Es war die erste These, daß das Verständnis menschlicher Existenz im Lichte der Aussagen des NT nicht unter Absehen von den geschichtlich-sozialen Strukturen des menschlichen Lebens geklärt werden kann. Die zweite These ist, daß eine Methode ermittelt werden kann und muß, nach welcher das NT selbst nach seinen markantesten Aussagen mit der sozialen Wirklichkeit seiner Zeit und Umwelt folgerichtig verfährt.
Der erste Schritt diese methodischen Verfahrens liegt nun darin, daß die sozialen Strukturen der Zeit diskussionslos vorausgesetzt, als gegeben angenommen, nach der hier gewählten Terminologie „rezipiert” werden.3a Damit ist zweierlei gesagt. Dem NT fehlt jeder
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sozial-reformerische oder revolutionäre Antrieb. Davon ist durchaus zu unterscheiden, daß der Glaubende unablässig darauf verwiesen wird, in seinem Handeln, weil er gerechtfertigt ist, eine bessere Gerechtigkeit zu leben. Ebenso aber fehlt dem NT jede Neigung oder Bereitschaft, die bestehenden Verhältnisse zu legitimieren oder etwa theologisch-religiös zu begründen. Etwa wird von den Vätern gesagt, sie könnten ihren Kindern gute Gaben geben, obwohl sie arg seien. Hier wird deutlich, daß nicht zunächst etwa die Vaterschaft dieser Väter um dieser guten Dienste willen begründet, anerkannt und gelobt wird. Ohne jeden Anlaß, aber offenbar nicht ohne Grund, wird diesen für ihre Kinder sorgenden Vätern sozusagen um die Ohren geschlagen, daß sie arg seien. Es ist ein argumentum a minori ad majus: wenn selbst die argen Väter für ihre Kinder sorgen können, wieviel mehr der Vater im Himmel! Es besteht also auch kein Interesse an dieser Stelle, nach theologischem Sprachgebrauch Gesetz und Evangelium nebeneinander zur Geltung zu bringen.
Diesem doppelten Desinteresse an Reform wie an Bestätigung entspricht die Tatsache, daß die Wirkung des Christentums auf die Geschichte der sozialen Strukturen eine ebenso widersprüchliche wie doppelläufige gewesen ist. Das Christentum hat durch das, was es ohne Absicht von Reform oder Revolution vertrat, in weitestem Maße reformierend, ja revolutionär gewirkt. Und es hat andererseits, ohne daß es die vorfindlichen Strukturen heiligte, durch das Desinteresse an Reform und Revolution zugleich konservativ gewirkt. Nur in dieser dialektischen Einheit kann die gar nicht abzuschätzende Wirkung des Christentums für die soziale Geschichte der von ihm geformten Völker verstanden werden.4 Durch diese Rezeption aber bewies und sicherte die christliche Verkündigung gerade ihre Freiheit von der Welt, um ihr dieser Welt radikal widersprechendes Ziel zu bewahren, offenzuhalten. Sie vermied es folgerichtig, sich mit dieser Welt gemein zu machen. Sie hätte sich aber an diese Welt preisgegeben, wenn sie sich mit den revolutionären oder konservativen Zielsetzungen der Welt identifiziert hätte. Diese Rezeption bedeutet also nicht eine von Anfang an einsetzende Verfremdung, die mit dem Eintritt in die Geschichte wie eine Art Sündenfall unvermeidlich geworden wäre. Der Kategorie der Verfremdung ist inzwischen nahezu die gesamte Kirchengeschichte zum Opfer gefallen. Ohne die Kraft der Entäußerung aber geschieht gar nichts in der Geschichte. Dann kann man immer nur steril bei seiner wohlbehüteten Eigentlichkeit bleiben — oder ihr nachtrauern. Was sich
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hier eingebürgert hat, beeinträchtigt auch die Möglichkeit eines offenen Verständnisses für das, was wir im NT selbst vor uns haben.
Diese Rezeption aber erfolgt, wie aus ihrem Begriff und der gegebenen Beschreibung folgt, eben nicht um ihrer selbst willen, sondern um den Raum für einen zweiten Schritt freizuhalten, der unter ihrer Voraussetzung erfolgt. Diesem zweiten zu beschreibenden Schrift folgt dann ein dritter. Bei dem „zweiten” und „dritten” Schritt handelt es sich eher um zwei Seiten ein- und desselben Vorgangs. Die werden hier gesondert betrachtet, weil zuweilen der eine Schritt ohne den anderen vorkommt, die eine Seite im Verhältnis zur anderen nicht voll ausgebildet, nicht deutlich aufzuweisen ist.
Der hier gemeinte zweite Schritt ist die Konversion, die Umkehr, die Bekehrung. Im Sinne unserer Betrachtung handelt es sich nicht nur um jene Umkehr des Sinnes des Einzelnen, mit dem die Verkündigung Johannes des Täufers gleichsam das Präludium des Neuen Testamentes bildet. Es handelt sich vielmehr um die Umkehr des Einzelnen in der Umkehr der sozialen Struktur. Um diesen Gedanken zu verstehen und zu belegen, muß man die sozialen Strukturen ins Auge fassen, in welchen der Mensch der biblischen Zeit lebte, von denen seine Existenz bestimmt wurde. Es sind dies die patriarchalische Familie, genauer das Verhältnis von Vater und Sohn, Mann und Frau, es ist das ökonomische Verhältnis von Herr und Knechten und es ist das politische Herrschaftsverhältnis von Fürst und Untertan.
Mit dem Verhältnis vom Vater zum Sohn berühren wir ein zentrales Thema des NT. Die Tragweite dieser Aussagen aber erschließen wir erst, wenn wir jene dunklen Worte mit einbeziehen, in denen vom Menschen eine neue Geburt, in denen gefordert wird, daß er werde wie in Kind. In der patriarchalischen Familie richtet sich das entscheidende Lebensinteresse des Mannes darauf, mündig zu werden. Mündig aber wird er erst durch den Tod des Vaters. Das Patriarchat ist vor allem ein genealogisches Prinzip, nach welchem unweigerlich der Ältere dem Jüngeren vorgeht.5 Auch der erwachsene Haussohn kann also erst eigenen Rechtes werden, wenn der
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Vater stirbt. Der Vater bleibt im Regiment auch dann, wenn etwa die Bewirtschaftung des bäuerlichen Besitzes aus Altersgründen längst auf die Söhne übergegangen ist. Erreicht aber der Sohn nach langen Jahren des Wartens durch den Tod des Vaters die ersehnte Spitzenstellung, so hat er nur noch eine kurze Spanne des Lebens vor sich. Er hat niemanden mehr im Rücken, der vor ihm zu sterben hat. Fröstelnd sieht er sich der Endlichkeit des Lebens gegenüber. Es bedarf hier keiner gewohnheitsmäßigen, pseudoreligiösen „Verunsicherung” des Lebens. Mitten in der institutionellen Ordnung und gerade durch diese erweist sich, daß das Prinzip der Geschlechterfolge ein Gesetz nicht zum Leben, sondern zum Tode ist. Eben darum widerspricht die Verkündigung des NT den natürlichen Lebenszielen des Menschen, des Mannes auf Mündigkeit und eigenes Recht, und konvertiert das Lebensziel in die Unmündigkeit: anstößig und unverständlich für das selbstverständliche Lebensgefühl, welches die Reife und Krönung des Lebens in Weisheit und Würde des Alters sieht. Noch viel weniger ist davon die Rede, daß der Mensch möglichst, sobald er zur Einsicht und Geschlechtsreife kommt, mit 18, 21 oder 25 Jahren die ihm von Natur zustehende Selbständigkeit und Mündigkeit als Vollrecht erhalten solle. Obwohl die junge waffenfähige Mannschaft wohl überall auch in archaischen Gemeinwesen zu politischen Rechten gelangt, liegt doch ein solcher Gedanke der Mündigkeit außerhalb des Horizontes des NT. Es will nicht das, was dem Familienoberhaupt zukommt, billigerweise auf alle ausdehnen und verallgemeinern. Es fordert zunächst, unbedingt und radikal eine Umkehrung des Lebenssinnes. Erst danach und durch diese hindurch kann dann in der Folge auch im NT von Mündigkeit die Rede sein. Der so viel in der heutigen Theologie verwendete Begriff der Mündigkeit ist leider niemals kritisch auf seinen zeitgeschichtlichen Stellenwert untersuch worden. Mündigkeit ist von Hause aus ein Rechtsbegriff und kann unter Überspringung dieser Usprungsbedeutung nicht sachgemäß ausgelegt werden.
