3. Das Kirchenrecht.

Und doch haben die Anforderungen einer für eine sichtbare Menschengemeinschaft bestimmten Ordnung mit „eiserner Notwendigkeit” ein Kirchenrecht hervorgebracht und zwar, infolge der durch das Urchristentum gegebenen Voraussetzungen, ein Kirchenrecht für die Kirche Christi, d.h. katholisches Kirchenrecht.

Das Wirken des göttlichen Geistes ist frei von jeder Form. Das von Gott gegeben Charisma überwältigt nur den innerlich Ergriffenen.

Das Gemeinleben einer sichtbaren Menschengemeinschaft aber kann ohne irgendwelche Form nicht sein. Es bedarf einer gemeingültigen Ordnung, die, in der Vergangenheit entstanden, doch die Gegenwart beherrscht, so daß bei Irrungen innerhalb der Gemeinschaft die formale Tatsache des

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Einklangs mit der überlieferten Ordnung den Ausschlag gibt, grundsätzlich ohne Rücksicht auf innere Zustimmung des Betroffenen, überhaupt auf das sachliche Ergebnis im Einzelfall: fiat justitia, pereat mundus. Gerade das ist die Art der Rechtsordnung.

Das religiöse Leben hängt allein am Geist und an der Wahrheit, das Gemeinleben aber hängt zu einem erheblichen Teile an der Form. Das Urchristentum wollte das Gesetz des religiösen Lebens zugleich zum Gesetz des Gemeinlebens machen. Sollte das auf die Dauer sich durchsetzen, so mußten die Anforderungen des Gemeinlebens zur Vergesetzlichung und Formalisierung des religiösen Lebens führen, d.h. zur Katholisierung und damit zur Verbildung des Christentums.

Harnack steht auf einem anderen Standpunkte. Er hält mit der herrschenden Lehre das Christentum für eine naturgemäß der Rechtsordnung zustrebende Größe und findet die stärksten Wurzeln der urchristlichen „Rechtsbildung” in dem Verhältnis des Urchristentums zum römischen Staat.62) „Die


62) RE. S. 541. 542. Dort is zusammenfassend wiedergegeben, was eingehend von Harnack in der „Kultur der Gegenwart”, Teil 1, Abt. 4 „Die christliche Religion” (2. Aufl. 1909) S. 132ff. und in seinem Aufsatz: „Jus ecclesiasticum” (Preuß. Akad. d. Wiss. 26. Febr. 1903) entwickelt worden ist. — Trotz der „gewaltigen rechtsbildenden Kräfte der jüdischen Ordnungen” (RE. S. 514) waren doch hier noch „nicht die stärksten Wurzeln der Rechtsbildung” gegeben, sie lagen „auf einem anderen Boden”, nämlich in dem Verhältnis zum staatlichen Recht (RE. S. 541). Eine rechtsbildende Kraft nach der anderen tritt bei Harnack innerhalb des Urchristentums auf, eine immer stärker als die andere. Man wundert sich nur darüber, daß trotzdem auch nach Harnack das Kirchenrecht erst am Ende des 1. Jahrhunderts (Clemensbrief) auftritt (oben S. 39 Anm. 33). In der „Kultur der Gegenwart” a.a.O. S. 138 erscheint allerdings das Kirchenrecht sofort (eine Ansicht, die ja trotz allem auch jetzt noch bei Harnack wiederkehrt, vgl. oben). Dort werden genannt als „ursprüngliche Ordnungen”, in denen „bereits die Kirche als ein Staat im Staate sich darzustellen anfing”, eine „feste Kultusregel, welche die Gläubigen verpflichtete, täglich zusammenzukommen”, eine „gemeinsame Kasse, für jede Gemeinde besonders”, „Gemeindebeamte”, eine „feste und strenge ➝

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Kirche sah sich einem hochkultivierten Staate gegenüber, zu dessen Rechte sie aber von Anfang an ein eindeutiges Verhältnis nicht zu gewinnen vermochte”, weil sie sich „zugleich ihm unterordnete (Röm. 13) und ihn bekämpfte (Joh. Apk.)”. „Die ganze Schöpfung der kirchlichen Verfassung mit ihren Beamten bis zur Entwickelung des monarchischen Episkopats in jeder Lokalgemeinde ist als eine Rechtsbildung aufzufassen, die entstanden ist, weil man die bestehende Verfassung mit ihren Beamten nur sehr bedingt und in engen Grenzen anzuerkennen vermochte” (RE. S. 541). Also nur infolge des Gegensatzverhältnisses zwischen dem heidnischen römischen Staat und dem Christentum ist ein selbständiges Kirchenrecht, eine selbständige Kirchenverfassung ausgebildet worden.63) Sonst hätte die Christenheit auf den Staat


