Bischof und Diözese

 

Vorbemerkung: Vom 19. bis 21. 11. 1956 fand in der Evangelischen Akademie Loccum eine Tagung unter dem Thema „Grundsätze evangelischer Kirchengestaltung” statt. Sie diente der Vorerwägung einer territorialen Neugliederung der acht niederdeut­schen lutherischen Landeskirchen, deren Abgrenzungen und höchst unterschiedliche Größen durch das Staats- und Landeskirchentum bedingt sind. Der nachstehend auszugsweise wiedergegebene Vortrag wurde dort gehalten. Ein weiteres Referat von Uni­versitätskurator Dr. Konrad Müller (Göttingen) ist ebenfalls auszugsweise bereits in Heft 1956/23 des Informationsblatts für die Gemeinden der niederdeutschen lutherischen Landeskirchen abgedruckt worden.

 

I.

Über das Evangelische Bischofsamt sind in den letzten Jahren im Zusammenhang mit den Arbeiten des Theologischen Konvents augsburgischen Bekenntnisses in Fulda wichtige Arbeiten erschienen, so die Schrift von Peter Brunner

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über das Bischofsamt und die von Wilhelm Maurer über den synodalen Bischof. In diesem vorliegenden Referat geht es nicht um das Wesen des Bischofsamtes und seine Stellung in der Kirchenverfassung überhaupt, sondern um sein Ver­hältnis zu seinem Sprengel. Wir stellen uns die Frage, ob es sich hier nur um eine Frage der Organisation oder um etwas Bedeutsameres handelt. Bischof Lilje hat zu Beginn der Tagung in sehr eindrucksvoller Weise dargestellt, wie sehr das niederdeutsche Volkstum vom lutherischen Christentum geprägt ist. Um so dringlicher haben wir zu fragen, wie sich die Kirche als großes Gesamtgefüge zu Land und Volk verhält und verhalten soll.

Wir sind gewohnt vorauszusetzen, daß der Bischof eine Diözese, seinen Sprengel hat. Ein Bischof, eine Diözese. Das ist, vom geschichtlichen Endergeb­nis her betrachtet, auch richtig. In der Tat ist diese Form der Verfassung ohne Rücksicht auf Lehre, Bekenntnis, Volkstum und Zeitalter die große Form christlicher Kirchenverfassung geworden. Nicht nur die römische Kirche, auf die wir meist allein blicken, weil sie bei uns allein als andere Kirche vorkommt, auch die griechische und sämtliche wegen Sonderlehren getrennten orientalischen Kirchen haben diese Verfassungsform gemeinsam. Nestorianische Bistümer haben vom 7. bis 14. Jahrhundert quer durch den asiatischen Kontinent über Karakorum bis an die Ufer des Hoangho bestanden. Anglikaner und skandinavische Lutheraner haben die bischöfliche Ordnung behalten. Nur zwei geschichtliche Ausnahmen gibt es davon: die irische Kirche hatte ihr Leitungszentrum in den Klösteräbten, welche Missionsbischöfe ohne festen Sitz und Sprengel aussandten. Die grüne fromme Insel hat, wie man gesagt hat, „Schwärme von Heiligen” auf den Kontinent gesandt, denen gerade wir viel verdanken. Die andere Ausnahme bildete das deutsche Luthertum. Hier spaltet sich das Bischofsamt. Den einen Teil der Befugnisse samt dem Titel übernahmen Fürsten und Magistrate und verwalteten sie, so gut sie es verstanden, zum Heil oder Unheil der Kirche. Der andere Teil ging als lokale Visitation auf die Superintendenten und als Lehramt auf Fakultäten und Professoren über. Damit aber fiel ohne einen Federstrich die gesamtkirchliche Diözesenordnung dahin. Es gab wenigstens theoretisch noch Bischöfe, aber keine Diözesen mehr! Denn die Diözese ist ja eben ihrem Wesen nach keine einzelne, sondern immer nur eine in einem zusammenhängenden Gefüge, eine Wabe neben der anderen. Deshalb können wir genau genommen nicht nach Bischof und Diözese fragen, sondern nur nach Bischofsgemeinschaft und Diözeseneinteilung. Ich sehe hier davon ab, die nach der lutherischen Re­formation entstandenen Kirchenbildungen des calvinisch-puritanischen und täuferischen Zweiges zu erörtern, weil diese sich in noch höherem Grade von der gesamtkirchlichen Verfassungsform des Bischofsamtes entfernt haben, frei­lich nicht durchgängig. Die Brüdergemeine und die ungarischen Reformierten z.B. haben das Bischofsamt.

