Reicke, S.

Geschichtliche Grundlagen des Deutschen Eheschließungsrechts

1953

|27|

 

Geschichtliche Grundlagen des Deutschen Eheschließungsrechts

*)

von Siegfried Reicke

 

Eine rechtsgeschichtliche Betrachtung der Entwicklung der Eheeingehung in Deutschland begegnet, gerade wenn es sich um eine zusammenfassende und gedrängte Übersicht handelt, mannigfachen Schwierigkeiten, von denen nur einige vorweg angedeutet seine. Zunächst hat man sich immer zu vergegenwärtigen, daß das Recht der Eheeingehung an den beträchtlichen partikularen und landschaftlichen Verschiedenheiten im deutschen Rechtsraum teilnahm. Land und Stadt trennten sich bis weit in die neuere Zeit hinein in den Rechtsgepflogenheiten. Adel, Bürgertum und Bauerntum beobachteten unterschiedliche Rechtsbräuche. Besonders die Zeit des Hoch- und


*) Die nachfolgenden Ausführungen stellen sich lediglich die Aufgabe schlichter Orientierung. Sie sehen infolgedessen grundsätzlich von Wertungen und Folgerungen für die Frage der Stellung des evangelischen Kirchentums zur obligatorischen Zivilehe ab. Trotzdem scheint mir der einfache historische Befund einen Beitrag für die in Angriff genommene Erörterung liefern zu können. Allerdings mag es verwunderlich erscheinen, daß in den Darlegungen die mittelalterliche Entwicklung des Eheschließungsrechtes einen so breiten Raum einnimmt. Aber eine möglichst präzise Aufzeigung gerade dieser Erscheinungen erscheint mir umso nötiger, als die Stellungnahme der Reformationszeit, namentlich Luthers, nur in enger Verbindung mit der mittelalterlichen Rechtsgestaltung verständlich wird. Gerade weil das ältere protestantische Eheschließungsrecht, soweit es von lutherischen Anschauungen getragen ist — auf die reformierte Sonderentwicklung und ihre Ergebnisse für die praktische Rechtsausformung konnte ich leider aus Raumgründen nicht eingehen —, sich im wesentlichen teils an das ältere deutsche Recht, teils an das kanonische anlehnte, schien mir diese betonte Herausstellung der „Grundlagen”, die nun einmal dem Mittelalter angehören, gerechtfertigt. Und dies noch aus einem anderen Grunde. Die geläufigen Vorstellungen über die Eheschließung in der deutschen Vergangenheit stehen, besonders in evangelisch-theologischen Kreisen, noch fast völlig unter dem Banne der Erkenntnisse Rudolph Sohms, die er in seinem grundlegenden und geistvollen Buche „Das Recht der Eheschließung aus dem deutschen und canonischen Recht geschichtlich entwickelt”, Weimar 1875, ausgebreitet hat (ergänzt und präzisiert in Entgegnung auf die Kritik Emil Friedbergs, ➝

|28|

Spätmittelalters ist davon betroffen. So hat Otto von Zallinger, einer der besten Kenner des Eherechts dieser Zeit darauf hingewiesen, daß das quellenmäßige Bild der Eheeingehungsformen alle möglichen Varianten zeigt, so daß „nicht zwei derselben in den tatsächlichen Elementen völlig miteinander übereinstimmen.”

Auch die Art der Rechtsbildung der Vergangenheit erschwert unser Verständnis erheblich. Alles Recht — und für das Familienrecht gilt das im besonderen Maße — entwickelte sich in der unmittelbaren Anwendung im Rechtsleben, wesentlich als Gewohnheitsrecht. Damit hängt zusammen, daß die Aussagen der Quellen über Rechtsvorgänge jeder festen und einheitlichen Terminologie entbehren. Gänzlich fehlt die dem modernen Juristen geläufige rational-begriffliche Ausprägung der Rechtsfiguren und Rechtssätze. Sie können ebenso wie die dahinter stehenden Rechtsüberzeugungen nur durch kritische und nachdenkende Konstruktion erschlossen werden. Nicht in allen Fällen gestatten die Quellen bündige Deutungen. Man hat sich zu hüten, aus den alten Ausdrücken allzu viel herauslesen


➝ „Verlobung und Trauung”, Leipzig 1876, durch die Schrift „Trauung und Verlobung”, Weimar 1876). Sie sind auch heute, vor allem in ihren systematischen Positionen, von hohem Wert. Aber Sohms Werk bildet heute nicht mehr die ausschließliche Grundlage unseres rechtsgeschichtlichen Verständnisses des deutschen Eheschließungsrechts. Durch neuere Forschungen haben wir, namentlich für die mittelalterliche Periode, ein wesentlich verändertes Bild der Entwicklung und der Bedeutung der rechtlichen Teilakte der Eheeingehung gewonnen. Wir verdanken diese Erkenntnisse in erster Linie den Untersuchungen von Otto von Zallinger, Die Eheschließung im Nibelungenlied und in der Gudrun, Wiener Sitzungsberichte 199, 1, 1923; Karl August Eckhardt, Beilager und Muntübergang zur Rechtsbücherzeit, Zeitschr. der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germ. Abt. 47, 1927, S. 174-197; Herbert Meyer, Friedelehe und Mutterrecht, ebenda S. 198-286; derselbe, Die Eheschließung im „Ruodlieb” und das Eheschwert, ebenda 52, 1932, S. 276-293; derselbe, Ehe und Eheauffassung bei den Germanen, Festschrift für Ernst Heymann I, Weimar 1940 S. 1-51; Rudolf Köstler, Ringewechsel und Trauung, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 53, Kan. Abt. 22, 1933, S. 1-35; derselbe, Raub-, Kauf- und Friedelehe bei den Germanen, ebenda Germ. Abt. 63, 1943, S. 92-136. Zur allgemeinen Orientierung verweise ich noch auf Rudolf Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 5. Aufl., Leipzig 1930 S. 624-649; Hans Planitz, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl., Berlin-Göttingen-Heidelberg 1949 S. 184-189 (besonders klar und instruktiv) und Heinrich Mitteis, Deutsches Privatrecht, München-Berlin 1950 S 46-51.

|29|

zu wollen oder sie einem von modernen Vorstellungen beherrschten Begriffsschema einzupressen. Auch ist leicht ersichtlich, daß die rechtlichen Eingehungsformeln der Ehe in der Vergangenheit nach Zusammenhang und Bedeutung nicht so streng bestimmt waren wie heute. In ihrer Mitteilung lebt nicht gedankliche Konstruktion, sondern Anschauung. Sichtbare Handlungen und sinnfällige Vorgänge sind das Entscheidende. So gewinnen im älteren Recht unsichtbare Willensentschlüsse Rechtserheblichkeit nur dann, wenn sie sich in einem tatsächlichen Vorgang niedergeschlagen haben, der der Umwelt klar erkennbar ist.

Eine Quelle von Fehldeutungen bildet — um nur noch auf einen Gesichtspunkt zu verweisen — die unkritische, häufig unzulässige Verwendung von Begriffen, die einen von unserer modernen Rechtsanschauung geprägten Bedeutungsinhalt aufweisen, für Erscheinungen der Vergangenheit. Man braucht nur darauf aufmerksam zu machen, daß die uns geläufigen Wörter „Verlobung” und „Trauung” als Rechtsausdrücke verhältnismäßig jungen Datums sind. Sogar das Wort „Ehe” ist als Bezeichnung für die eheliche Lebensgemeinschaft erst um das Jahr 1000 nachweisbar; die älteren Bezeichnungen für diesen Begriff (ahd. hîwun = Eheleute, hîwunga = Hausgemeinschaft, hîrat = Heimgründung) stehen ausschließlich in engem Bezug zur Hausgemeinschaft. Das Wort „Trauung”, das „Übergabe auf Treue” bedeutet, kommt erst im 13. Jahrhundert auf, als Rechtsausdruck nicht vor dem berühmten mittelalterlichen Rechtsbuch, dem Sachsenspiegel. Ungefähr um die gleiche Zeit nimmt in Beziehung auf die Eheeingehung auch das Wort „verloben = versprechen, bindend geloben” zum ersten Male die dem Gebrauch unserer Zeit angenäherte spezifische Rechtsbedeutung an. Deshalb empfiehlt es sich, um Mißverständnisse auszuschalten, diese Ausdrücke für das germanische und ältere deutsche recht — ungeachtet des Gebrauchs des Wortes „desponsatio” in den fränkischen Volksrechten — nach Möglichkeit zu vermeiden, was m.E. bisher im Schrifttum im Anschluß an Sohm, Friedberg und A. nicht genügend geschehen ist.

Angesichts dieser und ähnlicher methodischen Schwierigkeiten ist es verständlich, daß eine Gesamtbetrachtung der Geschichte der Eheeingehung im Wandel der Zeiten mit Vereinfachungen und Verkürzungen arbeiten und sich mit einer gewissen Vergröberung bei der Aufzeigung der grundsätzlichen Entwicklungszüge abfinden muß. Das gilt auch für die nachfolgenden Ausführungen.

|30|

I.

Der angedeuteten Schwierigkeiten werden wir uns besonders bewußt in dem Zeitraum — es handelt sich um das 11. und 12. Jahrhundert —, in dem sich die Kirche der Regelung des Eherechts bemächtigte. Es geschah dies in einem Stadium, in dem sich das bisher die Eheeingehung ausschließlich beherrschende weltliche Recht aus sich heraus in einem tiefgreifenden Übergang zu neuen Gestaltungen befand. Die alte Form der Eheeingehung war mit dem Verblassen, ja teilweisen Ausschluß der Munt als der familienrechtlichen Schutzgewalt des Mannes auch über die Frau in der Umbildung begriffen. Wir bezeichnen die alte Form der Ehe als „Muntehe” oder, weil ihre Eingehung auf einem Vertrag der beteiligten Sippen beruhte, also ein Sippengeschäft darstellte, als „Sippenvertragsehe”. Auch der freilich weniger gebräuchliche Ausdruck „Geschlechterehe” wird für diese Erscheinung verwendet.

Die Eingehung der alten Sippenvertragsehe haben wir zunächst in ihren rechtlichen Ausdrucksformen zu deuten. Dabei ergibt sich, daß es sich um eine rein weltlich-geschäftliche Angelegenheit handelte, die in keinerlei Weise in den rechtlichen Ordnungsbereich der Kirche einbezogen war. Bedeutsam ist weiterhin zweierlei. Einmal stellte die alte, germanisch-deutsche Eheeingehung sich als ein zusammengesetzter Rechtsvorgang dar, als ein gestrecktes Rechtsgeschäft, aus verschiedenen sichtbaren Formhandlungen bestehend, die für das Ganze der Begründung einer rechtmäßigen Ehe unerläßlich waren und von denen jede in sich wiederum einen spezifischen Rechtsgehalt enthielt. Zum anderen waren dem Gesamtvorgang zwei rechtliche Strukturelemente immanent, die seine Rechtsnatur entscheidend bestimmten. Wir können das eine als das herrschaftliche Element, das andere als das genossenschaftliche kennzeichnen. Mit dieser Gegenüberstellung halten wir uns in einer für das germanisch-deutsche Recht durchaus charakteristischen Antinomie der rechtlichen Strukturformen, die auch sonst im Rechtsleben, z.B. im Verhältnis von Hausgemeinschaft und Sippe, Grundherrschaft und Dorfgenossenschaft, Stadtherrschaft und Stadtgemeinde, immer wieder zum Ausdruck kam.

 

1.

Die herrschaftliche Ausprägung der Eheeingehung trat in zwei Akten in Erscheinung. Bei beiden

|31|

handelte es sich um den Erwerb der „munt”. Sie war der Zentralbegriff personenrechtlicher Herrschaft im deutschen Recht, der sich auf den verschiedensten Gebieten in verschiedenen Erscheinungsformen verwirklichte. Bei der Eheeingehung bestand der Munterwerb wie im Familienrecht überhaupt in der Erlangung der familienrechtlichen Schutzgewalt, und zwar in der Ausformung als sg. Geschlechtsvormundschaft des Mannes über die Braut, die in ihrer Eigenschaft als Frau immer muntbedürftig war.

