Nach der hier verfolgten Methode wird eine sachgemäße Erörterung unseres Problems zunächst eine Interpretation des vorfindlichen Sukzessionsvorgangs zu unternehmen haben. Die Theorien der apostolischen
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Sukzession gründen sich ja auf einen bestimmten, mit gewissen Unterschieden gestalteten Vorgang, welchem sie entscheidende Bedeutung für Legitimität und Identität der Kirche beimessen. Was in diesem Vorgang nicht erhoben werden kann, kann auch nicht durch eine deduktive Auslegung eines Prinzips, durch die Erörterung einer Lehre gewonnen werden.
Wir haben gesehen, daß die ordinatorische Handauflegung im N.T. in einem Traditionszusammenhang mit der spätjüdischen Ordinationspraxis steht. Gerade diese übernommene Tradition aber hat das Christentum schon in der Bibel wesentlich verändert. Das tritt sofort hervor, wenn man nicht allein auf den Akt der Handauflegung für sich allein, sondern auf die personalen Rollen und Relationen blickt, die sich bei diesem Akt ergeben. Der Ordinand in der jüdischen Lehrtradition empfängt die Handauflegung von seinem Lehrer, der ihm nicht seine menschliche, sondern die Weisheit der Schrift aufgeschlossen hat, vermöge der charismatische Befähigung, die ihm gegeben ist. Er empfängt sie als Auftrag und Vollmacht, nunmehr im Volke Gottes ebenso wie sein ihm generationsmäßig vorhergehender Lehrer zu lehren, zu entscheiden, das Gesetz maßgeblich auszulegen. Die Vorstellung der Vollmachtsübertragung als solche ist Spätjudentum und Kirche wesentlich gemeinsam. Der christliche Ordinand erhält jedoch die Ordination nicht speziell von demjenigen, dem er seine Bereitung zum Dienst verdankt. Sie setzt kein Lehrer-Schüler-Verhältnis voraus. Er empfängt sie nach vollzogener Auswahl und Berufung vielmehr, zunächst ganz allgemein gesprochen, durch die Vermittlung anderer Geistbegabter kraft des Geistes, der in der ekklesia lebt. Ein spezielles Verhältnis zwischen Ordinator und Ordinand fehlt durchaus. Andererseits wird ihm nicht eine allgemeine Lehrvollmacht an beliebigem Ort und zu beliebiger Anwendung gegeben, wie etwa ein Doktor der Rechte ganz allgemein früher das ius respondendi erhielt und auf gewissenhafte Anwendung seiner Autorität vereidigt wurde, wie heute nach dem Gerichtsverfassungsgesetz jeder ordentliche Professor der Rechte bei jedem Gericht ohne besondere ständige Zulassung als Verteidiger auftreten kann. Der christliche Ordinand wird vielmehr zu einem ganz bestimmten konkreten Dienst verordnet, der, sei es in der eigenen Gemeinde, sei es in einer anderen Gemeinde oder in der Mission fehlt. Er wird verordnet, damit ein Mangel, eine Lücke in der schon bestehenden oder erst aufzubauenden Gemeinde ausgefüllt wird. Die Gemeinde, die ekklesia ist in einem ständigen Vorgang des immer erneuten Aufbaus, der Ergänzung. Schärfer — und ein wenig überspitzt ausgedrückt — ist auch der geistliche Krieg der ekklesia ein ständiges System von Aushilfen. Indessen handelt es sich hier nicht um eine Verschiebung von Kräften, welche einen kleineren Mang in Kauf nimmt, um einem größeren Mangel und einer größeren Gefahr zu begegnen, wie es ein Generalstab tut. Vielmehr handelt es sich
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um Hilfe und Ergänzung für eine Gruppe, die ohne den Beistand der anderen und das Zusammenwirken mit ihnen zu Schaden kommt, sich nicht oder nicht recht helfen kann. Es ist das Schauen auf den anderen, die Fürsorge der Gemeinden füreinander, die episkopé, welche das optische Moment der visitatio mit einschließt und sie gerade in einem Moment der besonderen Entscheidung und Gefährdung bewährt. Das ist nicht möglich ohne einen wirklichen unabweisbaren Einfluß, eine verantwortliche Ingerenz. Es handelt sich um mehr als um ernsthafte Ratschläge zur eigenen Entscheidung, vielmehr um eine Verbundenheit in der Entscheidung und um deren Vollzug selbst. Die ekklesia ist immer im Vorgang der Tradition, im Vormarsch, aber auch im Ausgleich der Einbußen, welche sie durch Tod und Schwachheit erleidet. Die jüdische Ordination ist Lehrtradition innerhalb des bestehenden Gesamtverbandes des Volkes Gottes. Die christliche Ordination ist Tradition ex communione ad communionem. Aus der bestehenden Geistgemeinschaft (nie von einem allein!) wird Vollmacht übertragen zur Auferbauung der ekklesia. Der doppelte Gemeinschaftscharakter mit dieser Konkretion ist wesentlich. Nicht die individuelle Vollmacht wird weiterübertragen, fortgepflanzt, sondern der gemeinschaftsbegründende Geist. Aus der bestehenden, gegenwärtigen Gemeinschaft wird sie gegeben um der zu leitenden, zu stärkenden, zu gründenden, zu ordnenden, zu ergänzenden Gemeinschaft willen.
Aber sie muß gegeben werden; sie ist nicht einfach im Geistbesitz, in der Geistverheißung vorhanden, so daß nur darauf zurückzugreifen wäre. Ohne dieses Moment der tatsächlichen, effektiven Weitergabe und Übergabe, der traditio als Vorgang ist die ganze biblische Handauflegung nicht zu verstehen. Sohm zitiert dafür das paradoxe Schriftwort: „Wer da hat, dem wird gegeben”. Die ekklesia setzt nicht einfach ihre Ämter und Verrichtungen aus sich heraus, als ein Akt der Gestaltung und Gestaltung, sondern es muß etwas hinzukommen.
In der Situation, welche uns die Apostelgeschichte und die Episteln allgemein schildern, steht das ganze Problem gleichsam auf einer Ebene vor uns. In der bestehenden Jerusalemer Urgemeinde werden (Acta 6) neue Ämter errichtet, für die ein Bedürfnis besteht (wie immer man den Vorgang aufaßt), für die Missionsgemeinden werden durch Sendboten Älteste gesetzt, solche werden für die Mission abgeordnet. Immer ist es ein Mangel, der behoben wird: in der Vollgemeinde, in der Missionsgemeinde, in der Mission. Immer wird die Vollmacht durch Handauflegung nach vollzogener Auswahl als göttlicher, geistgewirkter Berufung als ein von dieser unterschiedener, differenter, aber konstitutiver Akt der Bevollmächtigung vollzogen. D.h.: die Ursprungssituation ist noch nicht mit der Zeitfolge verbunden, die sich später durch das Generationsproblem im geschichtlichen Bilde in den Vordergrund drängt.
Niemals aber empfängt der Ordinand seine Vollmacht vom Vorgänger.
