Die hier vertretene These legt es nahe, den Gedanken als eine Art Schlüssel oder Prüffrage durch die Kirchengeschichte weiterzuverfolgen.
Die Verhaltensstrukturen wie die aus dem sozialen Bereich entnommenen Modellvorstellungen, die das Selbstverständnis der Christen im Gottesverhältnis und im Leben der Kirche tragen, verdienen gegenüber einer more philosophico sich vollziehenden Lehrbildung besondere Beachtung.
Die kirchliche Rechtsgeschichte vollends hat die Einwirkungen des römischen, germanischen, byzantinischen usw. Rechts bisher fast ausschließlich in Bezug auf die großen Institutionen des Kirchenrechts, die Ämter, die Territorialverfassung der Kirche usw. untersucht, so besonders die Schule von Ulrich Stutz, zuletzt repräsentiert durch Hans Erich Feine. Nicht im gleichen Maße ist das in Bezug auf das Glaubensverständnis und den Exitenzvollzug des Christen versucht worden. So kann Feine etwa sagen: „Der Glaube war (oder blieb) römisch.” Was das aber besagte, wird nicht ausgeführt. Eine dogmatische Interpretation liegt dieser Art der Betrachtung
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fern. Dies verwickelte Unternehmen ist nicht das Ziel dieser Abhandlung. Einige Hinweise müssen hier genügen.
Die christliche Mission fand ein besonderes Feld ihrer Wirksamkeit zunächst in den Synagogen der jüdischen Diaspora, darüber hinaus in dem hohen Bevölkerungsanteil an Proselyten, welche nach neueren Schätzungen bis zu 20% der römischen Reichsbevölkerung ausgemacht haben können. Die Juden kamen aus den Verhältnissen Palästinas. Bei den zu Juden gewordenen Nichtjuden — vielfach Orientalen — war der Gedankenbestand der biblischen Theologie bereits weitgehend vorhanden. An ihn konnte angeknüpft werden. So ist etwa der Römerbrief sicherlich gerade nicht an Römer, sondern vorzugsweise an Juden und Judengenossen in Rom gerichtet, für welche eine Bundes- und Gesetzesproblematik bestand, welche dem Römer und Griechen gänzlich fremd sein mußte. Erst als dieser Kreis durchstoßen wurde und die Mission sich in größerem Maße an Nichtorientalen wendete, bedurfte es der Umsetzung in Verhältnisse, in welchen ungebrochen die Struktur der zivilisierten Spätantike zum Ausdruck kam. Das Ergebnis dieser Umsetzung finde ich z.B. in nicht wenigen Vorstellungen der lateinischen Kirchenväter. So wurde die Taufe als ein gegenseitiger Vertag mit Gott konstruiert, in welchem der Täufling Kultus und ethisches Wohlverhalten, Gott aber das Heil versprach. Dieser Vertrag wurde sogar in einer Urkunde verbrieft vorgestellt, welche von den Engeln als einer Art himmlischer Notariatsverwalter aufbewahrt wurde, um beim Jüngsten Gericht wie ein verfallener Schuldschein präsentiert zu werden.15 Das Sakrament andererseits wurde nicht so sehr, wie oft erörtert, als Fahneneid, sondern als Handgeld des kapitulierenden Berufssoldaten verstanden.16 Das innere Band dieser beiden, in ihrer Gegenständlichkeit uns fremden Vorstellungen liegt in der Verfassungswirklichkeit des Römischen Reiches, in den Begriffen des civis und der militia. Wie wichtig das Bürgerrecht war, welches einen wirksamen Rechtsschutz gewährte, zeigt ja das Verhalten des Apostels Paulus nach der Apostelgeschichte. Jene beiden Gedanken trugen sich gegenseitig auch im Selbstverständnis des Christen in der Kirche. Gab das Bürgerrecht den je Einzelnen eine sehr bestimmte Rechtsposition und einen Rechtsschutz, so verpflichtete die militia zum Kriegsdienst unter dem Imperium eines universalen Reiches. Beides ergänzte sich dadurch, daß die individuelle und private Seite des Bürgerrechts in den verpflichtenden Zusammenhang der militia eingebunden war, während sie andererseits verhinderte, daß die Kirche gleichsam eine Art große Militärmonarchie wurde.
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Von späteren Formen, in welchen das Evangelium in die sozialen Strukturen der Zeit umgesetzt worden ist, sind insbesondere die Auffassungen der Germanen der Völkerwanderungszeit bekanntgeworden, welche das Evangelium als den Aufruf eines mächtigen Kriegsherrn verstanden, dem man sich mit Leib und Leben zur Gefolgschaft verpflichtete, ebenso etwa die besondere Petrusverehrung der germanischen Stämme, die in dieselbe Richtung weist. Dabei ist aber nicht nur die gedankliche Ausgleichung, sondern allein die wenigstens im Ansatz folgerichtige Durchführung jener theologischen Konzeption für unsere Betrachtungen wesentlich.
