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VIII. Kapitel.

Die Funktionen der Kirche.

 

Sowohl die konstitutiven wie die sittlichen Funktionen der Kirche werden durch die Organe ausgeübt: durch den Einzelnen im allgemeinen Priestertum, durch die Gemeinde im Gemeindeamt. Wir werden aber in diesem Kapitel besonders von den Gemeindefunktionen reden. Die Funktionen des Einzelnen haben wir bereits angedeutet im Abschnitt über das allgemeine Priestertum. Wir wollen aber noch einmal auf die kirchenrechtliche Bedeutung dieser Funktionen der Gemeinde gegenüber hinweisen. Das allgemeine Priestertum ist nicht nur eine Pflicht für jeden Gläubigen, sondern es ist ein Recht, das ihm von der Gemeinde nicht entzogen werden kann, ja, das die Gemeinde fördern soll. Im allgemeinen Priestertum liegt nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht, zur Gemeinde zu gehören und an den Sakramenten teilzuhaben. Die Funktionen, die der Einzelne durch das allgemeine Priestertum ausübt, brauchen sich nicht dadurch von denen der Gemeinde zu unterscheiden, dass sie weniger öffentlichen Charakter tragen und nur in der Stille ausgeübt werden. Nein, auch das allgemeine Priestertum kann öffentlich zur Geltung kommen. Es kann sogar kirchenrechtlich notwendig sein, dass ein Gläubiger öffentlich Gottes Wort bekannt macht. Umgekehrt können

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Gemeindefunktionen sich ganz in der Stille abspielen, ohne dass die Gemeinde davon Kenntnis erhält. (Z.B. Ermahnungen eines Einzelnen, Hilfe an einen Armen usw.) Der Unterschied liegt nicht in der grösseren Oeffentlichkeit der Gemeindefunktionen, sondern darin, dass die Gemeindefunktionen durch das Gemeindeamt geordnet und ausgeübt werden.

Wir haben im folgenden drei Fragen zu beantworten:
I. Wie werden die konstitutiven Gemeindefunktionen ausgeübt?
II. Wie werden die sittlichen Gemeindefunktionen ausgeübt?
III. Wie wird das Gemeindeamt geteilt?

 

I. Die konstitutiven Gemeindefunktionen.

Die konstitutive Funktion besteht in der Verwaltung der Schlüsselgewalt, in der Bekanntmachung des Wortes Gottes, in der Proklamation von Souveränität und Gerechtigkeit Gottes in Christus. Diese Funktion wird nun auf drei Arten ausgeübt: durch die Wortverkündigung, durch die Verwaltung der Sakramente und durch die Kirchenzucht.

1. Die Wortverkündigung.

Die Verkündigung des Wortes ist ganz gebunden an die Bibel. Nur dann wird durch die Predigt das Schlüsselamt ausgeübt, wenn wirklich das verkündigt wird, was Gottes Wort sagt. Die Predigt ist nicht ein religiöser Vortrag, sondern eine kirchenrechtliche Bekanntmachung. Die Wortverkündigung kann auf mancherlei Weise geschehen. Vor allem geschieht sie durch Gemeindepredigt,

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durch Missionspredigt, durch Jugendunterweisung; aber auch der theologische Hochschulunterricht fällt unter die Wortverkündigung.

a) Die Gemeindepredigt.

Wenn die Gemeinde auch besteht aus lauter Christen, die bekennen, zum unsichtbaren Leib Christi zu gehören, so ist für sie dennoch stets die Wortverkündigung weiter nötig; denn die Heiligung ruht ebensosehr wie die Wiedergeburt auf der durch Christus erworbenen Gerechtigkeit. Auch die regelmässige Predigt in der Gemeinde ist Anwendung der Schlüsselgewalt; denn der Christ sündigt beständig wieder und bedarf der täglichen Erneuerung.1) Von der Predigt darf niemand ausgeschlossen werden, auch nicht der durch die Kirchenzucht exkommunizierte. Die Gemeindepredigt muss auch den noch Fernstehenden zugänglich sein. Es handelt sich hier um eine Funktion der Gemeinde. Die Gemeinde ist weit mehr als blosses Objekt für den Prediger. Die Gemeindefunktion kommt dadurch zum Ausdruck, dass die Predigt vom Amtsträger gehalten wird. Das Wesentliche aber, wodurch die Predigt mit der Gemeinde verbunden ist, liegt darin, dass der Prediger das ausdrückt, das verkündigt, was die Gemeinde bekennt. Dass es sich um ein Gemeindebekenntnis handelt, kommt allerdings nicht anders als durch den amtlichen Charakter zum Ausdruck. Die ganze Gemeinde stellt sich unter die Gottesdienstordnung und drückt so ihre Mitwirkung und Anerkennung des Amtes aus.


1) Vergl. CH 14, DS 5, 1 ff., Inst. 3, 3, 10.

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b) Die Missionspredigt.

Die Wortverkündigung darf sich nicht nur an die Gemeinde wenden, sondern sie muss die Fernstehenden zu erreichen suchen. Der Missionsbefehl Jesu: Gehet hin in alle Welt! ist nicht dadurch erfüllt, dass die Gemeindepredigt allen Menschen offensteht. Der Missionscharakter des Christentums ist ein wesentlicher Zug. Aber auch die Missionspredigt geht immer von der Gemeinde aus. Der Missionar geht nie auf eigene Faust unter die Fernstehenden, sondern immer als Abgesandter der Gemeinde. Er zieht auch nicht dorthin, wo schon eine Gemeinde arbeitet, oder dann stellt er sich dort in den Dienst der bestehenden Gemeinde.

c) Jugendunterweisung.

Auch der Jugendunterricht ist Ausübung der Schlüsselgewalt. Jedoch tritt hier das Amt der Gemeinde in Verbindung mit dem allgemeinen Priestertum in der Familie. Nach reformierter Auffassung ist es aber nicht nur notwendig, dass der Religionsunterricht dem biblischen Glauben entspreche, sondern entsprechend der Auffassung, dass durch das Wort Gottes das Licht der Offenbarung auf die ganze Schöpfung und die Ordnungen Gottes fällt, soll grundsätzlich aller Unterricht vom Boden der Glaubenslehre aus erfolgen. Doch gehen wir hier über diese Frage hinweg, da es sich in Jugendunterricht und Erziehung nicht um ein rein kirchliches Amt handelt, sondern vielmehr um eine Aufgabe, die dem Inhaber der elterlichen Gewalt zukommt, freilich in Verbindung mit dem kirchlichen Amt. Auch wird diese Frage noch kompliziert durch die Rechte und Ansprüche des Staates

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auf die Erziehung der Jugend. Hier sei nur festgehalten, dass die reine Unterweisung in der Glaubenslehre grundsätzlich in den Bereich der Gemeindefunktionen fällt, aber in Verbindung mit dem allgemeinen Priestertum in der Familie.

d) Theologischer Hochschulunterricht.

Theologie ist nach reformierter Auffassung grundsätzlich Lehre dessen, was Gottes Wort sagt. Ganz abgesehen davon, dass durch den theologischen Unterricht die Prediger ausgebildet werden, besteht deshalb schon ein Verhältnis zur Kirche. Auch dieses Verhältnis sollte sich innerhalb des Gemeindeprinzips verwirklichen, indem grundsätzlich eine theologische Schule zu einer Gemeinde gehören soll und von den andern Gemeinden mit anerkannt sein muss. In Anbetracht dessen aber, dass die theologische Schule für alle Gemeinden eines Landes von Bedeutung ist, wird eine besondere Beaufsichtigung durch die Synode und eine weitere Anerkennung der Hochschullehrer notwendig. Die Regelung aller dieser Fragen ist Sache des besonderen Kirchenrechtes.

2. Die Verwaltung der Sakramente.

Durch die Wortverkündigung übt die Gemeinde ihre konstitutive Funktion in der Welt aus. Die Wortverkündigung ist eine allgemeine Ausübung der Schlüsselgewalt. Der Heidelbergerkatechismus stellt die Frage:2) Wie wird das Himmelreich durch die Predigt des heiligen Evangeliums auf und zugeschlossen? Antwort: „Also, dass nach dem Befehl Christi allen und jeden Gläubigen


2) HK 84.

