2. Die Mehrschichtigkeit des Kirchenrechts bei Luther

In der Sache selbst erschließt sich das Verständnis dieser Rechtslehre auch in der Verarbeitung durch Heckel nur schwer. Sie ist kompliziert und alles andere als griffig. Heckels Bericht und Terminologie verstärkt dies noch durch eine gewisse Eigenwilligkeit. Sachkundige Leser ersten Ranges, Theologen wie Juristen, haben mir ihren Zweifel ausgedrückt,

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ob sie Heckel wirklich verstanden hätten. Mir selbst bleibt trotz aller Bemühung auch ein solcher Rest des Zweifels13. Das ist auch in der Sache selbst nicht unbedenklich. Wenn solange Zeit die wirkliche Rechtslehre Luthers hat verkannt werden können und sie so schwer zu evidenter Klarheit erhoben werden kann, was hat denn solange dafür gegolten, was ist praktiziert worden? Es könnte hier überhaupt an dem Maße der Einsichtigkeit mangeln, das in theologischen Aussagen vermöge ihres Verkündigungscharakters nicht wohl unterboten werden darf, und auf welches er selbst in seiner Lehre von der Einsichtigkeit der Schrift und im Vergleich mit der Einsichtigkeit der Gesetze großen Wert gelegt hat14. Erst nach vielfacher Bemühung klären sich die Grundlinien deutlicher ab.

Nach Heckel bildet den Ausgangspunkt die in der Spätscholastik vertretene Lehre von den drei Gemeinschaften, die es auf Erden unter Christen gebe15:
1. die rein geistliche oder innerliche Gemeinschaft der Liebe zu Gott und zum Nächsten, d.h. die Gemeinschaft der wahren Christen,
2. die rein körperliche des äußeren Zusammenlebens,
3. die in der Mitte stehende der Teilnahme an den Sakramenten oder, was dasselbe ist, die Gemeinschaft der zum Sakramentsempfang berechtigten Getauften.

Diese Unterscheidung findet sich schon bei Gabriel Biel, dessen Kommentar zur Messe Luther hochgeschätzt hat. „Im Anschluß daran unterscheidet Luther bei der Auslegung des 110. Psalms ... an der Kirche das concilium justorum, die Gemeinschaft deer wahren Gläubigen, von der congregatio justorum et injustorum als der Gesamtheit aller Getauften. Nur die Erstgenannten sind Reichsgenossen im regnum Christi und Bürger der Stadt Gottes. Die anderen haben als Fremdlinge und Gäst dort keine Rechte. ... Wir bezeichnen die congregatio justorium et injustorum als Kirchenwesen, oder ... als ecclesia universalis.”16

Wenn also die erste Gemeinschaft die wahre Kirche, die dritte das Kirchenwesen ist, so ist die zweite, „die rein körperliche” der Staat oder in seiner Zeit die durch das weltliche Regiment der Obrigkeit zusammengehaltenen Menschen, die hier als Christen erscheinen, weil es sich um die Auslegung der Rechtslage der Christen handelt. Die gesamten weiteren Ausführungen dienen dann dem Beweis, daß Luther die Rechtsordnung, den Rechtsstatus dieser drei Gemeinschaften grundlegend anders bestimmt habe, als die scholastische Kirche. Es handelt sich in dieser Übernahme des Schemas als solchem aber keineswegs um einen reinen Traditionsvorgang. Vielmehr wird die Unterscheidung von der Gesetzeslehre hier begründet (Initia 18, Lex charitatis 29, 35). In der Tat: mit der Annahme zweier Gesetze ist eine bestimmte Kirchenrechtsproblematik gesetzt: Richtet sich das göttliche Gesetz nur an den homo interior und ist von ihm allein durch den intellectus fidei, das

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Erkenntnisvermögen des Glaubens, nicht durch Vernunft erkennbar, so gibt es jetzt drei Möglichkeiten und Rechtsstände:
1. der wahre Gläubige, der vermöge jenes intellectus fidei das göttliche Gesetz zu erkennen vermag,
2. der getaufte Ungläubige in der Kirchengemeinschaft, der dies nicht vermag, aber nun doch innerhalb der Kirche irgendwie eine Zuordnung erfährt,
3. der Christ in der Welt, ja auch der Nichtchrist in den weltlichen Bezügen, welche er mit dem Christen teilt.

