Calliess, R.-P.

Institution und Recht

1969

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Rolf-Peter Calliess

Institution und Recht

Bericht über das Rechtsgespräch in der Institutionenkommission der Evangelischen Studiengemeinschaft in der Zeit von 1956 bis 1961

 

A. Einführung

I. Der Verlauf des Rechtsgesprächs

Aufgabe des vorliegenden Berichtes ist es, den Verlauf des rechtstheologischen Gesprächs in der „Institutionenkommission” der Evangelischen Studiengemeinschaft (Christophorusstift) in der Zeit von 1956 bis 1961 darzustellen. In diese Aufgabenstellung ist unabweisbar die Notwendigkeit eingeschlossen, mit der Behutsamkeit, welche angesichts der Weitschichtigkeit und Differenziertheit der in Frage stehenden Problematik geboten ist, den Versuch zu unternehmen, den gegenwärtigen Standort des Gesprächs zu bestimmen.

Zuvor aber wird es sich als notwendig erweisen, den äußeren Rahmen und Verlauf der Verhandlungen in der Kommission zu skizzieren. Denn nur eingebettet in den historischen Kontext läßt sich derjenige Abschnitt des Gesprächs, über den es hier zu berichten gilt, in ganzer Breite verstehen. Darüber hinaus wird durch die Vorwegnahme der Schilderung des Gesprächsverlaufs das Verständnis der Einzelabschnitte des Berichts erleichtert, indem auf diese Weise unnötige Wiederholungen vermieden werden.

1. Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 stellte sich angesichts der tiefgreifenden Wandlungen und Veränderungen der Gesellschaftsstruktur in Sonderheit der Evangelischen Kirche und ihrer Theologie die Frage nach dem Geltungsgrunde des Rechts und damit das Problem seiner theologischen Begründung. Die Fragen von Recht und Gerechtigkeit waren hier freilich kaum oder nur wenig unter systematischen Gesichtspunkten durchdacht, so daß, um Antwort auf die ausstehenden Fragen geben zu können, eine Neubesinnung auf das bislang vernachlässigte Thema erst einsetzen mußte. So ist im Jahre 1949 auf Veranlassung der ersten ordentlichen Synode der „Evangelischen Kirche in Deutschland” zwischen Theologen und Juristen in Göttingen

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ein Gespräch über die christliche Begründung des Rechts in Gang gekommen, dessen Ergebnisse in der Schrift „Kirche und Recht”1 veröffentlicht worden sind. Die theologische Diskussion des gleichen Sachbereichs wurde auf der deutschen und der ökumenischen Naturrechtskonferenz in Treysa 1950 fortgeführt2.

2. Als nun in den folgenden Jahren bis 1954 zwar die wissenschaftliche Erörterung der aufgeworfenen Fragen ihren Fortgang nahm3, eine gesamtkirchliche Bearbeitung des in Frage stehenden Komplexes jedoch nicht mehr stattfand, ergriff die Evangelische Forschungsakademie Christophorusstift in Hemer 1955 „die Initiative zur Fortsetzung und Erneuerung” des Göttinger Rechtsgesprächs4. In Anknüpfung an die Problemstellung von Göttingen und Treysa und die Arbeitsergebnisse der mit dem Christophorusstift verbundenen Arbeit der Eherechtskommission der „Evangelischen Kirche in Deutschland”5 gelang es unter Eingrenzen der Thematik auf den Sachbereich der Institutionen einen weiterführenden Ansatz für das Rechtsgespräch zu gewinnen.

Die in dem Sammelband „Recht und Institution” veröffentlichten Thesen zum Thema Institution6, die das Arbeitsergebnis der Tagung darstellen, bildeten denn auch die Grundlage für den weiteren Gang der Verhandlungen. 1956 und 1957 wandte sich die Institutionenkommission auf ihren Tagungen in Hemer und Münster der Aufgabe zu, die in den Thesen von 1955 formulierten und an Hand der Ehe gewonnenen institutionellen Strukturen im Sachbereich des Staates zu verifizieren. Während dann die Tagung von 1958 in Heidelberg der Verbreiterung der theologischen Basis in Hinsicht auf die für die Arbeit der Kommission relevanten Aussagen bei Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer gewidmet war und auch hier der Sachbereich der Institution noch allein im Vordergrund des Gesprächs stand, wandte sich die Diskussion 1959 (Heidelberg), 1960 (Göttingen) und 1961 (Heidelberg) entschieden dem bislang bewußt offengelassen Verhältnis von


1 Kirche und Recht, Göttingen 1950.
2 Gerechtigkeit in biblischer Sicht, Zürich/Frankfurt-M. 1955.
3 Vgl. hierzu Ernst Wolf, in: Recht und Institution (Glaube und Forschung Bd. IX) Witten 1956, S. 10 ff.
4 Dombois, Recht und Institution, S. 7 f.
5 Vgl. Dombois, a.a.O.; Weltliche und kirchliche Eheschließung (Glaube und Forschung Bd. VI), Gladbeck 1953; Familienrechtsreform (Glaube und Forschung Bd. VIII), Witten 1955.
6 Recht und Institution, S. 71 f.

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Recht und Institution zu, wobei die 1960 in Göttingen abgehaltene Tagung vor allem den soziologischen Aussagen zur Institutionenproblematik und dem Problem des Verhältnisses von Theologie und Soziologie gewidmet war. Die Tagung von 1961 hat nun einen gewissen Abschluß in den Verhandlungen herbeigeführt, der dazu berechtigt, das Gespräch auf verbreiterter Grundlage fortzuführen und dazu veranlaßt, als Vorbereitung für eine Fortsetzung der Arbeit der Institutionenkommission nach einem Bericht über den Standort und die Ergebnisse des Rechtsgesprächs zu fragen.

 

II. Der methodische Weg des Berichtes7

In einem kurzen Abriß soll zunächst der geistesgeschichtliche Horizont des Institutionenproblems und damit auch der theologische Ansatzpunkt für die Frage nach der Institution aufgezeigt werden: Während der Stand der rechtsphilosophischen Diskussion durch ein Nebeneinander von Naturrecht und Rechtspositivismus gekennzeichnet ist, geht es der theologischen Begründung des Rechts heute um eine Überwindung jenes Gegensatzes beider Bereiche. Der Weg, auf welchem eine Überwindung möglich scheint, bietet sich in einem aus einer Verhältnisbestimmung von Theologie und Recht gewonnenen personalen Rechtsverständnis an; und als Ort, wo jene Überwindung Gestalt zu gewinnen vermag, zeigt sich die Institution. Unter diesem Aspekt stellt sich mit Notwendigkeit die Aufgabe, Wesen und Struktur der Institution zu kennzeichnen. Nach einer Skizze der Ergebnisse des ersten Gesprächsabschnittes in der Institutionenkommission im Jahre 1955 wendet sich der Bericht in seinem Hauptteil den verschiedenen Bestimmungsversuchen von Institution zu, die einander ergänzen und je verschiedene Phasen des Gesprächs von 1956-1961 bestimmt haben. In einem weiteren letzten Abschnitt sind Gegenstand der Darstellung die noch nicht abgeschlossenen Verhältnisbestimmungen von Institution und Recht, Norm und Institution.


7 Die dem Bericht zugrundeliegenden Referate und Protokolle werden um der Übersichtlichkeit willen nach Ziffern zitiert, welche in der im Anhang beigegebenen Übersicht aufgeschlüsselt sind. Einzelne Autoren werden im Bericht nur insoweit zitiert, als in den Referaten besonders auf sie Bezug genommen ist.

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B. Die Fragestellung8

I. Nach dem Zusammenbruch des gesellschaftlichen und politischen Lebens im Jahre 1945 stellt sich allerorts angesichts der nun sichtbar werdenden und neueinsetzenden tiefgreifenden Wandlungen der Gesellschaftsstruktur mit erneuter Dringlichkeit die Frage nach dem Geltungsgrunde des Rechts.

1. War bislang das Problem der Rechtsgeltung in Rechtswissenschaft und Rechtspraxis unter dem Einfluß der historischen und positiven Rechtsschule im Sinne eines einseitigen Rechtspositivismus beantwortet worden, so wandte sich nun das Interesse der Suche nach einem überpositiven, jeder Staatsmacht entzogenen Geltungsgrunde des Rechts zu. Blickt man nun heute auf den Verlauf der Diskussion zurück und versucht „Bilanz” zu ziehen, so kann wohl im ganzen der heutige Stand juristischen Denkens zutreffend mit der Formulierung „Zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus”9 umschrieben werden, wenn auch nicht verkannt werden darf, daß in der rechtswissenschaftlichen Praxis und Theorie sich die Waagschale weider weit zugunsten des positiven Gesetzespragmatismus geneigt hat. „Zwischen” Naturrecht und Rechtspositivismus bedeutet in diesem Zusammenhang die Unentschiedenheit des sachlichen Verhältnisses beider Größen zueinander. Naturrecht und Rechtspositivismus stehen damit recht eigentlich in keinem notwendigen, von der Sache her geforderten Verhältnis. Zeichen dieses Sachverhalts ist der Versuch, das Recht zunächst einmal ex se zu definieren. Neben das positive Recht treten zusätzlich Wertungsnormen oder „absolute Werte”, denen das aus sich verständliche Recht unterstellt wird. Rechtswissenschaft wird als „zweistöckige Jurisprudenz” begriffen: im Unterbau das in sich verständliche positive Recht, im Oberbau die Rechtsphilosophie, welche mit dem positiven Recht in keinem notwendigen Zusammenhang steht. Auf dem Boden dieser Konstruktion stellt sich die Frage, wie aus der apersonalen Abstraktion absoluter Werte die Personalität des Rechts hervorgehend gedacht werden kann. Eine Frage, deren Beantwortung durch die radikale Trennung von


8 Vgl. zum Ganzen: Calliess, Eigentum als Institution. Eine Untersuchung zur theologisch-anthropologischen Begründung des Rechts, München 1962, S. 11 ff.
9 Ritter, Zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus (Glaube und Forschung Bd. X) Witten 1956.

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personaler Innerlichkeit des Menschen und der Äußerlichkeit des Rechts ausgewichen wird10.

2. In besonderer Weise stellte sich nach dem Kriegsende die Frage nach dem Geltungsgrunde des Rechts und das Problem seiner theologischen Begründung der Evangelischen Kirche und ihrer Theologie. Auf sie richteten sich in jener Zeit der Neuorientierung die Blicke vieler Juristen, um Antwort auf die anstehenden Fragen zu erhalten. Die Fragen von Recht und Gerechtigkeit waren freilich in der evangelischen Kirche kaum oder nur wenig durchdacht, so daß auch hier erst eine Neubesinnung auf das bislang vernachlässigte Thema einsetzen mußte. Auch ihr stellte sich das Problem von Naturrecht und Rechtspositivismus in seiner ganzen Schärfe. Wollte sie wirkliche Antwort auf die anstehenden Fragen gaben, so war das Problem derart für sie gestellt, ob jenes Zwischen von Naturrecht und Rechtspositivismus im Sinne eines systematisch unfruchtbaren Nebeneinanders der Bereiche sich als ein Zwischen erweisen ließe, das die Überwindung beider Gegensätze in sich schließt. Es war die Aufgabe gestellt, jenes Zwischen als „Hindurch”, als „media via” von einem theologisch fundierten und verstandenen Rechtsbegriff her zu entwickeln.

II. Der Ansatzpunkt zur Beantwortung jener Frage ist in der Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und recht, von Rechtfertigung und Recht zu suchen: In dem Satz, daß dem Wesen des Rechts die Rechtfertigung des Rechtes inhäriert. Oder anders formuliert: „Rechtsidee und konkrete Rechtsordnung folgen stets der religiösen oder pseudoreligiösen Rechtfertigungsidee, d.h. dem geglaubten Grundverhältnis des Menschen zu Gott oder dem an seine Stelle gesetzten geschichtsphilosophischen Prinzip”11.

1. Hieraus ist ersichtlich, daß Recht in seinem Wesen als Relationsbegriff zu denken ist; es ist objektiv gerechtfertigte Macht, subjektiv Vollmacht12. Dieser Sachverhalt bedeutet die systematische Absetzung sowohl gegen das Naturrecht wie gegen den Rechtspositivismus. Weil einerseits die Rechtfertigung des Rechts ein grundsätzlich transzendentes Moment ist, widerstreitet diese Sicht dem naturrechtlichen Versuch, wesentlich aus immanenten Zusammenhängen oberste Grundsätze zu gewinnen, die das Recht bestimmen. Und weil andererseits ein


10 II b 7 f.
11 Dombois, Zur Begegnung von Rechtswissenschaft und Theologie, in: Kerygma und Dogma, Jg. 3, H. 1, 1957, s. 61.
12 II b 6.

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immanenter Sinn des zu Rechtfertigenden gegeben ist, widerstreitet diese Sicht dem positivistischen Versuch, die bis zur Willkür gesteigerte Setzung zu transzendieren, wobei diese dadurch inhaltlich entleert wird, daß er sich mit der bloßen Setzung begnügt.

Mit der im relationalen Rechtsbegriff gegeben Befreiung von traditionellen Akzentsetzungen naturrechtlicher oder positivistischer Art bietet sich ein Verständnis des Rechtes an, welches geeignet ist, den Gegensatz von Naturrecht und Rechtspositivismus in einer media via zu überschreiten13.

2. Wenn nun die Rechtfertigung dem Wesen des Rechts inhäriert, und Recht als nichtgerechtfertigtes nicht gedacht werden kann, so muß die Frage beantwortet werden, an welcher Stelle die christliche Rechtfertigung des Rechts in den Fluß der Geschichte eingreift und welche Bedeutung diese Tatsache zukommt. Die Rechtsgeschichte nun läßt seit jeher die Berufung auf zwei Rechtfertigungsgründe erkennen: creatio und praedestinatio. Oder anders: Weil menschliches Denken unlöslich in die Kategorien der Zeit eingespannt ist, geschieht die Rechtfertigung stets entweder vom Ursprung her oder auf ein Ziel hin, also entweder traditional oder final.

Beide Möglichkeiten der Rechtfertigung des Rechts sind nun aber in der menschlichen Vorstellung nicht zu vereinen. Und beide Rechtfertigungsarten scheitern: Das traditionale Recht am Kontinuitätsbruch durch das Zukommende, das finale Recht am Versuch der Beharrung. Theologisch sind beide Rechtfertigungsversuche Ausdruck der Selbstermächtigung des Menschen: im einen durch den Rückgriff, im anderen durch den Vorgriff auf die verlorengegangene heile Gemeinschaft14.

Wenn also eine theologische Rechtsbegründung einen Sinn haben soll, so muß sie die Position bezeichnen, welche die Gegensätze von traditionalem und finalem Recht überwindet. Denn nur auf diese Weise ist es möglich, konkret zu zeigen, wo die Verbindung der Rechtfertigung des Rechts mit der Rechtfertigung des Sünders aus dem Glauben sich herstellt.

Heißt also Rechtfertigung des Sünders Vergebung der Sünden und Hereinnahme in eine neue Gemeinschaft, so bedeutet Rechtfertigung des Rechtes:
a) dem traditionalen Recht werden seine Sünden nicht vorgerechnet und ein neuer Anfang wird ermöglicht. Rechtfertigung des Rechtes


13 II b 6.
14 II b 10.

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bedeutet hier die Bejahung der erhaltenden Funktion des traditionalen Rechts im Noch des Nichtgerichtetseins, das Offenbleiben der Situation für das von Gott Zukommende.
b) Das finale Recht wird befreit von der Aufgabe, das Ende aller Dinge in einer neuen Gemeinschaft herbeiführen zu müssen. Es wird von diesem Zwang befreit, indem das eschatologische „Schon” in einer proleptischen Eschatologie dazwischentritt.

Weil der Mensch Alpha und Omega nicht zusammenzubringen vermag, bedeutet die Rechtfertigung des Rechts die Möglichkeit, das Paradoxon des „Doch Schon” und „Noch Nicht” durchzuhalten15. Sie ist die Ermöglichung des Rechts und seiner Unmöglichkeit, indem Gott in Christus in die Aporien der menschlichen Existenz stellvertretend eingetreten ist16. Die Erscheinung Gottes im Fleisch in der Mitte der Zeit ist die heilsgeschichtliche Verknüpfung des traditionalen und finalen Aspekts der Rechtfertigung. Die Rechtfertigung des Rechts fällt vertikal in den horizontalen Fluß der Geschichte. Der Ort nun, an welchem dieses Geschehen deutlich und konkret wird, ist die Institution. Die Institution als Raum menschlicher Lebensmöglichkeiten und geschichtlicher Gestalt und Existenzbezüge17. Die Institution ist der Ort, an dem die Rechtfertigung des Rechts sich vollzieht. Sie ist der Ort, an welchem traditionales und finales Rechtsdenken sich begegnen und ihr Zusammenhang sichtbar wird. Sie ist die Stelle, an welcher die Offenheit für Vergangenheit, Gegenwart und die Transzendenz des Zukommenden zugleich gegeben ist.

 

C. Institution und Recht

I. Die Ausgangsposition

Ist also Institution zunächst einmal als der Ort umschrieben, an welchem die Rechtfertigung des Rechts konkret und deutlich sichtbar wird, so ist es an der Zeit, die Frage aufzuwerfen, was denn eigentlich diese Institution ist, die eine Verstehensart der rechtlichen Probleme sein und wesentlich über jene oben geschilderte ältere Betrachtungsweise von Naturrecht und Rechtspositivismus hinausführen soll18.


