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V. Bürgerliche Denkstrukturen in der Theologie der Reformatoren — Reformation als Transformation

 

Im Zuge unserer Erwägungen wäre nunmehr nachzuweisen, daß und in welcher Weise die Reformation die Strukturen des bürgerlichen Rechtssystems zur existentialen Interpretation des Evangeliums benutzt hat.

Die religionssoziologische Forschung, wie sie insbesondere von Max Weber und Ernst Troeltsch begründet worden ist, hat die Auffassung verbreitet, daß das Luthertum im ganzen mehr dem agrarischen Bereich zugehört und bis in markante Bildungen mindestens streckenweise aus diesem sozialen Horizont zu verstehen ist, während der Calvinismus ebenso wie die zwinglianische Schweizer Reform von vornherein sehr viel stärker bürgerliche Züge zeige. Diese Auffassung ist neuerdings korrigiert und stärker differenziert worden. Für unsere Betrachtung ist daneben wesentlich, daß in der Theologie Luthers selbst zwei verschiedene, nicht gegeneinander ausgeglichene Linien und Stränge aufzuweisen sind, wobei jedoch die einzelnen Linien eine gewisse innere Vollständigkeit und Folgerichtigkeit besitzen. Sie können also auch je für sich betrachtet und ausgelegt werden, obwohl sie nicht den ganzen Luther ausmachen. Dieser immanente Widerspruch hat sich bis in die Gegenwart in den tiefen Spannungen innerhalb der lutherischen Theologie fortgeerbt. Für mich ist hier die Auslegung der einen Linie interessant, auch wenn sie eben nicht den ganzen Luther ausmacht. Aber ihre innere Folgerichtigkeit ist für die Thematik dieser Untersuchung von Interesse. Das Ergebnis der Untersuchung widerspricht durchaus jener religionssoziologischen Beurteilung des Luthertums. Sie zeigt vielmehr, um das Ergebnis vorwegzunehmen, eine viel höhere Konsequenz bürgerlichen Sozialdenkens, als dies bei der bäuerlichen Umwelt und vielen daraus  entnommenen Anlehnungen, wie vor allem im Katechismus, zu vermuten wäre.

Hier jedoch geht es nicht um die Situationsgemäßheit jeweiliger ethischer Positionen. Es geht darum, ob die dogmatischen Aussagen der Reformation sich unter den vorausgesetzten methodischen Bedingungen aus dem Zusammenhang mit sozialen Strukturen ihrer Zeit verstehen lassen.

a) Rezeption

Es wäre also zunächst die Rezeption von Begriffen und Strukturen

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zu erweisen, die dem bürgerlichen Rechtsdenken zugehören. Als solche bietet sich eine ganze Reihe von Stichwörtern an. Der besondere Stellenwert des Wortbegriffs, die Bedeutung von res und signum, die Auslegung von testamentum und testimonium, schließlich die Begriffe von promissio und assertio, die Bewertung von Kontrakt und Bürgschaft, das Verhältnis von Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit. Man wird solche Anknüpfungspunkte und Hinweise nicht zusammenhangslos anhäufen können. Es muß vielmehr das systematische Denkinteresse gezeigt werden, welches sie in den Vordergrund treten läßt und durch welches sie zur Sinneinheit verbunden werden. Freilich kann zuweilen ein einzelner markanter Begriff die Bedeutung eines Leitfossils gewinnen, den unwiderleglichen Beweis erbringen, das man sich hier in einer bestimmten unverwechselbaren Schicht befindet. Eine bestimmte Auslegung des Testamentsbegriffs ist nur in einer bestimmten rechtsgeschichtlichen Periode überhaupt denkbar.

Die sich mir aufdrängenden Beobachtungen schießen in der Darstellung eines theologischen Gewährsmannes zusammen, dem eine solche Betrachtung gewiß ebenso fern liegt wie eine Kritik — Gerhard Ebeling. In einem älteren, viel beachteten Aufsatz über die „Anfänge von Luthers Hermeneutik” sind, besonders in Teil VII, einschlägige Hinweise nicht nur gehäuft, sondern auch so folgerichtig entwickelt, daß der einmal aufmerksam gewordene Betrachter unmöglich an ihnen vorbeigehen kann.20 Anhäufung und Verbindung solcher Beweisstücke bei einem Autor haben den großen Vorteil, daß die innere Verknüpfung dieser Begriffe bereits hergestellt und die Motive ihrer Verbindung erörtert sind.

Ebeling sagt:

„Daß für Luther das hermeneutische Problem in der ersten Psalmenvorlesung so in das Zentrum rückt, hängt also daran, daß für ihn das Wort allein den Zugang eröffnet zu Christus. Es ist auffällig, wie selten Luther die Sakramente erwähnt … Daß er das nicht tut, ist ein deutliches Zeichen, wie sehr in seinen theologischen Anfängen die Sakramente an der Peripherie seines Denkens liegen. Es ließe sich zeigen, daß diese negative Tatsache Symptom eines neuen theologischen Ansatzes ist. Denn auch die zentrale Stellung die das Wort bei ihm einnimmt, ist bedingt durch seinen theologischen Grundgedanken der Offenbarung in der Verborgenheit. Quia adeo abscondita est gloria regni Christi et potentia, ut nisi per verbum praedicationis auditui manifestetur, non possit agnosci, cum in conspectu oculorum maxime contrarium appareat … (WA 4;

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450, 39ff.) … Doch geht man dem Sachverhalt auf den Grund, so wird der Gegensatz um so radikaler. In hac vita … non rem ipsam, sed testimonia rerum tenemus, quia fides non est res sed argumentum rerum non apparentium (WA 3; 279, 30 ff.). Damit ist unausgesprochen bereits der ganze katholische Sakramentalismus aus den Angeln gehoben. … Was Luther vom Wort sagt, daß es nur Zeugnisse sind, non exhibitiones praesentium, sed testimonia futurorum (WA 4; 310, 29 f.), das verträgt keine Korrektur durch Sakramente, die den Vorzug vor dem Wort hätten, daß sie exhibitiones praesentium seien. Denn: omnia nostra bona sunt tantum in verbis et promissis (WA 4; 272, 16 f.). … In seiner teifgrabenden Interpretation des Begriffs testimonia drängt sich diese Beobachtung geradezu auf: non nisi verba …, non res, sed signa rerum (WA 4; 376, 13 f.). … Das Entscheidende ist, wie Luther positiv formuliert, wo denn nun die res bleiben: quia in verbis per fidem absconditae sunt res non apparentes, ideo habens verba per fidem habet omnia, licet abscondite (WA 4; 376, 15 f.). Dem Wort korrespondiert also der Glaube, so wie den Sakramenten die Gnade als Sakramentswirkung. Aber während die Sakramentsgnade res ist, ist der Glaube non res, sed substantia rerum futurarum. Und insofern hat der, der das Wort hat, durch den Glauben nicht etwa nichts, und auch nicht etwa nur bestimmte Gnadenwirkungen, sondern schlechthin alles. Bedenkt man, wie stark die katholische Sakramentslehre in der Christologie verankert ist, so kann man sagen: Luther versteht die Gegenwart Christi nicht sakramental (WA Hier ist entsprechend der Anm. 2 S. 200 ebenfalls zu betonen, daß dazu nicht im Widerspruch steht, wenn Luther im Anschluß an augustinische Terminologie Christus als sacramentum bezeichnet.) sondern eschatologisch. Freilich in einem Sinne von eschatologisch, der später noch zu klären sein wird. Vorerst genüge der Hinweis auf die eschatologische Spannung in seinen Aussagen: non in re, sed in spe, nicht im Schauen, sondern im Glauben, non exhibitiones praesentium, sed testimonia futurorum.”

