§ 2. Die Anfänge der Verfassung im 16. Jahrhundert.

Literatur: Richter, Gesch. der ev. Kirchenverf. in Deutschland. Leipzig 1851. Rieker, Die rechtl. Stellung der ev. Kirche Deutschlands. Leipzig 1893. Sehling, Kirchenordnungen. Bd. 1 und 2. Zu den einzelnen Territorien vgl. die Einleitungen in Friedberg, Die geltenden Verfassungsgesetze der ev. deutschen Landeskirchen. Freiburg 1885.

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1. Die Lehre Luthers wurde von Reichs wegen verboten. Der Kaiser hatte dem geltenden Rechte gemäß, als weltliches Exekutivorgan der Kirche, als advocatus ecclesiae, dem Banne 1521 die Reichsacht folgen lassen. Zwar hatte er nicht sein kaiserliches Wort, wie es sein Vorfahre Huß gegenüber getan hatte, gebrochen, er hatte das zugesagte freie Geleit nicht verletzt, aber die Rechtslage des inzwischen in Sicherheit gebrachten Luthers und seiner Anhänger war eine höchst unsichere. Da stellte der Reichsabschied von Speyer (1526) die Durchführung der Reichsacht, des Wormser Edikts, in das Belieben der Landesfürsten.

Damit war für die erste Zeit wenigstens die Existenz der Lehre dort gesichert, wo sich die Fürsten ihr zuneigten; die Lehre Luthers, seine Reformvorschläge konnten in den Reihen der Gebildeten festen Fuß fassen. Die Territorialherren, deren sich die Kurie so oft als Gegengewicht gegen das Kaisertum und den Episkopat bedient hatte, deren Selbständigkeitsbestrebungen auf Kosten des Reiches sie stets unterstützt hatte, sie wurden jetzt die Träger und Schützer derjenigen Bewegung, welche der Kirche und dem Papsttum die schwerste Wunde schlug. Ohne diese von Born selbst groß gezogenen Landesherren wäre es ihm mit dem Kaiser vereint vielleicht noch einmal gelungen, den Reformierungs- und Absonderungsprozeß, der sich, wie ein unabänderliches Gesetz an den größten Gemeinschaften vollzieht, aufzuhalten.

So ist das Jahr 1526 die Wiege der kirchlichen Selbständigkeit, aber gleichzeitig auch die Wiege der kirchlichen Zersplitterung und damit der politischen Ohnmacht der protestantischen Kirche. Hätte sich der Kaiser der Bewegung angenommen, so hätte vielleicht eine Nationalkirche entstehen können, so hätte ein einheitliches religiöses Band die deutschen Stämme umschlingen können, aber diese religiöse Einheit war dem deutschen Volke nicht beschieden1), der Kaiser blieb auf dem Boden der alten Lehre stehen, und wenn er auch selbst die Kirchenspaltung lebhaft beklagte und in dem Interim des Jahres 1548 einen Unionsversuch veranstaltete, die Spaltung war nicht mehr zu beseitigen, die Haltung des Kaisers hatte die Bewegung in die Territorien getrieben, das Jahr 1526 hatte die Reformation zu einer Landesangelegenheit gemacht. Die neue Kirche mußte in eine Anzahl von untereinander unabhängigen Landeskirchen zerfallen. Je nach dem Standpunkte der Landesherren mußten die Staaten katholische oder protestantische werden. Denn der Gedanke der Parität ist der Reformation ebenso fremd, wie dem katholischen MA. In einem Staatswesen kann nur eine Religion herrschen, das entsprach allein dem Einheitsgedanken der Zeit. Der Landesherr hat für die religiöse Wahrheit zu sorgen, für die reine Lehre — und, hat er diese für seine Person erkannt, so hat er nicht nur das Becht, sondern sogar die Pflicht, seine Untertanen zu dem gleichen Bekenntnisse zu zwingen und Widerstrebende von seinen Staatsgrenzen auszuschließen.2) Dieser Lehre gemäß blieb das Deutsche Reich seinem konfessionellen Charakter nach katholisch, auch als der Passauer Vertrag (1552) und der Augsburgische Religionsfrieden (1555) die reichsgesetzliche Duldung der Protestanten als eine Ausnahme von der Regel gebracht hatten.

Das Jahr 1526 ist aber auch der historische Ausgangspunkt für die Entwicklung


1) Vgl. auch Werminghoff, Gesch. der Kirchenverf. Deutschlands im MA. 1 (Hannover und Braunschweig; jetzt Leipzig 1905) S. 249.
2) Der moderne Begriff der Toleranz ist der Reformation unbekannt, Dem Irrtum gegenüber fordern die Reformatoren Bekenntnisfreiheit, für die Wahrheit aber verlangen sie Bekenntniszwang. Der Standpunkt der Reformatoren ist kein anderer als derjenige Augustins. (Rieker, a.a.O. S. 89ff.) Immerhin haben sieh gerade in den protestantischen Ländern schon frühzeitig Ausnahmen von dieser Regel gezeigt. So, wenn Johann Sigismund von Brandenburg im Jahre 1613 bei seinem Übertritte zur reformierten Lehre diese Lehre seinen lutherischen Untertanen nicht aufzwang. So wenn die Fürsten von Anhalt auf dem Gesamtlandtagsabschiede von 1611 die feierliche Erklärung abgaben, daß sie sich zwar für ihre Person volle Freiheit des Bekenntnisses und der Zeremonien vorbehielten, andererseits aber ihren Untertanen in dieser Beziehung keinen Zwang auferlegen wollten. (Sehling, Kirchenordnungen 2, 538.)

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des landesherrlichen Kirchenregiments geworden. Jetzt erhalten die Territorialherren eine reichsgesetzliche Handhabe für das Eingreifen in kirchlichen Dingen, die ihnen vorher nur die Theorie gewährt hatte.

Und gerade in diese Zeit fallen die ersten positiven Maßnahmen der Obrigkeit, die wir als einen Ausfluß des Kirchenregiments (im modernen, juristischen Sinne, nicht im Sinne der Terminologie Luthers) bezeichnen können: die Anordnung und die Durchführung der Visitationen.