Die sehr entschiedenen Worte Jesu über die Unscheidbarkeit der Ehe (Matt. 19, Luk. 16) haben nicht nur die Pharisäer, sondern auch seine eigenen Jünger befremdet, wie die Texte deutlich zeigen. Er verwirft das mosaische Scheidungsrecht als Ausdruck der Herzenshärtigkeit; aber er stellt dem kein Liebesgebot gegenüber, wie später Paulus im Epheser-Brief (Eph. 5). Eben dadurch tritt die Härte dieser Aussage um so entschiedener hervor. Er stellt keine
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Forderungen auf, sondern verweist auf das, was ist. Denn wenn Gott die Menschen zusammengefügt hat, so verbietet es sich von diesem Tatbestand her von selber, sie zu scheiden und wider den Stachel zu löcken. Dieses Wort ist eines der wenigen, in welchen Jesus direkt die traditionelle und institutionelle Ordnung seines Volkes als solche — nicht nur ihren Gebrauch und Mißbrauch! — angreift und korrigiert. Er verweist auch nicht vorwärts auf ein neues Sein, auf ein neues Leben, sondern rückwärts auf den Ursprung, auf den Beginn, auf die Schöpfung, die „arché”. Man ist versucht, hier das Wort von Ferdinand Lassalle zu zitieren, von der „Macht auszusprechen, was ist”. Ist es so, wie es hier gesagt wird, so ergeben sich alle weiteren Folgerungen von allein. Eben darum kann man diese Texte nicht unter dem Gesichtspunkt ethischer Forderungen auslegen und verstehen.
In allen älteren Rechten erwirbt der Mann durch einen Vertrag mit dem Gewalthaber das Schutzrecht über die Frau. Es ist ein Statuskontrakt, um mit den Begriffen Max Webers zu reden, durch den „jemand jemandes wird”. Die Frau ist weder Sklavin noch Gegenstand, wohl aber Schutzbefohlene und Schutzunterworfene, sie tritt an Tochter Stelle (filiae loco). Der Statuskontrakt geht auf Herrschaftsübertragung. Er verbindet sich regelmäßig mit vermögensrechtlichen Geschäften, sei es Brautkauf, sei es Mitgift. Da es sich aber in beiden Linien um statusrechtliche Akte handelt, ergibt sich schon daraus die Parallelität zwischen den personenrechtlichen und den sachenrechtlichen Rechtsakten. So können beide bis zur Ununterscheidbarkeit miteinander verschmelzen und das Mißverständnis erzeugen, als handele es sich um sachenrechtliche Rechtsvorgänge. Aber gerade wenn man diesen suspekten Gesichtspunkt der Verbindung von Personenrecht und Sachenrecht ins Auge faßt, welche im Herrschaftsrecht des Mannes zusammenlaufen, kommen wir der Bedeutung jener Worte näher als durch eine Auslegung in ethischen Kategorien. Die Entwicklung des Verhältnisses von Mensch und Sache, die Entstehung der rechtlichen Sachherrschaft, ist ein seelengeschichtlicher, nicht allein ein wirtschaftlicher Vorgang. Der Mensch erfaßt die Dinge, ordnet sie sich zu, durchdringt sie mit seiner Lebenskraft. Aber indem er sie so beherrscht, wirken sie auch auf ihn zurück.
„Die Sache bestimmt den Menschen insofern, als er sich ihr in irgendeiner Weise preisgeben muß, um sie zu besitzen, sei es, daß er sie im Schweiße seines Angesichts arbeitend herstellt, sei es, daß er sich durch Aufopferung anderer Werte erkauft oder daß er ein Erbe
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zu erhalten hat, an das er damit zugleich gebunden ist. Indem er etwas hat, ist er etwas ebenso Bestimmtes. Er ist der Bauer, der Untermüller, der Fabrikbesitzer bis hin zur Lächerlichkeit der Münchener Realitätenbesitzerswitwe … Jene enge Durchdringung der Sache durch den Menschen verbietet es folgerichtig, sie willkürlich von seiner Existenz abzulösen. Damit verbietet es sich gleichzeitig, sie auch aus seiner sozialen Existenz herauszunehmen.”6
Der Mensch qualifiziert also die Sache, aber die Sache qualifiziert auch ihn. Über dem Stadttor von Jüterborg hängt eine Keule samt der Inschrift: „Wer seinen Kindern gibt das Brot und leidet dabei selber Not, den schlag man mit der Keule tot”. Hier ist nicht gemeint, daß die Eltern nicht ihr letztes Brot mit den Kindern teilen sollen. Brot heißt hier die Lebensgrundlage. Wer seinen Hof an den Sohn übergibt und dadurch zum Bettler wird, hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn er keinen Platz mehr in der Gemeinschaft hat. Hier wird die Unablösbarkeit der Existenzgrundlage vom Menschen deutlich gemacht.
Auf ähnliche Beziehungen verweist jenes schwer deutbare Herrenwort. Erwirbt der Mann nach den Rechtsanschauungen seiner Zeit das Herrschaftsrecht über die Frau, so werd er auch selbst dadurch qualifiziert, gerade wenn man die relative Nähe von Personenrecht und Besitzrecht in den alten Rechtsordnungen ernst nimmt. Dann aber kann er sich aus diesem Verhältnis, das auch ihn selbst bestimmt, nicht willkürlich durch Verstoßung oder Verschmähung loslösen. Er kehrt sich damit gegen sich selbst; er schneidet sich in das eigene Fleisch. Es genügt hier die Aufdeckung der Tatsache, um den Selbstwiderspruch in diesem Verhalten klarzustellen. Man kann ein solches Herrschaftsrecht nicht erwerben, um es wie einen einzelnen Gegenstand von der eigenen Existenz abzulösen. Gerade die realrechtliche Eheschließungsform, welche dem Mann ein Schutz- und Herrschaftsrecht verschafft, war ihren ursprünglichen Sinne nach unscheidbar. Dies ist etwa für die altrömische manus-Ehe anzunehmen.7 Die Herrschaftlichkeit der Rechtsreform wird also rezipiert und vorausgesetzt. Sie hat die Tendenz zur selbstherrlichen Verfügung, wie hier in der mehr oder minder willkürlichen Scheidung und Verstoßung. Entgegen diesem natürlichen Gefälle wird hier darauf verwiesen, daß die Herrschaft, an ihren Gegenstand gebunden, sich nicht selbst aufheben kann.
