Dombois, H.

Strukturprobleme des Eheschließungsrechtes

1953

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Strukturprobleme des Eheschließungsrechtes

 

Von Hans Dombois

 

Für die Erwägungen der Eherechtskommission waren die rechtsgeschichtlichen Erkenntnisse von besonderer Bedeutung, die Rudolf Sohm in seinem Werk über die Geschichte des Eheschließungsrechtes dargestellt hat. Wie in allen seinen Schriften fesselt der große Jurist auch hier den Leser durch die funkelnde Prägnanz seiner Formulierungen; hier wie überall ist er bestrebt, die Ergebnisse geschichtlicher Forschung zu aktuellen Entscheidungsfragen zuzuspitzen, gelegentlich nicht ohne Gewaltsamkeit. Die Grundzüge dieser schwer zugänglichen Werkes sind an anderer Stelle dieses Buches im Auszug zusammengefaßt. Unzweifelhaft sind viele seiner Thesen durch die neuere Forschung nicht unwesentlich verändert und richtig gestellt worden. Wir könnten jene nicht darbieten, wenn wir nicht auch diese Korrekturen gleichzeitig vortrügen. Dadurch sollte jedoch der starke systematische und zu grundsätzlichen Entscheidungen treibende Impuls nicht verlorengehen, der von Sohms Werk ausstrahlt. Auf die Fragen hinzuführen, nicht sie abschließend zu beantworten, vor denen sich die evangelische Kirche angesichts der Forderung nach Einführung der fakultativen Zivilehe sieht, ist auch die Aufgabe der nachstehenden Skizze.

Nach allgemeiner Meinung hat der Ausspruch des Standesbeamten, daß die Eheschließenden nunmehr kraft des Bürgerlichen Gesetzbuches rechtlich verbundene Eheleute seien, deklaratorischen, nicht konstitutiven Charakter. Damit wird mit einiger Betonung die Beschränktheit auf ein Mindestmaß staatlicher Mitwirkung an der Eheschließung ausgesprochen. Der Akt des Standesbeamten erscheint so formal, daß ihm ein wesentliches Interesse nicht entgegengebracht wird. Es ist jedoch die Frage, ob diese Betrachtungsweise ausreicht.

Die Mitwirkung des Standesbeamten bei der Eheschließung ist ihrer Struktur nach ein jurisdiktioneller Akt. Der Standesbeamte fordert von den Eheschließenden den Nachweis ihres Personenstandes und prüft diesen. Auch abgesehen von der

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Frage der Ehehindernisse würde jemand, der seine Identität nicht nachzuweisen vermöchte, den Standesbeamten nicht zur Beurkundung bereitfinden. In der Hauptsache dient jedoch unzweifelhaft die Feststellung des Personenstandes der Prüfung, ob Ehehindernisse bestehen. Ist dies zu verneinen, so erklärt sich der Standesbeamte zur Entgegennahme der Erklärungen bereit. Hierzu ist er nach dem Gesetze verpflichtet. Seine erklärte Bereitschaft andererseits ist eine gesetzliche Voraussetzung für die Gültigkeit des vor ihm vorgenommenen Eheschließungsaktes. Das Handeln des Standesbeamtes ist insofern jurisdiktionell, als er über das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Eheschließung zu entscheiden hat. Das ist in den weitaus meisten Fällen so einfach, daß diese Entscheidung nicht-juristischen Subalternbeamten übertragen werden konnte. Diese unterliegen sinngemäß und kennzeichnenderweise der Dienstaufsicht des Richters der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ihre Rechtsstellung ist der des Rechtspflegers in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit vergleichbar. Wo die Dinge im Ausnahmefall nicht so eindeutig liegen, vor allem im Bereiche des internationalen Privatrechts, werden sie meistens juristisch außerordentlich schwierig. Der Standesbeamte hat also über das Vorliegen von Ehehindernissen zu entscheiden, und bei ihrem Fehlen die nur unter dieser Voraussetzung eintretende gesetzliche Folge der vor ihm abgegebenen Willenserklärungen auszusprechen.

