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Seit Schluss des letzten Weltkrieges hat die Studienabteilung des Ökumenischen Rates Untersuchungen über “Die Bibel und die Botschaft der Kirche an die Welt” durchgeführt. Jährlich hat eine Tagung zu diesem Thema stattgefunden 1) und die Veröffentlichung der ersten umfassenden Untersuchung in der Form eines ökumenischen Sammelbandes steht unmittelbar bevor. Die Themastellung zeigt bereits, dass die Fragen nach der Autorität der Bibel und nach ihrer rechten Auslegung, die uns zwangsläufig lange Zeit beschäftigt haben, nicht um ihrer selbst willen behandelt wurden. Die ganze Untersuchung steht vielmehr im Dienste der ökumenischen Studien zu den sozialen und politischen Problemen der Gegenwart. Sowohl in der Untersuchung über den “Christlichen Einsatz im öffentlichen Leben” mit dem Unterthema “Die verantwortliche Gesellschaft” als auch in der Arbeit der “Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten” ist die Frage nach der biblischen Grundlage der christlichen Rechtslehre immer dringender geworden. Denn nur von einem gemeinsamen Ausgangspunkt aus, wie ihn die Bibel fraglos darstellt, können die Kirchen in der Welt heute etwas Sinnvolles zur Frage der Menschenrechte oder zur Neubegründung des internationalen Rechtes sagen. Das, was sie als Kirchen hier zu sagen haben, muss sich von dem, was auch Nicht-Christen zu sagen vermögen, dadurch unterscheiden, dass es deutlich auf die Botschaft bezogen ist, die der Kirche aufgetragen ist: die Botschaft von Jesus Christus, die uns in der Bibel bezeugt wird. In diesem Sinne — und nicht in irgendeinen Streben, die Bibel literalistisch auf die Gegenwart anzuwenden — haben wir uns mit unseren Fragen der Heiligen Schrift zugewandt.
Die Konferenz in Treysa wurde dem entsprechend folgende Frage vorgelegt: Was kann die Kirche auf Grund der Bibel zur Wiederaufrichtung des menschlichen Rechts sagen? — Dass hier von einer “Wiederaufrichtung des menschlichen Rechts” geredet wird, bedarf kaum einer Begründung. Die Juristen, die an unsere Konferenzen teilgenommen haben, liessen uns deutlich genug wissen, dass die traditionellen Begründungen des Rechts durch die
1) Vgl. “Der Weg von der Bibel zur Welt”, Zürich, Gotthelf-Verlag, 1948, 172 S. und “Richtlinien für die Auslegung der Heiligen Schrift”, angenommen von der ökumenischen Studientagung im Wadham-College, Oxford, 1949. (Zu beziehen bei der Studienabteilung des Ökumenischen Rates der Kirchen, 17, route de Malagnou, Genf).
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Ereignisse der letzten zwanzig Jahre auf das schwerste erschüttert sind. So stellt sich überall heute die Frage, ob es allgemeingültige Normen des Rechts (etwa im Sinne des Naturrechts) gibt, an die man anknüpfen könnte. Was kann die Kirche hier antworten? Der Bericht von Treysa versucht eine solche Antwort zu geben. Mögen unsere juristischen Gesprächspartner uns sagen, ob diese Antwort in irgendeiner Weise als hilfreich angesehen werden konnte!
Die Themastellung weist hin auf das Zeugnis der Kirche “auf Grund der Bibel”. Daraus ergibt sich, dass hier nicht nur die biblischen Exegeten angeredet sind, obwohl sie ausdrücklich das erste — und wohl auch das letzte — Wort haben. Um dies zu unterstreichen, wurden auf der Tagung in Treysa nur zwei Referate gehalten: eines über die alttestamentliche Seite unserer Frage, das andere über ihre neutestamentlichen Aspekte. Es war die erste Aufgabe der Konferenz, die biblische Grundlage bis in die Einzelexegese hinein so deutlich wie möglich herauszuarbeiten. Aber wir konnten und wollten nicht bei der Exegese stehen bleiben. Deshalb wurden nicht nur biblische Theologen, sondern auch Kirchengeschichtler, Systematiker und Juristen zu dieser Tagung eingeladen. Unsere Aufgabe war es ja, den “Weg von der Bibel zur Welt” in diesem konkreten Fall zu durchschreiten. Dazu war die Mitarbeit aller beteiligten Disziplinen erforderlich. Deshalb gehörten die ausführliche Voten der Konferenzteilnehmer, und zwar besonders die der anwesenden Systematiker zum Wichtigsten, was die Konferenz geleistet hat. Hier ging es darum, in gemeinsamen Ringen die Linien auszuziehen, die in den biblischen Vorträgen angedeutet worden waren. Zu einer solchen gemeinsamen Besinnung braucht man viel Zeit: obwohl unsere Konferenz zur Bearbeitung des ihr gestellten Themas mehr Zeit zur Verfügung hatte als viele ihrer Vorgänger, hätten sich die meisten Teilnehmer noch mindestens einen weiteren Tag zu einer gründlichen Beratung des Schlussberichtes gewünscht.
