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Zusammenfassung

 

 

Diese Forschungsarbeit betrifft eine Studie zur Rechtsfindungstheorie, bei der P. Scholtens Werk “Algemeen Deel” im Mittelpunkt steht. Bei der Wahl des Themas habe ich mich für dieses Werk entschieden, weil es noch immer die wichtigste Ausgabe zum Thema Rechtsfindung in den Niederlanden ist, obwohl sie aus dem Jahre 1931 stammt. Die Arbeit wurde geschrieben aus dem Hintergrund der hermeneutischen Philosophie.

Im ersten Kapitel wird die hermeneutische Philosophie behandelt. Diese ist eine Transzendental-Philosophie, das heisst, sie gibt die notwendigen Voraussetzungen an, auf Grund derer der Mensch denkt und spricht. Diese Voraussetzungen sind notwendig, wenn sie Teil der Seinsart des Menschen selbst sind. Die Grundlage der Hermeneutik liegt also in der Ontologie. Es war der Philosoph Heidegger, der darauf hingewiesen hat. Gadamer hat diese Perspektiven zum Denken und Sprechen des Menschen hin durchgezogen. Der hermeneutische Zirkel, der vorher nur eine technische Bedeutung hatte, erhalt bei Gadamer einen transzendentalen Sinn. Man kann einen Text nur verstenen, wenn man zuvor mit diesem Text vertraut ist, das heisst, wenn es eine Tradition gibt, die sowohl den fremden Text als auch das eigene Denken und Sprechen tragt. Diese Tradition ist die Tradition der Sprache. Sie beherbergt ein Ganzes an sogenannten Vorurteilen, auf Grund derer das Urteilen möglich ist. Erst stehend in dieser Tradition kann eine Auseinandersetzung zwischen dem eigenen Denken und dem eines anderen stattfinden. Diese Auffassung bringt mit sich, dass der Gegensatz Subjekt-Objekt aus der Kantschen Erkenntniskritik durchbrochen wird und dass Denken und Sprache als eine Einheit gesehen wird.

An diesen Auffassungen Gadamers wurde viel Kritik geübt. So meinte man, es werde darin das methodische Denken abgelehnt. Das ist nach Gadamer nicht der Fall. Die hermeneutische Philosophie gebe lediglich Voraussetzungen an, die eine Methodologie berücksichtigen müsse, die Methodologie selbst jedoch falle ausserhalb der Hermeneutik. Die Auffassungen Gadamers, meinte man weiter, würden ein

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relativierendes Wahrheitsverständnis implizieren. Das ist richtig. In der hermeneutischen Erfahrung drangt sich die Wahrheit als etwas Evidentes auf, aber wann dies der Fall ist, kann man niemals sagen. Wahrheit wird erlebt, nicht methodisch erreicht. Selbst halte ich die ethische Implikation, die das relativierende Wahrheitsverständnis mit sich bringt, für wichtig. Toleranz wird jetzt zu einer Forderung, weil wir nur durch Andersdenkende unser Denken entwickeln können. Eine absolute Wahrheitsidee darf unser Gespräch mit andern nicht storen. Schliesslich implizieren Gadamers Ideen die Universaliteit der Sprache. Jede Kritik an der Sprachtradition kann nur von dieser Tradition aus unternommen werden. Immer wieder wird die Macht der Tradition bestätigt, während diese Tradition, nach der Ansicht von Habermas, sehr wohl verdorben sein kann. Unter dem Einfluss dieser Kritik hat Gadamer, ohne die Universaliteit der Sprache zu leugnen, seine Thesen nuanziert. Es wird nun weniger die Wirkung der legitimen Vorurteile betont, dagegen mehr die Enttarnung des Illegitimen.

Mit diesen Errungenschaften der hermeneutischen Philosophie als Hintergrund habe ich mich, stehend in der Tradition der niederländischen Rechtsfindungstheorie, auseinandergesetzt mit demjenigen, was Scholten über Recht und Rechtsfindung schreibt.

lm zweiten Kapitel habe ich die rechtsontologischen Voraussetzungen Scholtens, die in seinem “Algemeen Deel” weiterwirken, untersucht. Hermeneutisch gesagt: es geht urn das Explizitieren der bewussten Vorurteile Scholtens über Recht und Sittlichkeit, die in seiner Rechtsfindungstheorie eine Rolle spielen.

In Scholtens Rechtsontologie bildet die Sittlichkeit die Grundlage des Rechts. lm Recht geht es immer um Wertungen. Das bringt mit sich, dass eine strikt empirische Betrachtungsweise in Sachen Recht unmöglich ist. Immer wird das eigene Urteil über dasjenige, was rechtlich sein soll, in einer Beschreibung des Rechts weiterwirken. Man kann also auch nicht aus dem “empirischen Sein” des Rechts herleiten was Recht sein soll.