Ich führe weiter eine Reihe von bedeutsamen Quellenstellen aus Luthers Schriften an:

Von Kaufshandlung und Wucher (1524) Clemen 3, S. 6/7
„Es ist burge werden eyn werck das eym menschen zu hoch ist / und nicht zugespürt / und greyfft mit vermessenheyt ynn Gottis werck. Denn erstlich / so verbeut die schrifft / man soll keynem menschen trawen / noch sich auff yhn verlassen/ sondern alleyne auff Gott / Denn menschlich natur ist falsch / eittel / lügenhafftig und ungewiss /

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wie die schrifft sagt / und auch die erfarung teglich leret. Wer aber burge wird / der trawet eynem menschen / und setzt sich mit leyb und gut ynn die far / auff eynen falschen / ungewissen grund / darumb geschicht yhm recht / das er falle und feyle / und ynn der far verderbe. Zum andern / so trawet er auch auff sich  selbst / und macht sich selbst zum Gott (Denn warauff eyn mensch trawet und sich verlesst / das ist seyn Gott) Nu er aber seyns leybs und guts keyn augenblick sicher und gewiss ist / alls wenig alls des / fur den er burge wird / sondern steht alles ynn Gottes hand alleyne / der nicht haben will / das wyr yns kunfftige eyn harbreyt macht odder recht haben / und des keyn augenblick sicher und gewiss seyn sollen / so thut er unchristlich / und geschieht yhm recht / weyl er das versetzt und zusagt / das nicht seyn noch ynn seyner macht / sondern ynn Gottes henden alleyne steht.”

Luther, Werke (Clemen/Hirsch) Bd. 7 Predigten. IV. Reihenpredigten, 7. 27. 10. 1532 — (1. Kor. 15, 24/25) (XXXVI, 570)
Sic regnat Christus in fide, verbo, et nihil scitur, quam quod dicitur et creditur. Sic in mundo agitur per contractum. Accipit Siegel und brieff, ergo so gwis habet, ac si in loculo.
„… in diesen worten hat Christus yhm ein begencknisz odder jartag gemacht, teglich yhm nach tzuhalten in aller Christenheit, und hat ein herlich, reich grosz testament datzu gemacht, darinen bescheiden und vorordnet, nit tzinsz, gelt odder zeitlich gut, sondern vorgebung aller sund, gnad unnd barmhertzigkeit tzum ewigen leben, das alle, die zu dissem begencknisz kommen, sollen haben dasselb testament, und ist drauff gestorben, damit solch testament bestendig und unwiderruflich worden ist. Des tzum tzeichen und urkund, an stat brieffs und Sigil, hat er seinen eygen leichnam und blut hie gelassen unter dem brot und wein”.21

Nam promissio et testamentum non differunt alio, quam quod testamentum simul involvit mortem promissoris (De captivitate Babylonica, WA VI, S. 513, 35 ff.)
Testamentum absque dubio est promissio morituri, qua nuncupat haereditatem suam, et instituit haeredes (ebd. 26 f.)

Die von Ebeling hervorgehobenen Entgegenstellungen von Sakrament und Eschatologie, von res und signum, von res und res non apparentes laufen, wie er mit Recht sagt, in dem zitierten Schlußsatz zusammen, dem Gegensatz von exhibitiones praesentium und testimonia futurarum rerum. Der Gegensatz von Sakrament und Eschatologie hat freilich nur dann Bedeutung, wenn der Begriff Sakrament

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in einem mit dem Begriff Eschatologie unvereinbaren Sinn ausgelegt und vorausgesetzt wird. Hierum geht es und nicht um den Begriff der Eschatologie, dessen nähere Interpretation Ebeling vorbehält, aber nicht nachbringt. Daß beide Begriffe an und für sich schon sich ausschließen, wird ein biblischer Theologie gewiß nicht behaupten können. Wenn wir durch die Taufe mitsamt Christo in den Tod begraben werden, auf daß wir mit ihm auferstehen, so ist hier wie anderwärts in zentralen Aussagen Sakrament und Eschatologie ohne weiteres verbunden. In dem Ebelingschen Texte freilich wie anderwärts wird oft die spätmittelalterliche Sakramentslehre, die Luther vorfand, mit dem Sakramentsbegriff überhaupt gleichgesetzt, und sodann mit ihrer Ablehnung zugleich auch die Abwendung von einer zentral verstandenen Sakramentstheologie begründet, die mit dem polemischen Begriff „Sakramentalismus” belegt wird. Dabei wird die Lage dadurch kompliziert, daß die katholische Theologie der Reformationszeit vielfach nicht-dogmatisierte, aber weitgehend anerkannte Schulmeinungen samt deren vulgärem Gebrauch als integrierende Bestandteile kirchlicher Lehre verteidigt hat, während heute die neuere katholische Theologie bereit ist, vieles als Schulmeinung und bloße Terminologie preiszugeben, was sie lange konsequent aufrechterhalten hat.

Indessen ist es nicht meine Aufgabe und Absicht, mit Ebeling über Sakramentstheologie zu streiten. Es ist im Gegenteil meine Aufgabe zu zeigen, daß in der von ihm geschilderten Umsetzung auf eine Theologie des Wortes und in der Neufassung des Sakramentstheologie hier unbewußt die Grundstrukturen bürgerlichen Rechtsdenkens durchgeschlagen haben und wirksam geworden sind.

Läuft der zentrale Gegensatz auf denjenigen zwischen den res apparentes und den testimonia futurarum rerum hinaus, so ist das nach dem Gesagten nur schlüssig, wenn die res apparentes eine Bedeutung erlangt haben, die mit dem Zukunftscharakter der Eschatologie nicht vereinbar sind.

Das ist für Theorie und Praxis, Lehre und Brauch des Spätmittelalters in der Tat in hohem Maße der Fall. Aber es ist nicht bloßer Mißbrauch, sondern konsequente Bildung. Es setzt voraus, daß ein kirchenrechtlich handlungsfähiges Rechtssubjekt ausgebildet wird, welches als berechtigt und imstande angesehen wird, bestimmte supranaturale, spirituale Gnadenwirkungen herbeizuführen. Es ist weit weniger entscheidend, daß sie an gegenständliche Substrate und Vollzüge gebunden („verdinglicht”) werden, als daß sie final betrachtet, kausativ ausgelegt, ein System der Zwecke und

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Wirkungen bilden und zusammengeordnet werden. Dadurch gewinnt jede hier gemeinte Gnadenwirkung eine ihr besonders zukommende Begrenzung; sie beginnt in sich zu stehen. Man kann es etwa am Stufenbegriff deutlich machen. Jede einzelne Stufe hat nur den Sinn, auf eine höhere Ebene zu führen. Aber zugleich ist sie doch selbst ein abgeschlossener, ja sogar meßbarer Standort. Die radikale Spannung von hier und dort, unten und oben, jetzt und einmal, wird relativiert. Daß diese Finalisierung weit wichtiger ist, als die vielberedete Verdinglichung, zeigt sich darin, daß zugleich mit diesem supranaturalen Verständnis ohne Schwierigkeit der Begriff des Zeichens für die realen Substrate festgehalten werden kann. Es ist oft bemerkt worden, daß der andere Luther, den Ebeling nicht behandelt, der Luther der manducatio oralis und der Beichtabsolution, ein sehr viel realistischeres Sakramentsverständnis festhält als der von ihm bekämpfte Katholizismus.

Jenes Subjekt finden wir bereits in der Ausbildung des absoluten ordo, einer Amtspotestas kraft Weihe, die ohne Jurisdiktion, ohne missio canonica, abgelöst von Gemeinde und Kirche, wirksam, wenn auch unerlaubt, sakramental handeln, in diesem Sinne Gnadenwirkungen auslösen kann. Deren Objektstruktur ist für die Finalisierung der Gnadenlehre charakteristisch, ebenso aber, daß diese objektive Wirksamkeit nur durch wirkungslose Imperative, durch Verbotsnormen eingeschränkt ist, sich nicht von der Sache selbst her ausschließt.

Diesen Subjektbegriff und die entsprechende finale Objektivierung finden wir in der Lehre vom absoluten ordo und vom charakter indelebilis, wie in der Lehre von der Transsubstantiation. Die Parallele zum sacramentum ordinis ist die Umbildung der Ehe als des sacramentum laicorum vom matrimonium sacramentum habens (ad remedium tantum) zum thomistischen sacramentum gratiam conferens. Das zur Ehe frei consentierende Subjekt vollzieht das gnadenwirkende Sakrament und wird zugleich den Ehezwecken unterworfen. Dabei und dadurch tritt der dem Sakramentsgedanken entsprechende Gemeinschaftscharakter der Ehe zurück, während der im Epheserbrief angesprochene eschatologische Bezug spiritualisiert wird.