Die Konversion liegt also in einer ähnlichen Weise wie die Umkehrung von der erstrebten Mündigkeit in die Unmündigkeit in der Umkehrung des Gefälles zur freien Verfügung in die ursprüngliche
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Bindung. Paulus hat im Epheser-Brief dieses radikale Wort zugleich ausgelegt wie weitergebildet. Das Verhältnis (als kephalè-Struktur) und das Verhalten werden zusammengesehen. Auch für ihn bleibt der Mann des Weibes Haupt. Aber er stellt nunmehr die Ehe unter das Liebesgebot und damit zugleich in Parallele zu dem Verhältnis und dem Verhalten Christi zur Gemeinde. So wird die schon in dem unmittelbaren Herrenwort vollzogene Umkehrung der Anschauung über die Konversion hinaus eschatologisch ausgelegt. Es ist bemerkenswert, daß die starke Betonung der Weltlichkeit der Ehe im Gegensatz zur Lehre von der Sakramentsnatur deutlich zum Verlust der im Epheser-Brief eröffneten eschatologischen Dimension geführt hat. Erst neuerdings ist diese wieder deutlicher ins Bewußtsein getreten.
Die Seinsaussagen der synoptischen Texte jedenfalls lassen sich folgerichtig, wie mir scheint, nur durch eine Interpretation der im damaligen Familienrecht begründeten realen Herrschaftsverhältnisse erschießen, ohne daß man die Ebene verläßt, auf der sie stehen. Im Fortgang zwischen den synoptischen Texten zu der paulinischen Auslegung haben wir freilich den Schritt von der Konversion, als der zweiten Etappe zur eschatologischen Interpretation, dem dritten Schritt schon vorweggenommen.
Das dritte Thema, das wir vorfinden, ist das der politischen Herrschaft. Eine der markantesten Aussagen des NT besagt: „Die Gewaltigen herrschen und die Fürsten haben Macht. Ihr aber nicht also. Wer unter Euch der Erste sein will, der soll aller Diener sein.” (Mk. 10/42). Die Auslegung dieses viel zitierten Wortes wirft eine sehr grundsätzliche Frage auf. Handelt es sich hier, wie an vergleichbaren Stellen, um eine religiöse Aussage, die radikal und quer durch die immanente Strukturgesetzlichkeit dieser Welt hindurchgeht? Dann würden wegen dieser Andersartigkeit religiöser Haltung die Bedingungen des weltlichen Regiments mit souveräner Haltung beiseite gesetzt. Wer nun in diesem Regiment ist, könnte dem mit einigem Recht den Satz entgegenhalten: Ihr laßt uns Arme schuldig werden, dann überlaßt Ihr uns der Pein. Ihr laßt uns die Hände an den Dingen der Welt schmutzig machen, die doch zu Eurem Leben notwendig sind, und bewahrt pharisäisch Eure Reinheit. Der Hinweis auf die unbehebbare Differenz zwischen der Haltung des Glaubens und der Haltung unter den Notwendigkeiten der Welt würde diesen Vorwurf und Einwand doch nicht voll entkräften. Die umgekehrte
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Meinung wäre die, daß die Situation des Menschen in der Macht auch im NT in einer so schlagenden und treffenden Weise aufgedeckt wird, daß ihre Gesetzlichkeit erst recht einsichtig und verständlich wird. Es läßt sich also das, was das Evangelium hier zur Macht meint, gewiß nicht aus dem Wesen der Macht ableiten. Wenn aber mit den Auslegungen des Evangeliums offensichtlich das Wesen der Macht vollständig verkannt, übergangen und beiseite gestellt würde, so wäre dies doch ein Anlaß zur Prüfung, ob wir die kritische und richtungweisende Aussage des Evangeliums in einem wesentlichen Sinne mißverstanden haben. Die in der zweiten Deutung bezeichnete Möglichkeit sollte bis zu Ende durchdacht werden.
In der Auslegung dieses Textes gilt es demnach zu ermitteln, inwiefern und warum nun eigentlich die Macht als korrupt gilt. Es ist eine im Alten und Neuen Testament durchgängige Anschauung, daß Macht, Wohlstand, Reichtum dem Heile abträglich seien, wie denn auch der Reiche schwerer in das Himmelreich kommt als das Kamel durch ein Nadelöhr. Aber zum Unterschied von dieser allgemeinen Beurteilung der Situation von Reichtum und Macht, ihrer Versuchung und Gefährlichkeit wird ja hier eine direkte Umkehrung des Verhaltens gefordert, diese Beurteilung also radikalisiert. Diese Radikalisierung aber ist nicht damit zureichend erklärt, daß man Forderungen feststellt, die ihre eigentliche Bedeutung in ihrer Unerfüllbarkeit haben. Denn wenn eine ernstzunehmende Forderung aufgestellt wird, so ergibt sich auch der Zwang zu sagen, wie in den gegebenen Verhältnissen des Lebens überhaupt verfahren werden kann. Die Frage stellt sich heute noch viel deutlicher. Wäre denn der evangelischen Forderung genügt, wenn alle in der Macht Befindlichen brave Beamte wären, die in vollkommener Sachlichkeit, für bescheidenes Gehalt und ohne besondere Ehren sich mit dem Wohle der ihnen Anvertrauten widmeten, wenn also der Staat, mit heutigen Begriffen zu reden, ein voll funktionalisierter Wohlfahrtsstaat wäre? Wäre die Forderung der Evangeliums verwirklicht, wenn das demokratische Ideal herrschaftsloser Herrschaft realisiert wäre, die Erniedrigung der Machthaber und die Erhebung der Staatsbürger auf einen unterschiedslosen Mittelwert, ein „juste milieu”? Aber weder Funktionalisierung noch Demokratie sind in irgendeinem Sinne im Horizont des NT. Es denkt personal (und) in konkreten Machtverhältnissen. Es ist kritisch gegenüber der Macht des Menschen, aber es redet unbefangen von der Macht Gottes und der Vollmacht, die er verleiht. Es ist radikal in der Machtkritik, aber entbehrt vollständig eines Machtkomplexes.