Auf Scholtens Auffassung über Sittlichkeit als die Grundlage des Rechts haben die Ideen Kants und vor allem Kohnstamms Einfluss gehabt. Sittlichkeit hat bei Scholten als Hintergrund seinen christlichen Glauben. Er teilt ihr drei Charakteristiken zu: Sittlichkeit ist an erster Stelle theonom. Der gläubige Mensch wird, obwohl er in seinem Handeln autonom ist, nach den Geboten Gottes handeln. An zweiter Stelle ist Sittlichkeit irrationell. Rationell ethische Regeln sind nach Scholten nur eine Vorbereitung auf ethisches Handeln. Dieses Handeln selbst

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kommt nur in einem bestimmten Fall, in einem bestimmten Augenblick in der konkreten Gewissensentscheidung zustande. Die dritte Charakteristik von Sittlichkeit ist ihre Absolutheit, das heisst ihre strikt persönliche Geltung. Scholten bringt das Ethische zurück zur konkreten, persönlichen, irrationellen Gewissensentscheidung, die unter der Inspiration Gottes zustande kommt.

Mit dieser Bestimmung der Sittlichkeit wird das Verhältnis zwischen Recht und Sittlichkeit bei Scholten ein Problem. Weil es im Recht immer um das Verhältnis zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft geht, stellen sich gegenüber der ethischen Basis andere Bestandteile des Rechts auf. Dem Theonomen steht dann das Heteronome gegenüber. Nach Scholten ist in der Gemeinschaft Recht nicht möglich ohne Autorität. Von Autorität kann ja nur die Rede sein, wenn diese Autorität von jedem Individuum im Gewissen akzeptiert wird. Die Wirklichkeit lehrt jedoch, das Solches nicht immer der Fall ist. Die Gemeinschaft bittet darauf um eine gleiche Behandlung ihrer Mitglieder, so dass man im Recht nach rationellen Regeln verfahren muss. Der Irrationaliteit der Gewissensentscheidung steht also die rationelle Regel gegenüber. Auch die Absolutheit des Ethischen geht durch den Gemeinschaftsaspekt im Recht verloren. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens ist das Recht immer sozial, zweitens spielt im Recht die Tatsachlichkeit eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur Sittlichkeit hat das Recht einen relativen Charakter. Die drei Spannungen, die nach Scholten das Verhältnis zwischen Sittlichkeit und Recht bestimmen, nennt er dialektisch.

Mit dieser Dialektik meint Scholten kein philosophische Moment. Ihm geht es mehr darum, alle Bestandteile des Rechts in seiner Rechtsontologie einen Platz zu geben unter Beibehaltung seiner Glaubensauffassung, ohne dass dieses oder jenes zu einer Synthese weitergedacht wird. Freilich werden in Scholtens Rechtsverständnis einige Spannungen verringert. Im Recht bekommt das Gewissen den Charakter eines individuellen Rechtsbewusstseins, das einen rationellen Charakter hat. Das Rechtsbewusstsein bewegt den Burger dazu, die Autorität des Gesetzgebers und des Richters anzuerkennen. Dieses Anerkennen zeigt sich im tatsachlichen Verhalten des Burgers nach gesetzlichen Regeln und richterlichen Entscheidungen. Diese Regeln und Entscheidungen werden dann immer zeigen, dass der Autoritätsträger die Tatsachen berücksichtigt. Damit bestehen die dialektischen Spannungen aber weiterhin. Nach Scholten liegen sie in unseren höchsten Rechtsgrundsätzen beschlossen. Wir werden ihnen auch in Scholtens Beschreibung der Rechtsfindung begegnen.

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Einerseits bildet den Kern der Entscheidung des Richters seine absolute und irrationelle Gewissensentscheidung, andererseits kommt die Entscheidung aus einer Wechselwirkung zwischen Tatbestand und rationellen Normen im Urteil zustande.

Zum Schluss mussen wir feststellen, dass es schwer ist, Scholtens Rechtsontologie einen Platz in der Tradition der Rechtsphilosophie zu geben. Da er an einer ethischen Grundlage für das Recht festhält, zeigt er noch am meisten eine Verwandtschaft mit der Naturrechtsphilosophie. Trotzdem lehnt er dieses Denken ab, ebenso wie übrigens den Rechtspositivismus. Scholtens Rechtsontologie nimmt eigentlich einen besonderen Platz ein. Sie hat auch mehr den Charakter eines Glaubensbekenntnisses als einer philosophischen Lehre.