15 II b 10 ff.
16 II b 12.
17 II b 25 ff.
18 VI b 4 ff.

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Das 1955 wieder beginnende theologische Rechtsgespräch, welches das Göttinger Gespräch unter Einengung auf den Bereich der „Ordnungen” fortsetzte und von den Erkenntnissen der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland ausging, brachte zunächst eine terminologische Bereinigung. Die Einigung darauf, daß der historisch stark belastete Begriff der „Ordnung” und seine Spielarten vermieden werden sollten. Statt dessen wählte man den Begriff der Institution. Man folgte darin einer Anregung Jacques Elluls19, welcher den Begriff der Institution aus der französischen Rechtslehre übernommen, aber umgeprägt hat, und schlug vor, statt von einem System oberster Werte oder naturrechtlicher Normen von einem Kernbestand mitmenschlicher Beziehungsformen auszugehen, die sich auf die Heilige Schrift gründen lassen und in denen Grundverhältnissen menschlichen Daseins Gestalt gewinnen.

Man formulierte 195520:
a) Institutionen sind Stiftungen Gottes, die den Menschen in Verantwortung nehmen21. Im Stiftungscharakter ist die Einheit von Vorgang und Zustand beschlossen22. Die Institutionen können zwar beschrieben und in Einzelheiten ausgestaltet, jedoch nicht abschließend definiert werden23.
aa) Institutionen sind Stiftungen Gottes, weil sich in ihnen der Herrenwille Gottes in Gestalt ihrer ausdrücklichen Einsetzung kundtut. Mit der setzenden Stiftung Gottes ist der ontologische Wirklichkeitsgrund der Institutionen gegeben24.
bb) Erkenntnisgrundlage des Stiftungscharakters ist die Offenbarung Gottes im Alten und Neuen Testament25. Die Institutionen sind weder aus der Analytik phänomenaler Strukturen noch aus einem abstrakten theoretischen Prinzip verstehbar. Sie sind allein aus dem Glauben zu erkennen aus dem stiftenden Worte Gottes, das ihnen konkrete Gestalt verleiht, und in stetem Bezug auf die konkrete Geschichtlichkeit im Raum phänomenaler Wirklichkeit. Die ontisch-phänomenale Eigenart der Institutionen bedarf der theologischen Erhellung, weil ihr Sein


19 Ellul, Die theologische Begründung des Rechts, München 1948.
20 Recht und Institution, S. 71 f.
21 R Th. II 3, III 5 f.
22 R Th. III 5 e.
23 R Th. III 5 c.
24 R Th. II 4 a.
25 R Th. II 3.

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in dem Tatbestand gründet, daß sie in Gottes Wort gefaßt und mit Gottes Wort verbunden sind26.
b) Institutionen sind der Ausdruck typischer Beziehungsformen. Sie sind dem Menschen im Grundriß vorgegeben und im Prozeß geschichtlicher Verwirklichung in Akten der Annahme gestaltungsfähig27. Sie sind eine Wirklichkeit, in welcher Vorgang und Zustand in einer Einheit beschlossen sind28. Sie beziehen sich auf diejenigen Grundverhältnisse menschlichen Daseins, die den höchsten Grad an existentieller Dichte besitzen29. Die Verwirklichung der Institutionen bedarf eines Aktes des Annahme, welcher Entscheidungs- und Hingabecharakter trägt. Durch den Vollzug von Annahme und Hingabe werden Institutionen nicht erst geschaffen30.

Die Thesen von 1955 stellen die Basis dar, von welcher das Institutionengespräch von 1955 bis 1961 ausging und an welcher es sich orientierte. Aus diesem Grunde waren sie dem Bericht, bevor er sich dem Fortgang der Institutionendiskussion in ihren einzelnen Verzweigungen zuwendet, eingebettet in den größeren Zusammenhang des Rechtsgesprächs, noch einmal voranzustellen.

 

II. Institution und Recht

Das Thema, mit dem der vorliegende Bericht überschrieben ist, stellt eine bewußte Umkehrung des letzten veröffentlichten Berichts über die Arbeit der Institutionenkommission, der den Titel „Recht und Institution”31 trug, dar. Mit der Umkehrung des Themas ist zugleich auch schon der Weg der Bestimmungsversuche beider Sachverhalte beschrieben, den die Kommission gegangen ist. Während noch Hans Dombois Institutionen als den „rechtlichen Ausdruck typischer Beziehungsformen” definierte32, beschreiben die Thesen von 1955 Institutionen lediglich


26 R Th. II 4.
27 R Th. III 5 a.
28 R Th. III 5 e.
29 R Th. III 5 d.
30 R Th. III 5 b.
31 Recht und Institution; eine Fortsetzung des Göttinger Gesprächs von 1949 über die christliche Begründung des Rechts, herausgegeben von Hans Dombois, Witten 1956.
32 Dombois, Das Problem der Institutionen und die Ehe, in: Recht und Institution, S. 57.

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als „Ausdruck typischer Beziehungsformen, die weitgehend gestaltungsfähig, aber im Grundriß vorgegeben sind”33. Der entscheidende Unterschied in der Beschreibung dessen, was Institution ist, weist auf den Sachverhalt hin, daß das Verhältnis von Recht und Institution bisher nur anvisiert wurde. Lediglich die Fragestellung wurde 1955 dahingehend präzisiert, ob Institutionen konstitutiv-rechtlichen Charakter tragen oder lediglich in der Dimension des Rechts leben34.

Zunächst war also die Aufgabe gestellt, auf der Grundlage der Thesen von 1955 zu bestimmen, was Institution eigentlich ist. Denn nur vom sichtbar gemachten Grunde der „Institution” vermag eine Entfaltung zu erfolgen. Nur von hier aus eröffnet sich die Möglichkeit, ihr Verhältnis zum Recht zu beschreiben.

Bei dem Versuch nun, das Wesen der Institution zu bestimmen, sind im Gang der Verhandlungen im wesentlichen drei Verstehensweisen, drei Denkansätze sichtbar geworden, die in Frage stehende Problemen in den Griff zu bekommen:
1. Der Versuch, die Institution vom Begriff der Stiftung her zu bestimmen.
2. Der Versuch, in einer „phänomenologisch anmutenden Sicht” vom konkreten Rechtsphänomen auszugehen.
3. Der Versuch einer systematisch-theologischen Bestimmung von Institution.

In der Sache selbst überschneiden sich alle drei Aspekte. Um der Übersichtlichkeit der Darstellung willen jedoch sollen mögliche Vergröberungen und Vereinseitigungen in Kauf genommen werden. Jeder der drei methodischen Aspekte stand in verschiedenen Phasen der Kommissionsverhandlungen zeitweilig im Vordergrund und lieferte so von seiner Seite, wie noch zu zeigen wird, eine notwendige Ergänzung des Ganzen.

 

III. Die Bestimmungsversuche von Institution

1. Die positiv-biblische Methode

Die zweite und dritte Tagung der Institutionenkommission in den Jahren 1956 und 1957 hatten sich die Aufgabe gestellt, die am Modellfall


33 R Th. III 5 a.
34 Recht und Institution, S. 67.

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der Ehe gewonnenen Ergebnisse hinsichtlich des Sachbereichs der Institution am Phänomen des Staates zu erproben.

Hatten die Thesen von 1955 am Beispiel der Ehe formuliert: Institutionen sind Stiftungen Gottes, weil sich in ihnen der Herrenwille Gottes in der Gestalt ihrer ausdrücklichen Einsetzung kundtut35 und: Erkenntnisgrundlage des Stiftungscharakters ist die Offenbarung Gottes im Alten und Neuen Testament36, so war damit hinsichtlich des staatlichen Bereichs die Frage gestellt, ob dieser sich als Institution im Sinne der Ausgangsthesen erweisen lassen werde.

Zunächst war mit jenem Ausgangspunkt festgelegt, daß der Staat als Institution sich weder aus der Analytik phänomenaler Strukturen noch aus einem abstrakten theoretischen Prinzip verstehen und begreifen lassen werde37. Begründungsversuche des Staates, welche ihn entweder a) anthropologisch aus der sozialen Natur des Menschen, b) ontologisch als natürliche Ordnung, Macht- oder Erhaltungsordnung „wesensmäßig” begreifen oder c) von seiner vermeintlichen Zweckbestimmung her definieren wollen, müssen aus dieser Sicht abgewiesen werden. Aber auch eine christologische Begründung verbietet sich als Betrachtungsweise, in welcher die vorgegebene, unverfügbare und nicht definierbare Institution spekulativ abgeleitet wird.

Gerade für das institutionelle Verständnis des Staates ist der Verzicht auf eine Ableitung und Begründung wesentlich. Das bedeutet, theologisch bedeutsam ist einzig die Aussage, daß Gott in Christus Herr über alle exousiai ist. Was unter den exousiai zu verstehen ist und woher sie abzuleiten sind, ist aus der Offenbarung nicht auszumachen. Der Staat kann in seiner Vorgegebenheit nur beschrieben, aber nicht abschließend definiert werden38.

Mit dieser Beschreibung geschieht eine Abgrenzung gegenüber jenem ordnungstheologischen Denken, in dem die Unverfügbarkeit nur der Idee nach besteht. Sie kennt im Unterschied zur Institutionenlehre kein Geheimnis39. In ihr sind die Institutionen derart ideologisch aufgeladen, daß sie sich als restlos beschreibbare und abschließend definierbare Bereiche darstellen. Indem die Ordnungstheologie Einblick in die letzte Sinnhaftigkeit des Staates zu geben versucht, — Staat ist, damit . . . — zum Beispiel durch seine heilsgeschichtliche Einordnung als


35 R Th. II 4a.
36 R Th. II 3.
37 R Th. II 4.
38 I c 4.
39 I c 5.

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Interims-Erhaltungsordnung usw., versucht sie, die Forderung eines positiven Verhaltens des Menschen zu ihm zu begründen. So sicher der Staat aber Interimsordnung ist, so läßt sich doch angesichts der vorgegebenen Institution die verpflichtende Aufgabe des Menschen nur aus dem Herr-Sein Gottes über die exousiai begründen40.

Herr-Sein Gottes bedeutet in diesem Zusammenhang zweierlei: a) Gott ist der Schöpfer des sozialen Gefüges und b) Gott ist Herr über den politischen Bereich; hier im Staat kann der Wille Gottes nicht als Schöpferwille, sondern sachgerecht nur als Herren-Wille gekennzeichnet werden41.

Von der Heiligen Schrift her läßt sich über den Staat also aussagen: Gott will das Zusammensein der Menschen und er will Herr sein über die zusammenseienden Menschen; der politische Bereich wird in seiner Faktizität gesehen und durch den Herrenwillen Gottes in Beschlag gelegt. Der Staat wird als Ausdruck des Herrenwillens Gottes definiert42.

Aus dem bisher Gesagten ist eines deutlich geworden: Mit dieser Sicht ist systematisch der Verzicht auf eine biblisch-positivistische Begründung und Bestimmung des Staates als Institution ausgesprochen. Diese Sicht hat den Verzicht auf eine Bestimmung des Staates als Stiftung zum Inhalt, welche biblisch nicht nachweisbar ist. In diesem Ergebnis ist eine wesentliche Modifizierung der Ausgangsthese II von 1955 erhalten, welche noch als konstitutiv für die Beschreibung von Institution ihre „ausdrückliche Einsetzung” ansah43. Zunächst soll diese Modifikation jedoch nur für die Institution des States gelten. These I 2 von 1957 formuliert aus diesem Grunde: „Nicht alle Grundbezüge sind wie die Ehe ausdrücklich in der Schrift als Stiftungen Gottes ausgewiesen”44. Aus dieser Formulierung ergibt sich zunächst, daß man den Begriff der Stiftung in modifizierter Form als Kriterium der Abgrenzung und Bestimmung von Institutionen beizubehalten suchte. Der Staat zeigt sich nicht mehr als direkt positiv biblisch aufweisbare Stiftung45; indem aber die Heilige Schrift „an vielen Stellen das Eingebundensein des Menschen in das politische Zusammenleben vor Augen” stellt, kann „das rechtlich geordnete politische Gemeinwesen als Institution im Sinne des Gesprächs” angesehen werden46.


40 I c 5 f.
41 I c 6.
42 I b 1.
43 II c 8-9.
44 II d; III c 6 f.; vgl. unten S. 61.
45 III c 6-7.
46 II d These I 2; vgl. unten S. 61.

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Der Staat kann als Stiftung Gottes beschrieben werden, in welcher sich der göttliche Herrenwille vollzieht. Er ist in seiner Macht- und Dienstgestalt unableitbares Geheimnis, das durch kein rationales Gesellschaftsverständnis ersetzt werden kann; er wird so verstanden als „selbstzweckliche Herrschaft, die Dienst ausübt”47.

Damit war eine Modifizierung des Stiftungsbegriffs dahingehend vorgenommen, daß man auf eine ausdrückliche Einsetzung mit „Fundstelle” verzichtete, den positiven Stiftungsbegriff aber insofern aufrechtzurerhalten versuchte, als man nun von der direkten Positivität der Fundstelle — bei der Ehe etwa Gen. 1 und 2 — auf eine indirekte Positivität, die Sichtbarkeit „des Eingebundenseins des Menschen in das politische Zusammenleben” zurückging. Damit war jedoch fraglich geworden, was denn nun feststellbares Kriterium für die Bestimmung derjenigen Bereiche menschlichen Zusammenlebens ist, denen Institutionscharakter zugesprochen werden soll.

Im Ergebnis war zweierlei festzuhalten:
a) Inhaltlich wird auf den biblizistisch-positivistischen Aufweis der Institution in der Schrift verzichtet. Das hat zur Folge, daß damit im Grunde der positive Stiftungsbegriff und damit die biblisch-positive Methode als geeignetes Mittel der Abgrenzung und Bestimmung derjenigen sozialen Bereiche, welche als Institutionen im Sinne des Rechtsgespräches angesehen werden können, aufgegeben worden sind. Es hat sich als unmöglich erwiesen, vom Begriff der Stiftung her eine „Tafel” von biblisch begründbaren Institutionen aufzustellen48.
b) Das Wort Stiftung soll auch weiterhin beibehalten werden, wobei sich nunmehr die Aufgabe seiner inhaltlichen Neufüllung stellt.

Angesichts diese Sachlage mußte sich das Problem folgendermaßen stellen: Wenn man im weiteren Verlauf des Gesprächs versuchen wollte, die Bezeichnung „Stiftung” aufrechtzuerhalten, so mußte sie, um ihre konstitutive Bedeutung für die Bestimmung dessen, was Institutionen sind, zu beweisen, inhaltlich neu gefüllt werden.

So erörterte denn die Kommission im Jahre 1958 die Frage einer neuen inhaltlichen Bestimmung des Stiftungsbegriffs unter dem Aspekt von Bonhoeffers Mandatsbegriff. Das Ergebnis der Beratungen führte jedoch grundsätzlich nicht über den bisherigen Ansatz hinaus. Man mußte es bei der Feststellung belassen, daß zwar bei einzelnen Institutionen,


47 I c 24 f.
48 V c 9.

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wie etwa der Ehe, die Stiftung konkret biblisch nachweisbar ist, daß aber bei anderen Institutionen, wie etwa dem Staat, die zwar auch im Ergebnis als Stiftungen erkannt werden, sich die Stiftung lediglich „nachträglich” biblisch aufweisen läßt49.

Es kann ausgemacht werden, daß Institutionen und Mandate nicht „a priori” von einem einmaligen Stiftungsakt her begriffen werden können, sondern lediglich „a posteriori” in der Einheit von Stiftung und Vorgang. Wenn überhaupt von Stiftung gesprochen werden kann, so nur im Zusammenhang mit der menschlichen Freiheit zur Annahme und Neugestaltung der Institution50. Die sozialen Gebilde lassen sich nicht aus der Bibel deduzieren, sondern ihr faktisches Dasein ist anzuerkennen. Gott gibt dem Menschen die Freiheit zur Gestaltung der Institution51. Der Stiftungsbegriff ist unbrauchbar, wenn der Akzent einseitig auf dem „Woher” liegt. Es stellt sich das Problem, ob nicht die Frage nach der Verheißung, nach dem „Wohin” im Vordergrund stehen muß52, die sich schon in der Möglichkeit der freien Gestaltung andeutet53. Unter diesem Aspekt stellt sich die Frage, ob nicht vom eschaton, dem Aufgegebensein vom Gericht her, neu nach den Institutionen gefragt werden muß, und ob nicht in dieser Sicht der Begriff der Stiftung neu entfaltet werden kann54.

Über die sich hier anbahnenden neuen Fragestellungen wird unten an anderer Stelle berichtet werden müssen, weil die hier sichtbar werdende Betrachtungsweise die darzustellende positiv-biblische Methode der Bestimmung und Abgrenzung von Institutionen thematisch überschreitet. Der bisherige Ansatz der Kommission, welcher die Frage nach der Stiftung der Institution positivistisch mit der Weisung der Heiligen Schrift zu verknüpfen suchte, wurde 1959 als zu eng empfunden, weil sich angesichts der Hereinnahme der rechtlichen Problematik in der Diskussion herausstellte, daß ohne Begründung und Klärung des Begriffs der Institution das Verhältnis von Recht und Institution nicht bestimmt zu werden vermochte55.

Mit Hilfe des positivistischen Ansatzes, der Bezugnahme auf ausdrückliche und indirekte Stiftungsfundstellen in der Heiligen Schrift hatte es sich im Verlauf des Gesprächs bis zum Jahre 1960 als unmöglich erwiesen, aus der Vielzahl der sozialen Gefüge Institutionen


49 III c 6-7.
50 III c 6.
51 III c 7.
52 IV c 5.
53 III c 7.
54 IV c 9.
55 IV c 4, 6, 7.

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herauszulösen, zu bestimmen und biblisch zu begründen56. Hatten schon die Thesen von 195857 den Stiftungsbegriff nicht mehr aufgenommen, so wurde er in den Thesen von 195958 vollends ausgeklammert und 1960 als weiterführende Möglichkeit zur Bestimmung und Abgrenzung der Institutionen nicht mehr diskutiert59.

