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III. Kapitel.

Die Kirche.

 

1. Der Leib Christi und die sichtbare Kirche.

Durch den heiligen Geist werden die Erwählten mit Christus zu einem Leibe verbunden, dessen Haupt Christus ist. Nachdem Calvin im Genferkatechismus das Werk Christi und das Werk des heiligen Geistes besprochen hat, redet er von der Kirche und sagt: „Das ist die alleinige Wirkung von alledem, dass die Kirche vorhanden ist. Das müssen wir glauben, wenn wir den Tod Christi nicht unnütz machen und alles bisher Angeführte für nichts achten wollen.” Die Kirche bezeichnet er als den Leib und die Gemeinde der Gläubigen, welche Gott zum ewigen Leben vorherbestimmt hat. Der Leib Christi ist pneumatisch, er besteht im Geiste. Er ist deshalb unsichtbar. Welches ist nun das Verhältnis der unsichtbaren Kirche zur sichtbaren Kirche. Bevor wir diese Frage beantworten, wollen wir die verschiedenen Bezeichnungen, die der Kirche in dieser Hinsicht zukommen, begrifflich erörtern. Vor allem unterscheiden wir zwischen der triumphierenden und der streitenden Kirche. Die triumphierende Kirche umfasst alle diejenigen Erwählten, welche schon durch den Tod und das Ablegen des irdischen Leibes dem Kampfe dieses Lebens enthoben und mit Christus völlig vereinigt sind. Für sie gelten auch die Normen

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des zweiten geistlichen Rechts nicht mehr; denn diese liegen darin begründet, dass der Mensch eben noch im Leibe und in dieser Welt steht, dass er erst in Hoffnung selig ist. Die streitende Kirche steht noch im Kampfe in diesem Leben in der Welt. Für sie gelten die Normen des sekundären geistlichen Rechts. Sowohl die triumphierende als auch die streitende Kirche sind unsichtbar; denn ihr Wesen ist pneumatisch. Beide sind aber unter sich ein Leib durch das Haupt und durch denselben Geist.1) Beide zusammen bilden die unsichtbare Kirche, den Leib Christi. Die streitende Kirche wird auch sichtbar, nicht aber die triumphierende. Aber insofern als eben die streitende Kirche ein Teil des Leibes Christi ist, sagen wir, dass der Leib Christi sichtbare Gestalt annimmt.

Sichtbare Gestalt nimmt der Leib Christi an im Bekenntnis. Nicht als Anstalt wird der Leib Christi sichtbar, sondern nur in der Funktion des Bekennens, in der Erfüllung der dritten Norm des sekundären geistlichen Rechts. Das Kirchenrecht ist nicht an eine Anstalt gebunden, sondern an die Funktion. Eine Anstalt könnte übrig bleiben wie die Schalen einer Muschel, in denen aber kein Tier mehr lebt. Das, worauf es ankommt im ganzen Kirchenrecht, ist das Bekenntnis. Es ist nun nicht so, dass der unsichtbaren Kirche eine sichtbare gegenüberstände, die gleichsam ein Spiegelbild, eine Projizierung der unsichtbaren Kirche in die sichtbare Welt darstellen würde, sondern es ist die unsichtbare Kirche selber, welche in der Ausübung einer Funktion in die Welt des Sichtbaren eindringt. Die Sichtbarkeit


1) CH 17.