Das dritte Kapitel handelt von der Rechtsfindungsfrage. Diese Frage wurde von Scholten besonders im Paragraphen “De beslissing” (die Entscheidung), dem Kern seines “Algemeen Deel”, erörtert. Darin gibt er eine Analyse der Rechtsentscheidung. Er unterscheidet eine interne und eine externe Phase. Die interne Phase kennt zwei Schritte: den intellektuellen, in dem der Richter mögliche Losungen für sichselbst ordnet und den intellektuell-sittlichen, in dem der Richter aus den Möglichkeiten eine Wahl trifft. Dieser zweite Schritt ist der Kern der Rechtsentscheidung und besteht aus dem Gewissensurteil, das immer konkret, irrationell und theonom ist. Die Wahl kommt also nicht auf rationelle Weise zustande, sondern ist immer ein Sprung. Es geht darum, dass der Richter tatsachlich handelt: er muss immer eine der möglichen Losungen wählen. In der externen Phase geht es um die Argumentierung der Wahl. Dabei sind zwei Sachen von Interesse. An erster Stelle muss der Richter angeben, wie seine Entscheidung in die logische Einheit des Rechtes passt. An zweiter Stelle muss diese Entscheidung mit Faktoren der Autorität in der Gemeinschaft in Zusammenhang gebracht werden. Diese beiden Aspekte der externen Phase hangen wiederum untereinander zusammen.

Auch in der Rechtsentscheidung werden die dialektischen Spannungen im Recht verringert. Einerseits jene zwischen ethischem Urteil und Tatbestand, weil der Richter bei seinem normativen Urteil dasjenige, was die Rechtsgemeinschaft im Grunde für rechtfertig halt, berücksichtigt und weil der Richter bei seinem normativen Urteil tatsachliche Gewalt über die Burger ausübt. Andererseits jene zwischen dem autonomen Gewissen der Burger und der Autorität des Richters, weil die Burger die tatsachliche Gewalt des Richters anerkennen als eine Gewalt, die sein soll. So bleibt die Spannung zwischen dem Irrationellen und dem

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Rationellen übrig. Das ist meines Erachtens die schwache Stelle in Scholtens Rechtsfindungstheorie, die ausserdem noch Anlass zu unrichtigen Trennungen in anderen Rechtsfindungstheorien gegeben hat. Eine von diesen Trennungen ist jene zwischen Heuristik und Legitimierung, welche von Crombag und die Seinigen, Nieuwenhuis und De Wild gemacht wird. Das Irrationelle und manchmal die gesamte interne Phase werden dabei zur Heuristik gerechnet. Die Legitimierung betrifft die externe Phase. An diese Phase wird dann die Forderung strikter Rationalität gestellt. Man spricht weiter oft über die Legitimierung als ginge es um den gesamten Rechtsfindungsprozess, aus dem also des Irrationelle auf uneigentliche Weise verschwunden ist.

Im vierten Kapitel wird die Art und Weise, wie der Richter bei der Rechtsfindung verfahrt, erörtert. Scholtens Beschreibung wird dadurch charakterisiert, dass er sich einerseits stark gegen legistische Auffassungen wehrt, sich andererseits jedoch von ihnen hat beeinflussen lassen. So lehnt Scholten das legistische Bild einer mechanischen Rechtsfindung mit Hilfe des logischen Syllogismus entschieden ab. Einmal, weil darin nicht zum Ausdruck kommt, dass es bei der Rechtsfindung an erster Stelle um Wertung durch den Richter geht. Und dann, weil sich darin nicht zeigt, dass immer von einer Wechselwirkung aus entschieden wird: der Tatbestand wird in Anbetracht des Gesetzes qualifiziert und des Gesetz wird in Anbetracht des Tatbestands interpretiert. Diese Wechselwirkung deutet auf die Rolle des hermeneutischen Zirkels. Esser wird später in diesem Zusammenhang auf die Rolle des Vorverständnis bei der Rechtsfindung hinweisen.