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Das Nichtvorhandensein oder Nichtmehrvorhandensein eines Vorgängers ist vielmehr gerade die begriffliche Voraussetzung. Ihn hat es entweder überhaupt noch nicht gegeben, oder er ist nicht mehr da — gestorben oder amtsentsetzt oder fortgegangen. Es gibt keine Designation durch den Vorgänger auf den Nachfolger, keine irgendwie dem innterweltlichen Erbrecht vergleichbare oder verwandte Form. Die Tradition des kanonischen Rechts hat die Ansätze zur Designation stets abgewiesen oder verdrängt. Die Amtsdesignation, wie sie durch zwei Jahrhunderte die Cistercienser1 in Cluny in großartiger Form praktiziert haben, wo uralte Äbte gerade die begabten Jüngsten zu Nachfolgern bestimmten und so in jenem Zeitraum mit nur vier höchst bedeutenden Leitern auskamen, ist eine echte Ausnahme.
In der apostolischen Zeit geschieht diese traditio durch die Apostel direkt oder auf ihr Geheiß kraft ihrer Vollmacht. Aber die Apostel handeln stets, trotz ihrer unbestrittenen Autorität im Einvernehmen mit der Gemeinde kraft der Gemeinsamkeit des Geistes, der als der eigentlich Verfügende erscheint und vorausgesetzt wird. In den nachapostolischen Ekklesien hilft die Gemeinschaft der Ekklesien der der Leitung und Ordnung entbehrenden Ekklesia aus und auf. Nur eines ist in diesem Handeln und dieser Anschauung ausgeschlossen: die Selbsterzeugung der Autorität aus der einzelnen ekklesia, ihre autonome „Selbst-be-hauptung”. In der Folgezeit ersetzt die Gemeinschaftlichkeit der Ekklesien die nicht mehr vorhandene personale Autorität der Apostel, wobei die Ekklesien apostolischer Gründung und Wirksamkeit eine steigende Bedeutung und Wertung erfahren. Durch diese Gemeinschaft, insbesondere mit den apostolischen Gemeinden im engeren Sinne und ihren Leitern wird die traditio verbürgt. Das Amt und die Ämter sind nicht Funktionen der einzelnen Ekklesia, die sie für ihre Bedürfnisse an sich heraussetzt, sondern sie sind Ämter der ganzen, einen Ekklesia (wie noch heute das Ordinationsverständnis auch der reformatorischen Kirchen festhält). Sie sind aber dennoch bezogen und zugeordnet dieser bestimmten Gemeinde. Würde nicht der traditio-Charakter des Vorgangs einer funktionalen Selbsterzeugung des Amtes entgegenstehen, so würde es schon die Oekumenizität sein. Beides, Tradition und Solidarität sind verschiedene Linien, die gleichsam horizontal und vertikal verlaufend sich im Vorgang kreuzen.
Es ist so verständlich, daß diese spezifische Mangellage eigentlich nur dann auftritt, wenn die Gemeinde ohne Haupt ist. Der Ortsbischof mag seine Diakone selbst ordinieren. Sohm hat darauf hingewiesen, daß, wenn in den frühen winzigen bischöflichen Ekklesien die Zahl der Männer nicht die abbildhafte Zwölf erreichte, die Nachbargemeinden schon zur Wahl bewährte Gemeindeglieder abordneten, um die Bischofs-Wahlgemeinde zu ergänzen. Er hat gemeint, daraus den berühmten Verfassungsgrundsatz des Cañons IV von Nicaea erklären zu können, daß die
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Bischöfe einer Provinz bei der Bischofswahl zusammenwirken sollen. Das ist in dieser Direktheit wohl kaum richtig, weil eine sicherlich so seltene und relativ bedeutungslose Ausnahme einen so fundamentalen Grundsatz nicht erklären, sondern nur belegen kann. Und in der Tat wird der Charakter der Ergänzung, der Aushilfe im geistlichen Verband auch hier deutlich.
Die Successionsreihe, die Bischofsliste ist demnach lediglich ein Ergebnis, dessen äußeres Bild über den Vorgang selbst nichts aussagt, sondern ihn sogar verdeckt, sein Verständnis erschwert. Denn von seinen Amtsvorgängern, den ehrwürdigen „praedecessores nostri”, die so gern zitiert werden, empfängt kein Bischof etwas, außer der Last des hinterlassenen Amtes. Die Succession greift von der Seite gleichsam diagonal ein in die unterbrochene, gebrochene Linie. Sie ist eine Kraft im Parallelogramm der vertikalen traditio und der horizontalen communio. Successio heißt also nicht Erbfolge, sondern Verbleiben in dem Gefüge von traditio und communio. Herkunft „von” und Gemeinschaft „in” sind zwar Verschiedenes, aber keine Gegensätze und tragen sich gegenseitig.
Wie dieses Bild von der herkömmlichen Betrachtung abweicht, so zeigen sich bei weiterer Untersuchung noch neue beträchtliche Differenzierungen. In dem gesamten Bild der frühen Gemeinden, wie es das NT vermittelt, ist die Autorität der Apostel unbestritten. Sie sondern sich nicht ab, behalten sich nichts vor, und doch sind sie schlechthin maßgebend.2 Auch diese Gemeinden sind apostolische, sie bleiben „in der Apostel Lehre”, Acta 2, 42, wie die nachfolgende Kirche sich als apostolische Kirche bekennt — ohne jede „iniuria Christi”. Aber ebensowenig ist erweislich, daß die Handauflegung den Aposteln vorbehalten gewesen sei. Sie selbst legen die Hände auf (so wohl richtig Acta 6, 6), aber es tun auch andere Älteste. Wenn von der Handauflegung der Ältesten die Rede ist, so ist damit nicht gesagt, daß diese selbst formell durch Handauflegung befähigt worden seien. Die Gabe der Geistverleihung lebt in der pneumatisch verbundenen Gemeinde. Aber ebenso eindeutig ist es ein Akt der Autorität, eben der Apostel und Ältesten, nicht jedermanns Sache, auch nicht eine ausgesonderten einzelnen zugesprochene Befähigung, wie etwa später das bestandene Martyrium als Ausweis bestimmter Befähigungen verstanden wurde. Die Handauflegung verbindet in paradoxer Weise einen originären und einen autoritativ-derivativen Zug und verbindet ebenso scheinbar widersprüchlich die personale Autorität der führenden Männer mit der Gemeinschaft des Ganzen. Diese sinnvolle Widersprüchlichkeit ist wohl der Grund, weswegen die Deutung des Vorgangs soviel Schwierigkeiten bereitet. Mit Sicherheit aber kann man einen exklusiven Vorbehalt für einzelne wie die funktionale Selbsterzeugung in einer beliebigen Versammlung ausschließen. Traditio als „Herkommen von” als autoritative Struktur und
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traditio als Akt, als Vorgang sind zwar nicht zu scheiden, aber doch zu unterscheiden. Calvin (Institutio IV,3,16) betont, daß die Handauflegung allein durch die Hirten geschah, von einzelnen oder durch mehrere gemeinsam, als „eine Handauflegung, die zum Ältestenamt gehört”.