Den ersten Akt — Muntvertrag — bildete ein Vertrag zwischen den beteiligten Sippen, i.e.S. zwischen dem Ehewerber und dem Muntwalt (Vormund) der Braut, i.d.R. dem Vater. Er trug stark materielle Züge. Im Hause des Muntwalts der Braut wurden zwischen ihm und dem Freier die Bedingungen abgehandelt. Gaben und Gegengaben waren die Bestandteile dieses Vertrags, wie noch heute unter bäuerlichen Verhältnissen. Manche Stammesrechte nennen diese Verhandlung schlicht und eindeutig: emptio puellae (Brautkauf), wobei man sich freilich zu vergegenwärtigen hat, daß das alte deutsche Recht unter „Kauf” jedes auf Leistung und Gegenleistung beruhendes Rechtsgeschäft verstand. Gegenstand der Verhandlungen war aber im Grunde nicht die Braut, sondern die Gewalt über sie, das mundium. Partei war die Braut aber auf keinen Fall, sondern lediglich persönliches Bezugsobjekt des abzuhandelnden Muntwechsels. Als Entgelt für die überlassene Munt entrichtete der Freier den Muntschatz, einen meist nicht unerheblichen Betrag in Vieh, Äckern usw., später in Geld. Dafür verpflichtete sich der Muntwalt des Mädchens dieses mit angemessenen Gegengaben in die Munt des Freiers aufzulassen, zu übergeben. Das Ganze bildete mit der Zeit in seinem Kern ein Verpflichtungsgeschäft, das wenigstens eine Teilleistung enthalten mußte, weil nur durch eine sinnfällige Gabe (Draufgabe, arrha) der Vertrag gefestigt wurde und aus ihm auf Erfüllung geklagt werden konnte.

Sohm und die ältere Forschung nennen diesen Vertrag „Verlobung” (ahd. mahal = Absprache, frankolat. desponsatio). Aber mit dem uns geläufigen Begriff der Verlobung = gegenseitiges Eheversprechen unter Ehewerbern hatte er im Grunde nichts zu tun. Äußerstenfalls läßt sich der Ausdruck „Muntverlobung” rechtfertigen. Die Bedeutung des ganzen Aktes lag in der „Umsippung”, im Übergang der Munt von dem ehemaligen Gewalthaber auf einen neuen, also in einem personenrechtlichen Herrschaftswechsel.

|32|

Die Erfüllung dieses Verpflichtungsgeschäftes — die Muntübertragung — spielte sich, meist zeitlich getrennt, ebenso wie die Muntverhandlung im Hause des Muntwalts der Braut ab. Ihr derbfroher Ausdruck war ein Trinkgelage der Blutsfreunde, in dessen Verlauf die Braut auf den Schoß des Freiers besetzt wurde, zum Zeichen, daß sie in dessen Munt überging. Dies war die sinnfällige rechtsbedeutsame Handlung für die Übergabe (Auflassung) der Braut durch ihren Muntwalt, die „traditio puellae” der volksrechtlichen Quellen (ags. gifta).

Sohm und die ältere Forschung nennen den Vorgang „Trauung”, ein Ausdruck, der — wie schon erwähnt — vor dem 13. Jahrhundert nicht vorkommt und dann sehr bald im Sinne wechselseitiger Beziehungen von Bräutigam und Braut zu verstehen ist. Will man den Terminus „Trauung” für den Akt der „traditio puellae” beibehalten, so scheint mir um der Klarheit der Unterscheidung willen die Bezeichnung „Munttrauung” geboten. Bei der Form dieser „Munttrauung” handelte es sich aber um traditio schlechthin, d.h. um eine vom bisherigen Muntwalt vorgenommene körperliche Uebergabe des Mädchens und dadurch symbolisiert um Übertragung der Gewalt über sie an den Mann, auf deren materielle Gegenleistung und ihre Ausformung ich hier nicht näher eingehen kann. Sie war eine für die echte Muntehe durchaus notwendige Form und beschloß und vollendete den Teil des Sippen- oder Familiengeschäfts, dessen Gegenstand die Munt bildete.

Das Ganze dieser beiden Akte ist rechtlich gesehen Gabe gegen Gegengabe und ihr Gegenstand Herrschaft, „in der sich alle urtümlichen Rechtsverhältnisse ausprägen.” Dieser Herrschaftsübergang bildete in der damaligen Zeit ein Essentiale der Normalform der Eheeingehung. Aber diese beiden Akte — und das ist zu beachten — bewirkten allein noch nicht die Entstehung der ehelichen Haus- und Lebensgemeinschaft. Ihre Begründung bedurfte auch in alter Zeit noch anderer Ausdrucksformen und Handlungen, für die auch nach germanisch-deutscher Auffassung eine aktive Beteiligung der Braut notwendig war. Damit kommen wir auf die Formhandlungen zu sprechen, die die genossenschaftliche Seite der Eheeingehung betreffen.

 

2.

Der Ausgangspunkt für die Gestaltung der Ehe als einer auf der genossenschaftlichen Zuordnung beider

|33|

Partner beruhenden Lebensgemeinschaft bildet das Wort des Tacitus (Germania cap. 18) von der Frau als der „laborum periculorumque socia” des Mannes. Wir wollen uns von jeder falschen Idealisierung freihalten. Aber wir haben auf dem Wege des Rückschlusses aus jüngeren Quellen Grund zu der Annahme, daß neben das Muntgeschäft Rechtshandlungen zu setzen sind, die schon in älterer Zeit in einem viel engeren Bezug zu den uns vertrauten Eheeingehungsformen stehen als die bisher erwähnten, die den Erwerb der einseitigen Herrschaft des Mannes über die Frau zum Inhalt hatten. Und in der Tat sind uns solche Formhandlungen überliefert, die Ausdruck einer inneren genossenschaftlichen Verbindung der Partner bildeten. Diese Rechtshandlungen waren die Heimführung und das Beilager, die sich an die Muntübertragung anschlossen.

Die Heimführung (ahd. heimleiti) bildete das festliche Geleit der Braut durch die Hochzeitsgesellschaft in das für die Eheleute bestimmte Haus. Sie vollzog sich unter verschiedenartigen, lärmenden und drastischen Gebräuchen. So spielte, wie auch heute noch manchmal in dörflichen Verhältnissen, die Entführung der Braut durch die Dorfjugend und die anschließende Verfolgung durch den Bräutigam eine große Rolle (sg. Brautlauf). Nachdem schließlich die Braut vom Bräutigam über die Schwelle des Hauses getragen worden war, schloß sich ein neues Gelage (sg. Friedensmahl der Sippen) an. Das wesentliche ist nun: Die junge Frau hatte bei diesem Mahl im eigenen Hause die Gäste zu bewirten. Sie erscheint damit zum ersten Male als „frouwa”, Herrin des Hauses, als die Walterin im Hause und am Herde. In dem Vorgang wird die Begründung der Hausgemeinschaft symbolisiert. An dem rechtlichen Gehalt des Vorgangs ist nicht zu zweifeln. Auch die Heimbegründung war unabdingbarer Bestandteil des gesamten Eheeingehungsgeschäftes.

Das gleiche gilt auch für das Beilager oder das symbolische Beschreiten des Ehebetts in Gegenwart von Zeugen (auch „Bettsetzung” genannt). In dieser Handlung lag die offenkundige Begründung der Leibes- und Lebensgemeinschaft. Damit erst wurde die Braut, wie etwa der Sachsenspiegel hervorhebt, zur „Genossin” des Mannes, der Treubund fürs Leben verwirklicht. Im Rechtssinne äußerte sich diese genossenschaftliche Stellung der Frau in ihrer an das Beilager geknüpften Teilhabe an dem Stande des Mannes und in dem Eintritt der güterrechtlichen Wirkungen der Ehe.

|34|

Es ist charakteristisch, daß beide Vorgänge sich öffentlich vollzogen. Die Offenkundigkeit, Kundbarmachung des Tatbestandes, stand im Vordergrund. Nur offenkundiges Geschehen konnte Rechtserheblichkeit bewirken. In diesen beiden Eingehungsformen, die kein Moment einer einseitigen Unterwerfung der Frau unter die Gewalt des Mannes in sich trugen, wurde die eigentliche Knüpfung des Ehebandes verwirklicht.

Die Bedeutung beider Formhandlungen erhellt aus der Gegenüberstellung zur formlosen Geschlechtsverbindung. Sie waren dazu bestimmt, die „Ehe” von der Unehe oder Kebsverbindung abzusetzen, die formlos und unöffentlich eingegangen wurde. Die Kebse wurde niemals Herrin des Hauses und Genossin des Mannes.

Die Förmlichkeiten der Heimführung und des Beilagers waren die Kennzeichen des eigentlichen Eheabschlusses. Sie bildeten die „Eheschließung”, nicht das Muntgeschäft, das reine Herrschaftsbeziehungen betrifft. Der Charakter dieser beiden Teile der Eheeingehung wird deutlich, wenn wir die Stellung der Braut betrachten. Bei der Begründung der Herrschaftsverhältnisses ist sie als Partei des Vertrags unbeteiligt. Sie war zwar nicht Sache schlechthin, aber der Gegenstand des Geschäftes, die Herrschaft, stand im Bezug auf sie als persönliches Objekt. Es ging um ihre persönliche Unterordnung unter den Mann. — Bei den Förmlichkeiten der Begründung der Lebensgemeinschaft war sie dem Manne genossenschaftlich zugeordnet. Hier war sie volle Rechtsperson und Partei. Wir können es auch anders ausdrücken: In den genossenschaftlichen, kundbaren und öffentlichen Tatbeständen kam das „Ja” zur Ehe zur Geltung, verkörperte sich die Willenseinigung der Brautleute — modern ausgedrückt: durch schlüssige Handlungen. Diese Willenseinigung bezeichnete die spätere Zeit als „Konsens”. Daher liegt der Ausgangspunkt der weltlichen Konsensehe schon in diesen genossenschaftlich geformten ehestiftenden Handlungen der Heimführung und des Beilagers.

 

3.

Nun mag es schon frühzeitig vorgekommen sein, daß die Willenseinigung der Brautleute aus den sichtbaren symbolhaften Handlungen in Verbalerklärungen, die schon im Rahmen des Muntgeschäftes abgegeben wurden, verlegt wurde. Daß die Brautleute im Kreise der Verwandten sich ihr Ja-Wort gegeben haben, wird uns namentlich durch die

|35|

mittelalterlichen Epen bezeugt. Wir sind berechtigt, ihre Aussagen für Rückschlüsse auf alte Rechtszustände zu verwenden, da ihren Schilderungen oft sehr altertümliche Züge beigemischt sind. „Das Gespräch im Ring”, wie dieser Vorgang genannt wird, zeigte schon eine wenigstens äußerliche Rücksichtnahme auf den Willen der Braut, freilich nur in soweit, als eben aus der bindenden Förmlichkeit der Erklärung des Jaworts auf ihn geschlossen werden konnte. Den inneren, wirklichen Willen brauchte die Erklärung, die allein maßgebend war, nicht wiederzugeben. Tatsächlich mochte die Braut häufig den Willen des Vaters, des Muntwalts, der ihr das Jawort aufgezwungen hatte, erklärt haben. Und auch der Mann spielte oft keine andere Rolle. In den älteren Zeiten herrschte als Regelform der Heiratszwang der Verwandten, wie wir aus der nachdrücklichen Bekämpfung dieses Herkommens durch die Kirche seit dem 9. Jahrhundert erschließen können. Die Gattenwahl war normalerweise nicht frei. Die Kinder hatten sich dem Willen der Verwandten zu fügen — eine Erscheinung, die uns nicht allzu fremd anmutet, wenn wir an die „gelenkten” Eheschließungen in bäuerlichen oder kommerziellen Kreisen denken. Weigerungen gab es wohl selten. Fanden sie statt als exzeptionelle Fälle, so hatten sie den Rückgang des Muntgeschäfts zur Folge, konnten unter Umständen Fehde zwischen den Geschlechtern auslösen und die vom Hausherrn gehandhabte Zuchtgewalt gegenüber den muntunterworfenen Kindern in Bewegung setzen. Aber die Ehe kam nicht zustande. Das zeigt, daß die förmliche Begründung der Haus- und Lebensgemeinschaft schon in älterer Zeit im letzten von der freien Willensentschließung der Brautpartner abhängig war, soweit eben ihre Entschlossenheit reichte und sich Anerkennung erzwang. Mit anderen Worten: Die erwähnten, die genossenschaftliche Zuordnung der Brautleute zum Ausdruck bringenden Akte, waren von alters her ebenso notwendige Erfordernisse der Eheeingehung wie die muntbezogenen Absprachen und Handlungen, die die ältere Forschung als alleinige ehebegründende Akte angesehen hat.