Er ist auf diese Weise der Sache nach der Hüter derjenigen Geschlechtstabus, die mit relativ unwichtigen Abwandlungen von der vorgeschichtlichen Zeit bis zur positiven Regelung des kirchlichen und staatlichen Eherechts in allen Völkern Geltung gehabt haben und haben. Die gleiche Funktion hat vor dem Standesbeamten jeder wahrzunehmen gehabt, der mit der Eheschließung befaßt war. Auch der Geschlechtsvormund durfte sein Mündel, der Vater seine Tochter einem Manne nur anverloben, wenn er gewiß war, daß solche Hindernisse nicht vorlagen. Daß das zu allen Zeiten nur in Ausnahmefall zweifelhaft war, ändert nichts daran, daß es jedenfalls erwogen werden mußte. Er hatte sich zu fragen, ob neben dem Fehlen der Ehehindernisse auch die positiven Rechtsvoraussetzungen der Eheschließung gegeben waren. Diese kann man unter dem Rechtsbegriff des connubiums zusammenfassen. Connubium ist jenes Rechtsverhältnis, durch das innerhalb einer Personengruppe die Voraussetzung für Eheschließungen begründet

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wird. Die Eheschließung konkreter Einzelpersonen setzt als umfassende Vergemeinschaftung aller Lebensbeziehungen eine objektive Gemeinschaft des Personenkreises voraus, dem sie zugehören. Es gibt historisch ein sippenmäßig-völkisches, ein ständisches und ein religiöses Connubium. Jedoch ist das sippenmäßig-völkische C. seinem Ursprung nach sakralrechtlich und entstammt einem geschichtlichen Lebensbereich, in dem weltlich-profanes und geistlich-sakrales Recht noch nicht geschieden werden können. Solange jedenfalls das Rechtsinstitut des Connubiums besteht, kann die freie Entscheidung über die Eheschließung nur innerhalb des Raumes vollzogen werden, der zwischen dem negativen Hindernis des Geschlechtstabus und den Grenzen des Connubialverhältnisses liegt. Geschlechtstabu und Connubium sind Grenzwerte. Das Institut des Connubiums hat in unserem Rechtsbereich bis 1848 bestanden. Erst mit der Beseitigung der Standesvorrechte fielen auch die damit verbundenen Einschränkungen. Bis dahin konnte Beispielsweise nach dem preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 ein Adliger mit einem Mädchen aus bestimmten Ständen nur eine Ehe zur linken Hand schließen; die aus dieser Ehe hervorgegangenen Kinder erlangten nicht den Rechtsstatus des Vaters, waren aber ehelich.

Auf die geschichtliche Bedeutung des Connubiums hat Spengler im „Untergang des Abendlandes” aufmerksam gemacht. Er sagt, daß mit dem Einbruch des Christentums in die antike Welt auch eine Veränderung der Connubialverhältnisse eingetreten sei. Bis dahin habe das Connubium zwischen bestimmten Völkern oder Stadtgemeinden bestanden. Nunmehr habe sich quer durch die früheren Abgrenzungen ein Connubium zwischen Christen ausgebildet, eine geradezu eschatologische Scheidung.

Jene beiden Grenzwerte, von denen oben gesprochen wurde, sind echte existenzielle Größen. Die Neigung, sich an die negative Grenze zu begeben, und sie womöglich zu überschreiten, tritt dort hervor, wo der Ebenbürtigkeitsgesichtspunkt eine beherrschende Rolle spielt. Auch in der Ehe wird die Identität der eigenen Art mit starker Bestimmtheit gesucht und gesichert. Den stärksten Ausdruck dieser Tendenz finden wir in der Geschwisterehe des ägyptischen Königtums. Hier ist die Grenze der sonst allgemein gültigen Geschlechtstabus bereits bewußt überschritten. Wo der Mensch sich nur noch dem eigenen Blute verbindet, macht er sich zum Gott, der allein mit sich selbst identisch ist. Gegenüber dieser Tendenz und dem Anspruche

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der Identität steht die umgekehrte Tendenz zur Nichtidentität. Indem hier Grenzen gesetzt werden, wird die Beziehungslosigkeit der Partner vermieden und abgewehrt. Zwischen Identität und Beziehungslosigkeit liegt allein der mögliche Raum der Ehe. Das stimmt mit der psychologischen und soziologischen Unterscheidung von Gleichheitsehe und Kontrastehe überein. Wo die Bezüglichkeit auch des Kontrastes aufgehoben wird, versinkt die Ehe in die materielle Tatsächlichkeit des Physischen und droht in einen Bereich noch unterhalb des Tieres zu sinken, welches streng an seine Art gebunden ist und außerhalb dieser Dialektik steht. So lebt der Mensch auch in diesem Bereich zwischen Gott und Materie.