 

2. Die phänomenologisch-induktive Sicht

Waren Institutionen zunächst einmal als der Ort begriffen, an welchem die Rechtfertigung des Rechts konkret und deutlich sichtbar wird, so war die Aufgabe gestellt, das Wesen der Institution, das also, was Institution ist, zu bestimmen. Um Kriterien zu finden, die es ermöglichen, die Institutionen als solche abzuheben, mußte man sich vom Gedanken einer ausdrücklichen oder unausdrücklichen biblischen Stiftung lösen und nach einem anderen Weg der Bestimmung und Abgrenzung suchen. Er bot sich in einer personalen Interpretation der konkreten Rechtsinstitute an60.

Neben jenem biblisch-positivistischen Bestimmungsversuch von Institution war in der Arbeit der Kommission eine Verstehensweise einhergegangen, welche man als „phänomenologisch anmutende Sicht” bezeichnen kann. Sie stand recht eigentlich am Anfang der Arbeit der Kommission. Sie verkörperte eine Betrachtungsweise, die, aus dem Arbeiten der Eherechtskommission der Evangelischen Kirche in Deutschland erwachsen, den Ansatz für die Arbeit der Institutionenkommission bildete. Es handelt sich um eine Verstehensweise, welche methodisch induktiv vom vorfindlichen Rechtsinstitut der Ehe ausgegangen ist, eine Methode, in deren Entfaltung sich phänomenologisch im konkreten Rechtsinstitut personale Vorgänge und Zuordnungen „zeigen”, die in einen rechtlichen Status führen61.

Der phänomenologisch-induktiven Methode geht es also zunächst um eine rechtstheologische, d.h. juristische Interpretation der rechtlichen Bereiche ohne direkten theologischen Bezug, jedoch mit implizit theologischen Hintergrund62: Um eine „phänomenologisch anmutende Sicht, die außerhalb der Theologie nicht möglich ist”63. Ihr geht es darum, das Verhältnis von Akt und Sein, Vorgang und Zustand, neu


56 V c 9.
57 III c 8.
58 IV d.
59 V c 8.
60 IV c 9-10.
61 R 62.
62 VI b 13.
63 R 62.

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zu bestimmen und die vereinseitigenden Gegensätze der Thesen: „operari sequitur esse” der scholastischen und „esse sequitur operari” der dialektischen Theologie zu überwinden64.

Besonders die Thesen III 5 a bis III 5 e von 195565 sind Ausdruck jener Bemühungen, die am konkreten Rechtsinstitut gefundenen personalen Strukturen für ein neues über jene älteren Betrachtungsweisen hinausführendes institutionelles Rechtsverständnis fruchtbar zu machen. Die Institutionen zeigen sich am Phänomen der Ehe als Wirklichkeit, in welcher Vorgang und Zustand in einer Einheit beschlossen sind66. Die Institutionen sind dem Menschen im Grundriß vorgegeben, aber doch in Akten der Annahme gestaltungsfähig67. Ihre Verwirklichung geschieht in Akten der Annahme, die Entscheidungs- und Hingabecharakter tragen68. Sie beziehen sich auf diejenigen Grundverhältnisse menschlichen Daseins, die den höchsten Grad der existentiellen Dichte besitzen69. Der theologische Bezug der phänomenologischen Aussagen ist zunächst durch den Hinweis auf den Stiftungscharakter hergestellt in welchem die Einheit von Vorgang und Zustand beschlossen liegt70.

Wenden wir uns nach diesen allgemeinen Bemerkungen wieder dem Gang der Verhandlungen in der Kommission zu. Wie wir bereits gesehen haben, versuchte man auf den Tagungen in den Jahren 1956 und 1957 zu ermitteln, ob auch der Staat als Institution zu begreifen sei, und ob auch für ihn jene an der Ehe deutlich gewordenen personalen Vorgänge und Zuordnungen, jene existentiellen Grundbezüge71 also, zu verifizieren seien. Bei den phänomenologischen, rechtlichen und theologischen Untersuchungen zum thema probandum diente der Begriff der Institution vor allem als „heuristisches Prinzip”72, welches geeignet war, zu den bislang durch die Ordnungstheologie verstellten Sachfragen Zugang zu gewähren. Die am Modellfall der Ehe gewonnenen Ergebnisse wurden am Sachbereich des Staates erprobt.

Im Mittelpunkt der Erörterungen standen zwei Komplexe: 1. der vorgegebene Grundriß der Institution Staat in seiner Typizität73 und 2. die subjektive Annahme und Gestaltungsfähigkeit des Staates als Institution74.


64 II b 19.
65 R 72; vgl. oben S. 18 f.
66 R Th. III 5 e.
67 R Th. III 5 a.
68 R Th. III 5 b.
69 R Th. III 5 d.
70 R Th. III 5 e.
71 II d; vgl. unten S. 61 f.
72 I c 2.
73 I c 12; R Th. III 5 a c, d.
74 I c 12; R Th. III 5 a b, e, d, f; IV f.

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1. Das Typische der Beziehungsform Staat versuchte man als „Herrschaftlichkeit” zu beschreiben, die nicht als Mittel zum Zweck, sondern analog zur Selbstzwecklichkeit Gottes als Selbstzweck zu definieren ist. Das Strukturelement der Herrschaftlichkeit zeigt die Vorgegebenheit und Unableitbarkeit des Staates derart aus, daß gemäß Röm. 13 von dem „Daß” des Staates ausgegangen werden muß und keine Auflösung des Staates in die Traditionalität oder Finalität des „Um zu” vorgenommen werden kann75. Theologisch schiebt sich unter diesem Aspekt die Frage in den Vordergrund, ob eine evangelische Staatslehre nicht in erster Linie von Eph. 1 und erst dann von Röm. 13 und Apg. 20 auszugehen hat, ob nicht das Bekenntnis im Vordergrund zu stehen hat, daß Christus der Herr der vorgegebenen und unableitbaren exousiai ist76.

2. So folgt dann die Nötigung des Christen zur Bejahung des Staates nicht aus der Einsicht in seine Sinnhaftigkeit, sondern zwingend allein aus der Christologie — aus dem Kyrios-Bekenntnis von Eph. 1, 20 f. Im Grunde ist angesichts der Anbetung und Dämonisierung des Staates nur dem Christen ein „Ja” zu diesem möglich, weil der Christ weiß, daß Christus Herr über alle exousiai ist. In der Konkretisierung dieses grundsätzlichen „Ja” aus dem Glauben, im Rahmen der Einordnung des Einzelnen in dem Staat, also ist nach freiem Ermessen eine Anerkennung der verschiedenen staatlichen Einrichtungen denkbar. Von hier aus erst wird das Problem der Annahme in ganzer Breite sichtbar.

Der Annahmeakt zeigt sich in zweistufiger Gestalt: a) Die grundsätzliche Annahme und Bejahung der Institution des Staates wird auf Grund des Kyrios-Bekenntnisses möglich, aber auch verpflichtend. b) Diesem grundsätzlichen Annahmeakt folgt — ebenso wie der Rechtfertigung die Heiligung — die Nötigung zur ständig neuen konkreten Integration77. Unter diesem zweiten Aspekt der ständigen Integration stellt sich die Frage nach einer politischen Tugendlehre, welche als politische Usus-Lehre die Funktion hätte, den Weg zur Integration zu ebnen. Hierbei kann es dann nicht um eine Tugendlehre im Sinne einer thomistischen Anthropologie, sondern nur um eine solcherart gestaltete gehen, deren Zentrum es ist, die Mitverantwortung des Einzelnen im politischen Raum aus dem Gehorsam zu konkretisieren.


75 I c 8-9.
76 I c 3.
77 I c 12.

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Es geht dabei um einen christlich-politischen Pragmatismus, welcher an die Stelle einer Metaphysik des Staates tritt, und in dessen Betätigung sich die Akte der Annahme abspielen78.

Gegenstand des Annahmeaktes ist etwas im Grundriß Vorgegebenes, der vorgegebene Status der Institution Staat, welcher vom Annehmenden nicht erst geschaffen wird. Die Berücksichtigung des von Rudolf Smend neuinterpretierten Berufsgedankens läßt dabei hinsichtlich des Institutionsproblems deutlich werden, daß Annahme sowohl autonome Entscheidung zur Übernahme und Gestaltung des Staates wie auch heteronome Entscheidung sein kann.

Juristisch geht es darum, gegenüber reinen ipso-iure Unterwerfungsvorgängen (z.B. im Staatsangehörigkeitsrecht) stärker die Notwendigkeit eines bewußt-aktiven Annahmeaktes herauszuarbeiten. Bei der in ständigen Integrationsakten geschehenden Annahme, für die phänomenologisch eine Vielzahl von Typen denkbar ist, handelt es sich um aktive Annahme auf einen Ruf zur Annahme79. Der Ruf zur Annahme ist konkrete Berufung, die in einen Stand hineinwirkt; sie ist nicht selbst Stand, der immer schon angenommen ist oder erst angenommen werden soll. Das geschilderte Verständnis bricht das geltende Berufsdenken in seiner politisch-ökonomischen Verengung auf, es begreift den Menschen in einer Vielzahl von Institutionen und nicht als isoliertes Subjekt, das erst per subsequens einen einzigen Beruf ergreift80.

Ist also dem Menschen im Stande der Rechtfertigung die Vollmacht verliehen, in den weltlichen Institutionen der Menschheit in Liebe zu dienen, so tragen die Annahmeakte den Charakter des Dienstes im Gehorsam gegen Christus81, des Nachvollzugs der in Christus offenbar gewordenen Herrschaft, Gerechtigkeit und Stellvertretung, wobei deutlich ist, daß jeder Annahmeakt die Übernahme von Schuld mit einschließt und von daher der Rechtfertigung bedarf82.

Angesichts des total organisierten Staates nun, der weitgehend als in technische Funktionen aufgelöst erscheint, bleibt die Sinnerfüllung des Einzelnen in dieser Institution weithin unsichtbar. Es ist die Aufgabe der Institutionentheorie, die politische Existenz in den existentiellen Dimensionen des Amtsvollzuges z.B — Tod, Interregnum, Amtsübertragung — neu deutlich und verständlich zu machen83.


78 I c 12, 25; R Th. IV 6 e.
79 I c 16.
80 II b 3 f.
81 ThI 4-II d.
82 Th. 3, 4 in III c. 8.
83 II c 4; II b 1 ff.

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Charakteristisch für das Fehlen eines personalen Amtsverständnisses im totalen Staat ist die Tatsache, daß die Verfehlung des Amtes hier lediglich dadurch korrigiert zu werden vermag, daß der Schuldige im Schauprozeß „ausgemerzt” und so das System korrigiert wird84.

Mit der bisherigen Behandlung der Institution als Einheit von Vorgang und Zustand und der Untersuchung des kategorialen juristischen Begriffs der Annahme85 in seiner phänomenologischen Vielfalt war eine im wesentlichen formale Behandlung des Problems gegeben, wenn auch eine Materialisierung der formalen Aussagen im Laufe des Rechtsgesprächs dahingehend stattfand, daß bei der Amtsbestellung und Naturalisation ähnlich wie am Phänomen der Eheschließung die materialen Strukturen von Aussonderung und Zuordnung sich zeigten86.

Wenn sich aber die induktiv-phänomenologische Methode die Aufgabe gestellt hatte, Werturteile über den Grad der Existentialität des menschlichen Lebens in den Institutionen abzugeben, und dies in einer media via zu normloser Strukturanalyse und normativer Ethik zu bewältigen87 suchte, so war mit Notwendigkeit das Problem einer Verbreiterung der materialen phänomenologischen Basis gestellt88.

Thema der Institutionentheorie ist nicht das Überlassensein des Menschen in der Unmittelbarkeit des Kyrios Christus gegenüber einer Vielzahl profaner Institutionen oder die Prüfung der historischen Faktizität am Liebesgebot; das Institutionenproblem stellt sich nicht als rein ethisches, sondern vielmehr als zutiefst dogmatisches. Aufgabe ist die Hereinnahme der Ethik in die Dogmatik, und das bedeutet hinsichtlich des Institutionenproblems: die Gestalt der Institutionen selbst muß auf das Liebesgebot hin überprüft werden89. Nicht die menschliche Organisationsform wird am „von außen” auf sie zukommenden ethischen Gebot gemessen und beurteilt, sondern die juristische Dogmatik wird unter theologischen Aspekten auf ihre personale Gestalt hin befragt, um so zu einem neuen juristischen, aber doch rechtstheologischen Verständnis des Rechts zu führen.

Auf der Tagung der Institutionenkommission im Jahre 1961 „zeigten” sich an der behandelten Problematik von „Norm und Institution” neue Aspekte des kategorial-juristischen Begriffs der Annahme. Bislang war zwar erörtert worden, daß der die Verwirklichung der Institutionen vollziehende Annahmeakt Entscheidungscharakter trägt, sein


84 II c 2.
85 II b 1.
86 Vgl. VI b 4.
87 II c 6 f.
88 VI b 1 ff.
89 II c 10.

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Hingabecharakter90 war jedoch lediglich postuliert. Dieser Hingabecharakter war nun der näheren Betrachtung zu unterziehen. Es wurde deutlich, daß es sich bei der Annahme im streng rechtlichen Sinn um kausa-lose, spontane, unter keinem Rechtsgrund forderbare Akte handelt; um akte freier Zuwendung, nicht geschuldeter Wahl, welche in der Entscheidung konkret werden91. Zuwendung bedeutet hier Statuseinräumung als davon unterscheidbarer Akt, der ebenfalls der Annahme bedarf. Vermöge dieser Generalbestimmung scheint es möglich, weitere Rechtsinstitute und Rechtsphänomene wie die Schenkung, Erbeinsetzung, Adoption, die Gnadenakte und Vorgänge des Sachenrechts in die institutionelle Betrachtung einzubeziehen.

Akte freier Zuwendung erzeugen und implizieren Verpflichtungen desjenigen, der durch sie begünstigt wird, wobei es gleichgültig ist, ob es sich um eine einseitige oder wechselseitige Begünstigung handelt.
a) Inhaltlich wird also primär ein Rechtsstatus eingeräumt, innerhalb dessen sich der Begünstigte frei bewegen kann. Hier wird ein Raum für ein freies Handeln gewährt. Von hier aus wird deutlich: Akte freier Zuwendung haben die Struktur der Gabe. Ihr normatives Element liegt in der geschaffenen und eingeräumten Rechtsrolle und Rechtsposition und impliziert in ihr Freiheit. Erfüllung bedeutet also wesentlich: Nichtverletzung des mit der Rolle gegebenen Verhältnissen92. Die Verpflichtung stellt nicht den Inhalt des Zuwendungsaktes dar, sondern zeigt sich als dessen Folge93.
b) In Gegensatz hierzu stehen die schuldrechtlichen Verhältnisse: Hier ist das Zusagen eines bestimmten Handelns der unmittelbare Gegenstand des Rechtsvorganges. Die schuldrechtlichen Kontrakte gehen auf Erfüllung der beiderseits gewollten Zwecke aus, ohne Herstellung eines diese Zwecke überschreitenden Zuordnungsverhältnisses94. Das souveräne Subjekt steht außerhalb des geschaffenen Normgefüges. Im Rechtsvorgang wird der Rechtsstatus der Parteien stets vorausgesetzt und nicht erst begründet95.

Im Ganzen wird man davon ausgehen können, daß institutionelle Strukturen wesentlich das Personen- und Sachenrecht, das Mitgliedschafts- und Amtsrecht, die Forderungsstrukturen hingegen das Schuld- und Strafrecht bestimmen. Allerdings zeigen auch gerade die Fürsorge-


90 R Th. III 5 b.
91 VI b 5.
92 VI b 7.
93 VI b 6.
94 VI b 7.
95 VI b 11.

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und Treupflichten im Arbeitsrecht, daß in durchaus funktionalen Verhältnissen institutional interpretierbare Zuordnungen entstehen können, die in dem Leistungsvertrag eingebettet sind96.

Indem aber gerade das letzte Beispiel zeigt, wie personale Rechtsverhältnisse auch in hohem Maße in funktionalen Zusammenhängen wirksam werden können, vollzieht sich eine Entfernung von der Möglichkeit der Betrachtung einzelner benennbarer und darum isolierbarer Institutionen und eine Annäherung an die soziologischen Aussagen von der Institutionalität des Menschen.

Institution wird unter diesem Aspekt als engagierte Spontaneität definiert, als sich zuwendende Freiheit, weil sie freie Zuwendung ist; als Spontaneität, welche von ihrem Gegenstande und Gegenüber nicht ablösbar ist und nur in personaler Zuwendung in Erscheinung tritt97.

Mit der Darstellung des Zuwendungscharakters der Institution in den letzten Absätzen haben wir nun der Entwicklung des Institutionengesprächs schon etwas vorgegriffen und sind vom Bericht über das Staatsgespräch in den Jahren 1956/57 auf das Jahr 1961 übergesprungen. Dieser Vorgriff erwies sich aber als notwendig, weil auf der einen Seite nur auf diese Weise die Sichtweite der phänomenologisch-induktiven Methode im Zusammenhang voll deutlich zu werden vermochte, und weil auf der anderen Seite auf den Tagungen von 1958 bis 1960 die hier darzustellende induktive Sicht des Institutionenproblems ganz in den Hintergrund des Gesprächs aus Gründen rückte, die nun im folgenden darzustellen sind.

Schon in den vorhergehenden Absätzen des vorliegenden Berichtes ist die methodisch bedingte Schwierigkeit der phänomenologisch-induktiven Sicht des Institutionenproblems deutlich geworden: Es gelingt ihr nicht, theoretisch schlüssige und praktisch anwendbare Aussagen darüber zu machen, welche Institutionen aus der Vielzahl der faktisch vorfindlichen als Institutionen im Sinne des Gesprächs anzusehen sind.

Obwohl man 1959 feststellte, wie noch im anderen Zusammenhang zu zeigen sein wird, daß der Begriff der Institution „an Deutlichkeit eingebüßt hatte”, konnte These 1 von 195998 in Verfolg der induktiven Methode noch formulieren: „Die Institutionen im Sinne des Gesprächs umfassen nicht den gesamten Bereich, den die soziologische Wissenschaft als habitualisierte Verhaltensweisen beschreibt. Mit ihnen


96 VI b 12.
97 VI b 12.
98 IV d; vgl. unten S. 63.

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ist auch nicht der gesamte Umkreis der Rechtsinstitute der bestehenden Rechtsordnung gemeint. Vielmehr bezieht sich diese Erörterung auf einige mit dem Menschen gegebene soziale Grundbezüge.”