Die inhaltliche Bestimmung des göttlichen, geistlichen Rechts der ecclesia spiritualis ist nun die lex spiritualis (Lex ch. 21). Luther kennt also, wie Heckel gegen liberale Urteile hervorhebt, sehr wohl und ausdrücklich ius divinum.

Das ist freilich kein von der Person losgelöster Allgemeinbegriff. Vielmehr bildet die lex spiritualis den Sollensinbegriff der ersten Gemeinschaft, der ecclesia spiritualis. Es herrsche in diesem Rechtsdenken ein strenges Personalitätsprinzip. So wie der Deutsche nach deutschem Recht, der Franzose nach französischem, so leben die verschiedenen Gemeinschaften je nach ihrer eigenen Lex, trotz ihrer territorialen Vermischung. Eine solche Ordnung ist dem mittelalterlichen Rechtsdenken nicht fremd, in dem etwa der deutsche König seit den Zeiten der Karolinger immer nach fränkischem Recht lebt, auch wenn er kein Franke ist. So kann von diesem Personalitätsprinzip aus Heckel auch an einer späteren Stelle sagen, daß der Christ vom weltlichen Gesetz befreit sei, und es nur aus Liebe erfülle. Das förmliche Begriff der Exemtion wird hier gebraucht. Durch dieses juristische Personalitätsprinzip ist die Allgemeingültigkeit der bisherigen Begriffe abgelöst und aufgelöst. Von den drei Gemeinschaften kommt nun in unserem Zusammenhang die dritte, die sehr bedenklich mit „rein körperlich” gekennzeichnet wird, erst in letzter Linie und in der Kontraposition zur Kirche und Kirchenrecht in Betracht.

Mit der Allgemeingültigkeit der bisherigen Begriffe ius divinum, naturale, positivum wird auch ihr transpersonaler Zusammenhang und ihre hierarchische Stufung vom Höheren zum Niederen aufgelöst. Es wird freilich zu fragen sein, ob damit schon die Denkstruktur verändert ist. Es fragt sich weiter, was Luther nun auf der Grundlage dieser für ihn fundamentalen Scheidung aus dem Kirchenrecht gemacht hat.

Bei alledem fällt auf, daß die Voraussetzung, die Lehre von den drei Gemeinschaften als solche, abgesehen von ihren Folgen, mit keinem Worte zur Erörterung gestellt wird. Zugleich wird hier grundlegend mit einem Begriff der Gerechtigkeit der einzelnen Glaubenden gearbeitet, die grundsätzlich in keinem Falle erkennbar ist. Auf dieser nicht verifizierbaren Unterscheidung wird das gesamte Kirchenrecht aufgebaut. Die Gerechtigkeit aber ist, wie streng festgehalten wird, keine inhärente