„Die nt.lichen Schriften berichten auf der einen Seite von dem Vollzug der besonderen Sendung durch solche, die zuvor selbst durch besondere Berufung in den Dienst gesandt worden sind … Sie berichten auf der anderen Seite auch von besonderen Sendungen durch solche, welche selbst keine besondere Sendung empfangen haben … Man hat versucht, diese verschiedenen … Aussagen einander so zuzuordnen, daß zwar die Wahl durch die Gemeinde, aber die Handauflegung immer durch Amtsträger erfolgt. Aber eine strenge Ordnung dieser Art ist historisch durchaus unwahrscheinlich. Wohl aber darf vorausgesetzt werden, daß die Sendung durch Amtsträger auch unter Mitwirkung oder wenigstens Zustimmung der Gemeinde und andererseits die Sendung durch Gemeinden oder Gemeindeglieder unter Mitwirkung oder wenigstens Anerkennung von Amtsträgern, soweit sie anwesend waren, vollzogen wurde”.3
Wegen der Offenheit und Unabgeschlossenheit der Lage in der Urkirche darf nicht eine Strukturlosigkeit und Beliebigkeit angenommen werden. Die spezifische Verbindung von Autorität und Gemeinschaft ist deutlich vorgezeichnet.
Eusebius berichtet, daß nach dem Märtyrertode des Herrenbruders Jacobus des Gerechten die Apostel nach Jerusalem zusammengerufen wurden und als Nachfolger Simeon, den Sohn des Kleophas, wählten. Daß sie ihm die Hände aufgelegt haben, wird nicht besonders erwähnt, ist aber nach dem Bild der gesamten Frühgemeinden mit Sicherheit anzunehmen. Eindeutig ist es ein Akt der Autorität und Tradition, nicht der demokratischen Einsetzung und Ergänzung von Funktionen. Wenn aber andererseits nicht immer die Apostel die Gemeindeleiter einsetzten konnten, so fragt sich, ob die einsetzenden Ältesten (etwa die in 1. Tim. 4 genannten) durchgängig ihrerseits von Aposteln eingesetzt oder etwa mindestens teilweise durch charismatische Glaubensbewährung zu dieser Stellung in der Gemeinde gekommen sind. Die Frage kann nicht mit Hilfe später gebildeter, an ihrem Platze legitimer dogmatischer Anschauungen geklärt werden. Aus dem dogmatischen Grundsatz der apostolischen Tradition kann diese quaestio facto nicht geklärt und ein tatsächlicher Zustand unter Übergehung der historischen Lücken postuliert werden. Andererseits kann die Frage nicht gesehen werden, wenn das Thema der personalen Vollmacht durch die prinzipielle Gleichung successio-evangelium, mittels Ersetzung der Personaltradition durch die Sachtradition überhaupt abgewiesen wird. Ein großer Teil der protestantischen Kritik am Successionsbegriff stellt sich der Frage nicht, weil sie sie lebensmäßig gar nicht versteht. Die eine Meinung übergeht leicht
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summarisch beträchtliche Lücken unserer konkreten Anschauung, die andere bedient sich sehr viel unbedenklicher als sonst eines argumentum ex silentio.
Für die apostolischen Gemeinden, d.h. solche, die von den Aposteln selbst oder auf ihre direkte Veranlassung gegründet wurden, in denen Apostel selbst zeitweilig oder gar längere Zeit leitend tätig waren, wird man einen bewußten Anschluß an die personale Tradition der Apostel annehmen dürfen. Für die Gemeinden, die sich durch flugfeuerartige Ausbreitung, auch schon durch die Binnenwanderung bildeten, muß das fraglich bleiben. Daß diese Gemeinden sich vorkommendenfalls in einer ähnlichen Weise an apostolische Gemeinden um Mithilfe bei der Amtsbestellung gewendet haben, wie dies später in dem Grundsatz von Nicaea IV seinen praktischen Niederschlag gefunden hat, ist für die Ursprungssituation eine riskierte Annahme, auch wenn man meinen kann, es entspreche dem Geist, der Anschauung und praktische Haltung der frühen Kirche. Hat nun aber vielleicht doch die dogmatische Anschauung recht, welche unter Vernachlässigung dieser Unterschiede auf dem Grundsatz der bischöflichen Succession beharrt?
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß jene apostolischen Gemeinden von vornherein und nicht erst in den späteren Jahrhunderten formeller Rangstreitigkeiten eine überragende Bedeutung besessen haben. Schon die Apostel hatten, wie Harnack hervorgehoben hat, von vornherein immer ganze Provinzen als Missionsgebiete, als Felder der Arbeit, der Visitation und der verantwortlichen Leitung im Auge. In diesem Sinne war Gemeinde nicht einfach gleich Gemeinde. Die Großen führten die Kleinen durch Hilfe und Leitung, Ingerenz.
Für diesen lückenhaft überlieferten genetischen Vorgang bietet gerade die lutherische Reformation einen aufschlußreichen Vergleich. Luther vindizierte den evangelischen Gemeinden das Recht, sich ihre Pastoren selbst zu wählen, unter bewußter Suspension der von ihm sehr wohl erwogenen Grundsätze der Pastoralbriefe.4 Gleichwohl begannen er, Bugenhagen, die Wittenberger Fakultät eine zentrale Ordinationstätigkeit. Soweit als möglich ging die Ordination (wie immer verstanden und gestaltet) von Amt zu Amt. Spätestens bei der nächsten Amtsbesetzung wurde, wie bereits in Kap. VIII ausgeführt, auch hier das Amt wieder in die Generationenfolge des Amtes einbezogen, der Wildwuchs der gemeindlichen Autokephalie wieder eingebunden: Not konnte Recht brechen, aber nicht Recht schaffen, mit Luther zu sprechen.
Die äußerste Bedeutung, welche man jener Lücke im Bilde der urkirchlichen Gemeinden zubilligen kann, ist in Analogie zu jener Bildung der Reformationszeit zu verstehen. Die dogmatische Lehre, die nicht bei der Ausweisung problematischer Tatbestände und einem regressus ad infinitum der Auslegung stehen bleibt, sondern zu konkreten Schlüssen vorschreitet, hat in der Sache recht gehabt, wenn sie nicht zeitlos und
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abstrakt zwei Typen gegeneinander gestellt hat, Gemeinden einer direkten, bewußt gewahrten apostolischen Personaltradition und solche einer gewissen Autonomie. Gerade der dynamische Prozeß der Mission hat die Gemeinden in der möglichen (verschieden hoch einschätzbaren) Unterschiedenheit in den einen großen Strom der apostolischen Personaltradition einmünden und zurückkehren lassen. Eine kritische Anschauung, welche nur zwei Vergleichungsgegenstände hat, das Bild der biblischen Gemeinden, wie sie es versteht, und uns heute, ist genau so geschichtslos wie jede Amtsmetaphysik.
Die traditio als Struktur ist nicht ein Prinzip personal-monarchischer Leitung, sondern sie gründet vielmehr in konkreter Schöpfung, Vaterschaft, Stiftung, Einsetzung, Sendung in ihrer ganzen Freiheit und Kontingenz. Allem Handeln, das hier in actu, auch als Akt der jeweiligen Ordinationstraditio in Betracht kommt, liegt die Gemeinschaft voraus, die der Vater und der Sohn in dessen Zeugung vor aller Zeit haben, in der Sendung des Sohnes durch den Vater und der Sendung der Apostel durch den Sohn. Aller Forderung, die dies an den Menschen stellt, liegt voraus die Gemeinschaft, die Gott mit dem Menschen schon in der Fleischwerdung macht, dann aber in der Mahlgemeinschaft als der Selbsttraditio des Sohnes an die Jünger, und schließlich in der Ausgießung des Geistes. Deshalb erneuert sich die Hauptschaft Christi immer von neuem in der Gemeinschaft des Heiligen Mahles. Die Jünger wiederholen dies gestiftete Handeln in der Ordnung, die sich aus dem Zueinander des Hauptes, als des Vorsitzenden und Hausvaters zu den Genossen des Mahles von selbst ergibt. Ausgehend von der Gabe, die sie empfangen haben, verkündigen dann die Jünger den hier erfahrenen Anbruch des schon gegenwärtigen Reiches Gottes. Aber damit sie es vollmächtig vermögen, wird ihnen die Vollmacht des Geistes verliehen.