Bei einer derartig eingrenzenden Beschreibung stellt sich mit Notwendigkeit die Frage nach dem hierbei gebrauchten Maßstab der Abgrenzung und Bestimmung von Institutionen: „Die Abgrenzung des Kreises der Institutionen als besonders hervortretender, umfassender (unausweichlicher) Grundbezüge des menschlichen Lebens setzt einen Maßstab dieser Abgrenzung voraus”99.

Eine Antwort vermochten die Thesen jedoch nicht zu geben, sondern legten ihrerseits nur Fragestellungen nach brauchbaren Abgrenzungsmaßstäben offen, die sich möglicherweise aus einem theologischen Verständnis des Menschen ergeben könnten.

Allerdings hatte man bislang als Abgrenzungsmaßstab den der „existentiellen Dichte” zu benutzen versucht, indem man formulierte: „Institutionen beziehen sich auf diejenigen Grundverhältnisse menschlichen Daseins, die den höchsten Grad der Existentialität besitzen”100. Dieser Abgrenzungsmaßstab entsprach auch folgerichtig dem phänomenologischen Ansatz der induktiven Methode in ihrem Ausgehen von personalen institutionellen Vorgängen und Zuordnungen.

Wenden wir den Blick noch einmal zurück: Der personale Charakter der Institution zeigte sich am Phänomen der Ehe als Struktur. Von diesem Ausgangspunkt wandte sich die Institutionenkommission der Frage nach analogen Strukturen mit anderem Sachgehalt zu, wobei man von der Voraussetzung ausging, daß die institutionellen Strukturen in allen Bereichen gleich, ihrem Substrat jedoch und Gegenstande nach verschieden seien101. Diesen Strukturcharakter auf den Sachbereich des Staates zu verifizieren, stieß jedoch auf grundlegende Schwierigkeiten. Angesichts des total organisierten Staat, welcher weitgehend in technische Funktionen aufgelöst ist, erschien es unmöglich, durch Übertragung des „höchstpersonalen Modells der Ehe” auf den Bereich des Staates dessen abstrakt-regelhaftem, versachlichtem Charakter und damit der Abstraktheit der Institutionen überhaupt gerecht zu werden102. Zwar erwies sich die Anwendung dieses Institutionsbegriffs hinsichtlich der Phänomene von Amt und Staatsbürgerschaft zum


99 IV d; vgl. unten S. 64.
100 Vgl. oben S. 19; R Th. III V d.
101 VI b 1 f.; II b 18.
102 V a 9 ff.; VI b 1 f.; V c 11 f.; II c 4 ff., 6 ff.

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Beispiel als positiv, weil diese im wesentlichen als personale Zuordnungen begriffen zu werden vermochten. Der Staat im Ganzen jedoch ließ sich nicht auf personale Elemente reduzieren103.

Angesichts dieser Sachlage stellt sich nun die Frage, ob die existentielle Dichte als Intensität der personalen Begegnung geeignetes und hinreichendes Mittel zur Bestimmung und Abgrenzung dessen ist, was man als Institution im Sinne des Rechtsgesprächs bezeichnen kann. Der Gang der Diskussion in der Institutionenkommission, welcher sich auf den Tagungen von 1958 bis 1961 der Verbreiterung der theologischen, soziologischen wie juristischen Aspekte des Problems zuwandte, scheint diese Frage zu verneinen. Und in der Tat verhält es sich so, daß dort, wo man die existentielle Dichte, also die Intensität der personalen Begegnung, zum entscheidenden, wenn auch nur pragmatischen Kriterium der Bestimmung und Abgrenzung für Institutionen macht, die Gefahr einer Zerreißung der Rechtswelt entsteht und die theologische Aussage sich der Möglichkeit begibt, die Gesamtheit des Rechtes unter ihrem Aspekt zu würdigen.

Existentielle Dichte drängt sich als Kriterium der Abgrenzung und Bestimmung von Institutionen am „Modellfall” der Ehe auf, am kleinen überschaubaren menschlichen Bereich also, bei dem die rechtlich versachlichte Beziehung nur am Rande sichtbar und als Grenzfall bedeutsam ist. Je größer jedoch die Gruppen von Menschen sind, welche unter einer einheitlichen, rechtlichen Regelung zusammengefaßt werden sollen, desto geringer ist die faktische — nicht grundsätzliche — Möglichkeit zur Verwirklichung existentieller Dichte und personaler Intensität zu veranschlagen. Weil die personale Kommunikationsmöglichkeit und -kapazität des Einzelnen überschritten ist, wird die versachlicht-funktionale Regelung zentral sichtbar. Mit dem Phänomen der existentiellen Dichte ist letztlich keine Bestimmung und Abgrenzung von Institutionen möglich, weil es sich bei den verschiedenen Institutionen um eine fließende, faktische Zu- und Abnahme der Möglichkeit personaler Intensität von der kleinen zur größten Institution handelt. Existentielle Dichte ist in allen sozialen Gruppen eine Frage der Offenheit für den Mitmenschen in Christo. Und diese Offenheit ist als personale Intensität grundsätzlich sowohl in der Ehe als auch im Staat und Verkehr vollziehbar wie nicht vollziehbar, nur je in verschiedener sachangemessener Weise.


103 VI b 1 ff.

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Diesen Schluß bestätigen sowohl die soziologische Beiträge in den Beratungen der Institutionenkommission im Jahre 1960104 als auch die oben vorgeführte Definition von Institution innerhalb der phänomenologisch-induktiven Sicht selbst im Herbst 1961. Entgegen der zunächst noch vorgenommenen Unterscheidung zwischen Rechtsinstituten mit institutionellem Charakter (z.B. Personen- und Sachenrecht) und solchen mit Forderungscharakter (z.B. Schuld- und Strafrecht) wurde schon am Beispiel des Arbeitsrechts deutlich, daß in durchaus funktionalen Verhältnissen institutional interpretierbare Zuordnungen entstehen können, die in den Leistungsvertrag eingebettet sind105. So vollzog sich denn zugestandenermaßen eine Entfernung von der Möglichkeit der Betrachtung einzelner benennbarer und darum isolierbarer Institutionen, welche durch die existentielle Dichte bestimmt sind; der Begriff der Institution wurde nun zurückgenommen auf die Beschreibung als engagierte Spontaneität; als Spontaneität allerdings, die von ihrem Gegenstande und Gegenüber nicht ablösbar ist106.

Weil das, was Institution in phänomenologisch-induktiver Sicht heißt, etwas betrifft, was an den vorfindlichen Institutionen aufleuchtet und dort sichtbar wird, wo der Mensch im eschatologisch erschlossenen Horizont der Welt steht, ist weder eine Reduktion dieser Sicht auf eine allgemeine Anthropologie oder Rechtslehre möglich, noch ist diese Betrachtungsweise geeignet, die Bestimmung und Abgrenzung von Institutionen im Sinne des Gesprächs zu leisten. Der Begriff der Institution in phänomenologisch-induktiver Sicht betrifft also Phänomene personaler Zuordnungen und Vorgänge, welche in den konkreten Rechtsinstituten sichtbar werden, wo der Mensch im eschatologisch erschlossenen Horizont der Welt steht.

Indem die phänomenologisch-induktive Methode im Rechtsinstitut personale Strukturen aufzudecken vermag, ist sie geeignet, zu einem neuen und weiterführenden Verständnis der juristischen Dogmatik zu führen. Sie vermag jedoch im Ganzen wegen ihres phänomenologischen Ansatzes nicht eine Bestimmung und Abgrenzung dessen zu leisten, was als Institution im Sinne des Gesprächs anzusehen ist. Die Bewältigung dieser Aufgabe war jedoch für den Fortgang der Verhandlungen in der Institutionenkommission grundlegend. Während also im weiteren Verlauf des Rechtsgesprächs die phänomenologisch-induktive


104 V c 8 f.; 12; V a 8-11.
105 VI b 12.
106 Vgl. oben S. 19 f.; IV b 12.

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Betrachtungsweise wegen ihrer großen Fruchtbarkeit für ein Neudurchdenken der rechtlichen Problematik mit allen ihrem Einzelergebnissen beibehalten und vertieft wurde, führte man sie jedoch hinsichtlich der Abgrenzungsfrage nicht mehr weiter.

 

3. Die systematisch-deduktive Sicht

Auf den Tagungen von 1956/57 hatte die Institutionenkommission es unternommen, die am Modellfall der Ehe gewonnenen institutionellen Strukturen am Phänomen des Staates zu erproben. Dieses Vorgehen zeigte sich im Ganzen als weiterführend, und besonders der „kategoriale juristische Begriff der Annahme” bewies seine Fruchtbarkeit für eine Neuinterpretation des Rechts. Der stark personale Charakter des bisherigen Institutionsbegriffs führte jedoch zu den bereits aufgeführten Schwierigkeiten, den transpersonalen Charakter des Staates zu erfassen und überhaupt zu einer Bestimmung dessen zu gelangen, was angesichts der mannigfaltigen sozialen Bereiche als Institution im Sinne des Gesprächs zu verstehen war.

Die Bestimmung und Abgrenzung dessen aber, was Institution ist, mußte für den Fortgang des Gesprächs vor allem mit Rücksicht auf die noch ausstehende Beschreibung des Verhältnisses von Institution und Recht konstitutiv sein. Nicht zuletzt aus diesem Grunde wandte sich die Institutionenkommission nunmehr unwillkürlich mehr systematischen Erwägungen zum Institutionenproblem zu und ließ dabei die phänomenologisch-induktive Betrachtungsweise stärker in den Hintergrund treten.

Da also am Sachbereich des Staates eine Fülle von neuen Problemen aufgeworfen worden war, wandte man sich 1958 der Erörterung theologisch-systematischer Grundfragen, vor allem an Hand von Dietrich Bonhoeffers Mandatsbegriff und Karl Barths christologischem Ansatz zu (I); 1959 versuchte man eine erste Bestimmung des Verhältnisses von Norm und Institution (II); der Versuch führte aber angesichts der weiter ungeklärten Institutionenproblematik vorerst nur zu neuen Fragestellungen, welche 1960 dazu nötigten, eine Orientierung am Institutionsbegriff der Soziologie vorzunehmen (III). Im Herbst 1961 gelang dann bei einer erneuten Bearbeitung des Normenproblems eine theologische Begründung der Institution, welche das Gespräch hinsichtlich der Institutionenproblematik zu einem gewissen Abschluß führte (IV).

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I. Die Diskussion in der Institutionenkommission hatte verschiedentlich positive Hinweise auf Bonhoeffers Mandatsbegriff und seine Versuche, das Verhältnis von Akt und Sein zu bestimmen, gebracht. So war es nicht verwunderlich, wenn nunmehr in der theologischen Erörterung die Konzeption Bonhoeffers unter der Fragestellung, was sie für die Institutionenproblematik auszutragen imstande sei, 1958 zum Gegenstand der Verhandlungen gemacht wurde.

Das ethische und speziell das rechtstheologische Gespräch stößt zwangsläufig immer wieder auf das schwebende Verhältnis von Akt und Sein, von naturrechtlich-idealistischer Normierung einer zuvor materialisierten Wirklichkeit und positivistischer Apotheose der Wirklichkeit des geschichtlichen Prozesses oder der Selbstentfaltung menschlicher Rechtsvernunft. Während dort das Gute der Idealwert ist — gewonnen aus einer apriorischen Einsicht in das Recht der Werte oder das kirchlich autorisierte Normensystem — wird hier die Autonomie des Sozialprozesses selbst und die Anpassung an das jeweilige Zweckdienliche selber das Gute107.

Im Wirklichkeitsbegriff108 versucht Bonhoeffer den Durchbruch zu einem Jenseits von Sollen und Sein, Normethik und Sozialethik, Naturrecht und Rechtspositivismus und trifft sich darin mit der Ausgangsposition der Institutionenkommission, welche im Begriff der Institution jene „media via” zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus konkret zu ermitteln und darzustellen sucht.

Grundsätzlich versucht Bonhoeffer, die eigentümliche Schwebelage christologisch zu erfassen: In Christus ist die Gotteswirklichkeit nicht Idee, Wert oder Möglichkeit geworden, sondern in die Wirklichkeit der Welt eingegangen. In Christus ist die Weltwirklichkeit nicht als factum brutum oder als „nackte Faktizität”, sondern als angenommene, versöhnte und von Gott geliebte Wirklichkeit gesetzt. Darum kann es für ihn heißen: „Das Gute ist das Wirkliche selbst . . . Jedoch nicht jene abstrakte, von der Wirklichkeit Gottes getrennte Wirklichkeit, sondern das Wirkliche, so wie es in Gott allein Wirklichkeit hat”109. Darin ist die Feindschaft der Norm gegen das Seiende ebenso wie die Preisgabe des Gebotenen an das Zweckdienliche aufgehoben. Eine idealistisch „materialisierte Wirklichkeit” ist ebenso eine Abstraktion, wie die sog. „schöpferische Wirklichkeit” des Positivismus. Beides ist gedacht im Subjekt-Objekt-Schema, das an der „Nichtobjektivierbarkeit” der Natur (nach der Erkenntnistheorie der modernen Physik) ebenso wie an der


107 III a 6.
108 Vgl. zum Ganzen Jürgen Moltmann, Herrschaft Christi und soziale Wirklichkeit nach Dietrich Bonhoeffer, Th. Ex. h. H. 71, 1959.
109 Bonhoeffer, Ethik, S. 57.

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„Nichtobjektivierbarkeit” der menschlichen Personalität im Gottes- und Nächstenverhältnis seine Grenze findet. „Echte Wirklichkeit”, die in Christus Gott und Mensch umfaßt, ist jenseits beider Möglichkeiten „messianische Wirklichkeit”, der erkennend innezuwerden die Integration des Menschen in die Gottesgeschichte bedeutet. Die Wirklichkeit wird in diesem Sinne selber ethisch relevant: ethisches Handeln muß „wirklichkeitsgemäß” sein. „Der Weg des Christen . . . führt hindurch zwischen einer starren Bindung durch ein kirchlich autorisiertes Normensystem und der Gleichgültigkeit gegenüber einer sich selbst überlassenen, willkürlich-positivistischen Selbstentfaltung menschlicher Rechtsvernunft”110.

Der Mandatsbegriff ist bei Bonhoeffer zweimal angesetzt:
1. vom christologischen Gedanken der Einheit der Wirklichkeit; die ganze Welt ist durch Christus und auf Christus hin geschaffen. Diese Bezogenheit wird konkret in bestimmten Mandaten Gottes, in denen gewisse konstante menschliche Lebensbereiche umgrenzt und gestaltet sind. Der Ausdruck Mandat soll zeigen, daß das Sein im göttlichen Gebieten seinen Grund hat.
2. Die Mandate sind der Ort, an welchem Gott durch Christus sich Gehorsam verschafft, Mandate sind in der Schöpfung durch Christus gesetzte und in der Christusoffenbarung bezeugte göttliche Aufträge zur Ausrichtung und Erfüllung des Gebotes in der Mannigfaltigkeit des Lebens. Gottes Gebot begegnet in Mandatsgestalt (Kirche, Ehe-Familie, Kultur, Obrigkeit). Dabei ist nicht jede Ordnung Mandat, sondern nur diejenige, welche zu verstheen ist als „Inanspruchnahme und Gestaltung eines irdischen Bereiches durch das göttliche Gebot”111.

Mandat bedeutet hier die Beauftragung von Menschen in bestimmten Grundverhältnissen menschlichen Lebens. Wenn auch Mandat in diesem Sinne weniger Berufung als Ermächtigung bedeutet, so ergeben sich doch Berührungspunkte mit dem früher in der Diskussion am Staatsproblem erörterten Berufsgedanken112.

Wenn auch beim Mandatsbegriff die Gefahr einer zu einseitig imperativistischen Interpretation besteht, so ist doch deutlich, daß die Institution als durch konkrete Entscheidung zu gestaltende Aufgabe verstanden werden muß. Mandate gehören zum unverfügbaren Sein in der Wirklichkeit der Gottesherrschaft. Mit ihnen sind daher vorwillentliche Bezüge und grenzzeitliche Strukturen gemeint, welche im


110 III a 6 f.; Moltmann, Herrschaft Christi, S. 41 f.; Ernst Wolf, Libertas christiana, S. 32.
111 III a 9.
112 I a 1 ff.; II b 1 ff.

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Seienden neue Wirklichkeit werden wolle113. In Bonhoeffers Mandatsbegriff klingen gleiche Strukturen wie beim Institutionsbegriff an114. In seinem Wirklichkeitsbegriff wird eine unfruchtbare Doppelgleisigkeit von Gebot und Ordnung vermieden. Der Inhalt des göttlichen Willens in den Mandaten läßt sich durchgängig auf die christologische Kategorie der „Stellvertretung” zurückführen115. Die Mandate stellen den Raum dar, in welchem die Menschen — in ihrer Person unvertretbar — füreinander eintreten. Was Bonhoeffer in der Kategorie der Stellvertretung christologisch begründet, zeigte sich auch phänomenologisch als institutionelle Struktur116, war aber im Gespräch der Kommission nicht weiter verfolgt worden.

Die Struktur der menschlichen Grundbezüge in den Institutionen hatte sich in einem Dreifachen gezeigt: 1. in dualistischen Relationen von z.B. Gott-Mensch, Mann-Frau, Täter-Verletzter usw.; 2. in der typischen Verschiedenheit und Ungleichheit der Partner, welche für die Relation konstituierend ist; 3. in der darin deutlich gewordenen geschichtlichen Verfassung menschlichen Seins. Die Bezüge tragen geschichtlichen Charakter insofern, als sie unumkehrbar „in einer Richtung konstruiert sind, so daß die Rollen als solche nicht vertauschbar sind”117.