Aber mit jenem geschichtlichen Endergebnis ist nun weder der Ursprung noch das Wesen dieser Erscheinung schon begriffen. Hier hilft uns das Wort „Diö­zese” nicht wesentlich weiter. Das römische Reich hatte zunächst Provinzen, in

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späteren Zeiten Diözesen als provinzähnliche, zum Teil noch umfassendere Ver­waltungsbezirke. Aber diese deckten sich gerade nicht mit den Diözesen der Kirche. In einer Reichsdiözese finden wir alsbald Dutzende, zum Teil — wie in Afrika — Hunderte von Bischofssitzen. Die Reichsdiözese entsprach allenfalls der Kirchenprovinz, dem Verband benachbarter Bischofssprengel. Diese Kir­chenprovinz wurde von einem Metropoliten (wörtlich Mittelpunktstadtbischof) als Primas geleitet, der einen Ehrenvorrang, den Vorsitz in der Bischofssynode und ein Bestätigungsrecht bei der Bischofswahl hatte. Aber gerade er war im übrigen durchaus nur Bischof unter Bischöfen, primus inter pares, erster unter Gleichen. In den Akten großer Conzilien, denen wir das noch heute gültige ökumenische Symbol von Nicaea/Konstantinopel (325/381) und die Grundlagen des christlichen Dogmas verdanken, finden wir Hunderte von Bischofsnamen ohne Unterschied verzeichnet. Das Bischofsamt als solches wurde so hoch be­wertet, daß man durch die Häufung der Zahl die Bedeutung und Allgemein­gültigkeit ihrer Beschlüsse hervorhob. So wird das Concil von Nicaea I (325) die Versammlung der 318 Patres genannt. Wer würde heute von einer Synode der 153 Synodalen sprechen! Um die Struktur des Bischofsamtes und der ent­sprechenden Gebietsordnung zu verstehen, muß man die Missionsgeschichte be­trachten, die uns heute in den wesentlichen Grundzügen wohlbekannt ist. Die Mission breitete sich mit einer gewissen Zufälligkeit aus, wohin immer der Wind der Geschichte den Funken des Geistes trieb. So entstanden nebeneinander Gemeinden in den Weltstädten des Mittelmeergebiets wie in weltverlassenen numidischen Dörfern. Mit wenigen seltenen Ausnahmen waren alle diese Ge­meinden ohne Rücksicht auf ihre Größe bischöflich verfaßt. Uns sind Gemeinden bekannt, die so klein waren, daß sie die erforderliche Zahl von zwölf Männern für die Bischofswahl nicht aufbrachten. Dann stellten die Nachbargemeinden zur Ergänzung erprobte Älteste. Rudolf Sohm hat — m.E. zu Unrecht — aus diesem Ausnahmefall die Entstehung einer gesamtkirchlichen Verfassung abge­leitet. Aber im großen und ganzen ging doch die Mission von der Stadt auf das Land. Noch nach Jahrhunderten war der Landmann draußen im Gau (pagus), der „paganus”, der Heide, der zäh an der vergehenden Volksreligion festhielt. Die römische Provinz/Diözese bestand aus civitates, Stadtbürgerschaften mit Selbstverwaltungsrechten, und dem Landgebiet. Der Zusammenhang der Mission begründete nun in dem Zuge von der Stadt auf das Land gewisse Abhängig­keitsverhältnisse, wie wir sie schon in der Apostelgeschichte wie in den moder­nen Missionsgebieten vorfinden. Oscar Cullmann hat darauf hingewiesen, daß der Apostel Paulus in die von ihm selbst gegründeten Gemeinden sehr entschie­den lehrend, leitend, tadelnd eingreift, aber sich ausdrücklich hütet, in Gemein­den wirksam zu werden, die von anderen Aposteln begründet sind. Mission be­gründet Leitungsrecht. Dieses Missionsrecht ist der eine von den beiden gro­ßen Hauptgedanken, aus denen der Aufbau der alten Kirche zu verstehen ist. Dieser Missionszusammenhang begründet sozusagen eine Art Abstamtnungsverhältnis, eine Filiation. Die Tochtergemeinde ist zunächst von der sie begründenden

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Muttergemeinde in allem abhängig, weil sie ohne diese Hilfe noch nicht zu selbständigem Leben imstande ist. Später gleicht sie einer erwachsenen Toch­ter mit eigenem Hausstand, die aber nie aufhört, ihrer Mutter Achtung und Ge­horsam zu schulden.

Das Besondere dieses Verhältnisses wird in einem vergleichbaren Vorgang aus unserer eigenen Rechtsgeschichte deutlich, nämlich bei der Verleihung von Stadtrechten im Mittelalter. Das Stadtrecht von Magdeburg etwa wird an Krakau verliehen. Das bedeutet nun keineswegs, daß Krakau jetzt unter der Regierungsgewalt von Magdeburg steht. Krakau bleibt eine selbständige Stadt im Verband etwa der Hanse. Aber wenn Krakau in der Auslegung dieses Stadtrechtes in Zweifel gerät, wendet es sich an Magdeburg als den Oberhof, an die Quelle dieser Rechtsweisheit, die in den Aufzeichnungen eines Rechtsbuches ihr überliefert worden war. Magdeburg ist also nicht Hauptstadt, sondern Vorort, und dieses Vorortsverhältnis hebt die Selbständigkeit der Nachorte nicht auf, sondern begrenzt sie nur. Hier wird sichtbar, daß diese alte Ordnung mit unse­ren modernen Begriffen der körperschaftlichen Ordnung, eines einheitlichen „organischen” Ganzen mit Organen und Funktionen nicht zu verstehen ist. Der Unterschied zeigt sich sofort im Wahlrecht. Nach dem Recht der alten Kirche, welches selbst in Rom erst nach langem Widerstand im 12. Jahrhundert zerstört worden ist, wird der Bischof von Klerus und Volk seiner Gemeinde unter Mitwirkung der Bischöfe der Provinz gewählt. Auf unsere Verhältnisse übertragen heißt das etwa: der Landesbischof von Hannover wird von der gesamten Stadtgemeinde von Hannover einschließlich aller Amtsträger gewählt, unter Zuziehung etwa der Landessuperintendenten, nicht aber von einer reprä­sentativen Landessynode. Die alte Kirche kennt kein Repräsentationsrecht. Jeder übt Recht als Geistträger selbst aus, und der Geist ist nicht vertretbar.