➝ Ehe- und Familienordnung”, ja die „Anfänge einer eigenen Prozeßordnung” und eine „Strafordnung”. Das wäre ja mehr als genug. Aber man sehe z.B. die „Anfänge einer Prozeßordnung”! Gemeint ist die Anweisung (1 Kor. 6), einen Rechtsstreit nicht an den heidnischen Richter zu bringen, sondern einen „Bruder” richten zu lassen. Aber wo ist auch nur eine Spur von Ordnung des Verfahrens, d.h. von „Prozeßordnung”?! Genau ebensoviel Wert haben die anderen Behauptungen (vgl. oben S. 35 Anm. 28). Im Urchristentum fehlt in allen diesen „Ordnungen” das Rechtliche noch gänzlich; nur Weisungen sittlich-religiöser Art sind da, die erst viel später rechtlich umgebildet sind. Auch das „jus ecclesiae”, das „jus der Kirche” zur Sündenvergebung, welches bei Tertullian auftritt und nach Harnack RE. S. 542 „kirchliches Recht im engeren Sinne” (ein Begriff, der unklar bleibt) bedeuten soll, ist ohne rechtlichen Inhalt, ebenso wie die „jura” des Brudernamens, des Friedens, der Gastfreundschaft. Tertullian gebraucht hier den Ausdruck jus, jura im unjuristischen Sinn. Er ist nicht der Meinung, daß es sich um in irgendwelcher rechtlichen Form erworbene, um der äußeren Ordnung willen geltende Rechte handle. Das „Recht” der Schlüsselgewalt ist lediglich religiös begründete „potestas ligandi et absolvendi”.
63) Diese Ansicht begegnet häufig. Vgl. z.B. auch Rieker, Der Ursprung von Staat und Kirche (in „Beiträge zum Kirchenrecht, Festschrift für Emil Friedberg” 1908) S. 60: „Der Gegensatz, in dem die Christen zum römischen Staate stehen, treibt sie dazu, sich eigene Ordnungen und Einrichtungen zu schaffen.”

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„eingehen können”, und es wäre „zu einer eigenen Rechtsbildung nur in sehr bescheidenem Umfange gekommen”. Mit anderen Worten: die städtische Verwaltung hätte zugleich kirchliche Verwaltung, das kaiserliche Regiment zugleich Kirchenregiment sein können. Und es ist „kein bloßer Zufall”, daß die Kirchenverfassung der „städtischen Verfassung so ähnlich wurde”, daß sie dann zur Provinzialverfassung und zur Reichsverfassung fortschritt (RE. S. 541).

Als wenn die Urchristenheit sich als weltliche, irdische Gemeinschaft empfunden hätte, für welche weltliche, staatliche Rechtsordnung das Naturgemäße gewesen wäre, die grundsätzlich in den Staat hätte „eingehen können”! Als wenn die Urchristenheit überhaupt vermocht hätte, sich die Ordnung der Ekklesia, des Volkes Gottes, als in der gleichen Welt mit der Staatsordnung liegend vorzustellen! Mochte der Staat sein wie er wollte, die Ekklesia stand als rein religiöse Größe zum Staat in keinerlei Verhältnis. Die Kirche im religiösen Sinn hat kein Bürgerrecht im Staate und kann es gar nicht haben! Sie steht jenseits alles staatlichen Rechts, welcher Art auch das Recht des Staates sein möge. Im dritten Jahrhundert, als die Kirche Massenkirche wurde, haben die Formen der Reichsverfassung (Stadtgebiet, Provinz, Reich) auf die Kirchenverfassung eingewirkt. Aber trotzdem stammten die grundlegenden Gedanken nicht vom Reich, sondern ganz allein von der Kirche.

