Das Recht der Eheschließung
1953
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aus dem deutschen und kanonischen Recht geschichtlich
entwickelt
von Rudolph Sohm
im Auszug wiedergegeben
von Hans Dombois
Vorbemerkung
Das 1875 erschienene Buch ist als „eine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis der kirchlichen Trauung zur Zivilehe” gedacht. Vorwort und Einleitung stellen die Streitlage in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und insbesondere die Haltung der einzelnen evangelischen Kirchenleitungen dar. Darauf folgt die historische Darstellung.
I.
Die deutsche Verlobung (V.)
Verloben ist ein bindendes Geloben, Versprechen. Die V. (desponsatio, sponsalia) ist das Eheversprechen des deutschen Rechts. Zum Wesen der Ehe gehört nach deutscher und altrömischer Auffassung die Gewalt des Ehemannes über die Ehefrau. Ursprünglich ist daher die altdeutsche V. Kaufvertrag, der die Vormundschaft (mundium) = Gewalt über die Frau zum Gegenstande hat. Gegen eine Summe verpflichtet sich der Gewalthaber (Vater, Vormund) die Jungfrau der Gewalt des Mannes zu übergeben. V. ist von der einen Seite ein Versprechen zur Ehe zu geben, von der anderen Seite ein Versprechen zur Ehe zu nehmen, unter Verpflichtung zur Preiszahlung. Der Kaufpreis ist dabei wesentlich (Witthum, dos, von vidan, binden). Das Witthum ist rechtlich notwendig und rechtlich bindend. Der Preis unterliegt nicht der freien Festlegung, sondern ist gesetzlich festgesetzt in Höhe des Wergeldes, weil nicht ein materielles Gut, sondern eine ideelle Größe erworben wird. Rechtsgeschichtlich wird dann die Form des Kaufvertrages allmählich abgelöst. Deutschrechlich wie altrömisch sind bloße Consensualverträge nicht rechtsverbindlich;
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es gibt nur Formal- und Realkontrakte. Deshalb muß mindestens die Teilleistung von einer Seite erfolgt sein. Rechtsgültig wird der Vertrag nicht durch den Consensus, sondern durch die Sachleistung. So auch bei der Verlobung, beispielsweise im langobardischen und westgotischen Recht. Daher erfolgt bei der Verlobung stets eine Vorleistung des Käufers mit der Gefahr, daß er die erst später zu erbringende Gegenleistung der Übergabe des Mädchens nicht erhält. Daher wird nur ein relativ wertloses Angeld (Haftgeld, arrha) gezahlt, um den Vertrag klagbar zu machen.
Allmählich wird der Hauptpreis nicht mehr an den Vormund, sondern an die Frau bezahlt, kommt ihr aber wegen des Verwaltungsrecht des Ehemannes erst zugute, sobald sie Witwe ist (nunmehr als Witthum im späteren und modernen Sprachgebrauch).
Die Kaufvertragsidee tritt zurück; V. wird realer Formalkontrakt vom 9. Jahrhundert an (Treugelöbnis, fides data, Wette). Die Hingabe eines Halms oder Handschuhs oder eines anderen wertlosen Dinges wird zum Mittel, die Willenserklärung rechtsverbindlich zu machen (analog prozeßrechtliches Urteilserfüllungsgelöbnis, Bürgschaft, Konventionalstrafe). Ähnlich diesen Institution ist die Wette ein Versprechen, bei Strafe die Jungfrau zu übergeben bzw. entgegenzunehmen. An die Stelle der Wette tritt auch der Eid oder der bloße Handschlag.
V. als Kaufvertrag konnte nur zwischen dem Mann und dem Vater geschlossen werden. Im fränkischen Recht bestand ein Vetorecht des Mädchens. Eine V. allein zwischen Braut und Bräutigam war rechtlich wirkungslos; wenn auf dieser Grundlage das eheliche Leben begonnen wurde, wurde in manchen Volksrechten die Ehe anerkannt; die Frau schied jedoch aus ihrer Familie aus und verlor das Erbrecht. Vielfach bestand jedoch das Recht des Geschlechtsvormundes, die Auflösung der bloßen Consensehe zu erzwingen; der Mann wurde auch bei Einwilligung des Mädchens als Entführer behandelt. (Anmerkung: Reste dieser Rechtslage noch im heutigen Strafrecht bezüglich minderjähriger Mädchen.)
Nach Verfall der Geschlechtsvormundschaft trat im Mittelalter Umkehrung des Vorganges ein: der Verlobungsvertrag wurde mit der Braut geschlossen, jedoch die Zustimmung des Vaters erfordert. Die Verletzung dieses Consensrechtes des Vaters berührte die Gültigkeit der Ehe nicht. Daher waren auch heimliche Ehen gültig; die gleiche Anschauung vertritt das canonische Recht auf Grund deutschrechtlicher Anschauungen.
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Der Mangel der elterlichen Zustimmung war nicht impedimentum dirimens, sondern nur impediens. Auch jetzt aber war die V. noch Realvertrag, welcher ein Angeld erforderte, insbesondere Hingabe eines Ringes an die Braut, nicht Ringwechsel zwischen den Brautleuten.
II.
Die deutsche Trauung (T.)