In diesem Geschehen kehrt sich die Folge um, die wir im gottesdienstlichen Heilsgeschehen für den Menschen entwickelt haben: von der Taufe über die Verkündigung zum Abendmahl oder von der Verkündigung durch die Taufe über die weitere Verkündigung zum Bleiben in der Lehre und zum Halten der Gebote bis zum Abendmahl. Das ist immer noch vom Menschen her gesehen. Vom Handeln Gottes her geht die Vergemeinschaftung voran, die Gott selber schaffen und gewähren kann — sie wird weiter angeboten und ausgebreitet. Die Bedingung der Möglichkeit dazu aber ist die Verleihung der Geistvollmacht.
Demnach gibt es eine dreifache traditio, die für unsere Frage
grundlegend ist:
1. die Selbsthingabe Gottes in der Inkarnation, in der ständigen
Mahlgemeinschaft, im Abendmahl, in der Passion, —
2. die Überlieferung alles dessen, was Jesus seine Jünger gelehrt
hat und was sie im Umgang mit ihm als Augen- und Ohrenzeugen
erfahren haben, —
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3. die traditio der Vollmacht, alles dies zu tun (touto poieite) und zu verkündigen.
Gemeinschaftsstiftende Selbsthingabe und Verkündigung des Geschehenen und Zukommenden stehen also nebeneinander und verbunden in der Einheit dieser pneumatischen Vollmacht.
Im Apostat sind alle diese drei Momente vollgültig verbunden. Die ausdrücklich auserwählten Jünger sind der Mahlgemeinschaft des Herrn vor und nach Ostern teilhaftig, sie sind die ausdrücklich bestimmten und zur Weitergabe ausersehenen Empfänger der Worte des Herrn, und sie sind nach den in Kap. V/1 vorangestellten Sendungsworten pneumatisch bevollmächtigt. Das von Barth ausdrücklich bejahte Vikariat, welches auch die lutherische Bekenntnisschriften aufnehmen (vice Christi porrigunt…) meint dieses Apostat. Apostat aber ist nach dem eingangs Gesagten5 umfassender als der Begriff des Boten, Zeugen, Herolds. Es schließt diese Rollen ein, überbietet sie aber durch pneumatische Freiheit wie durch den Charakter der personalen Repräsentation. Es steht nicht zur Entscheidung der nachfolgenden Kirche, die Last, den Anspruch und die Gefahr des Apostolats durch eigene Beschränkung auf die Rolle des Boten und des verkündigenden Herolds zu vermindern.
Die apostolische repräsentatio vollzieht sich im Geben und in der Glaubensforderung. Zu beiden gehört Vollmacht.
Nicht erst das „Wie” der Nachfolge steht in Frage, sondern schon das „Daß”, wenn die apostolische Repräsentation in die Herolds- und Botenrolle der Verkündigung, zudem in sozialgeschichtlich späte, der Bibel fremde Funktionsbegriffe verengt wird.
Dies in aller Entschiedenheit vorausgesetzt, kann nun freilich für das „Wie” der Sukzession nicht ein explizites Prinzip entwickelt werden, aus dem das alles abzuleiten wäre. Wohl aber läßt sich via implicationis zeigen, welche Folgen bei Grenzüberschreitungen und Unterbildungen, wie Vereinseitigungen sich zeigen. Daraus läßt sich das Gesamtbild im Umrisse erschließen.
So wie das Bekenntnis zwar eine apologetische Funktion erfüllt, aber aus der Homologe entstanden ist, in ihr seine Wurzel und Kraft hat, so ist auch der patriarchal-monarchische Amtstypus, der hauptsächlich, aber nicht ausschließlich im Episkopat erscheint, nur sekundär der Sicherung von Einheit und Disziplin zuzuschreiben, sondern hat seinen Ursprung und seine fortzeugende Kraft in der repraesentatio patris per filium in spiritu sancto, in erster Linie im Abendmahlsvorsitz. Das Sakramentsrecht hat niemals sich über den priesterlichen ordo hinauszuentwickeln vermocht, der im Gemeindebischof und gemeindeleitenden Presbyter zunächst wesentlich deswegen identisch ist, weil beiden der Mahlvorsitz und die daraus unmittelbar hervorgehende Leitung zufällt. Wenn in den bischöflichen Kirchen bis heute dem Bischof eine exklusive Ordinationsbefugnis zugesprochen wird, die für die, wie wir sie vorerst
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kurz nennen wollen, bischöfliche Formalsukzession entscheidend sei, so ist doch selbst in der römischen Kirche das Verhältnis zwischen presbyteralem und bischöflichem ordo bis heute nicht abschließend geklärt.
Von der karolingischen Zeit über die bedeutendsten Vertreter der Scholastik und die Kommentatoren Gratians bestand die Meinung, daß der Episkopat kein Sakrament im eigentlichen Sinne sei. Auch Thomas von Aquin scheint diese Meinung geteilt zu haben. Das Concil von Trient hat mit kontroverstheologischer Schroffheit im gegenteiligen Sinne entschieden (Denz. 961 ff.). Aber abgeschlossen war und ist damit die Frage offenbar nicht. So wenn der gelehrteste Kanonist unter den Päpsten, Benedict XIV (1740-58) sagen kann: „sit vel non episcopatus ordo diversus a sacerdotio cuius ad minimum est extensio, perfectio et complementum” (de synod. dioces., 8, 9), s. auch weitere Stimmen bei Hinschius (I, S. 5, Anm. 7). Dom Rousseau OSB6 weist daraufhin, daß im 15. Jahrhundert und noch später der Heilige Stuhl Priestern und Prälaten ohne Bischofsweihe die Spendung höherer Weihen erlaubt habe. Karl Rahner schreibt: „Es ist keinem katholischen Theologen verwehrt, Diagonal, Priesterweihe und Episkopat als von der Kirche selbst vorgenommene Aufgliederung aufzufassen.” Er sieht in der Gliederung des Amtes eine freie, aber irreversible geschichtliche Entscheidung.6a
Genau genommen hat sich der ursprüngliche Gemeindeepiskopat nicht über den Presbyterat erhoben, sondern diesem wie den Chorbischöfen die bischöflichen Vollrechte versagt, die aus dem ständigen eucharistischen Gemeindevorsitz entspringen. Hier interessiert diese geschichtlich-sekundäre Entwicklung im Augenblick noch nicht, sondern allein die Tatsache, daß die sakramentalen Kirchen ganz allgemein ohne Rücksicht auf theologische Begründung und Begrifflichkeit dieses patriarchale Moment ausgebildet und bewahrt haben. In ihm verbinden sich die historische Kontingenz der Stiftung im ganzen und im einzelnen mit einer mehr oder minder bewußt festgehaltenen und definierten Struktur. Die Vorrechte bestimmter Gemeinden auf Grund ihrer apostolischen Gründung als dem Ursprung auch der jüngeren Missionsgemeinden treten dazu nicht in Gegensatz. Dieses Verhältnis von traditio und communio ist mit der trennenden Begrifflichkeit von ius divinum und ius humanum nicht zulänglich zu erfassen. Denn gerade dies sind definitorische Begriffe, die die historische Kontingenz nicht in sich aufnehmen können.