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verkündigt und öffentlich bezeugt wird, dass ihnen, so oft sie die Verheissung des Evangeliums mit wahrem Glauben annehmen, wahrhaftig alle ihre Sünden von Gott um des Verdienstes Christi willen vergeben sind. Und hinwiederum allen Ungläubigen und Heuchlern, dass der Zorn Gottes und die ewige Verdammnis auf ihnen liegt, so lang sie sich nicht bekehren. Nach welchem Zeugnis des Evangeliums Gott beide in diesem und zukünftigen Leben urteilen will (wird).”

Zu der Wortverkündigung tritt nun noch das Sakrament, die Taufe und das Abendmahl. Das Sakrament hat nur Sinn in der Verbindung mit der Wortverkündigung. Es ist selbst nichts anderes als wiederum die Proklamation der Rechtfertigung durch Christus. Doch geschieht diese Proklamation durch ein äusseres Zeichen. Im Zeichen selber liegt eine Verkündigung; es ist nicht nur Hinweis auf die Verkündigung. Aber doch gewinnt es seinen Sinn nur aus dem Bekenntnis, das mit ihm verbunden ist. Das Sakrament ist die Bestätigung, dass dem Menschen seine Rechtfertigung durch Tod und Auferstehung von Christus kundgegeben ist. Es ist eine Bestätigung, die nicht nur durch den Verwalter des Sakramentes in der Gemeinde erfolgt, sondern das Sakrament ist die Besiegelung der Rechtfertigungsproklamation durch Gott selbst. Es ist durch Christus eingesetzt und drückt durch die Handlung selbst das Teilhaben am Sühnetod Christi aus. Das Sakrament ist gewissermassen das dem einzelnen Menschen greifbare Wort Gottes. Die Abwaschung durch das Wasser der Taufe ist darum die Bestätigung der Abwaschung der Sünde durch Christus und durch Brot und

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Wein im Abendmahle wird dem Gläubigen die durch Hingabe von Christi Leib und Blut erworbene Sündenvergebung bestätigt. Aber das Sakrament wirkt das nicht anders als durch das Pneuma. Gleicherweise, wie der Buchstabe der Schrift an sich nichts bedeutet, sondern erst durch das Wirken des heiligen Geistes zum Wort Gottes wird, so bedeutet das äussere Zeichen noch nichts, sondern wird nur durch das Pneuma zum Sakrament, d.h. zum Zeichen, durch das Gott dem Menschen die Gnade zukommen lässt. So sagt das Sakrament nichts Neues aus gegenüber dem Worte Gottes, sondern ist gleichsam ein Siegel, das unter der Urkunde eben den Inhalt dieser Urkunde bestätigt. Diese enge Verbindung, ja, diese Einheit von Wort und Sakrament tritt auch in der Tatsache hervor, dass z.B. Calvin in seinem Genferkate-chismus unter dem Titel „De Sacramentis” auch von der Predigt spricht.3) Auch der Heidelbergerkatechismus handelt sowohl von der Predigt als auch von den Sakramenten unter dem Titel „Von den heiligen Sakramenten”. Ferner sei noch der „Consensus Tigurinus” von 1549 zum Zeugnis angeführt, jene von Calvin und Bullinger aufgesetzten Artikel, die die Grundlage boten für die Einigung der Zürcher und Genferkirchen in der Sakramentsfrage. Im siebenten Artikel heisst es: Nam etsi (sacramenta) nihil aliud significant, nisi quod verbo ipso annunciatur, hoc tamen magnum est, subiici oculis nostris vivas imagines, quae sensus nostros melius afficiant, quasi in rem ducendo, dum nobis Christi mortem, omniaque eius


3) Einzelne spätere Ausgaben teilen diesen Abschnitt in zwei Teile: „De verbo Dei” und „De Sacramentis”.

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beneficia in memoriam revocant, ut fides magis exerceatur, deinde quod ore Dei pronunciatum erat, quasi sigillis confirmari et sanciri.

Wie das Gnadenwirken durch den heiligen Geist und durch das Wort Gottes sich darin äussert, dass dem Menschen die Norm des Glaubens gestellt ist, so wirkt mit dem Worte Gottes das Sakrament eine Bestätigung dessen, dass der Mensch nur glauben soll.6) Das Sakrament ist nicht ein magisches Mittel, sondern es bezeugt dem Menschen, dass allein Christus seine Rechtfertigung vollbracht hat und dass er deshalb allein durch den Glauben an Christus vor Gott gerecht ist. Es ist nicht ein Zeichen des Menschen Gott gegenüber, sondern ein Zeichen Gottes dem Menschen gegenüber. Es ist nicht ein Bekenntnis des Menschen für Gott, sondern ein Bekenntnis Gottes zum Menschen. Durch das Sakrament wird der Glaube dem Menschen zur Norm, zum Gebot, genau wie durch die Wortverkündigung.

Aber es ist damit noch nicht genügend ins Licht gestellt, was das Sakrament von der Wortverkündigung unterscheidet. Diese Unterscheidung liegt darin verwurzelt, dass die Wortverkündung allgemeinen Charakter trägt, das Sakrament dagegen ganz bestimmte einzelne Personen betrifft. Daher wird erst im Sakrament die Gemeinde abgegrenzt sichtbar. Das Sakrament wird dadurch zum vollkommensten Gemeindebekenntnis. Wohl gehört jemand schon vor dem Empfang des Sakramentes zur Gemeinde, aber erst durch das Sakrament bekennt er dieses öffentlich. Dies ist auch in


6) Vergl. H.K. 65.

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verschiedenen reformierten Bekenntnisschriften ausgedrückt, so im bereits angeführten consensus Tigurinus.7) Taufe und Abendmahl sind Gemeindefeiern.

Durch das Sakrament wird die Schlüsselgewalt verwaltet, doch nicht in einem andern Sinne als durch die Wortverkündigung. Aber während die Wortverkündigung beliebige Personen betrifft, wird hier die Schlüsselgewalt einzelnen bestimmten Personen gegenüber über verwaltet. Das unterscheidet das Sakrament von der allgemeinen Wortverkündigung. Dass aber durch das Sakrament auch die Gemeindeabgrenzung sichtbar wird, ist nicht sein erster Sinn, sondern etwas Akzidentielles. Es ist dadurch gegeben, dass das Sakrament durch das Gemeindeamt verwaltet wird und an die Verwaltung des Wortes gebunden ist. Der Charakter des Gemeindebekenntnisses, der so zugleich im Sakrament liegt, gehört notwendigerweise dazu. Es wird durch das Sakrament ausgedrückt, dass das Bekenntnis nicht nur eine Privatsache, sondern eine Gemeindesache ist. Die Zugehörigkeit zur Gemeinde Gottes wird dadurch öffentlich bekannt.

Taufe und Abendmahl sind die beiden von Christus eingesetzten Sakramente. Durch beide wird die Schlüsselgewalt verwaltet. Ihr dogmatischer Unterschied liegt darin, dass die Taufe ein einmaliges Zeichen ist, während das Abendmahl häufig wiederkehrt.8)


7) Ebenfalls im bereits angeführten Artikel 7: „ut notae sint ac tesserae christianae professionis et societatis”. Vergl. ferner CH 19 (bei Müller 205, 38); Schottisches Bekenntnis 21 (bei Müller 259, 14).
8) Inst. 4, 18, 19.

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Durch die Taufe wird verkündigt, dass durch den Tod und die Auferstehung von Christus die Rechtfertigung ein für allemal geschehen ist und dass deshalb der Getaufte als einer, dem dieses bekanntgemacht ist, die Rechtfertigung im Glauben erfassen, sein Leben im Gehorsam gegen Gott hingeben und Christus vor den Menschen bekennen soll. Gleicherweise, wie der Christ ein für allemal getauft ist, soll er die einmal vollbrachte Rechtfertigung im Glauben erfassen. Das hat ihm Gott durch seine Taufe bestätigt. Es ist notwendig, dass der Christ getauft werde, nicht allein deshalb, weil ihm sonst diese Bestätigung fehlt, an der er sich festhalten kann wie an einem Wort, das Gott selber gesprochen hat, sondern auch deshalb, weil damit das öffentliche Bekenntnis der Zugehörigkeit zur Gemeinde ausgesprochen wird. Trotzdem die Taufe ein Bekenntnis ist, kann daraus nicht eine Ablehnung der Kindertaufe abgeleitet werden.