Nunmehr wird verständlich, daß gegenüber dieser objektivierten Gegenwärtigkeit die reine Zukünftigkeit herausgearbeitet werden muß. Denn hier tritt in der Tat, sogar entgegen Absicht und Intention, das kirchlich-sakramentale Handeln in eine unüberwindliche Spannung zur Eschatologie. Der konsequente Ausdruck für diese nunmehr thematische Zukünftigkeit ist der Begriff der promissio,

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neben welchen synonym auch derjenige der assertio tritt. Der lateinische Rechtsbegriff der promissio gibt nicht den vollen Gehalt dessen wieder, was im NT das griechische Wort epaggelia enthält. Dieses meint nicht nur Zusagen für die Zukunft, sondern auch bereits die Verkündigung gegenwärtiger Wirkung. Diese Gegenwärtigkeit freilich wäre unwesentlich und bedeutungslos, wenn sie nichts wäre als die begründete Zuversicht in die Verläßlichkeit der Zusage. Eben dieses Element der Gegenwärtigkeit ist in der lateinische Form nicht mehr erkennbar enthalten. Wir sehen jetzt aber aus den markanten Lutherzitaten bei Ebeling auch das Motiv, warum dieses Begriffselement praktisch ausgeschieden wird. Die Reinheit und Entschiedenheit des konstituierenden Gegensatzes könnte sonst nicht durchgehalten werden.

Mit dieser Rezeption des Begriffs promissio ist nun ein entscheidender rechtsgeschichtlicher Schritt vollzogen worden. Die Funktion des Wortes im Recht ist historisch eine völlig verschiedene. Das Machtwort schafft gegenwärtige Wirkung, die dann von jetzt an gerechnet auch fortdauert, aber ohne die Gegenwärtigkeit gar nicht denkbar ist. Die verbale Zusicherung für die Zukunft dagegen ist in den älteren Zeiten von jeder Rechtswirkung ausgeschlossen. Sodann ist Rechtswort Deutewort zu realen Handlungen, deren Intention dadurch klargestellt, rechtlich individualisiert wird. Übergebe ich eine Sache, so kann dies zum Eigentum oder zum Pfand geschehen. Was der Akt intendiert, sagt das Rechtswort. Aber das Rechtswort ist im strengen Sinne gegenstandslos, wenn es außerhalb seiner keine die Wirklichkeit verändernde Handlung gibt. Im Verkehrsrecht dagegen, im Bereich der Rechtshandlungen, welche Max Weber rechtssoziologisch als Zweckkontrakte definiert hat, hat das verpflichtende Wort primäre Bedeutung. Die realen Handlungen sind nur die äußere Konsequenz und Erfüllungsfolgen der Rechtsbeziehung, welche durch das bloße Wort vollgültig begründet wird. So ist auch unser bürgerliches Recht aufgebaut, welches auf das Schuldrecht das Sachenrecht der Gegenstände folgen läßt, mit welchem man die zuvor begründeten verbalen Verpflichtungen erfüllt.

Die Übernahme des Begriffs promissio paßt also nahtlos in die theologische Lage, welche durch den Gegensatz zwischen Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit eingetreten ist.

Personal ist dieses Verständnis der promissio in der Anwendung auf das Gottesverhältnis insofern, als der Mensch als Hörender und Verstehender die Zusage aufnimmt, rechtlich insofern, als er als Rechtssubjekt die Zusage annimmt und sich darauf verläßt, daß er

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die in der Zusage gemeinte Gabe zukünftig empfange. Er wird also nicht durch einen instituierenden Vorgang als etwas Bestimmtes, als Erbe, Kind, Braut, qualifiziert. Er ist und bleibt eine nackte und abstrakte Person, deren Gottesverhältnis nur bildhaft, aber ohne jenen bestimmenden Sachgehalt symbolisiert und allegorisiert werden kann. Weder der Bundesbegriff, noch das nähere Bild familienhafter Zugehörigkeit, noch das fernere von Haushalterschaft und Staatsbürgerschaft haben hier noch konstitutive Bedeutung.

Luther hat bekanntlich 1506 bei den Augustiner Eremiten in Erfurt die Mönchsprofess abgelegt. Die Liturgie dieser Profess endet nach dem Gehorsamsversprechen des Kandidaten mit der Formel des Priors:
„Si ista servas, promitto tibi vitam aeternam”.

Man geht sicherlich nicht fehl mit der Annahme, daß dieser für das Leben Luthers bedeutsame Akte gerade für die Antithese seiner späteren Position wesentlich gewesen ist. Die erwähnte Schlußformel tritt in bedeutsamer Weise in den Zusammenhang unserer früheren Erwägungen und wirft ein Licht auf den promissio-Gedanken in der eigenen Theologie Luthers. Der hier vollzogene Akt müßte eigentlich analog zu dem zu verstehen sein, was die Rechtstheorie einen „Staatsakt auf Unterwerfung” nennt. Aber gerade dies ist es nicht. Denn in solchen Akten läßt sich ein Bewerber eine Verbandszugehörigkeit oder andere Rechtsstellung einräumen, wofür die Voraussetzungen geprüft worden sind. Das Wohlverhalten oder die mit dieser Stellung sonst verbundenen Verpflichtungen sind aber gerade nicht Inhalt eines Kontraktes zwischen Ungleichen, sondern die implizit übernommene Folge der Einräumung des Rechtsstatus. Die obige liturgische Formel knüpft jedoch an die Kontraktsvorstellugen an, welche wir als Interpretation des Sakraments bereits aus der lateinischen Patristik kennen. Eine folgerichtige Antithese dazu ist ebenso leicht zu entwickeln wie zu verstehen. Die promissio, welche der Prior ausspricht, hat zwar den Rückgriff auf die apostolische Vollmacht zur Voraussetzung. Sie meint aber nicht die biblische Schlüsselgewalt. Niemand hat entschiedener als Luther die reale Gegenwärtigkeit der Sündenvergebung kraft Schlüsselgewalt verfochten.22 Daß die reformierte Tradition dieses Verständnis der Schlüsselgewalt ablehnt und daß das moderne Luthertum die Lehre Luthers und der lutherischen Bekenntnisschriften über das 3. Sakrament weitgehend vergessen hat, ändert daran nichts. Jene eschatologische promissio unter der Bedingung des Gehorsams, wie sie hier ausgesprochen wird, ist etwas völlig anderes, ordnet sich aber deutlich

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ein in die historische Verschiebung von präsentischen Status in den auf Zukunft gerichteten verbalen Kontrakt. Nun liegt nichts näher, als aus dieser Konstruktion bestimmte theologisch anfechtbare Elemente auszuscheiden und dadurch etwas völlig Neues zu gewinnen. Der Ausspruch des Menschen, seine promissio trit im Gegensatz zu der allein gültigen promissio Gottes. Insofern ist es sinnvoll, die institutionelle Autorität der Kirche auszuschalten und den Menschen hier auf die Verkündigung der allein im Worte Gottes bestehenden promissio zu verweisen und zu beschränken. Ebenso folgerichtig ist es, die vorausgesetzte Bedingung auszuscheiden und die freie einseitige Zusage Gottes herauszuarbeiten, auch wenn, wie wir gesehen haben, Luther den Kontraktbegriff nicht schlechthin verschmäht. Damit wird zugleich implizit das Verdienstmoment ausgeschieden, welches in der vieldeutigen Formel enthalten ist, zugleich aber auch die biblische Lohnproblematik abgeschnitten. Man sieht deutlich, daß der promissio-Gedanke bei Luther die antithetische Fortbildung und Korrektur einer historischen Konzeption, gerade darum aber nicht ein Rückgriff auf eine originär biblische Anschauung bedeutet.

