Anschluß der Gedanken im Text ist durch das Wort „itaque” vollzogen. Hier gibt es zwei gegensätzlicher Auslegungsmöglichkeiten. Entweder soll der Gegensatz von communitas und societas in der Doppelheit des Gedankens von missio und Volk Gottes vorgebildet sein und in neuer Begrifflichkeit fortgeführt werden. Oder aber der betonte Stiftungswille Christi wird hier in einem zweiten Gedankenschritt aus einer bestimmten dogmatischen Tradition differenziert beschrieben und ausgelegt. Würde jene Rückbeziehung bejaht werden, so bedeutete freilich die Umsetzung der Begriffe eine Verschiebung, deren Sinn und Schlüssigkeit nicht einsichtig ist. Jedoch ist wenig wahrscheinlich, daß die Verfasser diese Beziehung intendiert haben. Näher liegt die zweite Alternative. Schon im Laufe der Beratungen sind Bedenken gegen die Einführung dieser Begriffe aufgetreten. Laut Begründung ist die Kommission diesen Bedenken mit dem Argument entgegengetreten, das Begriffspaar sei nicht als Entgegensetzung oder Trennung, sondern als komplexe Einheit zu verstehen. Für die oben formulierte Alternative trägt diese Aussage nicht aus; sie enthält keine Antwort auf die sich hier stellende Frage. Um so mehr ist anzunehmen, daß die oben erwogene Verklammerung beider Absätze nicht beabsichtigt ist. Angesichts der tiefgreifenden Folgen, die aus der Einführung dieses Begriffspaares entstanden sind, entbehrt jenes Argument ohnehin der Überzeugungskraft.
Wenn eine Rückverweisung aus Absatz 2 in Absatz 1 ferngelegen hat, ist der tragende Gedanke von Satz 2 und damit das spätere Gesamtschema des Entwurfs — jene Interpretation des Stiftungswillens — begründungslos eingeführt worden. Es liefe auf die einfache, um nicht zu sagen brutale Aussage hinaus, daß die Kirche, weil innergeschichtlich und innerweltlich, auch an den Rechtsstrukturen der Welt und Geschichte teilhaben müsse. Dies ist das unausdrückliche Eingeständnis, daß der hier eingeführte und grundgelegte Rechtsbegriff im radikalen Sinne säkular ist, dessen Übernahme durch den Stiftungswillen theologisch, freilich rein imperativ, nicht aber ontologisch gedeckt ist. Würde man hier einen gewissen analogischen Zusammenhang
|43|
mit der chalcedonensischen Naturenlehre in Betracht ziehen, so müßte man urteilen, daß in deren Dialektik das „ungetrennt” verkürzt ist, und zwar gerade nicht im Konzilstext, sondern in der konkreten rechtlichen Durchführung des Gesamtentwurfs. Demgegenüber nutzt die beteuernde Interpretation nichts. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen 15. Eben darum mußte in der Begründung zum Alternativentwurf zum Schema Prius von 1969 gesagt werden, daß hier „non nimis, sed parum iuridice” gesprochen worden sei. Würde umgekehrt argumentiert werden, daß hier die Liebes- oder Geistkirche und die Rechtskirche als Einheit dargestellt würde, so wäre der innere Widerspruch noch sinnfälliger. Denn diese Einheit wäre ein reines Postulat, eine res de nudo titulo, in der gerade die Spannung von Geist und Recht (das „unvermischt” als Chalcedonense) rein verbal überdeckt und überspielt wird.
Indem die Verfasser sich mit dem Gedanken der Komplexität begnügen, hat offenbar kein Bedenken und keine Frage bestanden, ob eine teils aus der scholastischen Tradition, teils aus einer älteren Soziologie stammende Schulformel und eine darauf aufgebaute Gesamtanschauung überhaupt und nach dem heutigen Stande theologischer Erkenntnis noch adäquat sein könne. Die Aufgabe der kanonistischen Formulierung wird zum Prüfstein dafür, bis zu welchem Grade der Klarheit die Aussagen des Konzils durchgeführt worden, ob sie in einer Unentschiedenheit zwischen alter und neuer Theologie stehengeblieben sind. Gerade wenn die komplexe Verbundenheit beider Begriffe zur Rechtfertigung einer Verwendung angeführt wird, muß erst recht die Komplexität der Gesamtaussagen von Lumen Gentium gewahrt und zur Geltung gebracht werden. Eben darum muß es als methodisch wie inhaltlich unzulässig bezeichnet werden, diesen Doppel-Begriff als Deduktionsbasis voranzusetzen.