Die Idee der Visitationen ist nicht von Luther ausgegangen. Sein Ideal war die vollkommen freie Entwicklung der Dinge. Die Waffen des Geistes sollten allein in dem Kampfe der Geister entscheiden. Ein Eingreifen der Obrigkeit zugunsten der „reinen” Lehre war ihm unsympathisch: er hätte es lieber gesehen, wenn durch das Wort allein, sine vi humana die neue Lehre Platz gegriffen hätte. Luther war also nicht der erste unter den Reformatoren, der Visitationen angeregt hat. Soviel bis jetzt bekannt, scheint Herzog Johann Friedrich zum ersten Male dieser Idee eine greifbare Gestalt gegeben zu haben durch seine Aufforderung an Luther, er solle durch Thüringen ziehen, um die untauglichen Geistlichen abzusetzen.1) Die erste uns bekannte Visitation nahm Jacob Strauß in den Ämtern Wartburg, Hausbreitenbach, Salzungen, Kreuzburg und Gerstungen vor. Schwache Anfänge. Endlich sah auch Luther ein, daß die Hilfe der weltlichen Gewalt nicht zu entbehren sei, und sprach im Brief vom 30. November 15252) den Wunsch nach Visitationen aus. Die Wirkung war gering.3) Erst als Luther am 22. November 1526 bei dem Kurfürsten Johann in aller Form eine allgemeine Kirchenvisitation beantragt hatte, und dieser sich seiner Pflicht als christliche Obrigkeit bewußt geworden war, fand eine Konferenz statt, in der Plan und Aufgabe der Visitation beraten wurden. Eine „Instruktion und befehl, darauf die Visitationen abgefertigt sind”, wurde ausgearbeitet, und nunmehr wurde die landesherrliche Visitation planmäßig ins Werk gesetzt.4) Wie sich in den Visitationen und den Visitationskommissionen die Zweiteilung der Gewalten, der weltlichen und der geistlichen, im Sinne Luthers widerspiegelt, und wie irrig daher u.a. die Auffassung Sohms über den Charakter derselben ist, zeigt in vortrefflicher Weise K. Müller, a.a.O. S. 72 f.

Zu diesem Eingreifen hatte also die lutherische Lehre von der Obrigkeit die theologische Grundlage, der Reichsabschied von Speyer 1526 die rechtliche Erlaubnis geboten. Aber auch ohne diese wäre das Eingreifen des Landesherrn nichts Unerhörtes gewesen. Schon die vorreformatorischen Landesherren hatten für sich das Becht in Anspruch genommen, Reformen in ihren Territorien einzuleiten, wenn die dazu zuständigen Organe, Papst und Bischöfe, versagten. Hat doch z.B. ein geschworener Feind des Luthertums, Herzog Georg der Bärtige von Sachsen, einseitig Klosterreformen durchgeführt.

2. Was hat es mit diesem Eingreifen der vorreformatorischen Territorialherren für eine Bewandtnis? Den modernen Begriff der Staatsgewalt, als den Inbegriff der Hoheitsrechte, kannte das MA. nicht; die Territorialgewalten besaßen nur eine einheitslose Masse von vereinzelten Befugnissen, teils privatrechtlicher, teils öffentlicher Natur; auch den in ihren Gebieten einbeschlossenen Kircheninstituten gegenüber besaßen sie nur vereinzelte Rechte, wie das Patronat, die Vogtei, Erst gegen Ende des MA, ändert sich das. Die Territorialgewalt erstarkt mehr und mehr zur Staatsgewalt, sowohl der Reichsgewalt (tantum valet status in territorio quantum imperator in imperio), als auch der Kirche gegenüber. Der Staat erweitert mehr und mehr seine


1) Brief vom 24. Juni 1524. Walch 10, 398. Burkhardt, Briefwechsel Luthers. Leipzig 1866. S. 72; Derselbe, Gesch. der sächs. Kirchen- und Schul-Visitationen. Leipzig 1879. S. 3. Sehling, Kirchenordnungen 1, 33ff.
2) de Wette 3, 39. 51.
3) Sehling, Kirchenordnungen 1, 34.
4) Sehling, Kirchenordnungen 1, 35 ff.

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Aufgaben, er will sich nicht mehr auf diejenigen beschränken lassen, welche die Kirche ihm zuweist, zumal diese letztere sieh vielen ihrer Aufgaben nicht mehr als gewachsen zeigt. Der moderne Staatsbegriff entsteht. Die Polizeigewalt des Staates will auch die Fürsorge für die sittliche Wohlfahrt und sogar, wenn die Kirche nicht genügend sorgt, für das Seelenheil begreifen. Hierzu kam, daß das Papsttum selbst dem Landesfürstentum mancherlei Befugnisse beigelegt hatte, einmal, um dasselbe gegen das Kaisertum ausspielen zu können, dann aber auch, um die Autorität der Bischöfe, deren gefahrdrohenden Ansturm das Papsttum in den Reformkonzilien des 15. Jhs. erduldet hatte, zu durchkreuzen und abzuschwächen.1)

Die Territorialgewalt nimmt also gegen Ende des MA. der Kirche gegenüber eine ganz andere Stellung ein, als es dem Systeme eines Bonifaz VIII. entsprach, und so konnten denn die reformatorischen Landesherren an bestehende Verhältnisse anknüpfen. Man hat diese Tatsache früher verkannt und behauptet, daß das Landeskirchentum und das Regiment der Landesobrigkeiten ohne jeden historischen Anknüpfungspunkt durch die Reformation erzeugt worden seien. Das widerspricht dem auch in der Geschichte herrschenden Gesetze der Entwicklung und ist auch, wie wir sahen, tatsächlich unrichtig.

Aber heute scheint man diese Erkenntnis wieder übertreiben zu wollen. So, wenn Rieker, a.a.O. S. 37 die These aufstellt: „Wir sehen gegen den Ausgang des MA, die Landesobrigkeiten eine Stellung zur Kirche einnehmen, die in gradem Widerspruche steht zu dem Verhältnis, in dem die weltliche Gewalt nach Lehre und Recht der Kirche zu den kirchlichen Dingen stehen soll und sich nur wenig unterscheidet von der Stellung, welche später in den evangelischen Territorien die Landesobrigkeiten eingenommen haben” oder „Dem gegenüber kann nicht genug betont werden, daß es ein landesherrliches Kirchenregiment und Landeskirchen in Deutschland (von Frankreich und England wird das eher zugestanden) schon vor der Reformation gegeben hat.” Den Beweis dieser Sätze könnte nur ein großes historisches Material erbringen. Die wenigen Beispiele Riekers beweisen nichts; ebensowenig ist überzeugend, was Srbik.2) beibringt, so wertvoll es an sich ist3), insbesondere wird der Einfluß der Theorien des Marsilius von Padua und des Occam auf die tatsächliche Gestaltung der Dinge von ihm entschieden überschätzt.

In der Tat ist diese These nicht beweisbar. Man bedenke doch, wie verschieden die Verhältnisse lagen. Dort die mächtige katholische Kirche mit ihrer einheitlichen Spitze, dem Papsttum, dessen Macht ungebrochen war, Her eine schutzlos und wehrlos der Willkür des Landesherrn preisgegebene und auf die Kraft der inneren Überzeugung angewiesene organisationslose Gemeinschaft. Dort die mittelalterliche Auffassung von der Obrigkeit, der gegenüber die Obrigkeit im Kampfe mit der Kirche jede einzelne Position sich erst erringen muß, hier eine Lehre, welche der Obrigkeit die Wahrung der gesamten Rechtsordnung direkt überträgt, deren Handhabung von ihr als Pflicht fordert. Wie hätten so verschiedene Voraussetzungen Gleiches erzeugen können?

