Vorwort
1953
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Von der Neuordnung des Ehe- und Familienrechts her, welche auf Grund des Art. 3, Abs. 2 des Bonner Grundgesetz notwendig geworden ist, wird eine Änderung des bisher geltenden Eheschließungsrechtes nicht gefordert. Der dem Bundestag im Jahre 1952 zugeleitete „Familienrechtsgesetzentwurf” enthält dementsprechend keine Bestimmung, die das Eheschließungsrecht ändert. Vielmehr hält er in § 1314 — sogar mit einer formalen Verschärfung — die vor dem Standesbeamten zu schließende obligatorische Zivilehe aufrecht. Aber gerade gegen diesen Paragraphen wird voraussichtlich bei der Wiederaufnahme des gesetzgeberischen Arbeit im neuen Bundestag sich starker Widerstand erheben. Es ist bekannt, daß die römisch-katholische Kirche die Abschaffung der obligatorischen Zivilehe fordert, wie sie im Deutschen Reich auf Grund des Gesetzes von 6. Februar 1875 seit dem 1. Januar 1876 gültige Ordnung ist. Schon in dem Anfang des Jahres 1952 erschienenen Buch von Prof. Dr. F.W. Bosch, Bonn, „Eherechtsreform” war diese Forderung geltende gemacht und eingehend die Möglichkeiten einer Neuordnung erörtert worden. Anfang 1953 ist dann ein amtlicher Schritt des katholischen Episkopats erfolgt. Am 6. Februar dieses Jahres wurde dem Bundestagspräsidenten Dr. Hermann Ehlers eine Denkschrift der Fuldaer Bischofskonferenz zum Familienrechtsgesetzentwurf überreicht, in der vorgeschlagen wird, den Zwang zur zivilen Eheschließung zu ersetzen durch die freie Wahl zwischen kirchlicher Eheschließung mit bürgerlicher Rechtswirkung einerseits und der dann freiwillig gewordenen bürgerlichen Eheschließung andererseits.
Bei dieser Lage der Dinge ist die Evangelische Kirche vor die Aufgabe gestellt, ihre bisherige Stellung zur obligatorischen Zivilehe grundsätzlich zu überprüfen. Dabei steht es ja keineswegs so, daß die evangelische Kirche jemals kirchenamtlich eine grundsätzliche Bejahung der obligatorischen Zivilehe ausgesprochen hätte. Vielmehr hat es auch auf evangelischer Seite an Einspruch und Widerstand gegen die Neuordnung von 1876 nicht gefehlt, und dieser war schließlich nur praktisch verstummt, aber nicht grundsätzlich aufgegeben worden. Auch war man in den letzten Jahren auf evangelischer Seite schon vor Bekanntwerden der katholischen Absichten auf diese immer noch ungelöste Aufgabe gestoßen, besonders bei dem von Seiten der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands stark einsetzenden Bemühen um eine Revision der bisher geltenden kirchlichen Trauformulare. Es zeigte sich, daß diese fast ausnahmslos der geltenden Ordnung der obligatorischen Zivilehe nicht oder doch nur sehr von ungefähr entsprachen. Sie stellten und stellen also, wenn nicht absichtlich, so doch faktisch einen Einspruch
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gegen diese Ordnung dar. Die Fortdauer dieses Zustandes ist, zumal im Zeitalter liturgischer Neubesinnung, nicht länger zu verantworten. Die evangelische Kirche ist also auch ganz unabhängig von den katholischen Bestrebungen genötigt, sich die Frage vorzulegen, wie es mit ihrer bisherigen Stellung zur obligatorischen Zivilehe grundsätzlich bestellt ist und ob sie aus theologisch verpflichtenden neugewonnenen Einsichten und Erkenntnissen heraus gegründeten Anlaß hat, ihre bisherige praktische Einstellung zu dieser Frage zu überprüfen.
Die Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland hatte zunächst nur die Aufgabe, die Stellung der Evangelischen Kirche zur Abänderung des Ehe- und Familienrechts auf Grund des Art. 3, 2 GG (Familienrechtsentwurf) vorzubereiten; sie erhielt jedoch bereits vor mehreren Monaten den Auftrag, ihre Arbeit auf die Probleme des Eheschießungsrechtes auszudehnen. Sie hat die Pause, die seit 1. April dieses Jahres in der gesetzgeberischen Arbeit des Bundestags an diesem Entwurf entstand, dazu benutzt, diese neuen Fragen in Angriff zu nehmen. Die Erwartung, daß diese sich in historischer und systematischer Hinsicht als verwickelt erweisen würden, hat sich gleich nach Beginn der Arbeit über das geahnte Maß hinaus bestätigt. Es erwies sich nicht nur, daß die Geschichte der Eheschließung in christlichem Bereich unter außerordentlich mannigfaltigen Einwirkungen gestanden hat und daß infolgedessen sich frühzeitig Verschlingungen ergaben, die schwer aufhellbar sind. Es ergab sich vielmehr auch, daß eine systematische Analyse sowohl des Aktes der bürgerlichen Eheschließung nach geltendem Recht, wie auch der gegenwärtigen kirchlichen Trauung selbst unumgänglich ist, da in Bezug auf ihr eigentliches Wesen ein übereinstimmendes und überzeugendes Verständnis nicht besteht.
In dem vorliegenden Bande werden eine Anzahl von Arbeiten vorgelegt, welche die Unterlage für die beiden letzten Beratung der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland bildeten. Ihre Veröffentlichung erfolgt im Benehmen und mit der Zustimmung der Eherechtskommission. Doch muß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß es sich nur um Materialien für die weitere Urteilsbildung handelt und daß für jeden einzelnen Beitrag nur der Verfasser persönlich verantwortlich ist.
Hemer—Münster, im Oktober 1953.
Friedrich Karl Schumann.