Verlobungsvertrag ist ein Versprechen zur Ehe zu nehmen, auf künftige Erfüllung. Die Erfüllung besteht in Übergabe (traditio puellae) und Vollzahlung des Kaufpreises. Deutsche T. ist traditio puellae. Diese ist nicht von der Kirche eingeführt, sondern stammt aus dem ältesten Volksrecht. Trauen heißt anvertrauen, auf Treue übergeben, nicht nur in die Gewalt, sondern auch in den Schutz: sie berechtigt und verpflichtet. Ehe ist gleich „Gabe”. Daher erfolgt noch im 13. Jahrhundert nicht ein Trauen der Eheleute, sondern ein Trauen der Braut. Die traditio personae erzeugt im deutschen Recht ein wechselseitiges Treueverhältnis; so wird im Lehnsrecht die Selbstübergabe des Lehnsmannes an den Lehnsherrn mit Trauen bezeichnet; der Lehnsmann wird als coniux (Gatte) des Lehnsherrn bezeichnet.
Die Trauung erfolgt in feierlicher Form durch den Vormund als Erfüllung der Verlobung.
Die Trauung durch den Vormund wird vom 11. Jahrhundert ab im langobardischen Recht abgelöst. Die Braut traut sich selbst dem Bräutigam zur Heimführung an, aber durch einen Dritten, der zunächst von ihr allein, dann von beiden gewählt wird (Fürsprecher, Orator, Treuhänder, Salmann). Ihm übergibt sich die Braut treuhänderisch nur zur Weitergabe. Wer dieser gekorene (nicht mehr geborene) Vormund ist, ist gleichgültig. Belege finden sich hierfür vom 12. bis 16. Jahrhundert in den verschiedensten Rechtsgebieten.
Erst auf dieser Stufe nach Ablösung der Geschlechtsvormundschaft ist eine kirchliche Trauung rechtlich möglich. Es entwickelt sich bald ein Gegensatz zur Laientrauung. Vom Anfang des 13. Jahrhunderts ab finden sich Verbote der Laientrauung durch die Kirche (Provinzialconzil von Trier 1227, Prag 1355, Magdeburg 1370 und 1403).
Die Selbsttrauung durch den gekorenen Vormund erfolgt unfeierlich, durch bloßes Zusammensprechen, ohne die alten Symbole der Gewaltübergabe. Allmählich erfolgt wegen
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Verdunklung des Sinnes der Handlungen ein Zusammensprechen beider Ehegatten. Die Trauung verwandelt sich in eine Trauungsformel.
III.
Das Verhältnis von Verlobung und Trauung
Die Ehe erzeugt eine doppelte Wirkung:
1. Negative Wirkung: Treuverpflichtung, d.h. Ausschluß der
Bindung an jeden Dritten, so daß die Verletzung Ehebruch
bedeutet.
2. Positive Wirkung: Die ehelichte Gemeinschaft, die
Gewaltunterworfenheit der Frau, Pflicht zum Zusammenleben,
Standesgleichheit und güterrechtliche Folgen.
Deutschrechtlich treten beide Wirkungen erst nacheinander ein. V. ist ein Versprechen, dem erst künftig die eheliche Lebensgemeinschaft folgt. V. ohne T. entbehrt der positiven Ehewirkungen; deshalb ist aber trotzdem die Verletzung der negativen Treuepflicht bereits Ehebruch.
Die Verlobung konnte einseitig nur als den gleichen Gründen aufgehoben werden wie die Ehe; sie ist nach Übereinkunft, wie auch die Ehe auflösbar, jedoch nur nach den gleichen Rechtssätzen wie diese. Deshalb begründet V. schon eheliches Verhältnis. Verlobung ist schon Eheschließung. Daher keine V. im heutigen Sinne als Versprechen künftiger Eheschließung. Daher werden nach dem Sprachgebrauch sowohl germanischer wie romanischer Völker die Verlobten bereits als Ehegatten bezeichnet.
Analoge Prinzipien zeigen sich in der Entwicklung des altdeutschen und altrömischen Sachenrechts im Verhältnis zum Kontraktsrecht. Im älteren Rechte begründet der Vertrag als Realvertrag bereits „Rechte zur Sache” (nicht nur obligatorische Ansprüche gegen den Partner). Die Auflassung als Hauptteil der sachenrechtlichen Investitur ist Besitzverzicht (resignatio), formale Besitzübertragung. Daher begründet schon Eheversprechen ein jus ad personam, aber erst T. ist Erfüllung des Gelöbnisses. T. ist Übergabe zur Heimführung, ist tatsächliche Besitzübertragung. Die durch V. geschlossene Ehe wird durch T. in Wirklichkeit gesetzt. V. ist Rechtsverhältnis, T. ist Tatverhältnis, Investitur, Auflassung mit positiven Ehewirkungen.
Mit der Abschwächung des Vormundschaftsgedankens tritt die Genossenschaft der Eheleute hervor, so im Freiburger
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Stadtrecht von 1120: omnis mulier viro parificabitur et e contra; von 1293: ein Wip ist genoze irs mannes, und der Man des Wipes.
Für das Eintretender güterrechtlichen Ehewirkung ist vielfach das Beilager oder eine gewisse Zeitdauer der ehelichen Gemeinschaft oder Nachkommenschaft als tatsächliche Voraussetzung gefordert.
„Das ganze deutsche Eherecht geht auf den Satz zurück, daß die Verlobung den einzigen Akt der Eheschließung darstellt” (S. 100).
