Schmidt, K.D.

Neuere Arbeiten zur Geschichte der Eheschließung im Mittelalter

1953

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Neuere Arbeiten zur Geschichte der Eheschließung im Mittelalter

 

von Kurt Dietrich Schmidt

 

Dr. Dombois hat ausführlich Rudolf Sohm’s Buch „Das Recht der Eheschließung” geschildert; auch aus gutem Grund, denn es bestimmt die meisten Darstellungen, die seitdem erschienen sind. Aber es darf nicht übersehen werden, daß inzwischen Werke verfaßt sind, die im Ganzen wie vor allem im Einzelnen ein anderes Bild nahelegen. Über einige wichtige soll deshalb hier noch kurz berichtet werden, freilich nur durch Wiedergabe der Ergebnisse, nicht des Beweismaterials. Letzteres muß betont werden. Aber es sei zugleich gesagt, daß der Berichterstatter nur solche Thesen in den Bericht aufgenommen hat, die aus primären Quellen belegt waren. Im übrigen muß für die Beweisführung auf die Werke selbst verwiesen werden.

Otto Opet untersuchte 1910 „Brauttradition und Konsensgespräch in mittelalterlichen Trauungsritualien”. Schon deswegen, weil er die Ritualien in den Vordergrund rückte, ist sein Buch für Theologen interessant. Es beginnt zwar mit einem ausführlichen Referat über Sohm und Sohm’s Kritiker, bietet dann aber eine eigene Durchleuchtung der Quellen. Das Ergebnis ist: In den Ritualen finden sich zwei Gruppen. Die erste ist rein religiösen Inhalts, wie Opet sagt: sie beschränkt das Tun der Kirche auf die Spendung der Benediktion. So vor allem die älteren Sakramentarien, das Leonianum, das Gelasianum, das Gregorianum. Die zweite Gruppe der Rituale schreibt dem Priester eine ziemlich weitgehende Teilnahme an den Förmlichkeiten der Eheschließung zu: er vollzieht die Brauttradition, er führt das Konsensgespräch, er läßt die Braut beringen, er stellt das Vorhandensein einer dos der Braut fest. Die Frage ist, welchen Sinn all diese Formen haben, woher sie stammen und wie sie dem Priester zugeflossen sind.

1. Völlig geklärt ist nach Opet die Herkunft der dos. Sie ist nicht Relikt einer früheren germanischen Kaufehe, sondern römisch-rechtlichen Ursprungs. Eine Novelle Majorians (6 § 9) hat nämlich die Bestellung einer dos zum Wesensbestandteil der Ehe gemacht. Staatsrechtlich hat diese Bestimmung nur kurze Zeit Geltung gehabt; sie wurde schon 463 wieder

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aufgehoben. Trotzdem hat sie große geschichtliche Bedeutung erlangt, weil die Kirche diese Forderung übernommen und beibehalten hat. So wird zugleich verständlich, daß der Geistliche sich des Vorhandenseins der dos vergewissert und ihre rechtliche Gültigkeit prüft.
Aber die dos wurde sachlich bedeutungslos, als die Gütergemeinschaft durchgeführt wurde. So verzichteten die spätmittelalterlichen Rituale auf diesen Teil des Formulars.

2. Ebenso klar ist wohl auch die Frage nach der Herkunft der Beringung zu beantworten. Es war antike Sitte, die Braut zu beringen, was als Versiegelung der Ehe galt. Die Sitte ist schon früh von germanischen Stämmen, die auf römischen Boden übersiedelten, übernommen worden. Die Kirche wertete den Ring als ein Symbol der Treue. Schon im 10. Jahrhundert ist die Beringung auch, nach Ausweis des Briefes von Papst Nikolaus I. an die Bulgaren, ein Teil des kirchlichen Ritus. Der Geistliche vergewissert sich vor Erteilung der Benediktion des Vorhandenseins der Ehe; so fragt er nach der Beringung. Nach anderen Ritualen nimmt er durch Überreichung des Ringes sogar aktiv an der Beringung teil; einige lassen sie sogar durch ihn vollziehen. Damit aber bekommt der Geistliche einen Anteil an der öffentlichen Eheschließungsform.