Das Problem des Connubiums hat nun in unserer Rechtsgeschichte durch den Wandel des Eheschließungsrechtes eine bedeutende Veränderung erfahren. Schon sehr früh (z.B. in dem von Sohm zitierten karolingischen Kapitulare) hat die Kirche ihren Einfluß zu Gunsten der Beachtung der sehr weit gefaßten Ehehindernisse geltend gemacht (z.B. Ehehindernis der geistlichen Schwägerschaft). Andererseits verlor mit der Ausbreitung des Christentums über den ganzen Bereich des Abendlandes das völkische Connubium als Unterscheidung völlig die Bedeutung, da zwischen christlichen Völkern selbstverständlich Connubium bestand. Nicht dagegen wurde das ständische Connubium aufgehoben, sondern im Standesrecht des Adels sogar stark ausgebildet. Als nun die Eheschließung durch den Geschlechtsvormund etwa vom 13. Jahrhundert an abkam, ging sie zunächst auf Treuhänder über, die von den Eheschließenden als sachkundige Personen gewählt wurden. Bei diesen war noch vorauszusetzen, daß sie etwaige Rechtshindernisse beachteten. Darüber hinaus privatisierte sich die Ehe sehr schnell, indem nun der formlose halböffentliche oder gar geheime Ehekonsens als ausreichend angesehen wurde. Wenn bei dieser Rechtsform schon der Bestand der Ehe selbst oftmals völlig zweifelhaft bleiben mußte, so fehlte erst recht jede Gewähr und jede Verantwortlichkeit für die Beachtung der positiven und negativen Rechtsvoraussetzungen der Ehe. In dieser Lage griff die Kirche ein. Sie bestritt zwar nicht die Rechtsgültigkeit der freien Konsensehe, verbot dennoch wenigstens partikularrechtlich durch Provinzialkonzilien die weltliche Eheschließung ohne ihre Mitwirkung. Sie übernahm selbst, wie Sohm gezeigt hat, das weltliche Amt der Treuhänders, der die Braut dem Bräutigam und später beide einander zu übergeben, zu tradieren, zu trauen hat. Das hatte eine doppelte Wirkung. So weit sich die kirchliche Eheschließung durchsetzte, konnte die

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Innehaltung der Ehehindernisse sichergestellt werden. Sodann entstand durch die kirchliche Mitwirkung neben der Prüfung der negativen Hindernisse zugleich auf der anderen Seite ein neues Connubialverhältnis. Wenn die Eheschließung unter Mitwirkung der Kirche stattfand, so verstand sich von selbst, daß in diesem kirchlichen Raum nur Christen die Ehe miteinander eingehen konnten. Daß die Ehe unter Nichtchristen eine wirkliche Ehe ist, aber auch daß es die Mischehe ist, hat die Kirche theoretisch niemals bestritten. Dennoch hat sie mit einer an die Ausnahmslosigkeit einer Rechtsregel grenzenden Tatsächlichkeit durchgesetzt, daß nur Christen die Ehe miteinander eingehen, und praktisch Mischehen unterbleiben. Bei Shakespeare, einer rechtsgeschichtlichen Fundgrube, ist es ganz selbstverständlich, daß die entführte schöne Jüdin sich erst taufen läßt, bevor sie einen Christen heiratet. So entsteht ein Connubium inter Christianos. Ein sehr großer Teil noch der heutigen Mischehenpolitik der römischen Kirche ist in ihrem Kern und Beweggrund wohl nur von hieraus zu verstehen. Geheiratet soll werden nur innerhalb des Volkes Gottes, also der Kirche, so wie einstmals nur zwischen bestimmten, religiös verbundenen Völkern Connubium bestand. Die daraus folgende Beschränkung der Gattenwahl hat sich bis in die Gegenwart als praktisch höchst bedeutsam erwiesen. Die Kirche übernahm damit die Stellung des Treuhänders ganz, jedoch nur zum Teil diejenige des Geschlechtsvormundes. Sie übernahm die jurisdiktionelle Funktion der Entscheidung darüber, ob die negativen Ehehindernisse und die positiven Voraussetzungen des Connubiums gegeben waren. Aber sie trat nicht ein in den zwischen beiden liegenden freien Raum der Entscheidung über die konkrete person, mit der die Ehe zu schließen war. Die Ehe hatte inzwischen ihren Rechtsgrund geändert: er lag nicht mehr in der Tradition der Muntgewalt vom Gewalthaber auf den Ehemann, sondern in der Selbstverfügung der konsentierenden Ehegatten. D.h.: Die vorgegebenen, allgemein gültigen und öffentlichen Bindungen und die persönliche Entscheidung hatte sich im Rechtsakt auseinandergelöst: öffentliches und Privatrecht, aber auch geistliches und weltliches Recht hatten sich voneinander getrennt. Was sich hier vollzieht, ist jener geistesgeschichtliche Einbruch des Spiritualismus, der sich gleichlaufend im Kirchenrecht, Staatsrecht wie im Eigentumsrecht bis in alle Einzelheiten nachweisen läßt. Dieser Vorgang wird allerdings von der Rechtswissenschaft nicht beachtet, da sie selbst im gleichen Augenblick

