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In seinem klassischen Werk Institutio christianae religionis, das wie wohl kaum ein anderes das theologische Denken der protestantischen Christenheit bestimmt hat, beginnt Calvin die Lehre von der Kirche erst im letzten, vierten Buch, nachdem er im dritten Buch über den rechtfertigenden Glauben gehandelt hatte. Diese Anordnung, die seitdem von allen reformierten Theologen befolgt wurde, ist weder selbstverständlich noch unwichtig. Sie ist ein Ausdruck und zugleich eine der Ursachen des oft beklagten protestantischen Individualismus. Gewiß weist Calvin den krassen Individualismus, der die Kirche lediglich als eine Summe von einzelnen Gläubigen auffaßt, scharf zurück und macht sich die Ausdrücke ältester Kirchenväter zu eigen, die Kirche sei omnium piorum mater (1) und extra ecclesiam sei nulla salus (2).
Diese Redewendungen vermögen aber den zugrundeliegenden individualistischen Gedanken, der den Calvinischen Kirchenbegriff bestimmt, höchstens zu verbergen, nicht aber zu überwinden; denn eigentlich, letztlich meint Calvin mit Kirche nur die ecclesia invisibilis. Die sichtbare Kirche aber rückt ihm unter den .verräterischen Gesichtspunkt des „externum subsidium fidei”, des „äußern Heilsmittels” (3). Nun ist aber der Gedanke der unsichtbaren Kirche dem Neuen Testament ebenso fremd, wie von ihm aus diese Betrachtungsweise der sichtbaren realen Ekklesia als eines bloß äußeren Heilsmittels nicht nur fremd, sondern unmöglich ist. Nie ist es in eines Apostels Sinn
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gekommen, die Ekklesia, die Christusgemeinde, das wahre Gottesvolk des Neuen Bundes sei ein „Mittel” zu einem Zweck, und zwar erst noch ein „äußeres” Mittel.
Eine derartige Auffassung der Ekklesia erscheint allen katholisch Denkenden eine horrende blasphemische Irrlehre und als diese müssen sie darum den gesamten Protestantismus beurteilen. Sollten sie vom Neuen Testament aus nicht recht haben? Vielleicht haben sie beide, die Katholiken — ich meine nicht in erster Linie die römischen — und die Protestanten Recht und Unrecht zugleich. Sicherlich — vom Neuen Testament her, von dem, was dort Ekklesia heißt und ist, und als was diese sich selbst versteht, ist der Gedanke Calvins, die Kirche sei ein äußeres Hilfsmittel für den Glauben, schlechterdings unverständlich. Die Ekklesia des Neuen Testaments weiß sich als der Leib Jesu Christi, als die Offenbarungs- und Heilswirklichkeit, darum niemals als Mittel zu einem Zweck, sondern als Selbstzweck, wenn auch erst als die der Vollendung harrende Gestalt dessen, was Gott will. Der von hier aus unverständliche Gedanke Calvins wird aber sofort mehr als verständlich, sobald wir Ekklesia mit „Kirche” übersetzen und dabei an den Apparat, an die Institution denken, ohne die nun einmal Kirche im historischen Sinn nicht denkbar ist. Die Katholiken haben Recht; Die Ekklesia des Neuen Testamentes ist kein externum subsidium fidei, sondern die Sache selbst; die Protestanten haben Recht: Was aus der Ekklesia geschichtlich als Kirche geworden ist, ist nicht die Sache selbst, sondern kann sehr wohl als ein Mittel zum Zweck verstanden werden.
Die Ekklesia des Neuen Testaments, die Christusgemeinde, ist gerade das nicht, was jede „Kirche” mindestens auch ist, eine Institution, ein Etwas. Die Christusgemeinde ist nichts anderes als eine Gemeinschaft von Personen. Sie
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ist die „Gemeinschaft des Christus” 1) oder „Gemeinschaft des Heiligen Geistes” 2), wobei Gemeinschaft, koinonia, beides heißt: gemeinsame Anteilnahme und Miteinandersein, Bruderschaft. Die Gläubigen sind miteinander verbunden durch ihr Anteilhaben am Christus und am Heiligen Geist; aber das, was sie gemeinschaftlich haben, ist gerade kein Etwas, kein Es, sondern ein Er, Christus und sein Heiliger Geist. Das gerade ist das Wunderbare, Einzigartige, Einmalige der Ekklesia: daß sie als Leib Christi keine Organisation ist und darum nichts vom Charakter des Institutionellen an sich hat. Eben dies meint sie, wenn sie sich selbst den Leib Christi nennt.