Und nun betrachte man die wenigen Beispiele Riekers. Es ist richtig, Landesherren haben Bischöfe und Geistliche ernannt. Aber aus welchem Rechtsgrunde? Kraft päpstlichen Privilegs. Andere Rechte übten sie aus ebenfalls kraft päpstlicher Gestattung, die als einseitige Maßnahme vom Papste jederzeit zurückgenommen werden konnte. Man kann dies ebensowenig als Ausfluß eines landesherrlichen Kirchenregiments bezeichnen, als man dies heutzutage z.B. bezüglich der Nominationsrechte des Königs von Bayern tun wird. Es ist allerdings richtig, daß die Landesherren auch ohne


1) Vgl. Friedberg, DZKR. 1904. S. 125.
2) Die Beziehungen von Staat und Kirche in Österreich während des MA. (Dopsch, Forschungen zur inner. Gesch. Österreichs. Bd. 1, Heft 1.) Innsbruck 1904.
3) Vgl. v. Wretschko in MIÖG. 26, 10.

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Privileg sich mancherlei Befugnisse gegen die Kirche herausgenommen haben, aber diese lagen fast durchweg auf dem politischen Gebiete und sind als Abwehr der erstarkenden Staatsgewalt gegen das papale Weltbeherrschungssystem aufzufassen, wie z.B. die Bekämpfung des Besteuerungsrechts usw., haben aber mit einem positiven Begieren in kirchlichen Dingen nichts zu schaffen. Der berühmte Satz: „dux Cliviae est papa in suis terris”1) soll ebenfalls nur das Recht zur Abwehr mißbräuchlicher Eingriffe der Kirche bedeuten, das Recht territorialer Unabhängigkeit.

Wo findet sich, etwa wie beim evangelischen Landesherrn, das Recht der kirchlichen Gesetzgebung? Hat jemals ein vorreformatorischer Landesherr Kultusordnungen, Lehrordnungen u. dgl. erlassen? Hat er jemals im eigenen Namen Behörden eingesetzt? Waren die von ihm eingesetzten Bischöfe jemals seine Landesbeamten, und nicht vielmehr Beamte eines dem Staate fremden Organismus? Allerdings Reformen haben sie wohl vorgenommen, namentlich in den Klöstern, sogar Visitationen zu diesem Zwecke. Aber auch diese Maßnahmen haben einen anderen Charakter als die gleichen der protestantischen Landesherren.2) Sie sind nur Notmaßregeln, die stattfanden, nachdem zahllose Aufforderungen an die päpstlichen Oberen nichts gefruchtet hatten; niemals haben diese Landesherren verkannt, daß eigentlich die Zuständigkeit und die Pflicht an anderer Stelle lägen, und daß sie lediglich angesichts der kirchlichen Verwahrlosung, die ihre Wirkungen auch auf das soziale und staatliche Leben äußerte, ein Notrecht, ein Becht der Selbsthilfe ausübten. Wie ganz anders, besonders in späterer Zeit, die protestantischen Landesherren. Allerdings in der ersten Zeit, und das bestätigt gerade unsere Behauptung, haben auch sie noch nach den Bischöfen ausgeschaut, als den berufenen Organen, und haben ihr Vorgehen damit gerechtfertigt, daß diese ihres Amtes nicht warteten. Da diente ihnen natürlich das Vorbild vorreformatorischer Standesgenossen zur wünschenswerten Rechtfertigung und Entschuldigung. Und gewiß haben die Landesherren an diese vorreformatorische Entwicklung sich angelehnt. Aber mehr als Anknüpfungspunkte sind die vorreformatorischen Verhältnisse nicht gewesen. „In dem Streite zwischen Born und dem Evangelium hatten die weltlichen Gewalten unermeßlich gewonnen, nicht bloß an Gütern, sondern an Befugnissen, nicht bloß an Unabhängigkeit und Selbstgefühl, sondern an Aufgaben. Die ganze Fülle von Fürsorge und Befugnissen, mit denen einst die Kirche so tief in die Sphäre der öffentlichen Macht übergegriffen und sie zu einem Schemen gemacht hatte, war tatsächlich und durch den neuen Lehrbegriff auch theoretisch ihr entrissen und an die Obrigkeiten zurückgefallen. Deren Sache war es, jetzt ihre Stellung zu nehmen und für die Dauer zu sichern.”3)

In neuerer Zeit ist die vorstehende Frage mehrfach untersucht worden.4) Diese Untersuchungen haben unsere obige, ruhigere Auffassung nur bestätigt. (So Zieschang a.a.O. S. 1ff.) Landeshoheit in Kirchensachen und landesherrliches Kirchenregiment sind ganz verschiedene Dinge; sind aber von den Gegnern verwechselt worden. Für erstere lassen sich die Anfänge weit über das 15. Jh. zurück verfolgen, wenn auch die bedeutendsten Fortschritte erst im. 15. Jh. gemacht wurden (Martens, a.a.O. S. 40), ein landesherrliches Kirchenregiment dagegen, mit dem Landesherrn als völlig selbständigen, von jeder geistlichen Obergewalt emanzipierten Oberhaupt einer selbständigen, von der Universalkirche losgelösten Landeskirche hat erst


1) Vgl. über ähnliche Aussprüche Werminghoff, I (1905), S. 250.
2) Übertrieben daher Bess, Die Entwieklung der hessischen Kirche unter Philipp dem Großmütigen, ZKG. 33, 309.
3) Droysen, Gesch. d. preuß. Politik. 2. Bd. 2. Aufl. (Leipzig 1859.) S. 260.
4) Vgl. die Zitate bei Zieschang, Die Anfänge eines landesherrl. Kirchenregiments in Sachsen am Ausgange des MA., in Beiträgen zur sächs. Kirchengesch. 1910. S. 1ff., und bei Martens, Die hannov. Kirchenkommission, in Stutz, Kirchenrechtl. Abhandlungen. Stuttgart 1913. S. 40ff.