Hier wird ein grundlegender Widerspruch deutlich. Der hier verwendete Rechtsbegriff ist dem Subjekt-Objekt-Schema unterworfen. Das in Absatz 1 genannte Heilshandeln bedarf handlungsfähiger Subjekte, die darum auch kirchenrechtsfähig sind. Der Inhalt ihres Handelns aber ist ihr Objekt. Dieses Handeln selbst jedoch hat keine rechtliche Qualität und Wirkung. Aber die erforderliche Qualität als kirchenrechtliches Subjekt, Berechtigung und Fähigkeit für die Kirche zu handeln, wird durch den sakramentalen Ordo vermittelt, der seinerseits in einem säkularen Rechtsbegriff imperativisch-finaler Struktur nicht untergebracht werden kann. Taufe und Ordo sind Vorgänge personaler Institution im Rechtssinne der Zuordnung und Einordnung, wie alle Gnade überhaupt. Sie sind also niemals Inhalt eines Handelns, das selbst aus der Rechtsdimension entnommen ist. Da der Ordo wiederum unzweifelhaft auf der Taufe aufruht, und das Sakramentsrecht im ganzen die Grundlage des kanonischen Rechts bleiben muß, so führt
|44|
die Verweisung konkreter Rechtsfähigkeit in den Bereich der „societas” zu einem immanenten Bruch im System.
Was hier auszusagen und zu entfalten wäre, ist nicht die Dualität einer geistlichen communitas und einer rechtlich-soziologischen societas in postulierter Einheit, sondern das komplexe Ineinander von Charisma und Recht, wie das unwidersprechliche Miteinander der missio aller Christen und besonders ausgewählter Amtsträger. Communitas und Hierarchie sind beide gleichzeitig charismatisch-spirituale wie rechtliche Größen.
Die Veränderungen des Textus Emendatus gegenüber dem Textus Prior lassen die Erwägungen erkennen, welche die Kommission nachträglich beschäftigt haben. In Abschnitt 1 ist offenbar empfunden worden, daß der Begriff „sanctificare” die eschatologische Dimension nicht ausdrückt. Dies ist dann durch den Zusatz „et ad gloram regni caelorum perduceret” in einer sehr anspruchsvollen und wiederum zweckhaft-finalen Form versucht worden, aber doch nicht geglückt.
In Abschnitt 3 ist für die divina institutio der Kirche noch ausdrücklich der Offenbarungscharakter in Anspruch genommen „per evangelium revelata”, wodurch die Stiftungsproblematik noch weiter verschärft wird. Die Grundaussage ist ambivalent zu beurteilen. Sie muß mit Recht das der Kirche eingestiftete Rechtselement zur Geltung bringen. Viele Katholiken haben heute verständlicherweise einen Nachholbedarf an Kirchenrechtskritik. Sie sind in der Gefahr, in den verhängnisvollen Fehler des liberalen Protestantismus (Ernst Käsemann) 16 zu verfallen: die Trennung von Geist und Recht. Aber wie die innerprotestantische Debatte der letzten Jahrzehnte zeigt, kann die existentiale Bedeutung der Rechtsdimension durch einen normativen Stiftungspositivismus dem Verständnis nicht nähergebracht werden; dieser wird vielmehr begründeten Widerspruch hervorrufen. Die gewählte Argumentation ist daher unglücklich.
Dieser Kirchenbegriff wird durch eine weitere Ergänzung belastet. Nachdem zuvor von der „Constitutio divinitus imposita” gesprochen wird, wird hinzugefügt, daß diese Kirche „atque christifidelium actiones dirigendo eos ad salutem consequendam adiuvat”. Es erscheint offenbar der Verfassungsbegriff selbst bedenklich, wenn er nicht von vornherein wesentlich wieder durch die geistliche Leitungsbefugnis ausgefüllt und umschrieben wird. Die Kirche ist also ein Subjekt, das in der beschriebenen Form zu leiten berufen und bestimmt ist, so daß auch hier wiederum die Präsenz der communitas, der Einschluß aller in die Heilsgemeinschaft zurücktritt und das Handeln der einen an den anderen mit einer eigentümlich zweideutigen Ausschließlichkeit vorangestellt wird. Welchen Wert können die Aussagen über die communitas haben, wenn der Verfassungsbegriff selbst in einer Form umschrieben wird, der die einen und die Kirche schlechthin als die aktive und
|45|
die anderen in notwendiger Konsequenz als die passive Größe darstellt! In diesen Beisätzen nimmt der Text einerseits die von ihm selbst eingeführte Dualität von communitas und societas zurück, indem er die communitas jeder wesentlichen verfassungsrechtlichen Bedeutung beraubt, andererseits engt er den Verfassungsbegriff selbst zugunsten der aktiv Handelnden in dem Sinne ein, daß für eine Pluralität von Verfassungselementen von vornherein kein Raum ist.