Jene drei Merkmale zeigen die Relevanz der Lehre vom Christus Creator auf: es handelt sich in den Institutionen weder um ein einfaches Verhältnis von Oben und Unten noch um eine Partnerschaft wesentlich Gleicher, deren Unterschiede dann eine sekundär-funktionale Bedeutung haben, sondern um eine doppelte Relationsweise der Partner, welche miteinander immer zugleich identisch wie nichtidentisch sind118. Geschichtlichkeit und Unumkehrbarkeit der Relationen sind untrennbar miteinander verbunden und bedingt durch eine Kondeszendenz der Partner, welche ihre Zuordnung erst ermöglicht119.

Wo ein Mensch für den anderen in unvertauschbarer Stellvertretung eintritt — in der Ehe, im Herrschaftsverhältnis oder in gestaltender


113 III a 10.
114 III c 1.
115 III c 2.
116 III c 2.
117 II b 14 ff.
118 Vgl. Dombois, Mensch und Strafe (Glaube und Forschung Bd. XIV), Witten 1957; Mensch und Sache, in: Z. f. d. gesamte Staatswissensch. 1954, S 239 ff.
119 II b 16.

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Arbeit — dort ist er funktional nicht auswechselbar. Im Rahmen faktisch gegebener funktionaler Zusammenhänge nimmt er sein ihm unvertretbar aufgegebenes Amt wahr und bewährt darin seine Personalität. Mandaten wie Institutionen kann sich der Mensch nur schuldhaft oder durch eine „Flucht nach vorn” entziehen120. Gleich dem Mandat enthält auch die Institution einen latenten Gebotscharakter, welcher aber nicht aus einer deutlich abhebbaren Norm ablesbar ist; der gebietende, lebendige Wille Gottes wird vielmehr in der Verwirklichung der Institution deutlich, in der durch Gottes Gebot geschehenden institutionellen Begrenzung121.

Ermöglichten die theologischen Aussagen Bonhoeffers im Ganzen noch einmal eine Vertiefung des Verständnisses von Institution insbesondere hinsichtlich des Wirklichkeitsbegriffs und der damit in Zusammenhang stehenden Struktur der Stellvertretung, so wurden die Systemansätze Barths mehr kritisch verwertet122. Dies hatte seinen Grund vor allem in der Tatsache, daß Barths Grundlegungen weniger auf eine bestimmte Gestalt von Institutionen, sondern vielmehr auf eine „christliche Gestaltungsaktivität” im Raum des Politischen z.B. hinweisen und von daher Urteile über eine relativ bessere oder schlechte Staatsform möglich machen wollen123. Barths Anliegen ist es nicht, den weltlichen Sozialstrukturen eine christliche Norm vorzuschreiben124, sondern in den Institutionen als „Stätten kontinuierlicher mitmenschlicher Beziehungen das Gefälle zur Mitmenschlichkeit” aufzudecken125.

Im Ergebnis dieser Auseinandersetzung beschrieb man die Institutionen im Anschluß an die These von 1955126 als geschichtliche Grundform mitmenschlichen Lebens, die Gott einrichtet und durch sein Wort in ihrer Wahrheit erkennen läßt. Institutionen begrenzen und ergänzen sich in ihrer Pluralität gegenseitig; sie gewinnen Gestalt im geschichtlichen Nachvollzug der in Jesus Christus offenbar gewordenen Herrschaft, Gerechtigkeit und Stellvertretung des Dreieinigen Gottes. Die Institutionen stellen grundlegende Elemente jeder Rechtsordnung dar; das Leben in ihnen schließt die Übernahme von Schuld mit ein und bedarf der Rechtfertigung127.

II. Mit jenem letzten Satz der These von 1958 war die Aufgabenstellung im Jahre 1959 umrissen: Die Bestimmung des Verhältnisses


120 III c 2.
121 III c 2.
122 III c 3.
123 III c 5.
124 III c 4.
125 III c 3 f.
126 Vgl. oben S. 18 f.
127 III c 8, vgl. unten S. 63.

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von Recht und Institution und der Versuch, die Institution zum Fragenkreis von Gesetz und Evangelium in Beziehung zu setzen.

Zunächst hatte es den Anschein, daß nach der Verbreiterung und Vertiefung der theologischen Aspekte auf der vorangegangenen Tagung vor allem hinsichtlich des Wirklichkeitsbegriffes nunmehr die Grundlagen für eine Bewältigung des Problems gelegt waren. Im Fortgang der Untersuchungen zeigte sich jedoch bald, daß nach dem Stand der Erörterungen in der Institutionenkommission beide im Thema postulierten Bestimmungsversuche im wesentlichen offen und ungelöst blieben mußten. Angesichts der Frage nach dem Verhältnis von Recht und Institution und des Versuches, die Institutionen in ein Verhältnis zu Gesetz und Evangelium zu bringen, zeigte sich erneut jene Tatsache mit aller Deutlichkeit, daß das Problem der Begründung der Institutionen noch unerledigt und die Bestimmung dessen, was Institution heißt, noch zu leisten war128.

Die Bestimmung und Abgrenzung der Institutionen zeigte sich als vorerst noch zu bewältigende Aufgabe, denn nur nach der Bestimmung der Institution war deren Verhältnis zum Recht beschreibbar.

Wie wir bisher gesehen haben, war bislang nicht ohne Grund das Verhältnis von Recht und Institution offengelassen und 1955 nur beiläufig erwähnt worden129. Wenn die Diskussion sich 1959 zunächst der Erörterung des Verhältnisses von Sein und Sollen, Norm und Wirklichkeit zuwandte, so mußte die Kommission angesichts dieser Problematik in Verfolg ihrer bisherigen Ansätze fast zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen, daß eine Trennung von Sollen und Sein ontologisch nicht haltbar ist, daß Normativität und Institutionsstruktur nicht gegeneinander stehen können130.
Im Ganzen bestätigte und ergänzte die Erörterung die bisherigen strukturellen Bestimmungen des Institutionsbegriffs und die im Jahre 1958 am Bonhoefferschen Wirklichkeitsbegriff vertieften Erkenntnisse. Sie führte jedoch über sie im wesentlichen nicht hinaus.
Das Problem des heilsgeschichtlichen Ortes der Institutionen, die Frage also, in welchem Bezug die Institutionen theologisch zum Fragenkreis von „Gesetz und Evangelium” stehen, versuchte man folgendermaßen zu beantworten:
„a) Man kann Gesetz verstehen als Inhalt des Willens Gottes und dann in Einheit mit dem Evangelium, durch das dieser Wille Gottes erfüllt wird.
Die Institutionen lassen sich mit dem Inhalt ihrer Anforderung in den Bereich des Gesetzes stellen, sofern für sie der Wille Gottes für das Zusammenleben der Menschen sich im begrenzten Bereich bestimmter Grundzüge


128 IV c 1 f.; IV a 6.
129 R 67.
130 IV c 3-4, 10.

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geltend macht, und stehen in dieser Hinsicht nicht im Gegensatz zum Evangelium.
b) Man kann das Gesetz verstehen als Schuld- und Verwerfungsurteil Gottes über den Menschen, der seinen Willen nicht erfüllt. Dann steht es in Gegensatz zum Evangelium, denn dieses ist der Freispruch, der den Schuldspruch in Begnadigung verwandelt.
Die Institutionen lassen sich auch unter diesem Blickpunkt in dem Bereich des Gesetzes stellen, weil sie Ordnungen des menschlichen Lebens zwischen Fall und Gericht darstellen, die ihr Gefüge nicht ohne die Hilfe äußerer oder koerzitiver Mittel erhalten können. Die Institutionen tragen unter diesem Gesichtspunkt die Tendenz zur Entfremdung und zur Selbstherrlichkeit in den menschlichen Beziehungen in sich.
Die Institutionen weisen auch auf das Evangelium voraus, sofern sie für den Menschen ein Gerüst zur Erhaltung und Ordnung des zeitlichen Daseins bewirken.”131
Die anschließende Frage, ob nicht die Institutionen statt in der oben entwickelten Deutung verstanden werden sollten vom Bunde Gottes mit den Menschen, seiner geschichtlichen Treue und dem daraus für den Menschen erschlossenen eschatologischen Horizont der Welt, läßt auch hier deutlich werden, daß man zu keiner abschließenden Formulierung hinsichtlich des anstehenden Problems gelangen konnte132.

Die Schlußthesen I und IV von 1959133 wiederholen im wesentlichen die ersten Bestimmungsversuche von Institution vom Jahre 1955, in dem sie die Institutionen als mit dem Menschen gegeben soziale Grundbezüge beschreiben, die in der Geschichte des menschlichen Daseins stehen. Sie definieren zwar, wie oben bereits gezeigt wurde134, daß Institutionen im Sinne des Gesprächs nicht den gesamten Bereich der soziologischen Institutionen und Rechtsinstitute meinen, sondern nur einige mit dem Menschen gegebene soziale Grundbezüge. Sie weisen jedoch in der Formulierung der Frage nach den Abgrenzungsmaßstäben über diese Beschreibung hinaus und stellen sich zugleich in ihrer scheinbaren Gesichertheit in Frage135. Die Schlußthesen sind so Ausdruck dessen, daß im Laufe der Diskussion der Begriff der Institution an Deutlichkeit eingebüßt hat136 und das Problem der Begründung der Institution weiterhin ungeklärt geblieben war137. Der bisherige Begriff der Institution also war in seiner einseitigen Bestimmung und Abgrenzung von einer positivistischen Stiftung oder dem Phänomen der existentiellen Dichte her in Frage gestellt138.


131 Th II in IV d; vgl. unten S. 63 f.
132 Th III in IV d; vgl. unten S. 63 f.
133 IV d.
134 Vgl. unten S. 63.
135 Th IV in IV d.
136 VI a 3; IV c 10.
137 VI a 8.
138 IV c 6.

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Lieferte also das Gespräch in diesem Stadium auch noch keinen Lösungssatz hinsichtlich des Problems der Institution und ihrer Abgrenzung, so wird man doch als entscheidendes Ergebnis die Präzisierung der Fragestellung bezeichnen können, unter welcher das Institutionengespräch später eine neue Wendung nahm und in eine neue Phase eintrat. Eine Fragestellung, welche den „Trend” der weiteren Erörterungen in ihrer Abwendung von der rechtstheologisch-phänomenologischen zur systematisch-theologischen Betrachtungsweise deutlich zu machen geeignet ist139. Um das Verhältnis von Institution und Recht bestimmen zu können, hat sich von neuem die Notwendigkeit gezeigt, zunächst die Institution selbst zu definieren.

Eine Begründung der Institution zeigte sich als denkbar:
1. Von einer in der Heiligen Schrift bezeugten oder mit der Schöpfung oder Erhaltung gegebenen Stiftung.
2. Von einer wesensphilosophischen Bestimmung des Menschen her140.

Diese beiden Möglichkeiten wurden jedoch von der Kommission als Begründungsmöglichkeiten verworfen. Den Stiftungsbegriff hielt man für unbrauchbar, weil der Akzent hierbei zu sehr auf dem „Woher” liegt. Man sah ihn als zu eng an, weil er die Stiftung positivistisch mit einer Weisung in der Heiligen Schrift zu verknüpfen suchte141. Eine Definition der Institution von einer wesensphilosophischen Bestimmung des Menschen her verbot sich wegen der damit verbundenen Gefahr eines Rückgriffs auf einen statischen, substantiellen Personbegriff.

3. Es stellte sich die Frage, ob eine Begründung der Institution unter dem Aspekt der christlichen Eschatologie oder Anthropologie möglich ist142. Ausgangspunkt war der Hinweis darauf, ob es sich bei den Institutionen nicht um jene Phänomene handelt, die bei Heidegger als Existentialien, Bedingungen der Möglichkeit also, daß Menschen Mensch sein können, bezeichnet werden. Dieser anthropologische Bestand rückte unter der Frage, wie er unter der eschatologischen Erfahrung interpretiert werden muß, in den Sichtbereich einer offenbarungstheologischen Betrachtung143.

Angesichts der eschatologischen Fragestellung ist allerdings weniger nach der Begründung der Institutionen als nach ihrem Aufgegebensein vom Gericht her zu fragen, wobei eine Verknüpfung des eschatologischen


139 IV c 13-14.
140 IV c 1.
141 Vgl. oben S. 20 ff.
142 IV c 9, 11.
143 IV c 7.

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Gesichtspunktes mit dem ontologischen Aspekt der Heilsgeschichte das Wesen Gottes als Treue sichtbar werden lassen kann und das Wesen des Menschen in der Folge davon aus dieser Treue, welche ihren Ausdruck in einem Versprechen findet, beschrieben werden kann. Fragt man allerdings wieder zurück nach der Ermöglichung des Versprechens, so zeigen sich auch hier die Strukturen des Angebots, der Annahme und der Stiftung144.

Folgt man der Ansicht, daß die Institutionen in ihrer Begründung zum Wesenskern des Menschen in Beziehung gesetzt werden müssen, so entsteht die Frage, wo dieser „Kern” zu suchen, wie er zu umschreiben ist. Sicher wird das Problem nicht durch die Heranziehung einer allgemeinen Ontologie gelöst, sondern allenfalls durch eine Beurteilung vom christlichen Verständnis des Menschen, von einer christlichen Anthropologie her, deren Entfaltung jedoch von der heutigen Theologie nicht geleistet ist145.

Immerhin lassen sich in der Konstituierung des Personseins durch den Bezug zu Gott und zum anderen einige wesentliche anthropologische Elemente erheben, die einen Ansatz für eine Lösung des in Frage stehenden Problems bilden können.

Die theologische Anthropologie zeichnete sich also als Dimension ab, in welcher die Diskussion des Institutionenproblems weitergeführt werden konnte146. Damit war das Problem der Institution zwar in der Sache selbst keiner Lösung zugeführt, aber eine Möglichkeit zu neuen Ansätzen im Gespräch erarbeitet.

III. Da sich mit jener neuen Fragestellung zugleich die Forderung nach einem neuen Verständnis von „Natur”, wofür das Phänomen der „Institutionalität” als geeigneter Einstiegspunkt genannt wurde und die Forderung nach einer Klärung des Sprachgebrauchs hinsichtlich des Sachbereichs der Institution in Soziologie und Rechtstheologie verband147, war 1960 zunächst die Notwendigkeit gegeben, eine Orientierung am Institutionenbegriff der Soziologie vorzunehmen.

Zwar kam es auch in diesem neuen Stadium der Erörterung nicht zu einer Lösung der in Frage stehenden Problematik der Begründung der Institutionen. Jedoch wurde im Ergebnis für den weiteren Verlauf des Gesprächs Wesentliches insofern geleistet als:
1. eine Vertiefung der anthropologischen Fragestellung in Hinsicht auf die Institutionalität des Menschen erfolgte und


144 IV c 9 f.
145 IV c 11.
146 IV c 13.
147 IV c 13 f., 6.

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2. die transpersonalen Elemente der Institution, der Status der Institution in seiner Funktion: „Chance der Freiheit” zu sein, stärker in den Mittelpunkt der Betrachtungen rückten.

Gemeinsam ist den soziologischen Bestimmungsversuchen von Institution die anthropologische Basis. Der Mensch wird verstanden als bedürftiges und unangepaßtes Wesen, welches zur Bewältigung seines Lebens seine Bedürfnisse habitualisieren und in Institutionen versachlichend auf Dauer stellen muß. In dieser Sicht ist die ideal-typische Vorstellung vom Menschen als eines trieboffenen Wesens impliziert, welches auf Grund seiner von Natur gegebenen „Institutionalität” die mitmenschlichen und Welt-Beziehungen in der Institution formen und „in die Hand bekommen” muß. Institutionalität und Triebstruktur bedingen in diesem Verständnis einander und sind voneinander nicht zu trennen.

Jene oben genannte philosophisch-anthropologische Basis ist nun für die Ortsbestimmung der gegenwärtigen Soziologie grundlegend; weniger ist es die damit verbundene funktionale Analyse der Institutionen, welche sich schon bei Plato nachweisen läßt und nicht im Gegensatz zu einer nichtfunktionalen Interpretation der gleichen Bereiche steht. Die in der soziologischen Institutionenlehre vorherrschende funktionale Beschreibung der Institution darf nicht dazu verführen, sie einseitig und zu schnell als „typischen Ausdruck unserer funktionalisierten Welt” zu verstehen. Vielmehr ist die Theorie der Institutionen schon seit jeher mit mehr oder weniger ausgebauten Funktionsanalysen verbunden gewesen148.

Kennzeichen der soziologischen Betrachtungsweise ist es, eine soziale Ordnung weder von einem gesellschaftstranszendenten Wertsystem (Thomismus, Ordnungstheologie) noch aber von der existentiellen Dichte der sozialen Beziehung selbst149, sondern von ihrer Funktion innerhalb des Gesellschaftsgefüges her zu betreiben. Von daher trägt eine Institution ihren SInn also nicht in sich selbst, sondern sie ist um des Menschen willen da und muß in dieser Funktion die Befriedigung der Bedürfnisse durch Versachlichung sicherstellen150.

Ist es dabei Funktion der Institution, jenes Friedensbedürfnis „abzusättigen”, welches noch Augustinus als Manifestation einer Urbedürftigkeit aus Friedensverlust verstanden wissen wollte? Und gibt es


148 V c 2.
149 Vgl. oben S. 35 ff.
150 V a 9.

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nicht auch eine Bedürftigkeit, welche früher in der theologia naturalis als Bestimmung der Schöpfung zur Selbstverwirklichung in fortschreitender Vervollkommnung gedacht wurde? Gerade jenes letzte Verständnis menschlicher Bedürftigkeit läßt eine große Nähe zum empirisch soziologischen Wirklichkeitsbegriff deutlich werden151.