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Qualität, sondern eine fremde zugerechnete, diejenige Christi, die dem Menschen durch den Glauben zugeeignet wird. Ist also diese Gerechtigkeit nicht als konstatierbare Heiligkeit in der Welt, was ist sie dann? Sie beruht auf einem Urteil Gottes, das dem Glaubenden unverbrüchlich verheißen ist und auf das er vertrauen soll, und das um dieses Vertrauens willen für den Menschen schon in der Gegenwart hic et nunc tröstlich vorhanden ist. Insoweit hat die Glaubensgerechtigkeit wie die Sakramente den Charakter der proleptischen Eschatologie. Aber bei aller gegenwärtigen Glaubensgewißheit geht es doch darum, daß der Glaubende vertraut, Gott werde ihm, wenn er so im Glauben stürbe, gnädig sein, und sei ihm deshalb schon jetzt gnädig. Aber er stirbt jetzt nicht, und erst im letzten Gericht entscheidet sich dies für ihn. Bis zum Tode fällt er immer wieder, bekehrt sich usf. Im Kirchenrecht aber geht es nicht um dies uns unzugängliche Urteil Gottes, sondern sehr praktisch um pneumatische Urteile, ob diese Verkündigung, diese oder jene Entscheidung des Glaubens und kirchlichen Handelns evangeliumsgemäß ist oder nicht. Es geht gar nicht um die Generalbeurteilung des Menschen, sondern um ein bestimmtes auftraggemäßes Tun und Lassen. In diesen Entscheidungen geht es darum, ob der Geist den Geist erkennt. Es muß entschieden werden ob, was gesagt, getan, vorgeschlagen wird, aus dem Glauben geht oder nicht, ob es darum für andere verbindlich, in der Kirche möglich ist oder nicht. Die Kirche ist als ganzes eine congregatio permixta, in der es sich fort und fort entscheidet, ob dem Evangelium Gehorsam geleistet wird oder nicht. Ein erleuchteter Prediger, dessen Verkündigung wir als evangeliumsgemäß oft Gelegenheit gehabt haben anzuerkennen und anzunnehmen, kann in einer Synodalsitzung nicht von den sog. „guten Geistern”, sondern vom Heiligen Geiste verlassen sich erweisen, eigensüchtig, unbelehrbar, lieblos usf.; er kann das auf Zuspruch einsehen — oder nicht. Zum Begriff der beiden congregationes darf in keiner Weise die Konstanz des Glaubensstandes der konkreten Menschen als eine Art spiritueller Gerechtigkeitshabitus hinzugenommen werden, was auch immer die Glaubenserfahrung dazu meint sagen zu können. D.h.: die justi und injusti gibt es nur in actu. In jeder anstehenden sich stellenden Entscheidung scheiden sich die justi und die injusti — die einen folgen dem Evangelium, das sie vernehmen, die anderen folgen ihrer eigenen Vernunft und Macht oder Unvernunft — das braucht aus ungeistlichen Gründen noch nicht immer gegen die evangeliumsgemäße Entscheidung auszugehen. Die Konstanz der Akte mag unser Vertrauensurteil begründen; erlaubt ist keineswegs ein theologische Urteil über einen Status. Ich kann daher nicht um das Urteil herum, daß die Lehre von den beiden congregationes trotz ihres hypothetisch-agnostischen Charakters eine spiritualisierte Habitustheologie bedeutet. Es stößt sich diese Darstellung mit dem dialektischen Charakter der Lehre vom simul justus et peccator.

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Von hier ausgehend unterscheidet Heckel nun drei Schichten des Kirchenrechts bei Luther:
1. ius divinum,
2. heteronomes Kirchenrecht,
3. autonomes Kirchenrecht.
Diese Stufung entspricht jener grundlegenden Scheidung zwischen der ecclesia abscondita der wahren Kirche und der ecclesia universalis des öffentlichen und sichtbaren Kirchenwesens. Jede Vermischung beider lehnt er als monströs scharf ab.

„Eine Kirchenverfassung, die teils dem ius divinum, teils dem ius humanum zugehört, ist für Luther schlechthin widersinnig. ,Monstrum esset ecclesia ex diversi generis potestate constituta’, lautet sein ... Verdikt. Als Band der Einheit zwischen der geistlichen Kirche und dem Kirchenwesen scheidet das Recht aus.”17

Den Gesamtansatz ergeben erst eine Reihe weitere Stellen:

„Wenn man an der Kirche einerseits die Gemeinschaft der Heiligen, andererseits die Gemeinschaft der Getauften als Ordnungen ungleichen Rechtes unterscheidet, so muß sich das Wirken der Kirche im Raum des göttlichen Rechts nach anderen Gesetzen abspielen als im Bereich des menschlichen Rechtes. Die Aufgaben und Zuständigkeiten haben da und dort nichts miteinander gemein. Dies wird von Luther im Rahmen seiner Ausführungen über die Buße am Beispiel der Schlüsselgewalt erläutert. Im Verhältnis zum ius divinum ist die Kirche streng auf einen bloßen Dienst beschränkt. Christus als ihr Haupt ist ausschließlich der Herr über das göttliche Recht. Von seiner Macht ist die untergeordnete Gewalt der Kirche in seinem Reich genau zu sondern. Sie darf nicht mit jener vermischt werden, sondern muß ihr weichen. Wie die Kirche in der Predigt ganz an die göttliche Lehre gebunden ist, so handhabt sie die Schlüsselgewalt mittels bloßer Kundgabe des göttlichen Urteils über den Menschen. Irgendwelche rechtsgestaltenden Akte sind ihr versagt. Sie kann weder das göttliche Recht ändern noch den Richterspruch Gottes schärfen, mildern oder ersetzen. In dieser streng dienenden Stellung versieht die Kirche das Amt der Schlüssel auf zweifache Weise, im Beichtsakrament und in der Exkommunikation.
Mit beiden ausschließlich geistlichen Aufgaben ist das Amt der Schlüssel erschöpfend beschrieben. Aus ihm einen Auftrag zur Regelung des Kirchenwesens abzuleiten, wäre eine Mißdeutung des Willens Christi. Daher hat die Schlüsselgewalt mit dem irdischen Kirchenrecht nicht das geringste zu tun. Es bleibt ganz im äußeren Kirchenwesen verhaftet. Hier spricht die kirchliche Obrigkeit im Zusammenwirken mit der Gemeinschaft der Kirchengenossen. Sie ist im Bereich des ius humanum nicht Diener, sondern Schöpfer und Herr der Rechtsordnung, indem sie die äußeren Beziehungen der Getauften zu