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Die Auflösung dieser Widersprüche kann nicht ohne die Einsicht in die Struktur der politischen Macht selbst gefunden werden. Jede etablierte politische Herrschaft ist doppelwertig. Sie besitzt einen Funktionswert und einen Darstellungswert. Wie uns Rudolf Smend gelehrt hat, ist der Staat und das politische Gemeinwesen in allen historischen Formen in einem bestimmten Sinne identische mit seiner Sinnverwirklichung, welche über die Erfüllung gegenständlicher administrativer und ökonomischer Aufgaben hinausgeht. Ein jedes Gemeinwesen hat seinen Funktionswert. Die Aufgabe der Polizei, der Gerichtsbarkeit, der Wirtschafts- und Steuerpolitik betreffen alle, die in einem Staatsverbande leben und haben einen eindeutigen Sinn. Ob sie etwas besser oder schlechter wahrgenommen werden, ist letzten Endes gegenüber ihrer Notwendigkeit nicht entscheidend, so mißlich immer schlechte Politik und Verwaltung sein können. Aber eben in diesen evidenten Notwendigkeiten geht das Gemeinwesen nicht auf. Sein integrierender Darstellungswert wird in monarchischen Staaten sehr unbefangen durch die Herrlichkeit, durch die Herrschaftsdemonstration des Fürsten, durch den Inbegriff seiner Machtäußerungen und Machtsymbole repräsentiert. Analoges geschieht in nicht weniger sinnfälliger Weise in allen Staaten und zu allen Zeiten. In dieser Repräsentation kommt der politische Sinn und die Besonderheit dieses Gemeinwesens zum Ausdruck, an welcher auch der einzelne einen Anteil hat, obwohl er selber die Repräsentation nicht oder nur passive vollzieht. Eben deshalb stellt sich ein Staat in besonderem Maße in der unverwechselbaren Form seiner Ämter dar. Jene beiden Seiten des Politischen liegen ineinander, ergänzen sich aber auch. Gewisse barocke Formen des Fürstenstaates haben den Darstellungswert so hoch getrieben, daß dadurch der Funktionswert nahezu aufgehoben und beides miteinander gefährdet wurde. Ein Gemeinwesen jedoch, das rein auf die Funktion gestellt wird, verliert jeden Sinn seiner Eigenexistenz und damit auch den Gesamtsinn, die Orientierung seines funktionalen Verhaltens. Nun ist jenem Wort des NT eine egalitäre Auslegung nicht angemessen. Heinz-Dietrich Wendland hat nachgewiesen, daß im NT der Gedanke der Gleichheit wie der Ungleichheit nebeneinander und miteinander vorkommen.8 Beides sind eschatologische Gedanken. Es ist der endzeitliche Gedanke der Gleichheit angesichts des Jüngsten Gerichts und der grundsätzlichen Neuheit der Schöpfung. In diesem Sinne kann Galater 3, 28 davon sprechen, daß hier nicht Mann und Weib, noch Jude, noch Grieche sei, also keine innerweltliche Unterscheidung gelte. Unser Wort dagegen spricht
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unbefangen von den unterschiedlichen Rängen im Reiche Gottes. Der Feldmarschall Moltke hat mit ernsthaften Scherz gesagt, das Jüngste Gericht werde das größte Revirement sein, welches die Preußische Armee je erleben werde. Dies könnte in der Tat heißen, daß die Putzer Feldmarschälle, die Leutnants Divisionäre würden und umgekehrt. Es könnte aber sehr wohl sein, daß ein kommandierender General auf seinem Posten bleibt, wenn er sich durch den Unverstand und die Trägheit seiner Untergebenen auch in seiner Kommandogewalt nicht hat versuchen und verhärten lassen. Ich habe mit Sorge die innere Entwicklung eines bedeutenden Politikers erlebt, dessen brüderliche Aufgeschlossenheit für Rat, Zuspruch und Widerspruch durch die verstockte Widerständigkeit seiner eigenen alten Freunde in einer geistliche gefährlichen Weise in Frage gestellt wurde.
Unser Wort kann nach diesen Einsichten also nur richtig ausgelegt werden, wenn das Wesen politischer Macht in seinem ganzen Umfang, also nach beiden Seiten, verstanden und ausgelegt wird. Handelt es sich hier um eine echte Konversion, um eine Umkehrung, so handelt es sich offenbar nicht um eine Applanierung der Unterschiede auf jener beschriebenen mittleren Ebene. Dann dürfen sich im Gegenteil diejenigen, die sich jetzt bewußt zum Diener machen, die Verheißung zuschreiben, daß sie eben darum im Reiche Gottes voranstehen werden. Von der bloßen Funktion der Dienstbarkeit her ist dies überhaupt nicht verständlich. Die Dienstbarkeit, die das NT anschaulich im Blick hat, ist ja etwa die Dienstbarkeit des Gesindes in einer mindestens großbäuerlichen Landherrschaft mit vielfältigem Besitz, Vorwerken, Pachtland und auch Geldbesitz. Die Knechte nehmen die Besitzinteressen diese Herrn — der auch ihr Gerichtsherr ist!!, — in einem unterschiedlichen Grade der Selbständigkeit wahr, aber immer unter verantwortlicher Haftung. Ihnen wird jetzt zugesagt, daß an Stelle der Herrlichkeit dieses Fürsten eine Herrlichkeit eines anderen Herrn tritt, an welcher sie dann Teil haben. Die Voraussetzung aber dafür ist es, daß sich sich selber in dieser Zeit zum Dienste erniedrigen, weil die Herrlichkeit dieses Herrn sich gerade an den Schwachen und in den Schwachen erweist, ihnen besonders zugewendet ist. Es ist also nicht die Struktur der Macht korrupt, sondern ihr Träger. Sofern die Macht ihren Funktionswert besitzt, ist sie ohnehin wenigstens einigermaßen gut und recht, mindestens notwendig. Der Darstellungswert aber ist deswegen korrupt, weil diese Herrscherherrlichkeit im letzten Sinne eine Eigenmächtigkeit des Menschen ist, die sich selbst erhebt und ausspricht. Diese
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Korruption ist also keine andere als die des Menschen überhaupt und wird lediglich am Problem der Macht besonders sinnfällig deutlich. Auch der Mensch ist eine Stecke weit seiner selbst mächtig. Seine Macht teilt die Struktur aller Macht, die Ambivalenz des Anziehenden und Abstoßenden und die Doppelseitigkeit von Selbstsinn und Funktionsbestimmtheit. Der Mensch also, der die Macht angreift und kritisiert, kritisiert recht verstanden sich selbst und kann dieses allgemein Menschliche nicht speziell auf die Darstellung der Macht und ihren Gebrauch ablasten. Deswegen kann diesem Problem auch nur so begegnet werden, daß der weltlichen Macht ein Herrschaftsbereich gegenübergestellt wird, in welchem allein die Macht und Herrlichkeit Gottes in jedem Sinne zur Darstellung kommt und alles übrige nur daran hängt. Die berühmte im Bereich der christlichen Kirche ausgebildete Formel „von Gottes Gnaden” besagt gerade nicht die sakrale Heiligkeit oder Göttlichkeit dieser Herrschaft, sondern die Nachordnung und Ableitung dieser Herrschaft von dem einzigen Herrscher, den der Glaube anzuerkennen vermag. Der christliche Republikanismus, der darum jeder Form monarchischer Herrschaft abhold ist, bewahrt diese biblische Einsicht auf, weicht aber zugleich dem Problem der Darstellung der Macht aus, die in jeder denkbaren Verfassungsform hervortreten muß und sonst nur verdrängt werden kann. Ein Verständnis unserer Stelle ist jedenfalls vom Gedanken der Funktionalisierung her, von der radikalen Versachlichung der Macht gerade biblisch nicht zu begründen. Der hier proklamierte Dienstgedanke hat seine Bedeutung nicht in der Versachlichung, sondern seine verborgene, aber transparente Würde durch eine Beziehung, die sub contrario verborgen bleibt, die Beziehung zur eschatologischen Herrlichkeit des Herrn. Der Gedanke der Umkehrung ruft diese Einsicht um so radikaler hervor, als sie einem naheliegenden Mißverständnis und einer gegenwärtigen Zeitstimmung sehr deutlich widerspricht.
