Wolf, Ernst

Zum Normcharakter der Institutionen

1969

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Ernst Wolf

Zum Normcharakter der Institutionen

 

Das Referat will wieder in den theologischen Kontext zurückführen und zugleich in spürbarem Zusammenhang des bisherigen Gesprächs bleiben; es muß das auch vom Thema her, als welches das Normenproblem aufgegeben ist, zu dem in juristischer und theologischer Sicht Stellung genommen werden soll. Wir haben es hier mit der theologischen Sicht zu tun.

1. Es kann hier nicht von einem abstrakten und darin allgemeingültigen Norm-Begriff ausgegangen werden. „Normbegriff und Normgefüge lassen sich nicht trennen” — wurde bereits in der letzten Sitzung festgestellt (Picht, Protokoll 60). Aber in gewissen Grenzen scheint eine abstrakt-allgemeine Quasidefinition von Norm bei dem engeren Begriff der Rechtsnorm möglich zu sein, sofern sie bestimmt werden kann:
a) durch den Bezug auf typische Fälle des Verhaltens im Bereich des Zusammenlebens von Menschen und des Verkehrs mit der Dingwelt, auch im Modus des Konflikts und des Verfehlens. Hier gewinnen dann auch die soziologischen Analysen Gewicht;
b) durch den Bezug auf den Gesetzgeber;
c) durch das fallweise hinzukommende Moment der Erzwingbarkeit der Respektierung.

Aber schon bei b) wird man im Blick auf das Moment der Beurteilung des Typischen als Typischen die geschichtliche, der Abstraktion widerstreitende Einbettung in ein bestimmtes Kultursystem mit seinen Werturteilen beachten müssen.

Ein theologischer Begriff der Norm wird zunächst nur ganz allgemein von sich aussagen können, daß er:
a) in das schöpferische Gebot Gottes irgendwie hineingehört und
b) darin sowohl unter dem Aspekt des Evangeliums wie des Gesetzes zu betrachten ist;
c) und daß mit ihm vielleicht ausgesagt wird, was theologisch auch mit „Natur” ausgedrückt werden kann (Picht, Protokoll 60,9).

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2. Die Untrennbarkeit von Norm-Begriff und Norm-Gefüge führt im vorliegenden Gesprächszusammenhang lediglich zur Frage nach dem Norm-Charakter der Institution, die hier dem Einsatz unseres ganzen Gesprächs zufolge als ein theologisch zu fassender Begriff gemeint ist.

3. Wenn ich im Zusammenhang unseres Gesprächs bleiben will, kann dann sehr bald der Anschein entstehen, als ob wir uns im Kreise bewegten, bzw. als ob manches, das dann und wann gestreift wurde — vor allem im Referat Professor Raisers 1959 — nun abermals herausgeholt werden muß.

 

A. Sieht man das Gespräch von 1960 als Zwischenspiel an — informatorische Anfrage an die Soziologie nach möglichem, positivem oder kritischem Beitrag zu unserem Gespräch —, dann muß auch heute eigentlich an 1959 angeknüpft werden. 1959 haben wir uns am weitesten von der Ausgangsposition und von unserem ersten Bestimmungsversuch von „Institution” entfernt, wenigstens soweit ich meine, diese verstanden zu haben bzw. verstehen zu sollen. Ich greife aus dem Protokoll von 1959 einiges heraus:
a) festzuhalten sind aus den Schlußthesen die Thesen I und V: „ I. Die Institutionen im Sinne dieses Gesprächs umfassen nicht den gesamten Bereich, den die soziologische Wissenschaft als habitualisierte Verhaltensweisen beschreibt. Mit ihnen ist auch nicht der gesamte Umkreis der Rechtsinstitute der bestehenden Rechtsordnung gemeint. Vielmehr bezieht sich diese Erörterung auf einige mit dem Menschen gegebene soziale Grundbezüge. Diese Institutionen sind einer rechtlichen Ausprägung im einzelnen fähig und bedürftig.” Das wiederholt z.T. unsere ersten Bestimmungsversuche. Wichtig für das Folgende ist in diesen Feststellungen die Bemerkung: „mit dem Menschen gegebene soziale Grundbezüge”. Dazu „V. Die Institutionen, wie immer sie als menschliche Grundbezüge aufgefaßt werden, stehen in der Geschichte des menschlichen Daseins.”
b) Neu hinzugekommen sind und ebenfalls festzuhalten VI/2, partiell VI/1: „VI . . . Mit der Annahme der Institutionen tritt der Mensch freilich zugleich in den Bereich der in ihnen möglichen Pervertierungen”. Dazu „VI . . . Lassen sich die Institutionen theologisch begründen, so zeigen sie dem Christen als eine Hilfe einen Weg zur Verwirklichung der Gerechtigkeit.”
c) Problematisch ist der Satz II b, 2 a, in dem meines Erachtens die