Daß in diesem genossenschaftlichen Moment nach der Anschauung auch der älteren Zeit die eigentliche Ehestiftung lag, zeigt sich auch darin, daß schon das ältere Recht — seit dem 9. Jahrhundert in voller Deutlichkeit nachweisbar — eine Art der Eheeingehung entwickelt hat, in der die Herrschaftsseite überhaupt nicht zum Zuge kam. Es ist die sog. muntfreie oder Friedelehe, um deren Erhellung sich namentlich Herbert Meyer verdient gemacht hat.

|36|

4.

Wie die Bezeichnung muntfreie Ehe (ahd. friedelehe; friedel = Geliebte) besagt, handelte es sich hier um eine Ehe, in welche die Frau nicht der Munt des Ehemannes unterworfen wurde, sondern in der Munt der Sippe blieb, der sie ursprünglich, meist nach Geburt, angehörte. Diese Friedelehe war vor allem in Adelskreisen verbreitet, z.B. wenn der Braut die Ebenbürtigkeit fehlte (Ehen zur linken Hand) oder wenn die adlige Braut als Erbtochter nicht in Sippe und Haus des Ehewerbers eintreten sollte. Auch das Unvermögen des mittellosen Mannes, einen eigenen Hausstand aufzurichten, konnte, meist in Verbindung mit der Einheirat in das Gut des Schwiegervaters, zu einer muntfreien Ehe führen. Es liegt auf der Hand, daß bei Eingehung einer solchen Ehe das Muntgeschäft fehlte und die eheliche Bindung sich auf die Formhandlungen gründete, die wir als Bestandteile der genossenschaftlichen Seite der Eheeingehung kennengelernt haben. Schon sehr früh bildete bei der Friedelehe das im Ringe der Blutsfreunde vorgenommene Konsensgespräch der Brautleute, also das Moment der Übereinstimmung der Willenserklärungen von Mann und Frau, den Mittelpunkt des Ehegeschäftes. Daran mögen sich dann in einer vielleicht etwas abgewandelten Form der Heimführung die Bekundung der frouwa-Stellung im Haus und das Beilager angeschlossen haben. Jedenfalls brachte die muntfreie Ehe in ihrer Isolierung auf die genossenschaftliche Seite der Eheeingehung den freilich auch bei ihr formgebundenen Konsensakt zur selbständigen Geltung. Damit hat sie — wohl immer Ausnahmeerscheinung — auch auf die herkömmliche Form der Eheeingehung, die sich aus Munt- und Gemeinschaftsbegründung zusammensetzte, eingewirkt. Der Anteil der Friedelehe an der Entwicklung des weltlichen Eheschließungsrechtes bestand in der nachdrücklichen Herausstellung des Gedankens des ehestiftenden „Konsenses”. Er wurde besonders im Hochmittelalter wirksam. Zu seiner Entfaltung trug der Umstand bei, daß sich damals auch im Rahmen der herrschenden Form der Eheeingehung die rechtliche Bedeutung der erklärten Willensübereinstimmung der Brautleute zunehmend verstärkt hatte.

 

II.

In der Zeit, da die Kirche sich anschickte, sich des Eherechts systematisch zu bemächtigen, sehen wir im weltlichen Recht die geschilderten verschiedenen Handlungen, Förmlichkeiten

|37|

und Vorgänge ineinander verflochten und miteinander verkettet. Formen der Muntehe und der Friedelehe, die in ihrer alten Gestalt mit dem Zurücktreten des Muntgedankens im herkömmlichen Ehegeschäft allmählich verschwand, wurden verschmolzen. Auch der sachliche Inhalt der Eheeingehung war in einer Wandlung begriffen. Vor allem wurde die ursprünglich maßgebende Rolle des Muntwalts geschwächt. Der Wille der Brautleute gewann an Bedeutung. Der gesamte Eingehungsvorgang wurde gewissermaßen auf eine höhere Stufe gehoben, seiner ursprünglich sehr nüchternen und materiellen Züge entkleidet, dem persönlichen und sittlichen Charakter der Ehebegründung immer mehr Rechnung getragen. Die Kirche war an dieser Ethisierung nicht unbeteiligt. Sie bekämpfte mit ihren Verboten vor allem den Heiratszwang, obwohl sie wiederum, wie von alters her, die Freienden zu dem den Eltern schuldigen Respekt ermahnte und deshalb auf deren Zustimmung bei muntbedürftigen Personen drängte. Dem Verbot des Heiratszwanges entsprach die steigende Berücksichtigung des Willens der Braut. Die einseitige Treuverpflichtung der Frau in der ehelichen Gemeinschaft wurde verworfen. Mit all diesen Anweisungen brachte die Kirche ihre von den frühchristlichen Anfängen an vertretene Auffassung zur erneuten Geltung, daß die Ehe sich auf der gleichen und gegenseitigen Treupflicht der Geschlechter aufbaue. Im Gefolge der zunehmenden Verchristlichung der Rechtsbräuche bei bedeutsamen Lebensvorgängen beeinflußte die Anschauung der Kirche auch die weltlich-geschäftlichen Formen der Eheeingehung. Seit dem Hochmittelalter sehen wir immer mehr den Gedanken wechselseitiger Willensübereinstimmung und Treuverpflichtung in den Vordergrund treten. Seine formale Ausdrucksform wurde das Konsensgespräch, das ja vielfach schon einen Bestandteil der alten Formhandlungen gebildet hatte. Erst in diesem Stadium kam es zur „Verlobung” und „Trauung” der Ehewerber in einem dem modernen Verständnis der Begriffe angenäherten Sinne. Damals gewannen auch in den Quellen diese Ausdrücke ihren spezifischen Sinngehalt. Beide Handlungen blieben entsprechend der Doppelung des alten Muntgeschäftes notwendige Voraussetzungen einer rechtmäßigen Ehe. Nur beide zusammen erfüllten den rechtlichen Tatbestand der Eheeingehung.

 

1.

Die Verlobung wurde zu einem zwischen Bräutigam und Braut geschlossen Vertrag. Sie wurde zur desponsatio

|38|

= mahal, Vermählung in dem Sinne, daß nun der Konsens, die Willensübereinstimmung der Brautleute, zum „Kern des Ehevertrags” wurde. Auch die Formen des Vertrags wandelten sich. Bestandteil des alten Muntgeschäftes und der Friedelehe verbanden sich in eigentümlicher Mischung, die vor allem auch die materiellen Leistungen (so wird z.b. der Muntschatz zum eigentlichen Wittum = Witwenversorgung) betrafen. Doch können wir in unserem Zusammenhang auf diese Veränderungen nicht näher eingehen. Bedeutsam wurde, daß sich mit der wachsenden Anerkennung der Braut als Vertragspartei die ursprünglich entscheidende Rolle des Muntwalts auf eine bloße Zustimmung verengte. Inhalt der Verlobung wurde die Begründung des gegenseitigen Treuverhältnisses durch unmittelbare Abgabe der Eheschließungserklärungen, die im Kreise der Blutsfreunde durch das „Konsensgespräch” erfolgte, und die Konstituierung der Rechtspflicht zur Vornahme der Trauung. Als Symbol der Verlobung erscheint nun der Wechsel der Ringe anstelle der früheren einseitigen Gabe des Ringes an die Braut durch den Bräutigam.

 

2.

Unbedingtes Erfordernis der Eheeingehung war jedoch noch eine zweite Handlung als Vollzugsgeschäft, die an die ursprüngliche „traditio puellae” anknüpfte. Sie wurde nun zur Trauung im eigentlichen Sinne, d.h. zum Zusammengeben auf Treue. Während die alte traditio die mehr sachenrechtlich anmutenden Züge einer „Auflassung”, Übergabe einer Person an eine fremde Gewalt zur Begründung der Herrschaft des Empfängers, trug, in einem „dare, tradere, donare” bestand, wurde die neue Form über die Zwischenstufe einer vom Muntwalt vorgenommenen „Antrauung” der Braut — „commendare” — schließlich zum „Trauen” beider Ehewerber — zum „coniungere” und „copulare” = „zusammengeben” oder „zusammensprechen”. Der Akt löst sich damit aus dem ursprünglichen Zusammenhang mit der Begründung der Herrschaftsgewalt des Mannes. Von einer Übertragung der Munt war in der Formhandlung keine Rede mehr. Die Vormundschaft des Mannes wurde zu einem konsekutiven Moment. Sie folgte, wie der Sachsenspiegel es ausdrückt, unmittelbar aus der Trauung. Deshalb wurde es auch gleichgültig, wer das Zusammengeben vornahm. Es war nicht mehr notwendig Sache des Muntwalts, der nicht mehr Partei des Geschäftes war. Der Braut oder den Brautleuten stand es frei, die Trauperson zu

|39|

wählen. Sie wurde zum Trauungsmittler oder Treuhänder und handelte rechtlich nicht mehr als Muntträger, Vertreter der Braut.

Was die Form der Trauung anlangt, so ergab sich von selbst die Erfahrung des beiderseitigen Ehewillens, also regelmäßig eine Art Wiederholung des Konsensgespräches und auch des Ringewechsels aus der Verlobung. Hierauf erfolgte das Zusammensprechen „zu Hauf”, „zu Lieb und Leid”, „zur Eh’”, zu gegenseitiger Lebensgemeinschaft.

 

3.

Mit den Veränderungen hängt nun auch noch eine wichtige Vertiefung des Bedeutungsgehalts der Trauung zusammen. Sie wurde zum Ausdruck der Öffentlichkeit der Eheschließung schlechthin. War bei Muntverlobung und -trauung den dem deutschen Recht eigentümlichen Forderungen nach Publizität durch die Teilnahme der beiderseitigen Sippen oder der Dorfgemeinde Genüge getan, so wurde nunmehr mit dem Zurücktreten der alten Träger der Öffentlichkeit, namentlich in den Städten, eine andere Form größtmöglichster Gemeinkundigkeit zum Erfordernis der Eheeingehung. Während der Ort der Verlobung weiterhin meist das Haus der Braut blieb, verlegte man jetzt, nachdem die kirchliche Einsegnung sich als Sitte durchgesetzt hatte, die Trauung vor die Kirchentüre (ante valvas ecclesiae), so daß im unmittelbaren Anschluß daran die Neuvermählten in der Kirche Brautsegen und heilige Kommunion empfangen konnten. Die Kirche hat diesen Brauch nicht nur geduldet, sondern gefördert, auch lange Zeit sich nicht daran gestoßen, daß das Zusammengeben durch einen Laien erfolgte. Erst im 13. Jahrhundert hat sie die Laientrauung verboten und an ihrer Stelle die Trauung durch den Geistlichen verlangt. Das aber erfolgte in einer Zeit, in der die Kirche das gesamte Eherecht ihrer ausschließlichen Regelung unterworfen hatte.

 

4.