Gehen wir die Gegenstände der Umkehrung durch, so treffen wir auch auf den ökonomischen Bereich, dargestellt im Eigentum wie in der Verwaltung fremder Güter. Die einfachste Umkehrung des Eigentums ist die Forderung an den reichen Jüngling, sein Gut den Armen zu geben und dem Herrn nachzufolgen. Diese Forderung wird nirgends verallgemeinert und als durchgängige Hauptregel vertreten. Für die Leute in bescheidenen Verhältnissen, die sich von ihrer Familie lösen, um in die Jüngerschaft einzutreten, spielt
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die Aufgabe des Besitzes oder des Anteils am Familienvermögen offenbar nur eine geringe Rolle. Das Gebot der Armut trifft eigentlich nur die Reichen, weil nicht nur die Armen, sondern auch die in bescheidenen Verhältnissen sich Nährenden der besonderen Versuchung enthoben scheinen, die das NT im Reichtum sieht. Die ethisches Besinnung wird hier nur die Frage stellen müssen, wie denn die ökonomische Gesetze der Welt besorgt werden können, von denen das Leben auch derjenigen abhängt, die um der Nachfolge willen sich des Besitzes entschlagen. Jesus selbst und seine Jünger lebten ja davon, daß hier und da im Lande Gesinnungsfreunde sie aufnahmen, die Haus und Hof besaßen, und sie lebten zudem von einer bescheidenen Reisekasse. Sie haben also nicht in dem doktrinären Sinne in Besitzlosigkeit gelebt, wie die Franziskaner-Spiritualen des 14. Jahrhunderts meinten. So fragwürdig immer der weltliche Besitz und der Status der Kirche in jener Zeit gewesen sein mag: theologisch war sie im Recht, wenn sie es ablehnte, die Besitzlosigkeit zur gesetzlichen Konsequenz zu machen. Der eigentliche Grund aber jenseits jeder ethischen Systembildung besteht in der positiven Anschauung des Alten und Neuen Testaments, daß die Erde und was darinnen ist, Eigentum des Herrn ist. Sie ist auch mit dem Herrschaftsbefehl der Genesis dem Menschen nicht zu einer beliebigen und damit heilsgeschichtlich gleichgültigen und banalen Benutzung anheimgegeben. Sie soll der Erfüllung der Ziele dienen, die Gott ihr auch durch den Menschen setzt. Dieser Gedanke konkretisiert sich in der Vorstellung vom Weinberg des Herrn. Dieser Weinberg wird von dem Herrn selbst angelegt, eingegrenzt, mit Vorrichtungen versehen, damit er dann bearbeitet werden kann. In einer Doppeldeutigkeit und Doppelsinnigkeit ist das Volk Gottes die Schar der Weingärtner, die ihn bearbeitet, ebenso wie die Reben selbst, die bearbeitet werden und Frucht bringen sollen. Der Ertrag aber kommt dem Herrn zu, der die Arbeiter in billiger Weise nach seiner freien Gerechtigkeit entlohnt. Diese positive Vorstellung und nicht die allgemeine Erwägung der Notwendigkeit ökonomischen Handelns in der Welt und dessen ethischer Rechtfertigung trägt die Anschauung der Schrift. Damit wird aber ihre Aussage über das Eigentum ebenso dem oberflächlichen Verständnis entzogen wie diejenigen über politische Herrschaft. Es fragt sich, wo auch hier die eigentliche Konversion der Haltung, die Konzeption eines Widerspruchs gegen die immanente Gesetzlichkeit der Welt zu finden ist. Denn ohne den radikalen Widerspruch gegen die Welt, in einer nur gradweisen Anpassung und Umorientierung wird uns das Heil nicht dargeboten
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und dargestellt. Es muß schon eine wirkliche „Umkehr” sein; es geht nicht billiger.
Dies wird noch nicht völlig deutlich an der Funktion der Ökonomie, sondern erst an dem tieferen Problem des Eigentums. Die Menschheit ist mit diesem Problem innerlich nie recht fertig geworden. Die handgreiflichen Unterscheide zwischen Arm und Reich, zwischen Wohlstand und Bedürftigkeit sind nur ein begrenzter Ausdruck, ein immer neuer Antrieb, diese Frage zu stellen, aber mehr die sinnfällige Außenseite, mehr Anlaß als Ursache, den Dingen nachzugehen. Das Unbehagen der Menschheit am Eigentum hat einen kosmologischen und einen anthropologischen Grund. Der Mensch hat nicht vergessen, daß er die Gegenstände seiner Herrschaft der unverletzten Natur entrissen, aus ihr abgesondert und abgegrenzt hat. So fruchtbar diese Ausgrenzung ist, so wenig ist doch damit die tiefe Trennung aus der Welt geschafft, auf der sie beruht. Nicht weniger empfindet der Mensch, daß er durch die Begrenzung seines Besitzes und seine Besonderung trotz aller Positivität der Entfaltung zugleich auch vom Mitmenschen getrennt ist. Fast verzweifelt such er dieser Beschwernis zu entgehen. Der Versuch aber, sich gänzlich des Besitzes zu entschlagen, führt weder im Verhältnis zur Natur, noch im Verhältnis zum Menschen zur Wiederherstellung jener ursprünglichen Einheit, sondern nur zum Verlust des Positiven, was durch beide nun eben auch gewonnen worden ist. Die abstrakte philosophische Konstruktion und Vorspiegelung eines subjektlosen gesellschaftlichen Eigentums ist für die Konkretheit und Wahrhaftigkeit des biblischen Denkens unvollziehbar. Dem Eigentum entspricht also biblisch als Gegenbild nicht die Aufhebung des Eigentums. Das NT treibt überhaupt nicht Sozialphilosophie; es geht zentral davon aus, daß es sich um die Ordnung des Verhältnisses des Menschen zu Gott und damit freilich einschlußweise auch zwischen den Menschen handelt. Wer das erstere ausscheidet oder zu umgehen versucht, tritt aus diesem Horizont jedenfalls heraus. Die Haltung der Konversion greift nun den Menschen als Träger von Eigentum, von rechtlicher Sachherrschaft in Wahrheit sehr viel radikaler an. Es ist vergleichsweise leicht, dem Menschen mit dem Eigentum auch sämtliche Probleme, Versuchungen und Verantwortlichkeiten zu nehmen. Hier aber wird uns als Eigentümern, als Herren von nutzbaren Gegenständen eine Umkehr zugemutet. Wie dies aber zum Verständnis gebracht werden kann, ist nicht ganz selbstverständlich. Es kann nicht dadurch geschehen, daß der Mensch als ein gehorsamer Haussohn verstanden wird, der im Hauswesen des Vaters in dessen Sinne
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handelt, auch nicht als Sklave, der einfach dem Befehl folgt. Dann hätten beide zwar kein Eigentum, aber auch keine Freiheit, die irgendwie verfehlt werden könnte. Dies alles wäre nur in der Anwesenheit des Herrn denkbar, die einen Ungehorsam ebenso ausschließen würde wie die Gegenwart der Polizei den Diebstahl. Gerade der endzeitliche Charakter des Evangeliums aber hat zur Voraussetzung, daß der abwesende Herr, dessen Gebot und Wort hier verkündigt wird, doch erst zur Rechenschaft und zum Gericht wiederkommt, also die Erfüllung seiner Gebote in der Gegenwart selbst nicht durchsetzt und gewährleistet. Betrachten wir andererseits den Menschen als den Unternehmer seines Heils, als das Subjekt seiner objekthaften Möglichkeiten, der schließlich vorweist, was wert oder unwert ist, honoriert oder abgenommen zu werden, so stellen wir ihn wie den Kaufmann mit dem Kaufmann, den Bürger mit dem Bürger, Gott selbst gleich. Von einer Umkehr oder Änderung des Sinnes kann dann vollends keine Rede sein. Sein Interesse, Gutes zu tun, das Anerkennung findet, und das Interesse Gottes, daß Gutes geschehe, befänden sich in schöner konfliktloser Übereinstimmung. Die Lösung dieser logischen, ethischen, ökonomischen