Wer freilich nicht als Kind schon getauft wurde, der bedarf der Taufe als Erwachsener. Die Kindertaufe ist darauf gegründet, dass das Kind der Gläubigen eingeschlossen ist in die Gemeinde derjenigen, die Christus bekennen. Solange das Kind nicht urteilsfähig ist, bekennen die Inhaber der elterlichen Gewalt statt seiner und ihm gegenüber. Die Taufe kann aber deshalb stattfinden, da sie nicht ein Zeichen des Menschen Gott gegenüber, sondern Gottes dem Menschen gegenüber ist. Durch die Geburt schon gehört das Kind zur Gemeinde und hat ein Recht auf die Taufe. Wenn dagegen der Mensch urteilsfähig ist, so darf er nur getauft werden auf eigenes Begehren. Immer aber ist die Taufe etwas Passives für den Täufling. Sie wird

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an ihm vollzogen, gleichwie er ohne sein Zutun gerechtfertigt ist.

Falls ein Christ als Kind getauft wurde, so ist später im Alter der Urteilsfähigkeit die Ablösung des stellvertretenden Bekenntnisses durch das selbständige Bekenntnis notwendig, die Konfirmation.

Auch das Abendmahl ist Wortverkündigung, Oeffnung des Himmelreiches durch die Proklamation der Rechtfertigung. Auch dem Abendmahl kommt der verpflichtende Charakter des Sakramentes zu: die Verpflichtung zum Glauben, zum Gehorsam und zum Bekenntnis. Jedoch kommt hier zum Ausdruck, dass der Christ jederzeit von neuem zu glauben hat, dass er der fortwährenden Ernährung durch Christus bedarf. Doch darf man sich diese Bedeutung des Abendmahles nicht in dem Sinne vorstellen, als ob es sich um Aufnahme eines geistlichen Vorrates handelte, der nach seiner Erschöpfung wieder ergänzt werden müsste. Es handelt sich vielmehr um eine stets erneuerte Bestätigung der Sündenvergebung und Rechtfertigung im Geiste. Im Abendmahl wird aber auch die Einheit der Gemeinde bekannt und zwar immer neu.

3. Die Kirchenzucht.

Um zu einem richtigen Verständnis der Kirchenzucht zu gelangen, müssen wir von allem Anfang an ihre Beziehung zur Rechtfertigung festlegen. Wenn wir das unterlassen, so finden wir überhaupt keinen organischen Zusammenhang mehr mit dem geistlichen Recht. Es handelt sich in der Kirchenzucht um rein geistliches Recht, das immer ganz scharf vom weltlichen Strafrecht geschieden

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werden muss. Ihr Wesen ist verschieden, wenn auch hie und da Anklänge vorliegen, die rein äusserlich ein Unterscheiden schwierig machen, besonders zu jener Zeit, da Staat und Kirche nur einen Kreis bildeten.9) Die ganze Kirchenzucht geht auf die Rechtfertigung, zurück, ebenso wie die Wortverkündigung. Ja, die Kirchenzucht selber ist nichts anderes als Proklamation des Wortes. Sie hat nicht zum Ziel, wie das Strafrecht durch Vergeltung das äussere Zusammenleben zu ordnen, sondern ihr Ziel ist ein durchaus geistliches und auch ihr Mittel ist kein anderes als die Gewalt des „Wortes”.

Die Kirchenzucht ist in der Schlüsselgewalt eingeschlossen. Ist schon in der allgemeinen Wortverkündigung auch das Zuschliessen eingeschlossen, so ist doch dieses noch nicht die eigentliche Kirchenzucht. Um solche handelt es sich erst, wenn das Zuschliessen einzelnen Personen gegenüber erfolgt. Das Zuschliessen ist aber nicht eine neueFunktion für sich, sondern vielmehr nur die negative Auswirkung des


9) Hans Haussherr ist in seiner Schrift über den „Staat in Calvins Gedankenwelt” ganz dieser Verwechslung zum Opfer gefallen. Er macht zu wenig den Versuch, das Verhältnis von Kirchenzucht und Strafrecht wirklich aus der „Gedankenwelt” Calvins zu ergründen, sondern wirft sich, ohne sich mit der Dogmatik der Kirchenzucht auseinanderzusetzen, gleich auf die Betrachtung der genferischen politischen Verhältnisse. Hier, wo es nun auf die Deutung der Beziehungen ankommt, ohne die alles im haltlosen Relativen steckt, zieht er gar nicht Calvins Gedankenwelt zur Deutung heran, sondern sucht von vorneherein alles politisch zu erklären. So kommt er zum Schluss: Die Ordonnances ecclesiastiques sind weltliches Recht. Natürlich ist es ihm unbenommen, die historischen Erscheinungen unter irgend einem Gesichtspunkte zu betrachten. Der Gedankenwelt des Reformatoren stehen aber diese Gesichtspunkte, wenigstens was die Kirchenzucht und das Kirchenrecht anbetrifft, vollständig fern.

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Aufschliessens, etwas Akzidentielles. Dieser akzidentielle Charakter des Zuschliessens wird sich in der Folge als bedeutsam erweisen.

Das Aufschliessen ist die Proklamation der Rechtfertigung und damit des Einverleibtseins in den Leib Christi. Das Zuschliessen nun hat den gegenteiligen Sinn: es ist die Proklamation des Gerichtes und damit des Abgeschnittenseins vom Leibe Christi und deshalb auch von der sichtbaren Gemeinde. In der Kirchenzucht kommt am stärksten die Abgegrenztheit der Gemeinde zum Ausdruck.

Aus der Erwägung, dass es sich nur um ein Akzidentielles handelt in der Kirchenzucht, ergibt sich, dass sie nur auf getaufte Gemeindeglieder Anwendung finden kann.10) Das Wesen der Kirchenzucht schliesst aus, dass sie sich gegen solche wendet, die überhaupt nicht zur Gemeinde gehören.

Die Kirchenzucht kommt ferner nur dann zur Anwendung, wenn ein Glied der Gemeinde zu öffentlichem Aergernis Anlass gibt. Auch im Falle der Kirchenzucht überschreitet das Kirchenrecht die Grenze der Oeffentlichkeit nicht.11) Sünden, die ganz im Geheimen begangen werden, Gedanken und Ansichten, die nicht geäussert werden, sind kirchenrechtlich nicht relevant für die Gemeinde. Denn der Sinn des Kirchenrechtes ist die Versichtbarung der Welt gegenüber, das Kundwerden, das Bekenntnis. Freilich kann etwas zuerst im Geheimen begangen worden sein, das nachträglich


10) Bulllinger im Matthäuskommentar, 1542, S. 174 b: „Valere debet haec disciplina inter fratres, hoc est inter eiiusdem corporis ecclesiastici membra et Christianae religionis consortes”.
11) GK 152, 35 ff.

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an die Oeffentlichkeit gelangt; dann fällt es in den Bereich des Kirchenrechts und der Kirchenzucht. Fragen wir nun, in was für Fällen die Kirchenzucht einzugreifen hat, so lässt sich nichts allgemeines darüber sagen ausser: es kann alles, das gesamte Handeln und Bekennen eines Gliedes der Gemeindeschaft, soweit es im Widerspruch steht zu den sittlichen und konstitutiven Funktionen, unter die Kirchenzucht fallen. Es ist auch durchaus denkbar, dass von einer Gemeinde bestimmte Tatbestände speziell zum voraus als unter die Kirchenzucht fallend bezeichnet werden. Es ist also möglich, dass gewissermassen ein Strafgesetzbuch aufgestellt wird (Sittenmandate). Jedoch haben diese Mandate einen vollständig andern Charakter als die weltlichen Strafgesetzbücher. Es gilt hier nicht der Satz: Nulla poena sine lege. Es wird ja nicht die Uebertretung eines einzelnen Tatbestandes bestraft, sondern die hartnäckige Unbussfertigkeit. Es muss damit gerechnet werden, dass ein Glied der Gemeinde schwere Verbrechen begehen kann. Zeigt es sich aber reuig und bussfertig, so ist es ausgeschlossen, dass durch die Kirchenzucht eine Abschneidung von der Gemeinde erfolgen kann. Solche Mandate haben viel mehr den Sinn einer Gemeindedisziplin, der sich jedes Glied unterziehen soll. Es fehlt ihnen auch vollständig das, was ein Strafgesetz ausmacht: nämlich Tatbestände mit ihren Strafandrohungen. Auch wenn eine solche Disziplin äusserlichste Dinge verordnet, so befinden wir uns dennoch auf rein geistlichem Gebiete. Es handelt sich ja nicht um den Schutz dieser und jener Rechtsgüter, sondern es handelt sich einzig und allein um die Ehre Gottes. Und nicht äussere

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Zwangsmittel werden angewendet, um der Ordnung zum Durchbruch zu verhelfen, sondern einzig und allein die Gewalt des Wortes, in der Ausübung des Schlüsselamtes.