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Institution etwas zu rasch infralapsarisch eingegrenzt wird zu „Ordnungen des menschlichen Lebens zwischen Fall und Gericht”. Sie sind auch nach meinem Dafürhalten unter dem Blickwinkel des Gesetzes anzusehen nicht weil, sondern nur sofern sie auch als solche Ordnungen sich auswirken. Von da aus wird II b 2 b („Die Institutionen tragen unter diesem Gesichtspunkt die Tendenz zur Entfremdung und zur Selbstherrlichkeit in den menschlichen Beziehungen in sich”) zur zutreffenden Erläuterung von VI/2.
d) These III bringt einen m.E. sehr wichtigen neuen Gesichtspunkt für das Institutionen-Problem hinzu, nämlich die Frage „Sollten . . . die Institutionen verstanden werden vom Bunde Gottes mit dem Menschen her, seiner geschichtlichen Treue und dem daraus für den Menschen erschlossenen eschatologischen Horizont der Welt?”

Aus dem Protokoll von 1959 greife ich heraus:
a) die Feststellung, daß im Lauf der Diskussion der Begriff der Institution an Deutlichkeit eingebüßt habe (Dombois, 10);
b) die Tendenz, den Gedanken der biblischen Stiftung der Institution wieder auszuklammern samt dem Vorschlag, von den Rechtsinstituten auszugehen (9);
c) die Verschiebung in der Auffassung dessen, was Institution als „Angebot” bedeutet: bei der Ehe z.B.: „Angebot der Entfaltung, Steigerung des Lebens”, statt etwa Angebot der Menschwerdung des Menschen im grundlegenden, exemplarischen (Modell-)Fall der Existenzgewinnung in Mitmenschlichkeit (5). Dazu die Unklarheit in bezug auf die status-rechtlichen Konsequenzen aus Angebot und Annahme. Denn auch beim Mutter-Kind-Verhältnis wird der status im Prinzip doch erworben. Die gegenteilige Behauptung des Protokolls bedeutet eine Erweichung unseres Institutionen-Begriffs, sofern die Momente des unverfügbaren Angebots und der entscheidungsbestimmten Annahme augenscheinlich nicht mehr in prinzipiell untrennbarer Zusammengehörigkeit konstitutiv sind für den Begriff der Institution.

Als positive Weiterführung und als Bestätigung sehe ich an:
a) den Hinweis auf die Unmöglichkeit, Sollen und Sein zu trennen. „Sollen weist auf Möglichkeit, die Möglichkeit liebt aber im Bereich der Frage nach dem Sein” (Picht, 4). Dabei darf freilich Möglichkeit nicht — etwa im Sinn der katholischen Anthropologie und Morallehre — mit Vermögen verwechselt werden;
b) die Betonung der Ausgangs-Feststellung, daß die Institutionen nicht verfügbar seien (Raiser 5);

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c) die Bemerkung, „daß es sich bei den Institutionen um das handelt, was bei Heidegger die Existenzialien sind: Bedingungen der Möglichkeit, daß Menschen Menschen sein können” (Picht, 7);
d) die Infragestellung des „Interimscharakter” der Institutionen durch den Satz: „Wenn sie aber ihren Ursprung in der Schöpfung haben, sollten ihre Funktionen dann nicht ins Reich Gottes reichen?” (Moltmann, 7);
e) den Hinweis auf den „Bund” als weiteren Ansatz zur Begründung der Institutionen (12), wobei ich in Frage stellen möchte, daß sie darum „auf die Seite des Gesetzes” gehören (Mumm, 10).

Als unerledigte bzw. neu formulierte Probleme hebe ich heraus:
a) die Forderung, den Sprachgebrauch zu klären und die Verwendung des Begriffs der Institution in Soziologie und Rechtstheologie zu prüfen (Raiser, 6);
b) die Frage nach der Anwendbarkeit des Problems Gesetz und Evangelium auf die Institutionen-Lehre (Moltmann, 7);
c) den Hinweis: „Gott bezeugt sich nicht nur in der Offenbarung, sondern auch in den Ordnungen und Entsprechungen”, und zwar als einen nochmals zu überprüfenden Gedanken (Maihofer, 12);
d) die Frage, ob die Person der Institution vorangehe, bzw. ob die Alternative Institution-Person „möglich” sei (13);
e) das wiederholt aufgeworfene Problem der Begründung der Institutionen „auf ein bleibendes Wesen des Menschen vom Fall bis zum endzeitlichen Reich Gottes” (Scheuner, 10), ihrer „Beziehung zum Wesenskern des Menschen” (Raiser, 11), der „Institutionalität” des Menschen als Einstiegpunkt (Picht, 14).