Der Theologe meint hier vielleicht eine Wiederaufnahme des alt- und neutestamentlichen Verheißungsbegriffs zu finden. Aber in der radikalen Antithese zwischen den res praesentes und den testimonia futurarum rerum ist ein ganz wesentliches Element des biblischen Begriffs, das praesentische Moment der epaggelia allmählich und unbemerkt ausgefallen, vollends dann im Gefälle zur Moderne. Vom Geist, in dem und durch den allein das Wort lebendig und die Verheißung mächtig ist, ist in de markanten Stellen nirgends ausdrücklich die rede. Unterstellt man, daß dies bei Luther allgemein vorauszusetzen ist, so würde dies verständlich machen, warum die Spannung von Präsenz und Zukünftigkeit negativ aufgelöst werden konnte, warum kein Anhalt mehr verblieben ist, um sie festzuhalten. Es hätte sich, so gesehen, ein Übergang von der praesentisch-historischen Konkretion der Christologie in die Pneumatologie vollzogen (von der christologischen Verwurzelung der bekämpften Sakramentstheologie spricht Ebeling selbst). Aber dieser dogmatische Zusammenhang kann zwar den Fortfall bestimmter Hindernisse verständlich machen, jedoch nicht das Zusammenschießen, die schlagende Übereinstimmung der Neuinterpretation biblischer Begriffe mit Strukturen und Haltungen, welche für das AT und NT im wesentlichen gar nicht in Betracht kommen. Für Paulus gibt es — das dürfte unbestritten sein — keinen Gegensatz zwischen „Wort” und

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„Sakrament”. Sobald, wie bekannt, in der Scholastik der Sakramentsvollzug jene absolut-objektiven Formen annimmt und im Gegenschlag neuen reformatorischen Wortverständnisses das Verhältnis beider als problematisch neu aufgeworfen wird, ist jene selbstverständliche Einheit nicht wiedergewonnen, vielmehr das Gefälle zur einseitig verbalen Auslegung eröffnet, wie es in den Quellenbelegen deutlich wird und dann in der Moderne konsequente und radikale Formen annimmt. Eben jene im Kontext der Rechtsgeschichte verständliche Objektivierung läßt den Umschlag in das zu vernehmende Wort und damit eine vorwiegende Subjektivität folgerichtig erscheinen.

Daß Luther sehr verschiedene Denkformen mit souveräner Freiheit verwendet, und zugleich auch für sich jene Gegensätze in hohem Maße zur Einheit verbunden hat, daß für ihn auch „Wort” in sehr radikalem Sinne unmittelbare geistliche Gegenwart war, hebt den objektiven geistesgeschichtlichen Zusammenhang nicht auf, in dessen Gefälle er stand und dessen ihm notwendig verschlossene Folgerichtigkeit uns beschreibbar einsichtig geworden ist. Darum reicht die Verweisung auf seine noch so umfassend und lebendig begriffene Subjektivität grundsätzlich nicht aus. Diese andere Seite der Kirchengeschichte in den Blick zu heben, ist ja das Ziel dieser Arbeit als Anstoß und erster Versuch.

Die innere Folgerichtigkeit, aus der der promissio-Begriff hier übernommen werden konnte, und seine zentrale Bedeutung in Verbindung mit dem Problem der Eschatologie und der Zeit wird hier sehr deutlich. Die gleiche Tendenz wird deutlich in der Übernahme und spezifischen Auslegung des Begriffs Testament. Die innere Verbindung zwischen beiden Begriffen, das gemeinsame theologische Interesse wird gerade anhand der von Ebeling erhobenen Quellen im Lichte der rechtsgeschichtlichen Situation deutlich.

Die Übersetzung des griechischen Wortes diathéke (kainé diathéke) mit testamentum ist eine womöglich noch viel einschneidendere Verschiebung als die Übersetzung von mysterion mit sacramentum. Wichtig, wesentlich, charakteristisch aber ist der Gebrauch, das Mißverständnis, welches sich zielsicher an die Aequivokation angeschlossen hat. Wer jemand zum Erben einsetzt, verleiht ihm die Rechtsnachfolge der Person und deshalb in die ganze Hinterlassenschaft. Er brauch dies nur rechtzeitig den Hinterbleibenden kundzutun. Es ist ein eindeutiger Vorgang, der mit einem Worte ausgesprochen werden kann und keiner umfänglichen Aussage bedarf. Wer dagegen eine Summe von Verfügungen beachtet wissen will,

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tut gut, ein schriftliches, möglichst unmißverständliches Testament zu hinterlassen. Der Erbe wird sein Erbe antreten und selbst wahrnehmen. Dagegen ist es gut, sich der willigen Ausführung einzelner Bestimmungen zu vergewissern. Erbeinsetzung begründet als personale Substitution ein personales Verhältnis. Vermächtnisse sind bloße Sachverfügungen und begründen nur Ansprüche gegen den gesetzlich-natürlichen Erben.

Das will sagen: diathéke, Bund, bezeichnet ein bestimmtes personales Zuordnungsverhältnis. Testamentum ist ein Formalbegriff, der erst durch den Inhalt ausgefüllt wird und ausgefüllt werden muß. Hier besteht auch eine mögliche Differenz zwischen personaler Erbeinsetzung und sachlicher Vermächtnisbestimmung. Je personaler der Testamentsinhalt ist, desto weniger bedarf er der schriftlichen Festlegung oder Verbriefung. Das Interesse an der Verbriefung von Rechtsakten tritt als ein sehr verschiedenes auf. Entweder soll das bloße Faktum verbrieft werden, etwa der Eigentumsübergang, der sich selbst interpretiert, aber in seiner Tatsächlichkeit bestritten werden könnte. Oder aber es solle eine Summe von Willensinhalten variabler Art für die Zukunft festgelegt werden, damit ihr Inhalt als solcher klargestellt wird. Je mehr wir uns von bestimmten typischen Beziehungsinhalten, wie Bund, Erbschaft, Eigentumsübertragung entfernen, um so mehr steigt das Interesse an der Schriftlichkeit. Jene Vorgänge legen sich selbst aus und sind nicht beliebig vermehrbar. Sie können auch im wesentlichen Bestande nicht abgeändert und variiert werden. Sie unterliegen aus immanenten Gründen dem sogenannten Typenzwang. Die Ehe kann nur bedingungslos geschlossen werden. Diese ausdrückliche gesetzliche Vorschrift ist nicht willkürlich oder rein positiv, sondern ergibt sich aus der Sache selbst. Ehepakte, die dem Eheschluß beigefügt werden, berühren den Bestand des Verhältnisses als solchen nicht, sondern setzen ihn voraus. Bei solchen typenmäßig festgelegten Rechtsakten, die auf Herstellung einer personalen Beziehung gehen, kann immer nur das Faktum streitig werden, niemals die Auslegung. Sie schließen hermeneutische Probleme aus. Erst wenn mit einem variablen Aussagegehalt gerechnet wird, stellen sich Auslegungsprobleme ein. Handelt es sich aber um einen variablen Aussagegehalt, so wird zugleich eine Trennung oder Spaltung zwischen dem personalen Verhältnis der Beteiligten als solchen und dem Inhalt oder Sachgehalt des Verhältnisses selbst vorausgesetzt. Die beteiligten Personen sind Subjekte ohne sonstige hier rechtliche bedeutsame Eigenschaften und werden auch durch den Sachgehalt der

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Vertragsaussage, der rechtsgeschäftlichen Willensbildung nicht qualifiziert. Der Bürger hat den Erdenrest, zu tragen peinlich, an sich, daß er immer in einer ihm vorgegebenen politischen Existenz lebt und de jure niemals Mensch an sich sein kann. Aber er ist so angelegt, sich möglichst so zu benehmen, als ob er das wäre.

Der Übergang von Bund auf Testament enthält also die Tendenz, das Gefälle von Ablösung aus den konstitutiven und konkreten personalen Relationen, während immer wieder behauptet wird, sie seien gerade gemeint. Während die inhaerente Qualität der Person (wie sie in der Scholastik ausgebildet wird) geleugnet wird — mit Recht, fällt zugleich die (vorscholastische) Qualifikation durch die Relation fort.