Nach diesem Vorortsgedanken, erwachsen aus konkreten Zusammenhängen der Mission ist die alte Kirche aufgebaut. Vororte sind in ihr die alten aposto­lischen Stühle, von denen die Mission ausgegangen ist, und wo das nicht direkt nachgewiesen ist, lehnt man sich an sie an, und sie selbst beanspruchen be­stimmte Missionsgebiete als Leitungsgebiete und erhalten sie auch von den all­gemeinen Concilien bestätigt. Die Anpassung der Kirche an die staatliche Ver­waltungseinteilung ist demgegenüber in ihrer Tragweite oft sehr überschätzt worden. Die Eingriffe der römischen Kaiser in die Lehrbildung sind sehr viel schwerwiegender. Da aber wie gesagt die Mission in der Hauptsache über die Stadt auf das Land ging, ergab sich ganz von allein, daß sie sich auch den Ver­waltungsbezirken anpaßte, und an der Grenze eines Gebietes sich mit dem Strom einer anderen Mission traf.

Diese Vorortsordnung wird nun in zwei entgegengesetzten Richtungen be­droht. Beschränkt sich die Vorortsgemeinde nicht auf Oberleitung, Aufsicht und Hilfe, sondern greift sie in jede einzelne Lebensäußerung ein, höhlt sie selbst unter dem Schein der Freiheit deren Selbständigkeit aus, so wird daraus die

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Unterwerfung unter einen Herrschaftsverband, unter eine fremde, heteronome Gewalt. Geistlich betrachtet heißt das, daß man die geschichtliche Wirksamkeit der Mission, der Geistesübertragung und Lehrtradition rückgängig, in jedem Augenblick aufhebbar macht, die ja zur geistlichen Mündigkeit, freilich nicht zu menschlicher Eigenmacht und Souveränität führen soll. Oder aber: die Tochter­gemeinde macht sich vom Missionsrecht frei und verleugnet den geschichtlichen Zusammenhang als verpflichtendes Band. So hat etwa die Kirche von Neocäsarea in Kleinasien die armenische Kirche missioniert und dann Jahrhunderte hindurch das Bestätigungsrecht für das Oberhaupt der armenischen Kirche aus­geübt. Schließlich hat sich dann die armenische Kirche davon losgelöst, ist „autokephal” geworden, hat ein eigenes, selbständiges Haupt bekommen. Der erstere Weg ist der der römischen Kirche gewesen, welche immer größere Herrschafts­rechte über alle Kirchen beanspruchte, bis hin zu dem heutigen Universalepis­kopat des Papstes, der an jedem Ort jede Handlung ohne Rücksicht auf die Amtsträger der örtlichen Kirche vollziehen darf. Das ist grundsätzlich reiner Aktualismus, der die geschichtliche Tradition jederzeit aufzuheben unternimmt. Die heutige römische Kirche beruht auf einem Bruch des kanonischen Rechtes, auf einer Revolution von oben, welcher dann in der Reformation die Revolution von unten, von den Gemeinden her gefolgt ist. Den anderen Weg ist die Ost­kirche gegangen, in der immer mehr Teilkirchen autokephal geworden sind, so daß heute die ökumenische Einheit der Kirchen, gespalten durch den Widerstreit zahlreicher Leitungsansprüche keinen praktischen Ausdruck mehr finden kann. Aber es ist deutlich, daß eben beides Irrwege sind, der eine zur schrankenlosen Heteronomie, welche keine Gemeinschaft (koinonia) mehr zum verbindlichen Ausgleich als Verfassungselement besitzt, der andere zur ebenso menschlichen Autonomie, deren Willkür durch keine Gemeinsamkeit und Leitung mehr ge­bändigt wird. Der Protestantismus ist den zweiten Weg bis zum Ende gegan­gen, indem er die Heteronomie des Papsttums durch die Autonomie zahlloser souveräner Kirchenkörper ersetzt hat. Auf beiden Seiten beruft sich hier mensch­licher Eigenwille auf die Schrift, auf den Geist, auf die Dienlichkeit für die Aus­richtung des Evangeliums. Darin liegt nicht der Unterschied. Im Übrigen recht­fertigt sich jeder mit den sichtbaren Fehlern des anderen: die Katholiken mit der Verwirrung und Uneinigkeit bei den nicht-römischen Kirchen, und diese mit dem Zentralismus und den totalitären Zügen des Papsttums. Mit alledem ist aber der zweite Hauptsatz des Rechtes der alten Kirche außer Kraft gekommen, welcher in drei einander ergänzenden und bedingenden Thesen besteht:

1. Jede ekklesia, ob klein oder groß, ob Gemeinde oder allgemeine Sy­node steht als gottesdienstliche „im heiligen Geiste” versammelte krall des ihr verheißenen Geistes für die ganze Kirche.
2. Was jedoch eine einzelne Ekklesia — auch das ökumenische Konzil beschließt, hat nur soweit verbindliche Kraft, als es von den anderen ekklesien angenommen, rezipiert ist — denn

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3. kann keine Gemeinde oder Teilkirche für sich allein bestehen, sich allein auf ihren Geistbesitz berufen, wenn sie nicht gewiß ist, mit der all­gemeinen Kirche in Gemeinschaft zu leben, koinonia, Altargemeinschaft und Lehrübereinstimmung zu besitzen. Sie kann nicht dahingestellt sein lassen, ob sie in der Kirche ist.

So wird die geschichtlich erwachsene Vorortsordnung durch die stete Gegen­wart des Geistes, durch den Gedanken der allgemeinen (katholischen) Kirche als der großen Sakramentsgemeinschaft, wird das Missionsrecht der Leitung durch das Sakramentsrecht der Gewährung oder Verweigerung der Altargemeinschaft ergänzt. Auf diesen beiden Hauptgedanken, dem Missionsrecht und dem Sakramentsrecht, auf der geschichtlichen Vertikalen der Missionstradi­tion und der gegenwärtigen Horizontalen der koinonia ist wie auf einem großen Achsenkreuz die pneumatische Ordnung der alten Kirche aufgebaut. Sie ist aus dem geistlichen Leben der Kirdie erwachsen und so wenig aus einem abstrakten Prinzip abgeleitet, daß sie bis heute kaum ins Bewußtsein getreten ist. Sie ist gerade darin pneumatisches Recht, daß sie immer von menschlicher Eigenmacht bedroht ist.

Erst auf diesem Hintergrunde verstehen wir die Entstehung der Diözese rich­tig. Jede bischöfliche Gemeinde, ob klein oder groß, ist eine ekklesia mit vollem Recht. Von einem bestimmten Zeitpunkt aber wird bei der Neugründung von Gemeinden das Bischofsamt der städtischen Gemeinde als dem geborenen Vor­ort vorbehalten. Die Landgemeinden werden so das Landgebiet der städtischen Bischofsgemeinde. Soweit Landbischöfe (sog. Chorbischöfe, von chora = Dorf) vorhanden sind, werden diese allmählich zurückgedrängt, schließlich wird das Institut überhaupt abgeschafft. Der Entschluß, das Bischofsamt den Stadtgemeinden vorzubehalten, ist der Quellpunkt der Diözese als eines Bischofssprengels. Sie entsprach in dem Maße, in welchem sich Kirche und Gesamt­bevölkerung zu decken begannen, der tatsächlichen Verteilung der Schwerge­wichte. Je früher aber ein Land missioniert wurde, desto kleinere Städte sind Bischofsstädte und desto kleinere Diözesen gibt es. Man vergleiche nur die heu­tigen winzigen Diözesen in Italien und die riesengroßen in Deutschland.

In dieser Entscheidung steckt wie in jeder geschichtlichen Entscheidung ein gewisses Maß an Willkür und Zufälligkeit. Aber diese Entscheidung hat reiche Früchte für die Kirche getragen, ja ist für sie lebenswichtig geworden. Die Gleichbewertung aller Bischöfe auf der einen und die Begrenzung ihrer Zahl auf der anderen waren zusammen die Voraussetzung dafür, daß die alte Kirche in der Gestalt der ökumenischen Concilien entscheidungsfähig, beschlußfähig war. Wir gebrauchen sonderbarerweise etwa das Nicaenische Glaubensbekennt­nis und fragen nicht im mindesten nach den kirchenordnungsmäßigen Voraus­setzungen, unter denen es überhaupt entstehen konnte. Keine kaiserliche Ge­walt hätte ein Reichskonzil zusammenbringen können, wenn nicht die Kirche eine in ihr anerkannte Form der gemeinsamen Entscheidung in der Form der Bischofssynode gehabt hätte. Jeder Bischof hat ohne Rücksicht auf Alter und

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Größe seiner Gemeinde Sitz und Stimme auf dem Concil. Dieser Grundsatz gilt heute noch in allen bischöflich verfaßten Kirchen. Aber das galt eben nur weil und soweit als eben die Gemeinde als bischöfliche sozusagen reichsunmittelbar war. Der Bischof ist zu definieren als derjenige, der als Mitträger einer gesamtkirchlichen Verantwortung Sitz und Stimme im Rat der Kirchenhäupter hat. Es ist verständlich und recht und billig, daß auf die Länge die Oberhäupter kleiner weit entfernter Dorfgemeinden diese Aufgabe gar nicht tragen und deshalb dieses Recht auch nicht durchhalten und beanspruchen konnten.

