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Zur Behandlung des Verhältnisses von Kirche und Staat ist nicht nur die Kenntnis des reformierten Kirchenrechts, sondern auch der reformierten Lehre vom Staate notwendig. Es handelt sich hier nicht darum, allgemein vom Standpunkt des öffentlichen Rechts aus dieses Verhältnis zu untersuchen in seinen geltenden und historischen Gegebenheiten, sondern es besteht auch für das Kirchenrecht die Notwendigkeit der Abgrenzung vom Staate. Es ist darum das Verhältnis von Kirche und Staat ein Gegenstand sowohl des allgemeinen als auch des besonderen Kirchenrechts. Da wir aber die reformierte Staatslehre, deren Kenntnis unbedingt notwendig ist für diesen Gegenstand, im Rahmen dieser Arbeit nicht behandeln und auch nicht auf eine einschlägige Untersuchung darüber greifen können1), müssen wir auf die Behandlung
1) Es kämen hier vor allem in Frage Kuyper: Antirevolutionaire Staatkunde, 1916, und vom selben Verfasser: De gemeene gratie, Bd. III. Doch sind diese umfangreichen Werke noch sehr wenig bekannt im deutschen Sprachgebiet und zum Teil besonders zugespitzt auf die niederländischen Verhältnisse. Es war uns nicht möglich, den gewaltigen Stoff, der hier vorliegt, in genügender Kürze darzustellen, da die Vorbedingungen für das Verständnis der Ideen Kuypers bei uns vielfach nicht vorhanden sind. Kuyper wendet sich vor allem an die niederländischen Calvinisten, bei denen er auf gewisse Vorkenntnisse bauen kann. Doch möchten wir nachdrücklich auf diese beiden Werke hinweisen. Das Verhältnis von Kirche und Staat ist sehr eingehend behandelt in „Gemeene gratie”, Bd. III.
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dieses Verhältnisses ganz verzichten. Wir wollen aber trotzdem versuchen, wenigstens die wichtigsten Probleme in grossen Zügen herauszuschälen.
In der Kirche gilt geistliches Recht, im Staate weltliches Recht. In der Kirche gilt allein die Gewalt des Wortes und Geistes, im Staate die Gewalt des Schwertes. In erster Linie ist darum eine reinliche Scheidung der beiden Rechte und Gebiete notwendig.2) Aber Kirche und Staat kommen trotzdem in mancherlei Berührung. Am engsten ist diese Berührung dann, wenn sich Kirchenvolk und Staatsvolk decken, am losesten gestaltet sich die Berührung, wenn das Kirchenvolk nur einen verschwindenden Bruchteil im Staate ausmacht. Immer aber gehört der Christ zugleich der Kirche und dem Staate an.
Mit dem Beginn der Reformation übernahm die reformierte Kirche auch nach reformiertem Kirchenrecht den Bestand der ganzen Gemeinden, die der römischen Kirche angehört hatten. Die staatliche Obrigkeit wurde zugleich kirchliche Obrigkeit. Das war meistens dem reformierten Kirchenrecht entsprechend, da das Kirchenregiment auf derselben naturrechtlichen Ordnung ruht, wie die weltliche Regierung. Aber in bezug auf die Kirche besass die Obrigkeit ein geistliches Amt. Das Kirchenregiment war in der reformierten Kirche immer ein kirchliches Amt, auch dann, wenn es denselben Personen zukam, die die weltliche Gewalt ausübten. Das führte zu Konflikten, indem zunächst die weltliche Obrigkeit daran festzuhalten versuchte, dass Kirche und Staat sich decken. Es
2) Vergl. Inst. 4, 20, 1; 4, 20, 12; 3, 19, 15.
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kam zu dem auch in manchen reformierten Ländern angewendeten Grundsatz: Cuius regio, eius religio. Hier entspringt das erste Problem des Verhältnisses von Staat und Kirche, nämlich: wie scheidet die Kirche aus dem Staate aus. Das ist in erster Linie ein historisches Problem; denn die dogmatischen Grundlagen für diese Ausscheidung sind schon zur Zeit der Reformation gegeben, wenn auch nicht überall mit derselben Klarheit. Aber insofern als die Trennung noch nicht durchgeführt ist, bleibt die Frage auch rechtspolitisch und juristisch bedeutsam. Theologisch ist sie grundsätzlich gelöst durch die Unterscheidung der Gewalten.
Anders gestaltet sich das zweite Problem, das wir hier nur andeuten können. Auch dann, wenn Kirche und Staat in ihren Gewalten ausgeschieden sind und von einander getrennt sind, so besteht immer noch eine Berührung der beiden Sphären. Besonders da, wo der Souverän, oder in der Demokratie ein Teil des souveränen Volkes zur Kirche gehört. Wir haben gesehen, dass die Gemeinde zur Kirchenzucht greift, wenn Gemeindeglieder zu öffentlichem Aergernis Anlass geben. Wenn nun dieses öffentliche Aergernis eben in einer unsittlichen Art der weltlichen Gewaltbetätigung besteht, hat dann die Kirche auch zur Kirchenzucht zu greifen? Kann die Kirche in ihrer Disziplin Bestimmungen aufstellen über die Art der politischen Betätigung ihrer Glieder? Es ist ohne weiteres ersichtlich, dass die Beantwortung dieser Frage von ungeheurer Tragweite ist für das Verhältnis von Kirche und Staat, für das kirchliche
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und das politische Leben. Hier stehen wir vor einem dogmatischen Problem, das nur in Verbindung mit der reformierten Lehre vom Staat gelöst werden kann.
Ferner stellt sich ein drittes Problem. Wie stellt sich der Staat zur Kirche? Die Kirche ist eine Erscheinung im Rechtsleben des Staates, mit dem sich das staatliche Recht unbedingt auseinanderzusetzen hat. Es kann vorkommen, dass der weltliche Richter angerufen wird, um in Konflikten zu entscheiden, die zwischen der Kirche und einzelnen Bürgern, privaten Gesellschaften oder öffentlich-rechtlichen Personen ausgebrochen sind. Das Problem spitzt sich in die Frage zu, ob der weltliche Richter unter Umständen auch entscheiden muss nach Normen des Kirchenrechts oder ob er sein Urteil immer zu fällen hat nach rein weltlichen Gesetzen. Wenn dies letztere bejaht wird, so ist aber die Frage nur verschoben: Haben sich die weltlichen Gesetze, die die Kirche betreffen, zu richten nach dem reformierten Kirchenrecht oder nicht? Dies ist sowohl eine Frage für das geltende Recht als auch ein rechtspolitisches Problem. Aber auch für die reformierte Staatslehre stellt sich die Frage.
Endlich erwächst aus dem letzten noch ein viertes Problem, das wiederum das Kirchenrecht angeht. Wie verhält sich die Kirche zu der weltlichen Rechtsprechung in kirchlichen Sachen und zu der weltlich-rechtlichen Stellung des Staates zur Kirche. Hat die Kirche überhaupt eine solche Beziehung zu anerkennen und, wenn ja, welche Gestalt soll sie annehmen? Soll die Kirche
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mit dem Staate ein Konkordatsverhältnis eingehen oder soll sie den Staat das Verhältnis einseitig regeln lassen? Wie verhält sich die Kirche zu Privilegien beider Art, die ihr der Staat auferlegt?
Wir sehen, dass trotz dem geistlichen Charakter des reformierten Kirchenrechts und trotz seiner Bezeichnung als theologische Disziplin, ja, gerade durch diese Tatsachen das reformierte Kirchenrecht auch für die Jurisprudenz von brennendem Interesse ist.