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ist nicht das äussere Gewand, das den unsichtbaren Geist einhüllt, sondern die sichtbare Kirche ist vielmehr ein Teil, Organ des Leibes Christi. Wir können das an einem Vergleiche begreiflich machen. Wir vergleichen die unsichtbare Kirche mit einem räumlichen Körper, die sichtbare Welt aber mit einer Ebene. Da nun, wo dieser Körper die Ebene der Sichtbarkeit schneidet, an den Stellen, die sowohl dem Körper als auch der Ebene gemein sind, an diesen Stellen, tritt der Körper selbst in die Sichtbarkeit ein. Ein Teil des Körpers wird sichtbar. Es ist aber der wirkliche Körper, nicht bloss ein Abbild. So wird ein Teil des Leibes Christi wirklich sichtbar im Bekenntnis. Das sichtbare Bekenntnis steht nicht im Widerspruch zum Wesen der Kirche. Es ist wohl ganz allgemein in die Spannung mit einbezogen, die darin liegt, dass die Erwählten in dieser Welt die Vollkommenheit nicht erreichen können und unter den Normen des sekundären geistlichen Rechts stehen. Aber das Bekenntnis selber gehört mit zum Wesen der Kirche und zwar zum geistlichen Wesen der Kirche.

Das Bekennen gehört sowohl zur unsichtbaren Welt des Pneuma als auch zur sichtbaren körperlichen Welt. So wird die Kirche immer sichtbar innerhalb der Formen und Ordnungen der primären göttlichen Rechtsordnung. Durch die Funktion des Bekennens werden so Teile der sichtbaren Welt in das Kirchenrecht hineinbezogen. Sie sind dadurch aber nicht aus der sichtbaren Welt entrückt und unterscheiden sich nur in bezug auf ihr geistliches Wesen von allen übrigen Teilen der physischen und psychischen Welt. Allein durch den

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Geist gehören sie auch der Welt des Pneuma an. Diese Zugehörigkeit selber ist aber unsichtbar und kann nur durch den Glauben erfasst werden. So ist auch die sichtbare Kirche ein Gegenstand des Glaubens, genau so wie der unsichtbare Leib Christi.

2. Das Schriftprinzip.

Von entscheidender Bedeutung für das reformierte Kirchenrecht ist das Schriftprinzip. Wir verstehen darunter die Lehre, dass die Bibel, der Kanon der heiligen Schrift, Gottes Wort ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, hier auf dieses ganze Problem einzugehen. Aber wir haben den Zusammenhang des Schriftprinzips mit dem bisher Vorgebrachten aufzuweisen.

Durch das Wirken des Geistes und durch Tod und Auferstehung von Christus ist dem Erwählten die Norm des sekundären geistlichen Rechts gestellt, jene Norm, die Glauben, Selbstverneinung und Bekenntnis fordert. Es ist nun nicht so, dass einfach aus einem Gefühl des Geistes heraus diese Norm fliesst. Wir haben als das Erlebnis des Geistes eben die Tatsache bezeichnet, dass der Mensch vor diese Norm gestellt ist. Sie tritt aber von aussen her an ihn heran als das Wort Gottes. Darin besteht das Erlebnis des Geistes, dass ein gewisses äusseres Wort nicht irgend ein Menschenwort ist, sondern dass es uns als Gottes Wort gegenübersteht. Als das Wort Gottes anerkennt die reformierte Lehre die Bibel. Dass die Bibel Gottes Wort ist, kann durch nichts bewiesen oder abgeleitet werden, sondern diese Aussage ist allein gegründet auf das innere Zeugnis des heiligen Geistes, das den Gläubigen gegeben ist.

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a) Wir haben aber vorher als Gegenstand des Glaubens die Rechtfertigung durch Christus bezeichnet. Die Frage ist nun zu beantworten, wie sich die Rechtfertigung durch Christus verhält zur Schrift. Denn das, was wir hier dem Worte Gottes, der Bibel zuschreiben, das haben wir vorher Christus zugeschrieben.

Hier stellen wir zunächst fest, dass wir bisher alle Aussagen über die Erlösung durch Christus nur haben machen können auf Grund der Bibel. Wir haben uns bestrebt, nichts anderes auszusagen, als was die Bibel sagt. Wir betonen, dass dieses Verhältnis zwischen dem Christus, von dem wir reden, und der Schrift rein logisch darzulegen ist, indem wir eben gerade den Christus, wie ihn die Bibel darstellt und lehrt, als Gegenstand des Glaubens anerkennen. Der Christus, von dem wir reden, ist eben der, der uns in der Bibel entgegentritt. Nachdem wir dies festgestellt haben, sind wir aber noch nicht weitergelangt in der Beantwortung der Frage des Verhältnisses von Christus zur Schrift. Wir haben den dogmatischen Zusammenhang zu untersuchen zwischen der Behauptung, dass Christus die Tat Gottes sei, durch die er Gnade schaffe, und der andern Behauptung, dass die Bibel das Wort Gottes sei.