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entstanden und von den gleichen Voraussetzungen und Begriffen abhängig ist.

Indem nun die Kirche dergestalt die Grenzen der Eheschließung zugleich wahrte und bestimmte, erlangte sie erst recht eigentlich die Jurisdiktion über die Ehe. Wer die Grenzen bestimmt, bestimmt den Inhalt — so könnte man in Abwandlung eines berühmten juristischen Axioms sagen. Die Geschlechterehe beruhte auf einer bestimmten materialen, wertmäßigen Basis. Die Tochter hatte einen Anspruch auf standesgemäße Verheiratung; sie trat mit der Eheschließung in den konkreten Rechtsstatus des Ehemannes mit ein. Damit galten zugleich innerhalb der Ehe sehr konkrete verpflichtende Begriffe, die stillschweigend vorausgesetzt wurden und durch die soziale Gleichheit der Partner gesichert waren.

Jene völkischen oder ständischen Begriff werden nun überflügelt und überdeckt von dem Begriff des christlichen Ehestandes. In dieser Entwicklung spiegeln die Neubildungen des 16. Jahrhunderts keine so große Rolle, wie man nach dem positivrechtlichen Befunde anzunehmen geneigt ist. In beiden Kirchen wird jetzt der noch immer erschreckend ungeordnete Zustand förmlich geordnet. Das ist das Ziel der Neuregelung des tridentinischen Konzils wie der reformatorischen Kirchenordnungen Das tridentinische Konzil spricht jetzt in aller Form aus (jedoch nur jure humano), daß der katholische Christ eine Ehe nur vor dem zuständigen Pfarrer und zwei Zeugen eingehen kann. Auch die reformatorischen Kirchenordnungen bemühen sich, eine Eheschließung vor der Kirche herbeizuführen. Dieser Zustand hat bis zur Einführung der obligatorischen Zivilehe gedauert. Bei ihrer Einführung tut der Staat nichts anderes, als daß er — bis in die Formulierungen sich an das Tridentinum anschließend — die Ausschließlichkeit der standesamtlichen Eheschließung verfügt. Auch er nimmt wie jenes seinem Bürger die rechtliche Fähigkeit, ohne seine Mitwirkung eine Ehe zu schließen, — durchaus im Gegensatz zur traditionellen Geschlechterehe wie zur freien Konsensehe des Mittelalters. Auch er enthält sich jeden Einflusses auf die konkrete Entscheidung der Eheschließenden und nimmt nur die öffentlich-rechtliche, jurisdiktionelle Seite des Vorgangs wahr.

Dennoch besteht ein schwerwiegender Strukturunterschied gegenüber allem Vorangegangenen. Dieser Staat kennt kein Connubium mehr. Das Connubium ist durch die Ausdehnung auf alles, was Menschenantlitz trägt, durch die Verallgemeinerung