An der Schwelle der Verkirchlichung des Eheschließungsrechts im 12./13. Jahrhundert können wir auf Grund der geschilderten Wandlungen insofern von einer weltlichen Konsensehe sprechen, als die Willensübereinstimmung der Brautleute das wesentliche Moment geworden ist, während die Rolle des Muntwalts der Braut zu sekundärer, die Gültigkeit

|40|

der Ehe nicht bedingender Bedeutung herabsank. Damit war aber auch dem alten Muntübertragungsgeschäft der Boden entzogen, auch wenn überkommene Formen desselben, z.B. die Schoßsetzung — ihrer ursprünglichen Bedeutung entleert —, noch nachwirkten. Auf der genossenschaftlichen Begründung der ehelichen Lebensgemeinschaft durch die Verbalerklärungen der Freienden lag nunmehr das entscheidende Gewicht, so daß auch Heimführung und Beilager nicht mehr in vollem Umfange ihren rechtserheblichen Charakter behaupteten. Immerhin sind dem letzteren noch längere Zeit gewohnheitsrechtliche gewisse Rechtswirkungen beigelegt worden, auch wenn es nun nicht selten der Trauung vorausging. In der Tat wurde jetzt der Vorgang der Eheeingehung zur „Eheschließung” im eigentlichen Wortsinn. Jedoch ist soviel sicher, daß von einer reinen Konsensehe, wie sie damals von der kanonistischen Doktrin entwickelt wurde, im deutschen Eheschließungsrecht noch keine Rede sein kann. Denn das würde bedeuten, daß schon die Verlobung als gegenseitiges Eheversprechen ohne Hinzutritt der Trauung die Ehe begründete. Daß dem nicht so war, haben wir gesehen: Die Trauung war ebenso notwendiger Akt der Eheeingehung um der öffentlichen Festigung und Beständigmachung der Ehe vor der Allgemeinheit willen, sie war auch notwendig zur Erlangung der ehemännlichen Gewalt über die Frau. Verlobung und Trauung waren weiterhin unerläßliche Bestandteile der weltlichen Konsensehe, sollte es sich um eine rechtsgültige und rechtsbeständige Eheschließung handeln.

 

III.

Bis zum 12. Jahrhundert war damit die Eheeingehung ein rein weltliches Rechtsgeschäft. Bis dahin hatte die Kirche sich mit einer bloßen Einsegnung der bereits geschlossenen Ehe begnügt, die schon an sich als Sitte den Volksanschauungen entsprach. Auf die Form der Eheeingehung nahm die Kirche keinen unmittelbaren Einfluß. In der Periode der Herrschaft des Germanismus im Kirchenrecht förderte sie geradezu die Einhaltung der überlieferten germanischen Gepflogenheiten und Förmlichkeiten, von denen die Rechtswirksamkeit der Ehe abhing. Da Christus sich in seinen Aussagen nur über das Wesen der Ehe selbst ausgesprochen, über die Form der Eheeingehung aber nichts verfügt hatte, beschäftigte sich auch die Kirche vorwiegend mit den Ehehindernissen und mit der Unauflöslichkeit der Ehe, ohne sich Art und Weise der Ehebegründung

|41|

angelegen sein zu lassen. Obwohl bereits in der frühchristlichen Kirche der römischrechtlichen Satz „consensus facit nuptias” aufgenommen worden war, lehnte die Kirche für Deutschland damals die reine Konsensehe ab. Gerade durch diese Haltung hatte sie den Weg für die eigenständige Ausbildung der geschilderten weltlichen Konsensehe freigemacht.

 

1.

In dem Augenblick nun, in dem diese Form der Konsensehe sich im deutschen Recht durchgesetzt hatte (etwa 12. Jahrhundert), erfolgte erstmalig eine Einflußnahme der Kirche auch auf das Eheschließungsrecht. Nunmehr schritt sie zum Aufbau einer eigenen Eherechtsordnung. Man wird die Gründe dafür nicht im Zustand des weltlichen Rechts, sondern im innerkirchlichen Bereich suchen müssen.

Die Entwicklung steht zweifellos in engem Zusammenhang mit der allgemeinen Wendung der Kirche gegen den Germanismus und die von ihm gestützte Herrschaft weltlicher Gewalten in den Ordnungen der Kirche. Die von Cluny und Gorze ausstrahlende Reform der Kirche löste die Bewegung aus und schuf die geistigen und politischen Voraussetzungen für die gewaltige Entfaltung der in der Autorität des Papsttums verkörperten Machtstellung der Kirche. Sie war begleitet von einer kraftvollen Verselbständigung der kirchlichen Rechtsordnung. Im Dekretum Gratiani (um 1140) und in den amtlichen Dekretalensammlungen der Päpste fand das großartige Rechtssystem seinen Niederschlag. Zunächst hatte freilich auf dem Gebiete des Eherechts Frankreich theologisch und juristisch die Führung. Von entscheidender Bedeutung für die Durchsetzung des Anspruches der Kiche auf ihre ausschließliche Rechtszuständigkeit in Ehesachen wurde die von der Pariser Theologenschule ausgehende Lehre von der Sakramentsnatur der Ehe. Sie ist freilich im Streite ausgebildet worden. In Frankreich war die durch Wilhelm von Paris begründete Anschauung von der Spendung des Ehesakraments durch den Priester auch praktisch in der kirchlich-rituell ausgestalteten Trauung als dem ehebegründenden Akt zur Geltung gelangt. Jedoch wurde die Auffassung von St. Viktor und Petrus Lombardus, der sich dann später die theologische Autorität eines Thomas von Aquino angeschlossen hatte, daß die Brautleute sich selbst das Sakrament spenden, überwunden und verdrängt, ohne daß alle Widersprüche in der Praxis

|42|

ausgeschaltet wurden. Auf ihrer Lehre fußte auch die gemeinrechtliche Anerkennung der Sakramentsnatur der Ehe, die namentlich die Päpste Innocenz III. und Alexander III. formulierten.

Mit der Festlegung der Sakramentalität der Ehe ging der Ausbau des kanonischen Eherechtes Hand in Hand. Er war getragen von der rechtssetzenden Gewalt der Päpste, die zwar schon vorher, etwa im 9. Jahrhundert, in Ehesachen auf Anforderung judiziert hatten, jedoch noch durchaus unter Anerkennung der nationalen Rechtsgebräuche. Nunmehr verdrängten die kirchlichen „canones” die weltlichen „leges”. In der Praxis gelang es der Kirche, sämtliche Eheangelegenheiten endgültig der kirchlichen Gerichtsbarkeit in ausschließlicher Zuständigkeit zu unterstellen.

 

2.

Im Eheschließungsrecht trat freilich in Deutschland ander als in Frankreich zunächst kein grundsätzlicher Wandel ein. Die kanonische Rechtssetzung verzichtete auch weiterhin darauf, für die Form der Eheeingehung positiv normierte Regeln aufzustellen, vor allem wohl deshalb, weil — wie erwähnt — biblische Aussagen als Grundlage einer Regelung fehlten. Allerdings mußte die Kirche sich, nachdem sie die ausschließliche Gerichtsbarkeit in Ehesachen durchgesetzt hatte, über die Grundsätze klar werden, wann eine gültige Ehe vorlag und wann nicht, konnte also den Eheschließungsakt nicht unberücksichtigt lassen. Trotz dieser Notwendigkeit gelangte das kirchliche Recht zu keiner befriedigenden Lösung.

Das neue kanonische Rechtssystem schloß sich, um weltlich-nationale Einflüsse auszuschalten, an die Rechtssätze der alten Kirche an, in denen nach Geist und Inhalt das römische Recht dominierte. Begünstigt wurde diese Anknüpfung durch das Wiederaufleben des römischen Rechts an den oberitalienischen Rechtsschulen. Unter ihrem Einfluß erlangte, anhebend mit Gratians Dekret, auf kirchlichem Boden der römisch-rechtliche Grundsatz „nudus consensus facit nuptias” durchgreifende Geltung. Ihm zufolge kam die Ehe nach kanonischem Recht — in völliger Abwendung von dem bindenden Formalismus der weltlichen Konsensehe — unbekümmert um jede Form durch reine Willensübereinstimmung der Brautleute zustande. Die Kirche hielt an diesem Prinzip des reinen Verbalkonsenses um zo zäher fest, weil es sich in Übereinstimmung mit der gemeinrechtlich anerkannten

|43|

Doktrin befand, daß die Brautleute selbst Spender (ministri) des Sakramentes der Ehe seien.

Die Geltung und Wirksamkeit dieses Grundsatzes, in dem sich im wesentlichen das kanonische Eheschließungsrecht erschöpfte, vermochten auch feinere Distinktionen der Kanonisten nicht zu beeinträchtigen, auch wenn sie zum Teil germanische Einflüsse widerspiegelten. An den Tatbestand der Doppelung des weltlichen Eheschließungsaktes durch Verlobung und Trauung scheint sich die von der Pariser Schule begründete und seit Papst Alexander III. die gemeinrechtliche Praxis beherrschenden Unterscheidung in sponsalia de futuro (matrimonio) und sponsalia de praesenti angeschlossen zu haben. Aus dem Oberbegriff der sponsalia (desponsatio) = Gelöbnis zum Zweck der Ehe wurde unter Aufrechterhaltung der sachlichen Gleichartigkeit des Ehewillens lediglich dessen Richtung auf die Zukunft oder die Gegenwart als unterscheidendes Merkmal herausgestellt. Dabei galt jedoch die desponsatio de futuro (accipiam te uxorem vel maritum) im Gegensatz zum deutschen Verlöbnis nicht als integrierender Bestandteil der Eheeingehung, sondern im Sinne des römischen Rechts nunmehr als Eheversprechen. Die Ehe entstand durch desponsatio de praesenti (accipio). Andererseits aber genügte nach kanonischem Recht wiederum entgegen dem deutschen Recht die desponsatio de futuro zur Ehebegründung, wenn die copula carnalis hinzutrat, die als konkludenter Ausdruck des animus de praesenti angesehen wurde. Unverkennbar war diese ehestiftende Wirkung des mit copula carnalis verbundenen Eheversprechens von der theologischen Auffassung beeinflußt, daß erst die körperliche Vereinigung der Gatten die Spendung des Sakramentes der Ehe, die una caro, voll verwirkliche. Germanische Vorstellungen von der Bedeutung des Beilagers spielten bei dieser Festlegung wohl nur eine geringe Rolle. Allerdings behauptete nach gemeinem Recht die Ehebegründung durch reinen Verbalkonsens de praesenti den Vorrang.

 

3.

Es ist leicht ersichtlich, daß diese kunstvollen, ja spitzfindigen Distinktionen niemals vom Volke verstanden und aufgenommen wurden; hatte doch das Volk aus gesundem Rechtsinstinkt gerade einen so lebenswichtigen Vorgang wie den Eheabschluß mit einer Fülle von sinnfälligen und offenkundigen Formhandlungen umkleidet. Tatsächlich wurde die Anwendung der kanonischen Regeln zu einer Quelle von

|44|

Mißverständnissen und Schäden. Die kanonischen Sätze ließen sich mit den überkommenen Rechtsgepflogenheiten in Deutschland schlechterdings nicht vereinen. An ihnen hielt das Volk mit unbeirrbarer Zähigkeit fest. Dem von den geistlichen Gerichten gehandhabten kanonischen Recht stemmte sich so ein volkstümliches Gewohnheitsrecht entgegen, das im wesentlichen auf den Rechtsgebräuchen verharrte, die wir als Ausdrucksformen der weltlichen Konsensehe kennengelernt haben. Nachdem die Verlobung mit der Zeit — schon wegen ihrer eingeschränkten Publizität, da sie regelmäßig im Hause der Braut vorgenommen wurde — an Bedeutung verloren hatte, wurde im Bewußtsein des Volkes die von der Kirchentüre und damit vor aller Öffentlichkeit stattfindende Trauung der eigentliche ehebegründende Akt. Trotz des zum Eheabschluß genügenden „nudus consensus” stellte sich die Kirche der Beobachtung dieser Förmlichkeit als solcher nicht entgegen. Auch damals versuchte sie — wie noch heute — ohne Aufgabe ihrer Grundsätze sich mit Geschmeidigkeit und Umsicht den jeweilig überlieferten und im Volke gefestigten Anschauungen anzupassen. Freilich tat sie es aus naheliegenden Gründen, da sie wegen der gleich zu erwähnenden heimlichen Eheschließungen, denen sie mit ihrer Rechtsdoktrin die Tore geöffnet hatte, und deren üble Folgen sie nicht übersehen konnte, an der Offenkundigkeit des Eheabschlusses ein großes Interesse hatte. Wichtig war ihr nur, daß auch bei diesem Akte die von ihr beanspruchte ausschließliche Autorität in Ehesachen nach außen anerkannt wurde. Deshalb forderte sie jetzt, daß die Trauung — und damit ja zum mindesten die förmliche Wiederholung des Konsenserklärung — zunächst im Beisein des Geistlichen, seit dem 13. Jahrhundert — in Deutschland zuerst 1227 — durch den Geistlichen als legitimen Trauungsmittler vollzogen wurde. Diese Forderung enthielt das Verbot der Laientrauung. War noch zu Beginn des 12. Jahrhunderts die Konsensbefragung und das „Zusammensprechen” meist durch den geborenen Muntwalt der Braut erfolgt, am Ende des 12. Jahrhunderts regelmäßig durch einen Laien als gewählten Treuhänder, so trat nun an dessen Stelle der Geistliche — eine Entwicklung, die schon durch die Volkssitte mehr oder minder angebahnt war, wenngleich es der Kirche nicht gelang, die Laienkopulation völlig zu verdrängen.

