III
Apostel und Gemeinde

 

Das Verständnis der Christusgemeinde ist entscheidend bestimmt durch das Verständnis des Apostolates und seiner Bedeutung für die Ekklesia. Hier vor allem trennen sich die Wege der katholischen und der protestantischen Kirchen. An diesem Punkt muß darum die Besinnung einsetzen, soll es zu einem gemeinsamen Verständnis der Ekklesia kommen. Wir haben zunächst von dem unwidersprechlichen

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Zeugnis des Neuen Testaments selbst auszugehen, daß die Ekklesia gegründet ist auf das Fundament der Apostel 1) (und Propheten). Was soll das heißen? In welchem Sinne ist die Autorität des Apostolates oder Apostelamtes zu verstehen?

Die Gemeinde Jesu Christi ist das Werk und Produkt des Christuswortes und des Christusgeistes. Sie ist begründet im geschichtlichen, einmaligen Offenbarungsfaktum, im Fleisch gewordenen Gotteswort. Damit ist gesagt, sie ist begründet auf ein „kontingentes”, hier und nicht dort, damals und nicht zu einer anderen Zeit geschehenes, also auf ein raumzeitlich bestimmtes heilsgeschichtliches Geschehnis, das Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Das Evangelium ist also keine zeitlose Wahrheit, sondern Wahrheit, die geschehen ist 2), und die als geschehene berichtet und verkündet werden muß. Das Evangelium hängt also am Bericht der Augenzeugen, an der Verkündigung derer, die „dabei waren”. „Ihr sollt meine Zeugen sein” 3) — das ist der primäre Auftrag des auferstandenen Herrn an seine Sendboten, seine Apostel. Diese Funktion des Zeugnisses aus erster Hand ist also das, was den Apostel zum Apostel macht (1). An ihrem Zeugnis hängt die ganze Zukunft der Christusgemeinde. Das, was sie empfangen haben, sollen sie der Welt weitergeben. Und dieses, was sie empfangen haben, hat das volle Gewicht letztlicher, göttlicher Autorität. Ohne die Apostel keine Christenheit; genauer: ohne die göttliche Autorität der Apostel keine Ekklesia. Die Gemeinde Jesu ist nur denkbar und wirklich als apostolische Gemeinde.

Ist das nicht die These der katholischen Kirche? Ja, gewiß, nicht nur der römisch-katholischen, sondern aller


1) Eph. 2, 20.
2) Joh. 1, 17.
3) Apg. 1, 8.

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katholischen Kirchen. Aber nicht nur das: Es ist auch die These der reformatorischen Kirchen. Nicht die These als solche trennt uns, sondern ihre Auslegung. Dabei ist allerdings zuzugeben, daß im neueren Protestantismus mit einer falschen Auslegung dieser These sehr oft diese selbst verworfen wurde. Gegenüber einer modern rationalistischen Lehre, die allgemeines Priestertum mit Demokratie verwechselt, ist zunächst, mit den Katholiken, zu betonen: In der Ekklesia der neutestamentlichen Zeit gibt es diese ganz undemokratische, ganz „hierarchische” Autoritätsstellung der Apostel, darin begründet, daß diese allein die Urzeugen der Heilsgeschichte sind, von denen die anderen das Wort des Heils empfangen müssen und von denen allein sie es empfangen können. Daran rütteln zu wollen, heißt nicht am „Katholischen” rütteln, sondern am christlichen Fundament selbst. Die Kontingenz der geschichtlichen Offenbarung als solcher bedingt die Kontingenz dieser Überordnung der Apostel über alle anderen.

Damit ist freilich auch schon das Wesen der apostolischen göttlichen Autorität in zweifacher Weise qualifiziert. Erstens. Diese Autorität ist, wesensmäßig, unübertragbar. Man kann zwar vieles übertragen, aber eines auf keinen Fall: das selbst Dabeigewesensein, die Augenzeugenschaft, das Stehen im ersten Glied der historischen Kette. Und eben dies ist es allein, was den Apostel zum Apostel macht. Dem Offenbarungsfaktum gegenüber kann es keine andere Ungleichheit geben als diese, daß die einen es aus erster Hand haben, als Augenzeugen, alle anderen aber es durch sie, von ihnen empfangen haben müssen, um es zu haben. Eben diese ihre Sonderstellung, die in der Kontingenz des geschichtlichen Faktums allein begründet ist, ist darum auch unbedingt durch sie begrenzt. Sie ist ebenso kontingent, einmalig wie die Offenbarung selbst, sie ist darum im strengen,

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unbedingten Sinne des Wortes unübertragbar. Anders gesagt, sie ist transitorisch; sie verschwindet mit der physischen Existenz der Augenzeugen. Auch dieser ihr transitorischer Charakter ist mit dem Offenbarungsfaktum als solchem gegeben. Es kann nicht anders sein: man kann es zwar anders auffassen und aus dem Transitorischen etwas Dauerndes, aus dem Unübertragbaren etwas Übertragbares machen; aber dann geschieht es eben per nefas, aus Mißverständnis.