 

B. Das Gespräch von 1960 hat wiederholt das Stichwort Institutionalität des Menschen aufklingen lassen, z.T. im Zusammenhang mit dem Normen-Problem. An die soziologischen Referate wurde hier die Frage gestellt: (III.) „Ist hier etwas über eine (so besser statt: die) dem Menschen inhärierende Institutionalität ausgesagt? Oder liegt in dem soziologischen Ausgang vom triebgebundenen Wesen eine Warnung, diese für unser Gespräch anscheinend nicht unwesentliche These aufzustellen?” (11). Oder: Wodurch ist das, was der Mensch „immer brauche” bestimmt?, durch die needs oder durch die Institutionalität? (13). — Die Antwort lautete: Die soziologische Anthropologie trennte nicht Triebstruktur und Institutionalität. Sie „hat die idealtypische Vorstellung vom Menschen als trieboffenem Wesen. Der

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Mensch ist das Wesen, das Institutionalität hat und seine mitmenschlichen Beziehungen formen muß” (13). „Die soziologische Anthropologie spricht vom Gemeinschaftswesen, nicht (vom) auf Gemeinschaft bezogenen Wesen, braucht aber einen philosophischen Begriff vom Menschen”. — Und hinsichtlich des Norm-Problems heißt es: „Die Soziologie ist der Meinung, daß die Norm-Vorstellungen der Gesellschaft von dieser zu ihrer Erhaltung produziert werden; die Sozialität funktioniert nur mit Hilfe von Sollensvorstellungen” (16).

Im Anschluß daran wurde die Frage von Institution und Norm angeschnitten: Wenngleich der soziologischen These zufolge die Institutionen die Normen produzieren, die der Institutionalität den Halt geben — „der Mensch muß in Gefügen leben, in denen es so etwas wie ein Sollen gibt; das Sollen leitet sich so aus dem Müssen ab” (Picht, 16) —, ist der Normbegriff als solcher im allgemeinen noch anders fundiert, nämlich ontologisch, und nicht im Sollen. „Im Sollensbegriff hat vielmehr eine unzulässige Verschmelzung von griechischem Normbegriff und christlichem Gebotsbegriff, Idee und Gebot stattgefunden” (Picht, 16). Zudem stehen heute schwebende Norm-Begriffe — von Habitualisierung bis zu höchster Heiligkeit — im Vordergrund (Smend). Es gibt auch Normen, auf Grund derer Institutionen beseitigt und neue entworfen werden (Revolution!). Norm lasse sich nur im Zusammenhang mit bestimmten Kultursystemen definieren; eine abstrakte Definition sei nicht möglich (Picht, 16). Es bestehe so also eine „Zweizügigkeit von Normativität und Institutionalität” (16).

4. Hier nun kann unsere Fortführung mit der Frage nach dem Normcharakter der Institutionen (in unserem Sinn!) anknüpfen. Ich beginne mit einigen kritischen Vorbemerkungen:
a) zunächst zu „Institutionalität” des Menschen. Diese Redeweise entspricht einer bestimmten Anthropologie, die herkömmlich von „Sozialität” des Menschen spricht, indem sie den Menschen durch seine „Eigenschaften”: durch „Rationalität”, „Sozialität”, und nun auch „Institutionalität” zu „definieren” sucht. Die Feststellung solcher „Eigenschaften” ist aber das Produkt einer phänomenologischen Analyse. Und hier hat auch die Soziologisch methodologisch freien Raum. Dennoch möchte ich meine Frage wiederholen, ob nicht der soziologische Ausgang vom triebgebundenen Wesen davor warnen müßte, die These von einer dem Menschen inhärierenden Institutionalität aufzustellen.