und auch präzis rechtlichen Widersprüche, liegt in einem sozialen Verhältnis, das es heute nicht mehr gibt. Wenn in den biblischen Gleichnissen von den Haushaltern Rechenschaft gefordert wird, so setzt dies voraus, daß sie eine rechtliche Eigenexistenz besitzen, auf Grund deren sie haftbar gemacht werden können, daß aber ihr wesentliches Tun dem Nutzen des Herrn und nicht dem eigenen Nutzen zu dienen bestimmt ist. Es sind in der Anschauung der Bibel Freigelassene, die als Klienten die Geschäfte ihres Herrn besorgen und zum Hauswesen der Großfamilie gehören. Sie sind voll rechtsfähig gegenüber jedermann, der ihnen gleichgeordnet ist, aber nur relativ und bedingt gegenüber dem Herrn, der sie in Freiheit gesetzt hat. Auch ihr eigenes Vermögen unterliegt einem Rücknahmerecht. Sie behalten die Verpflichtung, ihren ehemaligen Patron zu unterstützen. Dieses Verhältnis ist also nicht ohne den geschichtlichen Akt der Freilassung auslegbar, auf welchen es ständig zurückverweist. Auf Grund dieser Rückbindung sind sie dann auch Treuhänder und Verwalter des Hausguts. Sobald hier also Eigentum vorkommt, ist es ein solches des Herrn; für die übrigen Beteiligten kommt es allenfalls als Treuhandschaft, als Untereigentum, als ein nicht absolutes, sondern nur relatives Recht in Betracht. Die Einsicht in diesen Tatbestand hat nicht selten in der theologischen Ethik zu Vorstellung geführt, daß die Ausbildung des bürgerlichen Eigentums als
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absolutes Recht dem Evangelium ferner stehe als die uns aus der Rechtsgeschichte bekannten relativen und relationalen Formen der Besitzherrschaft, die im strengen Sinne vielleicht gar nicht den Titel des Eigentums vertragen, wie etwa die Lehnsherrschaft oder gewisse Formen des in kleinen Kreisen begrenzten Gemeinbesitzes. Diese relative Gleichsetzung oder Betonung einer Verwandschaft und Analogie ist insofern kurzschlüssig, als sich das NT doch auch radikal der Frage des Eigentums stellt. Dies geschieht freilich gleichsam erst am Schluß in der äußersten dramatischen Zuspitzung des Verhältnisses Jesu zu den geistlichen Autoritäten des jüdischen Volkes. Die Weingärtner im Gleichnis, die die Pflege des Weingartens übernehmen, versuchen, den wahren Eigentümer aus dem Eigentum zu verdrängen, indem sie ihm nicht nur den Ertrag vorenthalten, sondern durch die Tötung des Erben denjenigen ausschalten, der das Eigentumsrecht gegen sie in Gestalt der Fruchtforderung geltend machen kann. Insofern radikalisiert sich hier die Frage, weil das Eigentumsrecht des Herrn dem rechtlosen Versuch der Aneignung durch die zunächst zur Arbeit Verpflichteten gegenübergestellt wird. Eben daraus aber ergibt sich die Möglichkeit, die echte Konversion des Eigentumsbegriffs in dem Verzicht auf die Absolutheit in der grundsätzlichen Anerkennung der Dienstbarkeit und Treuverpflichtung zu sehen. Dies ist eine um so radikalere Forderung, als sich recht eigentlich erst hier der Eigennutz des Menschen mit seinem Selbstherrschaftswillen einsichtig verbindet. Der Mensch, der nicht Gott gehorsam dient, wird zwangsläufig im Herrschaftsstreit zum Gottesmörder.9
Die Tatsache, daß sich in allen Gleichnissen mit dem ökonomischen Bilde die ganze Breite des menschlichen Lebens verbindet, steht der Deutung nicht entgegen. Die Gleichnisbilder erhalten ihren vollen Sinn, wenn sie auf das Problem der Ökonomie, des Eigentums an gewendet werden, wie wenn man sie auf den Gesamtertrag des menschlichen Lebens im geistlichen Sinne anwendet. Die Forderung der Konversion, die dem Menschen hier gestellt wird, ist sehr viel anspruchsvoller als der radikale Verzicht auf Besitz, der zugleich vom Besitz anderer abhängig macht. Gleichwohl bestehen beide unterschiedlichen, aufeinander bezüglichen Formen der Konversion in der Schrift sinnvoll nebeneinander. Die Allgemeinheit des Einen schließt die Besonderheit des Anderen nicht aus.10
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Als die ersten beiden Schritte haben wir Rezeption und Konversion der sozialen Strukturen dargestellt. Der dritte Schritt ist ihre Auslegung und Beziehung auf die eschatologische Zukünftigkeit, auf das, was erst noch kommen soll, was aussteht. Es wird hier deutlich, warum nach dem früher Gesagten der zweite und dritte Schritt nicht eindeutig einander nachgeordnet werden können. Denn schon die Darstellung der Konversion ist nicht sinnvoll ohne den Horizont und die Zielvorstellung einer Wirklichkeit, auf die sie bezogen ist und die zugleich erst kommen soll. Trotzdem ist es sinnvoll, diese endzeitliche Einordnung auch gesondert darzustellen.10a
Die Verkündigung des NT beginnt mit dem Ruf des Täufers, daß das Himmelreich nahe herbeigekommen sei, und endet mit der Verheißung der Wiederkehr des Herrn selbst. Es ist also offenbar, daß in einem bestimmten Sinne das Reich Gottes in die Gegenwart eintritt und eingreift und daß es sich zugleich in einem noch Ausstehenden vollendet, daß nicht schon in Leben und Wirksamkeit, ja selbst nicht in Tod und Auferstehung Jesu in aller seiner grundsätzlichen Bedeutsamkeit vollendet ist. Es muß also immer ein Gegenwärtiges und ein Zukünftiges miteinander verbunden werden. Ist unsere These richtig, daß die Existenz der Christen nur in den sozialen Strukturen zutreffend ausgelegt werden kann und vom NT mit gutem Grund und Sinn in diesen Strukturen ausgelegt worden ist, so muß auch untersucht werden, wie in diesen Strukturen die eschatologische Zukünftigkeit ausgedrückt worden ist, genauer: das Verhältnis zwischen der anfangsweisen Gegenwärtigkeit des Heils und seiner endzeitlichen Vollendung. Dies kann nach unserer These in eben den Rechtsformen ermittelt und dargestellt werden, deren sich das NT bedient. Dies sind in breitestem Umfange, wenn auch nicht ausschließlich statusrechtliche. Unter statusrechtlichen Rechtsverhältnissen versteht man solche Rechtsbeziehungen zwischen Personen, die auf die Dauer angelegt sind, wenngleich sie durch entsprechende Rechtsakte auch in ihrem Bestande verändert werden können. Solche statusrechtlichen Verhältnisse sind die Kindschaft, die Ehe, die Vaterschaft, im politischen Bereich die Staatsbürgerschaft und das öffentliche Amt, im ökonomischen Bereich die Rechtsformen der Besitzherrschaft, von denen das Eigentum im heutigen Sinne nur eine ist. Sie werden durch statusrechtliche Rechtsakte begründet, nach der rechtssoziologischen Terminologie Max Webers durch Statuskontrakte, durch welche die rechtliche Gesamtsituation
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einer Person (oder einer Sache) auf die Dauer verändert wird, indem zugleich ihre Zugehörigkeit zu einem Menschen begründet wird. Dies gilt sinnfällig für die Ehe, für die Adoption, in Beziehung auf Gegenstände der realen Herrschaft auch für das Eigentum, d.h. die dauernde Zuordnung von Sachen zu Personen, welche entweder durch Erbeinsetzung oder durch sachenrechtliche Auflassung (dinglicher Vertrag) begründet werden kann. Personenrechtliche und sachenrechtliche Rechtsveränderungen und Rechtsstände gleichen sich in ihrer Struktur, ohne daß sie aufeinander reduziert werden können.