Am Anfang der Geschichte der Ekklesia steht das Pfingstwunder. Wenn die Christenheit das Pfingstfest in eine Reihe stellt mit den großen Festen Weihnachten, Karfreitag und Ostern, von denen jedes an eine der entscheidenden Heilstatsachen erinnert, an die Inkarnation, an die Versöhnung und an die Auferstehung, so will sie damit sagen: Auch die Ausgießung des Heiligen Geistes, und das heißt auch die Entstehung der Ekklesia ist eine, nämlich die letzte der großen Heilstatsachen der Offenbarungsgeschichte. Zwischen der Ausgießung des Heiligen Geistes und der Existenz der Ekklesia besteht eine so enge Beziehung, daß man sie geradezu miteinander identifizieren darf. Indem der Heilige Geist da ist, ist die Gemeinde da. Und der Heilige Geist ist nicht anders da denn als der der Gemeinde gegebene Geist. Darum geht die Gemeinde als Träger des Wortes und Geistes Christi dem individuellen Glauben voran. Man wird nicht zuerst ein Glaubender und dann tritt man in die Gemeinde ein; sondern man wird ein Glaubender dadurch, daß man an dem, was der Gemeinde gegeben ist, Anteil hat.
1) 1. Kor. 1, 9.
2) 2. Kor. 15, 13; Phil. 2, 1.
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Es ist müßig zu fragen, was zuerst sei, das Ei oder das Huhn, denn beides ist wahr. Darüber aber kann man nicht streiten, was zuerst sei, das Christuswort oder der Glaube; denn der Glaube ist die Antwort auf das Christuswort. Dieses Wort ist der Gemeinde anvertraut — aber nicht als ein Etwas, sondern als das Wort des lebendigen Christus, der durch den Geist in ihr ist. Darum geht die Gemeinde Jesu jedem Gläubigen voran als die mater omnium piorum. Nur durch das Ernstmachen mit dieser Erkenntnis kann beides überwunden werden: der protestantische Individualismus und der katholische Kollektivismus. Denn die Ekklesia ist weder ein numerus electorum, eine Summe von Gläubigen, noch ist sie eine heilige Institution, sondern sie ist der Leib Christi, der aus nichts als Personen besteht: aus Ihm, der das Haupt ist, und aus den Gliedern an seinem Leibe.
Die Ekklesia ist, was sie ist, durch den in ihr gegenwärtigen Christus. Er ist in ihr gegenwärtig durch sein Wort und durch seinen Geist — den „Geist der Wahrheit, der euch in alle Wahrheit leiten wird” 3). Darum, weil der Heilige Geist ihr Leben ist, darum ist sie selbst heilig, darum hat sie Teil am Charakter des Heiligen, des Numinosen, des Wunderbaren, der Gottesgegenwart; darum ist sie, die Gemeinde, selbst Wunder. Sie ist darum in der Tat „nichts soziologisch Verstehbares” 4). (K.L. Schmitt.) Denn sie ist ja nur verstehbar aus dem in ihr gegenwärtigen und sie formenden Christus. Darum, weil sie selbst der Tempel des Heiligen Geistes ist 5), ist sie selbst das Heiligtum und braucht sie keinen Tempel. Darin, daß sie beides ist, koinonia Christu oder koinonia pneumatos, und „Gemeinschaft miteinander” 6), diese Verbindung der Horizontalen mit der Vertikalen, der Gottverbundenheit und der
3) Joh. 16, 13.
4) s. Anm. 5.
5) 1. Kor. 3, 16; 6, 19.
6) 1. Joh. 1, 7.
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Menschverbundenheit (4) — das ist ihr völlig analogieloses, nur ihr eigenes Sein.