 

II.

Die Reformation war sehr stark an der Feststellung interessiert, daß Pfarrer und Bischof gleichen Ursprungs und gleichen Rechtes seien. Nach der geschilderten Entwicklung ist das auch geschichtlich richtig. Die Annahme eines beson­deren Ranges, eines besonderen ordo des Bischofes ist auch in der römischen Kirche nicht so frühzeitig und eindeutig wie man gemeinhin annimmt. Der ka­tholische Kirchenrechtslehrer Plöchl bemerkt, daß die Bischofsweihe noch im 13. Jahrhundert unter die Sakramentalien gerechnet worden sei, also als eine Weihehandlung geringerer Bedeutung angesehen wurde. Erich Seeberg weist in seiner Dogmengeschichte darauf hin, daß noch auf dem Konzil von Trient (1546-63) darüber mit sehr unterschiedlichen Meinungen verhandelt worden ist. Zum Teil wurde dem Bischof nur eine höhere Leitungsgewalt zugesprochen, zum Teil sein höherer Rang nur aus seiner Ordinationsbefugnis geschlossen.

Ist jene reformatorische Auffassung biblisch und kirchengeschichtlich wohl begründet, so wird sie doch nicht dem ganzen Sachverhalt gerecht. Man tritt den Reformatoren nicht zu nahe, wenn man sagt, daß sie von der Ordnung der alten Kirche eine nur teilweise Kenntnis besaßen. Dazu war diese Ordnung in den vorausgegangenen Jahrhunderten durch römische Neuerungen und Miß­bräuche allzusehr verschüttet. In den vereinzelten kirchenrechtlichen Väter­zitaten in den Bekenntnisschriften, die zur Begründung der Ämterwahl durch die Gemeinde angeführt werden, kommt das für die alte Kirche typische Zusammen­wirken von Bischofsgemeinschaft und Gemeinde bei der Wahl nicht zum Aus­druck. Vor allem aber wird übersehen, daß das Amt der Kirche sich auf eine ebenso natürliche wie fruchtbare Weise gegabelt hat, in zwei Zweige, den Bischof und den Pfarrer auseinandergewachsen ist. Ursprünglich ist jeder Bischof Pfarrer und jeder Pfarrer Bischof. So ist heute noch jeder katholische Bischof zu allererst der eigentliche Pfarrer seiner Domgemeinde. Mit Recht ist in allen Darlegungen über das evangelische Bischofsamt immer wieder hervorgehoben worden, daß der Bischof nicht von der Gemeinde losgelöst werden darf, min­destens eine bestimmte Predigtstätte und geregelte Predigtverpflichtung haben muß. Aber auf die Länge konnte nun eben nicht jeder Pfarrer Bischof bleiben, weil er keine gesamtkirchliche Leitungsverantwortung hat. Nach lutherischer Lehre ist das geistliche Amt eine Stiftung Gottes und soweit „göttlichen Rechtes”. Ich halte es nicht für notwendig, die Frage des Bischofsamtes mit der

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Begriffsfrage zu belasten, ob auch die Ausformungen und Ausgliederungen des Amtes in Bischofsamt, Pfarramt oder auch Diakonat unter den Begriff dieses „göttlichen Rechtes” gebracht werden können. Denn die Anwendung dieses Begriffs ist überhaupt fragwürdig, wenn man damit bestimmte Bereiche und Regelungen von denen des menschlichen Rechtes trennen will — wir haben das „göttliche” Recht immer nur in der Form des menschlichen.

Die Vernachlässigung dieser wohlbegründeten geschichtlich erwachsenen Un­terscheidung der Ämter ist höchst nachteilig für die lutherische Kirche in Deutsch­land geworden. Es wurde schon erwähnt, daß mit einem Federstrich sich alle gesamtkirchliche Ordnung in eine Summe von kleineren und mittleren Territorialkirchen auflöste. Es ist etwas anderes, ob man Superintendent in Gotha oder Rothenburg ist oder ob in Gestalt des Erzbischofes von Upsala oder Canterbury die ganze Kirche eines Volkes dem Fürsten gegenübersteht. Man hätte sich sehr wohl darauf berufen können, daß nach einer langen Tradition von den apostolischen Konstitutionen (4. Jahrhundert) bis zum Concil von 681 die Bischöfe eines Volkes sich an ihren Ältesten halten sollen. Nunmehr fehlte jeder Anknüpfungspunkt in Bekenntnis und Lehre für eine gemeinsame Ordnung. Diese Bereitschaft, die Dinge landesherrlichen und damit partikularen Gewalten anzuvertrauen, entsprang aus einer Trennung der geistlichen Kirche und des an­geblich nur äußeren Kirchenwesens. Dieses letztere wurde deshalb nur im Ver­band des Staates übereinstimmend geordnet, erschien nicht mehr als eine Sache der ganzen Kirche. Luther empfiehlt in den kursächsischen Visitationsartikeln lediglich gewisse Verbesserungen „weil er nicht wie ein Papst Gesetze geben wollte”. Aber er überläßt es dem Kurfürsten zwangsweise die Kultuseinheit herzustellen und findet nichts dabei, wenn die Widerstrebenden aus dem Lande vertrieben werden.