In dem allgemeinen Rechtshorizont des Statusrechts befindet sich auch die Welt des NT. Ich lasse die Frage beiseite, ob zwischen den verschiedenen, meist als authentisch anerkannten Gleichnissen Jesu noch eine gewisse Unterschiedlichkeit der sozialen Strukturen obwaltet, ob die einen ausschließlich eine agrarische Großfamilie, ein Großbauernwesen zum Hintergrund haben, während die anderen in Annäherung an verkehrswirtschaftliche Verhältnisse schon kommerzielle Formen wie die zinsbare Anlegung von Kapital mit berücksichtigen. In seiner bekannten Dissertation hat Olof Linton schon 1932 nachgewiesen,11 daß die großen Exegeten von Schleiermacher bis Harnack ein Jahrhundert hindurch unwillkürlich in das Bild der Urkirche die ihrer Zeit und ihrer Sozialphilosophie entsprechenden Vorstellungen eingetragen haben. Wenn das Interesse dieser Theologen auch ein wesentlich ekklesiologisches war, so ist das Untersuchungsergebnis, welches Linton am Ende formuliert, doch auch in unserem Zusammenhang bedeutsam. Er stellt fest, daß die Urkirche selber einen archaischen Charakter getragen habe, den der „ungleichmäßig beschließenden Gesellschaft”, in welcher die Ungleichheit der Position der Einzelnen mit der Gleichheit des Geistes widerspruchslos verbunden ist — eine Strukturform, welche uns aus der allgemeinen Soziologie wohl vertraut ist. Er stellt aber zugleich fest, daß diese Strukturform den weltlich-sozialen Strukturformen der umgebenden Völker und Kulturen durchaus entsprochen habe, ohne daran weitere Erwägungen und Folgerungen anzuschließen. Linton hat sicherlich recht. Es hätte der Aufdeckung der Auslegungsfehler des vergangenen Jahrhunderts noch nicht einmal bedurft, um zu einem so am Tage liegenden Ergebnis zu kommen. Es zeigt sich vielmehr, daß gerade die eschatologische Verkündigung des NT sich ausdrücklich im Horizont solcher sozialen und rechtlichen Strukturformen vollzieht.12
Das Grundschema dieser Darstellung ist leicht einsichtig zu machen,
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sofern man bereit ist, soziale Strukturen zu erkennen und ernst zu nehmen. Dies ist im allgemeinen bisher angesichts der vorherrschenden Tradition philologisch-philosophischer Auslegung von Begriffen und Terminologien kaum der Fall gewesen. Moltmann kann in seiner „Theologie der Hoffnung” gelegentlich sagen, die historisch-kritische Theologie trage soziologischen Charakter. Soweit das zutrifft, ist es jedoch so eng und subjektivistisch auf die Entstehung des „Kerygmas” eingeschränkt, daß weder der soziale Charakter des biblischen Geschehens selbst, noch der soziale Kontext der Welt und Zeit herauskommen. Auch die sogenannte Formgeschichte wird so wiederum eine literarkritische Methode, während es um exakt beschreibbare, inhaltlich aussagbare Gestaltungen des Verhältnisses zwischen Personen geht.