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den kirchlichen Vorgesetzten und untereinander regelt ... Ihr Gebot steht in dieser Hinsicht genau so da wie das außerkirchliche z.B. das staatliche Recht ...”18.

Die Verknüpfung der zunächst so streng geschiedenen Bereiche wird später sichtbar:

„Indem das kirchliche Amt die von Christus übertragene Gewalt öffentlich handhabt, knüpfen sich an ihre namens der geistlichen Gewalt vorgenommenen Handlungen Rechtswirkungen für das äußere Kirchenwesen, wie das Beispiel der Exkommunikation anzeigt. Diesem Kirchenrecht ist die strenge Abhängigkeit von der wahrhaft geistlichen Ausübung der Schlüsselgewalt eigentümlich. Es steht und fällt mit dem Urteil Gottes darüber, ob das kirchliche Amt im konkreten fall nicht nur im Namen, sondern im Sinn Gottes gehandelt hat. Ein anderer Geltungsanspruch wird von ihm auch gar nicht erhoben. Sollte das geistliche Amt widergöttlich gehandelt haben, so liegt kein vor Gott wirksamer Rechtsspruch vor, sondern ein vor Gott unverbindlicher Fehlspruch des clavis errans. Ob ihm nicht trotzdem wegen der Stellung des geistlichen Amtes in den äußeren Ordnung des Kirchenwesens Beachtung zukommt, steht auf einem anderen Blatt ... Man kann solches Kirchenrecht heteronom nennen. Es ist nichts als die Ausstrahlung der an dem homo interior in Gottes Auftrag geübten Gerichtsbarkeit der geistlichen Kirche auf das Leben des homo exterior im Kirchenwesen. Daraus folgert: wo immer die geistliche Kirche lebt, gibt es notwendigerweise heteronomes menschliches Kirchenrecht. Dem heteronomen Kirchenrecht steht ein anderer Teil der kirchlichen Ordnung gegenüber, den wir autonomes Kirchenrecht nennen wollen. Es wird vom Kirchenwesen, also außerhalb der Schlüsselgewalt gebildet und dient der Ordnung des äußeren Gemeindelebens der Christen. Zu ihm führt die Überlegung, daß sie nicht von der Kirche als regnum Christi, sondern als communio sanctorum ausgeht. Sie stützt sich auf die Verantwortlichkeit der Gemeinde für das Seelenheil ihrer getauften Brüder.”19

Freilich ist nicht der Versuch gemacht worden, die unsichtbare Kirche der wahren Gläubigen von der allgemeinen Kirche zu trennen. Sie bleiben in notwendiger Vermischung bis ans Ende der Tage. Man kann hier ein Wort Harnacks über die alte Kirche zur Zeit der antignostischen Kämpfe verwenden:

„Auf die verzweifelt Idee einer unsichtbaren Kirche ist man nicht verfallen. Diese Idee hätte voraussichtlich auch den Verfall der Christlichkeit in der Kirche noch ungleich schneller herbeigeführt als die Idee der heiligen katholischen Kirche.”20

In dieser Heckelschen Formulierung wandelt sich die Terminologie im Verhältnis zu den Stellen, wo er direkt die Lehre Luthers wiedergibt. Oben (S. 962) wurde die congregatio justorum als Reichsgenossen