T. folgt der V. nach. Seit dem 11. Jahrhundert erfolgt bei der T. ein wiederholender V.-Abschluß, um nach vollzogener Laientrauung eine nochmalige kirchliche Trauung zu empfangen. Daher weltliche Trauformeln in zwei Teilen, die irrtümlich zum Teil für Verlobungsformeln gehalten wurden. Die T. erfolgt mit Verlobungsteil und Trauungsteil. Es wird jedoch durch Wiederholung nur das rechtliche Dasein der früheren Verlobung konstatiert. Infolgedessen wurden jedoch zum Teil die spezifischen Symbole durcheinander geworfen und mißverstanden.
Von da aus entwickelt sich die form der kirchlichen Trauung. Das Ja der Brautleute bedeutet, daß der Verlobungswille (= Eheschließungswille) wiederholt wird, um klarzustellen, daß es ein Ehevertrag ist, der durch die Hingabe (T.) vollzogen wird. Daher weist die seit dem 13. Jahrhundert auftretende kirchliche Trauung bis heute Gebrauch der Verlobungsformen bei der Trauhandlung auf.
Daher enthält seit dem 11. Jahrhundert die Trauung zwei Handlungen: Verlobungsvertrag plus Trauung = Eheschließung und Vollzug. Der Tatbestand hat sich jedoch nicht geändert. Die V. als Bestandteil der T. ist nur deklaratorische Wiederholung der vorausgegangenen V. T. ist trotz dieser Doppelartigkeit nur T. Die deutsche Trauung ist nicht Schließung, sondern nur Vollziehung der schon geschlossenen Ehe.
IV.
Kanonisches Recht
Die Kirche hat vor allem die Geltendmachung der Ehehindernisse und der Unauflöslichkeit angestrebt, das weltliche Eheschließungsrecht dagegen übernommen. Dabei tritt jedoch eine spezifisch kirchliche Aufgabe hervor. Der Anfang der Ehe soll unter Gottes Wort gestellt und durch dieses geheiligt
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werden. Von diesem unveräußerlichen Standpunkt ist die Kirche von vornherein ausgegangen, wie bereits Kliefoth mit Recht behauptet, seit Ignatius und Tertullian habe keine christliche Kirche es anders gekannt, als daß die Ehe kirchlich eingesegnet werden müsse. Diese Einsegnung ist jedoch nicht kirchliche Schließung.
Das Eheschließungsrecht der alten Kirche war das römische. Es ist die Frage, ob die herrschende Meinung zutrifft, daß das kanonische Eheschließungsrecht des Mittelalters römisch-rechtlich ist. Das entscheidende Merkmal dafür ist die Stellung der V. im kanonischen Recht des Mittelalters.
Nach römischem Recht (corpus juris Justinians) wird die Ehe durch consensus nuptialis, d.h. Zusammenleben mit maritalis affectio geschlossen; es genügt also der bloße Wortconsensus nicht, sondern auch die Tatsächlichkeit des ehelichen Lebens wird erfordert. Consensus sponsalitius ist eine Übereinkunft über künftige Lebensgemeinschaft, aber noch keine Eheschließung. Der Verlobungswille ist der Gegensatz zum Eheschließungswillen. Die Verlobung wird nur von der Sitte, nicht vom Recht gefordert. Anders ist die Verlobung im kanonischen Recht des Mittelalters gestaltet. Hier gibt es zwei Verlobungsformen: 1. sponsalia de futuro, 2. sponsalia de praesenti. Angeblich ist die erstere die Verlobung des römischen Rechts, die letztere die Eheschließung des römischen Rechts; ursprünglich gibt es jedoch z.Zt. des römischen Rechts nur eine Verlobung, nämlich die römische Verlobung. Anders nimmt jedoch das Decretum Gratiani Stellung. Hier gibt es nur eine Verlobung, die jedoch deutschrechtlich verstanden wird.
„His omnibus auctoritatibus probantur isti desponsati esse coniuges (causa 27 qu. 2).”
Jedoch bestehen für Gratian Schwierigkeiten, da
1. nach Augustin und Leo I. die copula carnalis für das
Ehesakrament notwendig, die bei Verlobten fehlt,
2. Impotenz Verlöbnis, aber post copulam nicht Ehe aufhebt,
3. Heirat einer sponsa post mortem sponsi nicht irregulär macht,
während die Ehe mit einer Witwe irregulär macht,
4. Auflösung des Verlöbnisses keine Scheidung ist.
5. wegen Ehebruchs oder Entführung Verlobung im Gegensatz zur Ehe
a vinculo gelöst werden kann,
6. V. durch einseitiges Keuschheitsgelübde, Ehe nur durch
beiderseitiges getrennt werden kann.
Daher wird wiederum der Ehecharakter der Verlobung verneint. Die Auflösung des Gegensatzes erfolgt in folgender These:
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Sciendum est, quod conjugium desponsatione initiatur, commixtione perficitur. Unde inter sponsum et sponsam conjugium est, sed initiatum, inter copulatos est conjugium ratum.
Zu gleichem Ergebnis kommt der Magister Rolandus, nachmals Papst Alexander III. Daher gibt es jetzt zwei wesentliche Vorgänge: Verlobung und Beilager. Letzteres ist nicht Eheschließung, sondern Vollendung der Wirkungen der Ehe (perfectio matrimonii). Das gilt noch heute auf Grund der Regelung des Tridentinischen Conzils. Römisch-rechtlich ist die Verlobung für die Ehe gleichgültig, kanonisch ist sie konstituierend. Keine Ehe ohne Verlobung, da nur Verlobung Eheschließung ist.