Eine Betrachtung über das Wesen des Wortes Gottes wird uns den Weg weisen. Immer, wenn Gott schaffend sich offenbart, so geschieht das durch sein Wort. Sein Wort ist zugleich seine Tat. Indem Gott sprach, schuf er die Welt. „Deus loquendo fuerit mundi creator”. „Obschon nun alle von Gott hervorgebrachten Offenbarungen mit Recht den Titel Wort Gottes tragen, so müssen

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wir doch jenes Wort in seinem Wesen im höchsten Grade darüberstellen als die Quelle aller Offenbarungen. Es ist keinen Veränderungen unterworfen und bleibt ewig als ein und dasselbe mit Gott verbunden und es ist Gott selbst.”2) „Jesus Christus ist dieses selbe Wort, das Fleisch geworden ist.”3) Christus selbst ist das Wort Gottes. Alles Wort nun, das Christus offenbar und kund macht, ist Wort Gottes, selbst wenn ihm die grösste menschliche Schwachheit und Unvollkommenheit anhaftet; denn in ihm offenbart sich Christus als das Wort. Das Wort Gottes ist eine Kundgebung Gottes. Alles Wort, in dem sich Christus, das Wort Gottes kundgibt, nennen wir Gottes Wort. Darum ist auch das Wort, das von Christus spricht, Gottes Wort. Daher kommt es, dass im weitesten Sinne alles Wort, das auf Christus hinweist als Wort des Christus bezeichnet wird, weil sich darin in irgendeiner Weise Christus demonstriert. Auch die Normen des sekundären geistlichen Rechts sind Wort Gottes; denn in diesen Normen gibt sich ebenfalls Christus als das Wort Gottes kund. Der Ausgangspunkt für alle Offenbarung des Wortes Gottes ist und bleibt Tod und Auferstehung von Christus, die Fleischwerdung des Wortes. Nur in der Beziehung auf dieses geschichtliche Ereignis, nur im Hinweis darauf, kann ein anderes Wort auch als das Wort Gottes bezeichnet werden.

Wir greifen nun zurück auf das, was wir vorhin gesagt haben. Wir reden von Christus nur so, wie er uns in der Bibel entgegentritt. Das heisst:


2) Inst. 1, 13, 7.
3) Inst. 1, 13, 9.

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die Bibel ist dasjenige Wort, das uns auf Christus hinweist, so wie er die Erwählten gerechtfertigt hat, so wie er als das Wort Gottes Fleisch wurde. Der Ausgangspunkt für die Anerkennung der Bibel als Gottes Wort ist die Anerkennung von Christus als das Wort Gottes. Das aber geschieht allein auf Grund des Zeugnisses des heiligen Geistes und kann weder bewiesen noch bestritten werden.

Das Wort Gottes ist Autorität aus keinem andern Grunde als eben weil es das Wort Gottes ist. Es besitzt aus seiner Definition schon nur unabgeleitete Autorität. Christus als das Wort Gottes, als die zweite Person der Dreieinigkeit tritt uns immer als Souverän gegenüber, d.h. als unabgeleitete Autorität. Als Souverän tritt uns das Wort Gottes aber immer zugleich auch als Norm entgegen. Die Geschlossenheit der Rechtsordnung des sekundären geistlichen Rechtes bringt es mit sich, dass vom Worte Gottes aus als der Norm des sekundären Rechtes sich alles andere bestimmt. Das Wort Gottes enthält also nicht nur den Hinweis auf die Rechtfertigung durch Christus, die Norm des Glaubens, sondern zugleich auch die Norm der Selbstverleugnung und des Glaubensgehorsams und auch die Norm des Bekenntnisses. Im Worte Gottes wird nicht nur Christus, sondern auch die ganze primäre Sittlichkeit offenbart, die nun in das sekundäre geistliche Recht eingeschlossen ist.4) So gleicht das Wort Gottes, wie Calvin es oft ausdrückt, einer Brille, die uns ermöglicht, die natürliche Schöpfung in ihren wirklichen Proportionen zu erkennen.