Stark bezogen auf legistische Anschauungen ist Scholtens Beschreibung der fünf Interpretationsmethoden des Gesetzes und der drei Argumentationsweisen, die der Richter bei Gesetzeslücken anwendet. In modernen Rechtsfindungstheorien wird daran kaum noch Aufmerksamkeit gewidmet. Doch ist gegen Scholtens Behandlung der Interpretationsmethoden schon einiges anzuwenden. Erstens ist es die Frage, ob es wohl immer um Methoden geht. Manchmal fehlt bei der grammatischen Interpretation der methodische Aspekt. Interpretation des Gesetzes ist nach Scholten das Interpretieren des Wortlauts des Gesetzes. Worte haben nach ihm immer eine fliessende Bedeutung um einen klaren Kern. Deswegen ist Interpretation immer notwendig. Grammatisch.es Interpretieren ist nun die Worte interpretieren nach dem Sprachgebrauch. Das kann nur eine bestimmte Methode mit sich bringen, wenn es um den Vergleich des einen Sprachgebrauches mit dem aus einem anderen Sprachkreis geht. Das ist jedoch keineswegs immer der Fall. Wenn dies nicht der

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Fall ist, geht es auch nicht um eine Interpretationsmethode, sondern ganz einfach um das Interpretieren der Worte selbst. Der methodische Aspekt fehlt völlig bei der soziologisch-teleologischen Interpretation. Interpretieren ist die Tendenz von Worten angeben, also immer teleologisch. Interpretieren des Gesetzes ist ausserdem immer mit Qualifikation des Tatbestands verbunden. Die soziologische Interpretation ist nach Scholten das Deuten des Wortlauts im Gesetz aus dem Hintergrund des gesellschaftlichen Geschehens. In einer breiteren Perspektive bestimmen Tatsachen das gesellschaftliche Geschehen. Jede Interpretation des Gesetzes ist also teleologisch-soziologisch. Weil die Tatsachen nach Scholten bei der Interpretation des Gesetzes immer wichtig sind, nimmt diese Interpretation eine besondere Stelle ein.

Ein zweites Bedenken ist folgendes. Scholten gibt überall an, dass die fünf Interpretationen eng zusammenhangen. Die grammatische Interpretation lauft auf die systematische hinaus. Die gesetzhistorische Interpretation passt in die rechtshistorische. Der Wille des Gesetzgebers zeigt sich im Wortlaut des Gesetzes, so dass die gesetz-historische mit der grammatischen verbunden ist. Die rechtshistorische Interpretation wird immer vom gesellschaftlichen Geschehen des Augenblicks her bestimmt, was einen Zusammenhang mit der soziologisch-teleologischen Interpretation bedeutet. Scholten geht so weit, dass er behauptet, eine feste Rangordnung innerhalb der fünf Interpretationsmöglichkeiten sei nicht anzugeben. Richtiger ware noch weiter zu gehen und nicht mehr von einzelnen Interpretationen, sondern von Elementen im Interpretieren zu sprechen.

Dass der Unterschied zwischen Interpretieren und Argumentieren des Richters gradueller Natur ist, hat Scholten selbst erkannt. Trotzdem bespricht er die drei Arten des Argumentierens — Analogie, a contrario und Rechtsverfeinerung — noch getrennt. Man würde diesen Unterschied nicht mehr machen, wenn man einsehen würde, dass die Rechtsnorm in Anbetracht des Tatbestands immer ihre Bedeutung aus ihrer Ratio bekommt. Dies geschieht sowohl beim Interpretieren als beim Argumentieren.

Im fünften Kapitel wird Scholtens Rechtsfindungstheorie mit denen moderner Autoren verglichen. Der erste Autor der besprochen wird, ist Chaïm Perelman. Bei diesem Autor fand in seinem Denken ein wichtiger Umschwung statt. In seiner ersten Phase war er vor allem interessiert an den formalen Aspekten der Gerechtigkeit. Er meinte ein Schema aufstellen zu können, mit Hilfe derer man auf strikt rationelle Weise zur Gerechtigkeit gelangen könnte. In seiner zweiten

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Phase zeigt er mehr Verständnis für die Werturteile, welche die Grundlage bilden für die Rechtsentscheidungen. Dadurch verschiebt sich der Nachdruck in die Richtung der materiellen Aspekte der Gerechtigkeit. Das Argumentieren im Recht bildet von nun an den Mittelpunkt seines Interesses. Auch dafür sucht Perelman ein rationelles Kriterium. Er meint dieses im qualifizierten Konsens — der Konsens aller vernünftig denkender Menschen — gefunden zu haben. Dies bedeutet für das richterliche Urteil konkret, dass er sich nach drei Fora richten soll: nach den juristischen Sachverständigen, den Parteien im Rechtsstreit und der Rechtsgemeinschaft. All dieses wurde jedoch bereits in Scholtens Beschreibung der externe Phase der Rechtsfindung erörtert, so dass Perelman nicht viel Neues bietet. Bei letzterem bleibt weiterhin unklar, ob es um einen normativen Konsens oder um einen faktischen geht und, in Zusammenhang damit, ob seine Theorie normativ oder deskriptiv ist. Wenn es tatsachlich um eine normative Theorie mit einem faktischen Konsens als Kriterium geht, dann ist diese abzulehnen. Aus dem “Sein” kann kein “Sollen” abgeleitet werden.