Ebensowenig kann zugegeben werden, daß die Urkirche von vornherein „Beschlag auf das gesamte Leben und Denken ihrer Gläubigen sowie auf ihr gesellschaftliches Verhältnis zueinander legte und alles einer festen Ordnung zu unterwerfen suchte” (RE. S. 541).64) Die Meinung Harnacks ist: auch das gesamte bürgerliche Leben mit seiner Eigentumsordnung usf. verlangte vom Standpunkt des Urchristentums


64) Als Beleg werden die sog. „Haustafeln” in den paulinischen Briefen angeführt. Ob das „feste Ordnungen”, „Antriebe zu Rechtsbildungen” waren?

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eine selbständige Ordnung, da man die staatlichen Rechtsordnungen nicht schlechtweg anzuerkennen vermochte.65) Also der Gedanke des kanonischen Weltrechts66) sei schon im Urchristentum vorhanden und wirksam gewesen. Daß das ein Irrtum ist, hat neuerdings Tröltsch in glänzender Darstellung eingehend nachgewiesen.67) Noch während der ganzen Zeit des abendländischen Reiches und darüber hinaus ist die Kirche ausschließlich religiös interessiert. Die Welt und die in ihr von der Rechtsordnung zu lösenden Aufgaben gehen sie nichts an. Sie denkt nicht daran, eine christliche Sozialreform ins Werk zu setzen, die Kultur der Welt mit dem Geist des Christentums zu erfüllen.68) Wie das Evangelium, so ist auch die alte Kirche rein religiösen Wesens und eine rein auf das Religiöse gerichtete Gewalt.69)

So ist denn auch das Interesse, welches gegen Ende des 1. Jahrhunderts die Anfänge kirchlicher Rechtsordnung


65) Dabei bemerkt Harnack (S. 541), nach der von mir vertretenen Ansicht wäre vom christlichen Standpunkt aus alle Rechtsordnung, auch die bürgerliche Rechtsordnung abzulehnen (ein Mißverständnis, das mir schon früher einmal, in der 1. Auflage von Harnacks Wesen des Christentums, begegnet ist). Was ich vertrete, ist nur der Satz, daß das Christentum niemals im Wege der Rechtsordnung verwirklicht werden kann und darum alles „christliche Recht” ein Widerspruch in sich selbst.
66) Das scheint Harnack RE. S. 541 unter „kirchlichem Recht in weiteren Sinn” zu verstehen.
67) Tröltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen, im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 26 (1908).
68) Tröltsch a.a.O. S. 340: „Der Gedanke an eine christliche Kultur, an eine die Welt durchdringende, gestaltende und erneuernde Ordnung des Gesamtlebens liegt völlig fern und eben deshalb auch jeder Gedanke an eine von der Kirche aus zu fordernde Sozialreform”.
69) Der Gedanke eines kanonischen Weltrechts gehört erst dem Mittelalter an. In der alten Zeit erfolgt ein Vorgehen in dieser Richtung nur aus ganz besonderem Anlaß. Der älteste Fall dieser Art erscheint erst im dritten Jahrhundert (das Eheedikt des Kallist, vgl. Harnack RE. S. 542), und er ist lange vereinzelt geblieben. Von einer grundsätzlichen Bewegung in dieser Richtung ist keine Rede.

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erzeugt hat, lediglich das religiöse Interesse gewesen, das Interesse am Leben der Ekklesia.

Die Ekklesia erschien in den Versammlungen der Christenheit. Sollte Rechtsordnung für die Ekklesia entstehen, so mußte sie als Rechtsordnung für die Versammlungen der Christenheit aufkommen.

Es gab zwei Arten der Christenversammlung.

Die eine war die Versammlung um das Wort. Sie wird uns in ihrer Urgestalt vom Apostel Paulus (1 Kor. 14) deutlich genug geschildert. Sie war ohne jede äußere Ordnung. Es gab keinen Vorsitzenden. Es gab niemand, der das Wort gab oder allein das Wort gehabt hätte. Jeder hat das Wort (1 Kor. 14, 26), und es gilt nur das eine Gesetz, daß nicht zwei zu gleicher Zeit reden. Aber nicht, daß der zweite warten soll, bis der erste geendet hat, sondern: wenn der zweite aufsteht, um zu reden, soll der erste sich setzen (1 Kor. 14, 30). Es gilt „pneumatische Anarchie”.