Die Autorität der Apostel ist aber noch in einem zweiten Sinn transitorisch, nicht bloß im Sinn des Vergehens, sondern auch im Sinn des Übergehens. Die Apostel haben ja Autorität einzig und allein durch das, was sie empfangen haben; darum, weil zunächst sie allein es sind, die es haben, sind alle anderen von ihnen abhängig. Die Autorität liegt also ganz bei der Gabe, bei dem Inhalt, dessen Gefäße sie sind. Darum geschieht es unvermeidlich, daß bei der Überleitung dieses Empfangenen auf die Neuempfänger diese nun selbst dasselbe haben, was jene zuerst allein hatten. Die Autorität geht über auf die empfangende Gemeinde in dem Maß, als die Apostel das, was sie zu geben hatten, auch wirklich gegeben haben. Es mag Zeit brauchen, bis dieser Prozeß der Überleitung aus dem Urgefäß in die sekundären Gefäße stattgefunden hat, und solange dieser Prozeß dauert, dauert auch die Autorität der Gebenden ; ist aber einmal die Gabe wirklich übergeben, ist das Christuswort in die Gemeinde übergegangen und von ihr rezipiert und gleichsam resorbiert, so hat die Gemeinde ja nun selbst das, was allein Autorität hat, das Gotteswort (2). Nur in einem Sinne bleibt ein Abhängigkeitsverhältnis vom Apostelwort: es bleibt dauernd die Gestalt des apostolischen Urwortes, an der jede Gemeinde das in ihr vorhandene Wort messen muß, um sich zu vergewissern, daß es dasselbe ist.

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Mit dem Erlöschen der physischen Existenz der Apostel ist etwas von ihnen hinterlassen, das als Norm und kritischer Maßstab alles Wortes in der Gemeinde dienlich, ja notwendig sein wird: ihr geschriebenes Wort. Davon soll später die Rede sein. Die Apostel, deren Autorität einzig und allein in der ihnen verliehenen — und zwar zum Weitergeben verliehenen — göttlichen Gabe liegt, müssen selbst das Bestreben haben, immer weniger Autorität selbst zu haben und immer mehr die Gemeinde selbständig zu machen durch die möglichst vollständige Übernahme der Heilsgabe, des Offenbarungswortes. Je „mündiger” die Gemeinde ist, desto mehr können die Apostel mit ihr als mit Gleichen rechnen 4); nur ihre „Unmündigkeit”, die Unvollständigkeit ihrer Rezeption der Gabe, macht sie scheinbar dauernd von den Aposteln abhängig. Diese Unmündigkeit ist aber keine notwendige, sondern eine zufällige, etwas, das verschwinden soll, verschwinden kann und auch tatsächlich verschwindet.

Das ist das Wesen der apostolischen Autorität, wie sie sich aus der Erkenntnis der Offenbarung selbst ergibt; es kann damit keine andere Bewandtnis haben — es sei denn eben aus Mißverständnis. Nachdem wir aber so Sinn und Grenze der apostolischen Autorität aus dem Wesen der Offenbarung und Heilsgeschichte selbst gleichsam deduktiv verstanden haben, fühlen wir uns genötigt, diese Erkenntnis an den Zeugnissen des Neuen Testaments selbst nachzuprüfen. Und da zeigt sich nun allerdings, daß diese Erkenntnis durchaus nicht so einhellig und eindeutig aus dem Neuen Testament uns entgegentritt, wie wir wünschen möchten. Im Gegenteil, es gibt im Neuen Testament nicht unbeträchtliche Spuren einer ganz anderen Auffassung und


4) 1. Kor. 5, 1; dazu 1. Kor. 2, 15; Hebr. 5, 12.