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die Reformation gebracht. In den Kämpfen, welche die vorreformatorischen Landesherren mit den Bischöfen und Geistlichen ihrer Gebiete führen, handelt es sich in erster Linie um materielle Werte, und nicht um die ideellen Güter der Reformationszeit und darum tragen diese Kämpfe einen prinzipiell ganz verschiedenen Charakter.1) Eine vorreformatorische Landeskirche und ein vorreformatorisches landesherrliches Kirchenregiment hat es nicht gegeben.2)

3. Die Visitationen waren die Kanäle, durch welche die neuen Gedanken in das Land hineingeleitet wurden. Es war eine Riesenarbeit, die die Visitatoren in hingebendster Kleintätigkeit zu bewältigen hatten. Durch die grundlegende Arbeit von Burkhardt8), dessen Vorbild zahlreiche Nacheiferer gefunden hat, sind wir hierüber wohl unterrichtet. Und immer noch werden neue Protokolle veröffentlicht, die Lokalforschung hat ihre Schleusen geöffnet. Das Bild kann dadurch höchstens noch vervollständigt werden.4)

Die Bedeutung der Visitationen für die Geschichte der protestantischen Kirche kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. In den in größter Reichhaltigkeit erhaltenen Visitationsprotokollen offenbart sich uns heute noch das pulsierende Leben; hier treten uns die Schwierigkeiten, welche der Einführung der von Luther angeregten Reformen sich entgegenstellten, in Wahrem Lichte entgegen, hier zeigt sich, wie notwendig das Eingreifen der weltlichen Obrigkeit gewesen ist.

Da galt es zunächst, geeignete Seelsorger zu beschaffen. Viele Stellen waren vakant geworden. Es mußte für den theologischen Nachwuchs gesorgt werden. Es mußte dann eine Ordnung in der Besetzung der kirchlichen Stellen getroffen werden. War dies geschehen, so mußte dafür gesorgt werden, daß die Geistlichen auch die Seelsorge, die Überführung des Volkes in den neuen Glauben in richtiger Weise handhabten, daß sie, die vielfach vom Katholizismus übergetreten waren, auch die nötige Festigkeit im Glauben bewiesen, vielen hatte man ja erst in der Visitation eine Bibel zum Studium überreichen müssen, man hatte es auch vielfach mit sehr minderwertigen Elementen zu tun. Man mußte also beständige Aufsicht ausüben; dazu bedurfte man ständiger Organe.

Nun kamen die leidigen finanziellen Sorgen: die wichtigsten geistlichen Einnahmequellen, wie z.B. die Meßstiftungen waren fortgefallen, aber die Ausgaben waren mit dem Aufgeben des Zölibates noch gestiegen. Es mußten neue Einnahmequellen eröffnet werden. Dazu war nur die Obrigkeit imstande.

Daneben traten weitere Fragen auf. Wie weit sollten die Reformen im Kultus gehen; wie sollten die Pfarrer taufen, wie sollten sie das Abendmahl spenden; darüber mußten sie doch unterrichtet werden. Das Meßopfer war aufgegeben, in den Mittelpunkt des Gottesdienstes war die Predigt getreten; aber noch lange Zeit wurde jeden Tag das Abendmahl gefeiert5), wurde Einzelbeichte gehört, und zwar vielfach jeden Sonnabend6), im Gottesdienste herrschte noch lange die lateinische Sprache7), die


1) Vgl. Rodenberg, Kirche und Staat im MA. und die Entstehung der sogen. Landeskirchen des 15. Jhs., in Schriften des Vereins für schleswig-holstein. Kirchengesch. II. Reihe. Bd. 5. Heft 2.
2) So richtig Werminghoff, Gesch. der Kirchenverf. Deutschlands im MA. I. Hannover und Braunschweig, jetzt Leipzig 1905. S. 249ff., Derselbe, in HVSchr. 1908. S. 153ff.; und in diesem Grundriß, Vfg. d. d. Kirche im MA. 2. Aufl. (1913). S. 89.
3) Geschichte der sächs. Kirchen- und Schul-Visitationen. Leipzig 1879.
4) Vgl. die Darstellung bei Sehling, Kirchenordnungen. Bd. 1-5 in den betreffenden Einleitungen.
5) Zur Entwicklung der Messe vgl. K. Müller, a.a.O. S. 87 ff. und die dort zitierte Literatur.
6) Vgl. noch die Kirchenordnung von Aschersleben 1575. Sehling, Kirchenordnungen 2,476.
7) Vgl. Sehling, Kirchenordnungen 1, 663. 772; 2, 130. 154. 170. 234. 236. 408. 478. 479. 483. 545. 595. In Lübeck bis in das 18. Jh. vgl. Sehling, Kirchenordnungen 5, 329.

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Verbreitung der Bibelübersetzung hat sich sehr langsam vollzogen1), die Taufordnungen waren sehr verschieden, über Chorrock, Elevation hat man noch lange gestritten usw. Überhaupt kann man sagen: die Reformation der Grundlehren des Glaubens vollzog sich am schnellsten, die Reformation des Kultus hat weit länger gedauert und die Reformation der Verfassung am längsten. Es entsprach dies auch ganz den Intentionen Luthers, der auf die äußeren Dinge wenig Gewicht legte. Aber einmal mußte doch das alles geordnet werden. Und wenn man anfänglich hierin eine große Freiheit gestattete, wenn Luther seine Vorbilder der Taufe, der Trauung, der Messe oder Kommunion nur ungern herausgab, damit daraus nicht etwa „Gesetze oder Fallstricke der Gewissen” gemacht würden, und wenn auch unter seinen Genossen manche, wie Hausmann2), Vortreffliches in ihren Gemeinden schufen, wenn auch die Visitatoren, namentlich Spalatin, in unermüdlichem Eifer die Pfarrer berieten und ihnen einzelne Anweisungen gaben (man vergleiche z.B. die vier Ordnungen Spalatins bei Sehling, Kirchenordnungen 1, 48-49) —, die große Masse der Geistlichen und des Volkes war für die freiheitliche Entwicklung der Dinge nicht reif, sie mußten eine feste Norm haben, nach der sie sich richten konnten, sie wollten und mußten genau vorgeschrieben erhalten, welches die Grundlagen der Lehre, welches die wichtigsten Kultusformen seien. Das Vorgehen der Schwarmgeister wie Carlstadt3) und Münzer4) hatte die Notwendigkeit fester Grundsätze sehr bald dargetan.

Nur die Obrigkeit konnte hier helfen. Sie allein besaß die Autorität, der man sich willig oder unwillig fügte; sie hatte schon die Visitatoren mit den nötigen weltlichen Machtmitteln ausgestattet, sie erließ jetzt auch Instruktionen, in denen die Erfahrungen der Visitationen niedergelegt waren, wie z.B. den berühmten „Unterricht der Visitatoren” für Kursachsen.5) Damit waren die Anfänge zur Neuregelung des Kultus und des Rechtes gegeben. Vieles blieb noch zu erledigen und umzubilden. Die Gesetzgebung der Landesherren hatte die Lücken auszufüllen. Sie wurde um so einflußreicher, je mehr die freiheitlichen Ideen Luthers schwanden, je mehr Wert auf die „Gleichförmigkeit” in Zeremonien und Becht gelegt wurde6); und als noch gar die Lehrstreitigkeiten ausbrachen, da mußte der Landesherr sogar diese entscheiden, denn für reine Lehre im Lande zu sorgen, war seine oberste Pflicht. So erstreckten sich denn die Kirchenordnungen, welche die Landesherren erließen, auf alle Zweige des kirchlichen Lebens.7) Es war keine andere Instanz im Lande vorhanden, welche allgemein verbindliche Normen hätte erlassen können, die kirchlichen Gesetze ergehen sämtlich als landesherrliche Verordnungen.