Kanonisch und deutschrechtlich schließt der consensus de futuro den consensus de praesenti in sich. Das kanonische Recht ist also deutschrechtlich. Nur reine sponsalia de futuro, welche die sponsalia de praesenti nicht enthalten, sind löslich.
Durch romanistischen und gallikanischen Einfluß wird die Unterscheidung von sponsalia de futuro und sponsalia de praesenti in diese Rechtslage hineingetragen, so durch Papst Alexander III. in späterer Entwicklung. Durch Vermischung romanistischer und germanistischer Grundsätze tritt Verwirrung ein, da die Unterscheidung des jeweils vorliegenden Erklärungsinhalts schwierig ist. Hieraus ergibt sich eine Willkür der geistlichen Gerichte. Praktisch war gerade in der deutschen Sprache die für den Inhalt entscheidende Zeitform in der Formel ununterscheidbar. Aus dieser Verwirrung erklärt sich die heftige Kritik Luthers an der Praxis der geistlichen Gerichte. Infolge der Unterscheidungsschwierigkeiten begründete das Beilager die unwiderlegliche Rechtsvermutung des Eheschlusses bei vorausgegangener Verlobung ohne Rücksicht auf dessen Erklärungsinhalt. Das Beilager ist aber immer nur Vollziehung der Sponsalien. Sponsalia de futuro sunt in pedenti; die copula hebt das Schweben der Bedingung auf. Im Endergebnis ist also trotz des romanistisch-gallikanischen Einflusses die römische Unterscheidung nicht rezipiert worden. Die deutschrechtlichen Verlobungsformen sind im kanonischen Recht nur abgeschwächt. Trotz des häufigen Zitats galt nicht der römische Satz „consensus facit nuptias”, sondern der allgemeine kanonische Satz „pacta sunt servanda”. Hierdurch trat ein Widerspruch zwischen den weltlichen Eheschließungsformen und dem formlosen kanonischen Abschluß durch bloße Erklärung auf (matrimonium non legitimum, sed ratum). Zugleich wirkt jedoch die Abschwächung der weltlichen Formerfordernisse in gleicher Richtung.
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Die kanonische Trauung ist folgendermaßen aufgebaut: Auf die desponsatio folgt suo tempore das dare sponsam a proximis. Verlobung ist traditio prima, Trauung ist traditio secunda. An das letztere knüpft sich die kirchliche Feier (vgl. Teil V). Aus dogmatischen Gründen wirkt jedoch wegen des Sakramentscharakters der Ehe nicht die Trauung, sondern die copula ehekonsummierend (una caro). Konstituierend sind also nur Verlobung und copula. Die Bedeutung der Trauung tritt schließlich zurück. Insoweit ist also schließlich die Trauung im kanonischen Recht untergegangen: sie ist weder Eheschließung, noch Ehevollzug.
V.
Die kirchliche Handlung im Mittelalter
Nur ausnahmsweise findet eine Mitwirkung der Kirche bei der
Verlobung statt. Vielmehr schloß sich die kirchliche Handlung an
die Trauung an. Der Trauungstag sollte öffentlich, d.h.
kirchlich, und damit auch beweisbar begangen werden. Die
benedictio verbindet sich mit der traditio, nicht mit der
Verlobung. Nicht das Rechtsgeschäft, sondern das eheliche Leben
sollte durch die Handlung der Kirche ihre Weihe empfangen. Die
Kirche wollte nicht helfen, die Ehe zu schließen, sondern sie mit
dem Worte Gottes anzufangen. Altkirchlich fand keine
Trauungszeremonie statt, sondern nur ein Kirchgang der
Neuvermählten, dann die Brautmesse, also weder Schließung noch
Vollziehung. Daher sind zu Beginn des Mittelalters zwei getrennte
Akte vorhanden:
1. Trauung (vormundschaftlich, außerhalb der Kirche).
2. Brautmesse mit Segnung und Communion, aber ohne
Eheconsenserklärung, ohne Zusammengeben.
Die Kirche versucht, beides näher zu verbinden. Nunmehr erfolgt vor der Kirche in Gegenwart des Geistlichen Trauung (weltlich); in der Kirche Brautmesse und Segnung (geistlich).
Beides ist verschieden, aber zusammengehörig. Diese Form ist schon im 11. Jahrhundert nachweisbar, ferner bei Gratian, Petrus Lombardus, Corrector Burchardi usw. Infolge der Umgestaltung des weltlichen Rechtes aus der Geschlechtsvormundschaft in die gekorene Vormundschaft zur Trauung kann die Kirche in die Trauung eintreten. Vom 13. Jahrhundert ab gibt es eine Laientrauung und gleichzeitig immer wiederholte kirchliche Verbote derselben. Die Trauung durch den Geistlichen
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ist ein weltlicher Akt, der von der Familie auf die Kirche übergegangen ist. Vom 13. bis 16. Jahrhundert erfolgt die Trauung durch den Geistlichen vor der Kirchentür: „solemnisatio matrimonii in facie ecclesiae”. Die Trauung bleibt auch bei Vollzug durch den Geistlichen außerkirchlicher Akt. Das Zusammenfügen der Hände ist der Rest der realen Übergabe. Damit stimmt Luthers Traubüchlein völlig überein:
„1. Für der Kirchen trauen:
Hans, wilt du Greten zum ehelichen Gemahl haben? usw. Hie lasse
sie die Trauringe einander geben und füge ihre Hände zusammen und
spreche: Was Gott zusammengefügt . . .