Dass die Kirchenzucht nur Glieder der Kirche treffen kann, haben wir schon betont. Es ist hier notwendig, auf die geistliche Lage dieser Glieder einen Blick zu werfen. Es ist von vornherein ausgeschlossen, zwischen Erwählten und Nicht-Erwählten zu unterscheiden. So sehr die reformierte Lehre die Notwendigkeit der persönlichen Heilsgewissheit betont, so bleibt sie doch rein persönlich, und weder die Gemeinde noch irgend ein Mensch hat darüber ein Urteil zu fällen, ob jemand erwählt sei oder nicht. So wird denn auch die Vermutung ganz und gar zurückzuweisen sein, dass sich die Kirchenzucht etwas mit diesem Urteil abzugeben habe. Die Kirchenzucht — wie überhaupt das Kirchenrecht — fragt nicht nach dem Beweise der Erwählung, sondern nur nach dem Bekenntnis. Das heisst aber nicht, dass die Erwählung deshalb ausser Acht gelassen worden ist. Nein, die dogmatische Notwendigkeit und Voraussetzung für das Bekenntnis ist die Erwählung. Jedoch könnte auch ein Heuchler bekennen, und sie herauszusuchen ist nicht Aufgabe der Kirche. Auf sie gilt jenes Gleichnis vom Unkraut im Weizen, wo der Herr verbietet, das Unkraut auszureuten aus Furcht, es könnte auch der Weizen mitgerissen werden. So ist mit der Ausschliessung eines Gliedes aus der Gemeinde noch nichts gesagt über Seine Erwählung. Die Kirchenzucht hat deshalb nicht den Sinn zu verdammen, sondern vielmehr zu retten. Wohl ist es möglich, dass einzelne Glieder vollständig abfallen

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und nie mehr zurückkehren. Dann handelt es sich eben um offenbar gewordene Hypokriten. Aber es muss doch immer mit der Möglichkeit und mit dem Ziel für die Kirchenzucht gerechnet werden, dass der Betreffende reuig wird, dass er zurückkehrt, dass er sich bekehrt. Die Zucht — nicht Strafe — wird deshalb immer in der schonendsten Weise geübt werden und nur in den äussersten Fällen zu einer Abschneidung führen, nur da, wo das öffentliche Aergernis ein längeres Zuwarten kategorisch verbietet.

Der Weg, der in der Kirchenzucht eingeschlagen wird, ist vorgeschrieben im Evangelium nach Matthäus Kapitel 18. Die Grundlage bildet die persönliche Ermahnung. Diese steht jedem Gläubigen im allgemeinen Priestertum zu. Führt die Ermahnung zum Ziel, den Sünder umzustimmen, ihn abzuhalten oder das Geschehene wieder gut zu machen, zu widerrufen, so ist die ganze Angelegenheit schon erledigt. Er wurde „gewonnen”, das Himmelreich, von dem er abgeirrt war, wurde ihm wieder geöffnet. Beharrt er in seiner Verkehrtheit oder glaubt er richtig getan zu haben, so müssen noch zwei oder drei Zeugen dazu kommen. Ein kleiner Kreis von bewährten Männern, die nicht der Kirchenpflege anzugehören brauchen, wird die Sache beraten, prüfen und, wenn nötig, den Sünder zur Umkehr ermahnen. Gibt er sich auch da nicht zufrieden, so muss die ganze Angelegenheit vor das Gemeindeamt und die Gemeinde kommen. Sie wird in letzter Linie die Verantwortung tragen müssen. Eine Exkommunikation kann nicht erfolgen, ohne dass die ganze Gemeinde mitverantwortlich ist. Behauptet der Exkommunizierte, recht

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gehabt zu haben, glaubt er, dem Worte Gottes entsprechend gehandelt zu haben, so ist allerdings nun eine Spaltung möglich. Aber sie kann nie erfolgen, ohne dass die ganze Gemeinde die Verantwortung trägt und sich entscheiden muss. Es ist durchaus richtig, dass im Calvinismus die Möglichkeit für die Spaltung sehr leicht gegeben ist. Aber jede Spaltung, die so eintritt, in der eine ganze Gemeinde mitbeteiligt ist, trägt einen solchen sittlichen Ernst, dass sie tatsächlich nur dann mit vollem Bewusstsein eintreten kann, wenn es sich um ganz entscheidende Punkte handelt. Es muss aber gesagt werden, dass die meisten Spaltungen im Calvinismus durchaus nicht auf diese Weise eingetreten sind, sondern ohne die Entscheidung von ganzen Gemeinden, grossenteils durch Austritte, Uebertritte, Missionsarbeit von Gemeinden auf fremden Gebieten usw. Drei Fälle von Kirchenspaltung, in denen es sich aber um entscheidende Fragen gehandelt hatte, seien hier als Beispiele erwähnt: der Ausschluss der Remonstranten aus der Niederländischen Kirche auf der Synode zu Dordrecht 1619, ferner die Trennung der westschweizerischen, insbesondere der waadtländischen Freikirche 1847 und ferner die Trennung der freireformierten Kirche der Niederlande 1886 (Gereformeerde Kerk).

Es ist nicht gesagt, dass die Gemeinde immer aktiv sich äussern muss über einen Fall der Kirchenzucht und der Abschneidung. Es ist durchaus denkbar, dass sie sich begnügt mit einer stillschweigenden Zustimmung. Doch darf die Bekanntmachung an die Gemeinde niemals übergangen werden. Ist nun ein Fall der Kirchenzucht

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soweit gekommen — und nur wenige kommen in der Regel so weit —, dass eine öffentliche Kundgebung der Abschneidung erfolgt ist, eine öffentliche Proklamation der Ausschliessung an den Betreffenden, so ist sie sofort wirksam, jedoch tritt sie erst in sichtbare Erscheinung dadurch, dass der Betreffende vom Abendmahl ausgeschlossen ist, dass ihm unter allen Umständen das Abendmahl verweigert wird. Hier im Sakrament, wo die Gemeinde ihre vollkommenste Versichtbarung erlangt, hier tritt auch die negative Seite des Schlüsselamtes in greifbarste Erscheinung.

Einem Abgeschnittenen sind die Sakramente verschlossen, dagegen steht ihm die öffentliche Predigt nach wie vor offen. Das ist deshalb so, weil die ganze Zucht ja ihm zum Heil angewendet wird. Das Heilswort, das er im Glauben annehmen soll, wird ihm nie entzogen. Kommt ein solcher Abgeschnittener zur Umkehr, so ist es notwendig, dass er öffentlich seine Umkehr bekenne; denn nur unter der Anerkennung durch die Gemeinde kann er wieder aufgenommen werden. Wenn die Gemeinde die Wiederaufnahme gutgeheissen hat, dann wird das wieder öffentlich bezeugt dadurch, dass der Zurückgekehrte am Abendmahl teilnimmt.

Zum tieferen Verständnis dieses Abschnittes möchten wir noch nachdrücklich auf den 5. Abschnitt der Beschlüsse der Dordrechter Synode hinweisen. Dort haben die Fragen der Erwählung, Beharrlichkeit der Gläubigen, Busse einen klassischen Ausdruck gefunden. Ohne vollständige Klarheit über diese Grundbegriffe der Heilslehre bleibt auch die ganze Lehre der Kirchenzucht im Dunkeln.

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II. Die sittlichen Gemeindefunktionen.