Waren die Visitationen beendet, so blieben die Kommissionen vielfach noch zusammen und entschieden Fragen, die infolge der Visitationen an sie gestellt wurden. Naturgemäß wandten sich die von ihnen eingesetzten Pfarrer an sie um Bat. Aber sie waren doch nicht ständig zur Hand, sie konnten nicht immer an Ort und Stelle nach dem Rechten sehen. Sollte also das von ihnen Geschaffene nicht wieder zugrunde


1) Noch im Jahre 1544 wünschen die Leipziger Theologen, daß die lateinische Sprache nicht ganz aus dem Gottesdienste entfernt werde, weil das Alte und Neue Testament lateinisch (!) geschrieben seien. Vgl. Sehling, Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen. Leipzig 1899. S. 12.
2) Vgl. für Dessau hei Sehling, Kirchenordnungen 2, 499.
3) Vgl. Sehling, Kirchenordnungen 1, 696.
4) Münzers Ordnungen vgl. Sehling, Kirchenordnungen 1, 470ff.; 2, 364.
5) Vgl. Sehling, Kirchenordnungen 1, 36. Über den rechtlichen Charakter dieses Unterrichte vgl. ebd. 1, 39 und K. Müller, a.a.O. S. 69ff. — Interessant ist namentlich die Überarbeitung, welche Luther 1538 aus Anlaß der Einführung der Reformation in das Gebiet des Albertinischen Sachsens vornahm. Ein Vergleich zeigt die gewaltigen Fortschritte, welche die Reformation seit 1528 gemacht hatte. Übergangsbestimmungen, die der Unterricht von 1528 noch in größerer Zahl enthält, sind hier gefallen.
6) Vgl. Sehling, Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen. S. 42, 67, 74.
7) Sehling, Kirchenordnungen 1, VII.

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gehen, so bedurfte es einer ständigen Aufsichtsbehörde. Und so hatte man denn auch alsbald zuverlässige und tüchtige Geistliche zu Aufsehern über andere Geistliche bestellt; man nannte sie Superintendenten; ihr Amtssitz war zumeist die größere Stadt, von der aus sie ihre Lokalvisitationen auf das Land erstreckten.

4. So war der Zustand der Reformation in den ersten Jahren ihres Bestandes. Durch die Visitationen war der neuen Lehre zum Siege verholfen. Für das Nötigste war gesorgt: die Pfarreien waren besetzt, die Pfarrer mit Instruktionen versehen, die Pfarrbesetzung geregelt, das Pfarreinkommen fixiert, Lehre, Zeremonien, Kultus, der Katechismusunterricht, „die Katechismuspredigt” eingerichtet. Über die Pfarrer führten die Superintendenten die Aufsicht. In allen Zweifeln wandte man sich an die Visitatoren, oder an Luther, oder an den Landesherrn. Wo irgendwie eine allgemeinere Maßregel zu treffen war, entschied letzterer. Seine Anordnungen waren nicht mehr wie diejenigen der vorreformatorischen Territorialherren vom Gesichtspunkte der Landespolizei aus zu rechtfertigen, die neben der eigentlichen (katholischen) Kirchenregierung in die Erscheinung trat, sondern der Landesherr war an die Stelle der katholischen Kirchenregierung getreten, die nicht mehr vorhanden war. Das rechtliche Regieren übernahm der Landesherr auf Anrufen der Reformatoren; und nur wenn er einmal in die Handhabung des Wortes, insbesondere die Zuchtgewalt eingreifen wollte, wies Luther diese Übergriffe zurück.1) Die Landesherren sahen sich also tatsächlich in die Position der katholischen Bischöfe versetzt. Sie würden zwar, als Kinder ihrer Zeit und im mittelalterlichen Geiste aufgewachsen, es entschieden abgelehnt haben, als Nachfolger der Bischöfe zu gelten, aber in Wahrheit waren sie es.

Aber der Landesherr war persönlich solchen Aufgaben nicht gewachsen. Er bedurfte kirchlicher Hilfsorgane. Die Visitationskommissionen hatten auch nach beendeter Visitation häufig den Dienst solcher Organe versehen. Auf die Dauer war das ebensowenig angängig, als wie das beständige Anrufen des Hofes.

Ein besonderes Bedürfnis entstand nach Ehegerichten. Luther hatte zwar auch hier gehofft, ohne geschriebenes Recht und ohne Gericht auskommen zu können. Aber die Tatsachen hatten ihm unrecht gegeben. Es stellte sich gar bald heraus, daß es unmöglich war, den einzelnen Pfarrern die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Eheschließung, über die Wirkung von Ehescheidungen usw. zu überlassen, um so weniger, je unsicherer das protestantische Recht war, das sich trotz des Widerspruches Luthers auf der zertrümmerten kanonischen Grundlage langsam erst aufbaute. Die Pfarrer und die Amtleute wandten sich in ihrer Not an die Superintendenten oder an die Visitatoren. Luther, Melanchthon und andere entwickelten eine angestrengte Tätigkeit im Erteilen von Gutachten, aber alles dieses konnte eine eigentliche Eherechtspraxis nicht ersetzen. Man hatte sich in Kursachsen zunächst mit periodisch zusammentretenden Kommissionen aus Superintendenten und Amtleuten, Schössern oder Ratsherren behelfen zu können geglaubt2) und gegen deren Entscheidung den Rekurs an das Hofgericht gewährt, aber auch das waren nur Notbehelfe.3)

Es traten damit die organisatorischen Fragen gebieterisch in den Vordergrund. Wenn man früher noch in dem Glauben gelebt hatte, daß man im Rahmen der bisherigen Kirchenverfassung sich bewege, mangels Eingreifens der eigentlich zuständigen Bischöfe, so zeigte sich jetzt mehr und mehr die Unhaltbarkeit dieser Fiktion. Hätte der katholische Episkopat sich der neuen Lehre angeschlossen, so hätte man den alten Organismus auf veränderter Basis übernommen. Quo iure licebit nobis dissolvere


1) So erklärt sich der bekannte Ausfall Luthers gegen Moritz von Sachsen, mit den so oft mißverstandenen Äußerungen über die Trennung des weltlichen und geistlichen Regiments. Vgl. Sehling, Kirchenordnungen 1, 93.
2) Sehling, Kirchenordnungen 1, 53. 56.
3) Vgl. das Bedenken von Jonas vom Jahre 1538 bei Sehling, Kirchenordnungen 1, 57.