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Allerdings bleibt die Beobachtung wichtig, daß die soziologische Institutionen-Lehre in ihren mannigfachen Formen formal in einer anthropologischen Verankerung konvergiert, d.h. im Versuch, menschliche Institutionalität aufzuweisen — gegenüber etwa „stiftungsmetaphysischen” Ansätzen in rechtstheologischen Ordnungslehren. Das steht auch ausgesprochen oder unausgesprochen hinter ihren Versuchen, in „wertfreier” Analyse des „sozialen Materials” die Institutionen zu verstehen als Komplexe „von zwischenmenschlichen Beziehungsformen, die für längere Dauer bestimmt sind und den Zweck haben, den Zusammenhang von Menschen und Menschengruppen in einem Gebilde im Interesse der Festigung dieses Gebildes aufrechtzuerhalten” (L. v. Wiese, System der allgemeinen Soziologie, 1933, 2. Aufl., 331) — während die juristische Institutionentheorie den Begriff auf noch immer verhältnismäßig zahlreiche Komplexe rechtlicher Relevant bezieht und unsere theologische Sicht, wie These I von 1959 wiederholt, sich auf einige wenige „Grundverhältnisse”, „soziale Grundbezüge” menschlichen Lebens in Gemeinschaft beschränkt, deren Zahl unter Umständen bestimmt werden soll durch heilsgeschichtliche Analogien und Bilder (z.B. Bund, himmlische Polis, usw.). Das dürfte für die verschiedensten Richtungen innerhalb der Soziologie gelten, sowohl für die mehr philosophische (Scheler, Plessner, Gehlen), wie auch für die antidarwinistisch-biologische (Portmann, Storch) und die rein funktionalistische (Malinowski) und die Pragmatisten (W. James, George Mead, John Dewey). Der Hinweis und Rückweis auf die Anthropologie als entscheidende Voraussetzung scheint also auch hier unausweichlich zu sein. Aber es fragt sich eben, wie die „Institutionalität” anthropologisch zu begreifen ist, ob sie als dem Wesen des Menschen „inhaerierend” betrachtet werden darf.

Eine theologische Anthropologie, die nach der Wirklichkeit des Menschen fragt, nicht nach den Phänomenen seines Daseins und von da aus nach seinem „Wesen”, bzw. die die Phänomene von der Frage nach der Wirklichkeit her zu deuten sucht, einschließlich des Phänomens der „Entfremdung” (als der soziologischen Kategorie für Sünde), wird sich auf jene „Eigenschaften” nicht mehr einlassen können. Sie wird vielmehr „Institutionalität”, „Sozialität” und auch „Rationalität” als die spezifischen Nenner für die existentiellen Grundbedürftigkeiten des Menschen in seiner Menschwerdung ansehen. Der Mensch ist, um Mensch werden und Mensch bleiben zu können, angewiesen auf „Institutionalität, Sozialität und Rationalität”. Das Fundament der Menschwerdung des Menschen, bzw. seiner Wirklichkeit ist für die theologische Anthropologie das Handeln Gottes an ihm, mit ihm und durch ihn. Jedenfalls bezeichnet das die Grundlinie reformatorischer Anthropologie, für die sowohl die „Definitionsformel”: hominem iustificari fide wie auch der Gedanke bezeichnend ist, daß nicht der Begriff der Sünde von der Idee des Menschen als des mit Vernunft und Willensfreiheit

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ausgestatteten, zum Tun des Guten bestimmten und befähigten Wesens her per modum defectivum als Tat und Folge sittlichen Versagens definiert wird, sondern daß umgekehrt man vom Wesen des Menschen in der vorfindlichen Welt post lapsum nur dann zutreffend reden kann, wenn man von dem Bekenntnis ausgeht: peccator sum coram Deo.

Das ist festzuhalten, wenn wir nochmals die noch unerledigte Frage nach der Begründung von „Institution” in unserem Sinne aufgreifen. Die bisherigen Antworten waren gegeben
a) mit Stiftung und Einsetzung durch das Wort Gottes, daneben
b) mit der Frage nach von Gott geschaffenen Ordnungen oder nach von ihm erteilten Mandaten.

Diese Antwortversuche sind gewiß nicht ganz abwegig, aber sie sind in gewisser Weise sekundär. Der primäre Ansatz für die Frage nach der Institution ist eben die Frage nach dem Menschen, gerade auch auf dem Hintergrund von Schöpfung und Erlösung. Indem wir das Problem des christologischen Zugangs zur Anthropologie und zu der schriftmäßigen Deutung der Aussage von der „Gottebenbildlichkeit” des Menschen hier zunächst beiseite lassen bzw. an dieser Stelle ein gewisses Einverständnis unterstellen, so wie es sich in der neueren Theologie abzuzeichnen scheint, kann man in kurzer, andeutender Zusammenfassung etwa sagen:

Gott schuf den Menschen als sein Gegenüber, in Gestalt seines abbildlichen Ebenbildes, charakterisiert durch Partnerschafts- und Bündnisfähigkeit, wobei das Gegenüber-Sein noch besonders und bleibend ausgedrückt ist durch das Gegenüber im Zusammensein der Geschlechter. Die entsprechende Deutung der Schriftaussagen über den Menschen als imago et similitudo Dei ist heute von manchen in der Überprüfung der entsprechenden Ausführungen Karl Barths (KD III,2) auch seitens der alttestamentlichen Exegese anerkannt (J.J. Stamm, Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen im Alten Testament. Theol. Studien 54, 1959). Diese Deutung verdeutlich das für das Wesen des Menschen konstitutive In-Sein in Bund, Partnerschaft, Gemeinde und in anderen Bezügen, die seine Existenz bedingen und ausmachen. Im Schöpfungsbericht selbst werden vor allem drei Gestalten dieses konstitutiven Gegenüber deutlich: Das Gegenüber von Gott und Mensch, das Gegenüber von Mensch und Mensch, und das Gegenüber von Mensch und Erde. Dieses dreifache Gegenüber, das die „Institutionalität” im einzelnen umschreibt, verweist auf ein Dreifaches von exemplarischen

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Institutionen, nämlich auf die Institutionen: Bund, Ehe, Eigentum. Sie werden hier als exemplarisch bezeichnet, nicht im Sinne von Modellen oder von Exempla, sondern im Sinne des primären und zugleich fundamentalen Gestalt-Ausdrucks verwirklichter Institutionalität. (Damit greife ich die Unterscheidung von exemplum und exemplar in der nachaugustinischen Christologie auf. Exemplum meint hier das zur nahezu gesetzlich verstandenen Nachfolge anleitende Bild von Christus exemplum — neben der anderen Formel: Christus sacramentum —, während exemplar auf die biblischen Aussagen vom erstgeborenen Sohn (Luk. 2, 7), unter vielen Brüdern (Röm. 8, 29), der ganzen Schöpfung (Kol. 1, 15) und aus den Toten (Kol. 1, 18) blickt.)

Von diesen exemplarischen Institutionen setzt und erweist der Bund den Menschen in der Partnerschaft zu Gott innerhalb seiner eschatologischen Geschichte. Die zu ihr gehörigen konkreten Bundesschließungen im AT und NT gehen jeweils aller besonderen Inanspruchnahme des Menschen als Menschen voraus. Die exemplarische Institution der Ehe ist in diesem Zusammenhang die Verwirklichungsgestalt der innerhalb des Bundes gottgewollten mitmenschlichen Beziehung und des Ich-Du-Ereignisses auf dieser Ebene. Die diese Institution charakterisierenden Strukturen (Vorgegebenheit und Unverfügbarkeit, Angebot und Annahme usw.) bildeten den Ausgang unseres ganzen Gespräches und drängen nach wie vor zur Frage, ob ihnen nicht eine Allgemeingültigkeit für Institution überhaupt zugesprochen werden soll. Eigentum als Institution ist die Form der innerhalb des Bundes gewollten, nämlich von Gott als dem Eigentümer der Erde gewollten, Lebenswirklichkeit in Mitmenschlichkeit unter dem Auftrag der stellvertretenden Wahrnehmung des Herrschaftsanspruches Gottes auf der Erde, d.h. unter dem Auftrag des dominamini von Gen. 1, 28, bzw. der Einsetzung in den Garten Eden in Gen. 2, 15. Gerade an der Institution Eigentum zeigt sich besonders deutlich das Moment der „Bedürftigkeit” nach „Institutionalität” zur Menschwerdung des Menschen (vgl. dazu jetzt die Berliner phil. Dissertation 1961 von Rolf-Peter Calliess, Eigentum als Institution, München 1962). Eigentum als Institution wird hier entwickelt im Blick auf die Bestimmung des Menschen zur Gemeinschaft mit Gott und dem Mitmenschen in der konkreten Wirklichkeit der Schöpfung Gottes: Eigentumsinstitution ist immer Ausdruck einer — dann auch rechtlich zu regelnden — „Beziehung zwischen Menschen im Hinblick auf Sachen, nicht (einer) Beziehung einer Person zu einer Sache, die erst nachträglich gesellschaftlicher Gestaltung bedarf”

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(Calliess 80). D.h. Eigentum ist von vornherein ein Sozialverhältnis. Anders formuliert, sozusagen „soziologisch” gesagt: „Eigentumsinstitution ist das auf-Dauer-gestellte Verhältnis des Menschen zu einem anderen Menschen im Hinblick auf die ihnen gemeinsam anvertraute Erde” (78 f.). Eigentum als Institution steht so hinter allen geschichtlich wandelbaren Eigentumsbegriffen und begründet zugleich auch die Notwendigkeit des Offenseins für geschichtlich bedingte Wandlungen dieses Begriffes selbst (vgl. dazu E. Wolf, Eigentum und menschliche Existenz, ZEE 1962, 1).

