Hofmann, L.

Zur Einführung

1971

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Zur Einführung

 

Die am Anfang dieser Schrift stehende These, daß das Thema Hierarchie wissenschaftlich fast unerforscht sei, mag Überraschung hervorrufen. Denn tatsächlich wird es zur Zeit wenigstens in der katholischen Kirchenrechtslehre breiter und „gründlicher” als früher angegangen; aber die Antwort, die von da gegeben wird, bleibt weitgehend definitorisch: daß es aus dem Wesen der Kirche „Heilige Gewalt” geben müsse und was deren Inhalt ist. Die vorliegende Untersuchung geht „von der rational einsichtigen Vielfalt säkularen Hierarchien aus”. Hierarchie in der Mehrzahl! Das bedeutet die Entmythologisierung eines Begriffes, der das Hierarchische als „bloßes Abbild einer vorgegebenen Seinsordnung” fassen will. Was Dombois herausarbeitet, ist das Phänomen als solches. Nicht das „Daß”, sondern das „Wie” der hierarchischen Herrschaftsform interessiert ihn. Es geht ihm um den Prozeß, durch den der vorgegebene Gehalt „zur Entscheidungsfähigkeit rationalisiert wird”. Die Rationalität ergibt sich als das Typische und Unabdingbare allen hierarchischen Vorgehens.

Ziel und Schwerpunkt des Buches bildet dennoch der theologische Teil. Auf ihn sind die „weltlichen” soziologischen Überlegungen zunächst indirekt und dann zum Teil ausdrücklich ausgerichtet. Die Erhellung der kirchlichen Strukturen, die hier in einzigartiger Weise erreicht wird, ist sowohl für die Theorie wie für die Praxis, z.B. für die zur Zeit in vielen deutschen Bistümern betriebene Umorganisation der Bistumsleitung von hoher Bedeutung. Das Auge des evangelischen Autors sieht — aus der Distanz — schärfer als das eines unmittelbar Beteiligten und hierarchisch Agierenden. Das Urteil ist kritisch im Bezug auf systemfremde Befunde: die „Einzügigkeit” der Kirchenverfassung auf der einen Seite, die Bedrohung der Eigenständigkeit des Amtes auf der anderen Seite, es ist aber zugleich auch erstaunlich positiv. Was der Verfasser angestrebt und erreicht hat ist „der Nachweis eines sinnvollen und einsichtigen Systems” (96).

Was den Juristen und Rechtshistoriker Dombois hier angezogen hat und wovon er ausgeht, ist die Struktur des Hierarchischen. Das

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Denken in Strukturen ist für sein wissenschaftliches Arbeiten kennzeichnend. Langjähriges Mitglied des Kollegiums der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg, eines interfakultativen Forschungsinstituts der Evangelischen Kirche, hat er zuvor ebensolange im Justizdienst gestanden. Rechtserfahrung und unmittelbare Anschauung ist ihm die Voraussetzung wissenschaftlicher Jurisprudenz. Als zur Theologie „Hinzugekommener” hat er mit der Leidenschaft des Entdeckers und aus dem steten Vergleich mit weltlichen Strukturen dem Kirchenrecht ganz neue Seiten und Sichten abgewonnen. Sein Hauptwerk „Das Recht der Gnade”1 — mit dem bezeichnenden Untertitel „Ökumenisches Kirchenrecht” —, eine überraschende Kombination, zeigt das besonders deutlich. Die Distanz des Protestanten dient hier nicht der Kritik am Fremden und der Kontroverse. Von einem programmatischen Aufsatz über die Probleme der Kodex-Reform in dem Konzilswerk von Hampe „Die Autorität der Freiheit”2 bis heute hat ihn ökumenische Sorge und Hoffnung, der Wunsch, gemeinsame Probleme und Aufgaben konstruktiv zu lösen, angetrieben.

Seine wissenschaftliche Gesamtarbeit, die Wilhelm Steinmüller in Band II seiner Schrift „Evangelische Rechtstheologie”3 dargestellt hat, wie seine Teilnahme als einziger evangelischer Kirchenrechtler an den internationalen kanonistischen Kongressen im Rom, dem der Päpstlichen Kommission 1968, dem der Universität Rom 1970, zeigen Leidenschaft wie Legitimation. So hat er auch die Verleihung der theologischen Ehrendoktorwürde durch die Heidelberger Fakultät mit einer Vorlesung über „Die Reform des CIC als ökumenisches Problem” beantwortet. Er möchte mit diesem Beitrag der ganzen Ökumene wie zugleich als ein loyaler „Gastarbeiter” der Katholischen Kirche dienen, die heute um ihre geschichtliche Neugestaltung ringt.

Trier, 29. Juni 1971

Linus Hofmann, Generalvikar


1 Das Recht der Gnade — Ökumenisches Kirchenrecht I (Witten 21969).
2 Die Autorität der Freiheit, hrsg. von J.Ch. Hampe (München 1967) Bd. II, 527-549.
3 Evangelische Rechtstheologie (Köln/Graz 1968).