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als Institut gegenstandslos und aufgehoben. Die Verallgemeinerung ist die geschichtliche Form, in der rechtlich-soziale Phänomene aufgehoben werden. Weder ein völkisches, noch ein ständisches oder religiöses Connubium besitzt mehr rechtliche Bedeutung. Jede Buschmannstochter aus Australien, die ihren Personenstand nachweisen kann, kann vor einem deutschen Standesbeamten einen Deutschen heiraten. Die Ehehindernisse der alten Geschlechtstabus zwar werden in starker Einschränkung, aber unter treuer Bewahrung der klassisch klaren kanonistischen Begriffe eindeutig aufrechterhalten. Nach der anderen positiven Seite hin fehlt jedoch jede Grenzsetzung. Das Institut der Ehe gleicht nunmehr einem Hause, von dem eine Bombe eine Seitenwand abgerissen hat, so daß jedermann von der Straße her eintreten kann. Das Connubium als Rechtsinstitut sinkt aus der strengen Rechtsform in die abgeschwächte Verbindlichkeit der Sitte ab. Das völkische, soziale, kirchliche Gefüge in seiner Geschlossenheit lebt nur noch von der aus den verschiedensten Gründen fortlebenden Tatsächlichkeit, mit der sich diese Bezüglichkeit noch in der Eheschließung auswirkt. Diese negative Lösung ist ein folgerichtiger Ausdruck des weltanschaulichen Liberalismus, der den Menschen losgelöst von jeder sonstigen materialen Qualifikation als bloßes Vernunftwesen sieht. Dies drückt sich heute über die bloße Negativität hinaus auch in einer militanten Tendenz aus. Der Entwurf der Menschenrechtssatzung der UNO versucht jedes Connubialrecht ebenso wie jede heteronome Bestimmung zur Ehe, also die Mitwirkung dr Eltern bei der Gattenwahl, als menschenrechtswidrig aufzuheben. Es ist wichtig zu erkennen, daß die Dinge mit jenem negativen Universalismus nicht zu Ende, sondern überall im Fluß sind. Bezeichnenderweise haben auch die totalitären Staaten eine ganz präzise Stellung zu diesem Problem, das sich eben dadurch als echtes Problem ausweist. Der Nationalsozialismus hat es durch seine Rassengesetzgebung zu lösen versucht. Darin lag allerdings aus mehreren Gründen eine Selbsttäuschung. Er wurde bei folgerichtiger Durchdenkung gezwungen, auf einen sehr allgemeinen Rassenbegriff zurückzugreifen, der deswegen kaum geeignet war, als Grundlage einer rechtlichen Regelung zu dienen. Denn rechtserheblich kann immer nur die Zugehörigkeit zu einem Rechtsverbande sein. Dieser Rassenbegriff war jedoch vorzugsweise polemisch am Judentum und den farbigen Völkern orientiert. Der zweite Gedankenfehler lag in der Verkennung der Tatsache, daß schon die kirchliche Eheschließung in die Lücke eingetreten war, die sich durch die Auflösung der alten

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Volksordnung ergeben hatte. Diese Volksordnung konnte auch ein hochgespanntes nationalistisches Selbstbewußtsein nicht ersetzen.

Auch der Bolschewismus hat seine eigentümliche Stellung zum gleichen Problem. Er fordert den Erwerb der Staatsangehörigkeit, wenn ein nicht der Sowjetunion Angehöriger einen Angehörigen derselben heiraten will. Wo solche Ehen bereits bestehen, verweigert er zwar nicht die theoretische Anerkennung des Ehebandes, aber die praktischen Folgen, indem er etwa die Ausreise des sowjetischen Partners verhindert. Ohne Rücksicht darauf, wie weit diese Dinge positiv-rechtlich geordnet sind, oder nur aus einer folgerichtig durchgehaltenen Staatspraxis erkennbar werden, liegt wiederum ein Connubium vor, welches sich mit höchst realen Unterscheidungen und Folgen auf der Zugehörigkeit zur Heilsgemeinschaft der Sowjetunion aufbaut. Die Beschwerden und Erörterungen innerhalb der UNO über diese Fragen geben ein Bild davon. Der gedankliche Hintergrund dieser Erscheinungen ist freilich für die liberale Rechtslehre nicht erkennbar, da sie völlig unkritisch und naiv darin nur sinnlose Verletzungen axiomatischer Rechtssätze über die Selbstbestimmung des Menschen zu sehen vermag.

Aus dem Gesagten ergeben sich eine Reihe von Folgerungen.