Diathéke mit testamentum zu übersetzen, rechtfertigt sich nur teilweise insoweit, als es sich um den neuen Bundesschluß im Angesichte des Todes handelt, der durch den Tod hindurch und über ihn hinaus dauern soll. Es ist das Bundesblut, das vergossen wird. Zugleich wird damit die Tradition der alten Bundesschließungen typologisch in Bezug genommen. Was Bund ist, bedarf nicht der Interpretation. Er ist selbst Entsühnung und setzt sie zugleich voraus; insofern ändert auch die Erwähnung der Sündenvergebung nichts an dem Gesagten. So deutet, bezeichnet, konkretisiert, individualisiert das begleitende Stiftungswort den mit dieser Selbsthingabe sich vollziehende Bundesschluß. Sonst könnte dieses Mahl eine ganz andere, kultische oder banale, alltägliche oder sentimentale Bedeutung haben. Es ist zugleich die Einsetzung und Hineinnahme der Teilnehmer in die so gedeutete Vergemeinschaftung. So wird eine doppelte Identifikation vollzogen: zwischen der Person Jesu und den Elementen des Mahles, und zwischen den Elementen und den Teilnehmern, und auf diese Weise zwischen allen dreien. Das Verhältnis vom Deutewort und realem Handeln wird aber in folgerichtiger Sinnwidrigkeit auf den Kopf gestellt, wenn man testamentum als wörtliche Aussage und die Elemente als angehängtes Siegel versteht. Wie man außerhalb der Bundesgedankens die Aussage auslegt, und welcher variable Begriff anstelle des bestimmten Typus „Bund” auch gewählt wird, so ist die Interpretation immer willkürlich und verfehlt.

Deutewort und reales Handeln sind vielmehr nach richtigem Verständnis aufeinander wechselseitig bezogen. Das stiftende Deutewort ist, wie gesagt, gegenstandslos, wenn nicht etwas ihm Entsprechendes geschieht, und dieses reale Geschehen ist nicht geschichtlich nach seiner Intention und Bedeutung bestimmt, wenn das Deutewort mangelt. Diese Sinneinheit von bestimmendem und ausgrenzendem

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Wort und zuwendenden Handeln ist in ihrer inneren Logik als institutioneller Vorgang in der rechtstheoretischen Institutionenforschung einsichtig geworden.23 Es ist die Vorgangsstruktur, wie wir sie aus allen statusrechtlichen Abläufen kennen. Diese Struktur, diese Handlungs- und Sinneinheit wird mißverstanden und zerrissen, ja genau umgekehrt, wenn anstelle dessen das Verhältnis von wörtlicher Aussage und versiegelnder Bekräftigung gesetzt wird. Eben das wird durch die falsche Gleichsetzung mit dem Testamentsbegriff ermöglicht. So kann also anstelle des sich selbst interpretierenden und durch die alttestamentliche Tradition zugleich interpretierten, aber erneuerten Bundesgeschichte als personales Verhältnis ein Inbegriff von interpretationsbedürftigen Aussagen als Testamentsinhalt gesetzt werden. An die Stelle des Bundesgliedes tritt der Empfänger einer Zusage, anstelle eines realen Personalismus tritt ein verbaler.

Mit der Thematik von Handel und Wucher zeigt sich Luther in einer sozialgeschichtlichen Übergangssituation. Der kaufmännische Verkehr ist bereits viel zu ausgebildet, um ihn von Grund auf in Frage stellen zu können. Aber er ist doch ebensowenig in das gesamte Lebensgefüge und Lebensgefühl aufgenommen, um nicht immer noch als eine besondere, problematische Erscheinung verstanden zu werden. Der Bauer, der Handwerker, jeder an realen Dingen Arbeitende sieht mit Mißtrauen auf die Schwankungen des Handelsverkehrs, in denen verloren und gewonnen wird, ohne daß sich an den vorhandenen Dingen selbst etwas ändert. Es ist der tiefgreifende Gegensatz zwischen einer an realen Arbeit und Besitz orientierten Welt und einer solchen, in welcher Verfügung und Forderung, der Umlauf der Güter als solcher bestimmend wird.24 Auch Luther hat an jener traditionellen und stimmungsmäßigen Kritik Anteil und versucht theologisch-ethisch eine Lösung zu finden. Daß einmal auch jeder Handwerker in den Kreislauf des kaufmännischen Verkehrs einbezogen werden wird, daß er auch damals schon von der Verläßlichkeit der Zusagen auf Abnahme und Bezahlung abhängt, daß einmal der Grundbesitz durch Beleihung verflüssigt25 werden wird, um die Mittel zur besseren Bewirtschaftung zu gewinnen, daß der Realbesitz an Metallgeld in Banken eingeleitet und in papierene Forderungsverschreibungen verwandelt werden wird, — kurz der umfassende Systemcharakter der Verkehrswirtschaft liegt noch völlig außerhalb seiner Vorstellungsmöglichkeiten. Um so typischer und bedeutsamer ist sein Urteil und seine Haltung in unserem Zitat. Wer noch nicht in der Verkehrswirtschaft steht, tut gut, sich nicht

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durch Bürgschaft in sie zu verstricken, sich selbst zu gefährden. Der Kaufmann mag und muß Risiken übernehmen, der Bauer und Handwerker nicht. Hier setzt das Pathos des Wortes ein. Das Wort des Menschen ist trügerisch. Der Mensch ist unmächtig und nicht verläßlich. Die theologische Existenzkritik und die realrechtliche Fremdheit gegen die neue Verbalität der Verkehrswirtschaft kommen parallel zu stehen. Aber Vorbehalt und Kritik gegenüber dem Menschenwort treffen nicht das Wort Gottes, dem allein Vertrauen zukommt, gebührt. So kann man sagen: Im Bereich des Evangeliums, in der Beziehung zwischen Gott und Mensch redet er wie ein Bürger. Die ihm eigentliche, wesentliche, um nicht zu sagen ideale, soziale Struktur des Verhältnisses ist die bürgerliche des Wortes, von Treu und Glauben, von fiducia. Deshalb verschmäht er auch in der zitierten Predigt nicht einmal den unter dem Gesichtspunkt des Synergismus sonst so zweifelhaften Begriff des Kontraktes. Gemeint ist wohl eine einseitige Zusage, die angenommen wird. Ohne diese sozialgeschichtliche Interpretation der Dogmatik kann auch diejenige der Ethik nicht durchgeführt werden, und jene Differenz der Haltung ein beiden Reichen erhellt vielleicht manchen Widerspruch.26

Gegenüber dem für Luther wesentlichen Begriff des testamentum ist derjenig des testimonium nicht in gleichem Maße markant. Formal unterscheidet er sich nicht vom verbum, inhaltlich nicht von der promissio, und mag auch einen Anteil der Verbriefungsfunktion des testamentum mit einschließen. Die Bedeutung, die Luther der wörtlichen Zusage beimißt, zeigt sich dagegen sehr kennzeichnend in den weiteren Quellenstellen, die im übrigen noch weit vermehrt werden könnten.

In der zitierten Stelle aus „De captivitate Babylonica” wird die Zeitdifferenz ganz unbefangen angesprochen, aber das darin liegende Problem nicht aufgedeckt. Promissio und testamentum werden in gleichem Sinne rein zukünftig verstanden. Daß jedoch Erbeinsetzung und Erfüllungsversprechen etwas wesentlich Verschiedenes sind, wird nicht bemerkt. Der Testamentsbegriff dient mehr dazu, dem promissio-Gedanken eine gewisse Anschaulichkeit zu verleihen, als daß dieser selbst gegenüber dem Versprechungsgedanken Bedeutung gewönne. Im Begriff Erbeinsetzung („instituit”) wird ein statusrechtlicher Begriff verwendet, jedoch nicht als Gegensatz zur promissio verstanden. Die rechtsgeschichtliche Lokalisation ergibt sich angesichts dieser Zweideutigkeit im besonderen Maße aus der Vorstellung von Brief und Siegel, Urkunde und Zeichen.