Wie Liermann7 sagt, stellt sich das Kirchenrecht seit dem 2. Jahrhundert, also bereits vor Konstantin, als abgeschlossenes System dar. Damit ist nicht eine exklusive Abgeschlossenheit gegen neue Entwicklungen, sondern eine gewisse abgerundete Ganzheit erkennbarer Grundzüge gemeint.
Die Ausbildung eines Begriffs der Vollgewalt (plenitudo potestatis), der Ausbildung eines weltlichen Souveränitätsbegriffs vorausgehend
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und ihn noch überbietend, entstammt keineswegs dem Sakramentsrecht, sondern dem Recht der Lehre und Verkündigung. Es ist nicht ordinatorisches, sondern jurisdictionelles Recht. In dem Maße, in dem sich die Lehre der Kirche aus ihrem Zusammenhang und ihrer Verklammerung mit ihrem sakramentalen Leben löst, diesem vorgeordnet und zugleich definitorisch rationalisiert wird, verändern sich die Traditions- und Ordinationsprimate in den Jurisdictionsprimat. Dem Jurisdictionsprimat entspricht eine Bestreitung auf der gleichen Grundlage eines vorwiegend lehrmäßig-kerygmatischen Verständnisses des opus proprium der Kirche, unter der gleichen Beiseitestellung der genuinen Formen des Sakramentsrechts und der Verlagerung der jurisdictionellen Letztentscheidungen auf autonome, partikulare Träger. Im Bereich der Jurisdiktion zerfällt die Kirche in heteronome traditio und autonome communio. Aus jener Rechtslage ergibt sich, daß die römische Kirche den Bischöfen der griechisch-orthodoxen Kirche die apostolische Sukzession auch in ihrem Sinne nicht absprechen kann, obwohl sie weder die Lehre vom character indelebilis, noch die Unfehlbarkeit des Papstes anerkennen, noch unter dessen Oboedienz stehen.
Aus dem Gesagten ergibt sich weiter, daß Lehre und Sakramentsverwaltung nicht einfach zwei parallele Darbietungsweisen des Wortes Gottes sind, die sich im Handeln der Kirche je nach dem wechselnden Verständnis parallel wandeln. Sie entwickeln vielmehr deutlich verschiedene Tendenzen der Rechtsbildung, je nachdem ihr inneres Verhältnis zueinander gestaltet wird. Sie verlaufen konform oder gegensätzlich. Solange jene dreifache traditio ihren Zusammenhang bewahrt, ist die Verkündigung als sachlicher Aussageinhalt und Lehre gleichsam eingeklammert zwischen die personale Mahlgemeinschaft und die Geistgemeinschaft, aus der die Ordination hervorgeht. In dem Maße, in dem die Lehre in den Vordergrund tritt und allem Handeln vorgeordnet wird, treten diese personalen Elemente beiseite. Wenn die Reformation die Ausdehnung des päpstlichen Jurisdictionsprimats als Herrschaft über die Lehre mit der reinen Lehre bekämpfte, so blieb sie auf derselben Ebene und verschärfte eher die Isolierung der Lehr noch durch Beiseitestellung der personalen Elemente des Sakramentsrechts, Preisgabe der sakramentalen Ordination, der bischöflichen Verfassung usf. zugunsten funktionaler Vorstellungen und der Aufgabe des Traditionscharakters der Schrift selbst, welcher erst in der Gegenwart wieder hervortritt.
Aber auch innerhalb des Sakramentsrechts bestehen nun noch für unser Problem bedeutsame Spannungen. Es ist nicht von ungefähr, daß nach dem von allen Kirchen durchgehaltenen gemeinen Kirchenrecht die sog. Ketzertaufe für gültig angesehen wird, sofern trinitarisch getauft und die Intention besteht zu tun, was die Kirche tut.8 Der so Handelnde steht insofern auch in der Tradition der Kirche, als er eben diese Intention
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übernehmen muß. Die Identität des Handelns ist durch die Identität der Intention gewährleistet, — dies ist überall die sinngemäße Frage, gleichgültig ob sie dann in concreto falsch beantwortet, an falsche Merkmale geknüpft wird. Seine Legitimität aber wird keineswegs dadurch vermittelt, daß der Täufer selbst Getaufter ist. Trotz jenes Zusammenhanges mit der traditio der Kirche und dem Traditionscharakter auch der Taufe9 gibt es keine Taufsukzession. Hier überwiegt der Charakter des Bruchs mit dem alten Aeon, wiewohl ja die Taufe in die Gemeinschaft des neuen Aeons hineinführt. Daher wird von der Tauflinie her die Successio in die jeweilige Aktualität des Neueinsatzes reduziert. Umgekehrt hält der Sukzessionsgedanke samt der patriarchalen und arché-Struktur dort durch, wo das Abendmahl zentral gesehen wird. In diesem Gegensatz wiederholt sich jene Dialektik von Traditionsbruch und Traditionsübernahme, auf welche wir schon in den Erwägungen über die Rechtsstruktur personaler Bezüge gestoßen sind. Solange im Successionsvorgang die traditio ex communione in communionem noch bewahrt wird, d.h. der Gemeinschaftscharakter durchgehalten und nicht minimalistisch und formal als überflüssig abgestoßen wird, werden diese Gegensätze nicht wirksam. Erst nach dem Verlust der Gemeinschaftsdimension treten sie hervor und werden etwa in jedem Lutherwort sichtbar, daß der getaufte Christ als Papst, Bischof und Priester aus der Taufe krieche.
Als weitere, dritte Triebkraft läßt sich das Sakrament der Absolution aufweisen. Solange dieses wesentlich Reconciliation in die Gemeinde ist, verstärkt es lediglich die bischöfliche Autorität. Je mehr es in der geschilderten Weise als amtsgängige Beichtjurisdiction über individualisierte Verfehlungen isolierter einzelner verstanden wird, baut sich darauf eine den juridictionellen Zug der Lehrentscheidung mächtig verstärkende Tendenz auf: nicht nur die Rationalisierung der Lehre, sondern auch die Individualisierung der Buße bringt die Übersteigerung der Jurisdictionsgewalt im Mißverhältnis zur sakramentalen Ordnung hervor — und mit beiden die schweren Anstöße, die zur Kirchenspaltung geführt haben. Ebensowenig wie das Recht der Verkündigung und Lehre und das der Sakramente einfach gleichsinnig läuft, so wenig ist das Sakramentsrecht in sich eine eindeutige und einlinige Größe. Die Meinung, daß die Kirchengeschichte wesentlich in wechselnden theologischen Gesamtansätzen verlaufe, wird also dem Sachverhalt nicht gerecht, ganz abgesehen von der Frage, ob diese Vorstellungsweise sich als idealistisch erweist. Im Gegenteil zeigt sich, von welcher grundlegenden Bedeutung die Einheit des Gottesdienstes ist, in dessen Gesamtzusammenhang die Lehre ihren Platz hat, dem sie nicht als ein theologisches „esse” vorausgeht.