 

4.

Diese die äußeren Förmlichkeiten der Trauung im wesentlichen unverändert erhaltende Gestaltung — nur die

|45|

Trauungspersonen hatten gewechselt — blieb das ganze Mittelalter hindurch und bis in de Reformationszeit hinein die normale Form des Eheabschlusses, die eigentliche Vollendung des Eheeingehungsgeschäftes. In ihrer rechtlichen Bewertung aber trennten sich die Wege. Für das Volk bildete die offenkundige Trauung weiterhin den die Ehe begründenden Akt. Für die Kirche aber bedeutete sie lediglich die solenne Bestätigung der bereits durch den maritalen Konsens geschlossenen Ehe auf Grund des Segensspruches des Geistlichen (solemnisatio in facie ecclesiae). Auch die im allgemeinen nicht vor dem 16. Jahrhundert erfolgende Hereinnahme des Aktes in die Kirche änderte nichts an der kanonisch-rechtlichen Bewertung. Denn eine den Eheabschluß konstituierende Wirksamkeit des Priesters kraft Weihegewalt war durch die rechtlich gefestigte Doktrin, die die Vermählten selbst zu Spendern des Ehesakraments erhob, ausgeschlossen. Kirchlich war damit die Trauung für die Entstehung der Ehe indifferent. Trotz Mitwirkung des Priesters bildete sie keine der kirchlichen Heilsordnung angehörige und ihre Gaben vermittelnde Rechtshandlung, sondern lediglich einen Rechtsakt der kirchlichen „disciplina”.

 

5.

Jede Formalhandlung kann sich, da ihre Ausführung von inhaltlichen Entscheidungen unabhängig ist, in die Ordnungsauffassung verschiedener Geisteshaltungen eingliedern. Dies traf auch für die „Trauung” zu, die sich mit auffallender Konstanz trotz der Antinomie der Bewertung durch Volk und Kirche erhielt. Der Gegensatz der beiden Mächte kam erst bei den Grenzfällen zur Geltung. Sie wurden gebildet durch die sog. klandestinen, d.h. heimlichen Eheschließungen. Ein Rechtssystem, das, wie das kanonische, Vorgänge von höchster lebenswichtiger Bedeutung nicht mit unbedingter Strenge den Bindungen eines dem Rechte als heilsames und notwendiges Ingrediens zur Verfügung stehenden Formalismus unterwarf, sondern in starrem Doktrinarismus den formlosen Willensentscheidungen der Beteiligten auslieferte, mußte Gefahren und Mißstände hervorrufen. Und in der Tat wurde die kanonistische Rechtsdoktrin und -anwendung, an der die Kirche trotz aller üblen Erfahrungen jahrhundertelang festhielt, die Quelle vielfacher Schäden, die nur deshalb sich nicht in vollem Umfange auswirken konnten, weil — wie wir gesehen haben — die gesunden Anschauungen des Volkes ihnen

|46|

entgegenstanden. Allerdings hat man darauf hingewiesen, daß bei der Ausbildung des Rechtssystems der Kirche wohl auch beachtenswerte rechtspolitische und seelsorgerische Gründe mitgesprochen hatten. Er scheint der Kirche mit der Auflockerung der verpflichtenden Formhandlungen auch darum gegangen zu sein, möglichst viele Geschlechtsverbindungen in legitime überzuführen, d.h. zu „Ehen” zu machen. Es ist möglich, daß dieser Grund bei der Umwandlung von sponsalia de futuro durch nachfolgende copula carnalis in sponsalia de praesenti mitgespielt hat, wodurch etwa nach deutschem Recht als Brautkinder und damit als unehelich angesehene Kinder nach kirchlichem Recht zu ehelichen wurden.

Trotzdem erwies sich im ganzen der Weg der Kirche als nachteilig. Er förderte pathologische Erscheinungen im Rechtsleben. Die Ursache dafür lag nicht allein in dem Gegensatz der kanonischen Regelung zu den volkstümlichen Rechtsauffassungen, sondern auch darin, daß die kirchliche Rechtshandhabung wegen der Starrheit ihres Systems an inneren Widersprüchen krankte. Zwar drängte die Kirche — wie wir gesehen haben — um der Öffentlichkeit des Eheabschlusses willen auf Beobachtung der überkommenen Förmlichkeiten. Schon das 1215 auf dem vierten Laterankonzil gemeinrechtlich verbindlich gemachte, in der Kirche durch den Priester vorzunehmende Aufgebot, dessen Beachtung freilich immer wieder von neuem eingeschärft werden mußte, sollte diesem Zwecke dienen. Ebenso verlangten namentlich Beschlüsse partikularer Synoden in ständiger Wiederholung, daß nicht nur die sponsalia de praesenti, sondern sogar die sponsalia de futuro vor dem Pfarrer und vor Zeugen eingegangen werden sollten. Heimliche Eheschließungen wurden aufs strengste verboten. Aber obwohl diese Verbote empfindliche Strafen androhten, vermochte die Kirche das Übel der klandestinen Ehen kaum zu mildern. Denn ihre Forderung nach Offenkundigkeit blieb ein Messer ohne Griff, weil sie die Form der öffentlichen Erklärung des Eheschließungswillens nicht zur zwingenden Voraussetzung der Gültigkeit des Eheabschlusses erhob. Das sachlich, wenn auch niemals formell dogmatisierte Rechtsprinzip, daß die Ehe allein durch formlos geäußerten maritalen Konsens zustande kam, machte zwar eine heimliche Ehe unerlaubt, aber nicht ungültig.

Welch’ verhängnisvolle Folgen aus dieser starren und ungesunden Regelung entsprangen, zeigte die Praxis der geistlichen Gerichte. Vor sie kam ein großer Teil der Fälle, in denen heimliche Sponsalien

|47|

von Betrügern und Gaunern zu unsittlichen oder bigamischen Verhältnissen ausgenützt worden waren, aber auch solche Fälle, in denen sich die Partner nicht nur aus Leichtfertigkeit oder Unüberlegtheit in dem Gestrüpp der dem Volke unverständlichen kanonistischen Distinktionen verfingen. Schon rein sprachliche Mißverständnisse konnten angesichts der begrifflichen Doppelung der Sponsalien, deren Abgrenzung in praxi auch einem geschulten Verständnis Schwierigkeiten bereitete, die prozessualen Situation erheblich beeinträchtigen. Die Leidtragenden waren meist Frauen, die mit gutem Gewissen auf richterliche Anerkennung ihrer Ehe klagten. Sie scheiterten meist an der Schwierigkeit des Beweises, während umgekehrt die Tatsache einer ohne Zeugen stattgehabten desponsatio de praesenti unschwer wegzuleugnen war. So finden sich in einem Urteilsbuch des Augsburger Diözesangerichts im Jahre 1349 an einschlägigen Fällen 111, unter denen in 101 Fällen die Frauen die klagende Partei waren. In weitaus überwiegender Zahl wurde die Klage auf Zuerkennung des Gatten abgewiesen, über 80mal, und zwar, weil vielmals wohl nicht das „ius” (das Recht), sondern die „probatio” (der Beweis) fehlte.

Gerade dieser Hinweis auf die praktische Handhabung des Eheschließungsrechtes scheint mir wichtig, da ja alle materiellen Rechtssätze Licht und Farbe nur gewinnen, wenn man sie in der im Prozeß sich verwirklichenden Funktion betrachtet. Erst die Ergebnisse praktischer Rechtsanwendung machen deutlich, in welchem Maße sich das kanonische Recht von den im deutschen Volke herrschenden Rechtsanschauungen abgesetzt hatte. Indessen wird man das Ganze nicht allein unter dem Eindruck der negativen Seiten beurteilen dürfen.

Das Normale im Sinne der alltäglichen Rechtsausübung hat im Erscheinungsbild aller Zeiten einen schwereren Stand gegenüber dem Exzeptionellen, das in grellerem Licht steht. Die formlosen Eheeingehungen — es brauchen übrigens nicht immer heimliche gewesen zu sein — bildeten sicherlich die Ausnahme. Sie hatten nur deshalb in den Anschauungen der Zeit so großes Gewicht — auch Luther hat nachmals mit aller Leidenschaft gegen sie gewettert —, weil ausschließlich sie und nicht die normalen Eheabschlüsse die Gerichtsbarkeit in Bewegung setzten, deren häufig unbillige Entscheidungen dann auf Unverständnis und Ablehnung im Volke stoßen mußten. Nicht mit Unrecht, denn hier lagen tatsächlich Mißstände vor, wie die Maßnahmen des Tridentinum beweisen. Aber die Normalform der Eheeingehung blieb weiterhin an die Öffentlichkeit des Aktes

|48|

gebunden. In der Forderung der Kundbarmachung kamen sich die kirchlichen Gewalten und die Anschauungen des Volkes entgegen, das niemals davon abging, den öffentlichen Vorgang der „Trauung” als den letzthin ehebegründenden Akt anzusehen.

 

6.

So war im wesentlichen das Eheschließungsrecht beschaffen, auf das die reformatorische Bewegung traf: eine Ordnung, die im Normalfall funktionierte, in den Grenzfällen der klandestinen Eheabschlüsse Schäden zeitigte, die nach Abhilfe verlangten. Mit ihrer Abstellung beschäftigte sich nachmals das große katholische Reformkonzil zu Trient. Durch das Dekret „Tametsi” vom 11. November 1563 führte es eine kirchliche Form der Eheschließung ein: die Konsenserklärung vor dem zuständigen Pfarrer und zwei bis drei Zeugen. Damit war die Offenkundigkeit des Eheabschlusses gesetzliche Voraussetzung der Gültigkeit der Ehe geworden, damit im wesentlichen der Widerspruch beseitigt, der sich aus der mangelnden Abstimmung der Öffentlichkeitsforderung auf die Sponsalienlehre ergeben hatte. Für das katholische Deutschland brachte freilich die Anordnung der tridentinischen Eheschließungsform auf lange Zeit keine durchgreifende Besserung, da infolge der Unzulänglichkeiten der Inkraftsetzung des Dekrets nicht alle Gebiete von dem neuen Recht erfaßt wurden. So erhielt sich an zahlreichen Orten das vortridentinische Recht. Jedoch liegt die Betrachtung der weiteren Entwicklung des kanonischen Eheschließungsrechtes, das mit dem Tridentinum eine im wesentlichen abschließende Grundlage erhalten hatte, außerhalb unserer Aufgabe.

 

IV.