1. Die Eheschließung hat eine eigentümliche komplizierte Struktur. Sie erschöpft sich nicht in einem einzigen, gewissen technischen Formerfordernissen unterliegendem Willensakt, der allen anderen rechtsgeschäftlichen Willensakten qualitativ gleich und vor eingleisiger Strukturlosigkeit ist. Vielmehr sind zur Eheschließung drei Dinge notwendig: Die Entscheidung über die negativen und positiven Voraussetzungen und die konkrete Verfügung, durch die die Ehe gerade mit dieser Person geschlossen wird. Die ersten beiden Dinge sind objektiv vorgegeben, das dritte steht in der freien Entscheidung des Gewalthabers oder der Eheschließenden selbst. In unserer Rechtssprache, die den Sachverhalt jedoch nicht völlig trifft, könnte man sagen, daß die beiden ersten Entscheidungen deklaratorischen, die dritte konstitutiven Charakter trägt. Alle drei sind jedoch jurisdiktionelle Entscheidungen, und zwar auch jener konstitutive Akt. Denn in diesem Akt sprechen sich die Eheschließenden wechselseitig das Recht zu, sich von dem anderen in der Eigenschaft als Ehegatten

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ansprechen zu lassen, unterwerfen sich den Ansprüchen, die daraus folgen.

Man wird das Bild aber erst richtig sehen, wenn man es mit den geschichtlichen Erkenntnissen vergleicht, die Sohms scharfsinnige rechtsgeschichtliche Darstellung bietet. Die deutschrechtliche Struktur der Eheschließung, die vom kanonischen Recht lange Jahrhunderte mit geringfügigen Abwandlungen bewahrt worden ist, beruht auf der Doppelung von Verlöbnis und Trauung, die erst zusammen die Eheschließung ausmachen.

Das Verlöbnis hat eheschließenden Charakter, erzeugt aber nur die negativen Wirkungen der Treubindung, des Ausschlusses Dritter. Die Trauung erst bringt die positiven Ehewirkungen der totalen Lebensgemeinschaft, rechtlich insbesondere die Gemeinschaft des Rechtsstatus für beide Ehegatten in personenrechtlicher und vermögensrechtlicher Hinsicht. Dieses Nebeneinander eines negativen und eines positiven Phänomens nun wiederholt sich und hat seine Analogie in der Doppelheit der Voraussetzungen für die Eheschließung: das Fehlen der Ehehindernisse und das Vorhandensein des Connubiums, der mindestens potentiellen Statusgemeinschaft. Daneben begründet die Eheschließung als solche die konkrete Statusgemeinschaft.

Wie Sohm nun zeigt, hat sich das Verständnis für diese Doppelung im kirchlichen Eherecht beider Konfessionen vom 16. Jahrhundert an allmählich aufgelöst. Im Tridentinum und der nachfolgenden Entwicklung des katholischen Eherechts wird die Eheschließung auch unter dem Namen Trauung in Wahrheit nur Verlöbnis; im evangelischen Eherecht wird das Verlöbnis allmählich in die Trauung aufgesaugt: die Eheschließung wird nur Trauung. Das ist das Ergebnis einer allmählichen Rationalisierung durch die begreifliche Tendenz zu einer bestimmten, Zweifelsfälle ausschließenden Regelung. Rationales Denken hat dieses Gefälle zur Eingleisigkeit und vermag komplementäre Phänomene, wie sie Verlobung und Trauung im alten Recht darstellen, immer weniger zu verstehen und löst sie allmählich auf. Der weltliche Rationalismus hat dann vollends in dem naiven Glauben, naturrechtliche Grundsätze zu verwirklichen, die Eheschließung allein in der Rechtsform des Verlöbnisses als Willensakt aufgefaßt und sich der romanistischen Unterscheidungen bedient, welche Verlöbnis als lösbaren Vorvertrag und Eheschließung als

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endgültigen Hauptvertrag, jedoch beide immer nur als Willensakt, nicht als Realakt auffassen. Dem entspricht das heute in Deutschland geltende bürgerliche Recht.

Das Eheschließungsrecht nimmt also in jedem Betracht immer mehr eine strukturwidrige Einseitigkeit in Richtung auf ein voluntaristisches Verständnis an.

2. Von diesem Sachverhalt aus wird es möglich sein, die Stellung der beiden Kirchen auf diesem Gebiet erst richtig zu verstehen. Die staatliche Eheschließung ist eine Kopie der tridentinischen kirchlichen, die ihr historisch vorangeht, im jetzigen Rechtszustand aber für die Katholiken als Dublette nachfolgt. Die evangelisch-kirchliche Trauung ist etwas ganz anderes als diejenige in der römische Kirche. Sie füllt den leeren Raum materialer Bindung aus, den die Konsensehe vor dem römischen Priester offenläßt. Diese materiale Bindung vollzieht sich für die katholische Theorie durch die sakramentale Copula, also außerhalb des kirchlichen Bereichs. Durch die Sakramentstheorie hat die katholische Ehe unzweifelhaft eine größere Festigkeit erreicht, während das sinngemäßere Handeln der evangelischen Kirche kaum noch schlüssig gedeutet werden konnte und weitgehend als ethische Ermahnung mißverstanden wurde.