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πολιτείαν ecclesiasticam si episcopi nobis concedant illa, quae aequum est, eos concedere. Et ut liceat, certe non expedit. Semper ita sensit ipse Lutherus quem nulla de causa quidam, ut video, amant, nisi quia beneficio eius sentiunt se episcopos excussisse et adeptos libertatem minime utilem ad posteritatem, führt Melanchthon aus.1)

Der Grundsatz des allgemeinen Priestertums, wonach alle „geistlichen Standes, wahrhaftig Priester, Bischöfe und Päpste, aber nicht gleich einerlei werkes” sind, „gleichwie auch unter den priestern und mönchen nicht einerlei werk ein jeglicher hat”, wäre kein Hindernis gewesen; unter Aufrechterhaltung der prinzipiellen Gleichstellung aller und mit einigen dadurch bedingten Reformen hätte man die bischöfliche Gliederung schon erhalten können. Die Einsetzung dieser Bischöfe hätte schon mehr Schwierigkeit bereitet. Vor allen Dingen aber würden diese Bischöfe der nötigen Machtfülle entbehrt haben, welche die Bischöfe der alten Kirche vom Papsttum, dem sich die Fürsten beugten, empfingen, sie wären sämtlich Päpste in ihren Landeskirchen geworden, Päpste, denen gegenüber die Landesherren wahrscheinlich nicht das weltliche Exekutivorgan gespielt haben würden.

Eine gewaltige Umgestaltung mußte das episkopale Organ aber erfahren durch die gänzlich veränderte Stellung, welche die weltliche Obrigkeit im Rahmen des unum corpus christianum nach der Lehre der Reformatoren einnehmen sollte. Die Obrigkeit sollte die Rechtsordnung handhaben, alles erledigen, was nur durch weltlichen Zwang zu erledigen war, das geistliche Amt, und dazu gehörten auch die Bischöfe, sollte auf das Regieren durch das Wort beschränkt bleiben.2) Bei einer diesen Grundsätzen entsprechenden Regelung wäre allerdings von den Befugnissen des iudex ordinarius der alten Kirche nicht viel übrig geblieben: die Gesetzgebungsgewalt, die richterliche Gewalt, die Ämtergewalt, alle wären ihm zu nehmen und der Obrigkeit zu übertragen gewesen. Es wäre für ihn nur eine oberhirtliche Tätigkeit, ein docere (denn pascere nihil aliud est quam docere) auf höherer Rangstufe übrig geblieben, und man hätte kein höheres Regierungsorgan, wie man es doch benötigte, besessen. Die Obrigkeit hätte für alle diese dem evangelischen Bischof nicht zukommenden Amtshandlungen Fürsorge treffen müssen.

Hätte nun aber etwa der Landesherr diese Befugnisse, die ihm selbst gebührten, zur Ausübung den Bischöfen wieder delegiert, so wären diese Bischöfe weder Bischöfe im katholischen Sinne, noch Bischöfe nach dem Herzen der Reformatoren gewesen. Denn, was den ersteren Punkt anlangt, so wären sie Delegierte des Landesherrn, landesherrliche Beamte, nicht Kirchenbeamte, nicht päpstliche Delegatare oder, wie man für die damalige Zeit richtiger sagen kann, selbständige Leiter ihrer Diözesen unter päpstlicher Oberleitung gewesen, sie hätten landesherrliche Befehle zu vollstrecken gehabt. Und, was den zweiten Punkt betrifft, so wären sie nicht bloß Oberhirten, sondern weltliche Regenten geworden, iudices ordinarii, und die von Luther so scharf bekämpfte Vermischung von geistlichem und weltlichem Regieren wäre die Folge gewesen. Entweder wurden die Bischöfe Schemen oder landesherrliche Beamte mit Machtbefugnissen der katholischen iudices ordinarii.

Wie wenig sich die bischöfliche Verfassung für die neue Kirche eignete, zeigen die wenigen Versuche, die mit ihr unternommen worden sind.

Welch eine schwächliche Rolle spielt nicht Nikolaus von Amsdorf als Bischof von Naumburg, wie unsicher, wie unklar ist seine Rechtstellung, und doch, wie


1) Anno 1530. Corp. Ref. 2, 340ff. Und Georg von Anhalt hielt noch im Jahre 1545 den Beitritt des Episkopats für möglich (Sehling, Kirchenordnungen 2, 517) und war 1548 offenbar von der Möglichkeit der Wiedervereinigung auf dem Boden des Interim überzeugt. (Sehling, Kirchengesetzgebung S. 91 ff.)
2) Sehr hübsch sind diese Gedanken durch die Entwicklung einer ganzen Landeskirche hindurch ausgeführt von Schnell, Staat und Kirche im Herzogtum Gotha. Mühlhausen i. Thür. 1913.

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Versucht selbst dieser evangelische Bischof, weitere Befugnisse der katholischen Ordinarii zu erwerben.1)

Ihm sei ein wirklich bedeutender evangelischer Bischof gegenübergestellt, Georg von Anhalt. Bekanntlich verfolgte Moritz von Sachsen, nachdem er ursprünglich an die Einführung von Konsistorien gedacht hatte2), den Plan, sein Land episkopal zu organisieren, das heißt in Anlehnung an die beiden alten Bistümer Merseburg und Meißen in zwei Diözesen mit bischöflicher Verfassung einzuteilen.3) Und gegen alle Bemühungen und Warnungen seiner Theologen4) hat er diesen Plan durchgesetzt. Georg von Anhalt war zum Bischof von Merseburg gewählt worden; der Bischof von Meißen verblieb bei der alten Lehre, ihn abzusetzen wagte Moritz nicht, so reformierte er in Meißen zunächst nur das Konsistorium. Georg von Anhalt faßte sein Amt wesentlich im katholischen Sinne auf, er fühlte sich als wahrer Bischof im alten Sinne; in seinem Namen ergingen Verordnungen, wurden die Urteile der Konsistorien gefällt, ja in einem Merseburger Ausschreiben vom 12. Dezember 1545 wird er als „unser geistlicher Herr Vatter” bezeichnet. Er beschränkte sich ganz und gar nicht auf die Kirchengewalt Luthers; wenn er ungehorsame Pfarrer mit dem „Pfaffenloche” bedroht, wenn er Straf- und Zivilgerichtsbarkeit für sich und seine Organe beansprucht, wenn er für seine Urteile die kritiklose Vollstreckung seitens des Staates verlangt usw., so ist er von einer Lösung der Dinge im Sinne Luthers weit entfernt, er steht ganz auf dem Boden dei mittelalterlichen Lehre über das Verhältnis der staatlichen und kirchlichen Gewalt.5)

Daß diese Lösung der kirchlichen Verfassungsfrage den Pfarrern, die sich selbst als episcopi fühlen durften, nicht behagte, leuchtet ein. Die Befürchtungen der Leipziger waren eingetreten. Und es ist nicht zu verwundern, daß Georg von Anhalt von der Renitenz der ihm unterstellten Geistlichkeit viel zu leiden gehabt hat.6)

Ein weiterer Gegner entstand den episkopalen Bestrebungen in den Landständen. Auf dem Leipziger Landtage von 1547 wurden die Wünsche Georgs nach kirchlicher Straf-und Ziviljurisdiktion energisch zurückgewiesen; solche Sachen gehörten vor die weltlichen Gerichte, und die Stände wollten weder ihre Rechte noch diejenigen des Kurfürsten verkürzt wissen.