Dem Bedenken, es könne „Verfassung” nicht anders als im Sinne säkular-autonomer Selbstverwirklichung verstanden werden und müsse diese unvermeidlich nach sich ziehen, vermochten die Verfasser nicht anders als durch die Rücknahme der Verfassung in eine einseitige Heteronomie zu begegnen. Die sachliche Verlegenheit wie die psychologische Besorgnis, welche den ganzen Entwurf durchziehen, werden in dem nachgebrachten Einschub deutlich. So werden den nicht-hierarchischen Gliedern der Kirche gleichsam nur Menschenrechte, nicht aber aktive Bürgerrechte zugebilligt, als für loyale und steuerpflichtige Beisassen und Schutzbürger. Dem entspricht auch die Behandlung des Entwurfs selbst. Auch die endgültige Fassung des Schema Emendatum wird noch als „reservatum” bezeichnet. Den Bischöfen wird „ad posse” anheimgegeben, auch die Stellungnahme der Priester und Laien einzuholen, damit sie selbst als interpretes der Meinungen der ihnen Anvertrauten zu sprechen vermöchten. Mit einer Öffentlichkeit des Verfassungs(!)entwurfs, welche tatsächlich gar nicht vermieden werden kann, wird also ernstlich nicht gerechnet, ebensowenig damit, daß über die partikularen, eingeholten Erwägungen hinaus etwas, was alle angeht, auch eine Stelle im Bewußtsein aller einnehme. Wenn der sensus fidei der universitas fidelium die Kirche trägt, so wird auch die Verfassung der Kirche in diesen sensus aufgenommen und durch ihn reflektiert werden müssen.
Die programmatische Aussagen des Prooemiums müssen auch auf ihren ökumenischen Gehalt untersucht werden. Abschnitt 3 nimmt mit der Verweisung auf die varietates die bedeutsamen neuen Aussagen von Canon 2 über Einheit und Vielfalt der Kirche vorweg. Der gleiche Abschnitt entlastet die Kirche von Vorwurf und Schein zeitloser Unveränderlichkeit. Der von uns für diese Stelle vorgeschlagene Gedanke der peregrinatio der Kirche, der perpetua sui ipsius reformatio und der consortio humanae condicionis ist als neuer § 4 in den mit Absatz 3 des Prooemiums gedanklich verbundenen Canon 2 übernommen worden 17. Diesen Gedanken eine Spitzenstellung zu verleihen, wäre wünschenswert gewesen; auch so haben sie immerhin an herausgehobener Stelle ihr Gewicht.
Dagegen ist auch unter ökumenischen Gesichtspunkt die Verwendung der oben erörterten scholastischen Terminologie bedenklich. Mit dem koinonia-Begriff
|46|
ostkirchlicher Tradition und deren umfassender Sakramentalität ist jene Dychotomie durch kein Postulat zu vereinen und zu vermitteln. Die Ostkirche lebtvon der Teilnahme der „Heiligen am Heiligen”. In dieser koinonia sind in ihr Klerus und Laien immer verbunden geblieben. Keine subtil rationalisierte Beichtjurisdiktion hat zu einer scharfen Scheidung geführt. Rechtsformen, Stil und Klima sind dadurch merklich anders als im lateinischen Bereich. Jene begriffliche Unterscheidung muß ihrem Geiste ganz fremd sein. Eine Tolerierung dieser Terminologie würde auf die Länge den leider in der Geschichte nur allzuoft begründeten Vorwurf der Latinisierung von Neuem hervorrufen. So kann das Prooemium die Einheit zwischen römisch-katholischer Kirche und den von ihr getrennten Ostkirchen nicht fördern, sondern wird das Verhältnis ebenso belasten wie die unierten orientalischen Kirchen, wenn diese nicht vermögen, solchen Bedenken Wirkung zu verschaffen.