Die Unterscheidung in sittliche und konstitutive Funktionen hat nicht den Sinn, dass es zweierlei Handeln gäbe, wovon das eine sittlich ist und das andere nicht. Nein, auch die Verpflichtung zur Wortverkündigung ist sittlicher Natur, auch sie ist geistliche Norm. Aber sie ist eine sekundäre Norm, die sich erst aus der besonderen Offenbarung ergibt und nicht innerhalb des Moralgesetzes liegt. Ist aber einmal die Wortverkündigung gefordert, so ist sie es mit derselben sittlichen Strenge, wie alles Sittengebot. Durch die Norm des Glaubensgehorsams ist aber das ganze Moralgesetz mit einbezogen in das sekundäre geistliche Recht und unter die Rechtfertigung durch Christus gestellt. Auch das Sittengebot ist in der Schrift offenbart.

Calvin bestrebt sich, in der Behandlung des Dekaloges zu zeigen, dass er vollständig übereinstimmt mit dem Gebote der christlichen Nächstenliebe und Gottesverehrung.12) Die christliche Ethik steht nicht im Gegensatz zum Dekaloge, sondern der Dekolog drückt vielmehr gerade das aus, was auch die christliche Sittlichkeit verlangt. In der reformierten Auffassung ist die Kirche an die Stelle des israelitischen Volkes getreten. Vor Christus besitzen die Juden die Offenbarung Gottes. Ihnen ist das „Gesetz” offenbart. Hier finden wir schon den Gegensatz der „offenbarten” und der weltlichen


12) Vergl. Inst. 2, 8, 1 ff. Auch in der Behandlung der Bergpredigt verfolgt Calvin das Ziel, ihre Uebereinstimmung mit dem Dekaloge zu zeigen. Es gibt keine „Ethik der Bergpredigt”, die im Gegensatz stände zum Dekalog, der selber nichts anderes als die Gebote der natürlichen Sittlichkeit offenbart.

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Sittlichkeit. Den Heiden ist nicht die volle Offenbarung gegeben, sondern nur ein Schatten davon. Allen Menschen ist ein Stück Offenbarung gelassen, „gratia generalis”, im Hinblick auf die Offenbarung in Christus, auf die „gratia specialis”, genug, um wegen Ungehorsams gegen Gottes Gebot schuldig erfunden zu werden.13)

Schon der Dekalog der Juden ist nach reformierter Auffassung Offenbarung. Aber er offenbart nichts anderes als die natürliche Sittlichkeit, die allen Menschen vorgeschriebenen Gebote Gottes. Die mehrfache Bedeutung des Gesetzes kommt schon hier zum Ausdruck. Schon in der Offenbarung des Gesetzes liegt eine Beziehung zum geistlichen Recht, das offenbart werden wird. Wenn aber die weltliche Obrigkeit in den reformierten Ländern sich zur Zeit der Reformation auf den Dekalog beruft und gewissermassen mit der Bibel in der Hand regiert, so ist das dennoch nicht Anwendung von geistlichem Recht; sie stützt sich deshalb auf den Dekalog und die Bibel, weil der Dekalog die natürlichen Gebote Gottes wiedergibt.

Grosses Gewicht legen die Reformatoren darauf, dass zur christlichen — und deshalb auch zur natürlichen Ethik beide Tafeln gehören, die Gebote, die das Verhalten des Menschen gegenüber» Gott betreffen, wie auch das Verhalten gegenüber den Mitmenschen. Dies ist für das reformierte Kirchenrecht von grosser Bedeutung. Denn gibt es einen „natürlichen Gottesdienst”, eine Gottesverehrung, die rein sittlich gefordert ist, dann muss in erster Linie diese Gottesverehrung in der reformierten Kirche wiederhergestellt werden.


13) Rom. 2, 14 if. Vergl. auch Kuyper: Gemeene gratie.

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Lassen wir Calvin darüber reden:14) „Nun wollen wir den Begriff der rechten Gottesverehrung näher bestimmen. Ihr Kern besteht darin, dass wir Gott der Wahrheit gemäss als die alleinige Quelle allen Wertes, aller Gerechtigkeit, aller Heiligkeit, Weisheit, Wahrheit, Macht, Güte und Milde, allen Lebens und Heils anerkennen; dass wir bei ihm allein alles suchen und darum auch in jeder Not zu ihm aufschauen. So entsteht das Bittgebet, so Lob und Preis — Ausdrucksmittel der Ehre, die wir ihm erweisen. Das ist die wahre Heiligung seines Namens, die er von uns zu allererst verlangt. Verwandt damit ist die Anbetung, die Gott in seiner Erhabenheit und Grösse würdige Ehrfurcht erweist. Als Stützen und Hilfsmittel dazu dienen die gottesdienstlichen Formen, damit Leib und Seele vereint ihre Verehrung zum Ausdruck bringen. Daran schliesst sich an die Selbstverleugnung: die Umgestaltung in ein neues Leben unter Absage an Fleisch und Welt, auf dass wir fernerhin nicht uns selbst leben, sondern uns seiner Leitung und Führung unterstellen. Diese Selbstverleugnung führt zu willigem Gehorsam gegen seinen Willen, so dass seine Furcht unsere Herzen regiert und alle unsere Lebensäusserungen beherrscht.
„Dass in alledem die wahre, rechte Gottesverehrung besteht, die Gott selbst billigt und liebt, das bezeugt der heilige Geist überall in der heiligen Schrift, das sagt jedem ohne Umschweife schon das natürliche Empfinden. Eine andere Weise der Gottesverehrung gab es von Anfang an nicht.”


14) Brief an Kaiser Karl V. in der Uebersetzung von Simon, Seite 171.

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So kennt die reformierte Kirche eine natürliche Gottesverehrung, die durch Christus wiederhergestellt wurde. Ihr Wesen liegt im Gebet, in Preis Gottes und Dank, in der Anbetung. Neben dem Gebot der Gottesverehrung steht die zweite Tafel, das Gebot der Nächstenliebe, das alle Gebote der zweiten Tafel des Moralgesetzes einschliesst. Das Liebesgebot ist nach reformierter Lehre nicht ein neues Gesetz, das im Gegensatz stände zum natürlichen Moralgesetz. Es ist vielmehr seine Zusammenfassung. So redet auch der Heidelberger Katechismus in seinem dritten Teile (Von der Dankbarkeit) über das Gesetz, und dem fügt er einen Abschnitt über das Gebet an. In der Erfüllung des Gesetzes und im Gebet übt der Einzelne seine sittlichen Funktionen (die Dankbarkeit) aus. Dementsprechend übt die Gemeinde ihre sittlichen Funktionen in der Gottesverehrung, deren Wesen das Gebet ist, und in der Liebestätigkeit aus.

1. Die Gottesverehrung durch die Gemeinde.15)

Als das Wesen der natürlichen und sittlichen Gottesverehrung haben wir das Gebet bezeichnet. Neben der Wortverkündigung nimmt deshalb das Gebet eine wichtige Stelle ein im reformierten Gottesdienst. Nicht nur der einzelne Gläubige übt im allgemeinen Priestertum das Gebet, sondern auch der Gemeinde steht es zu im Gemeindeamt.

Die Gemeinde übt das Gebet in der gottesdienstlichen Form. Die ganze Liturgie, die ganze


15) Vergl. zu diesem Abschnitte Wilhelm Jenny: „Der Gottesdienst, eine Betrachtung über seine Schönheit”. Reformierte Schriften Nr. 3, 1925.

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Gottesdienstordnung und alles, was dazu dient, steht grundsätzlich unter dem sittlichen Gesichtspunkt des Gebetes. Auch der Wortverkündigung wird durch die Gottesdienstordnung ihr Platz angewiesen im Gemeindegottesdienst. Die Verkündigung wird damit „unter” das Gebet gestellt. Sie ist nicht weniger wichtig, aber es wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Geist erbeten werden soll. Wie die gottesdienstliche Form im einzelnen gestaltet wird, ist eine Frage des besondern Kirchenrechts. Hier handelt es sich nur darum, festzustellen, dass ihr Wesen Gebet ist. Die gottesdienstliche Form ist also nicht irgendwie psychologisch oder ästhetisch begründet, sie ist auch nicht blosses Symbol, sondern sie ist Gebet. Sie ist Ehrfurcht vor Gott. Diese Ehrfurcht wird äusserlich bezeugt. Die reformierte Lehre trennt nie Leib und Seele, trotzdem sie beide unterscheidet. In der gottesdienstlichen Form kommt die Einheit des Menschen zum Ausdruck, er soll mit Leib und Seele Gott dienen. Das Aeusserliche ist nie Nebensache, sondern im Gebet muss der ganze Mensch anwesend sein und mitwirken, trotzdem es ein Sprechen ist.