Man kann freilich zu alledem nicht Stellung nehmen, wenn man — gegen ein hier keineswegs gemeintes, aber etwa unterstelltes Prinzip
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der Kontinuität im Grund doch nur das unausdrückliche, aber um so entschiedener verteidigte Prinzip der Diskontinuität aufstellt.
Unsere ganze Frage wird nun dadurch kompliziert, daß sie von einer Entwicklung überlagert, einer Entscheidung belastet ist, die wir mit der heutigen Soziologie als die Bildung sekundärer Institutionen deuten können. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt haben die Gemeinden, gleichgültig unter welchem Titel, ob Bischof, ob Presbyter, eine personal-repräsentative Leitung, die mit steigender Bestimmtheit, ausgehend vom eucharistischen Vorsitz, auf eine monarchische Form hindrängt. Aber die kleinen wie die großen Ekklesien, winzige Dorfgemeinden in der numerischen Einöde, apostolische Großstadtgemeinden wie Alexandriner und Antiochia haben noch die gleiche bischöfliche Verfassung — und ihre Bischöfe stehen als solche in einer Gemeinschaft, in der es nur begrenzte Ehrenvorrechte, keine echten Stufen gibt. Die Zahl ist sehr bedeutend: für Afrika sind bis zu 600 Bischöfe genannt. Aber von einem bestimmten Punkte an wird dieser episkopale Charakter nicht mehr jeder ekklesia, d.h. jeder dauernd gottesdienstlich und deshalb lokal versammelten Gemeinde zugebilligt. Solche Gemeinden im Einzugsgebiet der civitates, der Kreis- und Provinzhauptstädte werden mediatisiert, als nachgeordnete von Presbytern geleitet, welche vom Stadtbischof ordiniert werden und abhängig sind. Nicht nur die Teilgemeinden einer einzigen Stadt, sondern auch die Gemeinden eines meist noch nicht sehr großen Territoriums werden als diözesane Einheit begriffen, in deren Zentrum die Bischofsgemeinde im engeren Sinne, die Gemeinde der Bischofskirche steht. Die Chor- (Land-)Bischöfe werden nach und nach unterdrückt — ihr Bischofstitel würde diesen Dorfpfarrern den Anspruch auf oekumenische Reichsunmittelbarkeit gewähren. Wir haben jetzt die ekklesia in doppelter Gestalt, aber in sekundärer Überformung: einmal ist die ekklesia die (direkt) bischöfliche Gemeinde und den Teilgemeinden im Landgebiet als Diözese. Zum anderen ist die ekklesia die örtlich begrenzte paroikia, Parochie als verfaßte Kirchennachbarschaft, deren Leiter nicht nur des Bischofstitels, sondern auch der oekumenischen Unmittelbarkeit und des Ordinationsrechts entbehrt. Beide sind damit umgeformt: die Diözese hat mehr, die paroikia weniger, als die ekklesia ausmacht: die eigentümliche Ganzheit der gottesdienstlich versammelten Gemeinde, welche der Gesamtekklesia in dieser Ganzheit entspricht und mit ihr im Austausch steht. Wir treffen hier zum erstmal auf eine sekundär-institutionelle Überformung im Kirchenrecht. Noch nicht die Bildung des monarchischen Episkopats — erst seine hier konkret einsetzende Begrenzung und Privilegierung ist als solche zu werten. Aber wie ist diese Entwicklung zu beurteilen?
Die Reformation hat, wie alle Revolutionen, verjährtes und unverwundenes Unrecht wieder zutagegebracht — so auch im Verhältnis von Diözese und Parochie. Sie vindizierte dem Parochus den Rang des Bischofs.
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und entdeckte jede Gemeinde wieder als Vollgemeinde, als ekklesia. Aber war das schon zulänglich? Die Reformation kritisierte das Endergebnis, ohne eigentlich die Gründe aufzudecken. Die Spaltung von Diözese und Parochie war zum größten Teil die Folge der weiteren Ausbreitung der Kirche. Die Anerkennung jeder Ortsekklesia als bischöflicher wie bisher würde eine solche Überfülle bischöflicher Gemeinden hervorgebracht haben, daß gerade dadurch ihre Bedeutung entwertet und die Aufrechterhaltung bischöflicher Gemeinschaft im Metropolitanverband und in der Oekumene in Frage gestellt worden wäre. Vor die Wahl zwischen Expansion und Konzentration gestellt, entschied man sich für das Letztere und glich sich, durchaus in der Stoßrichtung der Mission, zugleich an die praktischen, missionarischen und zugleich politischen Gegebenheiten, die Gliederung in civitates an, in deren städtischem Mittelpunkt meist auch die erste Gemeindebildung erfolgt war. Aber man handelte, wenn wir Harnack folgen dürfen, nicht anders als die missionierenden Apostel, welche das Ganze durchaus vor den Teilen sahen. Im schlimmsten Fall war dies das logische Gegenbild einer kongregationalistischen Verfassung: wer also im Stile von Wehrhahn mehr oder minder kongregationalistisch argumentiert, vertritt sicherlich kein besseres Recht.
Friedrich Karl Schumann sagt über die Frage einer geistlichen Leitung in einer besonderen Studie:10 „Ist — so fragt der offene und heimliche Independentismus — ein über die örtliche Gemeinde hinausgreifendes leitendes geistliches Amt überhaupt eine Notwendigkeit für die Kirche und nicht vielmehr etwas ihrem Wesen Fremdes, ihr von außen, aus vielleicht begreiflichen irdischen Gründen Zugekommenes? Ist das konkret Wirkliche der Kirche die Einzelgemeinde mit dem ihr und nur ihr zugeordneten Amt? Auf diese Frage ist aus historischen und sachlichen Gründen mit einem runden Nein zu antworten. In geschichtlicher Hinsicht wäre darauf hinzuweisen, daß die älteste Gestalt geistlichen Amtes, das Apostat, von vornherein gesamtkirchlichen Charakter hat und daß, wenn auch in Bezug auf die Autorität das Apostat einmalig ist, sein Auftrag doch auf alle folgenden Geschlechter übergeht. Die christliche Kirche ist wesens- und auftragsgemäß Missionskirche, d.h. die örtliche Gemeinde ist mit Notwendigkeit über sich selbst hinausgewiesen. — Es ist (sachlich) der Grundfehler des … Independentismus, daß er das Zueinander von örtlicher Gemeinde und Gesamtkirche übersieht. Weil Christus selbst der Seinsgrund der Kirche ist, deshalb ist mit ihm in jeder örtlichen Versammlung ,in seinem Namen’ die Gesamtkirche mit gegenwärtig. Ja weiter: weil der Glaube nur von seinem Gegenstand, seinem Haupt her Wirklichkeit hat, deshalb ist schon der einzelne Christ nur in der Gewißheit der Gegenwart Christi in seiner Gemeinde seines eigenen Christseins gewiß.” Zu dem Worte „Haupt” zitiert er aus einer reformatorischen Flugschrift „Karsthans”: „Wo der
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gloub nitt ein houpt hett/möcht er nitt allein nit lang beston/sunder es wer kein gloub”.