3. Schwierig ist die Frage nach der traditio puellae, d.h. der Tradierung der Braut an den Bräutigam durch den Priester — nur soweit interessiert sie uns hier. Schon die Quellenlage ist kompliziert. Opet unterscheidet vier Gruppen, nämlich
a) Rituale mit geistlicher Brauttradition. Bezeichnend ist etwa das von Lyon: accipiens eam per manum reddat viro dicens: accipe eam in nomine patris etc.

Wichtiger für die die Gegenwart beschäftigenden Fragen ist wohl noch das von Rouen au dem 13. Jahrhundert, in dem es heißt: Tunc (scil. nach dem Konsensgespräch) sacerdos det eam viro, dicens verbis latinis „Et ego coniungo vos in nomine Patris etc.” Das heißt, die traditio hat die coniunctio zur Folge. Spätere Formulare beschränken sich dann sogar auf die Konjunktionsformel: ego coniungo vos. Die Konjunktion, die die meisten evangelischen Agenden ja heute noch enthalten und die die seit dem 17. Jahrhundert übliche Auffassung, daß sie das Ehe konstituierende Element sei, ja erst möglich gemacht hat, stammt also historisch aus der Brauttradition. Deutsch lautet die Formel entweder: „ich gebe euch zusammen” oder „ich spreche euch zusammen”. So Luther.

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b) Historische Berichte über geistliche Brauttradition oder deren ausnahmsweises Unterbleiben. Sie besagen inhaltlich dasselbe. Das tun auch
c) poetische Schilderungen;
d) direkte Rechtsquellen. Sie liegen erst seit dem 15. Jahrhundert vor und beinhalten das Zusammengeben der Verlobten durch den Priester.

Zusammenfassend stellt Opet fest: Die geistliche Brauttradition ist seit dem 12. Jahrhundert zeitlich ununterbrochen für Frankreich, England, Deutschland, Italien bezeugt. Woher kommt sie, was bedeutet sie? Nach Sohm ist sie bekanntlich ein Fungieren des Priesters nicht als Sacerdos, sondern als gekorener Vormund. Opet stellt im Gegensatz dazu fest:
a) Es gibt für den „gekorenen Vormund” keinen einziges Quellenbeleg;
b) die These ist auch in sich widerspruchsvoll, denn wenn die Geschlechtsvormundschaft aufhörte, brauchte die Braut keinen anderen zu bemühen, sondern konnte sich selbst übergeben;
c) positiv: Die Kirche hat die vormundschaftliche Brauttradition von 541 (Konzil von Orleans) bis ins 13. Jahrhundert hinein nicht etwa zu Gunsten der priesterlichen traditio puellae bekämpft, sondern vielmehr gefordert, damit die Ehe unbezweifelbar sei. Wenn im 14. Jahrhundert gelegentlich ein Verbot der Laiencopulation auftaucht, so ist das Ausfluß einer bestimmten Auffassung vom Ehesakrament, nämlich der damals nicht sehr selten vertretenen Anschauung, daß nicht die Ehepartner, sondern der Priester minister sacramenti sei.

Da bereits die früheste Fundstelle für einen Trauungsmittler einen Geistlichen vorsieht, kommt Opet zu der These: Die traditio puellae war bereits in spätrömischer Zeit ein Bestandteil des christlichen Eheschließungszeremoniells und ist als solcher von den Germanen rezipiert. Opet muß also erweisen,
a) daß die geistliche Brauttradition schon in der späteren Kaiserzeit christliche Sitte gewesen ist. In der Tat ist sie kurz nach 410 vom Bischof Synesius von Cyrene klar bezeugt, ebenso von Augustin. Die Aussagen sind ganz eindeutig. Opet meint, der christliche Priester sei einfach an die Stelle der heidnischen pronuba getreten, was biblisch mit Genesis 1, 28 begründet worden sein soll (Gen. 2, 22 schiene mir näher zu liegen). Auf jeden Fall erscheint Christus auf Bildern der