Weil erst durch Christus die natürliche Gottesverehrung neu hergestellt ist, weil erst durch Christus das Gebet vor Gott angenehm wird, so wird in das Zentrum des ganzen Gottesdienstes die Verkündigung Christi gestellt. Nicht darum erhört Gott das Gebet, weil der Mensch dadurch ein Gebot der Sittlichkeit erfüllt, sondern darum, weil Christus die Rechtfertigung erlangt hat für die Gläubigen. Die reformierte Kirche kennt kein anderes Opfer als Christus. Sie kennt darum keinen

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Altar, um den sich der Gottesdienst ordnet, sondern allein das Wort als das ordnende Prinzip für die gottesdienstliche Form. Will nun durch die gottesdienstliche Form Ehrfurcht vor Gott bezeugt werden, so geschieht das allein in der Bezeugung von Demut und Ehrfurcht vor dem Wort. An den Anfang des Gebetes tritt das Bekenntnis der Sünde und Schuld.

Wenn die reformierte Kirche auf das Aeusserliche grosses Gewicht legt, so geschieht das nie als Glanzentfaltung und Leistung. Der Sinn aller gottesdienstlichen Formen liegt nicht in ihrer Aesthetik, sondern in ihrer Unterordnung und Gruppierung um das Wort. Freilich soll das nie unter Missachtung ästhetischer oder ethischer Normen geschehen, aber doch immer so, dass der alleinige Schmuck des Gottesdienstes das Wort bleibt. Je nach den verschiedenen Zeiten wird die Form des Gottesdienstes, was ihre ästhetische Ausgestaltung betrifft, sich abwandeln.16) Aber immer muss betont werden, dass das Künstlerische nicht das Wesen der gottesdienstlichen Form ist, sondern das Gebet, das sich unter das Wort beugt. (In Zeiten, da der Bilderdienst gebräuchlich war, mussten die reformierten Gemeinden alle Bilder aus ihren Kirchen entfernen. Wenn z.B. allgemein die Kunst an sich als etwas Religiöses aufgefasst würde oder die Gefahr dieser Auffassung bestände, so müsste die Gemeinde aus ihrem Gottesdienst alles das entfernen, was dieser Verwechslung dienen könnte.) Dasselbe gilt nun auch von den Gebäuden, die dem Gottesdienst dienen. Die Kirche


16) Vergl. Doumergue: Essai sur l’histoire du Culte réformé, 1890.

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als Gottesdienstgebäude darf ebensowenig Glanzentfaltung und Leistung sein wie die Liturgie. Ihr einziger Schmuck soll das Wort sein. Die reformierte Kirche soll daher ganz um die Kanzel geordnet sein, von der aus das Wort verkündigt wird und um den Tisch, an dem die Sakramente ausgeteilt und verwaltet werden. Der Turm ist — wenn er überhaupt da ist — nicht eine himmelanstrebende Leistung, sondern er dient mit den Glocken als Weg und Rufzeichen zur Wortverkündigung.

So wird die Gottesverehrung nie losgelöst von der Wortverkündigung geübt. Wortverkündigung und Gottesverehrung bleiben auf das engste miteinander verbunden. Wir werden das bei der Teilung der Aemter sehen, wo das Diakonenamt abgetrennt wird von den übrigen Aemtern. Die Gottesverehrung durch die Gemeinde aber folgt stets der Wortverkündigung.

2. Die Liebestätigkeit der Gemeinde.

Die Nächstenliebe wird nicht nur geübt vom Einzelnen, sondern sie kommt auch in der Gemeinde zur Auswirkung, vor allem gegenüber den Gemeindegliedern, aber auch Aussenstehenden gegenüber und von Gemeinde zu Gemeinde.

Auf Grund der Rechtfertigung durch Christus soll der Christ das Leiden, das in der Erfüllung des Moralgesetzes liegt, um Christi willen auf sich nehmen. Die Schöpfung ist um der Sünde willen dem Leiden unterworfen. Im Leiden ist die Menschheit solidarisch verbunden. Ihre Einheit kommt infolge des Sündenfalles vor allem in der

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Solidarität des Leidens zum Ausdruck. Wenn ein Glied leidet, so leidet der ganze Körper.

Wird durch die Norm des Bekenntnisses die Kirche und jeder Gläubige in den Gegensatz Christi zur Welt hineinbezogen, so wird umgekehrt der Christ durch die Norm des Glaubensgehorsams und der Selbsthingabe in die restlose Solidarität Christi mit der Welt einbezogen. Um der Rechtfertigung durch Christus willen nimmt der Christ grundsätzlich das Leiden auf sich, nicht um des Leidens willen, sondern um damit das Liebesgebot zu erfüllen, um dem Nächsten das Leiden abzunehmen und zu mildern. In der Gemeinde nun wirkt sich das darin aus, dass sie sich grundsätzlich in den Dienst der Leidenden, der Kranken und Armen stellt. Die Liebestätigkeit der Gemeinde ist Dienst an den Leidenden, vor allem an den Gliedern der Gemeinde selbst, und an den andern Gemeinden, aber, soweit irgend möglich die Mittel und Möglichkeiten reichen, auch an den Aussenstehenden. Der Sinn der kirchlichen Liebestätigkeit ist also nicht der eines möglichst rationellen Ausgleichs, einer gegenseitigen Versicherung oder der Unterstützung für gegenseitiges Vorwärtskommen, sondern es handelt sich um eine grundsätzliche Parteinahme für das Leiden. Sie ist nicht Wohltätigkeit und Gemeinnützigkeit aus dem Ueberfluss, sondern sie stellt prinzipiell alles, Menschen und Mittel in den Dienst der Armen und Kranken.17) Das alles tut die Gemeinde um Christi willen. Sie bekämpft das Leiden, aber sie nimmt es auf sich.

Auch die Liebestätigkeit in diesem Sinne wird durch das Gemeindeamt ausgeübt. Wir nennen es


17) Inst. 4, 4, 6.

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in Beziehung darauf Diakonie. Das ist der Dienst an den Armen und Kranken im Namen der ganzen Gemeinde, aber zugleich im Namen Christi.18) Die Diakonen sind Stellvertreter Christi und der Gemeinde: ihre Aufgabe ist das Sammeln von Gaben und Mitteln und auf der andern Seite das Verteilen und der Dienst an den Leidenden. Wir möchten hier besonderes Gewicht darauf legen, dass die Diakonie Armen und Kranken dienen soll, nicht wie in vielen Ländern nur den Armen. Auch die Gemeindekrankenpflege ist ein kirchliches Amt. Die Mittel müssen von der Gemeinde selber auf freiwilligem Wege aufgebracht werden; denn das soll ja gerade durch sie zum Ausdruck kommen. Wohltätigkeitsanlässe, Bazare usw., die im Grunde genommen die Selbstsucht der Gebenden befriedigen wollen, sind dafür natürlich .ausgeschlossen. Es handelt sich nicht um Wohltätigkeit mit mehr oder weniger Selbstnutzen, sondern um Mittragen des Leidens.

Die Diakonie ist da für die Elendesten unter allen Menschen, ganz gleichgültig, welchen Ständen sie angehören. Sie will denjenigen helfen, die sonst keine Hilfe haben. Sie will nicht die private Nächstenliebe und Barmherzigkeit ersetzen oder einschränken, welche auch innerhalb der Gemeinde weiter Aufgabe und Funktion des Einzelnen im allgemeinen Priestertum ist. Auch will die Diakonie nicht die Sozialfürsorge des Staates und der wirtschaftlichen Verbände überflüssig machen, ebensowenig Aerzte, Krankenkassen usw.


18) Inst. 4, 13, 19.