Zu der geschichtlichen Situation der alten Kirche ist hier hinzuzufügen, daß sie freilich keine Kirchenleitung in dem Sinne kennt, daß ein einzelner oder ein Gremium leitend über den Gemeinden steht, allen gerechterweise gleich nah und gleich fern. Die Leitung nimmt vielmehr eine Gemeinde als Ganzes wahr, mit ihrem Bischof und durch ihn, als ein Vorort. Als solcher tritt im Clemensbrief die römische Gemeinde gegenüber Korinth auf, als solche spricht Ignatius dieselbe Gemeinde als die „erste in der agape” an. Daß sie dies tut, ist ein Dienst und keine Usurpation; es ist aber auch eine Liebespflicht und Missionspflicht, und es liegt in der Entwicklungslinie der Mission. Was hier also überhaupt sekundäre Überformung genannt werden kann, baut auf einem völlig legitimen Sachverhalt und Grundbestand auf, und deswegen hat die Kritik daran nur ein sehr begrenztes Recht.
Es wird aus dem Gesagten auch verständlich, weshalb sich die Frage der Succession so bestimmt mit historischen Orten verknüpft. Es geht nicht um den Genius dieser Ort und ihrer Völkerschaften, sondern um eine an konkretem Ort aufgestellte und in langer Dauer immer wieder besetzte und ausgefüllte kathetre, den Stuhl des Bischofs, von dem die apostolische Tradition und die Mission ausgegangen ist. Solange Gott diese Stühle erhält, wozu die Kirche aus eigener Macht gewiß nicht imstande ist, ist es auch ihre Sache nicht, sie abzubrechen oder verfallen zu lassen: Wie das Martyrium ist auch das Nomadentum der Wüstenwanderung nicht in unserer Hand und Entscheidung.
Nur wer unter den konkreten Bedingungen seiner Zeit eine andere mögliche Lösung des Verhältnisses von Gesamtkirche und Einzelgemeinde anzubieten hat, die nicht einem von beiden etwas vorenthält, weil sie es nicht vermeiden kann, hat Recht zur Kritik. Die reformatorische Kritik war also nur halb berechtigt, weil sie eben die Einzelgemeinde doch nicht zu jener ganz auf sich stehenden Vollgemeinde, den Pfarrer nicht zum in oekumenischer Gemeinschaft stehenden Bischof machen konnte. Die Vindication des Bischofsamtes für den Gemeindepfarrer war die (nur theoretisch berechtigte) Bestreitung eines Rechtes in welches der Bestreitende tatsächlich gar nicht eintreten konnte. Die Reformation zerschlug die nur im gesamtkirchlichen Verbände sinnvolle Diözesanordnung und ersetzte sie durch das politische Territorium, gab aber die interdiözesane, gesamtkirchliche Gemeinschaft fast völlig preis, — damit zugleich aber die Traditionslinie der Ordination. Andererseits konnte sie gar nicht umhin, ein Aufsichtsrecht der Oberbischöfe gegenüber den Ortsbischöfen festzuhalten, wie etwa mit großer Bestimmtheit Luther zugunsten des von ihm ordinierten Bischofs Amsdorf in Naumburg gegenüber dem dortigen Superintendenten Medler. So blieb der Pfarrbischof tatsächlich Pfarrer, aber der Episkopat, die Diözesanordnung
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wie die gesamtkirchliche Verbundenheit ging verloren. Praktisch erwarb der Pfarrer so noch nicht einmal das Ordinationsrecht — denn dies blieb alsbald neuen Leitungsorganen ohne gesamtkirchliche Rückbindung vorbehalten und zugeordnet — wohl aber das Recht der Ordinationsassistenz. Ohne Rücksicht auf das, was damit preisgegeben wurde und was noch nicht einmal in seinen Motiven und seiner Tragweite vor Augen stand, wurde etwas ganz anderes als ein durchgreifender Grundsatz durchgesetzt: mit der damnatio graduum der der Gleichheit der Ämter oder genauer der Inhaber des einen Amtes. Aber weder Gleichheit noch Ungleichheit als Prinzipien sind biblisch: H.D. Wendland hat gezeigt,11 daß die Christen in bestimmten Hinsichten allerdings gleich wie ebenso ungleich sind. Auch Campenhausen12 sagt, daß der frühen Kirche der Gleichheitsgrundsatz fremd ist. Wäre jene sekundär-institutionelle Überformung nicht eingetreten und die Kirche eine Konföderation von Bischofsekklesien nach dem Stande etwa des beginnenden 3. Jahrhunderts geblieben, so wären doch die Unterschiede zwischen dem Gewicht der ekklesien und dementsprechend ihrer Häupter nach Traditionsbedeutung und Umfang der Aufgaben gegeben gewesen, nur ohne jenen Anstoß, den nun allerdings die Mediatisierung der Parochien bedeutet. Es bleibt so, daß der eine über vieles, der andere über weniges gesetzt ist. Auch die Diözese andererseits war keineswegs ein territorialer Gemeindeverband: sie war und blieb eine, auf eine besondere Art erweiterte und überhöhte, herausgehobene ekklesia, in der der Bischof bis heute zu allererst das Haupt der Kathedralgemeinde ist und ohne eine solche nicht gedacht werden kann.
In der katholischen Theorie überschneiden sich hier mehrere Motive: die liturgische Grundlage des Ordobegriffs, das Studenschema, die Differenz zwischen gottesdienstlicher und gesamtkirchlicher Leitung.
In der aufsteigenden Linie der ordines, die dem Gang der Messe folgt, muß der Presbyter als Zelebrant am Ende stehen, kann durch keine weitere Stufe überhöht werden. Andererseits wird der Presbyterat als secundum munus, als Gehilfe des Bischofs als Träger des Vollamts verstanden, also in umgekehrter Richtung gesehen. Die Bischöfe erscheinen als der engere Kreis in Analogie zu den Aposteln, die Presbyter zu den 70 (so die Ordinationsliturgie). Diese aufsteigenden und absteigenden Linien sind gegenläufig.
Die Frage löst sich am ehesten, wenn das in Kap. IV Entwickelte berücksichtigt wird. Nach der sakrifiziellen Seite des gottesdienstlichen Handelns kann ein Unterschied zwischen Bischof und Presbyter nicht bestehen. Nach der sakramentalen Seite erscheint in der Tat inhaltlich und historisch der Presbyterien eher als ein Bischof mit eingeschränkten Rechten, als der Bischof als die Vollendung des Presbyterats. Beide Blickrichtungen werden gerade in der katholischen Theorie nicht miteinander in Verbindung gesetzt, sondern treten mehr alternativ hervor.