Die Fülle und Differenzierung sozialer Verhältnisse, die in den

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Gleichnissen des NT benutzt worden sind, ist später in die Berufs- und Ständelehre des Luthertums übergegangen, gleichsam in den Bereich des Gesetzes abgesunken. Damit ist auch eine qualitative Veränderung der Auslegung verbunden. Aus diesem vielfältigen Anschauungsbereich ist gewissermaßen die negative Wurzel gezogen. Braut, Kind, Erbe, der verlorene Sohn können und brauchen ja nicht zu tun als Heimholung, Anfall des Erbes zu erreichen: sie können nur die Verheißung erwarten und empfangen. Vom Bereich der Haushalterschaft dagegen ist allein der Gedanke der Inanspruchnahme geblieben. Die Abweisung des unbiblischen Verdienstgedankens hat die biblische Lohnproblematik verdrängt. So ist in beiden Richtungen die Positivität der Beziehungen verlorengegangen: die familienhafte Nähe im Verhältnis zum Dienstgedanken, — und der Lohn des treuen Dienstes zu Gunsten der Unmittelbarkeit und Unvermitteltheit einer nicht mehr in konkreten Familienverhältnis begriffenen, fast abstrakten Personalität. Die theologia negativa verdrängt auf dem Wege der Abstraktion die positive Seite und damit einen wesentlichen Teil der konkreten biblischen Anschauung.

Historisch unableitbar jedoch ist der Trieb, die Leidenschaft, das Pathos des Wortes, der Wörtlichkeit, der Verbalität. Hier wirkt eine historische Stromversetzung von großer Mächtigkeit. Aber sicher ist es eine volle Umkehrung der gemeinten biblischen Texte. Wenn biblisches Denken etwa anderwärts ein solches Denken nahelegt oder wenigstens nicht ausschließt, so ist jedenfalls seine Anwendung im Bereich der Aussagen über diathéke ausgeschlossen, auf welche es ja gerade angewendet worden ist.

Die hier geschilderte Entwicklung vollzieht sich also in zwei Abschnitten, von denen der erste den zweiten als konsequente Reaktion (und in etwa Umkehrung) bedingt. Es ist primär und zunächst die Ausbildung eines kirchenrechtlichen, bürgerlich-rechtlichen, staatsrechtlichen Personbegriffs, eines Subjektes, welches sich, abgelöst von den Beziehungen zu Gemeinschaft und Dingwelt als Subjekt seiner rechtlichen und ethischen Möglichkeiten als seiner Objekte versteht. Die damit verbundene und dadurch bedingte isolierte Objektivierung, Finalisierung und Verdinglichung des Gnadenbegriffs gab wiederum den Anstoß zu den Gegenwirkungen der Reformation. Aber erst durch das Zusammenschließen von Subjektbegriff und Wortbegriff bildet sich eine schlüssige, positive theologische Konzeption. Gott ist allein tätig und sein zusagendes Wort ist allein verläßlich.

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Was ist hier geschehen? Es ist jedenfalls nicht der reditus ad fontes. Das relative Recht der Bestreitung der scholastischen Theologie bezeichnet noch nicht das eigene Recht dieser Konzeption. Vollzogen ist in Wirklichkeit die folgerichtige Umsetzung der biblischen Botschaft in die Kategorien des bürgerlichen Zeitalters, noch bevor dieses zur geschichtlichen Reife kam. Wenn und soweit existentiale Interpretation Umsetzung in die geschichtliche Existenz ist, so ist hier eine existentiale Interpretation, gültig nicht für unsere Gegenwart, sondern für das bürgerliche Zeitalter, vollzogen — mit unbewußter Folgerichtigkeit. Hegels Kritik daran hat neuerdings Günther Rohrmoser erneut ins Bewußtsein gerückt, wenn er schreibt:27

„Die schöne Innerlichkeit der protestantischen Subjektivität ist als die von der Objektivität der Vernunft abgeschiedene und von ihrer Entäußerung zurückscheuende Subjektivität selbst für das rein Äußerlich-Werden der Welt verantwortlich, die sie gleichzeitig zu ihrer Rechtfertigung in Anspruch nimmt, um ihre Ohnmacht ebenso zu entschuldigen wie zu heiligen.”

Daß heißt dann aber, daß diese bürgerliche Interpretation für eine nachbürgerliche Zeit der erneuten Umsetzung bedarf, daß die jetzige, auf jenen Positionen beruhende konsequente Worttheologie eine Spätbildung, wenn nicht bereits ein Anachronismus ist.

Die folgerichtige Linie, die Ebeling darstellt und an der auffälligerweise trotz Kritik an Ebeling auch Bizer durch die Betonung des promissio-Gedankens festhält,28 ist also im strengen Sinne nicht Reformation, sondern Transformation. Was heute bewußt und gewollt, was Programm ist, ist damals jedenfalls unbewußt und ungewollt unter einem anderen Programmgedanken verwirklich worden. Die tiefen Spannungen in der Theologie Luthers sind die Spannungen zwischen Reformation und Transformation, zwischen biblischen Realismus und neuem Verbalismus.

Die Transformation ist also jedenfalls nicht, ihrem eigenen Antrieb und Selbstverständnis entsprechend, Reformation. Sie ist aber auch nicht einfach Deformation. Dieser Vorwurf ist aus der Einsicht in die anstößige Tatsache entstanden, daß das Entstehende nun eben nicht biblisch war und ist. Eine nicht-euklidische Geometrie hat freilich nicht die Bedeutung, die euklidische als falsch zu erweisen. Der Vergleich hinkt natürlich insofern, als die Maßgeblichkeit des biblischen Urzeugnisses bestehen bleiben muß. Aber nur wenn eine folgerichtige Transformation möglich ist, kann erst die Frage nach der inhaltlichen Übereinstimmung in der Verschiedenheit der Aussagen gestellt werden. Das ist solange nicht möglich, als der Tatbestand

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der Transformation überhaupt geleugnet wird. So gesehen hat die kritische Theologie die Frage nach der Geschichtlichkeit ihres Verständnisses noch gar nicht gestellt. Dies ist eine verhängnisvolle Folge ihrer subjektivistisch-ideengeschichtlichen Ausrichtung. Die Ubiquität der Vorstellungen und Gedankenverbindungen führt dazu, die Einheit der Epochen und damit die Geschichte selbst aufzulösen. Gerade diese Subjektivität führt daher zur Absolutsetzung der geschichtlich jeweiligen Auslegungsformen.

Das Programm der historisch-kritischen Theologie, das Evangelium in den geistigen Formen unserer Zeit zu verstehen, auszulegen und zu vermitteln, hat weiteste Anerkennung gefunden, nicht jedoch in gleichem Maße die verwendeten, für maßgeblich und zeitgerecht erklärten Denkmittel. Der Streit selbst darum wäre sekundär, wenn sich nicht dieser Versuch ständig in einem grundsätzlichen Selbstwiderspruch befände. Wenn es notwendig und gerechtfertigt ist, das Evangelium in den Denkformen unserer Zeit auszulegen, so setzt dies bei folgerichtiger Durchführung die Anerkennung voraus, daß jede Zeit das Recht des ihr eigenen Verständnisses besitzt. Die geschichtliche Auslegung, die Vergeschichtlichung der Auslegung muß jeder anderen Geschichtsepoche das Recht der Eigenständigkeit zubilligen. Die Umsetzung in die Moderne — wie sich diese auch immer verstehe — kann nicht mit dem Anspruch der Absolutheit verbunden werden. Wenn wir diese beanspruchen und vermeinen, das Evangelium aus der Verfremdung zur Eigentlichkeit des Verständnisses zu bringen, so betreiben wir jedenfalls etwas anderes: geschichtsfremde Aufklärung statt Vergeschichtlichung.

Dieser Systemfehler potenziert sich, wenn man zugleich diese Eigentlichkeit heutiger Interpretation bereits in der Reformation zu finden behauptet und meint, etwa Luther als ersten theologischen Existentialisten verstehen zu können. So wird nicht nur die Geschichtsdifferenz zwischen Gegenwart und biblischer Zeit, sondern auch diejenige zwischen und und der Reformation überspielt.