Es ist eine schulmäßig belegbare und bekannte Tatsache, daß die Rechtskulturen der verschiedenen Völker in einer bestimmten älteren Entwicklungsstufe nur Real- und Formalkontrakte kennen. Dies gilt insbesondere für das römische und germanische Recht. Die rechtsvergleichende Untersuchungen von Paul Koschaker über das Eheschließungsrecht der Indogermanen, welcher auch Material der vorderasiatischen Völker mit einbezogen hat, erlauben die Annahme, daß unter Voraussetzung einer bestimmten Entwicklungsstufe die Völker unseres gesamten Kulturkreises durch die gleiche realrechtliche Rechtsphase hindurchgegangen sind (wobei das römische Recht gewisse markante Besonderheiten aufweist). Die ältere Geschichte der Ostkirche bestätigt dieses Bild in vielfacher Weise.13 Dies drückt sich auch sehr deutlich in den vom NT verwendeten Rechtsvorstellungen aus. Sie sind regelmäßig statusrechtlich. Insofern haben sie auch realrechtlichen Charakter. Das bedeutet aber negativ, daß hier die bloße verbale Rechtszusage keine Rechtswirkung erzeugen kann. Das Wort erzeugt Rechtswirkungen nur als gegenwärtige Veränderung der Wirklichkeit mit der Folge, daß der damit begründete Rechtsstand dann durchhält. Eine reine Zukunftszusage dagegen, welche in der Gegenwart nichts verändert, sondern lediglich das Zutrauen auf zukünftige Erfüllung in Anspruch nimmt, ist in diesem Rechtsdenken nicht möglich. Infolgedessen kann eben hier auch das Gottesverhältnis nicht in solchen Vorstellungen ausgedrückt werden. Das Machtwort des Herrschers verändert die Wirklichkeit ex nunc. Geht es aber darum, die Zukünftikeit einer Rechtserfüllung zum Ausdruck zu bringen, so bedingt diese realrechtliche Vorstellung ein ganz bestimmtes Verhalten. Es wird ein konkreter Rechtsstand schon in der Gegenwart eingeräumt, jedoch
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als ein unvollendeter, der die Tendenz und Bestimmung in sich trägt, sich in einer Erfüllung zu vollenden. So gliedert sich das hierfür markante Eheschließungsrecht in das Verlöbnis, welches kein Versprechen auf zukünftige Eheschließung, sondern bereits der Anfang der Begründung der Ehe selbst ist, und die Trauung, die Heimholung der Braut als Vollendung. Die Braut also, von der das NT spricht, ist nicht eine Verlobte in unserem heutigen, von der römischrechtlichen Tradition bestimmten Sinne, sondern ist schon gegenwärtig und unwiderruflich die Frau ihres Mannes, der sie gleichwohl erst heimholen soll. Nicht weniger bezeichnet die Stellung als Kind und als Erbe eine gegenwärtige Rechtsstellung und Beziehung zu einem Vater, die erst später in der Mündigkeit und der Zuteilung des Erbes ihre Vollendung finden soll. Für den Bereich der familienrechtlichen Bilder wird also die eschatologische Interpretation in den Rechtsformen der Zeit mit voller Klarheit durchgeführt. Es ist dabei deutlich, daß diese reale Gegenwärtigkeit der überragende Bedeutung der endlichen und endzeitlichen Erfüllung in keiner Weise Abtrag tut. Ein Gegensatz zwischen Gegenwart und Zukunft ist hier sinnlos. Denn in jenen gegenwärtigen Zustand als Braut — Kind — Erbe kann unmöglich die volle Gegenwart des Heils im Glauben verstanden und hineingelegt werden. Ebenso wenig aber kann das Heil in eine reine Außerwirklichkeit, Überweltlichkeit und Zukünftigkeit verlegt werden, denen nicht bereits eine anfangsweise Gegenwart entspricht. Biblisch gibt es keine futurische Eschatologie ohne eine präsentische und beides widerspricht sich nicht. Diese Zielvorstellung ist auch nicht einfach linear. Gegenwart und Zukunft liegen nicht auf ein- und derselben unendlichen Linie. Die Zukunft ist der Gegenwart qualitativ grundsätzlich überlegen; das Zukunftsverständnis steht mindestens dieser qualitativen Unterlegenheit nicht entgegen. Andererseits ist in der Gegenwart ein Gefälle zur Vollendung enthalten, das der wesentlich quantitativen linearen Zuordnung widerspricht.
Weitaus undeutlicher, weniger markant ist die Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft in den beiden anderen Zusammenhängen darzustellen, deren sich das NT bedient. Denn wenn die Letzten die Ersten sein werden, so ist eben in ihrer Stellung als Letzte und Diener die Zukünftigkeit ihrer Würde und Erhöhung so unter dem Gegenteil verborgen, daß sie nicht in gleicher sinnfälliger Weise angesprochen werden kann, wie dies in den familienrechtliche Bildern geschieht. Das gleiche geschieht in etwa im ökonomischen Bereich. Wenn den getreuen Haushaltern gesagt wird, sie würden über
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Vieles gesetzt, so ist dies gewiß eschatologisch gemeint, erst recht, wenn sie zu ihres Herrn Freunde eingehen sollen, nämlich zu dem Freudenmahl, in dessen Zentrum der Herr selbst zu Tische sitzt. Bis dahin aber sind sie in ihrer gegenwärtiger Dienstbarkeit eher in einem status negativus, nicht im Zustande einer Anwartschaft, sondern der Beanspruchung. Freilich haben sie mit ihrem Dienst, ihrer Arbeit auch ihr Leben, ihren Unterhalt, auch ihren sozialen Standort in und gegenüber dem Hauswesen des Herrn. Aber ihr Lohn, die Erfüllung und endgültige Beurteilung ihres Dienstes steht als zukünftig noch aus. Diese Differenz zwischen dem familienhaften Bild einerseits, dem politischen und ökonomischen Bilde andererseits, ist dem NT offenbar eingestiftet, aber in seiner Tragweite bisher wenig beachtet worden. Es ist vielmehr über dem status negativus der Dienstbarkeit, der Herrschaftslosigkeit, der Arbeitsverpflichtung der status positivus der Anwartschaft weitgehend zurückgetreten. Ja selbst Schriftstellen, die sich hier positiv ausdrücken, sind unbeachtet geblieben. So übersetzt Luther „politeuma”, das Bürgerrecht, welches wir im Himmel haben, der Vulgata („conversatio”) folgend, mit dem Ausdrucke „Wandel”, welcher sicherlich die Bedeutung des Bürgerrechts nicht ausdrückt. Denn diese Stelle ist nicht anders zu verstehen, als daß wir schon gegenwärtig, vorwegnehmend, Heimat und Bürgerrecht im Himmelreich besitzen und es nicht erst erhalten. Freilich kann im Begriff des Bürgerrechts im Gegensatz zu den familienrechtlichen Begriffen die Differenz zwischen Gegenwart und Zukunft unmittelbar nicht schlüssig ausgedrückt werden. Die Grundgedanken Kindschaft, Bürgerschaft und Haushalterschaft unterscheiden sich in gewissem Umfange dadurch, daß die Positivität der Rechtsstellung des Menschen, seiner Anwartschaft auf eine eschatologische Existenz mindestens gradweise verscheiden ausgebildet ist. Diese bisher theologisch noch nicht beachtete Differenz muß man im Auge behalten.14
Die spezifische Struktur dieses Rechtsdenkens kann im Begriffe des Angeldes sehr deutlich gemacht werden. Das Angeld kommt bei zahlreichen Völkern des Orients, im Bereich des Eherechts in Gestalt des sogenannten Arrhalverlöbnisses vor, wo ein Angeld auf die endgültige Übertragung der Schutzherrschaft über die Braut gezahlt wird. Angeld gibt es aber in einem unterschiedlichen Verständnis. Entweder bedeutet die Leistung des Angelds den ersten Anfang der Vertragserfüllung, die dann die schon erwähnte Tendenz hat, gleichsam wie in einem Gefälle, sich in der endlichen Leistung zu erfüllen. Solche Vorstellungen von Vollzügen, die mit dem
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einmal begründeten Anfang dann gleichsam in sich selbst zum Ende durchschlagen, sind gerade im Alten Testament zu belegen. Die gegensätzliche Auffassung von Angeld ist die rein signifikative und konfirmatorische. Um den Vertragsschluß deutlich zu machen, ein Zeichen zu setzen und das wörtliche Geschehen zu bekräftigen, wird eine reale Leistung erbracht. Diese selbst ist aber nicht ein Anfang der Erfüllung, welche vielmehr gänzlich aussteht. Infolgedessen wird auch das Angeld nicht auf die Gesamtzahlung verrechnet, sofern es sich um verrechenbare Werte handelt. Verrechenbare Anfangsleistung oder bloßes Vertragszeichen stehen für den Unterschied zweier gänzlich verschiedener Epochen des Rechtsdenkens. Wo immer von Besiegelung, Bekräftigung und dergleichen die Rede ist, handelt es sich nicht mehr um die anfangsweise Begründung, sondern um in irgendeiner Weise deklaratorische Akte. Zwischen diesen beiden Formen gibt es auch keine erkennbare Vermittlung.