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Jesu Christi der congregatio justorum et injustorum gegenübergestellt. Jetzt erscheint als Subjekt des autonomen Kirchenrechts im radikalen Gegensatz zum regnum Christi die communio sanctorum. Welch eine Antithese! Das regnum Christi wird einem bekenntnismäßigen Merkmal der Kirche des Glaubens gegenübergestellt! Und dies nach der Interpretation, welche Ernst Wolf, Bonhoeffer und zuletzt Werner Elert diesem Begriff gegeben haben. Ist hier schon der Charakter der Anteilhabe im Begriff ausgefallen, so sind hier vollends die sancti zu den Kirchengenossen eines genossenschaftlichen Kirchenbegriffs geworden, zudem im vollen Gegensatz zur früher gegebenen Definition, nach welcher die ecclesia universalis ja gerade eine permixta aus dem justi vel injusti ist, also gerade nicht „die Heiligen” im Sinne des Credos. Vielleicht ist das ein lapsus linguae — aber er zeigt, wie sehr der liberale Begriff des geistlichen Subjekts durchhält und wie wenig er bei Heckel selbst bewußt ausgeschieden ist. Es zeigt sich aber, daß es für das Gemeinte eigentlich keinen Begriff gibt — außer etwa dem des Kirchgenossen, den aber eigentlich diese Theorie erst selbst bilden muß, da es eine Kirchenzugehörigkeit, die begrifflich vom Glauben absieht, nicht wohl geben kann.

Zum rechten Verständnis ist nun hinzuzufügen, daß das ius divinum, das göttliche Recht nach Luther/Heckel in zweierlei Weise in Erscheinung tritt: als göttliches Naturgesetz des status naturae incorruptae20a und als positives göttliches recht21. „Während ... das (göttliche) Naturgesetz das geistliche Leben des einzelnen homo spiritualis (,Du sollst’) in seinem Verhältnis zu Gott und zum Nächsten betrifft, hat es das göttliche Recht mit den Ordnungsformen (Institutionen) des geistlichen Gemeinlebens selbst zu tun. Für dessen Bau stellt Gott zwei Rechtsordnungen bereit, die Kirche und die Ehe, jene für die Pflege des inneren und äußeren Gemeinschaftslebens in dem Verhältnis zum Schöpfer (cultus dei), diese für auf Gott ausgerichteten Beziehungen der Menschen verschiedenen Geschlechts untereinander. Wie beim Naturgesetz ist auch hier die äußere Erscheinung, die von der Vernunft feststellbare Rechtsgestalt der beiden Institutionen nur ein Gefäß für das vom Geist Gewollte, nur ein Zeichen dessen, wozu sie nach Gottes Gebot gebraucht werden sollen. Erst im usus spiritualis nehmen sie die Eigenschaft als göttliche Ordnung an. Gleichviel darf diese äußere Seite an den Ordnungen des positiven göttlichen Rechts nicht beiseitegesetzt werden.”22

Heckel wendet also unbefangen und ohne Vorbehalt den Institutionsbegriff auf die Kirche an.

Jedoch zeigt sich hier auch eine gewisse Überschneidung der Begriffe: die lex naturalis bezieht sich auf das Verhältnis zu Gott und den Menschen, die lex divina positiva bietet die Einrichtung für den gemeinschaftlichen Kultus dar. Demnach gibt es hier anscheinend ein wesentliches Rechtsgebot für das Verhalten des Menschen zu Gott als einzelnen,

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unterschieden von den ebenso gottgewollten Gemeinschaftsformen. Gebot und Institutionen ergänzen sich. „Luthers Rechtsbegriff ist geistlich. Der Reformator versteht unter Recht das Teilhaftigsein an der göttlichen Liebe.”23 Da nun die lex spiritualis der Oberbegriff für beide Formen des göttlichen Rechtes, für Gebot und Institution ist, da der usus spiritualis ebenso der notwendige modus der Anwendung für beide ist, sind wir nun für das Kirchenrecht unter Berücksichtigung dieser Allgemeinbestimmungen auf das positive göttliche Recht angewiesen.

Aber für dieses Kirchenrecht gilt von vornherein der Satz: „omnis structura Ecclesiae Christi est intus coram Deo invisibilis.”24

Sucht man nun vor eigener Deutung bei Heckel zum besseren Verständnis konkrete Beispiele der Anwendung dieser Mehrschichtigkeit, so findet man in der „Lex charitatis” über die grundsätzlichen Aussagen hinaus nur innerhalb des Abschnitts gerade über den Christen im irdischen Rechtsleben eine Anwendung jener Unterscheidungen auf Ehe- und Trauungsrecht, also an einer ausgesprochenen Randfrage. Die hauptsächlichen Aussagen sind in den Initia zu finden. In diesen zum Teil schon zitierten Passagen aber überwiegt auch noch das Allgemeine und die Betonung der Trennung der Bereiche, nicht die Konkretion.