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alten Kirche als pronuba, wie Gott Gen. 1 bzw. 2. Der Priester handelt hier, wie auch sonst, als vicarius Christi;
b) muß Opet zeigen, daß die Brauttradition schon früh von germanischen Stämmen übernommen ist. In der Tat bringt er auch Beispiele aus Gregors Frankengeschichte und aus Hinkmar, die das nahelegen.

Inhaltlich hat die geistliche traditio puellae nichts mit der vormundschaftlichen Brautübergabe gemein. Sie ist deshalb auch gleichgültig für den Rechtsbestand der Ehe. Die Tatsache aber, daß die Familie die Braut öfter dem Priester zur Weitergabe übergibt, unterstreicht noch dessen Gleichheit mit der pronuba.

Die Folgerung für das gegenwärtige Gespräch liegt auf der Hand: Die Brauttradition durch den Priester, aus der die Konjunktion durch ihn erwachsen ist, ist ein rein kirchlicher Akt, kein öffentlich-rechtlicher, staatlicher. Das „coniungo vos” ist dementsprechend ursprünglich ein rein kirchliches Wort ohne öffentlich-rechtliche Relevanz. Mit seinem „coniungo vos”, das an die Stelle eines „accipe eam” getreten ist, spricht es zugleich die Gleichheit von Mann und Frau vor Gott aus. Sohms Schluß, der Mann wolle wissen, daß er seine Frau vor Gott erhalten habe, löst die hier absolut notwendige Gleichheit auf. Soll die Frau das in Bezug auf ihren Mann nicht auch wissen?

4. Das Konsensgespräch, die Frage also des Geistlichen an die Nupturienten, ob sie einander zur Ehe begehren, und deren bejahende Antwort. Die älteste Fundstelle dafür ist das Ritual von Rennes aus dem 10. Jahrhundert. Der Ort des Gesprächs war schon damals, wie noch zu Luthers Zeit, der Raum vor dem Eingang der Kirche. Im Manual von Salibury, kompiliert vor 1099, findet sich schon der heute noch gebräuchliche Text: Vis habere hanc mulierem in sponsam et eam diligere, honorare, tenere et custodire, sanam et infirmam, sicut sponsus debet sponsam, et omnes alias propter eam dimittere et illi soli adhaerere quamdiu vita utriusque vestrum duraverit? Genau so die Frage an die Frau, nur wird vor dem diligere noch eingeschoben: et ei obedire et servire. Solch Konsensgespräch ist für Deutschland auch schon im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts bezeugt. Woher stammt es?

Für Herkunft aus einer frühchristlicen Sitte ist bisher kein Beleg beigebracht. Auch ist es der griechischen Kirche unbekannt. Ebensowenig enthalten die Ritualien des 5. und 6. Jahrhunderts es, was auch nicht verwunderlich ist, weil römisch-rechtlich der Austausch des consensus matrimonii ohne Interrogator erfolgte. Schon Ficker hatte es deshalb