Wir haben erst durch den Kirchenkampf gelernt, daß diese Unterscheidung von Innen und Außen nicht möglich ist, und daß auch scheinbar bedeutungs­lose Dinge zum entscheidenden Punkt werden können. Es ist auch irrig anzu­nehmen, daß das Leben der Kirche unter der Preisgabe des Kirchenregimentes an den Staat nicht gelitten hätte. Eine ganze Dimension der Kirche, die ihrer universalen Einheit über Raum und Zeit, fiel aus. Damit fehlte ein Gegengewicht gegen die Ausbildung eines Privatchristentums, aber auch gegen einen pseudo­religiösen Nationalismus. Ein grenzenloser Partikularismus breitete sich in der Kirche aus, der immer und überall die Besonderheiten vor die Gemeinschaft der einen Kirche stellt. Sondertraditionen, welche nur Heimatforscher mühsam er­mitteln können, erscheinen als geheiligte Güter. Keine Gemeinde lebt aber für sich allein und von sich allein. Vorbildung und Berufung des Pfarrers, Reiner­haltung und Weiterentwicklung der Lehre und der Gottesdienstordnung — alles dies sind Dinge, die nur unter Mitwirkung der Gesamtkirche vor sich gehen können. Die Gesamtkirche ist nicht ein Oberbau oberhalb der Gemeinde als dem Eigentlichen. Die Gemeinde beruht freilich nicht auf einem äußerlichen Pfarrzwang, der ein bestimmtes Gebiet mit seinen getauften Bewohner

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zusammenfaßt. Sie hat ihre Würde darin, daß sie ihr Lebenszentrum im Gottesdienst hat. Jeder Christ ist darauf gewiesen, mit seinen Mitchristen sich im gemeinsamen Gottesdienst zu finden: mit Recht hat in unserer Zeit Karl Barth alles Kirchenrecht als liturgisches wie als bekennendes Recht bezeichnet, welche seinen Ausgang von dem besonderen Geschehen des Gottesdienstes hat.

Dennoch lebt die Kirche in zwei Formen, in der Gesamtkirche wie der Ge­meinde, die beide die Verheißung der Beiwohnung des Geistes bis an das Ende der Tage haben. Deshalb sagt Ernst Wolf mit Recht:

„Das Leben der Christenheit sieht Luther einerseits in der Oekumene und macht demgemäß Vorschläge für ein allgemeines Konzil (von den Konziliis und Kirchen 1539), andererseits sieht er es in der Gemeinde, in der das Evangelium lauter gepredigt wird. Aber die Gemeinde ist für ihn nicht Verfassungselement im Sinne des sog. Gemeindeprinzips, so offen auch das Luthertum grundsätzlich für das presbyteriale und synodale Element war. Diese Bereiche Oekumene und Gemeinde sind der weltlichen Obrigkeit gegenüber grundsätzlich frei und eigen­ständig”.
„Es ist weder entscheidend der Begriff der ecclesia invisibilis noch derjenige der bloßen Gemeinde. Beide Auffassungen verweisen in das Sektentum und sind so isoliert absolut unreformatorisch, gerade auch der Grundsatz vom ,Auf­bau der Kirche auf der Gemeinde’ ,von unten her’. Nicht die Gemeinde kon­stituiert nach reformatorischen Verständnis der Kirche, sondern das ,von oben her’ wirksam ausgerichtete Wort Gottes, das zugleich verhindert, bei der Be­tonung der Katholizität lediglich auf die formale Kontinuität zu achten”.
(Ernst Wolf, Die Einheit der Kirche im Zeugnis der Reformation in „Peregrinatio” S. 166, 171.)

Die Gemeinde ist keine Ortsgruppe der allgemeinen Kirche. Ebensowenig ist die Kirche ein Verband von Gemeinden oder ein lediglich zweckmäßiger Ober­bau über diesen. Gemeinde und Gesamtkirche sind vielmehr ineinander ver­schränkt und bedingen sich gegenseitig. In der römischen Kirche hat die Ge­meinde nur eine ganz untergeordnete kirchenrechtliche Stellung; die lutherische Kirche ihrerseits lernt erst sehr allmählich entgegen ihrer nominalistisch-vereinzelnden Tradition die Bedeutung der Gesamtkirche richtiger einzuschätzen, zu verwirklichen und sich von der Oberbauvorstellung freizumachen.