Die andere Versammlung war die eucharistische Versammlung, die Versammlung zur Feier des Abendmahls. Diese Versammlung war ohne eine bestimmte äußere Ordnung gar nicht möglich. Sie hatte notwendig einen Vorsitzenden, der das Ganze leitete, der das Dankgebet sprach, der allein das Wort hatte. Dieser Eine, der Sprecher der eucharistischen Versammlung, saß an Christi Statt. Er nahm das Brot, dankte und brach es. Er nahm den Kelch, dankte und gab ihn den übrigen. Er war der Statthalter Christi in der Nachbildung des letzten Abendmahls Jesu mit seinen Jüngern. Die anderen, die mit ihm zu Tische saßen, waren an der Jünger Statt, Nachfolger, Statthalter der Apostel.70) Diese Ordnung war von selbst gegeben. Sie lag im religiösen Wesen der Feier notwendig begründet.


70) In den Ignatiusbriefen werden die mit dem Bischof am Abendmalstische sitzenden Presbyter (der „Kranz” der Kirche) als Darstellung des „Synedrium” der Apostel bezeichnet (εἰς τύπον συνεδρίου ἀποστόλων). Vgl. Kirchenrecht Bd. 1 S. 138, 139.

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Sobald die eucharistische Versammlung größer wurde — das war sehr frühzeitig in Jerusalem der Fall — mußte eine Gliederung der Versammlung eintreten. Es konnten nicht alle am Tische sitzen. Der größere Teil der Versammlung mußte stehen. Die Versammlung zerfiel in zwei Teile: die am Tische (später „am Altar”, im Chor) und die übrigen; der Gegensatz von Klerus und Laienschaft ward daraus. Das Sitzen am Tische ward zu einer Auszeichnung. So war der Vorsitzende, Leitende nicht mehr der einzige, der von den übrigen sich unterschied. Ihm trat eine Gruppe von Ehrenpersonen zur Seite, die mit ihm saß (συνέδριον vgl. Anm. 70) und ihn in der Leitung der großen Versammlung unterstützte. Regelmäßig zählten die Ehrenpersonen zu den älteren Gemeindegliedern: sie waren und hießen Presbyter, Älteste.71) Ihr mit zu Tische Sitzen war zu einer Funktion, zu einem Dienst in der Versammlung geworden: sie nahmen teil an der Leitung der Ekklesia (der eucharistischen Versammlung). Aber noch eine andere Funktion war durch das Wachsen der Versammlung notwendig geworden. Der Menge, die nicht mit zu Tische saß, mußte Brot und Wein gebracht werden. Es bedurfte eines dienenden Amtes für die Austeilung von Brot und Wein: der Diakonen, der „Diener” des Vorsitzenden in der Eucharistie.72)


71) Auch Propheten, Lehrer, Konfessoren, Asketen konnten unter den zu Tische Sitzenden sein. Aber diese Gruppen waren nicht immer vertreten; ältere, bewährte Gemeindeglieder gab es jedoch überall. Sie bildeten den festen Kern und gaben daher der Gesamtheit der zu Tische Sitzenden den Namen.
72) Die Funktion des Vorsitzes in der Eucharistie ist „bischöfliche” Funktion eines Aufsehers, Leiters, Führers. An dieser Funktion nahmen ursprünglich alle am Tische Sitzenden teil (die Rolle des Sprechers wechselt, so daß der eine, der das Wort hat, zunächst nur als primus inter pares erscheint; noch bis zum Ende des 2. Jahrhunderts wird der Bischof unter den „Presbytern” mit begriffen). Darum heißen die Vorsitzenden „Bischöfe”. Sie können auch von der Eigenschaft, die in ihrem Kreise überwiegt, „Älteste” (Presbyter) genannt werden. Aber beides fällt ➝

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So ergab sich in der größeren eucharistischen Versammlung ganz von selber die Gliederung, die dann ziemlich bald in festen Bezeichnungen zum Ausdruck kam: Bischöfe (Presbyter)73), Diakonen, Volk. Die ersteren waren tätig in der Eucharistie, das Volk war untätig. Die zu Tische Sitzenden und die zu Tische Dienenden mußten Charismatiker sein, mußten vor den übrigen von Gott zum Dienst an der Ekklesia „erwählt” sein (Klerus). Sie waren in der Eucharistie die „Geistlichen” (Pneumatiker) vor den anderen.