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die weithin verloren gegangene fruchtbare Zusammenarbeit der beteiligten Disziplinen für den Erfolg oder Misserfolg unserer Arbeit von entscheidender Bedeutung ist. Alle ökumenischen Konferenzen zur Bibelfrage können als ein Aufruf verstanden werden, diese Zusammenarbeit vor allem innerhalb der theologischen Disziplinen zu erneuern. Wenn nicht alles täuscht, ist die Bereitschaft dazu in vielen Ländern und Konfessionen im Wachsen: die biblische Exegese ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern hat eine theologisch-kirchliche Aufgabe zu erfüllen; und die systematischen Disziplinen (Dogmatik und Ethik) können ihre Arbeit nicht ohne Bezugnahme auf die biblische Exegese einerseits und auf die Nachbarwissenschaften und das öffentliche Leben andererseits leisten. Nur aus solcher Zusammenarbeit kann die Botschaft der Kirche an die Welt heute
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erneuert werden. An diesem Punkte hat unsere Gruppe sich allerdings bewusst eine Grenze gesetzt: wir sollen und können in diesen Bibelstudien nicht über die grundlegenden biblisch-theologischen Fragen hinausgehen. Damit hängt es auch zusammen, dass auf unserer Konferenz die Juristen nur in verhältnismässig geringer Zahl vertreten waren: Sie werden es verstehen, dass die Theologen sich zunächst darum bemühten, “unter sich” ein einhelliges Wort zu diesen Fragen zu finden. Die Anwendung dessen, was hier gesagt wird, auf die brennenden Probleme der Gegenwart, bleibt denen vorbehalten, die sich an den oben genannten Untersuchungen der sozialen und internationalen Probleme beteiligen. Und hier werden die Juristen, Soziologen, Wirtschaftler usw. die Wege weisen müssen. Diese Anwendungen werden auch den Verhältnissen entsprechend verschieden ausfallen müssen. Unser Schlussbericht dagegen beschränkt sich auch in seinem letzten Abschnitt auf allgemeine Sätze; wir hoffen, dass sie dennoch zur Klärung der konkreten Probleme etwas beitragen.
Wenn schon die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen theologischen Disziplinen innerhalb einer Kirche und eines Landes ein Problem ist, so müssen sich diese Schwierigkeiten auf ökumenische Basis naturgemäss vermehren. Hier geht es vor allem darum, die überkommenen systematischen Demarkationslinien zu überwinden. Keiner von uns ist frei von solchen überkommenen Lehren. Und wir meinen, dass wir die hier sichtbar werdenden Schranken am leichtesten niederlegen können, wenn wir uns gemeinsam der Schrift zuwenden. Gerade das macht unsere Arbeit so verheissungsvoll.