Das Miteinandersein der Menschen ist darum nicht etwas Sekundäres, Akzidentelles; es gehört zu ihrem Wesen ebenso wie das Sein in Christus (5). Dieses Verbundensein miteinander aber ist nichts an sich; es ist die Folge des Verbundenseins mit dem Christus. Daraus ist zu erkennen, wie unmöglich es ist, die Ekklesia ein Mittel zu einem höheren Zweck zu nennen. Das Verbundensein miteinander ist ebenso Selbstzweck wie das Verbundensein mit dem Christus. Diese völlig einzigartige Verbindung der Horizontalen und der Vertikalen ist die Folge und das Abbild jener Gemeinschaft, die der Vater mit dem Sohn hat, vor aller Weltzeit 7); im Wunder der Gemeinde vollendet sich die Offenbarung des dreieinigen Gottes — und die Kirche hat darum wohl daran getan, auf das Pfingstfest den Sonntag Trinitatis folgen zu lassen. Denn das Wesen Gottes ist Agape — jene Liebe, die der Sohn vom Vater her den Menschen bringt, und eben diese Agape ist das Wesen der Verbundenheit derer, die in der Ekklesia sind. Diese Liebe heißt darum das Band der Vollkommenheit der Ekklesia 8).
In der Ekklesia ist — freilich auch in ihr in der Unvollkommenheit, die allem Irdischen anhaftet — die Antwort realiter gegeben auf die zwei Grundfragen der Menschheit, auf die Frage nach der Wahrheit und auf die Frage nach der Gemeinschaft. Hier geht es um die Wahrheit, die Gemeinschaft ist und um die Gemeinschaft, die Sein in der Wahrheit ist. Die Wahrheit ist die im Sohn als Wesen des Vaters und Grund alles Seins geoffenbarte Liebe; und eben diese Liebe ist das Wesen dieser, von Jesus Christus gegebenen wie der von ihm geforderten Gemeinschaft.
7) Joh. 17, 5; 24.
8) Kol. 3, 14.
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An ihr soll die Welt erkennen, daß sie die Seinen sind 9). Durch den Glauben ist man in dieser Liebe; und durch ihn ist man in dieser Gemeinschaft. Diesen Glauben aber hat man nicht anders, als indem man durch die Liebe in dieser Gemeinschaft lebt. Wahrheit und Gemeinschaft sind hier eins und dasselbe.
Gott hat nicht abstrakte, neutrale Wahrheit oder Wahrheiten geoffenbart, nicht ein Dogma oder Dogmen, die er der Kirche anvertraut als ein depositum fidei, als etwas, das diese credendum proponit (6); sondern Gott hat in Jesus Christus sich selbst offenbart in der Persongegenwart des Immanuel, des fleischgewordenen Wortes. Daß Gott sich geoffenbart hat und was er geoffenbart hat ist darum eins: seine Mitteilsamkeit, sein Für-den-Menschen-sein, seine Agape. Darum kann man auch an seiner Offenbarung nicht Anteil haben, indem man an ein Dogma glaubt, sondern indem man mit ihm im Sohn Gemeinschaft hat und, eben damit, aufhört ein isolierter einzelner zu sein. Indem man den Gott kennen lernt, der für uns ist und mit uns sein will, indem man ihn so kennen lernt, daß ihn kennen und mit ihm sein eins ist, wird man auch hineingestellt in das Sein für und das Sein mit den Menschen. Christusgemeinschaft und Menschengemeinschaft sind Korrelate, das heißt es kann eins nicht sein ohne das andere.
Falsch ist ein mit-Gott-Sein, das nicht zugleich ein mit-den anderen-Sein ist — das heißt falsch ist jede asoziale Mystik; falsch ist aber auch ein mit-den-anderen-Sein, das nicht zugleich und zuerst ein mit-Gott-Sein ist — das heißt falsch ist jeder areligiöse oder gottlose Kommunismus. Jesus Christus ist die Wahrheit, die Gottes- und Menschengemeinschaft stiftet und dem Alleinsein ein Ende bereitet.
9) Joh. 15, 55.
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Darum kann man die Christuswahrheit nur in der Gemeinschaft empfangen. Die Ekklesia, die Christusgemeinde gehört darum selbst mit zur Offenbarung, ja sie ist ihr eigentliches Ziel. Das Sein in der geoffenbarten Wahrheit und das Sein in der durch sie verwirklichten Gemeinschaft sind unzertrennlich verbunden. Deshalb kann unmöglich das Sein in der Ekklesia als ein Mittel zum Zweck verstanden werden, sondern nur als dieser Zweck selbst, mag auch dieser Zweck in der irdischen Gestalt der Ekklesia noch unvollkommen erreicht sein.