Bei der Betrachtung des evangelischen Eheschließungsrechts, dem wir uns nun zuwenden, erschwert das fast völlige Fehlen von monographischen Vorarbeiten unsere Einsicht erheblich. Weder der Anteil der Theologen noch der der Juristen an der Ausgestaltung ist hinlänglich erforscht. Ebenso fehlt eine ausreichende Auswertung der evangelischen Kirchenordnungen, der maßgebenden Quellen des 16./17. Jahrhunderts. Auch über den so wichtigen Faktor der gerichtlichen Rechtspflege erhalten wir nur vereinzelte, mehr oder minder zufällige Aufschlüsse. Von einer systematisch

|49|

begründeten Erfassung des Rechtsbildes der Zeit — auch der Stufen der Entwicklung — sind wir daher noch weit entfernt. Methodische Schwierigkeiten kommen hinzu. Weil sich das protestantische Eherecht zum großen Teile im Wege der Rechtsanwendung als Herkommensrecht fortbildete, lassen sich seine Ausdrucksformen nicht mit dem juristischen Winkelmaß messen. Selbst die Rechtssetzung nahm noch lange an der schwebenden Unbestimmtheit, die dem Herkommensrecht eigen ist, teil. Der häufig geringe juristische Gehalt weltlich-kirchlicher Ordnungsvorschriften ist zudem mit den Worten und Begriffen unserer Zeit schwer zu verdeutlichen. Unter diesen Umständen werden die Feststellungen, die die nachfolgenden Ausführungen über das evangelische Recht zu bieten haben, ohne wesentlich neue Akzentuierungen, lediglich in einer Wiedergabe des bisher erarbeiteten Befundes der Forschung bestehen können. Für ihn haben im großen und ganzen die schon lange zurückliegenden Darstellungen von Friedberg, Sohm, von Scheurl die maßgebenden Beiträge geliefert. Auch muß ich mich — noch mehr als für das Mittelalter — auf die Nachziehung einiger Grundlinien des Gesamtbildes beschränken. *)

 

1.

Vor dem 18. Jahrhundert haben sich festere Rechtssätze im evangelischen Eheschließungsrecht nicht ausgebildet. Erst damals gelangte eine bestimmte Auffassung über die eheerzeugende Bedeutung eines spezifischen Aktes in dem nach wie vor aus verschiedenen Momenten sich zusammensetzenden Vorgang der Eheeingehung zum Durchbruch. Sie wurde für die


*) Für das protestantische Eheschließungsrecht verweise ich auf die bereits eingangs erwähnten allgemeinen Darstellungen von Hübner u.A. Dazu neben den ebenfalls dort angeführten Schriften von Sohm noch: Emil Friedberg, Das Recht der Eheschließung in seiner geschichtlichen Entwicklung, Leipzig 1865, und zusammenfassend derselbe, Lehrbuch des katholischen und evangelischen Kirchenrechts, 6. Aufl., Leipzig 1909, bes. § 153; Adolf von Scheurl, Die Entwicklung des kirchlichen Eheschließungsaktes, Erlangen 1877. Vgl. auch Hans von Schubert, Die evangelische Trauung, ihre geschichtliche Entwicklung und gegenwärtige Bedeutung, Berlin 1890, und die wertvollen Bemerkungen von Ulrich Stutz, Zu den ersten Anfängen des evangelischen Eherechts (zugleich Besprechung von Walther Köhler, Zürcher Ehegericht und Genfer Konsistorium I, Leipzig 1932), Zeitschr. der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 53, Kan. Abt. 22, 1933 S. 288 bis 331, bes. S. 318 ff.

|50|

Rechtshandhabung in der Folgezeit herrschend. Den theoretischen Grund legte der führende Kopf der evangelischen Kirchenrechtswissenschaft seiner Zeit, Justus Henning Böhmer. In betonter Antithetik zur kanonistischen Doktrin baute er namentlich in seinem großartigen Hauptwerk, dem „Ius ecclesiasticum Protestantium” (1714-1737) seine Lehre aus. Sie gipfelte darin, daß er die desponsatio de praesenti nach bisherigem, freilich schon erschüttertem Verständnis aufgab und allein der auf Grund des Zusammensprechens des Pfarrers vollzogenen Trauung als bindender Eheschließungsform ehebegründende Kraft beilegte. Von Wissenschaft und Praxis aufgenommen, setzte sich diese Lehre durch. Die neue Formalisierung des Eheabschlusses erinnert an die Bedeutung der Trauung unter der Herrschaft der weltlichen Konsensehe. Dem dauerhaften und zähen Rechtsbewußtsein des Volkes war sie auch unter veränderten Verhältnissen niemals ganz entschwunden. Wegen ihrer Einfachheit und Klarheit bemächtigte sich der neuen Eheschließungsform namentlich die auf gouvernementale Rationalität drängende Gesetzgebung des absoluten Staates und baute sie für die evangelische Untertanen in ihre Rechtsordnung ein, wie dies zum Beispiel im preußischen Allgemeinen Landrecht (II 1 § 136) geschah. Erst die reichsgesetzliche Einführung der obligatorischen Zivilehe (1875) beseitigte diesen Zustand, der dem Eheschließungsrecht der Protestanten den Charakter eines bloßen Trauungsrechtes gegeben hatte.

Aber wir haben vorgegriffen. Vielleicht läßt sich jedoch die Ausbildung des protestantischen Eheschließungsrechtes besser verständlich machen, wenn das Spätstadium, das festere Konturen aufweist, im voraus ins Auge gefaßt wurde.

 

2.

Das Eheschließungsrecht der Reformatoren und ihrer Nachfolger war im wesentlichen eine modifizierte Fortbildung des kanonischen Rechts, und zwar, da das Tridentinum für die evangelische Kirche nicht galt, des vortridentinischen Rechts. Das zeigte sich vor allem darin, daß auch die evangelische Kirche weiterhin die Ehe durch den reinen Willenskonsens der Brautleute entstehen ließ. Auch war die evangelische Kirche — was oft übersehen wird — keineswegs gewillt, Rechtssetzung und Rechtshandhabung aus ihrem Einflußbereich zu entlassen. Sie beanspruchte also, wenn auch in abgewandelter Form, ein bestimmtes Maß von Kirchenhoheit

|51|

in Ehesachen. So finden wir auch hier, was freilich noch einer näheren Untersuchung bedürfte, Verbindungslinien zu der Gerichtsverfassung und dem Verfahrensrecht der katholischen Kirche, die ja diesen Instituten eine so ausdrucksvolle und wirksame Ausgestaltung gegeben hatte. Blieb das kanonische Recht — nach anfänglichem Schwanken — jahrhundertelang die wesentliche Grundlage des Eheeingehungsrechtes, so war nicht zu umgehen, daß die evangelische Ordnung, vor allem in Theorie und Praxis der vielfach den Theologen widerstrebenden Juristen, in einen ähnlichen Gegensatz zu den volkstümlichen Rechtsanschauungen hineinrückte, in dem sich das kanonische Eheschließungsrecht im Mittelalter befunden hatte. Auch weiterhin herrschte der eigentümliche Zwiespalt zwischen volkstümlichem Gewohnheitsrecht und dem Recht der die Ehehoheit handhabenden Gewalt, stimmte das volkstümliche Verständnis der einzelnen Bestandteile der Eheeingehung mit der Beurteilung der Vorgänge durch Doktrin und Rechtspflege nicht überein.

 

3.

Mit der neuen aus der Heiligen Schrift gewonnenen religiösen Grunderkenntnis traten die Reformatoren in den Kampf gegen die überkommene Lehre und Ordnung der alten Kirche. Er führte zunächst zur Verwerfung der Ehe als verrechtlichten Bestandes der kirchlichen Heilsordnung, zu ihrer Auslösung aus der institutionellen religiösen Gesetzlichkeit. Die Ehe ist kein Sakrament, sondern nach Luthers berühmten Satze „ein eusserlich weltlich ding, wie kleider und speise, haus und hoff weltlicher oberkeit unterworffen”. Das „weltlich” bedeutet freilich nicht „weltlich” in unserem modernen Verständnis, sondern rein negativ: „nicht geistlich”. Die Reformatoren waren weit entfernt von dem Gedanken, durch diese Zuweisung die Ehe der „Profanität”, d.h. einer von Gott losgelösten Ordnung, auszuliefern. Die weltliche Obrigkeit, deren Zuständigkeit die Ehe zugewiesen wurde, galt ihnen als Vollzugsorgan göttlichen Willens, Fürst und städtischer Rat hatten als Mandatare Gottes ihren Rechtsdienst im Einklang mit den Normen der Offenbarung, praktisch im Zusammenwirken mit den Theologen und Dienern der Kirche auszuüben. Die Trennung zwischen Kirche und Welt war nicht so scharf ausgeprägt wie heute. Deshalb beruhte das von der evangelischen Obrigkeit erlassene Recht in Sachen der Ehe, deren sittlich-religiöse Bedeutung als „mandatum” oder

|52|

„ordinatio Dei” nicht in Zweifel stand, auf evangelischer Lehre. Geregelt wurde es in den evangelischen Kirchenordnungen, die sich zwar formell allein auf den rechtsetzenden Willen der Obrigkeit gründeten, materiell aber regelmäßig unter dem maßgebenden Beirat der Theologen ausgearbeitet waren. Daß die Kirche auch weiterhin das Eherecht als ihre Domäne ansah und die evangelischen Territorialgewalten ihren Anspruch anerkannten, zeigte sich auch darin, daß die Rechtspflege in Ehesachen eigenen landesherrlichen Behörden weltlich-geistlichen Charakters überlassen wurde, die mit Juristen und Geistlichen besetzt waren, den Konsistorien oder später z.T. den auf die bloße Rechtsprechung beschränkten Chor- und Ehegerichten. Mit ihrer Zuständigkeit konkurrierten freilich in der Folgezeit auch rein weltliche Gerichte, wie etwa mit dem Dresdner Oberkonsistorium der berühmte Schöffenstuhl zu Leipzig.

Luther war freilich anfangs bestrebt gewesen, die vollen Folgerungen aus der Ablehnung der Sakramentsnatur der Ehe zu ziehen. Wenn er in Bezug auf die Eheeingehung aber die neue Ordnung allein auf die Schrift zu gründen beabsichtigt hätte, so wäre er vor dem gleichen Dilemma wie die alte Kirche gestanden, weil biblische Aussagen nicht vorhanden waren. Es blieb nichts anderes übrig, als die Eheschließung — auch unter diesem Gesichtspunkt hat man die von Luther mit Schärfe öfters wiederholte Erklärung der Ehe und ihres Abschlusses für ein „weltliches Geschäft” zu sehen — dem partikularen Gewohnheitsrecht von Stadt und Land und der Ordnung durch ihre Obrigkeiten zu überlassen. Und das umso mehr, weil Luther das alte Dekretalenrecht schlechterdings nicht angewendet wissen wollte.

 

4.

Im Dekretalenrecht war die Sponsalienlehre als gemeinrechtliche Grundlage des kanonischen Eheschließungsrechtes festgelegt. Gegen sie wandte sich Luther mit aller Leidenschaft. Hier sprach er als christlicher Volksmann. Die Unterscheidung von sponsalia de futuro und sponsalia de praesenti war ihm „lauter Narrenspiel”, schon weil im Sprachgebrauch des gemeinen Volkes eine den Begriffen entsprechende Ausdrucksweise nicht zu finden war. Vor allem aber waren es die Mißstände der heimlichen Eheschließungen, die den Zorn des Reformators erregten. Als vollends evangelische Juristen kanonische Rechtssätze bei Ehesachen im

|53|

Konsistorium anwendeten, kannte seine Erbitterung keine Grenzen. Und doch konnte sich Luther dem Banne des überkommenen Rechtes nicht völlig entziehen. Die formale Anknüpfung an die kanonische Sponsaliendoktrin ist unverkennbar, wenn ihm ohne Rücksicht auf die sprachliche Handhabung der Tempora und den zeitlichen Sinn der Erklärung alle unbedingten auf die Eheeingehung gerichteten Erklärungen als sponsalia de praesenti galten und damit als unmittelbarer Ehekonsens die Ehe zur Entstehung brachten. „Wenns bei schlechtem (schlichtem) Verlobnis bleibt, so ist bald geurteilt, daß hernach kein ander Verlobnis gelten soll, denn es ist eine rechte Ehe für Gott und Welt” („Von Ehesachen” 1530). Nur bedingte Sponsalien erklärte Luther für sponsalia de futuro (Verlöbnisse im heutigen Sinne = Eheversprechen). Diese Distinktion Luthers, die der desponsatio de praesenti in gewandelter Sinnbedeutung die ehebegründende Kraft zusprach, wurde von der Theorie der Juristen, den Kirchenordnungen und der Praxis aufgenommen und blieb bis ins 18. Jahrhundert hinein die Grundlage des protestantischen Eheschließungsrechts.