Auf der hier besprochenen Konferenz kam es nun hauptsächlich zu einem Gespräch zwischen theologischen Schulen des europäischen Kontinents. Das ergab sich von selbst aus der Tatsache, dass die Konferenz in Deutschland abgehalten wurde. Die hier bestehenden Gegensätze zu verheimlichen, bestand keine Anlass; deshalb enthält der Konferenzbericht an einer Stelle neben dem von der Mehrheit gebilligten Text das Votum einer Minderheit. Wenn andere Konfessionen und Schulen unter uns vertreten gewesen wären, hätte das vielleicht dazu geführt, dass noch weitere Meinungen neben die zwei dominierenden gestellt worden wären. Englische und amerikanische Theologen, die aktiv an den Diskussionen teilnahmen, hielten die Differenzen zwischen den beiden europäischen Gruppen weithin für unbedeutend. Welche Fragen sie in Vordergrund gestellt hätten, ist schwer zu sagen. Noch mehr wurde es bedauert, dass ein Vertreter der orthodoxen Kirchen des Ostens im letzten Augenblick an der Teilnahme erneuert werden. An diesem Punkte hat unsere Gruppe sich allerdings bewusst eine Grenze gesetzt: wir sollen und können in diesen Bibelstudien nicht über die grundlegenden biblisch-theologischen Fragen hinausgehen. Damit hängt es auch zusammen, dass auf unserer Konferenz die Juristen nur in verhältnismässig geringer Zahl vertreten waren: Sie werden es verstehen, dass die Theologen sich zunächst darum bemühten, “unter sich” ein einhelliges Wort zu diesen Fragen zu finden. Die Anwendung dessen, was hier gesagt wird, auf die brennenden Probleme der Gegenwart, bleibt denen vorbehalten, die sich an den oben genannten Untersuchungen der sozialen und internationalen Probleme beteiligen. Und hier werden die Juristen, Soziologen, Wirtschaftler usw. die Wege weisen müssen. Diese Anwendungen werden auch den Verhältnissen entsprechend verschieden ausfallen müssen. Unser Schlussbericht dagegen beschränkt sich auch in seinem letzten Abschnitt auf allgemeine Sätze; wir hoffen, dass sie dennoch zur Klärung der konkreten Probleme etwas beitragen.
Wenn schon die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen theologischen Disziplinen innerhalb einer Kirche und eines Landes ein Problem ist, so müssen sich diese Schwierigkeiten auf ökumenische Basis naturgemäss vermehren. Hier geht es vor allem darum, die überkommenen systematischen Demarkationslinien zu überwinden. Keiner von uns ist frei von solchen überkommenen Lehren. Und wir meinen, dass wir die hier sichtbar werdenden Schranken am leichtesten niederlegen können, wenn wir uns gemeinsam der Schrift zuwenden. Gerade das macht unsere Arbeit so verheissungsvoll.
Auf der hier besprochenen Konferenz kam es nun hauptsächlich zu einem Gespräch zwischen theologischen Schulen des europäischen Kontinents. Das ergab sich von selbst aus der Tatsache, dass die Konferenz in Deutschland abgehalten wurde. Die hier bestehenden Gegensätze zu verheimlichen, bestand keine Anlass; deshalb enthält der Konferenzbericht an einer Stelle neben dem von der Mehrheit gebilligten Text das Votum einer Minderheit. Wenn andere Konfessionen und Schulen unter uns vertreten gewesen wären, hätte das vielleicht dazu geführt, dass noch weitere Meinungen neben die zwei dominierenden gestellt worden wären. Englische und amerikanische Theologen, die aktiv an den Diskussionen teilnahmen, hielten die Differenzen zwischen den beiden europäischen Gruppen weithin für unbedeutend. Welche Fragen sie in Vordergrund gestellt hätten, ist schwer zu sagen. Noch mehr wurde es bedauert, dass ein Vertreter der orthodoxen Kirchen des Ostens im letzten Augenblick an der Teilnahme
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verhindert wurde. Auch die schwedische und die holländische Theologie kam nicht so zur Geltung wie es dem Thema entsprochen hätte, da die erwarteten Teilnehmer nicht erscheinen konnten. Ebenso wurde auf der Konferenz sehr bedauert, dass die Professoren K. Barth, E. Brunner, J. Ellul und Erik Wolf, 1) die sämtlich eingeladen waren, an unseren Gesprächen nicht teilnehmen konnten. So gibt der Bericht nur einen Ausschnitt aus dem heutigen ökumenischen Gespräch. Schon aus diesem Grunde kann er keineswegs als Abschluss, sondern muss als Auftakt der ökumenischen Untersuchungen über “Gerechtigkeit in biblischer Sicht” angesehen werden.
1) Letzterer hat schriftlich zu dem Schlussbericht Stellung genommen, vgl. unten S. 59 ff.