An der Institution des Eigentums wird besonders deutlich, daß Institutionalität hier, wie schon im Protokoll 1960 gelegentlich bemerkt wurde, zu begreifen ist in Analogie zu den Existenzialien eben als Bedingung der Möglichkeit, daß der Mensch Mensch zu sein vermag. Verdeutlichen kann man sich das am Vergleich mit dem tierisch-naturhaften Verhältnis zur Erde. Eigentum bedeutet dann „Befreiung” von einem solchen „zeitlosen”, ungeschichtlichen und lediglich trieb- und instinktbedingten, zugleich individuell höchst spezialisierten Verhältnis. Es ist vielmehr Ausdruck der Stabilisierung menschlich verfügenden Verhaltens in Mitmenschlichkeit gegenüber der Dingwelt, freilich unter ständiger Gefährdung durch eine Fülle von Konfliktmöglichkeiten. Diese stecken nicht nur in dem das „Herrschaftsverhältnis” (dominamini!) zur Erde ausmachenden und darin einer ständigen Erweiterung fähigen Vermögen des Verfügens, und zwar durch den Mißbrauch der Verfügensgewalt, sondern auch in der doppelten Beziehungsmöglichkeit dieses Mißbrauches, nämlich sowohl gegenüber der Aufgabe der Mitmenschlichkeit, wie auch gegenüber der Bewahrung der Schöpfung. Es wird aber daran deutlich, daß Eigentum seinen Sinn nicht allein haben kann in der Befriedigung irgendwelcher biologischer Bedürfnisse, sondern daß es im Hinblick auf das Verfügen der Entfaltung und Behauptung der menschlichen Person „institutionell” zugeordnet ist.

Man ist hier versucht,auf gewisse Parallelen bei verschiedenen soziologischen Konzeptionen und Versuchen hinzuweisen: A. Gehlen betont die Unangepaßtheit und Unspezialisiertheit des Menschen gegenüber der Umwelt, im Unterschied zum Tier, und das Angewiesensein darauf, „die Mängelbedingungen seiner Existenz eigentätig handelnd in Chancen seiner Existenz? umzuarbeiten (Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt. 1955, 38), als Entlastung des prinzipiell weltoffenen Daseins in Kultur und Institution, die gleichsam an der Stelle erscheinen, an der beim Tier die Umwelt steht. Die Institution sichert so die virtuelle Dauererfüllung

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der Bedürfnisse und läßt als „Hintergrundserfüllung” die Bedürfnisse selbst mehr und mehr in ihrer Aktualität verblassen. Allerdings sind hier, für den Soziologen, die „Institutionen” menschliche Produkte, entstanden aus bestimmten Komplexen habitualisierten sozialen Verhaltens. Aber auch so dienen sie zuletzt der Menschwerdung des Menschen und der Bewahrung seines Menschseins.
Portmann, der den Menschen als „physiologische Frühgeburt” ansieht, betont in ähnlicher Weise seine Weltoffenheit, die primäre Natur seines Soziallebens, seine Instinktschwäche, seine geistige Weltorientierung (Biologische Fragmente zu einer Lehre vom Menschen. 2. Aufl. 1951).
Etwas deutlicher wird das noch bei O. Storch (Zoologische Grundlagen der Soziologie, Österr. Z. f. öffentl. R. III NF 1951, 358 ff.). Er unterstreicht, daß an Stelle der Einbindung in rein organischen Geschehen mit ererbten Funktionskreisen und dazu gehörigen Organen beim Menschen eben im Unterschied zum Tier eine Fülle von verselbständigten materiellen und geistigen Neuschöpfungen, „Außenschöpfungen”, auftreten, die sein Dasein gestalten und ihn die Erde bewältigen lassen.

Vielleicht darf man solche Parallelen als soziologische Bestätigung theologischer Erkenntnisse in Anspruch nehmen. Aber wie immer dem sei, von ihnen aus wird gerade an der Eigentumsinstitution vielleicht noch deutlicher als an der Institution der Ehe der Charakter der Institutionalität und damit auch der Institutionen als der unentbehrlichen Bedingungen für die Möglichkeit der Menschwerdung des Menschen in dem Aufeinanderhin von göttlichem Angebot und menschlicher Annahme. Das Angebot nennt der Schöpfungsbericht — sehen wir ab von der „Einseitigkeit” der Bundesschließungen — mit der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau und mit dem Auftrag zur verfügenden Bewältigung der anvertrauten Erde. Beides ist aber miteinander verbunden und beides hat das In-Sein im Bund zur unabdingbaren Voraussetzung. Die Annahme, d.h. also dann bei der Institution Eigentum das menschliche Verfügen, bedeutet von daher „Verwirklichung der solidarischen Existenzgemeinschaft” nicht nur mit der Erde, sondern auch mit dem Mitmenschen (vgl. dazu Calliess 83).