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in einer kurzen Bemerkung als germanisch angesprochen. Opet hat es nunmehr als gemeingermanisch erwiesen. Schon im 11. Jahrhundert ist es als Gemeingut bei solchen Stämmen nachweisbar, die eine Geschlechtsvormundschaft nicht kennen oder nicht mehr kennen, freilich auch nur bei solchen. Mann und Frau sind ja auch nur in solchen Stämmen gleichgestellt. Dort aber bildet das Gespräch auch die Basis der Eheschließungsfeier. In der ältesten ausführlichen Quelle ist der Fragende ein Verwandter. Das scheint lange üblich geblieben zu sein, denn noch bis ins 15. Jahrhundert gibt es Rituale, die das Gespräch nicht vorsehen, sondern nur die Benediktion enthalten. Und das bei der Bedeutung, die dem consensus matrimonii kirchenrechtlich seit dem Hochmittelalter zukam! Der Ursprung des Konsensgespräches wird von Opet deshalb wohl mit Recht im außerkirchlichen Bereich gesucht. Auch der mehrfach bezeugte Brauch der dreimaligen Befragung weist auf die Volkssitte hin. Warum aber tritt dann der Geistliche als Interrogator an die Stelle des Verwandten? Es mußte nach Opet eine Person sein, die das Vertrauen der Verlobten besaß und eine, deren Bekundung keinem Zweifel ausgesetzt werden konnte; indem nun die Sitte der geistlichen Ehesegnung sich durchsetzte, scheint der Priester gewohnheitsrechtlich in die Rolle des Interrogators hineingewachsen zu sein. Da die Kirche den Satz des römischen Rechtes „consensus facit nuptias” rezipierte, konnte ihr das auch nur recht sein. Im Anschluß an Ulpian forderte sie dabei freilich auch noch zwei Zeugen. Aber das Konsensgespräch bleibt Hauptbestandteil der weltlichen Eheschließung. Deshalb findet es auch weiterhin vor der Kirche statt. Ihm folgt dann die kirchliche Benediktion in der Kirche. Das übernimmt Luther wortwörtlich für sein Trauformular, wodurch noch einmal deutlich wird, daß der erste Akte vor der Kirche öffentlich-rechtlichen Sinn hat. —

Eine wesentliche Ergänzung zu Opets Buch bietet noch Heinrich Portmann in seiner 1938 erschienenen Untersuchung über „Wesen und Unauflöslichkeit der Ehe in der kirchlichen Wissenschaft und Gesetzgebung des 11. und 12. Jahrhunderts”. Er sieht, mit Recht, das 11. und 12. Jahrhundert als von zentraler Bedeutung an für die Entwicklung des kirchlichen Eherechts. Wie nach der Forschungsgeschichte klar, liegt dabei das Schwergewicht seiner Arbeit auf der Frage nach der Wertung des ehelichen Konsenses und der ehelichen Kopula. Praktisch verfolgt er besonders die Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Schulen von Paris und

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Bologna. Im einzelnen untersucht Portmann, auf das Wesen der Ehe gesehen,
I a) die Abgrenzung des Eheversprechens vom Ehekonsens,
b) den Konsens in Abgrenzung gegen anderweitige Eheschließungsformen, gegen den Eltern- oder Gewalthaberkonsens und gegen die Kopula,
c) die Frage der Sakramentalität von vollzogenen und nichtvollzogenen Ehen.
In Bezug auf die Unauflösbarkeit der Ehe geht er
II a) der nichtvollzogenen Ehe nach,
b) der vollzogenen Ehe bei Christen und Heiden (Naturehe).

Zu I a stellt P., selbstverständlich unter Eingehen auf die Kontroverse Friedberg-Sohm-Freisen usw., zunächst fest, daß die Kirche um das Jahr 1000 das römisch-rechtliche Eheschließungsrecht zum Hauptbestandteil ihres eigenen Rechtes gemacht und dementsprechend Verlobung und Eheschließung zu unterscheiden begonnen hat. Das zeigt insbesondere der oben schon erwähnte Brief Nikolaus I. an die Bulgaren. Durch die aufkommende Sitte der Verlöbnisbenediktion und durch Aufnahme germanischer, besonders langobardischer Rechtgewohnheiten war die Grenze zwischen Verlobung und Ehe zunächst immer mehr verwischt, zum mindesten in Sitte und Volksbrauch. Erst die Zeit nach der Jahrtausendwende hat die Unterscheidung unter dem Einfluß des wiederauflebenden römischen Rechtes wieder bewußt werden lassen und zwar zuerst auf französischen Boden, wohl schon bei Ivo von Chartres, nämlich als Unterscheidung von fides pactionis und fides consensus. Die Schule Anselms von Laon prägte dann die üblich gewordene Begriffe dafür: consensus de futuro und consensus de praesenti. Mit Innozenz II. tritt die Kurie eindeutig der Unterscheidung bei, während die Schule von Bologna zunächst noch abseits steht; Gratian sieht die Unauflöslichkeit der Ehe nicht schon im Willensmoment, sondern erst in der Kopula begründet und trifft deshalb keine Unterscheidungen in Bezug auf den Konsens.