Ihre besondere Ausprägung erhielt die modifizierte Sponsalienlehre der Reformationszeit aber durch ein weiteres Moment: die Forderung der Offenkundigkeit des Verlöbnisses oder des Ehegelöbnisses im lutherischen Sinne. Theoretisch kam man in Abwehr der heimlichen Eheschließungen geradezu zu einer Gleichsetzung der Unbedingtheit der desponsatio mit der Öffentlichkeit ihrer Vornahme. Letztere aber sah man, auf Äußerungen Luthers sich stützend, in erster Linie ausgedrückt durch das Vorhandensein der elterlichen Einwilligung. Praktisch wurde damit die eingeschränkte Öffentlichkeit des Hauses der Braut, wo neben den Eltern auch andere Verwandte, Freunde usw. als Zeugen der „Verlobung” regelmäßig zugegen waren, maßgebend. Ob von der Forderung der Einwilligung der Eltern (u.U. Vormünder) auch großjährige Kinder betroffen wurden und in welcher Art sich die Öffentlichkeit repräsentieren sollte, wenn Eltern oder Vormünder verstorben waren, darüber bestand in Theorie und Praxis keine Einhelligkeit. Im allgemeinen neigte man dazu, die Gegenwart von Zeugen überhaupt als ausreichend zu betrachten. Die Betonung der Einwilligung der Eltern bildete eine charakteristische Abweichung des protestantischen Rechts vom kanonischen Recht, das das Fehlen der elterlichen Zustimmung nicht als einen die Gültigkeit der Ehe bedingenden Umstand ansah. Allerdings setzte sich diese

|54|

Forderung des elterlichen Konsenses nur unvollkommen durch, weil die Juristen ihr Widerstand entgegensetzten.

Dies waren die Wege, auf denen Luther und seine Nachfolger vor allem dem von ihnen so nachdrücklich gegeißelten Übel der heimlichen Eheschließungen zu begegnen suchten, freilich nur in unvollkommener Weise: denn auch im evangelischen Recht behauptete sich die Auffassung, daß sponsalia de futuro i.S. der Bedingtheit des Eheversprechens ungeachtet ihrer Klandestinität durch nachfolgende copula carnalis zur rechtsgültigen Ehe wurden. Man machte sich also die spätere Regelung des tridentinischen Rechts nicht zu eigen, das eine solche Umwandlung der desponsatio de futuro in eine desponsatio de praesenti unmöglich gemacht hatte. Im übrigen entstand in der protestantischen Eherechtsauffassung und -handhabung durch den gleichzeitigen Gebrauch der Begriff der Sponsalienlehre im protestantischen und kanonischen Sinne nebeneinander bald eine ziemliche Verwirrung. Sie wurde noch dadurch gesteigert, daß die erwähnte, durch Strafandrohungen verschärfte Forderung der Öffentlichkeit des Ehegelöbnisses nur vereinzelt zu einem die Gültigkeit des Eheabschlusses bedingendem Erfordernis erhoben wurde. Vor allem neigte die Praxis dazu, auch nichtöffentlichen Ehegelöbnissen, soweit sie nur unbedingt waren, ehestiftende Kraft beizulegen. Im ganzen blieb auch im evangelischen Recht die Anschauung herrschend, daß der reine Konsens, auch der formlose, die Ehe zur Entstehung brachte.

 

5.

Die Folge dieser Uneinheitlichkeit und Unklarheit der Auffassungen war, daß sich Theorie und Praxis zu den im Volke herrschenden Rechtsüberzeugungen in Widerspruch setzte. Auch im protestantischen Recht waren die begrifflichen Distinktionen viel zu diffizil, als daß sie ins Rechtsbewußtsein des Volkes eindringen konnten. Daß die Ehebegründung allein von dem im Hause vorgenommenen „Verlöbnis” abhängen sollte, konnte dem gemeinen Manne nicht eingehen. Und das umso weniger, weil diese Handlung im Hause — wie wir gesehen haben — zum mindesten bei den einfachen Schichten des Volkes schon längst nicht mehr allgemein als rechtserheblich galt, sondern vorzugsweise die Trauung vor oder in der Kirche. Keineswegs war es dem Verständnis der einfachen Leute zugänglich, daß sie sich in Auswirkung der juristischen Regeln vor dem Ehegericht als

|55|

verheiratet behandelt sahen, obwohl sie sich nur auf die Zukunft als versprochen betrachteten. Ebenso unverständlich war ihnen, wie schon im Mittelalter, daß Kinder, die allgemein als Brautkinder angesehen wurden und damit zumindest als vorehelich, vor den Gerichten als eheliche galten. Vollends unvereinbar mit den Volksanschauungen war schließlich die von der Rechtspraxis aus derartigen „Verlobungen” gezogene Folgerung, daß ihre Verletzung als Ehebruch galt, daß solche Verbindungen ein gegenseitiges Erbrecht hervorriefen und daß sie nur im Wege obrigkeitlicher Scheidung beseitigt werden konnten.

Auch den Vollziehern des protestantischen Eheschließungsrechtes kann der Vorwurf nicht erspart bleiben, daß sie sich — ebenso wie der damals die Rezeption des römischen Rechts vollziehende weltliche Juristenstand — vielfach über die durch Herkommen gefestigten und gesunden Rechtsanschauungen des Volkes hinweggesetzt haben. Bezeichnenderweise setzte sich auch in der protestantischen Zeit das Übel der klandestinen Eheschließungen lange noch fort. Man kann die Motive der protestantischen Juristen, die die Theologen allmählich aus der Einwirkung auf die Rechtshandhabung verdrängten, verstehen. Sie waren von der Unentbehrlichkeit des kanonischen Rechts mit dem Vorbehalt einiger Berichtigungen überzeugt, weil sie sich nur von seiner Anwendung Rechtssicherheit versprachen. Aber die feinere Empfänglichkeit für die rechtlichen Bedürfnisse des Volkes ging ihnen ab. Sonst hätten sie wohl kaum das rechtliche Gewalt auf die in nur relativer Öffentlichkeit stattfindende Handlung der Verlobung gelegt, die dem normalen Öffentlichkeitsverlangen des gemeinen Volkes nicht mehr entsprach. Allerdings konnten sich die Juristen auf Luther selbst berufen. Es spricht viel dafür, daß sich der Reformator bei der Verlagerung des Schwergewichtes des Aktes der Eheeingehung auf das „Ehegelöbnis” unter dem Eindruck seiner eigenen Eheschließung stand, die im Hause vor geistlichen und laikalen Zeugen vorgenommen war. Aber Luther war ein Angehöriger der bürgerlichen gebildeten Oberschicht, deren Auffassungen und Gebräuche wohl schon damals nicht immer mit den Anschauungen des gemeinen Mannes in Einklang standen.

Es ist freilich nicht zu verkennen, daß die Reformation im Eheschließungsrecht auf einen Zustand traf, der einer eindeutigen und durchgreifenden Bewältigung durch ein neues Rechtsverständnis erhebliche Widerstände entgegensetzte. Es genügte nicht, die Sponsalienlehre in ein neues Beziehungsschema

|56|

zu rücken. Das werdende protestantische Eheschließungsrecht hatte sich auch noch mit anderen Rechtsgepflogenheiten auseinanderzusetzen, unter denen das Beilager und die Trauung die bedeutsamsten waren.

 

6.

Das Beilager im Sinne des vor Zeugen vorgenommenen Beschreiten des Ehebettes oder der Bettsetzung erhielt sich auch in der Reformationszeit an vielen Orten als Volkssitte. Aber wie schon im Spätmittelalter knüpfte man an die Formhandlung als solche nur wenige, besonders güterrechtliche, aber jedenfalls keine die Eheentstehung unmittelbar beeinflussende Rechtswirkungen. Nur als Beweismittel mag die Förmlichkeit noch eine gewisse Rolle gespielt haben.

Demgegenüber lag nunmehr der Schwerpunkt der Bedeutung des Beilagers auf die Tatsache, daß durch die Beiwohnung die volle tatsächliche Gemeinschaft der Ehegatten bewirkt wurde. Das Beilager in diesem engeren, unformalistischen Sinne der Beiwohnung galt auch im protestantischen Recht weiterhin als rechtserhebliches Moment des Vollzuges der Ehe. Trotz Verwerfung der Sakramentalität der Ehe übernahm man die kanonistische Doktrin von der die Ehe konsummierenden Kraft der copula carnalis. Zur juristischen Begründung griff man vor allem auf die Formulierungen Gratians zurück, indem man das Ehegelöbnis (sponsalia de praesenti) als initium connubii von der „vollzogenen” oder „vollstreckten” Ehe als matrimonium consummatum unterschied. Jedoch befand sich diese Bewertung auch in einer gewissen Übereinstimmung mit einem Strukturelement der herkömmlichen deutschen Rechtsauffassung, wonach jedem Vertragsakt, in unserem Falle der Verbalwillenseinigung der Brautleute, ein Vollzugsakt, das Beilager, zu folgen habe. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die volkstümliche Anschauung bei der Eheeingehung den Vollzugsakt nicht so sehr im Beilager, sondern in der öffentlichen Handlung der Trauung erblickte.

Praktisch bestand die wesentliche Bedeutung der kirchenrechtlichen Auffassung darin, daß auch nach protestantischem Recht formlose und selbst bedingte Verlöbnisse als vollgültige Ehen behandelt wurden, wenn sie durch copula carnalis vollzogen waren. Im übrigen finden sich in manchen Kirchenordnungen Anweisungen, aus denen zu schließen ist, daß auch unbedingten Verlöbnissen, die noch nicht durch Beilager vollzogen waren, eine schwächere Bindungskraft beigelegt wurde.

|57|

So gestatteten manche Ordnungen in diesem Falle Lösung des Verlöbnisses durch gegenseitige Übereinkunft, was bei perfizierten Ehen schlechterdings ausgeschlossen war.

Jedoch ist das Beilager, dessen konsummierende Kraft noch Luther in Verbindung mit dem unbedingten Ehegelöbnis für das Zustandekommen einer vollwirksamen Ehe für allein ausreichend erklärt hatte, sehr bald durch die Bedeutung der Trauung in den Hintergrund gedrängt worden.

 

7.

Zu den mit zäher Beharrlichkeit festgehaltenen Konstanten in der Entwicklung des Eheschließungsrechtes gehörte die Rechtsüberzeugung des Volkes, in der Trauung, d.h. dem öffentlichen Zusammensprechen der Ehewerber durch eine Trauperson, nicht nur einen deklaratorischen, sondern den die Ehe konstituierenden Akt zu erblicken. Auch im 16./17. Jahrhundert blieb diese Auffassung im Volke lebendig. Sie wurde schließlich — wenn auch auf Umwegen — in die Rechtssetzung und -handhabung des protestantischen Eheschließungsrechtes aufgenommen. Wenn wir dieses unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Tendenz kennzeichnen wollen, so können wir sagen, daß seine Ausgestaltung sich gerade in der Richtung auf eine volle Anerkennung, ja Übernahme dieser volkstümlichen Auffassung von der Rechtsbedeutung der Trauung bewegte. Damit knüpfte das protestantische Recht — wenn auch nicht in unverändertem Gefälle — an das deutsche Herkommensrecht an, das schon im Mittelalter allen fremden Einflüssen zum Trotz an der Trauung als der Normalform der Eheeingehung festgehalten hatte.