Institution ist also von der theologischen Anthropologie der Gottebenbildlichkeit her konstituiert durch Gottes schöpferischen Anruf, des Menschen gehorsame Antwort und deren Folgen, sofern sie, wo sie sich im Prozeß der Menschwerdung realisiert, auch statusbildend und bewahrend auswirkt. So wie ein gelegentlicher Hinweis von H. Dombois unterstreicht, daß die „Akte freier Zuwendung” in statusrechtliche Rollenpositionen führen und aus sich als Folge Verpflichtungen entlassen. Verpflichtungen, sofern ja in der Tat mit dem Akt der

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Annahme auch die Übernahme einer Verantwortung bzw. das Sich-Unterstellen unter einen zu verantwortenden Auftrag erfolgt.

(Man ist versucht, einer Anregung im Gespräch von 1959 folgend, das lutherische Schema der drei „Erzgewalten”, Hierarchien oder Stände mit der Institutionendreiheit von Bund, Ehe und Eigentum gedanklich zu verknüpfen, auch hinsichtlich der unauflöslichen Zusammengehörigkeit dieser drei Größen einerseits und ihrer Rückbeziehung auf Gott andererseits.)

Diese exemplarische Institutionendreiheit ist supralapsarisch gedacht, d.h. sie sind nicht Sicherungsgrößen um der Sünde willen. Aber in concreto, unter dem Vorzeichen des Ungehorsams — sowohl hybrider Leugnung der Institutionalität wie auch usurpierter Verabsolutierung der exemplarischen Institutionen, die sie nicht mehr als die Bedingungen der Ermöglichung der Menschwerdung des Menschen, sondern als Mittel zu anderen Zwecken verobjektiviert (z.B. der Ehe lediglich zum Zwecke der Nachkommenschaft) —, in concreto werden die exemplarischen Institutionen von der Gefallenheit des Menschen betroffen. Hier ist der Ort, an dem die Sicherungsbemühung rechtlichen Schutzes einzugreifen sucht, welche die Normativität der Institutionen gegenüber der Sünde relativ abzuschirmen sucht durch ein ihnen zugeordnetes System oder Gerüst von Rechtsnormen. Gerade in Beziehung auf jene Institutionen läßt sie sich nicht beschränken auf gebietende und verbietende Normen, sondern nimmt in besonderem Maße auch den Bereich „gewährender Normen” in diese hinein. Denn jene exemplarischen Institutionen sind ja gerade als Angebot aus dem Schöpfer- und Erhalterwillen Gottes gewährende Normen, bereitgestellt, um der Lebensverwirklichung Raum zu geben. Auch daran zeigt sich, daß sich Normen im Grunde nur in Relation auf Institutionen definieren lassen.

Die Normativität der Institutionen ist deren gottgewollter Funktion inhärent, ist durch ihren anthropologischen Bezug, durch die Institutionalität, bestimmt und begrenzt und sowohl durch ihre Unverfügbarkeit ausgewiesen wie auch dadurch, daß die Annahme des Angebotes zugleich Unterwerfung unter eine Verhaltensnorm bedeutet. Insofern könnte in der Tat mit dem Begriff der Norm ausgesagt werden, was theologisch auch mit „Natur” ausgedrückt werden kann (Picht, Protokoll 1960, 9). Man wird Natur hier freilich im Sinne von natura naturans auffassen müssen. Damit ist aber zugleich das Moment der Freiheit eingeschlossen, die, als solche aus der Anteilhabe an der

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Freiheit Gottes lebend, sich nur bewahrt, sofern sie sich nicht mißbraucht. Die Trias der „Institutionalität” des Menschen, sachlich bestimmt durch die Hineinnahme in den Bund Gottes, das Angewiesensein auf Mitmenschlichkeit und Nächstenschaft und durch den Auftrag des dominium zum verantwortlichen Verfügen über die Erde, dienst der Sicherung des rechten Gebrauches der Freiheit. Im Zusammenhang mit dem schöpferischen Gebot Gottes ist ohne diese Institutionen die Menschwerdung des Menschen als Möglichkeit und als Auftrag undenkbar. Die ihnen innewohnende Normativität wird so zuletzt zurückzuführen sein auf das Gebot Gottes. Das Gebot Gottes, das dem Menschen zu seinem Heile gilt, verweist ihn an jene exemplarischen Institutionen, von denen aus sich dann jeweils zugehörige weitere Bereiche der Verwirklichung und der Verwirklichungsbedingungen menschlicher Existenz werden erhellen lassen. Man wird hier auf formale Ableitung verzichten müssen, wird aber gewisse Zuordnungen vornehmen können. So wird z.B. das Problem der Arbeit bis hin zu dem höchsten Ausmaß technischer Bewältigung der Naturkräfte in seinem Zusammenhang mit der Institution des Eigentums zu durchdenken sein. Auch die von uns eingangs des ganzen Gesprächs herausgearbeiteten Strukturen der Institution einschließlich des Momentes der Stiftung lassen sich unschwer mit dieser exemplarischen Institutionendreiheit verbinden, während andererseits die Frage nach einer Institutionentafel durch die theologische Begründung mit den drei exemplarischen Institutionen eine Antwort erhält, die gegenüber bestimmten spekulativen Ausweitungen zu sichern vermag.