Der wichtigste Autor, mit dem Scholten verglichen wird, ist Josef Esser. Auch er hat sich in seinem Denken entwickelt. Anfänglich zeigte er sich einen Anhänger einer Naturrechtsphilosophie, die ebenfalls den Hintergrund seiner Rechtsfindungstheorie bildete. Dadurch ist bei ihm der Gegensatz zwischen dem Irrationellen und dem Rationellen von Anfang an überwunden. Essers Gewissensentscheidung, die auch bei ihm den Kern der Rechtsentscheidung bildet, ist in Gegensatz zur Gewissensentscheidung Scholtens rationell und sozial. Aus diesem Hintergrund heraus verzichtet er noch mehr als Scholten auf die legistischen Auffassungen über Rechtsfindung. In seiner Theorie, die zur Wertungsjurisprudenz gezahlt wird, steht eine funktionelle Interpretation des Gesetzes angesichts der Aktualität im Mittelpunkt der Rechtsfindung.

In seinen späteren Werken fallt die Betonung des Gesetzes weg und tritt die Funktion der Rechtsgrundsätze, die Esser auf glanzende Weise analysiert, in den Vordergrund. Noch später präsentiert Esser die Hermeneutik als den Hintergrund für die Rechtsfindung. Die Rechtsentscheidung wird dann von einem Vorverständnis des Richters geleitet, in dem Esser anfänglich die Rolle der Tradition der Rechtsdogmatik betonte, in dem aber später auch Bestrebungen um eine Entscheidung, die auf einen Konsens rechnen kann, an Wichtigkeit gewinnen. Weil dieses Vorverständnis den Charakter einer Vorwertung hat, spielen Rechtsgrundsätze weiterhin eine grosse Rolle. In dieser

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letzten Periode tauscht Esser seinen naturrechtlichen Hintergrund gegen die Konsenstheorie ein. Auch bei ihm ist es, wie bij Perelman, unklar, ob es um einen normativen oder einen faktischen Konsens geht. Seine anfänglich beschreibende Theorie bekommt schon immer mehr einen normativen Charakter. Sein Werk hat dennoch einen wichtigen Einfluss auf die Entwicklung der Rechtsfindungstheorie in der Zeit nach dem Erscheinen des “Algemeen Deel” gehabt.

Der dritte Autor, Joachim Hruschka, ist ebenfalls ein Vertreter der hermeneutischen Richtung in der Rechtsfindungstheorie. Hruschka stellt die Wechselwirkung zwischen den Normen und dem Tatbestand bei der Rechtsfindung noch klarer vor einen hermeneutischen Hintergrund. Er hat sich jedoch auf diese Transzendental-philosophie beschränkt und hat sich nicht, so wie Esser, der Konsenstheorie zugewandt. Freilich gibt er eine Verwandtschaft zwischen Hermeneutik und Naturrechtsphilosophie an. Meines Erachtens bietet dies einen reineren philosophischen Hintergrund für die Rechtsfindung, als bei Esser der Fall war.

Der letzte Autor, mit dem Scholten verglichen wird, Jack ter Heide, steht auch in der Tradition der niederländischen Rechtsfindungstheorie. Er vertritt die sogenannte funktionelle Rechtslehre. So wie Scholten die persönliche, irrationelle Gewissensentscheidung in den Vordergrund stellte, ging es Ter Heide in seiner Theorie um das Verwirklichen der Forderung, dass die Entscheidung absolut objektiv und rationell ist. Sie soll eine Funktion einerseits der auf dem Gesetz beruhenden Handlungserwartungen der Parteien in einem Rechtsstreit und andererseits der Umstande sein. Die Entscheidung müsste aus diesem Modell heraus zustande kommen können, wobei der Richter gleichsam objektiv-registrierend tätig ist. So endet Ter Heide etwa beim Entgegengesetzten im Vergleich zu Scholten. Sie sitzen in dem Sinne auf einer Linie, dass beide ihre Theorien nicht zu Ende gedacht haben, so dass diese mehr den Charakter eines Bekenntnisses haben.

Im letzten Kapitel wird noch einiges zusammengefasst. Es handelt sich dabei um zwei Sachen. Zunächst wird nochmals die Bedeutung der hermeneutischen Philosophie für die Philosophie, die Rechtsfindung und diese Studie angegeben. Anschliessend werden Pro und Contra der Scholtensche Rechtsfindungstheorie, die zerstreut in dieser Studie erschienen, in einer Übersicht angeordnet.