Das Gewicht der Gliederung mußte steigen, als in den letzten Zeiten des ersten Jahrhunderts für die sonntägliche Feier die eucharistische Versammlung mit der Versammlung um das Wort zu einer Versammlung zusammengezogen wurde: zuerst das Wort (die Predigt), dann die Eucharistie (Messe). Die Ordnung der eucharistischen Feier übertrug sich dadurch auf die Versammlung um das Wort. Die eucharistische Ordnung ward die Ordnung der Christenheitsversammlung überhaupt. Auch die Versammlung um das Wort hat nunmehr einen Vorsitzenden, dem jedenfalls zunächst das Wort gebührt. Nach ihm werden dit mitvorsitzenden „Ältesten” in Frage kommen. Die eucharistische Ordnung ist schlechtweg die gottesdienstliche Ordnung, die


➝ nicht notwendig zusammen, da die anwesenden „Ältesten” nicht in jeder Versammlung alle mit zu Tische sitzen. — Daß das Amt der Bischöfe (Presbyter) und Diakonen aus der eucharistischen Ordnung hervorgegangen ist, habe ich in meinem Kirchenrecht Bd. 1 eingehend zu begründen unternommen. Meine These wird im Anfang des 2. Jahrhunderts direkt bezeugt durch Ignatius ad Trall. 2: Der Bischof und die Presbyter sind διάκονοι μυστηρίων Ἰησοῦ Χριστοῦ, οὐ γὰρ βρωμάτων καὶ ποτῶν εἰσὶν διάκονοι (sie sind nicht Diener für gewöhnliche „Speise und Trank”), ἀλλ᾽ ἐκκλησίας θεοῦ ὑπηρέται. Die herrschende Lehre von Bischöfen und Diakonen als „Gemeindebeamten” für Disziplin, Verwaltung, Kultus beruht lediglich auf Eintragung heutiger Anschauungen, d.h. auf der Voraussetzung einer körperschaftlich organisierten „Gemeinde”.
73) In besonderem Sinne ist Bischof der Sprecher der eucharistischen Versammlung: daher beschränkt sich später diese Bezeichnung auf den einen Bischof.

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Versammlungsordnung, die Ordnung der Ekklesia geworden. Mit der Leitung der Eucharistie war von vornherein die Verwaltung des Kirchenguts (der Opfergaben) und damit die Fürsorge für Arme und Kranke verbunden. Jetzt lag in der Leitung der Eucharistie auch die Macht über das Wort. Die „erwählten” Vorsitzenden der eucharistischen Versammlung erscheinen zugleich als Lehrende, als „Bischöfe”, „Hirten” der Christenheit.

Aber die eucharistische Ordnung war trotz alledem noch geraume Zeit keine Rechtsordnung. Es gab eine Erwählung zum Sitzen am Altar, d.h. zur Leitung der Ekklesia, und ebenso eine Erwählung zum diakonalen Dienst. Aber die Erwählung ward nur als Klarstellung des von Gott gegebenen Charisma verstanden. Rechte gab sie nicht. Wer heute zum Ehrensitz erwählt war, mochte doch in der nächsten Versammlung durch andere nunmehr Erwählte, gleich Begabte ausgeschlossen werden (daher die Möglichkeit des „Aufruhrs” in Korinth, gegen den der 1. Clemensbrief sich richtet). Die Erwählung zur Teilnahme am Ehrensitz (Vorsitz) gab nur eine tatsächliche Anwartschaft auf das „Bischofsamt” bzw. Diakonenamt.74)


74) Tertullian de praescript. haeret. (um 203) c. 41 spricht von den Versammlungen der gnostischen Häretiker (Marcioniten?): Ordinationes eorum temerariae, leves, inconstantes —. Itaque alius hodie episcopus, cras alius; hodie diaconus qui cras lector, hodie presbyter qui cras laicus. Nam et laicis (nicht förmlich Erwählten, Ordinierten) sacerdotalia munera injungunt. Bei den Häretikern wechselte also die Stellung der einzelnen in der Eucharistie. Die Ordination gab keine Rechte. Hier hat sich ganz deutlich das Ursprüngliche erhalten (vgl. Kirchenr. Bd. 1 S. 119 Anm. 80). Insbesondere ist ganz deutlich, daß die Namen Bischof und Presbyter, ebenso wie Diakon und Lektor, lediglich eine Funktion, und zwar in der gottesdienstlichen (eucharistischen) Versammlung ausdrücken, deren Träger von heute auf morgen wechseln können, so daß es sich nicht um Amtstitel kraft dauernder Rechtsstellung handelt. Gerade das ist das Älteste. In der Adresse des Philipperbriefes (allen Heiligen zu Philippi σὺν ἐπισκόποις καὶ διακόνοις) fehlt deshalb vor „Bischöfen und Diakonen” der Artikel. Es handelt sich nicht um ➝