Das Verdienst der soziologischen Analyse ist es, den abstrakt-regelhaften, versachlichten, vermittelten Charakter der Institutionen herausgearbeitet zu haben, wie er für eine technisch-arbeitsteilige Gesellschaft kennzeichnend ist, während die Übertragung des höchstpersonalen Modells einer Institution wie der Ehe auf andere Institutionen die oben beschriebenen Schwierigkeiten bereitet152, da bei einem solchen Vorgehen die Abstraktheit der Institutionen — wie Staat, Verwaltung usw. — nur schwer in den Griff kam153.

Der abstrakte Charakter der Institutionen hat seine Funktion gerade darin, den Menschen von der Sinnfrage zu suspendieren (Gehlen) und neu für eine kritische Besinnung in personaler Beziehung freizustellen; ihn freizustellen zu kritischer Besinnung gegenüber der in der Versachlichung geschehenen Entfremdung, welche ein analogon zum theologischen Sündenbegriff darstellt154. Zu beachten ist hierbei allerdings, daß das Phänomen der Entfremdung nicht allein typisch für Konfliktsituationen (Dahrendorf) und mit ihnen gleichzusetzen ist, sondern gerade auch in Integrationsprozessen erscheint. Der Konflikt ist geeignet, zur Überwindung der Entfremdung beizutragen155.

Der Mensch findet sich in institutionellen Bindungen, in einem Kulturgefüge je schon vor. Es ist ihm auferlegt, diese seine Geschichte anzunehmen und sie im Prozeß der Heilsgeschichte zu erneuern und umzugestalten156. Mag auch die Soziologie die Unentrinnbarkeit der institutionellen Versachlichungen konstatieren, so muß die Theologie die in der Abstraktheit geschehene Entlastung als Chance der Freiheit und kritische Befreiung von der Entfremdung für sich in Anspruch nehmen157. Die Frage ist, ob nicht trotz aller Bedenken etwas Richtiges in der Schelskyschen Dialektik von Institution und freier, reflektierender Subjektivität gesehen ist und ob nicht Institutionalität stärker im Sinne der funktionalistischen Soziologie als Chance der Freiheit denn als Gebundensein in existentiellen Relationen zu verstehen ist158.


151 V c 3.
152 Vgl. unten S. 63 f.
153 V c 12, 6.
154 V c 15.
155 V c 14.
156 V a 9.
157 V c 14.
158 V a 11; V c 6.

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IV. Nachdem die anthropologische Fragestellung in Hinsicht auf das Problem der Begründung der Institution unter Einbeziehung der soziologischen Aspekte noch einmal vertieft worden war, wandte sich das Rechtsgespräch im Jahre 1961 an Hand der nun abermals anliegenden Thematik von „Norm und Institution” dem Versuch zu, das Wesen der Institution zu bestimmen.

Ausgangspunkt hierfür war jene problematisch erscheinende These der soziologischen Institutionenlehre, welche besagte, daß Institutionalität und Antriebsstruktur einander bedingen und voneinander nicht ablösbar sind159, daß der Mensch also in seinen sozialen Beziehungen als triebgebundenes Wesen gesehen wird, angewiesen auf Befriedigung seiner biologischen oder abgeleiteten kulturell motivierten Bedürfnisse160.

Angesichts der sich nun stellenden Aufgabe einer theologischen Begründung der Institution von einer christlichen Anthropologie her drängt sich mit Notwendigkeit die Frage auf, ob der soziologische Ausgangspunkt vom triebgebundenen Wesen nicht davor warnen muß, die These von einer dem Menschen inhärierenden Institutionalität aufzustellen161. Und in der Tat wird eine theologische Anthropologie, welche nach der Wirklichkeit des Menschen fragt, ihr Fundament nicht in menschlichen Eigenschaften wie der Bedürftigkeit, Institutionalität oder Sozialität zu suchen haben, sondern im Handeln Gottes mit ihm und durch ihn162.

Vorweg wird noch einmal eines festzustellen sein, wenn die noch unerledigte Frage nach der Begründung der Institution gestellt wird: Die bisherigen Antwortsversuche der Theologie, die Institution in einer Stiftung und Einsetzung durch das Wort Gottes, in von Gott erteilten Mandaten oder von ihm geschaffenen Ordnungen zu gründen, zeigen sich als zwar nicht abwegige, jedoch sekundäre Wege der Bestimmung.

Der primäre Ansatz für die Frage nach der Institution ist die Frage nach dem Menschen163. Das dreifache Gegenüber von Gott-Mensch, Mensch-Mensch und Mensch-Erde umschreibt die „Institutionalität” des Menschen im einzelnen und verweist auf ein Dreifaches von exemplarischen Institutionen als Bund-Ehe-Eigentum. Der Begriff des „Exemplarischen” wird nicht im Sinne von Modellen oder Exempla,


159 V c 13; VI a 5.
160 V a 10.
161 VI a 6.
162 VI a 7.
163 VI a 8.

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sondern im Sinne des Primären und zugleich fundamentalen „Gestalt-Ausdruck” verwirklichter Institutionalität zu verstehen sein164.

Der Bund setzt und erweist den Menschen in der Partnerschaft zu Gott innerhalb der eschatologischen Geschichte. Die exemplarische Institution der Ehe ist in diesem Zusammenhang die Verwirklichungsgestalt der innerhalb des Bundes gewollten mitmenschlichen Beziehung. Und Eigentum als Institution165 ist die Form der innerhalb des Bundes gewollten — von Gott als dem Eigentümer der Erde gewollten — Gen. 1, 28; 2, 15 — Lebenswirklichkeit in Mitmenschlichkeit unter dem Auftrag der stellvertretenden Wahrnehmung der Herrschaftsanspruches Gottes auf der Erde166.

Eigentum als Institution ist eine Bedingung, daß der Mensch Mensch zu sein vermag167. Gerade am Eigentum wird vielleicht noch mehr als an der Ehe der Charakter der Institutionalität und damit der Institution deutlich als einer unentbehrlichen Möglichkeit der Menschwerdung des Menschen in dem Aufeinanderhin von göttlichem Anruf und menschlicher Annahme, welches im Status seinen Ausdruck findet:
1. Das Angebot ist gegeben mit der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau und dem Auftrag zur verfügenden Bewältigung über die Erde.
2. Die Annahme ist beim Eigentum charakterisiert durch das menschliche Verfügen über die Dingwelt. Sie bedeutet die Verwirklichung der solidarischen Existenzgemeinschaft von Mensch und Erde.
3. Status bedeutet „fest-gestellte” Antwort, Ausdruck und Darstellung jener Beziehungswirklichkeit des personalen „Zwischen”, Kristallisation der Geschichte zwischen Gott und Mensch und Mensch-Mensch im Hinblick auf die Erde.

Institution ist also von der theologischen Anthropologie der Gottesebenbildlichkeit her konstituiert durch Gottes schöpferischen Anruf, des Menschen gehorsame Antwort und den Niederschlag dieses Prozesses der Menschwerdung in einem rechtlichen Status168. Jene Struktur


164 VI a 8 f.
165 Vgl. hierzu: Calliess, Eigentum als Institution, München 1962.
166 VI a 9.
167 VI a 10.
168 VI a 12, 9 ff.; VI c 6-7. — Ernst Wolf hat mir die Ehre angetan, diese aus einer theologisch-anthropologischen Begründung, von der „Imago Dei” her am Beispiel des Eigentums als actio Dei, re-actio und status hominis entwickelte Definition der Institution in das Gespräch der Institutionenkommission im Herbst 1961 einzuführen. ➝

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der Institution steht so hinter allen geschichtlich wandelbaren Begriffen von Eigentum, Ehe usw. und begründet zugleich auch die Notwendigkeit des Offenseins für geschichtlich bedingte Wandlungen der Begriffe selbst169. Mit dieser Feststellung ist eine in den „phänomenologischen” Untersuchungen gemachte170 Beobachtung vom systematischen Standpunkt aus bestätigt, daß nämlich die Institutionen von ihrer Struktur her zwar gleich, ihrem Gegenstande und Substrat jedoch ungleichen Charakters sind.

Durch den systematischen Ansatz, welcher das Phänomen der Institution methodisch deduktiv, von einer theologisch-anthropologischen Begründung in der Dreiheit von Anruf Gottes, Annahme und Status zu begreifen suchte, war eine Bestimmung von Institution möglich geworden, welche es erlaubte, sowohl alle relevanten sozialen Bereiche zu erfassen als auch den abstrakt regelhaften Charakter der Institution, wie er Konstitutivum der funktional arbeitsteiligen Gesellschaft ist, zu beschreiben und einer rechtstheologischen Bearbeitung zugänglich zu machen. Er führt zu keiner Trennung von rechtstheologisch relevanten und irrelevanten Institutionen; die vom Stiftungsbegriff her notwendige Frage nach einer Tafel von Institutionen oder die vom Abgrenzungsbegriff der existentiellen Dichte vorgenommene faktische Scheidung in personale und transpersonale Institutionen wird hinfällig und die Vielzahl der sozialen und rechtlichen Bereiche bleibt einer theologischen Interpretation zugänglich.

Sofern allerdings jene oben beschriebene exemplarische Institutionenreihe von Bund-Ehe-Eigentum in Frage steht, entsteht das Problem, ob es sich nicht bei dieser Sicht um eine Selbstbescheidung der theologischen Aussagen dahingehend handelt, daß das außerhalb der Dreiheit liegende Recht ungerechtfertigt bleibt171. Handelt es sich um eine Preisgabe des universalen theologischen Ansatzes in dem Sinne, daß die Theologie nur zu dieser „Trias” Aussagen zu machen imstande


➝ Vgl. Calliess, Eigentum als Institution. Eine Untersuchung zur theologisch-anthropologischen Begründung des Rechts, München 1962, insbesondere S. 85, 79, 60 ff., in: Forschungen zur Geschichte und Lehre des Protestantismus, Reihe X Bd. XXIV, herausgegeben von Ernst Wolf. — Ferner Calliess, Dialogisches Recht, in Ev. Theologie 1965, S. 297 ff.; ders., Kirche und Demokratie, Theol. Ex. h. H. 133 (1966).
169 Vgl. Ernst Wolf, Eigentum und Existenz, in: ZEE 1962, S. 1 ff., 16 f.
170 Vgl. oben S. 25 ff.
171 VI c 7.

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ist172? Läßt sich nicht noch eine Vielzahl von anderen Institutionen — wie etwa die Sprache — erheben und was ist schließlich das Kriterium für die Auswahl jener Dreiheit173? Ist er Ort für die sichernde, bewahrende und gewährende Funktion des Rechts durch den Hinweis auf das Betroffensein der Institutionen von der Gefallenheit des Menschen angegeben174?

Das Festhalten an der geschilderten Dreiheit von Bund-Ehe-Eigentum stellt nun nicht den Versuch dar, den beim Stiftungsbegriff gemachten Ansatz zu wiederholen, eine Tafel von Institutionen aufzustellen. Nicht die biblizistisch gefundene Institution, sondern die Ehe als Beziehungsschema des Ich-Du, das sich in einem konstitutiven „In-sein”, „Hineingesetztsein”, in konkreten sozialen Verhältnissen verwirklicht, ist intendiert175. Wenn also in den drei Dimensionen der Institutionen Gott-Mensch-Erde nicht zum Beispiel die Ehe als solche exemplarisch ist, sondern gerade das in ihr zum Ausdruck gelangende Verhältnis der Nächstenschaft, so ist eine Weite des theologischen Ansatzes gewonnen, welches es gestattet, die Vielfalt der sozialen Bereiche fruchtbar in den Griff zu bekommen176.

Sofern die Institutionen im Lichte einer theologischen Anthropologie gesehen werden, die wesentlich vom Rechtfertigungsereignis her und christologisch interpretiert wird — hominem justificari fide177 —, gewinnt die entwickelte Dreiheit der institutionellen Dimensionen auf dem Hintergrund eines nichtspezifisch christlichen Betrachtungsschema ihren christlichen Charakter. Zutiefst werden die Institutionen alle als in Freiheit und Verantwortung verwirklichte Anteilhabe des Menschen an Gottes Freiheit und Schöpferherrlichkeit begriffen; als eine Anteilhabe, welche Gott seinem Menschen gewährt, sofern er ihn eben auch als sein Gegenüber schafft178. Inhaltlich wäre Institution nun unter diesem Aspekt Bedingung der Möglichkeit menschlichen Seins im Habitus179.

Die Dreiheit der institutionellen Dimension trägt also als solche universal menschlichen Charakter und wird hier „exemplarisch” christlich gedeutet als fundamentaler Gestalt-Ausdruck verwirklichter Institutionalität. Nicht zwei verschiedene Rechtswelten — eine theologisch und eine weltlich begründbare — sind es, in denen der Mensch


172 VI c 8.
173 VI c 7.
174 VI a 12.
175 VI c 9.
176 VI c 10.
177 Ernst Wolf, Naturrecht oder Christusrecht.
178 VI c 10 ff.; VI a 14.
179 VI c 8-9.

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lebt. Überall, wo sich Rechtsformen ausbilden, tragen sie auch institutionellen Züge. Diesem Sachverhalt trägt der theologisch-anthropologisch entfaltete Begriff der Institution, welcher sich nicht auf theologisch begründbare „Katalog-Institutionen” beschränkt, in seiner Struktur von Anruf, Annahme und Status Rechnung180.

 

4. Das Verhältnis der Bestimmungsversuche von Institution

Indem wir dem Institutionengespräch, wie es sich in seinen einzelnen Stadien in den Jahren 1956 bis 1961 entwickelt hat, verstehend nachgegangen sind, haben sich drei Versuche, die Institution zu bestimmen und abzugrenzen, gezeigt, welche je nach ihren methodischen Ansätzen als biblisch-positivistisch, phänomenologisch-induktiv und systematisch-deduktiv zu kennzeichnen waren:
1. Die biblisch-positivistische Methode versucht die Institution von einer ausdrücklichen Einsetzung und Stiftung durch das Wort Gottes her zu bestimmen181;
2. der phänomenologisch-induktiven Methode geht es um eine rechtstheologische Beschreibung der Institution. Sie versteht darunter eine primär juristische Bearbeitung des Institutionenproblems; sie geht infolgedessen in ihrer Betrachtung vom konkreten Rechtsinstitut aus; in ihm „zeigen” sich ihr personale Strukturen, Akte personaler Zuwendung, welche sie zunächst phänomenologisch bewußt ohne direkten theologischen Bezug182 „entdecke”. Gemäß ihrem methodischen Ansatz versucht sie als Institutionen diejenigen Grundverhältnisse menschlichen Daseins zu bestimmen und abzugrenzen, welche den höchsten Grad an existentialer Dichte besitzen183.
3. Die systematisch-deduktive Methode hingegen hat den Versuch unternommen, in einer primär theologischen Bearbeitung des Problems die Institutionen vom Begriff der Imago Dei her zu begründen und so zu einem institutionalen Verständnis des Rechts zu gelangen184.

Aufgabe der Darstellung war es bislang, vor allem die Unterschiede im methodischen Ansatz herauszuarbeiten. Nachdem nun im Gang des Gespräches deutlich geworden ist, daß die Bestimmung und Abgrenzung von Institution von jenem letzten, systematisch-deduktiven Ansatz von einer theologischen Anthropologie her geleistet zu werden


180 VI c 10.
181 Vgl. oben S. 20 ff.
182 VI b 13.
183 Vgl. oben S. 25 ff.
184 Vgl. oben S. 35 ff.

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vermochte, stellt sich mit Notwendigkeit die Frage, wie denn das Verhältnis jener drei Bestimmungsversuche zueinander zu beschreiben ist und ob sich die in der positiven und induktiven Methode aufgezeigten institutionellen Phänomene inhaltlich mit der systematischen Definition der Institution als Anruf, Annahme und Status decken lassen.

Zunächst wird noch einmal festzuhalten sein: Soweit die Frage der Abgrenzung und Bestimmung in Frage steht, lassen sich die positivistische und phänomenologische Methode mit der systematischen nicht vereinen, weil beide in ihren Bestimmungsversuchen der Institution vom Begriff der „ausdrücklichen Einsetzung und Stiftung” und der „existentiellen Dichte” im Ergebnis zu einer Verengung des Institutionsbegriffs entweder auf einige „Katalog-Institutionen” oder zu einer Unterscheidung von theologisch und weltlich begründbaren Institutionen in zwei verschiedene Rechtswelten führen.

Abgesehen von jener Frage der Abgrenzung und Begründung der Institution wird man aber davon ausgehen können, daß es sich bei den genannten Beschreibungsversuchen um drei Sichtweisen des Institutionsproblems handelt, die einander notwendig ergänzen und bedingen.

Institution ist konstituiert durch Gottes schöpferischen Anruf, des Menschen gehorsame Antwort und den Niederschlag dieses Prozesses der Menschwerdung im Status:

1. Ist Institution wesentlich mitdefiniert durch den göttlichen Anruf, so ist deutlich, daß im Handeln Gottes jener Sachverhalt der Stiftung mitumfaßt und aufgenommen ist, sofern es sich um einen dynamischen und nicht einseitig von einer einmaligen Einsetzung verstandenen Stiftungsakt handelt185. Wenn also auch sachlich der Stiftungsbegriff aufgenommen und weitergeführt werden kann, so bleibt es doch vom Sprachgebrauch her fraglich, ob es nicht sinnvoll wäre, den historisch stark belasteten Begriff der Stiftung fallenzulassen.