Und nicht zuletzt stieß Georg auf den Widerstand des Hofes. Kurfürst Moritz wollte sich natürlich in seinem eigenen Lande von seinem eigenen Bischof nicht in die Position des mittelalterlichen weltlichen Armes drängen lassen. Er setzte vielmehr umgekehrt die Kompetenzen des Bischofs fest. Schon am 27. November 1544 vindizierte er für sich Befugnisse, die Georg als episkopale angesprochen hatte, dem Bischof wurde kein freies Kollationsrecht eingeräumt; andere Konflikte wurden bei der


1) Vgl. Sehling, Kirchenordnungen, Bd. 2, S. 57, 58 unter Naumburg. Hoffmann, Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation, in Leipziger Studien aus dem Gebiete der Geschichte, Bd. 7, Heft 1. Leipzig 1901. S. 129ff.
2) Vgl. Sehling, Kirchenordnungen I, 94ff.
3) Vgl. Sehling, Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen 1544-1549, und Georg von Anhalt. Leipzig 1899. S. 14ff.
4) Mau vergleiche das Gutachten der Leipziger Theologen vom April 1544. (Bei Sehling, Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen. S. 15ff.) Wie treffend macht dieses Bedenken auf die Kollisionen aufmerksam, die zwischen den Bischöfen und den fürstlichen Gewalten entstehen müßten. Wie treffend fürchten sie, daß der Bischof gar bald wieder ein Bischof im päpstlichen Sinne werden würde. — Sehr bemerkenswert ist es, wie die Leipziger in einem weiteren Gutachten von 1545, nachdem sie erkannt haben, daß der Wille des Herzogs unerschütterlich sei, das bischöfliche Amt seiner bedenklichen Seiten zu entkleiden suchen, den Bischof mehr zu einer Art von Präsidenten des Konsistoriums gestempelt sehen wollen, und wie sie die Ideale Luthers durch die Formulierung: „das Amt der Kirchenversorgung oder bischöflicher Befehl steht auf geistlicher Weiden der christlichen gemeind und aufmerkung und bestellung des kirchendienst” zu verwirklichen suchen. (Sehling, a.a.O. S. 19.)
5) Vgl. Sehling, Kirchengesetzgebung. S. 82 ff.
6) Sehling, ebd. S. 88 ff.

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versöhnlichen Natur Georgs leicht ausgeglichen, überhaupt ordnete sich Georg überall dem Landesherrn unter, von ihm empfing er seine Instruktionen, es bestand für Georg kein Zweifel, daß Anordnungen des Landesherrn seinen eigenen vorgingen und daß in allen Zweifelfällen die Entscheidung allein dem Landesherrn gebühre.1) Hierbei muß auch noch beachtet werden, daß Georg sich wegen seiner persönlichen Verhältnisse eines besonderen Maßes von Selbständigkeit gegenüber dem Landesherrn erfreute; ohne den Bischof aus fürstlichem Geblüte würde sich das Regiment des Landesherrn noch viel schärfer auf allen Gebieten des kirchlichen Lebens betätigt haben. Ein monarchischer Episkopat im katholischen Sinne war neben dem allmächtigen Landesherrn nicht haltbar, alle rechtlichen Befugnisse der katholischen Regimentsinstanzen waren auf den Landesherrn übergegangen, und so war es denn auch viel richtiger, wenn der Landesherr sich zur Ausübung dieser Befugnisse nicht noch eigener „Bischöfe” bediente, sondern diejenigen Organe reorganisierte, welche den früheren Bischöfen zur Seite gestanden hatten. Das waren die Konsistorien.

In den Ernestinischen Landesteilen wurde diese Bildung zuerst vollzogen. Das Bedürfnis nach Ehegerichten gab den ersten Anstoß. Schon der Ausschußtag von Torgau 1537 schlug die Errichtung mehrerer Konsistorien vor. Im Auftrage Johann Friedrichs wurde im Jahre 1538 von Justus Jonas, Cruciger, Bugenhagen, Melanchthon, sowie den Juristen Schürpf und Pauli ein Gutachten über diese Frage ausgearbeitet; nach einer Revision durch Luther und Brück wurde das Gutachten dem Fürsten vorgelegt, unter dem Titel „Der theologen bedenken von wegen der Consistorien, so ufgericht sollen werden”.2) Während die Beratungen über dieses Bedenken sich hinzogen, wurde gewissermaßen zur Probe das Konsistorium in Wittenberg eingerichtet und eröffnete Anfang des Jahres 1539 seine Tätigkeit.3)

Das war für die Verfassung der evangelischen Kirche ein epochemachendes Ereignis. Nunmehr hatte die neue Kirche ein eigenes Regimentsorgan gefunden, welches ihr bis dahin gefehlt hatte. Der Ernestinische Vorgang wurde überall nachgeahmt. Die Konsistorialverfassung wurde die Verfassung der lutherischen Kirche. Wie die Konsistorien, die ursprünglich nur als Kirchengerichte gedacht waren, mehr und mehr in die Kirchenverwaltung hineingezogen wurden, und wie im Gegensatz zu diesem nord- und mitteldeutschen System zuerst die württembergische Kirchenordnung Herzog Christophs den Kirchenrat von Hause als Organ der Zentralverwaltung konstruierte, hebt der schöne Aufsatz von K. Müller in HZ. 1909, S. 1ff. besonders scharf hervor.

Welches ist der Rechtscharakter dieser Konsistorien? Auch hier muß man Theorie und Wirklichkeit auseinander halten.