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Wenn ganze Gemeinden in Not geraten, so ist es Pflicht der andern Gemeinden, ihnen zu helfen und ihnen ihr Leiden abzunehmen.19)

 

III. Die Teilung des Gemeindeamtes.

Alles kirchliche Amt ist grundsätzlich Gemeindeamt. Durch das Amt werden die Funktionen ausgeübt. Es fragt sich nun, wie das Gemeindeamt geteilt wird. Wir haben bereits festgestellt, dass es immer eine Mehrzahl von Amtsträgern gibt. Nach welchem Prinzip sollen nun diese Amtsträger die Gemeindefunktionen verwalten?

Zuerst müssen wir feststellen, dass die Gemeinde eben nur in der Ausübung der Funktionen sichtbar wird. Diese Funktionen sind die Normen des geistlichen Kirchenrechts. Diese Normen machen die Kirche sichtbar und in diesen Normen ist der Kirche eine Verfassung gegeben. Es ist nicht so, dass aus verschiedenen Charismen sich nach und nach Aemter und Funktionen herausgebildet haben. Die Kirche ist nicht charismatisch verfasst, sondern sie ist von Anfang an im Amt und in den Funktionen verfasst.20)

Bei den Aposteln waren ursprünglich alle Funktionen in einem einzigen Amt, eben im Apostelamt zusammengefasst. Jeder übte das ganze Amt aus. Diese Einheit des Amtes finden wir auch immer da, wo eine Gemeinde noch nicht sich


19) Vergl. Gal. 2, 10.
20) So nimmt z.B. Vinet ursprünglich verschiedene Charismen an, die dann ihre Einheit gefunden haben im Pfarramt. (Theologie Pastorale, S. 5.) Vergl. auch Harnack: „Entstehung und Entwicklung der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts in den ersten zwei Jahrhunderten”, 1910, S. 40 ff.

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entfaltet hat oder wo sie wieder verkümmert ist. Sobald aber die Gemeinde sich entfaltet, wird das Amt geteilt.

Die niederländische Kirchenrechtswissenschaft begründet nun diese Teilung des Amtes, indem sie ausgeht vom dreifachen Amte Christi als Priester, König und Prophet. So ist auch der Kirche ein königliches Amt, das Kirchenregiment, ein prophetisches Amt, das Lehramt (Verwaltung des Wortes und der Sakramente) und ein priesterliches Amt, das Diakonenamt gegeben. Christus übt durch diese drei Aemter in der Kirche sein dreifaches Amt aus. Auf diese Weise werden auch die Funktionen der Kirche begründet.

Wir haben uns aber dieser Ableitung nicht anschliessen können. Verschiedene Gründe hindern uns daran. Vor allem scheint sie uns in der Urkirche gar nicht massgebend geworden zu sein für die Teilung und Ausgestaltung der Aemter. Ferner scheint uns besonders die Erklärung des Diakonenamtes als priesterliches Amt zu sehr gezwungen. Auch das Verhältnis der Funktionen zu einander und das Verhältnis von Amt und Gemeinde ist damit nicht deutlich erklärt. Der ganze Zusammenhang des Kirchenrechts kommt nicht genügend zur Geltung. Doch möchten wir nicht ohne weiteres dieser Lehre ihre Berechtigung absprechen. Die Schlüsse, zu denen wir gelangen, stimmen im wesentlichen überein und wir möchten die Möglichkeit offen lassen, dass eine kirchenrechtliche Beziehung zu dieser Dreiämterlehre gefunden werden kann. Doch müsste dazu erst die Lehre von den drei Aemtern Christi und von ihrem inneren Zusammenhang organisch fundiert sein durch eine

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dogmatische Studie. Es wäre denkbar, dass wir dabei auf dieselben Grundlagen stossen würden, die unserer Funktionenlehre zugrunde liegen. So Hesse sich die Uebereinstimmung der Resultate erklären. Auch in der alten reformierten Dogmatik haben wir nichts finden können, was auf eine kirchenrechtliche Anwendung der Dreiämterlehre hinweist.

Wir stehen tatsächlich in der reformierten Kirche vor drei Aemtern, dem Pfarramt, dem Aeltestenamt und dem Diakonenamt.21) Aus einer möglichst rationellen Arbeitsteilung lassen sich nicht wohl alle drei erklären. Besonders das Aeltestenamt bereitet dabei Schwierigkeiten. Auch lässt sich nicht ein Grund finden, warum gerade bei dieser Dreiteilung stehen geblieben wurde. Wenn noch eine weitere Arbeitsteilung eintritt, warum wird durch diese dann nicht ein neues Amt geschaffen? Calvin hat oft vier Aemter unterschieden. Er hat das Amt der Wortverkündigung noch geteilt in ein besonderes Lehramt und das Pfarramt. Doch betont auch er, dass diese beiden im Grunde genommen denselben Charakter tragen. Es handelt sich hier um eine reine Arbeitsteilung innerhalb eines festumgrenzten Amtes. Es haben sich denn auch in der Folge in den meisten reformierten Kirchen nur die drei Aemter aufrechterhalten. Das vierte Amt der doctores wurde nur als eine Untergruppe des Wortamtes aufgefasst. Bei einer blossen Arbeitsteilung kann es sich nur um besonderes Kirchenrecht handeln. Die Verhältnisse können sich wandeln; was an einem Ort rationell ist, braucht nicht auch am andern Orte


21) Vergl. CO 29 und 31, CB 31, Inst. 4, 3, 1 ff.

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richtig zu sein. Hier dürfen wir nur dann stehen bleiben, wenn wir kein allgemein gültiges Teilungsprinzip finden. Es handelt sich freilich um eine Arbeitsteilung, aber nach welchem Prinzip wird die Arbeit geteilt? Ist das ein allgemein gültiges Prinzip?

In der Confessio Helvetica finden wir die Dreiteilung des Amtes nicht. Aber aus dem Stillschweigen lässt sich nicht auf Ablehnung schliessen. Wir stossen hier noch auf eine starke Einheit des Amtes entsprechend der wenig entfalteten Gemeindebildung der Schweiz.

In einer ersten Teilung werden Diakonie und Schlüsselamt ausgeschieden. Die erste Teilung dieser Art ist uns erzählt in Apg. 6, 1-6. Darauf geht auch immer das reformierte Diakonenamt zurück. Wichtig ist nun aber, hier das Teilungsprinzip schon aufzuweisen. Es wird uns den Weg weisen für die nächste Teilung. Anlass zur Teilung gibt zunächst die Klage über die Missstände in der Almosenverteilung. Die sittlichen Funktionen werden nicht richtig ausgeübt. Hier ist Abhilfe zu schaffen. Es wird ein neues Amt ins Leben gerufen, die Diakonie. Wichtig ist nun, dass bei dieser Teilung die Wahrung des Wortamtes in den Vordergrund gestellt wird. Es wäre ja auch denkbar, dass eine andere Art der Abhilfe geschaffen worden wäre, z.B. vermehrte Zahl von Wortdienern. Aber das massgebende Prinzip, das diese Aemterteilung leitete, war die Wahrung des Dienstes am Wort. Es handelt sich hier allerdings um Arbeitsteilung, aber das Prinzip, nach dem geteilt wird, ist der Schutz der Wortverwaltung.

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Auch das reformierte Kirchenrecht muss diese Aemterteilung in die beiden Funktionen aufweisen. Die Diakonie muss geübt werden. Sobald die Diakonie notwendig wird, muss die ursprüngliche Einheit des Amtes geteilt werden, nicht weil man es nicht anders machen könnte — z.B. Vermehrung der Amtsträger — sondern weil der Dienst am Worte ausgeschieden werden muss. Der Dienst am Worte ist die konstitutive Funktion, in ihm ist das Dasein der Kirche überhaupt erst gegeben. Um ihn vor allen Dingen sicherzustellen, muss der Dienst am Wort ausgeschieden werden aus der Einheit des Amtes. Das geschieht zuerst, indem er befreit wird von der Diakonie. So haben wir zunächst zwei Aemter: das Schlüsselamt und die Diakonie. Die sittliche Funktion der Gottesverehrung bleibt mit der Verwaltung des Wortes verbunden. Im tiefsten Grunde wird bei dieser ersten Teilung Diakonie und Gottesverehrung von einander geschieden, es findet eine Teilung in beide Tafeln statt. Aber das Prinzip liegt in der Ausscheidung des Dienstes am Worte, der eben verbunden ist mit dem Gemeindegottesdienst.