Danach vor allen: Weil Hans und Grete einander zur Ehe begehren
und vor Gott und der Welt solches bekennen, darauf sie Hände und
Ringe gegeben haben, so spreche ich sie ehelich zusammen in
nomine trinitatis.
2. Für dem Altar über Bräutigam und Braut Gottes Wort.”
Es folgen Schriftstellen und Benediction.
Der Kirchgang folgt also nach der Trauung. Erst im Laufe des 16. Jahrhunderts ist die Trauung eine Handlung in der Kirche geworden. Reste des alten Zustandes finden sich bis ins 17. Jahrhundert. Dieser wird auch darin sichtbar, daß in der katholischen Kirche eine doppelte Segnung stattfindet, nämlich nach dem Consens und in der Brautmesse. Der geistliche Charakter tritt immer mehr hervor, die rechtliche Gewaltausübung tritt zurück; aus der vormundschaftlichen wird geistliche Funktion; daher erfolgt auch Trauung beider, ferner größeres Gewicht auf Consenserklärung vor dem Geistlichen. Seine Trauworte werden zur Antwort auf Consenserklärung, zu deren Beglaubigung und Bestätigung. Das „ego conjungo vos” verwandelt sich in „ego confirmo”. Die Handlung tendiert zum accessorischen, declaratorischen Akt. Die Kirche hielt seit der zweiten Hälfte des Mittelalters darauf, nämlich seit der Theorie von den sponsalia de praesenti, daß bei der Trauung eine Handlung vorkomme, welche das Vorhandensein einer gültigen Ehe außer Zweifel setzte. Die kirchliche Handlung beginnt sich aus einer kirchlichen T. in eine kirchliche V. zu verwandeln. Trotzdem war am Ende des Mittelalters der Consens vor dem Priester nur Wiederholung schon vorher geschlossener sponsalia de praesenti! Hinzu tritt die priesterliche Ehebestätigung = Trauung! (copulatio per sacerdotem).
Zusammenfassung:
Der Kirchgang der Eheleute mit Benedictio ist von den frühesten
Zeiten als Volks- und Kirchensitte vorhanden. Ein
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capitulare Karls des Großen von 802 schreibt exquisitio consanguinitatis, nämlich die Ermittlung von Ehehindernissen, Aufgebot vor. Erst danach sollte die Segnung stattfinden. Diese war jedenfalls ganz allgemein und selbstverständlich. Daraus ist die Leichtigkeit des Einrückens der Kirche in das Treuhänderamt zu erklären. Trotzdem war die kirchliche Trauung nur Sitte, aber nicht kanonisch zwingendes Recht. Die kanonische Theorie Alexanders III. und Innocenz’ III. ignoriert sie. Das Verbot der Laientrauung war nur particularrechtlich; trotzdem war die Sitte der kirchlichen Trauung allgemein. Jedenfalls ist in der zweiten Hälfte des Mittelalters die kirchliche Trauung nicht Eheschließung, sondern kirchlicher Vollzug der schon geschlossenen Ehe.
VI.
Tridentinisches Conzil
Da die Verlöbnisse formlos gültig waren, entzogen sie sich der Öffentlichkeit und Feststellung, zumal die Trauung zur Rechtswirksamkeit nicht erforderlich war, sobald das Consensprinzip naturrechtlich anerkannt war. Dadurch traten die von Luther beschriebenen Schwierigkeiten auf. Auch bei der kirchlichen Trauung war nicht unbedingt sicher, daß eine gültige Verlobung vorausgegangen war. Die Beschlüsse von Trient sind die ersten Eingriffe der Kirche in das Eheschließungsrecht und nur aus dem vorher Entwickelten verständlich. Nunmehr wird Trauung zur Eheschließungshandlung. Deshalb darf sie auch nur coram parocho proprio vorgenommen werden.
„Si nullum legitimum opponatur impedimentum, ad celebrationem matrimonii in facie ecclesiae procedatur, ubi parochus, viro et muliere interrogatis, et eorum mutuo consensu intellecto, vel dicat: ego vos in matrimonium conjungo in nomine pp., vel aliis utatur verbis, juxta receptum uniuscuiusque provinciae ritum.”
Die Worte des Priesters sind dem Konzil gleichgültig, deshalb auch, ob durch ihn die Trauung erfolgt. Daraus ist auch die Nichtigkeitsvorschrift zu verstehen:
„Qui aliter quam praesente parocho vel alio sacerdote de ipsius parochi seu ordinarii licentia, et duobus vel tribus testibus matrimonium contrahere attentabunt, eos sancta synodus ad sic contrahendum omnino inhabiles reddit, et hujusmodi contractus irritos et nullos esse decernit pp.”