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Das Interesse an der Eucharistie und ihrer Ordnung war um so stärker, als die eucharistische Feier bald den Höhepunkt des Gottesdienstes bildete. Die sakramentale Idee von dem Abendmahl als „Mitteilung des ewigen Lebens”75) kündigte sich an. Die Entwickelung bewegte sich in der Richtung auf die heilsvermittelnde Sakramentskirche der Folgezeit. Die Eucharistie trat in den Mittelpunkt des Lebens der Christenheit. Gewalt über die Eucharistie erschien als Gewalt über das religiöse Leben der Ekklesia.

Wie aber, wenn Streit um das Bischofsamt entsteht? Der Fall war Ende des 1. Jahrhunderts gegeben, als die korinthische Ekklesia ihre „bestellten” Ältesten und Diakonen beiseite schob, um die eucharistische Feier in die Hand von einigen Asketen zu legen. Die römische Ekklesia schritt ein. Sie schrieb den sogenannten ersten Clemensbrief. Sie erklärte, daß das durch „Bestellung” gegebene Bischofs- und Diakonenambt ein lebenslängliches Amt sei, welches ohne Grund nicht entzogen werden könne: die Bestellung gibt ein dauerndes Recht auf die kirchliche Funktion, auf die Leitung der Eucharistie, ein Recht kraft formalen Erwerbsgrundes, kraft einer vergangenen Tatsache und auf Grund einer in der Vergangenheit wurzelnden gemeingültigen Ordnung. Das Kirchenrecht tritt auf. Die Ordnung der Ekklesia wird durch die Anforderungen des Gemeinlebens bestimmt. Die Losung wird ausgegeben: auch in der Ekklesia Gottes muß feste Ordnung sein!

Zur Begründung dient eine angeblich göttliche Ordnung, vermittelt durch die Apostel, bekräftigt durch eine (verfälschte) Stelle aus dem alten Testament (Jes. 60, 17). In der Ekklesia muß Ordnung sein wie in der Armee! Auch das religiöse Leben hat seine äußeren Gesetze! Gott will — das 


➝ ein für allemal bestimmte Personen, sondern um eine Gruppe mit wechselnden Zugehörigen. Das scheint auch die Meinung von Harnack, RE. S. 522 a.E.
75) Vgl. Harnack, Dogmengesch. Bd. 1 (4. Aufl.) S. 234 Anm.

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beweist das alte Testament —, daß jeder ihm opfere, diene an dem „ihm gebührenden Platze”.76) Das alte Testament wird angerufen, um auch für das Volk des neuen Bundes göttliche Rechtsordnung aufzurichten!

Und wie wäre das anders möglich gewesen! Handelt es sich doch um das Volk Gottes und sein Leben mit Gott! Wie könnte da menschliche Rechtsordnung denkbar sein?! Das Wirken göttlichen Geistes ist in Frage. Dem Geist Gottes kann nur Gott selber seine Wegen weisen. So bindet Gott nach dem Clemensbrief die Berufung durch den Geist an die einmal geschehene Wahl. So bindet Gott die Geisteswirkungen der Eucharistie an die korrekte Form.

Nicht so als ob der „pneumatische Faktor ausgeschaltet wäre”.77) Im Gegenteil! Die Meinung ist, wie bei allem „christlichen” Recht, daß der pneumatische Faktor in seinem Wirken vielmehr geschützt, gesichert, gestärkt werden soll. Gerade dadurch soll die Geistesberufung zu voller Kraft gebracht werden, daß sie an bestimmte, äußerlich wahrnehmbare Vorgänge geknüpft und mit Rechtswirkung ausgerüstet wird. Die Berufung durch den Geist, durch Gott bleibt im Katholizismus und soll bleiben78): das Geistliche aber wird vergesetzlicht und formalisiert.