Jene paradoxe und sich ergänzende Doppelheit der Eheschließung in Verlöbnis und Trauung, in Ehehindernis und Ehevoraussetzung, entspricht auch die biblische Paradoxie des Herrenwortes in Matth. 19; während menschliche Willkür zwei Menschen als Paar negativ ausgrenzt, fügt Gott sie unbegreiflicherweise positiv zusammen, ob sie menschlich gesehen passen oder nicht. Das Geheimnis kann nach Eph. 5 nur im Blick auf das Geheimnis der Gemeinschaft von Christus und der Gemeinde recht verstanden werden; es besteht auch in der heidnischen Ehe, aber es wird aufgedeckt und sichtbar im Glauben. Der kirchliche Vollzug dieser menschlichen Willensbindung hat deshalb eigentlich gar keinen Sinn. Sinnvoll ist nur die kirchliche Trauung in jenem speziellen rechtsgeschichtlichen Sinne der realen Hingabe, weil hier die materiale, positive Bindung des Menschen angesprochen wird, weil hier das unverfügbare Handeln Gottes an Menschen bezeugt wird. Die evangelische Kirche befindet sich ohne ihr eigenes Verdienst auf Grund der geschichtlichen Entwicklung in einer sehr viel sinngemäßeren Lage als die römische. Die Verlegenheit der römischen Position, die sie

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zu m.E. falschen Ansprüchen treibt, beruht auf zwei Momenten: Sie ist durch die romantische Tradition veranlaßt worden, die Eheschließung in der Verlöbnisform aufzunehmen, also die theologisch-irrelevante Seite zu recipieren. Sodann kann sie von der naturrechtlichen Konsenstheorie her das Moment der Fremdbestimmung nicht mehr klar zum Ausdruck bringen. Denn es liegt auch ein Strukturzerfall darin, daß die Fremdbestimmtheit der Sippenehe durch die Selbstbestimmung der Konsensehe ersetzt wird. Der Sinn kirchlichen Handelns im Raum der Eheschließung ist gerade die Bezeugung der Objektivität der Ehe: d.h.: obwohl die Menschen handeln, fügt Gott zusammen. Hier tritt das Moment der Fremdbestimmtheit allein wieder hervor. Das Sakrament der Ehe nach römischem Verständnis ist das einzige, welches sich die Empfangenden gegenseitig spenden, das ihnen nicht gespendet wird. Es ist nach Sohms Urteil (Decretum Gratiani S. 100 Anm. 9) das einzige noch altkatholisch verstandene Sakrament. Sie ist ein Tatbestand, der das Wesen der Ekklesia, das Verhältnis Christi zu Seinem Volke widerspiegelt — deshalb ein Geheimnis, ein Mysterium, ein Sakrament. Das Eigentliche der Eheschließung fällt daher im katholischen Ritus zwischen Konsens und Vollzug heraus, und wird — durchaus nicht sinnwidrig —, durch die Brautmesse ersetzt, wie denn ja auch rechtsgeschichtlich der Vollzug als rechtlicher Realakt dann ersatzweise eintrat und bewertet wurde, wenn der Traditionsakt ausfiel.

3. Der sehr ernst zu prüfende Gedanke, ob nicht weit eher als die Rückübernahme der Eheschließung durch die Kirche dem Staat Mut gemacht werden muß, sein weltliches Amt an der Ehe recht zu vollziehen, scheint der lutherischen Lehre von den zwei Regimenten zu entsprechen, ist aber nach dem Gesagten positiv zu widerlegen. Die weltliche Gewalt ist von ihren geistesgeschichtlichen Merkmalen und Bedingungen nicht ablösbar; sie ist kein zeitloses Abstraktum. Der liberale Staat vermag seinen eigenen Voraussetzungen nach der Ehe keinen materialen Gehalt zu geben, da für ihn die Eheschließung auf der unterschiedslosen Menschqualität, nicht auf einem konkreten Status aufgebaut ist. Die Anfänge dessen beginnen längst vor einem ausgebildeten modernen weltlichen Staatsbegriff mit dem Zerfall der Sippenordnung sichtbar zu werden. In die damit auftretende Lücke ist, wie gezeigt, bereits im 13. Jahrhundert die Kirche eingetreten. Gerade das Scheitern des nationalsozialistischen Versuchs zeigt am allerdeutlichsten,