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Also nur vor dem Priester, nicht durch ihn, wird die Ehe geschlossen. Der Priester ist nur Zeuge. Das Tridentinum hat daher die Trauung aufgegeben; nur die Trauungsformen blieben. Relevant ist nur noch die Verlobungshandlung der Brautleute. Der Grundgedanke ist immer noch deutschrechtlich: Trauung ist nicht Eheschließung. Weil die kirchliche Handlung aus Gründen der Sicherheit und Oeffentlichkeit Eheschließung werden soll, wird sie in eine Verlobungshandlung unter Zeugenschaftlicher Assistenz der Kirche verwandelt. An die Stelle der kirchlichen Trauung tritt eine kirchlich sollennisierte Verlobung. Daher konnten aber auch sponsalia de futuro durch copula carnalis nicht mehr zur Ehe werden, sondern nur durch formgenügende sponsalia de praesenti coram parocho. Auf diesem Umweg wurde die romanistische Unterscheidung zwischen sponsalia de futuro et de praesenti durchgesetzt. Trotzdem blieb die Regelung immer noch deutschrechtlich. Der Consens, also die Verlobung war allein rechtswirksam. Die Consummierung durch copula carnalis war erforderlich, um die Ehe unlöslich zu machen. Das römische Verlöbnisrecht ist nur für das formlose Verlöbnis rezipiert, das tridentinische Eheschließungsrecht ist fortentwickeltes deutsches Eheschließungsrecht.
VII.
Die evangelische Kirche im 16. und 17. Jahrhundert
Da das Tridentinum für sie nicht galt, blieb das mittelalterliche
Eheschließungsrecht für sie in Geltung. Bis zum 18. Jahrhundert
wurde die Ehe durch Verlöbnis geschlossen. So sagt Luther in
seiner Schrift „von Ehesachen” (1530): „Wenns bei schlichtem
Verlöbnis bleibt, so ist bald geurteilt, daß hernach kein ander
Verlöbnis gelten soll, denn es ist eine rechte Ehe für Gott und
der Welt.”
„Denn wir droben gehört haben, daß eine öffentlich verlobte Dirn
heiße eine Ehefrau, und daß ein solch öffentlich Verlöbnis, wo es
frei und rein ist von anderen zuvor beschlafen Dirn, stifte eine
rechte redliche Ehe, darumb so ist er auch gewißlich ein rechter
Ehemann, . . . so ist er seines Leibes nicht mächtig, und kann
kein ander berühren ohne Ehebruch.” (Erlanger Ausgabe 23, 120,
129.)
Mit jedem Verlöbnis ist die Ehewirkung verbunden, so Goslarer Konsistorialordnung 1555, Emdener Synode 1571, Rostocker Urteil von 1597, Wittenberger Gutachten und Urteil
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aus dem 16. Jahrhundert. Luther trat in der erwähnten Schrift für die Beseitung jeder Unterscheidung von sponsalia de futuro und de praesenti ein, so daß jedes Verlöbnis Ehewirkungen hat, sofern nicht ausdrücklich ein Vorbehalt gemacht wird. Durch ein unbedingtes Verlöbnis wird die Ehe geschlossen; ein bedingtes Verlöbnis wird durch Consummierung zur Ehe. Luthers Lehre ist nur eine unveränderte Wiedergabe des deutschen Verlobungsrechts, eigentlich sogar nur des schärfer gefaßten kanonischen Sponsalienrechtes. Er hat die Identität der sponsalia de praesenti und de futuro aufgedeckt.
Daneben besteht aus den gleichen Gründen wie in der katholischen
Kirche die Tendenz zur Formalisierung der Verlobung, um die
Öffentlichkeit zu sichern. In der Schrift von „Ehesachen” besteht
keine Klarheit, was zu fordern sei; die Kirchenordnungen
verhalten sich unterschiedlich (Consens der Eltern, Zuziehung
ehrlicher Zeugen, kirchlicher Abschluß). Auch die Rechtsfolgen
werden unterschiedlich beurteilt: bald wird Nichtigkeit, bald
bloße Strafbarkeit angenommen. Jedoch hat dies geringe Bedeutung,
da nach der Rechtsprechung ein heimliches, formloses Verlöbnis
bei Vorliegen der copula als volle Ehe angesehen wird. Immer noch
wird das Verlöbnis als ehebegründend angesehen, aber nicht mehr
vollständig. „Wenn gleich die Ehe abgeredet, auch per verba de
praesenti, so ist es doch keine rechte, noch vollkommliche Ehe”
(Frankfurter Reformation). „Nach beschehener Eeverlobung und doch
züvor Ee” (Württembergische Kirchenordnung von 1537). Die
consummatio der Ehe wird zunächst auf Grund kanonistischer
Gedanken in der copula carnalis gesehen. Nunmehr zeigt sich
jedoch die Tendenz, der Trauung ihre Bedeutung zurückzugeben. Die
kirchliche Trauungshandlung enthält jetzt zweierlei:
1. Bezeugung und Bestätigung der Ehe durch die Erklärung der
Eheleute selbst.
2. Zusammensprechen durch den Pfarrer (Trauung).
(Bullinger, Schrift vom christlichen Ehestand, Luther
Traubüchlein.) In manchen Gebieten tritt an die Stelle des
Zusammengebens ein Bestätigen. Jedoch ist der Grundgedanke der
gleiche. Bei der Bestätigung ist wie im Tridentinum die Tendenz
zur passiven Assistenz vorhanden, aber es bleibt doch noch die
aktive Assistenz erhalten. Die lutherische Form des
Zusammengebens ist ungebrochen deutschrechtlich, sie ist
Trauungshandlung mit Trauungsform. Die Trauung ist nach wie vor
Vollziehung der Ehe (Beginn des ehelichen Lebens). Die kirchliche
Trauung wird Erfordernis, aber nicht weil sie zur Eheschließung
nötig ist, sondern nur zur Vollziehung.