2. Und ist Institution wesentlich mitdefiniert durch das antwortende Handeln des Menschen mit seinem Mitmenschen und den Niederschlag des Prozesses der Menschwerdung des Menschen im status, so sind damit jene Phänomene der rechtstheologischen Sicht deutlich geworden, welche sich im kategorialen juristischen Begriff der Annahme zeigen, der auf der einen Seite die Annahme des vorgegebenen Status beschreibt und auf der anderen Seite sich als Akt freier Zuwendung


185 VI c 10.

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darstellt, welcher in statusrechtliche Rollenpositionen führt186. Die systematisch-theologische Begründung und die rechtstheologisch-phänomenologische Beschreibung der Institution stellen zwei Sichtweisen der einen Sache dar. Während die rechtstheologische Sicht in einer juristischen Bearbeitung des Problems, gleichsam induktiv von unten her, vom konkreten Rechtsinstitut ausgeht und in ihm institutionelle Strukturen phänomenologisch bewußt ohne direkten theologischen Bezug aufdeckt, ist es gerade Aufgabe der systematischen Methode, gleichsam deduktiv von oben her, diesen theologischen Bezug in einer theologisch-anthropologischen Begründung des Rechts aufzuweisen und die einzelnen institutionellen Strukturen im Gesamtzusammenhang einer theologisch-systematischen Begründung der Institution darzustellen. Die theologisch-anthropologische Begründung der Institution stellt sich somit als notwendige Ergänzung der rechtstheologisch, juristisch-dogmatische Bearbeitung des Institutionenproblems dar. Es handelt sich bei beiden Methoden um zwei Aspekte der einen Sache.

3. Schließlich läßt sich auch hinsichtlich des Abgrenzungsproblems eine Annäherung, wenn nicht Übereinstimmung beider Sichtweisen aufzeigen.

Unter Hinweis auf die Fürsorge- und Treupflichten im Arbeitsrecht war die induktive Methode in der Lage, auch in funktionalen Verhältnissen institutional interpretierbare Zuordnungen, welche in den Leistungsvertrag eingebettet sind, aufzuzeigen, was zu der These führte, daß man sich damit von der Betrachtung einzelner und darum isolierbarer personaler Institutionen entfernt und sich der Aussage von der Institutionalität des Menschen nähere. Institution wurde unter diesem Aspekt als engagierte Spontaneität, von ihrem Gegenstand und Gegenüber nichtablösbare sich zuwendende Freiheit verstanden187. Und damit ist denn auch jener für die systematische Begründung der Institution konstitutive Sachverhalt anvisiert, daß alle sich ausbildenden Rechtsformen institutionelle Züge tragen und nicht zwei verschiedene Rechtswelten — eine theologisch und eine weltlich begründbare — es sind, in denen der Mensch lebt188.

Von dieser Sicht ist eine einheitliche Betrachtung des Rechtsbereichs und eine theologisch-institutionelle Interpretation der gesamten Rechtswelt gegeben, welche auch dem sachhaft abstrakten Charakter des Status


186 VI a 12.
187 VI b 12 f.
188 VI c 10.

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der Institution und dem der sozialen Gebilde überhaupt Rechnung trägt.

4. In der Einleitung189 war die eigentümliche Schwebelage von Naturrecht und Rechtspositivismus deutlich geworden, auf die das rechtstheologische Gespräch an seinen Beginn stieß. Jenes „Zwischen” von Naturrecht und Rechtspositivismus hatte sich als ein systematisch unfruchtbares Nebeneinander beider Bereiche gezeigt. Und die Frage war gestellt, ob sich jene Schwebelage nicht als ein „Zwischen” erweisen ließe, welches die Überwindung beider Gegensätze in einem theologischen Verständnis des Rechtsbegriffs, in einer „media via” möglich werden läßt.

Ausgangspunkt rechtstheologischer Besinnung war der Satz, daß dem Wesen des Rechts die Rechtfertigung des Rechts inhäriert, die These von der Zusammengehörigkeit von Rechtfertigung und Recht. Und von dieser Sicht zeigte sich eine Überwindung des Gegensatzes von Sollen und Sein, Naturrecht und Rechtspositivismus als möglich: in Christus ist die Gotteswirklichkeit in die Weltwirklichkeit eingegangen und in Christus ist die Weltwirklichkeit nicht mehr „nackte Faktizität”, sondern als versöhnte und angenommene Wirklichkeit gesetzt. Dieser Sachverhalt bedeutet die systematische Absetzung von dem Gegenüber von Naturrecht und Rechtspositivismus, die Absetzung von einem Verständnis des Seins, welches seinen Ausdruck findet in der naturrechtlich-idealistischen Normierung einer zuvor materialisierten Wirklichkeit oder der positivistischen Apotheose der Wirklichkeit des geschichtlichen Prozesses wie der Selbstentfaltung der menschlichen Rechtsvernunft190.

Indem nun die Institution konstituiert ist durch den Anruf Gottes, des Menschen gehorsame Antwort und den Niederschlag dieses Prozesses der Menschwerdung, dem Status, zeigt sie sich als der Ort, an welchem das Ereignis der Rechtfertigung vertikal in den horizontalen Fluß der Geschichte eingreift. Und indem die Institution wesentlich durch die Einheit von Vorgang und Zustand, actus und status definiert ist, zeigt sie sich als „Zwischen”, als „media via” von Naturrecht und Rechtspositivismus in dem eingangs geschilderten Sinn191. Sie erweist sich als Wirklichkeit, in welcher die einseitigen und sich gegenseitig ausschließenden traditionalen und finalen Rechtfertigungsversuche des


189 Vgl. oben S. 14 ff.
190 III a 6; II b 6.
191 Recht und Institution, S. 67.

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Rechts relativiert sind. Sie ist der Ort, an welchem traditionales und finales Rechtsdenken einander begegnen und ihr Zusammenhang sichtbar wird. Sie ist die Stelle, an welcher die Offenheit für Vergangenheit, Gegenwart und Transzendenz des Zukommenden zugleich verwirklicht ist.

 

IV. Das Verhältnis von Norm und Institution

Das Gespräch von 1955 war dem Titel und der Sache nach der Frage nach dem Verhältnis von Recht und Institution gewidmet. Jedoch haben schon die Thesen von 1955 lediglich die Beschreibung von Institution zum Gegenstand. Das aber war, wie der Tagungsbericht von 1955 ergibt, kein Zufall: man hatte die Frage bewußt offengelassen, und das war bis 1959 auch so geblieben. Wie bereits gezeigt worden ist, setzte erst in diesem Stadium des Gesprächs eine Bearbeitung des in Frage stehenden Problems ein, weil es in der Arbeit der Kommission nicht um die Institution als isoliertes Phänomen, sondern immer auch zugleich um eine theologische Begründung des Rechts ging. Im Gang der Darstellung ist deutlich geworden, daß eine Verhältnisbestimmung von Norm und Institution erst unter der Voraussetzung mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden konnte, daß der Begriff der Institution selbst beschrieben und definiert war. Nachdem nun der Weg aufgezeigt worden ist, auf welchem in der Institutionenkommission eine Bestimmung und Abgrenzung der Institution möglich wurde, ist es an der Zeit, auf die Versuche einzugehen, welche die Verhältnisbestimmung von Norm und Institution zum Gegenstande haben. Da die Erörterung des in Frage stehenden Problems in der Kommission jedoch noch zu keinem Abschluß gelangt ist, muß ein kurzer skizzenhafter Überblick über den Stand der Diskussion genügen.

 

1. Drei Wege der Verhältnisbestimmung

Im wesentlichen sind drei Wege der Verhältnisbestimmung sichtbar geworden:

1. Ausgangspunkt ist hier die Positivität des Rechtes selbst. Der Geltungsgrund des Rechts wird nicht in einer wie auch immer gearteten soziologischen Faktizität — Sozialität als Miteinander-leben-

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müssen192 —, sondern im menschlichen Willens- und Setzungsakt gesehen193.

Angesichts eines solchermaßen positiven und formalen Geltungsgrunden stellt sich mit Notwendigkeit die Frage nach den Kriterien für die Richtigkeit des Willensaktes und damit die Frage nach den überpositiven Grundlagen des Rechtes. Diese werden nicht in einem System oberster Werte oder naturrechtlichen Normen, sondern in einem Kernbestand institutioneller, mitmenschlicher Beziehungsformen, welche sich auf die Heilige Schrift gründen, gefunden.

Die Verwirklichung der in dieser Weise beschriebenen Institutionen vollzieht sich in primär als ethisch zu qualifizierenden Akten der Annahme und Hingabe, in Akten also, die zwar keinen Rechtscharakter tragen, aber doch auch nicht ohne Bezug zum Recht stehen. Sofern die Institutionen den Prozeß der Rechtsbildung fort und fort beeinflussen, können sie als Bestandteile der Rechtsordnung angesehen werden. Sie gehen jedoch nicht in das positive Recht als dessen Bestandteil ein und sind in dieser Sicht als außerrechtliche Maßstäbe des Rechts ohne judiziablen Bezug zu verstehen194. Die grundsätzliche Trennung von Institution und Norm ist aus der Einsicht in die Gefahr einer Vermischung beider Bereiche zu verstehen, die auf der anderen Seite zu einer Radikalisierung des Rechtes derart führen könnte, daß dem Sein des Menschen in der Sünde nicht voll Rechnung getragen würde. Rechtsschöpfung und Rechtsgestaltung müssen dem Juristen als Wagnis und ethische Aufgabe verbleiben. Im Handeln des Juristen, in der Bewältigung der in der konkreten Situation gestellten Aufgabe kann die Dualität von Institution und Norm aufgehoben werden. Auf diese Weise bleibt jedoch Raum für jenen Sachverhalt,daß das Rechtsinstitut die Institution verfehlen oder die Institution auch neben dem Recht verwirklicht werden kann195.

2. Angesichts der in der eben geschilderten Sicht grundsätzlich enthaltenen Trennung von Institution und Norm, die sich letztlich auf eine Scheidung von Sollens- und Seinsgrund im Recht zurückführen läßt196, mußte in Verfolgt der bisherigen Ansätze im Gespräch der Institutionenkommission mit Notwendigkeit die Frage entstehen, ob denn eine konstitutive Dualität von Sein und Sollen ontologisch haltbar


192 IV c 16 ff.
193 IV a 7.
194 VI c 3; IV a 14 f.
195 IV a 13 f.
196 IV a.

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ist. Das schien fraglich, weil das Sollen auf die Kategorie der Möglichkeit verweist und diese ihrerseits im Bereich der Frage nach dem Sein verankert ist. Noch bei Kant z.B. zeigte sich die Frage nach der Bedingung der Möglichkeit der Frage nach dem Sollen und dem Sein übergeordnet.

Versucht man nun das Recht nicht als räumliches Gefüge, sondern in seiner Geschichtlichkeit und Zeitlichkeit z.B. in den Kategorien der Dauer, Vergangenheit und des Prozesses zu verstehen, so scheint die Möglichkeit eröffnet, die im Weg einer idealistisch-naturrechtlichen oder positivistisch-soziologischen Rechtsinterpretation liegenden Gefahren vermeiden zu können. Das hat zur Folge, daß hinsichtlich der Geschichtlichkeit des Rechts zwischen der sozialen Wandlung des strukturierten Rechts einerseits und der Wirklichkeit der konkreten geschichtlichen Akte unterschieden werden muß, wodurch eine unmittelbare Berührung mit dem Institutionsproblem erreicht ist197. In gleicher Weise scheint sich in dieser Sicht eine Trennung von Person und Institution, Person und rechtlichem „Gefüge” zu verbieten, welche in einem unabdingbaren Ergängzungsverhältnis zueinander stehen198.

So geht es denn auch jenem zweiten Versuch, das Verhältnis von Norm und Institution zu bestimmen, darum, im konkreten Rechtsinstitut selbst personale Strukturen in ihrem unmittelbaren Bezug zur Norm aufzudecken199. Die zunächst formale Definition der Institution als Einheit von Vorgang und Zustand wird dahingehend materialisiert, daß die personale Struktur des Vorgangs als Akt der freien Zuwendung, als kausa-loser, spontaner, unter keinem Rechtsgrund forderbarer Akt beschrieben wird, oder seinerseits zu einer Statuseinräumung führt200. Akte der freien Zuwendung räumen primär einen Rechtsstatus ein, innerhalb dessen sich der Begünstigte frei bewegen kann. Sie gewähren Raum für ein freies Handeln. Akte freier Zuwendung haben die Struktur der Gabe. Ihr normatives Element wird erst in der geschaffenen und eingeräumten Rechtsposition sichtbar. Die Verpflichtung des Begünstigten stellt sich nicht als Inhalt, sondern als Folge jenes Zuwendungsaktes dar.

Hierin wird denn auch der Unterschied zu den schuldrechtlichen Strukturen sichtbar, bei denen das Zusagen eines Handelns unmittelbarer


197 IV c 3-4.
198 IV c 12-13.
199 Vgl. oben S 25 ff.
200 VI b 5 f.

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Gegenstand des Rechtsvorganges ist. Bei ihnen wird im Unterschied zu den Strukturen des Personen- und Sachenrechts der Rechtsstatus der Parteien nicht erst begründet, sondern stets schon vorausgesetzt, weil das souveräne Subjekt als außerhalb des geschaffenen Normgefüges stehend gedacht wird. Normative Setzung und schuldrechtliche Verpflichtungen gehen also ohne vorausgesetzte Gabe der Rechtseinräumung auf positive Erfüllung oder Übernahme einer Rechtsrolle in Zuordnung.

Diese Sicht hat zur Folg, daß die Beziehung von Norm und Institution als dualistisches Verhältnis bestimmt werden muß. Nun zwar nicht so, daß Institution als außerrechtlicher Maßstab des Rechts beschrieben wird, aber doch in der Art, daß beide als von einander zu unterscheidende, wenn auch nicht vollständig getrennte Phänomenkreise innerhalb des Rechtes zu verstehen sind201. Die Zusammengehörigkeit beider Phänomene zeigt sich 1. in der Tatsache, daß es sich um isomorphe Relationen handelt, in denen Gabe und Anspruch stets als Gabe und Anspruch „jemandes an jemand” in Erscheinung treten; und 2. im Gerechtigkeitsbegriff, der sowohl in der freien Zuwendung des Rechts als Gabe als auch durch den dem Kläger zustehenden Anspruch seine Beschreibung findet202.

Indem dieses Verständnis aber von der logischen wie genetischen Priorität der Institution, welche als engagierte Spontaneität verstanden wird203, ausgeht, besteht die Gefahr, daß es im Rückblick vom Boden einer „Verfallstheorie” auf ein „goldenes Zeitalter”204 zu einer Überordnung der Statusverhältnisse über die Ordnungen der mobilen Gesellschaft kommt.

Im Gegensatz dazu könnte gefragt werden, ob nicht auch der Vertrag ein Akt freier Zuwendung in Spontaneität ist und insofern dem Eintritt in ein Vertragsverhältnis die gleiche Bedeutung zukommt, wie dem in ein Statusverhältnis. Der Unterschied würde dann lediglich in dem bestehen, was inhaltlich beim Eintritt an personaler Intensität mitgebracht wird. Hier wäre man aber schon dabei festzustellen, was aus der Beziehung wird, und damit bei der Beschreibung des Rechtes als garantiertem Handlungsspielraum205. Allerdings kann eine rein normative Interpretation von Rechtsgefügen nun auch ihrerseits wieder aus der geschichtlichen Situation der mobilen Gesellschaft — so sehr


201 VI b 7.
202 VI b 7 ff.
203 VI b 12.
204 VI c 4.
205 VI c 4.

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diese sie auch bestimmen mag — in Frage gestellt werden. Die Grundlagen der mobilen Gesellschaft scheinen gerade — wie der Abbau der naturrechtlich-religiösen Bedingungen, die pluralistischen Orientierungsmöglichkeiten zeigen — zum Neudurchdenken der Normfrage aufzufordern. Und hier könnte sich eben herausstellen, daß heute Normen nur noch in Relation auf personale institutionelle Vorgänge definierbar sind und gerade Normen der Institutionalität menschlichen Daseins inhärieren206.

3. Indem aber jener Versuch, das Verhältnis von Norm und Institution zu bestimmen, auch in funktionalen Verhältnissen personale Zuordnungen zu erkennen imstande ist207, und sich mit der Definition von Institution als engagierte Spontaneität, die von ihrem Gegenstande und Gegenüber nicht ablösbar ist, von der Betrachtung einzelner isolierbarer Institutionen entfernt, überschreitet sie zugleich grundsätzlich die phänomenologisch aufweisbare Trennung von Status- und Forderungsstrukturen und weist hinüber auf die grundsätzliche Zusammengehörigkeit von Institution und Norm, welche nachzuweisen Anliegen der dritten hier zu schildernden Sicht ist.

Was sich bei jener zweiten Sicht phänomenologisch an personalen Strukturen im konkreten Rechtsinstitut zeigte, wird hier nun auf ein systematisches Verständnis der Institution aus einer theologischen Anthropologie zurückgenommen. Die Institution wird konstituiert von der theologischen Anthropologie der Gottesebenbildlichkeit durch Gottes schöpferischen Anruf, des Menschen gehorsame Antwort und den Niederschlag dieses Prozesses der Menschwerdung im Status.

In dieser Sicht wird die den Institutionen inhärierende Normativität letztlich auf das Gebot Gottes selbst zurückgeführt. Sofern das göttliche Angebot aus dem Schöpfer- und Erhalterwillen einen Raum zur Lebensverwirklichung anweist, kommt darin zum Ausdruck, daß die Normativität der gottgewollten Funktion der Institution inhärent ist208.

Das Handeln Gottes ist freie Zuwendung in Liebe. Aber indem es einen Raum zur Lebensverwirklichung gewähren will, zeigt es sich zugleich als ein auf einen Status bezogenes und tendierendes Handeln, wie als ein Handeln zugleich, das in der Freiheit seiner Zuwendung den Status selbst zu transzendieren trachtet.


206 VI c 4.
207 VI b 32.
208 VI a 13; VI c 5 ff.; 7 ff.

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So wird noch einmal von der Verhältnisbestimmung von Institution — als personaler Vorgang — und Norm her jener Sachverhalt deutlich, den die Thesen von 1955 in der Beschreibung der Institution als Einheit von Vorgang und Zustand, actus und status, zu erfassen suchen.