Portmanns Einzelbericht über die Auseinandersetzung der beiden genannten Schulen kann übergegangen werden. Das Ergebnis ist, das Roland (Alexander III.), nachdem die begriffliche Unterscheidung schon vorher in Bologna aufgenommen war, auch sachlich die französische These übernahm: eine ligatio de praesenti ist, prinzipiell jedenfalls, unauflöslich.

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Zu I b). Es geht um die Frage, was ehekonstitutiv ist, also das Wesen der Ehe ausmacht. Darüber, nämlich über das Verhältnis der Förmlichkeiten zum Konsens, ist auch nach Aufnahme des römisch-rechtlichen Prinzips noch viel diskutiert worden. Daneben ging das Gespräch auf Grund der Hinkmarschen Theorie, daß die Kopula die Ehe begründe, über das Verhältnis von Konsens und Kopula. Auch hier ist Ivo von Chartres wichtig geworden, der den Konsens allein, ohne Förmlichkeit und Kopula, als ehebegründend ansieht. Zur Kopula gewinnt er aber noch keine klare Stellung. Hier tut Anselm von Laon einen weiteren Schritt, indem er weder Solemnitäten noch Kopula als wesensnotwendig ansieht, sondern klar den Konsens allein. So auch Hugo von St. Viktor: Die Förmlichkeiten, auch Eltern- und Gewalthaberkonsens, sind unwichtig, sie haben nur beweissichernde Kraft; dementsprechend sind heimliche Ehen gültig, wenn sie auch verboten sind. Die Kopula hat nur als konkludente Handlung eventuell noch Bedeutung. Der Wichtigkeit des Konsenses entsprechend wird nach der Mitte des 12. Jahrhunderts das Pubertätsalter als Vorbedingung zu seiner gültigen Abgabe gefordert. Papst Lucius III. hat die Befreiung vom Elternkonsens förmlich sanktioniert.

Allerdings finden sich in demselben Zeitraum, in dem dieses erarbeitet wird, auch immer wieder Stimmen, die in der Segnung des Priesters das sakramentliche Band sehen; in gewissem Sinne tut es sogar Alexander III. Als minister sacramenti gilt folgerichtig der Priester. Diese Stimmen verstärken sich noch im Spätmittelalter. Ob und inwiefern die seit dem 18. Jahrhundert sich durchsetzende innerevangelische Meinung, daß das „coniungo vos” des Pastors das ehekonstitutive Moment sei, mit dieser mittelalterlichen Strömung in einem Zusammenhang steht, ist noch ungeklärt.

Zu II. Es bleibt, davon abgesehen, für das Mittelalter noch die Frage, ob schon die unvollzogene Ehe sakramentalen Charakter hat oder erst das matrimonium consummatum. Anders ausgedrückt: Was gibt die Kopula der Ehe? Hier ist zunächst wichtig, daß der Sakramentsbegriff um die Jahrtausendwende noch nicht eindeutig ist. Eindeutig sagt aber auf jeden Fall Anselm von Laon in seinen Sentenzen, daß erst die Kopula die Ehe den sakramentalen (nicht nur vertraglichen) Charakter schafft und damit auch erst volle Unauflöslichkeit, während Hugo von St. Viktor auch schon die nichtvollzogene Ehe als sakramental ansieht. Gratian stellt sich auf die Seite Anselms. Erst die Kopula schafft das Sakrament, weil sie es ist, die die Vereinigung Christi mit seiner Kirche zu einem

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Leib darstellt. Nichtvollzogene Ehen sind lösbar. Dem folgte die Bologneser Schule, während Paris im Gefolge des Lombarden die Sakramentalität der reinen Konsensehe lehrte.