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Geltung des Apostolates, und eben dies ist der Grund, warum man so oft aneinander vorbeiredet. Nicht nur die soeben entwickelte Auffassung des Apostolates, sondern auch ganz andere zunächst ihr widersprechende, nämlich erstens eine viel mehr in der Richtung einer dauernd autoritären, hierarchischen Kirchenverfassung liegende und wiederum eine im Gegenteil noch weniger die Autorität des Apostolates vertretende liegen nebeneinander vor (3). Wir müssen uns mit der Tatsache abfinden, daß es die Einheit im Neuen Testament nicht gibt, die die Orthodoxie immer wieder postulierte und supponierte. Mit einem einfachen Schriftbeweis ist darum nicht weiter zu kommen, denn das Entgegengesetzte ist gerade in dieser Sache von jeher aus dem Neuen Testament bewiesen worden. Was uns allein weiter helfen kann, ist eine Besinnung auf das in den neutestamentlichen Zeugnissen Eigentlich-Gemeinte, auf das aus der Sache selbst sich als notwendig Ergebende, das denn auch, wie wir sehen werden, letztlich doch einhelliges Zeugnis des Neuen Testaments ist.

Seit dem berühmten Aufsatz von Karl Holl über den „Kirchenbegriff des Paulus im Verhältnis zu dem der Urgemeinde” (4) ist es — auch wenn man Holls These durchaus nicht in allem folgt — unverkennbar deutlich geworden, daß es neben der paulinischen Auffassung der Ekklesia und ihrer Ordnung noch andere, zum Beispiel die ältere jüdisch-palästinensische der Urgemeinde von Jerusalem gab, die einen wesentlich autoritäreren Charakter trug. Aber nicht nur dies, sondern wir sehen heute vielmehr eine Dreiheit von Typen der Gemeindeauffassung, 1. die paulinische, 2. sozusagen zu ihrer Rechten die palästinensisch-jerusalemische und 5. sozusagen zu ihrer Linken die johanneische. Während die zweite das Amtlich-Autoritäre stark hervorhebt und die dritte im Gegenteil dieses gänzlich, bis zur

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Mißachtung der Apostelautorität zurückstellt, hält die paulinische die Mitte zwischen beiden.

In diesem Zusammenhang ist vor allem die jerusalemische Auffassung vom Apostolat von Bedeutung. Es unterliegt keinem Zweifel, daß sie von derjenigen des Apostels Paulus beträchtlich abweicht, indem hier den Uraposteln eine sozusagen formalrechtliche Autorität zugebilligt worden zu sein scheint. Die Apostel übten eine Art autoritäres Kirchenregiment aus. Entscheidend ist nun aber das folgende. Als im sogenannten Apostelkonzil hinsichtlich der Frage der Beschneidung, das heißt hinsichtlich der Geltung oder Nichtgeltung des jüdischen Zeremonialgesetzes, die Meinungen heftig aufeinanderplatzten, geschah gerade das nicht, was allein auf Grund einer formalrechtlichen Auffassung der Apostelautorität hätte geschehen müssen, sondern es geschah im Gegenteil das, was nach jener Auffassung unmöglich geschehen konnte: Der Neuapostel Paulus vermochte durch seine überlegene geistlich-theologische Erkenntnis die Urapostel davon zu überzeugen, daß Christusglaube und Forderung der Beschneidung unvereinbar seien. Auf der ganzen Linie drang seine, des Neuapostels Auffassung durch und, trotzdem er in keinem einzigen Punkte nachgab, schied man von einander, indem man einander die Bruderhand reichte.

Das heißt nicht weniger als: Die letztlich maßgebende Autorität war nicht die eines Apostels als solchen, eine hierarchisch-kirchenrechtliche Autorität, sondern ganz allein die Wahrheit der Christusbotschaft, die Kraft des Wortes. Damit ist gesagt, daß es zwar eine andere als die im Wesen der Offenbarung liegende Auffassung des Apostolates durchaus gab, per nefas, aus Mißverständnis, daß aber diese von der Wahrheit abweichende, irrtümliche Auffassung unter der Kraft des geisterfüllten Christuswortes des Paulus