Dies wird dort nicht der Fall sein hinsichtlich der sehr früh vorgezogenen Aussage über die hierarchische Struktur der Kirche, eher oder gradweise bei der Church of England. Diese Voranstellung bedeutet auf alle Fälle, daß sich die Verfasser jeder Rücksichtnahme auf den gesamten protestantischen Teil der Ökumene entschlagen haben. Es bedeutet den unbedenklichen Verzicht darauf, das Prooemium so zu fassen, daß es wenigstens vom Großteil der Ökumene, etwa von jenen verfaßten Konfessionskirchen angenommen werden könnte, welche die Bekenntnisse von Nicaea und Chalcedon bewahrt haben und in diesem Sinne orthodox sind. Unter der hier nicht zu diskutierenden Voraussetzung, daß die hierarchische Struktur für die römisch-katholische Kirche fundamental und integrierend ist, besteht auch im Lichte heutiger katholischer Exegese und Ekklesiologie ein Unterschied zwischen einer Stiftungstheologie, die alle geschichtlichen Gestaltungen in die Grundlagen zurückverlegt und einer unbefangenen Entfaltung der gleichen Sachaussagen im folgerichtigen Aufbau des Verfassungswerks selbst. Weniger wäre hier mehr gewesen. So fällt schon das Prooemium mit der Tür ins Haus — sein besorgter Integralismus, der nicht einmal im eigenen Text warten kann, bis ein jedes seinen gebührenden Platz findet, ist weder maßvoll noch vorausschauend. Es ist ein Unterschied, ob man sich etwas vergibt oder ob man offen ist. Eine defensive Theologie ist, mag sie noch so viele Richtigkeiten enthalten, immer falsch.
Die Verwechslung der Unbedingtheit des Glaubens mit diesem integralen und maximalen Inhalt beruht jedoch weder auf menschlicher Einseitigkeit, Neigung zu falscher Orthodoxie, noch auf Selbstbehauptungs- oder Machtwillen — worauf Kontroverstheologie wie Kirchenkritik die Kirche denunzieren: — jedenfalls nicht primär. Vielmehr ist weder in der Kanonistik noch in der evangelischen Kirchenrechtslehre jemals auf den Tatbestand reflektiert
|47|
worden, daß es einen erheblichen Bestand gemeinen Kirchenrechts gibt, welches sich seit den frühesten Zeiten der Kirche durchgehalten hat 18. Die Außerachtlassung dieser Bestände beruht aber auf einer transzendentalen Form des Selbstverständnisses der Kirchen, welche diesen oder jenen Ansatz, den Anspruch des Papsttums oder eine andere Fundamentallehre anstelle der von Gott selbst vorgegebenen koinonia als die Bedingung der Möglichkeit legitimer Existenz der Kirche verstehen. Dadurch tritt eine Art Ideologisierung des Kirchenrechts ein, der zufolge auch übereinstimmende Rechtssätze im jeweiligen konfessionellen Kontext grundsätzlich eine andere Bedeutung haben müßten. Eben diese Denkstruktur ist das fundamentalste, weil systematische Hindernis ökumenischer Gemeinschaft und macht sich auch hier bemerkbar. Wir haben deshalb auch von vornherein in unseren Gegenvorschlägen dem widersprochen, daß ein Jurisdiktionsanspruch der römischen Kirche sich auf solche getauften Christen beziehen könne, die noch niemals in eine tatsächliche Verbindung mit ihr gekommen sind.
Wenn die Kirche in ihrem konkreten Sosein die Bedingung der Möglichkeit legitimer Existenz ist, ist jene Verwechslung und der Maximalismus die logische Folge. Dieser Ekklesiologie des „Alles oder Nichts” tritt dann allzuleicht als ebenso falsche Alternative die banale und gleichgültige Relativierung gegenüber — die sie selbst provoziert. Die ökumenische Bewegung sollte die Schule der Bewährung sein, in der wir lernen, gemeinsam von diesen Denkzwängen frei zu werden.
Die Basisaussagen wie die Einordnung des Prooemiums in die ökumenische Dimension zeigen, daß über die Positivität der Aussagen hinaus heute ein Problembewußtsein für die Denkstruktur der Aussagen bewährt werden muß. Ein solcher Entwurf muß der geistesgeschichtlichen Kritik standhalten. Erst so wird er eine zu verantwortende und rechtliche stringente Position darstellen.
Schema Legis ecclesiae fundamentalis / Prooemium
Textus emendatus |
Alternativentwurf |
|48|
convocare statuit in sanctam Ecclesiam, quae sit Ipsi
„genus electum, regale sacerdotium, gens sancta, populus
acquisitionis ... qui aliquando non populus, nunc autem
populus Dei” (1 Pt. 2, 9-10). |
electum, regale sacerdotium, gens sancta, populus
acquisitionis ... qui aliquando non populus, nunc autem
populus Dei: qui consecuti misericordiam, nunc autem
misericordiam consecuti” (1 Pt. 2,
9-10). |
* Cf. Conc. Vat. II, Const. dogm. Lumen gentium, nn. 1, 2, 4, 8 et 9; Paulus VI, Sollemnis Professio fidei, 30 iunii 1968, n. 19: A.A.S., 60 (1968), p. 440. |
** Cf. Conc. Vat. II. Const. dogm. Lumen
gentium, n. 23. |