Beides ist freilich nur dadurch möglich, daß die verwendeten Hauptbegriffe, wie Geschichte, Wort, Existenz mehrdeutig und praktisch unbegrenzt auslegbar sind. Die Theologie ist damit so wenig veranlaßt, ihre Aussagen mit der konkreten Geschichte der Formen menschlichen Zusammenlebens zu konfrontieren und in ihnen zu belegen, daß alles unwiderlegbar behauptet werden kann, weil nirgends die Nötigung zur geschichtlichen Verifizierung besteht.

Recht und Bedeutung der Transformation würde erst hervortreten, wenn dieser Absolutheitsanspruch aufgegeben würde. Mit der

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Offenlegung dieses Problems stellt sich die Identitätsfrage in neuer Schärfe und Klarheit.

Daran freilich kann und darf kein Zweifel bestehen: das Recht jeder Transformation setzt voraus, daß das im Zeugnis des NT berichtete Geschehen nur durch die Übereinstimmung und durch den Zusammenhang mit diesem von unserem Tun und Verstehen durchaus unabhängigen Geschehen theologische Relevanz besitzt. Die Transformation rechtfertigt sich nur dadurch, daß sie sinngetreue und unverkürzte Vergegenwärtigung ist. Anders gesprochen: der christliche Glaube ist sowohl historisch wie geschichtlich. Beides miteinander im Blick zu behalten und zu vereinen, macht unser Problem aus.

b) Konversion

Die These von der Rezeption erfordert den Nachweis, daß die zentralen dogmatischen Aussagen über das Gottesverhältnis in den Kategorien einer bestimmten Rechtsepoche und sozialen Struktur ausgedrückt wurden. Es wurde zunächst versucht, dies für das NT selbst nachzuweisen; es  wurde ebenso versucht, die Umsetzung in Formen des bürgerlichen Kontraktrechts für die Reformation als Transformation darzutun. Als zweiter Schritt ist zu zeigen, daß diese Übernahme in das grundlegende Existenzverständnis auch in der Konversion durchgehalten wird. Dies ist in der Tat mit überraschender Folgerichtigkeit geschehen. Es wurde dargelegt, daß gerade im bürgerlichen Verkehrsrecht der Kaufmann, der Unternehmer, später auch der Handwerker und jedermann von einem ständigen Vertrauenswagnis abhängig ist. Diese ganze Rechtsordnung lebt vom Kredit und muß zugleich darauf bedacht sein, die Risiken der Kreditverbindung auf ein tragbares Mindestmaß zu beschränken. Nachdem einmal das Gottesverhältnis selbst auf die verbale Zusage, die promissio gestellt wird, wird die Radikalität dieses Gedankens erst recht sichtbar. Der Mensch soll nunmehr gerade das tun, was die Umkehrung seiner normalen Lebenssituation bedeutet. Die Sekurität des Bürgers ist, wie gezeigt, eine andere als die des Bauern; sein Bedürfnis geht auf Sicherheit in der Verkehrswirtschaft. Wenn Arbeiter und Angestellte in der industriellen Arbeitswelt soziale Sicherheit fordern, so eben darum, weil sie sich nicht selbst sichern können und dagegen gesichert sein müssen, daß die Risiken des Unternehmens und des Zahlungsverkehrs in einem untragbaren Maße auf sie überwälzt werden. Ihre Sicherheit beruht also nicht auf der verbalen Zusage, dieser oder jener Zusicherung konkreter

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Personen, sondern auf der Tragfähigkeit des Gesamtverbandes, der großen Versicherungsträger, der gesamten Wirtschaftsordnung, die durch ihr Instrumentarium die Krisen abfangen muß. Sekurität ist also in verschiedenen sozialen Systemen etwas völlig Verschiedenes. In unserem Zusammenhange aber wird nunmehr verlangt, daß der Mensch sich in seiner Glaubenshaltung weder auf die Zusage, auf Treu und Glauben von Menschen noch erst recht auf reale Deckungen verläßt, wie sie hier ebenso system-immanent notwendig sind. In einem extremen Sinne dem Existenzrisiko ausgesetzt, ist er zugleich in einer einzigartigen und unüberbietbaren Weise gedeckt. Von dieser Dialektik her ergibt sich nunmehr eine radikale Freiheit in den so eröffneten Lebensformen. Hier wird viel gefordert, weil auch viel gegeben wird. Genial sind hier Dogmatik und Ethik zur bruchlosen Übereinstimmung geführt. Was die Dogmatik in der Rechtfertigung durch den Glauben über die Existenz des Menschen im Fiduzialverhältnis sagt, findet seine Entsprechung in den Forderungen der Ethik. Oder anders gesagt: von dieser Dogmatik her kann und muß er sich in einer radikalen und folgerichtigen Weise auch ethisch verstehen. So gewinnt das biblische Wort „Alles ist euer” eine neue Bedeutung und einen neuen Zusammenhang.

So wie ich für das Gefälle zwischen dem Ursprungsgebiet des Evangeliums und der umgebenden antiken Zivilisation und für die weitere Geschichte der alten Kirche zwar eine Anzahl von Hinweisen auf die hier behandelten Zusammenhänge liefern konnte (Kap. III), aber nicht eine kontinuierliche Durchführung meines Gedankens durch die Kirchengeschichte, so habe ich für den Calvinismus im Gegensatz zum Luthertum nicht die gleich unmittelbar auswertbaren Zeugnisse zur Verfügung. Ich kann nur in einer gewissen Verkürzung die Richtung der Untersuchung aufweisen, die sich hier anbietet.

Denn diese Konzeption erfährt im Gegensatz zum Luthertum im Bereich des Calvinismus eine etwas andere Akzentuierung. Im Luthertum ist es die Antithese zwischen dem Glauben an die Zusage Gottes und dem Glauben an die Verläßlichkeit der Welt. Im Calvinismus ist die Verbalisierung schon so umfassend geworden, daß sie nicht mehr in bestimmten spezifischen Rechtsgedanken expliziert wird. Die sozialgeschichtliche Einordnung der reformierten Sakramentslehre ist nach dem bereits Gesagten deutlich. Die Bemühungen Luthers um promissio und testamentum erscheint so als ein Traditionsrest. Als zentrales, aber einziges konkretes Rechtsverhältnis erscheint — im Gegensatz zum Luthertum — sehr lebendig der Bund.

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Indem dieser mit der Erwählung verknüpft und insofern jedem geschichtlichen Geschehen vorgeordnet wird, ist die calvinische Grundkonzeption vielleicht um einen Grad rational folgerichtiger. Denn solange in der lutherischen Weise vom Glauben geredet wird, kommt dieser Mensch immer noch selbst ins Spiel, und es stellt sich das zusätzliche Problem, wie es pneumatologisch und psychologisch zu diesem Glauben kommt. Bekanntlich steht die Rechtfertigungslehre nicht im Zentrum der Theologie Calvins. In dieser wird nunmehr die Antithese zwischen Prädestination und Selbstmächtigkeit des Menschen ausgebildet: hier der geistliche Bereich, dort derjenige der freien Disposition des handelnden Subjekts. Es ist oft dargestellt worden, welche radikale Wirkungen gerade dieser Glaube durch die Freisetzung aktiver weltgestaltender Kräfte besessen hat. Freilich könnte hier ein Beispiel vorliegen, in welchem die Konversion durch den Rigorismus ersetzt wird (s. oben). Die denkerische Antithese von Prädestination und menschlicher Freiheit ermöglicht nicht zugleich eine eigentliche Konversion des menschlichen Handelns, sondern nur eine, freilich unerhört scharfe Disziplinierung. So kann an der Konversion vorbei die Eschatologisierung unmittelbar an die Rezeption anschließen.