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zusammenbrach, und daß man als letzte Instanz ganz allein die Christuserkenntnis und keinen persönlichen Apostolatsanspruch anerkannte. Man kann also nicht sagen, daß es die andere, falsche Meinung nicht im Neuen Testament gibt; aber man muß sagen, daß diese von der Wahrheit abweichende Meinung als solche erkannt und die Alleinigkeit der Christusautorität, wie sie in seinem Wort und Geist sich Geltung verschaffte, anerkannt wurde. Das Wort und der Geist haben über das beginnende Kirchenrecht gesiegt. Daß das hier geschah, heißt aber nicht, daß dies überall und vor allem nicht, daß es für immer geschah. Im Gegenteil sehen wir, daß Paulus diesem falschen Autoritätsanspruch der „allzusehr Apostel” 5) immer wieder begegnete und ihn immer wieder durch die Kraft des Wortes und Geistes niederringen mußte, bis jener schließlich-jenseits der Grenze des Neuen Testaments — doch zum endgültigen Siege kam. Innerhalb der neutestamentlichen Zeit selbst aber sehen wir nur das noch völlig unentschiedene Ringen nicht nur dieser zwei, sondern von drei Anschauungen, die je mit einer verschiedenen Auffassung von der Gegenwärtigkeit oder Zukünftigkeit des Heils zusammenhingen (5). Von einer Entwicklung in einer bestimmten Richtung, nämlich in der Richtung des späteren Katholizismus können wir aber darum nicht sprechen, weil auch die am meisten antihierarchische, die johanneische Auffassung der neutestamentlichen Spätzeit angehört, genau so wie diejenige der Pastoralbriefe, die in der entgegengesetzten Richtung, in der des (hierarchischen) Katholizismus geht. Das ist der Grund, warum mit bloßen „Schriftbeweisen” hier nichts entschieden werden kann, sondern die Besinnung auf die Sache selbst, auf die Heilstatsache in Jesus


5) 2. Kor. 11, 5; 12, 11.

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Christus notwendig ist, um die „eigentliche, wahre neutestamentliche Auffassung” zu finden.

Doch bleibt uns zum Schluß die Aufgabe übrig, uns mit einem Argument auseinanderzusetzen, das von der katholischen Seite nicht ohne erhebliche Überzeugungskraft vorgebracht wird. Es läßt sich etwa so formulieren: Diese ganze bisher vorgetragene — „typisch protestantische” — Auffassung übersieht ein entscheidendes Moment. Sie berücksichtigt nur das Christuswort und seine Autorität, nicht aber den Christuswillen und seine Ordnungs- und Einheitsfunktion in der Kirche (6).

Jesus Christus hat seine Apostel als seine persönlichen Bevollmächtigten ausgesandt nicht nur mit der Autorität des ihnen gegebenen Wortes, sondern mit der persönlichen Autorität, durch ihre Leitung der werdenden Kirche Ordnung und Zusammenhang zu geben. Man könnte dies die Apostelautorität im engeren, persönlichen Sinn nennen. Diese drückt sich auch darin aus, daß diese Apostel ihrerseits wieder ihre Sendboten mit persönlicher Autorität ausschickten, um die Kirche im ganzen zu leiten und ihre Verhältnisse zu ordnen. Es gibt also nicht nur eine Autorität des Wortes, die im vorher besprochenen Sinne „transitorisch” ist, sondern auch eine Regierungsautorität, die durch das Wort nicht ersetzt werden kann, die darum an der persönlichen Bevollmächtigung haftet und übertragbar ist. Der Protestantismus krankt an der Nichterkenntnis oder Nichtanerkennung dieser, man könnte sagen der Willens- oder Machtseite des Apostolates und der Kirche überhaupt (7).

Was ist von dieser katholischen Auffassung zu halten? Jeder Offizier weiß, daß für die Schlagfertigkeit einer Armee die Klarheit und Festigkeit der Befehlsgewalt, der formalen Kompetenz, der Über- und Unterordnungsverhältnisse entscheidend ist. Wir verkennen nicht, daß in einer

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Kirche, und zwar je größer sie ist, ein ähnliches Bedürfnis bestehen mag; wir fragen aber hier nicht nach den Bedürfnissen einer Kirche, sondern nach dem, was in der Ekklesia der Urchristenheit galt und gelten konnte.