Hier harmonisierte Alexander III., indem er schon der Konsensehe, jedenfalls sofern sie benediziert ist, volle Sakramentalität beilegte, aber an der Lösbarkeit impotenter Ehen festhielt. Dem gehörte im Bereich des katholischen Eherechtes die Zukunft; die Lösbarkeit nichtvollzogener Ehen ist bekanntlich seitdem praktisch möglich. Auch die Nichtlösbarkeit vollzogener Ehen setzte sich aber erst im 11. Jahrhundert voll durch und zwar dadurch, daß die Kirche das Scheidungswesen in ihre Hand bekam.

Die für die Ehelehre des Abendlandes entscheidende Frage, die nach der Durchsetzung des römisch-rechtlichen Ansatzes „consensus facit nuptias”, scheint dem Berichterstatter durch das Buch Portmanns geklärt.

Die Frage nachdem konstitutiven Element der Ehe kann, wie aus alledem hervorgeht, ohne Berücksichtigung der Eheschließungsformen nicht beantwortet werden. Ihnen ging Peter Josef Keßler nach, indem er „Die Entwicklung der Formvorschriften für die kanonische Eheschließung” untersuchte (Diss. iur. Bonn 1934). Gedruckt ist nur der erste Teil, der die Zeit vor dem Konzil von Trient behandelt. Als Schlüssel dient K. die Frage nach der „klandestinen” Ehe. Er kommt dabei zu dem Ergebnis, daß die Entwicklung keinesfalls einheitlich verlaufen ist und daß insbesondere der Begriff der Klandestinität Wandlungen unterworfen war, worauf hier aber nicht eingegangen werden kann.

Der Kirche war die Form der Eheschließung zunächst gleichgültig. Wichtig war ihr nur, daß kanonisch verbotene Ehen verhindert wurden, daneben die Frage der Ehescheidung. So schloß sie sich in Bezug auf die Förmlichkeiten dem geltenden Brauch an. Papst Nikolaus I. hat sogar die rechtliche Unerheblichkeit der Feiern förmlich festgestellt. Bedeutung haben sie nach ihm nur als Beweismittel für eine bestehende Ehe, das Moment der Publizität war für ihn also entscheidend für ihre Beurteilung. In diesem Sinne wird auch das nationale Eheschließungsrecht kirchlich gewürdigt und anerkannt. Entsprechend gilt nach Hadrian II. eine Ehe auch dann als kirchlich gültig, wenn eine benedictio sacerdotalis nicht stattgefunden hat. So wieder Luther. Gratian urteilte ähnlich: traductio, velatio, dotatio, die den weltlichen Gesetzen entsprechen, sind unwesentlich, aber auch die benedictio. Klandestine Ehen sind

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dementsprechend, wiewohl verboten, doch gültig. Auch Alexander erklärte nur, wer keine Zeugen beibringen kann, muß es sich im Zweifelsfälle gefallen lassen, daß gegen ihn entschieden wird. Wenn er den Eheabschluß in facie ecclesiae stark betonte, z.B. in der Dekretale Ex litteris venerabilis, so hat das nach Keßler auch nur den Sinn, einen besonders qualifizierten und deshalb besonders glaubwürdigen Zeugen für die Eheschließung bereitzustellen (= testis authorizabilis). Immerhin nahm er das Verbot heimlicher Ehen so ernst, daß er sie in der Diözese York unter Strafe der Exkommunikation verbieten ließ.

Ein Wandel trat hierin im Laufe des Mittelalters nur insofern ein, als das Lateranense IV (can. 51) die Mitwirkung des Priesters von einem vorherigen Aufgebot abhängig machte. Das Tridentinum hat dann bekanntlich die kirchliche Gültigkeit der Ehe an die förmliche Konsensabgabe vor dem Pfarrer und zwei Zeugen gebunden.