4) Inst. 1, 10, 2.

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b) Wir müssen nun grundsätzlich zwei verschiedene Perioden unterscheiden: die Zeit bis auf Christus und die Zeit nach Christus. Dementsprechend gibt es auch zwei verschiedene Kirchenrechte; das Kirchenrecht vor Christus und das Kirchenrecht nach Christus. In der Zeit vor Christus ist das Wort Gottes erst Verheissung. Diese Verheissung wird bis auf Christus immer vollkommener. Vor dem Erscheinen Christi aber ist die Zeit der Verheissung auch abgeschlossen und alle Offenbarung Christi als dessen, der die Rechtfertigung erfüllen wird, muss vollendet sein. Das ist der Fall im Kanon des alten Testamentes. Das alte Testament ist zugleich auch Norm des sekundären geistlichen Rechtes. Es enthält ebenfalls die dreifache Norm: den Glauben an die Verheissung, die Norm der Selbsthingabe und des Glaubensgehorsams mit Einschluss des natürlichen Sittengesetzes und endlich die Norm des Bekenntnisses. Diese letzte Norm, die uns kirchenrechtlich vor allem interessiert, besteht in den Ritualgesetzen des Volkes Israel, durch die das ganze Volk in den Gegensatz des kommenden Christus zur übrigen Welt hineinbezogen wurde. Die Norm der Selbsthingabe ist gegeben im Dekalog und in allen Moralgesetzen. Doch ist zu beachten, dass das Gebot des Glaubens alles andere bestimmt und durch alles andere hindurchgeht. Es ist nicht möglich, hier in diesem Rahmen näher darauf einzugehen. Es sollte nur die Wesensgleichheit mit dem neutestamentlichen Kirchenrecht angedeutet werden.

Mit Christus ist die Rechtfertigung vollbracht und die Heilsgeschichte und Offenbarung

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abgeschlossen. Mit der apostolischen Verkündigung von Christus im neuen Testament ist darum auch der Kanon des gesamten Wortes Gottes abgeschlossen. Für die Urkirche in den ersten Jahrhunderten war allerdings das Neue Testament noch nicht in seiner abgeschlossenen Form gegeben, aber die apostolische Verkündigung (auch noch durch Schüler der Apostel) vertrat das, was wir heute im neuen Testament besitzen. Die apostolische Verkündigung musste aber in einem geschriebenen Kanon ihre Festlegung finden. Dazu drängte die Abgeschlossenheit der Offenbarung und die zeitliche Entfernung vom Punkte ihres Abschlusses. Alle Bekanntmachung des Wortes Gottes kann nur geschehen in der Bekanntmachung des bereits geoffenbarten Wortes. Wenn Christus verheissen hat, dass der Geist die Jünger in alle Wahrheit leiten werde, so heisst das, dass der Geist sie in das Verständnis des geoffenbarten Wortes Gottes leiten wird.5)

Das alte Testament ist aber auch nach Christus noch zum Kanon gehörig; denn das Wesen der Normen ist in beiden genau dasselbe. Ja, in weitem Masse, nämlich soweit die Normen des alten Testamentes die natürliche Schöpfung betreffen, sind sie noch genau gleich, nicht nur in ihrem Wesen verbindlich. Daher stützt sich die reformierte Lehre nicht nur auf das neue Testament, sondern auch auf das alte Testament.

c) Es ist nun noch notwendig, auf das Verhältnis von Schrift und Kirche einzugehen. Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, dass dieses Verhältnis bestimmt ist durch jenes zwischen Christus und der


5) Vergl. Calvin Inst. 4, 14, 11 ferner Kommentar zu Joh. 16, 13. Desgleichen Bullinger zu dieser Stelle.