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daß hier wirklich eine Lücke ist. Infolgedessen ist der moderne Staat immer nur imstande, die Ehe negativ zu ordnen, nicht aber ihr eine positive Gestalt zu geben. Andererseits trägt das, was die Kirche hier legitim tun kann, die Bedingtheit ihres Handelns zwischen Auferstehung und Wiederkehr an sich. In einer Welt zerbrochener Ordnungen wird sichtbar, daß Eheordnung die menschlich verfügbaren Möglichkeiten grundsätzlich übersteigt. Was die Kirche tun kann, ist also allein die Anwendung des tertius usus legis auf die Ehe: d.h. Ehe wird allein unter eschatologischem Aspekt wieder möglich. Deswegen kann auch der von der Kirche zu vollziehende Akt der Trauung nie im weltlichen Recht als eine Ergänzung desselben aufgehen. So verstanden ist er freilich nicht wie Sohm meinte und nur im äußeren historischen Sinne richtig ist, ein von der Kirche durch Ersitzung wohlerworbenes weltliches Recht, welches sie stellvertretend ausübt. Es ist vielmehr eine echte kirchliche Funktion. Es ist wohl kein Zufall, daß das Traditionsmoment der Trauung die Geschlechterehe doch nur begrenzte Zeit überdauert hat und vom Konsensprinzip schließlich abgestoßen worden ist. Die positive theologische Formulierung dessen, was die kirchliche Trauung tut, etwa als „Ordination in den christlichen Ehestand” soll hier nicht versucht werden.

4. Nach meiner Auffassung besteht nach dem Gesagten für die evangelische Kirche kein Anlaß, die fakultative Zivilehe zu fordern; es ist vielmehr so gesehen nunmehr möglich zu begründen, warum sie es nicht tun soll und kann. Die Teilung zwischen staatlicher Eheschließung (rechtsgeschichtliches Verlöbnis) und kirchlicher Trauung ist sachlich wohl begründet.

Es ist nach wie vor sinnvoll, daß auch der evangelische Christ nicht in dem bürgerlichen Formalakt, sondern in der Trauung in facie ecclesiae das Entscheidende der Eheschließungshandlung sieht, nämlich das gemeinsame Zeugnis der Eheschließenden, daß Gott zusammenfügt, wo äußerlich allein menschliche Freiheit und Willkür sichtbar wird. Die Kirche gewinnt nichts, wenn sie den rechtgeschäftlichen Akt in ihren Bereich zieht; man könnte eher sagen, sie verdunkele dadurch das allein entscheidende Handeln Gottes. Deswegen sollte man auch klar erkennen, daß eine weder getraute noch vollzogene bürgerliche Ehe eine noch unvollkommene Ehe ist.

Die kirchliche Eheschließung mit bürgerlicher Wirkung würde die kirchliche Jurisdiktion über die Scheidung als Konsequenz nach sich ziehen. Die Kirche kann aber aus dem

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Evangelium, welches kraft der Vollhingabe die Ehescheidung verbietet, kein Gesetz machen. Deswegen ist sie an dieser Jurisdiktion legitim nicht interessiert. Wohl aber muß sie jeweils entscheiden, ob eine Ehe nach dem Evangelium noch besteht, wenn die Wiedertrauung begehrt wird. Dieser jurisdiktionellen Entscheidung kann sie sich nicht entziehen, wenn sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, das Evangelium und ihren Auftrag nicht ernst zu nehmen. Es ist zu begrüßen, daß die Generalsynode der Vereinigten Lutherischen Kirche Deutschlands begonnen hat, die hier seit langem klaffende Lücke zu schließen.

Zu fordern ist schließlich, daß die geistliche Notwendigkeit der kirchlichen Eheschließung stärker betont wird, daß das Verständnis des Wesens der Trauung gegenüber der heutigen Verwirrung klar entwickelt wird und das einem ethischen Mißverständnis des Wesens der Ehe in Verkündigung und Lehre nachdrücklich entgegengetreten wird. Auch die Ehe steht unter dem sola fide — sola gratia. Schließlich ist zu fordern, daß die staatlichen Standesbeamten sich der untauglichen und ärgerlichen Versuche enthalten, dem bürgerlichen Eheschließungsakt eine unechte Weihe zu verleihen.