Zunächst schien es freilich so, als ob mit dem Einbruch der neuen religiösen Bewegung die Bedeutung der Trauung im Schwinden begriffen war. Indem Luther und in seiner Nachfolge Theologen und Juristen den Schwerpunkt auf das allerdings öffentliche unbedingte Ehegelöbnis und seinen Vollzug durch die Beiwohnung legten, machten sie die Gültigkeit der Ehe — in Anlehnung an den vortridentinischen Standpunkt der Kirche — rechtlich unabhängig von der Trauung durch den Geistlichen, an die sich die Einsegnung anschloß. Dies aber bedeutete nichts anderes, als daß nach protestantischer Theorie und Praxis auf lange Zeit weder die Trauung noch die Einsegnung als notwendige Voraussetzung der Eheentstehung galten. Allerdings hatte die Reformation an der äußeren Gestalt der Handlung, die regelmäßig Sache

|58|

des Geistlichen war, nichts geändert. Sie stellt sich auch, wie Luthers Traubüchlein (1529) beweist, in deren traditionelle Zweiteilung in Trauung vor der Kirche und Segnung in der Kirche.

Die Auslösung der Eheeingehung aus der gesetzlichen Heilsordnung der Kirche konnte freilich auf das zeitgenössische Verständnis der Trauungshandlung nicht ohne Einfluß bleiben. Weil die Reformatoren die rechtlich konstitutiven Elemente der Eheeingehung der Regelung der „weltlichen” Obrigkeit zuwiesen, andererseits den religiös-sittlichen Gehalt des Ehestandes als göttlicher Ordnung nachdrücklich betonten, geriet die Trauungs- und Segnungshandlung in eine doppelte Beleuchtung. In den Anfängen lag das Schwergewicht auf den religiös-sittlichen Werten. Die Segnung in der Kirche war den Reformatoren das Wichtige, so sehr, daß sie im 16. Jahrhundert sogar an den vor der alten Kirche heftig verpönten Laientrauungen, etwa im Hochzeitshaus, die freilich als Ausnahmen hier und da noch vorkamen, vorerst kaum Anstoß nahmen. Aber da dei eigentliche Trauung mit anschließender Einsegnung im Herkommen des Volkes fest verankert war, konnte man nicht die Segnung am Altar allein herausstellen. Es war notwendig, die beiden Akte in ihrem Zusammenhang zu belassen. Deshalb wurde die Gesamthandlung als eine von d en christlichen Ehewerbern um das „göttlichen Segens und des gemeinen Gebets” willen zu begehrende Handlung angesehen und schließlich sogar als Ganzes in die Kirche verlegt. Eheerzeugenden rechtlichen Charakter hatte der Vorgang jedoch lange Zeit nicht. Auch die ohne Trauung erfolgte Eheschließung begründete eine gültige Ehe, so wie es Luther zum Ausdruck brachte: „Aber so man von uns begehrt, für der Kirchen oder in der Kirchen sie (die Eheleute) zu segnen, über sie zu beten oder sie auch zu trauen, sind wir schuldig, dasselbige zu tun.”

 

8.

Nach dieser Auffassung bedeutete die allmählich mit der Segnung zu einem Akte in der Kirche verbundene Trauung in erster Linie die Kundbarmachung und Bestätigung der bereits geschlossenen Ehe vor Gott und im Angesichte der Gemeinde. Die religiös-kircheneigene Bedeutung mußte aber angesichts der engen Verflechtung von kirchlichen und obrigkeitlichen Anliegen auf die „weltlich”-obrigkeitliche Rechtshandhabung zurückwirken. Im wesentlichen machten sich die vom Landesherrn erlassenen Kirchenordnungen die

|59|

spezifisch kirchliche Auffassung zu eigen. Da die Obrigkeit die Vollziehung kirchlicher Zucht und Ordnung auf evangelischer Grundlage als Aufgabe betrachtete, forderte sie allgemein nunmehr die Trauung durch den Pfarrer als ordnungsmäßigen Bestandteil der Eheschließung. Allerdings blieb die Auffassung über die rechtliche Bedeutung dieses Aktes noch längere Zeit in der Schwebe. Im allgemeinen hielten Ordnungen und Praxis weiterhin an der ehebegründenden Kraft der Ehegelöbnisses fest. Sie betrachteten im Einklang mit der kirchlich-theologischen Auffassung die Trauung durch den Geistlichen nur als eine die Ehrbarkeit und Rechtmäßigkeit der bereits geschlossenen Ehe bestätigende öffentliche Handlung. Durch die allgemeine Forderung der Trauung seitens der Obrigkeit wurde indessen die noch für Luther maßgebende Bedeutung des Beilagers verdrängt. Sein die Eheschließung vollendender und vollziehender Charakter wurde gewissermaßen in die Trauung aufgenommen. Deshalb verwarfen die Kirchenordnungen, schon mit Rücksicht auf die religiöse Versittlichung der Eheeingehung, den Brauch, das Beilager vor der Trauung zu vollziehen, auf das strengste. Im Gefolge der reformatorischen Bestrebungen um Hebung von Zucht und Sitte, die mit dem Schutze der weiblichen Ehre Hand in Hand gingen, wurde nunmehr die zeitliche Einordnung des Beilagers wesentlich verändert. Während es sich ursprünglich gewöhnlich an die im Hochzeitshause vor Zeugen vorgenommene desponsatio de praesenti (im lutherischen Sinne) unmittelbar angeschlossen hatte, verlangten jetzt die evangelischen Eheordnungen, daß es der Trauung nachfolge. Durch diese mit geistlichen, zum Teil auch obrigkeitlichen Strafen verschärfte Anordnung wurde die Trauung zur eigentlichen „consummatio coniugii”, zur Vollziehung des Ehegelöbnisses. Indem nun auch das der desponsatio nachfolgende und allgemein eingeschärfte kirchliche Aufgebot, das man aus der alten Kirche übernahm, in diese Kette aufgenommen wurde, gestaltete sich vielfach die Reihenfolge folgendermaßen: ohne Aufgebot kein Kirchgang (= Trauung), ohne Kirchgang keine ungestrafte Beiwohnung.

Die Anerkennung der Trauung als des die Ehe vollziehenden Aktes näherte sich der im Volke lebendigen Rechtsüberzeugung von ihrer eheerzeugenden Kraft. Ihren bezeichnenden Ausdruck fand diese nach anfänglichen Schwankungen in die Rechtshandhabung eingehende Auffassung in einer Entscheidung des sächsischen Konsistoriums zu Leipzig aus dem Jahre 1616: „allein durch

|60|

die priesterliche Copulation und Einsegnung (wird) die Ehe vollzogen, und ohne derselben (ist) keine eheliche Beiwohnung vor eine rechtmäßige Ehe zu halten”.

Damit war die Rechtmäßigkeit und die Vollziehung der Ehe an den vom Geistlichen vorzunehmenden Akt der Trauung gebunden. Er hatte — wie wir gesehen haben — sowohl eine kirchliche wie weltliche Bedeutung, ohne daß sich der Trennungsstrich scharf ziehen läßt. Das vereinheitlichende Moment blieb lange Zeit der Begriff der öffentlichen Ehebestätigung, der „confirmatio”. Im religiösen Sinne stellte die Trauung, wie aus den Trauungsformeln hervorgeht, die Zusammenfügung der Gatten im Namen des dreieinigen Gottes vor Gott und der Gemeinde dar. Als gleichzeitig juristischer Akt hatte die Trauung ebenfalls die Bedeutung einer feierlichen öffentlichen Festigung der geschlossenen Ehe durch die evangelische Obrigkeit, die dabei in Erfüllung ihres Mandates, daß alles ehrbar und ordentlich zugehe, handelte.

 

9.

Nur im Zusammenhang mit diesen sich allmählich ausbildenden Grundsätzen läßt sich die Bedeutung der sg. Zwangstrauungen verstehen, die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, freilich zweifellos als Ausnahmeerscheinungen, aufkamen. Sie waren keineswegs Zwangseheschließungen. Die mit Geldstrafen oder Gefängnis zu erzwingende Trauung war vielmehr dazu bestimmt, unbedingte Ehegelöbnisse und u.U. auch bedingte Verlöbnisse, wenn ihnen die Beiwohnung gefolgt war, auf Klage des einen Teils zum Vollzug zu bringen und damit vor Gott und der Welt das Bestehen einer vollwirksamen und rechtmäßigen Ehe in feierlicher Form kundbar zu machen. Man wandte die Zwangstrauung an in Fällen, in denen sich einer der Partner dem verbindlichen und zur Trauung verpflichtenden Ehegelöbnis zu entziehen beabsichtigte. Juristisch rechtfertigte man den Zwang damit, daß die bereits „bezogene” Ehe (d.i. die in Süddeutschland gebräuchliche Übersetzung des Wortes „contrahere”) die Vollziehung fordere. Deshalb würden im Sinne der von der altprotestantischen Doktrin übernommenen und auf das Verhältnis von Verlobung und Trauung übertragenen Lehre Gratians die Eheleute nicht „inviti” gezwungen „ad matrimonium contrahendum, sed ad contractum legitime consummandum”.

|61|

10.

War der Vollzug der Ehe durch Trauung allgemein zur Voraussetzung der Ordnungsgemäßheit der Ehe und ihrer vollen Wirksamkeit geworden, so konnte es nicht ausbleiben, daß, gestützt auf die volkstümlichen Anschauungen, diese kirchliche Amtshandlung des Geistlichen alleinige und volle rechtliche Relevanz für die Eheeingehung erlangte. Tatsächlich ging die eheerzeugende Kraft des Konsenses von dem Ehegelöbnis über die förmliche Wiederholung bei der Trauung auf die Trauung überhaupt über. Sie wurde zum ausschließlich ehebegründenden Akt, ja zur obligatorischen Eheschließungsform. Noch vor dem 18. Jahrhundert geschah dies in einzelnen Gegenden zunächst kraft Gewohnheitsrechtes, in dem sich damit altdeutsche Rechtsanschauungen widerspiegelten. Allmählich sanktionierte auch das Recht einzelner Kirchenordnungen dieses Herkommen. Trotzdem standen Theorie und Praxis noch lange unter dem Einfluß der traditionellen protestantischen Sponsalienlehre. Einzelne spezifische Rechtswirkungen, wie z.B. das gesetzliche Verlobtenerbrecht, zum Teil auch die obrigkeitliche Auflösung, wurden weiterhin der „Verlobung” belassen. Aber im ganzen wurde das Ehegelöbnis — wie man gesagt hat — „entehelicht” und ihm mit der Zeit die Rolle eines auf die Zukunft gerichteten oder verklausulierten Eheversprechens im Sinne eines bloßen Ehevortrages gegeben.

 

11.

So hatten Gewohnheitsrecht und Rechtssetzung der eingangs erwähnten, auf J.H. Böhmer fußenden Ausgestaltung des protestantischen Eheschließungsrechtes im 18. Jahrhundert bereits den Boden bereitet. Von theoretisch freilich wesentlich veränderten Gedankengängen her erhob diese Lehre die Trauung durch den Geistlichen zur verpflichtenden Eheschließungsform und zur ausschließlichen Voraussetzung der Entstehung der Ehe. Die kirchliche Handlung wurde in die Ordnung der säkularisierten Staaten aufgenommen. Erst dadurch wurde die Trauung trotz äußerlicher Beibehaltung des kirchlichen Gepräges endgültig profaniert, die Trauperson des Geistlichen zum Staatsdiener schlechthin. Weil nun der Vorgang glaubens- und kirchenbewußte, wie indifferente, ja innerlich kirchenablehnende Mitglieder der evangelischen Kirche der gleichen Formbindung unterwarf, wurde ihr Verständnis im eigentlichen Sinne zwielichtig und depraviert.

|62|

Unter diesem Aspekte erscheint die reichsrechtliche Einführung der obligatorische Zivilehe, die das Personenstandsgesetz von 1875 angeordnet hatte, wodurch die Angehörigen aller Konfessionen der gleichen staatlichen Eheschließungsform unterstellt wurden, vom Standpunkt der Protestantismus aus als die reinere und wahrhaftigere, ja fast als befreiende Lösung. Denn ihre Einführung eröffnete den Weg, die nunmehr rein kirchliche Gestaltung der Trauung an die im Geschehen der Eheeingehung sich verwirklichende „ordinatio Dei” anzuknüpfen, eine Aufgabe, vor die sich heute wie seit ehedem Lehre und Ordnung evangelischen Kirchentums gestellt sehen.