Calvin wäre darum niemals auf jenen Gedanken verfallen, die Kirche als bloßes Heilsmittel zu betrachten, wenn er nicht in den Begriff der neutestamentlichen Ekklesia die geschichtlich gewordene Institution „Kirche” hineingelesen hätte. Darin steht er aber nicht allein; dasselbe haben vor und nach ihm die Katholiken und ebenso mit ihm die Protestanten aller Schattierungen getan. Was sie von einander unterscheidet, ist nur dies, daß sie aus dieser irrtümlichen Identifikation verschiedene Konsequenzen ziehen. Weil die Ekklesia des Neuen Testaments Selbstzweck und nicht Mittel zum Zweck ist, ist auch die Kirche Selbstzweck und nicht Mittel zum Zweck — so sagen die Katholiken. Weil die Kirche eine äußere Institution ist und nicht das Heil selbst, kann sie nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck sein — sagen die Protestanten; aber sie beide meinen — und darin irren sie beide — die Ekklesia des Neuen Testaments sei Kirche.
Kirche ist vielmehr etwas, das in einer langen und komplexen Geschichte, durch einen Prozeß der Entfaltung und zugleich der Umwandlung, und darum auch wieder der Rückbildung, aus der Ekklesia des Neuen Testaments geworden ist. Daß man im Blick auf diese verschiedenen historischen Gebilde, die Kirche heißen, auf den Gedanken
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kommen kann, ja kommen muß, sie sei nur ein Mittel zum Zweck, ein Heilsmittel, aber nicht das Heil, ist nicht nur verständlich, sondern auch richtig. Daraus aber entspringt nun das schwere Problem der Kirche, das in der undeutlichen Beziehung zwischen der Ekklesia des Neuen Testaments und der Institution Kirche seinen Grund hat. Denn von dieser Kirche — welche ihrer geschichtlichen Gestalten man auch vor Augen haben mag — kann man nicht sagen, daß sie reine Persongemeinschaft sei. Vielmehr gehört es zum Wesen dieser Größe „Kirche”, daß sie zugleich eine Sache, eine Institution ist.
Unter allen großen Lehrern der Christenheit war es Martin Luther, der den Unterschied zwischen der Ekklesia des Neuen Testaments und der Institution Kirche am deutlichsten sah und am leidenschaftlichsten gegen das quid pro quo der Identifikation beider reagierte. Darum hat er schon das bloße Wort Kirche nicht leiden mögen; er hat es ein „blindes, undeutliches Wort” (7) genannt). In seiner Bibelübersetzung gab er das neutestamentliche Ekklesia mit „Gemeinde” wider, und in seinen katechetischen Schriften umschrieb er das credo ecclesiam mit „Christenheit” oder „christliche Versammlung” (8). Er spürte, daß die neutestamentliche Ekklesia gerade kein Es, kein Ding, keine Institution ist, sondern eine Personeinheit, ein Volk, eine Versammlung, und als gründlicher Kenner seines Neuen Testaments wußte er und hob er hervor, daß ja dort oft von der Ekklesia geredet wird, ohne dieses Wort zu gebrauchen; diese äquivalenten Ausdrücke aber sind immer personhafter Art: das Israel Gottes, der Same Abrahams, das auserwählte priesterliche Geschlecht, das Volk des Eigentums usw. Das Wort Ekklesia selbst aber heißt Versammlung, Volk Gottes (9).
Aber so stark die Abneigung Luthers gegen das Wort
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Kirche war, so war die Geschichte stärker als er. Auch der Sprachgebrauch der Reformations- und Nachreformationszeit mußte den Kompromiß mit dem so mächtig gewordenen Begriff Kirche schließen, und mit ihm drang die ganze Konfusion, die diesem „blinden, undeutlichen” Wort anhaftet, auch in die reformatorische Theologie ein. Man konnte eine Geschichte von anderthalb Jahrtausenden nicht einfach ungeschehen machen. Der Begriff Kirche war und blieb geprägt durch diese Geschichte, in der in einem fünfzehnhundertjährigen Prozeß der Umwandlung aus der Persongemeinschaft Ekklesia die Institution Kirche, und zwar diejenige Kirche geworden war, in der nun gerade dieses institutionelle Moment maximal entwickelt ist, die Kirche, die sich selbst im Sinn dieses Institutionellen versteht, die römische. Die ganze Geschichte der römischen Kirche ist die Geschichte von der fortschreitenden und bis zur letzten Konsequenz folgerichtigen und vollkommenen Institutionalisierung, genauer der Verrechtlichung der Kirche. Die römische Kirche versteht sich selbst — seit dem Vaticanum und dem Codex juris canonici von 1918 kann darüber kein Zweifel mehr bestehen — im Sinn des sakramentalen Kirchenrechts. Im Vaticanum und im Codex juris canonici wird alles, was die Kirche ist, hat und gibt, dem Kirchenrecht untergeordnet; auch das Aufstellen von Dogmen ist ein Teil der päpstlichen potestas jurisdictionis. Darin aber hat die Bewegung, die schon am Ende des ersten Jahrhunderts begann, ihr letztes Ziel erreicht: Die Ersetzung der Persongemeinschaft durch die rechtliche Institution (10).