Durch die einseitige Betonung der Gleichheit von Pfarrer und Bischof und die Preisgabe der Kirchengewalt an die politischen Gewalten sind nun in Deutsch­land die Ansätze für eine gesamtkirchliche Ordnung fast völlig verlorenge­gangen, die sich in anderen evangelischen Ländern erhalten hat. Jene Gleich­setzung hat unter diesen Verhältnissen zu einer Verwirrung der Begriffe und der Größenordnungen geführt, aber dem Ehrgeiz und dem Eigensinn doch nicht gewehrt. Wenn nämlich der einzelne Pfarrer als ein Bischof bezeichnet wird, so wäre der visitierende Superintendent schon ein Erzbischof, was er nun eben ein fach nicht ist. Mit der Bezeichnung und dem Amt als Landessuperintendent oder Landesbischof verbindet sich dann bereits die Vorstellung einer

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Reichsunmittelbarkeit und Souveränität, d.h. Letztentscheidung, die sich grundsätzlich niemand mehr zu fügen braucht. Was ehedem nur die großen alten aposto­lischen Stühle als Patriarchate beanspruchten oder wenigstens die Primaten großer Kirchengebiete mit einer weitreichenden Verantwortung, das erschien jetzt in der Karikatur des Duodezformats. Dadurch erstarb in den Gemeinden das Bewußtsein der einen Kirche anzugehören, Privatchristentum und Provin­zialismus wurden begünstigt. Wenn die alte Kirche mit ihrem starken Einheits­bewußtsein den nationalen Kirchenverbänden eine gewisse Selbständigkeit zu­billigte, so hatte das seine Berechtigung. Jetzt blieb von alledem aus der Autokephalie nur vor allem das „Seinen-eigenen-Kopf-Haben” übrig. Man läßt sich dann am allerwenigsten etwas sagen, wenn es am notwendigsten ist, fügt sich aber den politischen Veränderungen auch des Kirchenwesens widerspruchslos.

Die Frage nach Bischof und Diözese, d.h. die Frage nach einer gesamtkirch­lichen Ordnung stellt sich heute durch das neu erwachte Bewußtsein der Einheit der Kirche, welches sich nicht in platonischen Freundschaftserklärungen für die Oekumene erschöpfen kann, sondern zunächst eine wirksame Ordnung der eigenen Kirche erfordert — charity begins at home —. Wir müssen freilich prüfen, ob dieses Motiv unter uns echt ist. Wir Deutschen haben seit Jahrhun­derten niemals vermocht, unsere Territorialfragen selbst in Freiheit zu ordnen. Von der französischen Revolution über den Wiener Kongreß, den Krieg von 1866 bis zu der föderalen Neuordnung durch die Besatzungsmächte von 1945 ist der Status quo immer nur durch Gewalt verändert worden, meistens durch fremde Mächte. Die Kirche selbst ist ebenso in ihren Rechts- und Lebensformen willig der jeweiligen Staatstheorie und Rechtsphilosophie gefolgt: sie verstand sich zunächst territorialistisch, d.h. als geistliches Departement des Landes, dann kollegialistisch im Sinne einer aufgeklärten Vereinstheorie, dann idea­listisch als organische Körperschaft. Schließlich hat erst der moderne Trieb zur Verselbständigung jedes Lebensbereiches auch der Kirche weit mehr das Be­wußtsein ihrer Eigenständigkeit wiedergegeben als die theologische Besinnung auf ihr eigenes Wesen. Die Kraft zur Ausbildung einer eigenen ihr gemäßen Gestalt hat sie noch nicht unter Beweis gestellt. Immer hat sie sich nur gerade den Wandlungen der Verhältnisse angepaßt, die durch die politischen und gei­stigen Umschichtungen gegeben waren. Sie hat die Ablösung des landesfürst­lichen Bischofsamtes noch nicht einmal dann angestrebt, als der Anlaß zu seiner Ausbildung endgültig weggefallen war, und hat fast widerstrebend sich auf die 1918 eingetretene Trennung eingestellt. So könnte die noch nicht sehr starke heutige Bereitschaft, offenkundig überlebte Kirchengrenzen zu überwinden, vielleicht auch nur ein mühsames Hinterherhinken hinter der bundesstaatlichen Neuordnung sein, wovon man einige verwaltungsmäßige Vorteile erwartet. Wenn das so wäre, dann sollte man es ein paar besonders erfahrenen Ober­kirchenräten überlassen, das Notwendige vorzubereiten, aber nicht weiter darüber grundsätzlich reden.

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Ich meine aber, daß die Kirche heute in einer ganz anderen Weise gefragt ist. Seit langem ist der Mangel einer wirklichen gesamtkirchlichen Ordnung einem sehr großen Teil unseres Kirchenvolkes unverständlich. Auf dem Kirchentag wurden sehr deutliche Stimmen aus der Jugend darüber laut. Die Hüter echter wie falscher Traditionen sollen sich nicht wundern, wenn eines Tages ein oft wenig begründeter Einheitsdrang auch gute Dinge hinwegreißt, weil die Kirche durch ihre Unfähigkeit, über ihren geschichtlichen Zustand hinauszuwachsen und sich zu wandeln, unglaubwürdig geworden ist. Bischof Meyer von Lübeck hat mit deutlichen Worten gesagt, daß der jetzige Zustand der vier nordelbischen Teilkirchen ein theologischer Skandal ist. Eine Reihe höchst schmählicher Vor­gänge, Zeichen von Unordnung und ungeistlicher Willkür hätten uns erspart bleiben können, wenn wir auch nur das Mindestmaß einer Gesamtordnung der Kirche hätten, wenn die praktisch unbeschränkte Souveränität der Teilkirchen eingebunden wäre, was eben nicht heißt, daß sie aufzuheben seien.