Aus der Geschichte des Apostelkonzils, so wie Paulus es im Galaterbrief maßgeblich darstellt, gewannen wir die Erkenntnis, daß solche formale Befehlsautorität zwar in gewissen Teilen der Ekklesia beansprucht, daß sie aber von Paulus nicht anerkannt wurde und schließlich unter der Macht des Wortes und Geistes Christi zusammenbrach. Die Gemeinde des Neuen Testaments war — wie im Abschnitt V gezeigt werden wird — erstaunlicherweise ein geordnetes Ganze ohne solche formalen Ordnungen, ohne Kompetenzausscheidung und Rangordnung. Und nicht nur ein geordnetes, sondern auch ein zusammenhängendes Ganze. Die Einheit der Christusgemeinde lag in dem in ihr lebendigen Wort und Geist Christi. Den Aposteln kam wohl, sozusagen fraglos und diskussionslos, ein gewisses Übergewicht in allen Dingen der Gemeindeordnung zu. Aber wieder ist das Paradox-Einzigartige dies: daß sie dieses Übergewicht nie als ein formales, ihnen durch ihre Einsetzung als Apostel zustehendes Recht geltend machten, sondern in allem um die Zustimmung der Gemeinde rangen und sich den Kriterien der Bewährung durch die Zeichen und Wunder in Kraft des heiligen Geistes 6) unterzogen. Nur so war es ja möglich, daß die Urapostel dem Neuapostel Paulus nachgaben und zwar nicht unwillig, um des lieben Friedens willen, sondern überzeugt und überwältigt durch den aus ihm redenden Christusgeist.

In derselben Richtung weisen drei weitere Tatsachen. Erstens. Die Apostel wurden allerdings von Jesus mit


6) Röm. 15, 19; 2. Kor. 12, 12.

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Vollmacht ausgestattet und ausgesandt; zugleich aber erhielten sie den strikten Befehl, nicht als Herrschende, sondern als Dienende aufzutreten, wie ja er, der Herr selbst, durch sein Dienen, durch seine Hingabe in den Tod der Herrscher über alle Mächte geworden 7). In diesem Sinne ist die Geschichte von der Fußwaschung, gerade in ihrem innigen Zusammenhang mit dem bevorstehenden Kreuzestod, sachlich ganz und gar historisch, mag sie auch im Sinn des Berichtes dies nicht sein. So und nicht anders hatte Jesus die Vollmacht seiner Sendlinge gemeint und gegeben (8).

Zweitens spricht Paulus da, wo er die verschiedenen Charismata aufzählt, denen je besondere Dienste zugeordnet sind, auch vom Charisma der Kybernesis, der Leitung 8), als einem unter anderen, ohne ihm die mindeste Rangbevorzugung zu geben. Es braucht auch diesen Dienst und es gibt auch das ihm entsprechende Charisma; aber dieser Dienst ist einer unter anderen und begründet keinerlei hierarchische Ordnung. Ja, auch die, die diesen Dienst haben, müssen sich immer wieder als solche ausweisen, die dieses Dienstes würdig und dazu befähigt sind 9); ein formales Recht auf diesen Dienst ist damit völlig ausgeschlossen. Das allein entspricht der Dienstauffassung des Herrn selbst, der durch Niedrigsein herrschte.

Drittens. Die Urapostel der jerusalemischen Gemeinde, ja diese selbst hatten darum, weil von ihnen das Evangelium ausgegangen war — also aus dem bereits besprochenen Grund der historischen Kontingenz — eine Sonderstellung innerhalb der Gesamt-Ekklesia. Aber die Anerkennung dieser Priorität war, namentlich deutlich bei Paulus, eine freiwillige und hielt sich in ganz bestimmten sachlichen Grenzen.


7) Phil. 2, 8 f.; Kol. 2, 15.
8) 1. Kor. 12, 28.
9) 1. Kor. 16, 15.

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Sein Respekt vor Petrus und den „Säulen” hinderte Paulus nicht, seine Sache, die Sache der Wahrheit durchzufechten allen diesen Autoritäten zum Trotz; und auch diese versteiften sich nicht auf ihren Anciennitätsrang, sondern beugten sich vor der Wahrheit. Was aber geschah mit Jerusalem, als sein geschichtliches Schicksal es ereilte? Spurlos sehen wir die an diesen Ort geknüpfte Priorität verschwinden. Der Apostolat hat nach dem Tode der Apostel nur noch in einer Form Geltung: als die Normativität der schriftlich fixierten Ur-Überlieferung, des Urzeugnisses, des Neuen Testaments. Das will nicht heißen, wie das von katholischer Seite so oft unterschoben wird, als ob das mündliche Wort durch das schriftliche ersetzt werden solle; noch immer hat die Gemeinde „Propheten”, geistesmächtige Männer, sie ist keine Synagoge der bloßen Schriftauslegung geworden. Aber die Schrift ist die Norm aller Lehre, darum weil sie die Urgestalt und damit die maßgebende Gestalt der Lehre ist (9).