Ist die Kirche Institution — und irgendwie meinen das alle, die Kirche sagen — (11), dann ist Rom die kirchlichste Kirche, das Ideal des Kircheseins; denn in ihr ist die Institutionalisierung der Ekklesia vollendet — und in ihr allein 10).
10) s.u. S. 104 ff.
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Meint man aber mit Kirche etwas anderes als Rom (12), dann muß man sich darüber klar sein, daß man mit diesem „anders” bis zur Wurzel gehen muß; dann darf man Ekklesia nicht mit Kirche übersetzen und darf man nicht im Namen Jesu Kirche wollen. Dann muß man erkennen, daß die Ekklesia des Neuen Testaments, die Christusgemeinschaft der ersten Christen keine Kirche war und keine Kirche sein wollte.
Das Beispiel der römischen Kirche — der vollendet kirchlichen Kirche — zeigt uns im Negativ, was uns das Neue Testament selbst im Positiv zeigt. Die Ekklesia als koinonia Christu und koinonia pneumatos, als Leib Christi, ist reine Persongemeinschaft, ohne allen institutionellen Charakter.
Seit Augustin (13), vor allem aber seit Zwingli und Calvin hat man, aufmerksam geworden auf den Unterschied zwischen der neutestamentlichen Ekklesia und der historischen Kirche, einen völlig untauglichen Versuch gemacht, das Verhältnis beider Größen zu klären, nämlich durch die Unterscheidung einer „sichtbaren” und einer „unsichtbaren” Kirche. Untauglich ist der Versuch darum, weil gerade die unsichtbare Kirche keine Gemeinschaft ist, sondern ein numerus electorum, also ein ganz individualistischer Begriff; ebensowenig aber ist die „sichtbare” Kirche eine Gemeinschaft, sondern sie ist eine Institution, ein Kollektivum, darum ein „äußeres Hilfsmittel”. Das eine wie das andere geht an dem vorbei, was im Neuen Testament gemeint und wirklich war: an der Christusgemeinschaft, die als solche zugleich Gemeinschaft miteinander ist.
Mit diesem völlig untauglichen Mittel hat man sich auf Seiten der protestantischen Theologie jahrhundertelang die Nichtdeckung zwischen der vorhandenen kirchlichen Institution und dem im Neuen Testament mit Ekklesia gemeinten zu erklären versucht. Dieses Begriffspaar aber hat
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gerade das, was man klären wollte, nicht geklärt, sondern erst vollends verwirrt. Der Wille, das eigene institutionelle Ding, das man Kirche nannte, mit der Ekklesia des Neuen Testaments zu identifizieren, hat die Klärung dauernd verhindert, und dieser fatale Begriff der unsichtbaren Kirche hat dazu dienen müssen, die wirkliche Erkenntnis unmöglich zu machen.
Die Erkenntnis — zu der uns namentlich ein unvoreingenommeneres Studium des Neuen Testaments und die Not der Kirche geholfen hat — lautet: Die Ekklesia des Neuen Testaments, die Gemeinde Jesu Christi, ist reine Persongemeinschaft und hat nichts vom Charakter einer Institution an sich; es ist darum irreführend, irgend eine der historisch gewordenen Kirchen, die alle den Charakter von Institutionen haben, mit der Christusgemeinde zu identifizieren. Erst nachdem einmal diese Erkenntnis nach allen Seiten klar herausgearbeitet ist, kann man dann zur weiteren Frage übergehen: In welchem Verhältnis stehen denn die verschiedenen historischen Gebilde institutionellen Charakters, die Kirche heißen, zur Ekklesia, zur Christusgemeinde, und welches ist, von dieser her gesehen, ihr Wert und ihre Aufgabe? Damit ist uns der Gang unserer Untersuchung vorgezeichnet.