 

2. Die offenen Fragen — Zusammenfassung

Im Rückgriff auf die Thesen von 1955, welche den Ausgangspunkt für den hier darzulegenden Gesprächsabschnitt in der Institutionenkommission in den Jahren 1956-1961 darstellen, hat sich der Kreis der Darlegungen um das Thema von „Institution und Recht” vorerst geschlossen.

Während die Versuche, das Wesen der Institution zu bestimmen, 1961 zu einem grundlegenden Abschluß gelangt sind, läßt der Stand der Diskussion erkennen, daß eine endgültige Klärung des Verhältnisses von Institution und Recht noch nicht erfolgt ist; wenn auch festzustellen ist, daß die zum thema probandum vertretenen Sichtweisen in wesentlichen Punkten — etwa in der Beschreibung der Funktion des Rechts als Gewährung eines Handlungsspielraums — übereinstimmen.

Insonderheit trifft diese Feststellung auf die an zweiter und dritter Stelle geschilderten Bestimmungsversuche des Verhältnisses von Norm und Institution zu. Anliegen dieser Verstehensweisen war es, das Institutionenproblem nicht nur als ethisches, sondern gerade als dogmatisches zu erfassen, Aufgabe war die Hereinnahme der Ethik in die Dogmatik. Nicht die Überprüfung der historisch vorfindlichen Ordnungen am von „außen” zukommenden Liebesgebot, sondern der Aufweis personaler Strukturen in der vorfindlichen Gestalt der Institution selbst ist Thema209. Demgegenüber betont die erste Sichtweise aus den oben geschilderten Gründen210 im größeren Maße die wesensmäßige Trennung, die Dualität von Institutionen und Recht, wobei die in einem personalen Rechtsverständnis gegebenen Möglichkeiten zu einem Neudurchdenken der Normfrage stärker in den Hintergrund treten.

Mit der gebotenen Vorsicht läßt sich das Verhältnis der drei Sichtweisen folgendermaßen beschreiben: War es Anliegen jener ersten Sicht der Verhältnisbestimmung die bestehende Spannung zwischen Gesetz


209 Vgl. oben S. 25 ff.
210 Vgl. oben S. 35 ff.

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und Evangelium, Sündhaftigkeit und Angenommensein des Menschen zu betonen, indem sie das rechtsbezogene Handeln in seiner Spannungsmöglichkeit von institutional-personaler und die Personalität verfehlender Rechtsverwirklichung zu erfassen suchte, so war es Ziel des zweiten Bestimmungsversuches, personal interpretierbare Zuordnungen und Vorgänge im konkreten Rechtsinstitut selbst aufzuweisen, um so in einer rechtstheologischen Interpretation ein Neudurchdenken der juristischen Dogmatik zu ermöglichen. Und jene dritte Sicht versuchte das, was in der einen Richtung ethisch sich als „Kann” und der anderen faktisch-phänomenologisch sich als „Ist” von personaler Rechtsverwirklichung zeigte, in seinem theologischen Grund als „Muß” der Personalität des Rechts zu zeigen, wobei auch hier die Möglichkeit der Verfehlung der Personalität in concreto zentral im Vordergrund stand.

Aber gerade hier in der Bestimmung des Verhältnisses von Institution und Norm wird das Gespräch in der Institutionenkommission auf den bisher erarbeiteten Grundlagen neu einzusetzen haben.

Das Rechtsgespräch, welches in Göttingen 1949 begann, setzte sich in den Arbeiten der Eherechtskommission fort. Die in der eherechtlichen Problemen entdeckten Phänomene, wie Vorgang, Annahme und Status, wurden in der rechtstheologischen Diskussion der Institutionenkommission weitergeführt. Die Institutionen zeigten sich zunächst als Stiftungen Gottes, um im weiteren Verlauf des Gespräches durch ein Orientierung am Vorfindlichen als solche wieder in Frage gestellt zu werden. Und gerade jenes Infragegestelltsein des Stiftungscharakters wies das Gespräch auf das Phänomen der menschlichen Institutionalität, welche die rechtstheologische Zusammengehörigkeit von Institution und menschlicher Existenz erkennen ließ.

Diese Erkenntnis führte zu einer systematischen wie phänomenologischen Bestimmung des Institutionsbegriffs, welche einen gewissen Abschluß der bis dahin verfolgten Linie darstellt. Diese Tatsache bedeutet jedoch zugleich den Beginn des Rechtsgesprächs der Institutionenkommission auf einer breiteren Grundlage. Einer Grundlage, auf welcher die Möglichkeit gegeben ist, zu einer juristisch fruchtbaren Neuformulierung der Normfrage zu gelangen. Es hat sich gezeigt, daß das Erkenntnisproblem von Wesen und Funktion der Norm eingebettet ist in den im Gesprächsgang sichtbar gewordenen Sachverhalt der institutionellen Gebundenheit menschlichen Daseins schlechthin.

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D. Anhang

1. Thesen 1956-1961

 

Thesen 1957

Das Gespräch über die Institutionen hat sich in drei Sitzungen im Anschluß an die Beratungen der Eherechts-Kommission der EKiD mit der Frage nach der gemeinsamen Struktur von existentiellen Grundbezügen befaßt, deren Zahl und Art bisher noch offen geblieben ist.
In den bisherigen Beratungen haben zunächst Ehe und Staat den Gegenstand der Untersuchungen gebildet. An ihnen sind die grundsätzlichen Fragestellungen geprüft worden, um das Gemeinsame der verschiedenen Probleme zu erhellen.

 

I

1. Bei der Betrachtung der Institutionen begegnen sich phänomenologische Einsichten in die Grundstrukturen menschlichen Zusammenseins mit der theologischen Interpretation der gleichen Bereiche. Dabei zeigt sich, daß das Zeugnis über sie nicht überall eine gleiche Fülle der Aussage und der Gebote aufweist.
2. Nicht alle Grundbezüge sind wie die Ehe ausdrücklich in der Schrift als Stiftungen Gottes ausgewiesen. Die Schrift stellt aber an vielen Stellen das Eingebundensein des Menschen in das politische Zusammenleben vor Augen. Das erlaubt uns, das rechtlich geordnete politische Gemeinwesen als eine Institution im Sinne des Gesprächs anzusehen.
3. In der Behandlung der Institutionen geht es sowohl um ihr Erscheinungsbild in ihrer Geschichtlichkeit, wie auch um ihren Grund und ihre Grenze im Gesamtzeugnis des Alten und Neuen Testamentes.
4. Im Stande der Rechtfertigung ist dem Menschen Vollmacht und Befähigung verliehen, in den Institutionen dieser Welt dem Nächsten in Liebe zu dienen; in solchem Dienst wird der Gehorsam gegen den Kyrios Christos bewährt.

 

II

In den Erörterungen über das politische Gemeinwesen und die Ehe sind folgende gemeinsame Grundzüge hervorgetreten:
5. Über beide kann der Mensch nicht verfügen. Er kann die Grundzüge der Institution nicht aufheben. Bei der Ehe ist der Mensch nach ihrer Annahme durch die Unauflöslichkeit gebunden; die Zugehörigkeit zu einem politischen Gemeinwesen ist für den Menschen trotz der Möglichkeit des Wechsels zwischen einzelnen Staaten und der formalen Staatenlosigkeit notwendig gegeben.
6. Von Ehe und Staat wird das Leben des Menschen grundlegend und nicht rücknehmbar bestimmt.

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7. In beiden Institutionen ist der Mensch stets erneut zur Antwort gerufen. So zeigen sich beide nicht allein als Zustand, sondern zugleich als Vorgang gestaltenden Handelns. In der immer wiederholten Annahme stellt sich der Mensch seiner Verantwortung.
8. Darüber hinaus weisen die beiden Institutionen vielfach voneinander abweichende Einzelzüge auf.

 

III

Es wurden folgende besondere Merkmale des politischen Gemeinwesens hervorgehoben:
9. Im Aufbau des politischen Gemeinwesens liegt das Moment der Über- und Unterordnung ebenso wie das der Gleichheit beschlossen.
10. Die Zugehörigkeit zum politischen Gemeinwesen erfüllt sich für Regierende und Regierte in ihrem jeweiligen Berufensein, der Verantwortlichkeit öffentlicher Ämter und Dienste wie auch der Mitverantwortung des Bürgers.
11. Wenngleich das politische Gemeinwesen über die einzelnen menschlichen Beziehungen hinaus in Recht und Ämtern fortdauernden unpersönlichen Bestand hat, ist es notwendig, in allen politischen Strukturen die personale Relation zu erkennen und festzuhalten.
12. Diese Personalität im politischen Gemeinwesen bleibt dort gewahrt, wo die Fehlsamkeit der rechtlichen und politischen Ordnung und die Beugung von Staatsmann und Bürger unter das göttliche Gericht anerkannt sind und wo zugleich die persönliche Verantwortung unter dem Gebot der Liebe verwirklicht wird.

 

IV
Offene Fragen

1. In den Erörterungen sind die Institutionen als eine Einheit von Vorgang und Zustand innerhalb typischer Beziehungsformen des Menschen gekennzeichnet worden.
2. Diese Erkenntnis berührt sich mit der These, daß der Mensch durch sein Gegenüber konstituiert wird, nirgends für sich allein steht.
3. Beide Einsichten führen zu mehreren Fragen:
a) welche Gegenüber sind für den Menschen konstituierend?
b) worin ist die Einheit der verschiedenen Bezüge und ihr gegenseitiges Bedingtsein theologisch begründet?
c) wie ist das in der Institution verfaßte Gegenüber zu kennzeichnen?
1) Ist es ein personaler Dualismus?
2) Vollzieht sich dieses Gegenüber zugleich in der Unterschiedlichkeit der Rollen wie in der Gemeinsamkeit der Partner?
3) Handelt es sich — etwa gerade vermöge jener Merkmale — um einen geschichtlich-unumkehrbaren Vorgang?

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Thesen 1958

1. Die Institutionen sind geschichtliche Grundformen mitmenschlichen Lebens, die Gott eingerichtet hat und durch sein Wort in ihrer Wahrheit erkennen läßt.
2. Die Institutionen begrenzen und ergänzen sich in ihrer Pluralität gegenseitig.
3. Die Institutionen bestehen im geschichtlichen Nachvollzug der in Jesus Christus offenbar gewordenen Herrschaft, Gerechtigkeit und Stellvertretung des Dreieinigen Gottes.
4. Das Leben in den Institutionen schließt die Übernahme von Schuld mit ein und bedarf der Rechtfertigung.
5. Die Institutionen sind grundlegende Elemente jeder Rechtsordnung.

 

Thesen 1959

1. Die Institutionen im Sinne dieses Gesprächs umfassen nicht den gesamten Bereich, den die soziologische Wissenschaft als habitualisierte Verhaltensweisen beschreibt. Mit ihnen ist auch nicht der gesamte Umkreis der Rechtsinstitute der bestehenden Rechtsordnung gemeint. Vielmehr bezieht sich diese Erörterung auf einige mit dem Menschen gegebene soziale Grundbezüge. Diese Institutionen sind einer rechtlichen Ausprägung im einzelnen fähig und bedürftig.
2. In welchem Bezuge stehen die Institutionen theologisch zu dem Fragenkreis „Gesetz und Evangelium”?
a) Man kann das Gesetz verstehen als Inhalt des Willens Gottes und dann in Einheit mit dem Evangelium, durch das dieser Wille Gottes erfüllt wird.
Die Institutionen lassen sich mit dem Inhalt ihrer Anforderung in den Bereich des Gesetzes stellen, sofern für sie der Wille Gottes für das Zusammenleben der Menschen sich im begrenzten Bereich bestimmter Grundbezüge geltend macht, und stehen in dieser Hinsicht nicht im Gegensatz zum Evangelium.
b) Man kann das Gesetz verstehen als Schuld- und Verwerfungsurteil Gottes über den Menschen, der seinen Willen nicht erfüllt. Dann steht es im Gegensatz zum Evangelium, denn dieses ist der Freispruch, der den Schuldspruch in Begnadigung verwandelt.
Die Institutionen lassen sich auch unter diesem Blickpunkt in den Bereich des Gesetzes stellen, weil sie Ordnungen des menschlichen Lebens zwischen Fall und Gericht darstellen, die ihr Gefüge nicht ohne die Hilfe äußerer oder koerzitiver Mittel erhalten können. Die Institutionen tragen unter diesem Gesichtspunkt die Tendenz zur Entfremdung und zur Selbstherrlichkeit in den menschlichen Beziehungen in sich.
Die Institutionen weisen auch auf das Evangelium voraus, sofern sie für den Menschen ein Gerüst zur Erhaltung und Ordnung des zeitlichen Daseins bewirken.
3. Sollten statt der unter 2. entwickelten Deutung die Institutionen verstanden werden vom Bunde Gottes mit den Menschen, seiner geschichtlichen

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Treue und dem daraus für den Menschen erschlossenen eschatologischen Horizont der Welt?
4. Die Abgrenzung des Kreises der Institutionen als besonders hervortretender, umfassender (unausweichlicher) Grundbezüge des menschlichen Lebens setzt einen Maßstab dieser Abgrenzung voraus. Kann er gewonnen werden aus in der Schrift bezeugter Einsetzung (Stiftung) Gottes? Gegenüber der relativen Enge dieses Ansatzes erheben sich Bedenken. Kann er gewonnen werden aus der Verweisung auf die Bezeugung menschlicher Grundbezüge in der biblischen Botschaft im ganzen? Bei der vielfältigen Erwähung sozialer Verhältnisse in der Schrift kann hier kein sicherer Maßstab gewonnen werden.
Ist es erlaubt oder notwendig, die Abgrenzung aus der Heranziehung ontologischer, anthropologischer oder soziologischer Einsichten zu gewinnen? Dabei muß freilich die Gefahr vermieden werden, daß auf diesem Wege die überlieferten Gedankenformen naturrechtlich-humanistischer Tradition erneuert werden.
Die Beantwortung dieser Fragen kann nur aus einem weiteren Eingehen auf die Möglichkeit und die Probleme eines theologischen Verständnisses des Menschen gewonnen werden.
5. Die Institutionen, wie immer sie als menschliche Grundbezüge aufgefaßt werden, stehen in der Geschichte des menschlichen Daseins.
a) Das gilt zunächst im Blick auf die Dauer der in ihnen sich vollziehenden sozialen Bindung, ihren Charakter als Vorgang (Annahme und Gestaltung) und ihre Verknüpfung mit dem Ablauf des menschlichen Lebens.
b) Das gilt vor allem für ihren inhaltlichen Wandel in der Veränderung der sozialen Verhältnisse, wobei die Frage offenbleibt, ob dieser Wandel die Gesamtheit ihres Inhalts (vielleicht sogar ihre Zugehörigkeit zum Kreise der Institutionen) ergreift oder ob ein bleibender Umriß bei ihnen der Veränderung entzogen ist.
Für eine theologische Erfassung der Institutionen ist die Geschichtlichkeit im Sinne eines theologischen Geschichtsbegriffes zu verstehen.
6. Der Geltungsanspruch des Rechtes weist in seiner inhaltlichen Ausrichtung auf die Erfüllung der Gerechtigkeit. Lassen sich die Institutionen theologisch begründen, so zeigen sie dem Christen als eine Hilfe einen Weg zur Verwirklichung der Gerechtigkeit.
Mit der Annahme der Institutionen tritt der Mensch freilich zugleich in den Bereich der in ihnen möglichen Pervertierungen (vgl. 2b).
7. Alles Recht benötigt zu seiner Geltung zugleich einen nahen Bezug zur gesellschaftlichen und damit zur geschichtlichen Wirklichkeit. Es benötigt eine Autorität, die seine Satzungen verkündigt, feststellt und anwendet. Im Rahmen der Institutionen und ihrer Ausgestaltung wird das Recht daher jeweils geschichtlich wandelbare Züge zeigen; die Frage einer bleibenden Struktur der Institutionen wird dadurch jedoch nicht berührt.

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II. Abkürzungsverzeichnis und Überblick über die Tagungen der Institutionenkommisison in den Jahren von 1955 bis 1961 *

R Recht und Institution — Hemer 1955
Referate, Verhandlungsbericht und Thesen der Tagung von 1955, veröffentlicht in: Recht und Institution, hrsg. v. Hans Dombois, Witten 1956.

I. Institution und Staat — Hemer 1956
I a Das Problem der Institutionen und der Staat (Prof. Rudolf Smend)
I b Staat als Institution? Möglichkeiten und Grenzen einer theologischen Staatslehre (Prof. Ernst Wolf)
I c Protokoll

II. Institution und Staat — Münster 1957
II a Die gegenwärtige Situation der Staatslehre (Prof. Ulrich Scheuner)
II b Zum Stande des Institutionengesprächs (Dr. Hans Dombois)
II c Protokoll
II d Thesen

III. Der Begriff der Institution im Lichte der Theologie Bonhoeffers und Barths — Heidelberg 1958
III a Dietrich Bonhoeffers Mandatsbegriff und das Institutionenproblem (Prof. Jürgen Moltmann)
III b Die christologische Rechtsbegründung und das Problem der Institutionen (Prof. Felix Flückiger)
III c Protokoll und Thesen

IV. Institution und Norm — Heidelberg 1959
IV a Institution und Rechtsnorm (Prof. Ludwig Raiser)
IV b Die Institutionen in ihrem Verhältnis zu Gesetz und Evangelium (Prof. Wilfried Joest)
IV c Protokoll
IV d Thesen

V. Gesetz und Institution — Göttingen 1960
V a Der Begriff der Institution in der funktionalistischen Soziologie (Prof. Wolf-Dieter Marsch)
V b Zum Begriff der Institution in der Soziologie Arnold Gehlens (Dr. Martin Greiffenhagen)
V c Protokoll

VI. Institution und Norm — Heidelberg 1961
VI a Zum Normcharakter der Institutionen (Prof. Ernst Wolf)
VI b Institution und Norm (Dr. Hans Dombois)
VI c Protokoll


* Zitierweise: z.B. V a (Protokoll, Vortrag usw.) 2 (Seite).