Die Diakonie wird nun im allgemeinen Kirchenrecht nicht weiter geteilt; das hindert nicht, dass sie im besonderen Kirchenrecht noch mancher Arbeitsteilung unterzogen wird, z.B. in Armenpflege und Krankenpflege, Jugendpflege etc. Eine weitere Teilung kann nicht allgemein stattfinden, weil das Teilungsprinzip, die Ausscheidung des Wortamtes fehlt.

Dagegen findet im Schlüsselamt noch einmal eine Teilung statt, nämlich in das Aeltestenamt und das Predigtamt. Während die Trennung

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bei der Diakonie einfach war, indem die beiden Aemter in ihrem Wesen verschieden sind und einander nicht einschliessen, so dass eine klare Abscheidung erfolgen kann, gestaltet sich die Teilung innerhalb des Schlüsselamtes komplizierter, handelt es sich doch um ein und dieselbe Funktion in ihrem Wesen. Entscheidend ist hier die Frage: was wird ausgeschieden? Es fragt sich also, ob aus dem Schlüsselamt die Kirchenzucht ausgeschieden und einem besonderen Amte zugewiesen wird. Es wäre dies ähnlich wie bei der Diakonie denkbar. Den Aeltesten stehen aber noch andere Aufgaben und Befugnisse zu, nämlich das Gemeinderegiment. Rieker stellt fest, dass der Repräsentativgedanke nicht das Aeltestenamt geschaffen hat. Woher stammen dann diese Befugnisse? Sie sind nicht erst von den Naturrechtstheorien der Aufklärung übernommen, sondern dem Aeltestenamt ursprünglich eigen. Wir können nur dann das Aeltestenamt richtig erklären, wenn wir nicht dieses als das ausgeschiedene Amt aus der Einheit des Schlüsselamtes auffassen, sondern umgekehrt das Predigtamt. Das ist nun aber wiederum dasselbe Teilungsprinzip, das wir schon für die erste Teilung aufgestellt haben. Der kirchenrechtliche Sinn der Teilung liegt im Schutz des Wortdienstes. Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung werden abgesondert vom Schlüsselamt, und alles, was übrigbleibt, kommt den Aeltesten zu, vor allem die Kirchenzucht und auch alle Aufstellung von besonderem Kirchenrecht.

Während aber bei der ersten Teilung zwei wesensfremde Funktionen von einander ausgeschieden wurden, ist das Predigtamt nur ein Spezialfall des

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Schlüsselamtes. Nur der Pfarrer und die Aeltesten zusammen handhaben das volle Schlüsselamt. Der Wortdiener gehört auch zu den Aeltesten, nicht aber zu den Diakonen. Pfarrer und Aelteste zusammen bilden das Presbyterium, die Kirchenpflege. Der gesamten Kirchenpflege liegt die Kirchenzucht ob und die Aufstellung von besonderem Kirchenrecht.

Das Schlüsselamt besitzt autoritativen Charakter, es ist mit dem Kirchenregimente verbunden. Wie immer der Leib Christi sich innerhalb der natürlichen Verhältnisse und Gesetze versichtbart, so knüpft auch die kirchenrechtliche Amtsgewalt an eine sittliche Autorität an, in genau gleicher Weise wie politische Autorität: nämlich an die patria potestas. Das Schlüsselamt kann deshalb nur von Männern verwaltet werden. Das heisst nicht, dass die Frau von aller Tätigkeit in der Gemeinde ausgeschlossen ist; auch in der Anwendung der Schlüsselgewalt stehen ihr mannigfache Hilfsdienste offen, vor allem in der Erziehung, in Arbeit unter Frauen und im Jugendunterricht usw., doch handelt es sich hier stets um Aufgaben, die ihr auf Grund des allgemeinen Priestertums zukommen. In Notfällen, wo die Besetzung eines Amtes nicht durch einen Mann möglich ist, kann auch die Frau das Amt verwalten, gleicherweise wie im Staat. Dagegen kann sie in ordentlichen Verhältnissen weder ein Aeltestenamt innehaben, noch das Predigtamt. Die öffentliche Wortverkündigung in der Gemeinde, die Sakramentsverwaltung und Kirchenzucht stehen ihr in reformierten Kirchen nie zu.

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Im Gegensatz zum Schlüsselamt ist aber die Diakonie nicht ein „regierendes Amt”, sondern ein sittliches. Freilich ist nicht die Sittlichkeit daran das kirchenrechtlich relevante, sondern das Bekenntnis, die Bezogenheit auf die Rechtfertigung, das Leiden um Christi willen. In der Diakonie wird ein Stück der Neuschöpfung versichtbart, freilich noch im Gewände dieser vergänglichen Welt, darum das Leiden um Christi willen als Merkmal tragend, aber gerade dadurch die Ueberwindung der Vergänglichkeit bekennend. So wird in der Gemeinde ein Stück Reich Gottes sichtbar, ein Stück der noch im Kleid der Vergänglichkeit verborgenen neuen Welt, deren öffentlich-kirchenrechtliche Bekundung eben die Diakonie ist. Die Diakonie trägt nicht autoritativen Charakter, sie ist prinzipiell nicht Gewalt, weder äussere noch geistliche, trotzdem sie selber ihren Stützpunkt und Ausgangspunkt in der Rechtfertigung durch Christus hat. Um dieses Widerspruches willen zur Gewalt ist sie Leiden. Weil aber die Diakonie nicht Regierungscharakter trägt, steht sie allen offen, die die nötige Begabung dafür aufweisen. Es sind deshalb Männer und Frauen in der Diakonie zuzulassen. Calvin selber hat mit der Möglichkeit des Kirchendienstes von Frauen gerechnet22), er begegnet uns auch im Neuen Testament, und er scheint mir durchaus gegeben zu sein durch das nicht autoritative Wesen der Diakonie.

So kennt das allgemeine reformierte Kirchenrecht drei Aemter: das Predigtamt, das Aeltestenamt und das Diakonenamt.


22) Inst. 4, 13, 19.

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Anhang: Die Teilungsprinzipien im kirchlichen Güterrecht.23) Aus der Lehre von den Funktionen ergibt sich nicht nur ein bestimmtes Prinzip für die Teilung des Amtes, sondern es fliessen daraus auch die Teilungsgrundsätze für das kirchliche Güterrecht.

Die Kirchengüter zerfallen in mehrere Teile. Es findet hier eine Teilung statt, der dasselbe Prinzip zugrundeliegt wie bei der Amtsteilung. Zuerst findet eine Ausscheidung der für den Gottesdienst und die Wortverkündigung notwendigen Güter einerseits und der Güter der Armen andererseits statt. Von dem Gute für den Gottesdienst oder dem Kirchengute im engeren Sinne wird wiederum ein Teil ausgeschieden, der in erster Linie zur Sicherstellung des Predigtamtes dienen soll, der übrige Teil findet Verwendung für die verschiedenen Auslagen der Verwaltung, vor allem auch für die gottesdienstlichen Lokale usw. Es darf aber nur soviel für den Gottesdienst ausgeschieden werden, als unbedingt notwendig ist. Die Kirche darf kein Vermögen in toter Hand aufhäufen. Alles, was sie besitzt, das über die Bedürfnisse des Gottesdienstes hinausgeht, soll den Armen und Leidenden zugute kommen. Alles, was über die Bedürfnisse des Gottesdienstes hinaus von der Kirche zurückbehalten wird, wäre Raub am Armengut; denn die Kirche darf keine Schätze sammeln. Gott gibt ihr die Güter nur zum Gebrauche. Das Armengut wird von den Diakonen verwaltet, das Kirchengut von der Kirchenpflege.


23) Vergl. den Abschnitt über die Ordnung des Güterrechts in Kapitel VI.

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Doch ist wohl möglich, dass beiderseits Hilfspersonal herangezogen wird. Dieses besitzt aber kein kirchliches Amt.

Entsprechend dem nicht kirchenregimentlichen Charakter der Diakonie werden die Mittel für die Armen nicht steuerrechtlich erhoben, sondern als Liebesgaben gesammelt.