Hier tritt nun, gerade im Bereich der lutherischen Konzeption, ein schwerwiegendes Zeitproblem auf. Ist die promissio reine Zukünftigkeit, so sind zwar alle falschen Festlegungen in die Gegenwärtigkeit und nach der Bedeutung des Vorfindlichen von neuem gestellt. Ist alles dergestalt zukünftig, so tritt alles Gegenwärtige, Innerweltliche unter ein negatives Vorzeichen. Es wird bedeutungslos, es zu verbessern. Es kann und muß auf weite Strecken seiner Gebrochenheit, der Härte, dem Zwang, der immanenten Ungerechtigkeit überlassen bleiben. Die extreme Zukünftigkeit ermöglicht eine quietistische Haltung.

Jedoch ist diese quietistische Haltung nur eine Möglichkeit und Linie. Eine wesentliche Folge ist eine durchgreifende Versachlichung der Gegenwart, die Anerkennung der nüchternen Forderungen des Jetzt und Hier. Das befreit und schützt vor ideologischen und klerikalen Verzerrungen. Die strukturelle Schwierigkeit liegt vielmehr darin, Gesetz und Evangelium nicht nur zu trennen, sondern auch zu verbinden, Gabe und Forderung des Evangeliums in der Gegenwart recht zu verstehen und festzuhalten. Damit ist eine tiefgreifende Entwertung und Auflösung gerade der geistlichen Strukturen verbunden, die als Gesetz mißverstanden werden. Die als Gefahr und

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Versuchung — gewiß nicht einfach als Wesensmerkmal — des Luthertums kritisch zu betrachtende Überwertung innerweltlicher Strukturen, Ordnungen und Traditionen ist die direkte Folge der Entwertung der Kirche, ihrer Eigenständigkeit und geistliche Präsenz. Die politische Tradition, Königtum und Nation wären von vornherein relativer gesehen worden, ihre Krise hätte nicht ein solches Vacuum erzeugen können. Wenn die Gegenwart wesentlich als Gesetz, die Zukunft als Evangelium verstanden wird, so bleibt zu wenig Raum für die präsentische Seite der Eschatologie, für communio und agape. Eine tiefgreifende Disproportion ist unverkennbar, und sie äußert sich auch in einem Mißverhältnis zwischen Weltoffenheit und Traditionalismus.

Jener promissio-Gedanke kann aber umgekehrt als reine Gegenwärtigkeit verstanden werden, in dem Sinne, daß der Mensch in der Zusage schon alles besitze, so daß die Zukünftigkeit selbst als ein mythologischer Gedanke erscheint. Diese Auffassung ist nicht einfach ohne Grund. Die einseitige oder zweiseitige Verpflichtung im Leistungskontrakt trägt in sich den Charakter der Verurteilung. Wer sich zu etwas verpflichtet, verurteilt sich selbst und bekennt sich schuldig, irgend etwas zu tun, mit oder ohne Gegenleistung, abstrakt oder kausal (in dem Sinne einer das Verhältnis begründenden Ursache und Gegenleistung). Wenn aber die Zusage geradezu Selbstverurteilung Gottes an unserer Statt ist, so ist der Mensch hier und jetzt schon so frei gestellt, daß der Gedanke der Zukünftigkeit, auch der Wiederkehr und des endzeitlichen Gerichts seine reale Bedeutung verliert. Diese beiden Bedeutungen des promissio-Gedankens, von denen keine als unschlüssig ausgeschieden werden kann, zeigen aber, daß mit der Einführung dieser Begrifflichkeit der Zeitbegriff selber sich auflöst, mehrdeutig und schwankend wird. In beiden Zeitdimensionen kann nunmehr das Gemeinte ausgesagt werden. Der Entscheidungsbegriff als solcher kann zur einzigen Sachaussage, zum einzigen Gehalt werden, wie es denn auch im Entscheidungsdualismus Bultmanns geschehen ist. Diese Aussageform steht in enger Verwandtschaft mit einer späten, erst in der Moderne voll ausgebildeten Form des Rechtsdenkens, des sogenannten Dezisionismus. Erst in dieser äußersten Formalisierung gewinnen wir Anschluß an Entwicklungen, die in der Moderne greifbar sind, deren problematische Konsequenzen aber in der Jurisprudenz wie erst recht im politischen Bereich längst deutlich geworden sind.29

Kein Zweifel, daß mit Vollmacht, theologischer Folgerichtigkeit und geschichtlicher Genialität der Widerspruch des Evangeliums gegen

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die typische Existenzhaltung der eigenen Epoche formuliert und durchgeführt worden ist. Dieser Zeitgerechtigkeit und Sachgerechtigkeit verdankt sicherlich die lutherische Reformation zu einem großen Teil ihre Überzeugungskraft, ihre durchschlagende Wirkung. Unbeschadet ihrer Radikalität aber konnte diese Konversion nur soweit reichen wie der Lebensbereich bürgerlicher Existenz selbst. Die großen Zusammenhänge geschichtlich-politischer Existenz konnten so nicht erreicht werden, weder direkt noch im Gedanken von Vorbild und Abbild. Ihre großen Leistungen hat diese Haltung in der pfleglichen Haushalterschaft am Gemeinwesen vollbracht, unter ständiger Verwechselung von guter Politik und guter Verwaltung.

Die politischen Zielsetzungen stellten andere, ältere oder neuere Kräfte. Damit war zugleich eine tiefgreifende unüberwindliche Partikularisierung verbunden. Die Eschatologie als ein universaler Aspekt trat in den Hintergrund. So ist dem Luthertum nur eine partielle Konversion, nicht aber eine vollgültige eschatologische Interpretation gelungen. Daher ist es auch über die begründete Abwehr des Schwärmertums hinaus dem eschatologischen Impuls der „christlichen Linken” nicht gerecht geworden. So hart wie irgendeine Konfession hat die lutherische Kirche hier eine Grenze gezogen, die seither für sie selbst eine Art Trauma bedeutet.

In fast spiegelgleicher Umkehrung ist es im Calvinismus gegangen. An die Stelle der Konversion traten Disziplin und Askese, gegen Lebensfreude und Selbstgenuß der humanistischen Renaissance. Dem ist old merry England, und mehr als dieses, zum Opfer gefallen. Prädestination und Bund aber gaben von vornherein einen universal-eschatologischen Horizont. Die ethischen Folgerungen lagen parallel zur expansiven Tendenz der bürgerlichen Haltung, nicht konträr zu ihr, und verhinderten zugleich die Partikularisierung. So entstand der Trieb zur Weltgestaltung zur Ehre Gottes, und dem vielberufenen syllogismus practicus wohnte wenigstens ein Quentchen der Notwendigkeit inne.

Die Unbefangenheit, mit der biblisch und noch lange Zeit das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft in Anwartschaft und Vollendung ohne Verkürzung des qualitativen Unterschieds zur Eschatologie dargestellt wurde, war aufgegeben worden. Mit diesem hohen Preis ist die Umsetzung des älteren und biblischen Verständnisses in die bürgerliche Modernität bezahlt worden. Damit ist auch das gesagt, was hier für den dritten Schritt, die eschatologische Interpretation zu bemerken ist.

Die mit weltgeschichtlicher Mächtigkeit und Legitimation vollzogene

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Transformation, die für einen wesentlichen Teil der Christenheit — aber doch nur für einen Teil — lebensbestimmend geworden ist, ist also nicht ohne deutliche Begrenzung und Vereinseitigung erreicht worden. Das Ganze des Evangeliums ist in scharfer Heiligkeit auf eine Ebene gebracht, auf welche alles andere dann bezogen wird, sofern es nicht in dialektischer Antithese abgestoßen wird. So unbedingt der Leitgedanke als vorgegeben vorausgesetzt wird, so kann doch aus prinzipiellen Gründen der Erkennende vom Gegenstand der Erkenntnis nicht abgelöst, aus dem Erkenntnisvorgang nicht herausgenommen werden, wie uns heute deutliche geworden ist. In diesem Zusammenhang gehören auch die geschichtlich-sozialen Bedingungen der Erkenntnis, die in der Konkretion der Rechtsgeschichte manifest und anschaulich werden. Diese in der Linie Hegel-Marx-Weber erwachsene Einsicht ist bisher nicht realisiert worden. Nimmt man sie ernst, so verbietet es sich, in eine uferlose Hermeneutik auszuweichen.