Auch nicht als ob „die Lokalgemeinde nun eine auf sich selber oder vielmehr auf ihren Kultusbeamten ruhende Größe” geworden wäre, weil „die Gesamtekklesia ausgeschaltet ist”.79) Wiederum ist das Gegenteil das Richtige. Durch Beobachtung des vom Clemensbrief behaupteten „göttlichen” Gesetzes soll gerade die Christenheit sich als die wahre, Gott


76) Kirchenrecht Bd. 1 S. 158. 159. Harnack, RE. S. 526.
77) Harnack, RE. S. 531.
78) Oben S. 53 Anm. 58.
79) So Harnack, RE. S. 531: Das Wesen des Kirchenrechts soll darin bestehen, daß „der pneumatische Faktor und die Gesamtekklesia ausgeschaltet ist”. Er handelt sich aber um katholisch gedachtes Kirchenrecht, und hier gilt (der Idee nach) gerade das Gegenteil.

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wohlgefällige Christenheit, d.h. als die wahre Ekklesia, die Kirche Gottes (die niemals eine bloße Ortskirche ist) erweisen. Das „göttliche” Gesetz ist religiös verbindlich80) (was immer nur für die gesamte Christenheit denkbar ist), und seine Beobachtung gehört zum Christentum, ist darum ein Kennzeichen der Gesamtekklesia. Nur aus diesem Grunde gilt das „göttliche” Gesetz für die Korinther geradeso wie für die Römer. Das Erscheinen der Gesamtekklesia in der Einzelekklesia ist die unumgängliche Voraussetzung des Clemensbriefes. Der Geist (der „pneumatische Faktor”), der zum Wesen der Gesamtekklesia gehört, wird sichergestellt durch die festen, „militärischen” Formen der Einzelekklesia: der Katholizismus ist geboren.

Durch die ganze folgende katholische Entwickelung geht dieser Gedanke, daß die äußeren Formen des örtlichen kirchlichen Lebens durch die Grundgesetze der Gesamtkirche notwendig bestimmt werden, weil diese Grundgesetze religiöser, „göttlicher” Art sind und darum das Christentum jeder örtlichen Christenheit davon abhängt, daß die „göttliche” Ordnung der Gesamtekklesia in der Einzelekklesia sich widerspiegelt. Zum Christentum gehört das korrekte Kirchentum.81)

Der Katholizismus vergesetzlicht und formalisiert das Wesen der Christenheit im religiösen Sinne, der Ekklesia, und damit das Wesen des Christentums. Das Leben der Menschheit mit Gott wird an bestimmte kirchliche Formen gebunden. Für das religiöse Leben gilt „göttliche” kirchliche


80) Nach dem Clemensbrief können die Korinther nur bei Beobachtung der „göttlich” bestimmten Ordnung Gott wohlgefallen, vgl. Kirchenr. Bd. 1 S. 164.
81) Nur aus der obigen Gedankenreihe erklärt sich die „traurige Leidenschaft der Ketzermacherei — schon bei den Christen des 2. Jahrhunderts” (Harnack, RE. S. 534). Sie war allerdings „eine Folge der geschlossenen bischöflichen Organisation”, aber nur deshalb, weil in dieser Organisation die Verfassung der Gesamtekklesia gesehen ward, d.h. eine Verfassung, ohne die es keine Christenheit gibt.

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Rechtsordnung, denn die Kirche des Kirchenrechts ist die Kirche im religiösen Sinn.

Dies Wesen des Katholizismus erscheint zuerst im Clemensbrief: die sich entwickelnden Rechtsgesetze des kirchlichen Lebens gehören zur christlichen Religion, sind ein Teil der göttlichen Offenbarung, denn die sichtbare Kirche ist die Ekklesia, die Kirche Gottes. So bekundet der Clemensbrief die Entstehung des Katholizismus, und zwar durch die Entstehung des Kirchenrechts als einer Ordnung für die Kirche des christlichen Glaubens.82)

Weil das Urchristentum nur den religiösen Begriff der Kirche hatte und folgeweise diesen Begriff auch auf die äußerlich sichtbare Christenheit anwandte, ist mit der Entstehung von Rechtsordnung für die Christenheit (Kirche im religiösen Sinne) naturnotwendig aus dem Urchristentum der Katholizismus hervorgegangen.


82) Wer trotz der obigen Ausführung diese Behauptung von der Bedeutung des Clemensbriefs (d.h. der Bewegung, die in ihm zum Ausdruck kommt) „übertrieben” finden möchte, lese das Buch von H. Bruders S.J., Die Verfassung der Kirche von den ersten Jahrzehnten der apostolischen Wirksamkeit an bis zum Jahre 175 n.Chr. (1904). Hier wird der Clemensbrief zur Grundlage genommen und aus ihm mit der größten Leichtigkeit das ganze katholische System entwickelt.