1959 hat man die Frage nach dem Interimscharakter der Institutionen aufgeworfen und dann dazu gemeint: „Wenn sie ihren Ursprung in der Schöpfung haben, sollten ihre Funktionen dann nicht ins Reich Gottes reichen?” (Moltmann). Dazu würde ich zunächst sagen: Sie haben ihren Ursprung im Schöpferhandeln Gottes, das in der Verbindung von Gebot und Erhaltungswillen nicht als nur einmaliger Schöpfungs- und Stiftungsakt zu verstehen ist, sondern als je und je erfolgende Inanspruchnahme des Menschen gerade in den Institutionen, und sie gelten der Menschwerdung des Menschen im Rahmen der irdischen Schöpfungswirklichkeit. Im Blick auf diesen Rahmen kann man sie als Interimsordnungen bezeichnen. Denn diese Welt vergeht. Im Blick aber auf die Bestimmung des Menschen zum Reiche Gottes „leben” sie gleichsam weiter in der eschatologischen Vollendung dessen, dessen bestimmungsgemäße Verwirklichung sie eben als die

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ermöglichenden und normierenden Bedingungen zugeordnet sind. Ihr „anthropologischer Bezug” reicht also im Rahmen der eschatologischen Geschichte Gottes mit seinem Menschen über die Zeit dieser Welt hinaus.

Sofern jener „anthropologische Bezug” gesehen wird im Lichte einer theologischen Anthropologie, die wesentlich christologisch und vom Rechtfertigungsereignis her interpretiert wird (hominem iustificari fide), gewinnt die entwickelte Trias der Institutionalität auf dem Hintergrund eines alten, nicht spezifisch christlichen Betrachtungsschemas ihren christlichen Charakter. Zutiefst werden sie allesamt als durch den Menschen in Freiheit und in Verantwortung verwirklichte Anteilhabe an Gottes Freiheit und Schöpferherrlichkeit begriffen, als eine Anteilhabe, die Gott seinem Menschen gewährt, sofern er ihn eben auch als sein Gegenüber schafft.

Zusatz: Zur Erörterung der Frage nach der Normativität der Institutionen waren zunächst lediglich die Ehe und dann besonders das Eigentum als Institution in Blick genommen. Man kann fragen, was in bezug auf die Trias der Institutionalität dit mit Bund, Mitmenschlichkeit und dominium skizziert ist, dann neben den beiden exemplarischen Institutionen von Ehe und Eigentum, die den beiden zuletzt genannten Institutionalitäten entsprechen, der erstgenannten, dem Bund entspricht: Vielleicht darf man hier die Antwort versuchen: die Kirche, begriffen in den biblischen Bildern des Volkes Gottes bzw. des Leibes Christi, und dann im Zusammenhang mit ihr auf sie abbildhaft und nicht ohne die Möglichkeit gegensätzlicher Gestaltung bezogen der Staat. So wie der Bund das Vorzeichen ist, unter dem die beiden anderen Institutionalitäten ihre Wirklichkeit gewinnen können, entsprechen wird man dann auch die der Institutionalität des Bundesverhältnisses zugeordnete exemplarische Institution (samt ihrem infralapsarischen Abbild) als Vorzeichen begreifen, unter dem sich die Verwirklichung jener beiden anderen exemplarischen Institutionen vollzieht. Samt diesem Vorzeichen stehen die Verwirklichungsversuche dieser Institution postlapsarisch aber immer wieder unter der Macht der Sünde, bedroht durch den Ungehorsam gegenüber dem Auftrag auf Grund des sich verfehlenden Mißbrauchs der Freiheit. Die Folge davon ist, daß der Mensch der sichernden, den Institutionen inhärierenden Normativität beraubt, an sich selbst preisgegeben wird. Er verliert damit den ihm zugeordneten, ihm als Gestaltungsaufgabe zugeordneten „Lebensraum”.