Die konkreteste und wichtigste Aussage ist die Feststellung25, daß sich die potestas ecclesiastica in einen geistlichen und einen nicht-geistlichen Teil aufzuspalten beginne, in Schlüsselgewalt und Leitungsgewalt. Die erste sei ein Amt der geistlichen Kirche geistlichen Rechts, die zweite ein solches der allgemeinen Kirche menschlichen Rechtes. Beide, heterogen, seien einander zugeordnet. Demnach ist also entgegen einer rein außerrechtlichen Auffassung der potestas ecclesiastica die Schlüsselgewalt — und offenbar deshalb auch das Amt der Schlüssel wirklichen, des stärksten, göttlichen Rechtes. So steht die ganze Unterscheidung auf die Differenz zwischen innerer und äußerer Leitungsgewalt. Das mächtige Pathos der Trennung führt dazu, daß in der Beschreibung bei aller Betonung der Bezogenheit die sachliche Nähe des Handlungsinhalts nun doch zurücktritt. Denn sonst würde sich gegenüber dem Postulat der Trennung die Frage der Trennbarkeit deutlicher stellen.

Heckels Arbeit beantwortet nicht nur eine Fülle von Fragen in einem zusammenhängenden Gedankengang, wobei dahinstehen mag, ob er Luther ganz gerecht wird. Er verändert mit seiner These das Bild, welches herkömmlich Luther und die lutherische Kirche bietet. Im Vordergrund steht dort für jedermann, nicht nur für den Lutheraner, mit der Rechtfertigungslehre die Lehre von den zwei Reichen und Regimenten. Aber diese beiden Regimente scheiden sich herkömmlich in Kirche und Welt, Kirche und Staat. Daß der Staat in gewissem Umfang in die Kirche hineinwirkt, ist gegenüber dieser Scheidung wichtig, aber nicht im ersten Rang grundsätzlich bedeutsam. Jetzt erscheint die Kirche selbst als

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das Feld dieser Scheidung. Zweierlei Recht innerhalb der Kirche! Das war auch solange nicht problematisch, als man ohnehin eigentliches Kirchenrecht leugnete, Kirchenrecht ausschließlich als iuris humani ansah. Damit waren alle Schwierigkeiten umschifft. Zweierlei, untrennbar ineinander verschlungene Gemeinschaften verschiedenen Rechts — das läßt nach den Subjekten dieser verschiedenen Rechte und ihrem konkreten Verhältnis fragen, nicht nur nach Inhalt und Anwendungsweise dieser Rechte. Wir dürfen hier aber auch nicht Christus zum Lückenbüßer für unsere Unklarheit und etwa selbstgeschaffene Verlegenheit machen. Wenn das äußere Kirchenwesen auf das innere Kirchenwesen hin auszurichten ist, und wenn das äußere nicht ein äußerer Kreis (so gelegentlich Heckel), sondern eben die vermischte Gesamtheit ist, so wären auch im äußeren Kirchenwesen die justi die eigentlich zur Führung Berufenen. In dem Maße, in dem es gelänge, sie zur Führung zu bringen, würde sich zwar der so gedachte Unterschied nicht aufhaben, aber doch praktisch vermindern. Ist aber hier — und das ist die Gegenfrage — nicht überhaupt nur das In-der-Welt-Sein des Kirchenrechts, die offene Flanke der Kirche zur Welt, ihre Unabgeschlossenheit und Unabschließbarkeit gemeint, ein unvermeidliches Gefälle von Innen und Außen, und nicht die schroffe Alternative, die Antithese? Dann wäre nämlich die streng rechtliche, sichtbare Abgeschlossenheit der römischen Kirche gerade nicht aufgehoben, sondern mit der gleichen Schroffheit, aber zugleich spiritualer Unerkennbarkeit in die Kirche selbst hineinverlagert — aber eben damit die Offenheit gerade nicht mehr gewagt? Je länger man diese Fragen an Hand von Heckel erwägt, desto mehr verzweifelt man daran, sie in dieser Abstraktion der Lösung näherzubringen. Man muß, nachdem dieser Abstraktion im Kirchenrecht schon von jeher zu viel getan worden ist, die Dinge an Hand konkreter Probleme erörtern.