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Kirche. Der Leib ist immer doppelt verfasst, nämlich in Christus als dem Worte Gottes und im Geist. Die sichtbare Kirche ist als ein Organ des Geistes verfasst im Bekenntnis. Dieses Bekenntnis ist gebunden an Christus als das Wort Gottes und damit auch an die Schrift. Ja, das Bekenntnis ist selbst Wort Gottes, insofern es eben das bekennt (bekannt macht), was die Bibel aussagt. Auch zum Wesen der sichtbaren Kirche gehört die enge Verbundenheit und Einheit von Wort und Geist. Nie darf Wort an die Stelle von Geist gesetzt werden und nie darf Geist an die Stelle von Wort treten. Immer sind beide notwendig. Eben darin besteht die Aussage des Glaubens, dass beide stets unterschieden und trotzdem eins sind. Die reformierte Kirche wird deshalb die Auffassung ablehnen, als ob in der Schrift gewissermassen latenter Geist eingeschlossen wäre, als ob das Wort ein Kleid des Geistes sei, der zur! Wirkung kommt beim Lesen oder Hören des Wortes. Nicht das Wort ist der Träger des Geistes, sondern er wirkt immer direkt von Gott her, aber in Verbindung mit dem Worte. Menschen können Träger, Organe .sein des Geistes Gottes, nicht Buchstaben. Aber auch Menschen sind die Träger und Organe des Wortes Gottes, nicht der unmittelbare Geist. Hier an diesem Punkte wurde von der reformierten Kirche der Hebel der Kritik angesetzt, durch die sowohl dem Täufertum als auch dem römischen Katholizismus die Wahrheit abgesprochen wurde. Lassen wir Calvin reden zu diesem Punkte, um die Gebundenheit der Kirche an Wort und Geist noch besser zu erläutern. Er schreibt an Sadolet:6)


6) Uebersetzung von Simon. (Seite 49 ff.)

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„Du gehst von der falschen Meinung aus, wir wollten die Christen von der stets in der katholischen Kirche geltenden Weise der Gottesverehrung abbringen. Entweder bist Du da über den Begriff der Kirche im Unklaren oder Du machst mit Wissen und Willen blauen Dunst. Und zwar werde ich Dich gleich bei letzterem ertappen; doch mag Dir auch da und dort ein Irrtum unterlaufen. Zunächst übergehst Du in der Begriffsbestimmung ein Moment, das Dir zum rechten Verständnis gar dienlich gewesen wäre. Wenn Du die Kirche in dem siehst, „was in der ganzen Vergangenheit ebenso wie heute auf der ganzen Erde, in Christus einig und einmütig, überall und immer von dem einen Geist Christi geleitet wurde”: wo bleibt denn da das Wort Gottes, dieses deutliche Kennzeichen, das der Herr selbst uns so und so oft, wenn er von der Kirche redet, ans Herz legt? Weil er voraussah, wie gefährlich es sei, ohne das Wort nur immer mit dem Geist um sich zu werfen, darum hat er zwar die Leitung der Kirche durch den Heiligen Geist versprochen, aber hat diese Leitung, damit sie nicht als etwas Unsichtbares, Unbeständiges gelten könne, an das Wort gebunden.