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Die Scheidung zwischen Bischofsekklesien und Pfarrekklesien ist sicherlich eine historische. Aber nicht historisch, sondern grundsätzlich und strukturell ist das gesamtkirchliche und missionarische Element. Wenn dieses Element nicht körperschaftsrechtlich von der Gemeinde und vom Gottesdienst losgelöst und als Dach über das Ganze gesetzt werden soll, muß man dasjenige Amt als Vollamt ansehen, welches die vollen gottesdienstlichen Verrichtungen mit ihnen verbindet. Sonst fallen Gottesdienst einerseits, gesamtkirchliche Leitung und Mission andererseits auseinander. Der oft vertretene Gedanke, daß Kirchenleitung durch die Predigt geschehe, meint ja diese Verbindung, kann aber doch nicht die Tatsache aufheben, daß die Vielfalt geistlicher Leitung nur gewaltsam unter den Begriff der Predigt gebracht werden kann. Baut man aber alles von der Sicht des gemeindeleitenden Presbyters, des Pfarrers her aus, so finden jene Elemente keinen rechten Platz und man hat die gleichen Schwierigkeiten wie die katholische Theorie in den Begriffen der ordo-lehre mit dem Bischof. Vollends wird dann die geistliche Leitung in das einseitig Jurisdiktionelle und sogar Verwaltungsmäßige abgedrängt. Bischof und Presbyter sind Zwillinge oder älterer und jüngerer Bruder. Beide müssen gemeinde- und gottesdienstbezogen, damit ihrem Ursprung treu bleiben. Aber nur die Bejahung des Bischofsamtes als eines eigenständigen Amtstypus vermag, soweit überhaupt möglich, den geistlichen Charakter personaler Kirchenleitung zu bewahren.
Nach dem Gesagten ist nun im Sukzessionsvorgang zweierlei zu
unterscheiden, wenn auch nicht einfach zu scheiden:
1. der Traditionszusammenhang als „Herkommen von”, als
arché- und kephalé-Struktur;
2. der konkrete, intentionale Akt der Ordination. Das hier
wesentliche ist das epikletisch, in der Prosphora, der Präfation
erbetene „Zukommen” des Geistes.
Das eine ist als das katholische, das andere als das apostolische Element der Sukzession zu bezeichnen (nachdem wir die optische Täuschung der linearen Folge aufgedeckt haben).
Die letztere, die aktuale Ordination, gehört der ekklesia als Ganzem und ist — als solche — den Bischöfen nicht vorbehalten, wie denn ein solcher Vorbehalt zugunsten bestimmt qualifizierter Personen biblisch nicht erweislich ist. Trotzdem erfordert diese Handlung wiederum auch den Traditionszusammenhang. Wir haben gesehen, daß die bloße Bezeugung der Vocatio und die Segnung der Vocierten dieses Geschehen applaniert. Aber eben diese einlinige Applanation entspricht der unterschiedslosen Verschmelzung jener beiden Momente zu einem konservatorischen Handeln, womöglich kausativen Verständnisses.
Worum es sich hier handelt, kann an einem Rechtsinstitut deutlich gemacht werden, welches hier unverfänglich zum Vergleich herangezogen
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werden kann, weil es sicherlich für das Kirchenrecht ohne Wirkung gewesen ist. Es ist die sog. „auctoritas patrum” des republikanischen Rom. Sie ist eine bevollmächtigende Entschließung des Senats (der patres conscripti), welche zuweilen als förmlicher Beschluß, zuweilen als bloße Willenskundgebung erscheint und auch als solche bei tribunizischer Interzession immer noch wesentliche staatsrechtliche Bedeutung behält. Diese auctoritas patrum lebt gerade in einem Staatsrecht, welches die Monarchie bewußt durch das jährliche Doppelkönigtum der Konsuln ersetzt und ausgeschlossen hat. Es ist mehr, vor und anders als der wesentlich jurisdictionelle Souveränitätsbegriff eine zentrale, gemeinschaftliche und traditionelle Vollmacht, deren konkrete Akte legitimierende Kraft besitzen. Diese Patres sind im Stimmrecht formal gleich, aber nach dem Rang der amtlichen Bewährung in Gestalt von Vorstimmrecht und Reihenfolge der Abstimmung ungleich.13
Dieses historische Rechtsinstitut soll uns lediglich dazu dienen, im Sukzessionsvorgang zwei nicht zu trennende, aber zu unterscheidende Dinge in den Blick zu bekommen. Denn die reformatorische Kritik hat (abgesehen von der Frage der Erweislichkeit und Intaktheit der historischen Formalsukzession) deswegen Recht, weil Ordination und auctoritas patrum nicht einfach identisch sind.
Was über die Zweischichtigkeit des Gottesdienstes zuvor gesagt worden ist, wird hier noch einmal bedeutsam. Der Ordinationsakt hat zwei Seiten: die Erwählten werden herausgestellt, dargeboten, Gott wird gebeten, daß er sie, welche die Gemeinde meint würdig halten zu dürfen, selbst des Amtes würdige und ihnen den Geist zum Amte gebe. Zugleich wird in der gleichen Paradoxie von Bitte und Gabe, die wir schon früher fanden, die geistmitteilende Handauflegung vollzogen.
So wird deutlich, warum die Ordination dem Amte in einer doppelten Rolle, in einer doppelten Blickrichtung und Handlungsrichtung zufiel: an keiner anderen Stelle, in keiner anderen Person trifft das Handeln in beiden Richtungen so zusammen.
Zugleich erklärt sich, warum historisch den Bischöfen die Ordination exklusiv zufiel: weil sie zugleich die auctoritas patrum darstellten wie repräsentativ für die ekklesia handelten und zu handeln berufen waren. Dabei gehört jedoch zu dieser bittenden Darbietung die Gemeinde dazu, sie ist das Pleroma nicht nur des im Amte befindlichen, sondern auch des in das Amt zu setzenden Bischofs.
Der Kern, die Substanz der älteren Ordinationsliturgien ist — im Gegensatz zur theologischen Theorie — weit mehr epikletisch als konsekratorisch. Aus dieser Doppelschichtigkeit des Ordinationshandelns wird zugleich deutlich, wie in extremen Bildungen die beiden Elemente oder Seiten isoliert in Erscheinung treten konnten. Eine extrem konsekratorische Ordinationslehre, eine Lehre vom absoluten Amt kann unter Überspielung selbst der konkreten Formen des Ritus die traditio-Seite
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einseitig und den bischöflichen ordo als exklusives Subjekt der Ordination verstehen. Fällt aber die bischöfliche traditio aus, so kann die Gemeinde meinen, selbst die Darstellung und Epiklese vollziehen zu können, weil Gott so treu ist, sein Volk nicht ohne Hirten zu lassen und die Verheißung des Gebetes gegeben hat. Die isolierte traditio bringt eines Tages die isolierte communio hervor. Luther und Calvin haben sehr wohl gewußt, daß das nicht das Ganze war, wenn sie mit solcher Entschiedenheit die Ordination dem Amt zuwiesen.
Die Abweisung der exklusiven bischöflichen Ordination ist hiermit nicht identisch, sie ist eine gesonderte, zweite, wiewohl nicht sekundäre Frage. D.h.: die Reformation hat insoweit den traditio-Charakter der Ordination grundsätzlich festgehalten. Daß diese traditio nunmehr aktuale traditio, nicht mehr personale successio war, beruht nicht auf der Struktur dieses Ordinationshandelns, sondern auf der Veränderung des Zeitverständnisses, für welche der Fortfall der Präfation charakteristisch ist.14 Als Drittes, davon abzuhebendes, wirksames Moment kommt die Versachlichung, Funktionalisierung und Egalisierung des Amtsbegriffs hinzu. Das Problem verliert so sehr seine Strukturen, daß seine verschiedenen Schichtungen nur noch sehr schwer zu erheben sind. Die große Einheit der Kirche über Raum und Zeit, wie sie in der Präfation noch ausgedrückt wird, verliest sich in nominalistischer Vereinzelung. Soziologisch gesehen, setzen sich die in den Bettelorden vorgebildeten bürgerlichen Sozialstrukturen durch.