Als die Spätantike reagrarisiert wurde und den unsteten Stämmen der Völkerwanderung anheimfiel, verband Benedikt die stetige Arbeit mit dem Gebet und unterstelle das Leben der stabilitas loci. Als in den Bürgerkommunen Italiens erstmalig der Reichtum der Verkehrswirtschaft, des Fernhandels sich anhäufte, erschrak die Christenheit, und die Söhne der reichen Kaufleute übernahmen das Armutsideal des Franziskus. Es waren spezifische Umkehrungen, die der Situation entsprachen. Sie sind von höchster Wirksamkeit für die Großkirche wie für die Geschichte überhaupt gewesen.
Diese Zusammenhänge sind nicht unbemerkt geblieben. Man hat von der „Antwort der Mönche” gesprochen. Aber das ist etwas anderes als das Verhältnis von challenge und response in der Geschichtstheorie Toynbees. Geht es dort um die Selbstbehauptung geschichtlicher Mächte, so hier um das Heil. Die formale Übereinstimmung der Einstellung auf eine neue Lage darf diesen grundlegenden Unterschied der Orientierung nicht verdecken.
Von der Durchsicht dieses großen historischen Stoffs, aus dem hier nur einige Hinweise gegeben werden sollen, wären bedeutende Revisionen der bisherigen dogmengeschichtlichen Auffassung zu erwarten. Es ist dabei wichtig zu erkennen, daß Kirche und Theologie keineswegs immer nur den jeweils vollzogenen und ausgebildeten sozialen Entwicklungen gefolgt sind, so daß immer erst eine Art Zeitabstand, eine Art Phasenverschiebung abzuwarten wäre. Im Gegenteil zeigt sich, daß Kirche und Theologie vielfach sehr frühzeitig vorgreifend noch in der Ausbildung begriffene soziale Entwicklungen aufgenommen, konsequent durchdacht und damit selbst auch vorangetrieben haben. In der Kirchenrechtslehre wird das sogenannte „Gesetz der Präzession” diskutiert, die Tatsache nämlich, daß bestimmte sozialgeschichtliche Entwicklungen, die in der Zeit lagen, gerade im kirchenrechtlichen Bereich deutlich früher und klarer ausgeprägt werden, als dies auf der weltlichen
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Seite der Fall ist. Dies gilt etwa für den Vergleich zwischen Kardinalskollegium und Kurfürstenkollegium. Die Entscheidung Alexanders III. für das Konsensprinzip bei der Eheschließung hat die erst in Gang befindliche Auflösung des Sippenverbandes bereits als abgeschlossen vorausgesetzt und damit ihrerseits durchgreifend gefördert. Denn wenn von da ab jeder junge Mensch durch den einfachen Konsens ohne Familie und ohne Priester heiraten konnte, so war auf diesem zentralen Gebiet dem Familienverband jede reale Bedeutung genommen.
Gegenüber solchen Vorgriffen stellt sich an manchen Stellen umgekehrt die Frage, ob die theologische Ethik zuweilen in Verkennung der geschichtlichen und rechtspolitischen Situation in auffallender Weise eher sozialromantisch verfahren ist. die Forderung Luthers etwa, daß die Kinder nicht ohne Zustimmung der Eltern heiraten sollten, erscheint im Verhältnis zur mittelalterlichen Rechtsentwicklung anachronistisch, während sie andererseits sich durchaus in die auffällige Verstärkung einordnet, welche der Autoritätsgedanke vom 16. bis 18. Jahrhundert erfahren hat.
Die Verfolgung dieses Gedankens durch die — auch insoweit sehr verwickelte — Kirchengeschichte führt zu der Frage, ob hier in zwei deutliche unterscheidbaren Weisen verfahren worden ist. Nicht überall treten Konzeptionen auf, die wenigstens versuchsweise eine Konversion, eine umkehrende Gegenbildung nach biblischem Vorbild zum Ziel haben. Eine solche Umkehrung bedeutet ja Entgegensetzung und Diastase. Daneben aber findet sich immer wieder die Beziehungsform der Analogie. Wieweit das durch platonische Einflüsse bedingt ist, muß ich hier ununtersucht lassen: es stellt jedenfalls eine Alternative zur Konversion dar. Die theologisch-religiöse Motivierung bleibt dabei durchaus erhalten; keinesfalls kann man diese Form primär aus Anpassung an die Welt und Komprimißbereitschaft erklären. Reich Gottes und weltliche Herrschaft werden, auf die Struktur betrachtet, in Parallele gesehen. Der Ähnlichkeit wird von der Unähnlichkeit der Vorzug gegeben. Tritt damit der qualitative Gegensatz der Konversion in den Hintergrund, so muß das theologische Gegenbild innerweltlicher Bildungen spiritualisiert, zugleich aber seine Andersartigkeit durch rigorose Strenge festgehalten werden. Der Rigorismus verdeckt die Ähnlichkeit. Die Verbindung von Spiritualisierung und Rigorismus führt dann zu einer besonderen Betonung der Eschatologie in der Zeit. Der Mangel der Konkretion wird so überspielt. Beispiele dafür ließen sich bis in die protestantische Theologie der Gegenwart zeigen. Ich beschränke
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mich hier auf die zunächst gegebenen Hinweise und Belege und auf die methodische Erwägung. In der Folge wende ich mich einem besonders wichtigen, für uns selbst entscheidenden Vorgang zu, der Reformation, mit dem Schwerpunkt auf deren lutherischen Zweig.