Die Theorie erkennt man aus den Ausführungen der großen Theologenkonferenz, welche Lätare, d.i. am 23. März 1544 zur Beratung der von Herzog Moritz geplanten organisatorischen Kirchenordnung in Leipzig stattfand. Hier wird die Einführung


1) Wenn Georg als Bischof auch das Recht beansprucht, in seinem Bistume rechtsverbindliche Ordnungen zu erlassen, und von diesem Rechte auch Gebrauch gemacht hat, so gesteht er doch ohne weiteres zu, daß allgemeine, für das ganze Land verbindliche Normen nur vom Landesherrn ausgehen können. So schreibt er in einem Bedenken von 1545 (Sehling, Kirchengesetzgebung. S. 54): „Als wissen wir uns zu erinnern, daß auf E.F.L. beschreiben jüngste Weihnachten in der Zelle durch uns und andere beschriebene, von vergleichung etlicher Ceremonien geredt, derer zum theil verglichen und zum theil in E.L. bedenken gestellt haben, dabei denn auch E.L. Räthe gewest, die es darvor gehalten, daß es nicht ungelegen sein solle, daß die Ceremonien gleichförmig gehalten würden, das ime nit ein jeder in seiner pfarre ein sonderes mache, sondern sich einerlei Ordnung halten müßte, die E.L. als der landesfürst geben.” Die Kompetenzverhältnisse waren auch hier nicht genau geregelt.
2) Über diese Bedenken vgl. Richter, Gesch. d. Kirchenverf. S. 82 ff. Mejer, Zum Kirchenrecht des Reformationsjahrhunderts. Hannover 1891. S. 20; Sohm, Kirchenrecht. S. 616 ff. Rieker, a.a.O. S. 161 ff.
3) Vgl. Über die Tätigkeit des Konsistoriums und seine Ordnungen Sehling, Kirchenordnungen 1, 57 ff.

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eines Konsistoriums als dringendes Bedürfnis empfohlen. Das Konsistorium sei „das rechte bischöfliche Amt”. „Das Konsistorium vertritt die ganze christliche Kirche dieser Lande.” Das Konsistorium ist der Inhaber der Schlüsselgewalt.

Damit ist der Charakter der geplanten Kirchenverfassung deutlich gekennzeichnet. Von einem landesherrlichen Episkopat ist keine Rede, als oberstes Kirchenorgan sind an die Stelle der früheren Bischöfe die Konsistorien getreten.1) Die Konsistorien sind als Kirchenorgane gedacht, nicht als landesherrliche Behörden. Neben dem Konsistorium, welches den Bischof vertritt, wäre auch nach den Ideengängen der Zeit für einen Landesherrn als Bischof gar kein Platz gewesen. Die Befugnisse, die einem Bischof gebühren, darf nur dieser oder das Konsistorium üben, nämlich die Kirchengewalt = Schlüsselgewalt. Soweit die Theorie.2)

Wie stand es aber mit diesem Organe in Wirklichkeit? Wessen Wille rief es ins Leben? Wessen Wille war in ihm allein maßgebend? Wer ernannte, wer entsetzte seine Mitglieder? Wer erließ die Instruktionen, die Ordnungen, nach denen es zu handeln hatte? Der Landesherr. Ist es also wohl unzutreffend, wenn man die Konsistorien von Anfang an als landesherrliche Behörden charakterisiert? Zwar folgt diese Stellung des Landesherrn theoretisch nicht aus einer hierarchischen Überordnung, sondern aus seiner Pflicht, als vornehmstes Gliedmaß für die reine Lehre zu sorgen, aber an den nackten Tatsachen vermag diese Begründung nichts zu ändern. Noch im 17. Jh. theoretisierte man in ähnlicher Weise.

Allerdings standen diese Kirchenbehörden, wie Rieker, a.a.O. S. 170 richtig hervorhebt, dem Landesfürsten freier und selbständiger gegenüber, als die politischen Behörden; sie hatten ihre Richtschnur und Instruktion im Worte Gottes und in den Bekenntnissen der Kirche und konnten sich landesherrlichen Weisungen gegenüber darauf berufen. Aber dieses größere Maß von Selbständigkeit ging im Laufe der Zeiten immer mehr verloren, je mehr sich das absolute Regime, der Polizeistaat, herausbildeten und je mehr durch das Anrufen der Obrigkeit in den Zeiten der Lehrstreitigkeiten die Geistlichkeit selbst direkt und indirekt dazu beigetragen hatte, die Sorge für die Erhaltung der reinen Lehre und damit die Entscheidung über Lehrfragen dem Landesherrn zu überlassen. Menschliche Schwachheit hat das übrige getan.

So sind die Konsistorien zwar Organe für die Kirche gewesen, aber solche des Landesherrn für die Kirche. Der Landesherr hat deshalb vielfach seinem Konsistorium präsidiert.3) Und es ist daher auch nicht zu verwundern, daß man den Konsistorien im Laufe der Zeit neben der „Kirchengewalt” mehr und mehr Befugnisse übertrug, die wir als rein staatliche bezeichnen müssen. Die Zuständigkeit zu juristischem Regieren besaßen die Konsistorien nach den Lehren Luthers überhaupt nur kraft obrigkeitlicher Delegation, wenn sie nicht von Hause aus — wie in Württemberg — überhaupt nur für rein weltliche Angelegenheiten geschaffen waren und so von Hause aus nur Organe der staatlichen Obrigkeit sein konnten.4) Je mehr die geringe Selbständigkeit verschwand, deren sich diese theoretisch als Kirchenorgane gedachten Behörden in Wahrheit dem Landesherrn gegenüber erfreuten, um so deutlicher tritt in die Erscheinung,


1) Vgl. auch die sehr deutlichen Ausführungen in einem Gutachten des Konsistoriums zu Leipzig vom Jahre 1566. Dasselbe ist abgedruckt von Sehling in DZKR. 1903. S, 210ff. Vgl. dortselbst S. 216, 217, 220 Z. 2 von unten. Vgl. dazu Merkel in NA. f. sächs. Gesch. und Landeskunde 1906. S. 279ff.
2) Vgl. Sohm, Kirchenrecht 1, 460ff. Rieker, a.a.O. S. 167ff. Sehling, Kirchengesetzgebung unter Moritz von Sachsen. S. 10, 13ff. Derselbe, Kirchenordnungen 1, 95ff.
3) Sehling, Kirchenordnungen 1, 230: „In solchem consistorio wollen wir, als der landesfürst, der oberste president sein, auch demselbigen in eigener fürstlicher person, mit Gottes gnädiger Hülfe, jedesmal beiwohnen.” Konsistorialordnung für Weimar 1561.
4) Vgl. Frauer, Rechtl. Stellung des württemh. Konsistoriums geschichtlich entwickelt, in DZKR. 1907. S. 226ff.

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was tatsächlich mit dem ersten Eingreifen der Landesherren im Jahre 1526 gegeben war, und was die späteren dann auch theoretisch als solches erkannt und bezeichnet haben: das landesherrliche Kirchenregiment.