„In diesem Sinne ruft Christus: Aus Gott sei, wer Gottes Wort hört; das seien seine Schafe, die seine Stimme als die Stimme ihres Hirten anerkennen, wer aber eine andere — der gehöre einem Fremden an. (Joh. 10, 27). In diesem Sinne verkündet der Geist durch den Mund des Paulus, die Kirche sei auf dem Grunde der Apostel und Propheten gegründet (Eph. 2, 2). Ferner: die Kirche sei Gott geheiligt durch das Wasserbad im Wort des Lebens (Eph. 5, 26). Noch klarer durch den

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Mund des Petrus, wo er lehrt, das Volk müsse vor Gott wiedergeboren werden aus diesem unvergänglichen Samen (1. Petr. 1, 23). Endlich — warum wird denn die Predigt des Evangeliums so oft Reich Gottes genannt, wenn sie nicht das Zepter ist, mit dem der himmlische König sein Volk regiert? Das findest Du nicht nur in den Apostelbriefen, sondern überall, wo Propheten vom Bau oder von der Ausbreitung der Kirche auf dem ganzen Erdkreis weissagen, immer weisen sie dem Wort den ersten Platz ein. Denn lebendige Wasser, sagen sie, sollen ausgehen von Jerusalem und in vier Ströme geteilt die ganze Erde bewässern (Sach. 14, 8). Und was diese lebendigen Wasser sind, erklären sie selbst mit den Worten: Das Gesetz soll ausgehen von Zion und das Wort des Herrn von Jerusalem (Jes. 2, 3). Recht hat daher Chrysostomus mit seiner Mahnung, alle abzuweisen, die uns unter dem Vorwand des Geistes von der schlichten Lehre des Evangeliums abbringen wollen; denn der Geist sei uns nicht zur Offenbarung neuer Lehre verheissen, sondern zur Vertiefung der evangelischen Wahrheit im Herzen der Menschen. In der gegenwärtigen Lage spüren wir die Notwendigkeit dieser Mahnung. Von zwei Sekten werden wir angegriffen, die voneinander himmelweit verschieden erscheinen. Denn worin sieht die des Papstes äusserlich den Wiedertäufern ähnlich? Und doch — daran kannst Du erkennen, wie der Teufel sich nie so gerieben verkleiden kann, dass er sich nicht doch noch in einem Stückchen verraten müsste —: beide haben die gleiche Hauptwaffe gegen uns. Wenn sie nämlich bis zum Ueberdruss mit „Geist!” um sich werfen, so wollen

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sie damit nichts anderes, als auf dem Grab des unterdrückten Gotteswortes ihren eigenen Lügenbau aufrichten. Und Du, Sadolet, musst nun gleich auf der Schwelle das Schandmal büssen, das Du dem Geist durch die Trennung vom Wort eingebrannt hast. Denn gleich als stünden, die den Weg Gottes suchen, ohne sichern Wegweiser an einer Weggabel, siehst Du Dich veranlasst, sie bei der Ueberlegung zu zeichnen, ob es weiter fördert, der Autorität der Kirche zu folgen oder auf die Erfinder neuer Glaubenslehren, wie Du sie nennst, zu hören. Wenn Du wüsstest oder Dein Wissen nicht verleugnen wolltest, dass der Geist wohl der Kirche leuchtet, um ihr das Verständnis für Gottes Wort zu öffnen, dass aber das Wort ihr als Prüfstein für alle Lehren dienen soll, hättest Du dann auch eine so verzwickte, spitzfindige Frage gestellt? Lerne also an diesem Versuch, dass es genau so ungünstig ist, mit dem Geist ohne das Wort zu prunken, als es abgeschmackt wäre, ohne den Geist nur das Wort vorzukehren.

„Wenn Du jetzt eine richtigere Bestimmung des Begriffes Kirche annehmen willst, so sage in Zukunft: sie ist die Gemeinschaft aller Heiligen, die, über den ganzen Erdkreis und durch alle Zeiten zerstreut, doch durch die Lehre Christi und den einen Geist verbunden, Glaubenseinheit und brüderliche Eintracht hegt und pflegt. Mit dieser Kirche haben wir keine Meinungsverschiedenheit; vielmehr, wie wir sie als Mutter verehren, so wollen wir auch in ihrem Schosse bleiben.”

So ist die Kirche immer verfasst in Wort und Geist. Das Bekenntnis, in dem die Kirche sichtbar wird, ist gebunden an die Schrift.