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Umgekehrt erfolgt daher ein Verbot des Beischlafs vor der kirchlichen Trauung. Dieser ist strafbar, aber keine Unzucht, da sie Eheleute sind; also nur kirchliche Disziplinarvorschrift. Erst jetzt tritt anstelle des Zwanges zur Annahme der Braut Zwang zur Trauung, so in verschiedenen Kirchenordnungen. Daneben kommt aber immer noch die Laientrauung vor, so daß kirchlich entweder Trauung und Benediction, oder nur Benediction nach vollzogener Laientrauung erfolgt. (Luthers Traubüchlein, Erlanger Ausgabe 23, S. 209.) Daneben steht weiter noch als anerkannt consummierend die copula carnalis. Der Normalfall ist jedoch die Trauung.
Abschließend und maßgeblich für das evangelische
Eheschließungsrecht wird Benedict Carpzow (gest. 1666):
Durch sponsalia de praesenti (V.) est matrimonium inchoatum,
licet nondum benedictione sacerdotali et copula consummatum.
Verlobung und consummierte Ehe unterscheiden sich wie pactum et promissio a traditione et possessione, wie spes rei a re ipsa.
Copula carnalis erfordert im 17. Jahrhundert allgemein Ergänzung durch nachfolgende Trauung. Erst das Eindringen des römischen Rechts im 18. Jahrhundert wirft diese Entwicklung aus der Bahn.
VIII.
Die Rezeption des römischen Rechtes
Die naturrechtliche Jurisprudenz entlehnte ihre vermeintlich zeitlos gültigen Sätze in Wirklichkeit dem römischen Recht. Man ging aus von der Interpretation des Willensinhalts der sponsalia de praesenti und meinte in der Erklärung des Trauconsensus einen anderen Inhalt finden zu müssen als in der Erklärung des Verlobungsconsensus. Zugleich interpretierte man die vollziehende copula als implizite Willenserklärung. Jetzt wurde die Verlobung nur ein obligatorisches Versprechen ohne Realcharakter, die Trauung die Erfüllung des Versprechens. Der Kontrakt erschien nur als Verpflichtungsgrund, nicht als Erwerbsgrund. Dies zeigt die Ersetzung deutschrechtlicher Vorstellung durch römischrechtliche. So Pufendorf „de jure naturae et gentium”, Böhmer „jus ecclesiasticum Protestantium.” Böhmer versteht daher nunmehr die sponsalia de futuro im Sinne der römischrechtlichen Verlobung als Versprechen künftiger Eheschließung; die sponsalia de praesenti
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enthalten in re den consensus matrimonialis, der bei der kirchlichen Trauung nur in feierlicherer Form erklärt wird. Die sponsalia de praesenti sind ein formloser bürgerlicher Vertrag, die Trauung dasselbe mit kirchlicher Feierlichkeit.
„Non repetam vulgatum errorem sponsalia talia pura jam ipsum esse matrimonium. Puella quae in sponsalia consentit, sponsalitium consensum edit, non matrimonialem, quem demum publice coram parocho in ecclesia declarat.” Trotzdem ließ Böhmer, inconsequent auf Grund der älteren Entwicklung die copula die Ehewirkung hervorbringen. Nach Böhmer ist auch die Trauung nicht im Sinne des tridentinischen Conzils consensus vor dem Parochus. Vielmehr erklärt er die Handlung des Geistlichen für rechtlich unentbehrlich. „Neque solus consensus matrimonialis constituit matrimonium, neque sola benedictio sacerdotalis ad praecedentem proclamationem facta, sed utrumque concurrere debet.” Die Trauformel ist aber nur eine Publikationsformel für den Eheconsens, und die spezifische geistliche Handlung ist nur Gebet und Segnung. Darin liegt jedoch ein Widerspruch zum eigenen Lehre Böhmers von der rechtlichen Unentbehrlichkeit der geistlichen Handlung. Denn nach seiner Lehre wird die Eheschließung jetzt erst durch den Geistlichen perficiert.
Die katholische Regelung bedeutet einen kirchlich solennisierten Consens. Da aber die Benediction nicht bedingt erteilt werden kann — (nur Wille, nicht die Tat kann in suspenso bleiben) — ist die Benedictio eine Tat des Geistlichen, also Trauung. Es gibt keine bedingte Trauung. Die katholische Kirche kennt eine bedingte Eheschließung, die evangelische jedoch nicht. Die katholische Eheschließung wird durch Rechtsgeschäft, die evangelische durch Übergabe (Trauung) durch Geistlichen vollzogen. Die evangelische Trauung hat also den deutschrechtlichen Charakter behalten, ist Trauung geblieben.
Der Entwurf des corpus juris Fridericianum (Verfasser der
Großkanzler Cocceji) enthält zum gleichen Gegenstande folgende
Formulierung:
1. Eheverlöbnisse (sponsalia) sind eine Abredung einer
zukünftigen Heyrath.
2. Dergleichen . . . ist nicht die Ehe selbst, wenn das
Eheversprechen auch schon verbis de praesenti geschieht . . . .
denn so lange die benedictio sacerdotalis oder copula carnalis
nicht dazu kommt, sind und bleiben es sponsalia de futuro. Daher
Unterschied zwischen sponsalia de praesenti et de futuro
gäntzlich aufgehoben wird.