Bischofsamt und Diözese haben beide zwei Seiten. Die Diözese ist nach der einen Richtung eine lokale Zusammenfassung von Gemeinden, nach der an­deren eine Einheit neben anderen gleichgearteten Einheiten im Gesamtgefüge zunächst der nationalen, dann der universalen Kirche. Das Bischofsamt ist eben­sowohl die Spitze dieses Sprengeis und mit dieser Aufsicht unentbehrlich — es ist aber zugleich immer nur eines in der Gemeinschaft der Leitungsverantwor­tung: ein Bischof für sich allein ist kein wirklicher Bischof — unus episcopus, nullus episcopus. Auch er bedarf seinerseits der Stärkung, der Tröstung, der Aufsicht — daß einer auf ihn sieht, der von der gleichen Last weiß. Das Bischofs­amt ist ohne diese Blickrichtung und diese Verwurzelung in der ökumenischen Kirche unvollständig. Es ist gleichsam der Transformator, der Umschaltpunkt, wo die allgemeine und die besondere, örtliche Kirche sich berühren. Dieser Gemeinschaftscharakter schließt jeden Souveränitätsanspruch eines Einzelnen wie einer einzelnen Teilkirche grundsätzlich aus: nicht der Rechtsbegriff ist mit dem Wesen der Kirche unvereinbar, wie Rudolf Sohm meinte, sondern der Begriff der souveränen Letztentscheidung. Diese Gemeinschaft der Verantwortung ist gerade für eine Kirche des Bekenntnisses unentbehrlich. Denn wenn sie nach ihrem Bekenntnis leben will, so kann sie es nur, wenn sie imstande ist, dieses Bekenntnis fort und fort weiterzubilden und verbindlich auszulegen. Der Gedanke einer entscheidungsfähigen Gesamtordnung der lutherischen Kirche in echter kirchenrechtlicher Form, nicht nur als kongregationalistischer unverbind­licher Verein souveräner Teilkirchen, liegt offenbar noch ebensoweit hinter dem Horizont wie die Frage einer aktuellen Weiterbildung des geschichtlichen Bekenntnisses — und doch hängt daran die Zukunft der lutherischen Kirche. Die Fähigkeit, ökumenisches Konzil zu halten, wie Luther es erwog, ist eine Le­bensfrage und ein Lebenszeichen der Kirche. Dieses kann nicht, wie in den Zei­ten der Urkirche einfach ein Konzil der Bischöfe im exklusiven Sinne sein: aber sicherlich kann es nicht ohne die Bischöfe als die verantwortlichen Leiter der Teilkirche, der Diözesen sein.

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Die praktischen Forderungen, die sich hieraus für uns ergeben, liegen eigent­lich auf der Hand und sind bereits vom Theologischen Convent augsburgischen Bekenntnisse in seinen Grundsätzen über „Die Ordnung des Amtes in der Kirche” (Ev. Welt Nr. 21 v. 1. 11. 1956) insbesondere unter C formuliert wor­den. Für die Frage des Gebiets läuft es darauf hinaus, daß die kleinen Landes­kirchen vereinigt und die großen wirksam aufgegliedert werden sollen, wobei das Größenmaß von 200 bis 300 Pfarrstellen für die Diözese als das günstigste Mittelmaß angesehen wird. Diese Forderung ist noch nicht erfüllt, wenn eine große Landeskirche in Visitationssprengel aufgeteilt wird, was ja meistens be­reits der Fall ist. Man denkt vielmehr an wirklich eigenständige Diözesen. Un­sere heutigen Vorstellungen von körperschaftlicher Ganzheit sind für die Durchführung dieses Gedankens sehr hinderlich. Denn entweder kommt man dazu, daß alle gesamtkirchlichen Fragen der Oekumene, der EKD, des Verhältnisses zum Staat usw. in jeder Diözese gesondert behandelt werden: das führt zu einer nicht nur kostspieligen, sondern sogar praktisch unmöglichen Vervielfältigung der Kirchenbehörden. Aber ebensowenig ist die Frage damit gelöst, daß die Sprengelbischöfe sich nur als den verlängerten Arm des Landesbischofs als Me­tropoliten verstehen und doch alle Fragen zentral entschieden werden. Hier müs­sen ganz neue Formen des Ausgleichs und der Ausgliederung gefunden werden.

Es scheint mir eine geschichtliche Frage an die Kirche zu sein, ob sie sichtbar über ihren gegenwärtigen historisch erwachsenen Zustand hinaus sich neu zu formieren vermag, eine Frage zugleich des Bekenntnisses, in dem das Wort von der „allgemeinen Kirche” nicht ohne konkrete Folgerungen sein kann.