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3. Wenn zu der öffentlichen Verlobung eine fleischliche Vermischung dazu kommt, so ist die Ehe vollzogen, ob schon keine Proklamation oder priesterliche Copulation erfolgt. (Jedoch sollen die güterrechtlichen Folgen nicht eintreten.)
Böhmer hat aus der Unterscheidung von consensus sponsalitius und matrimonialis die Folgerungen für das Verlöbnisrecht gezogen und consequent romanistisch ausgeführt. Infolge Unverbindlichkeit der Verlobung wirkt die copula nicht mehr consummierend; Brautkinder sind nicht mehr ehelich. Nunmehr tritt die Trauung an die Stelle der Verlobung als Eheschließung.
Der Satz „consensus facit nuptias” hat in Deutschland niemals Gültigkeit besessen. In der evangelischen Kirche wurde nicht das römische Eheschließungsrecht, sondern das römische Verlöbnisrecht recipiert. Die Trauung wird Eheschließung, die copula wird irrelevant. In der Trauung ist jetzt Rechtsverhältnis und Tatverhältnis zugleich enthalten. Sie ist dazu nicht durch staatliche Satzung, sondern durch Rechtsentwicklung geworden. In der römischen Kirche ist die deutsche Trauung, in der evangelischen Kirche die deutsche Verlobung verloren gegangen. Der nach deutschem Recht notwendige Dualismus ist zerstört. Die kirchliche Verlobung hat in der katholischen Kirche die Funktion der Trauung, die kirchliche Trauung hat in der evangelischen Kirche die Funktion der Verlobung überkommen. Die Reception hat zu einer Kombination des römischen und deutschen Eherechts geführt.
IX.
Zivilehe und kirchliche Trauung
Durch die obligatorische Zivilehe wird der kirchlichen Trauung die Funktion der Eheschließung genommen. Sie hat dadurch nichts von dem eingebüßt, was sie bis zum 18. Jahrhundert besaß. Denn die Trauung ist bis dahin niemals Eheschließung gewesen. Der Akt vor dem Standesamt ist ein doppelter: Consenserklärung und Ausspruch des Standesbeamten über den Eintritt der Ehewirkung. Letzteres ist nur declaratorisch. Die Wirkung tritt kraft Gesetzes ein, also ist die Erklärung des Beamten accessorische Solennisierung; er tritt in die Rolle des Fürsprechers ein. Daher ist eine Eheschließung vor dem Standesbeamten, nicht durch ihn, also durchaus analog zu den tridentinischen sponsalia de praesenti coram parocho et duobus testibus. Es ist daher keine Trauung, sondern ein
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Rechtsgeschäft, das sachlich der Verlobung entspricht. Der Beamte konstatiert nur das Vorhandensein des ehelichen Bandes, und gibt die Brautleute nicht zusammen. Verheiratet, aber nicht vereinigt verläßt das Paar das Amt.
Gegenüber diesem Sachverhalt ist § 82 des Personenstandsgesetzes (Kaiserparagraph) nicht belanglos. Er ist vielmehr ein Auslegungsrechtsatz. So wenig die Eintragung einer Geburt eine Taufe ist, so wenig ist eine bürgerliche Eheschließung eine Trauung. Es ist nicht nur keine kirchliche Trauung, sondern überhaupt keine Trauung.
Vom Standpunkt der evangelischen Kirche ist durch die Zivilrechtsgesetzgebung ihr ursprünglicher Standpunkt wieder hergestellt. Auf die außerkirchliche Eheschließung folgt die kirchliche Trauung. Deshalb kann sie sich nicht nach den Anordnungen des Evangelischen Oberkirchenrats der altpreußischen Union auf eine Segnung beschränken. Als echte Trauung muß sei einen Gegensatz zur bloßen Segnung und Eheschließung bilden. Trauung ist die Initiation der Ehe überhaupt, nicht nur einer unklar so verstandenen „christlichen” Ehe. Der frühere Dualismus ist wieder hergestellt, jedoch mit dem Unterschied, daß der Trauakt jetzt rechtlich irrelevant ist. Jedenfalls ist daher das Zusammensprechen beizubehalten; es ist nicht nur declaratorisch, sondern eine selbständige, die Tatsächlichkeit der Ehe herbeiführende Handlung des Geistlichen. Dies entspricht dem Wittenberger Gutachten des 16. Jahrhunderts, „das für Beginn des Zusammenlebens nach Verlöbnus, aber vor der Trauung in Rechten kein Straf geordnet, aber solchs wider christliche Zucht desgleichen wider gewöhnlichen christlichen Brauch der Copulation, sintemal der Ehestand unbeflecket und ohne Ärgernus angefangen werden soll.”
Deshalb ist auch falsch eine Formel, die zu christlichen Eheleuten zusammenspricht. Die kirchliche Trauung ist nicht aus göttlichem, sondern aus menschlichem Recht. Sie darf als ein echtes, von der Kirche erworbenes geschichtliches Gut nicht aufgegeben werden. Der Ehemann will seine Frau nicht nur zur Kirche führen, sondern sie aus der Hand der Kirche im Namen Gottes entgegennehmen.
(Es folgen noch Auseinandersetzungen mit zeitbedingten Stellungnahmen des Evangelischen Oberkirchenrats, die für die Gegenwart ohne Interesse sind.)