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1. Kapitel

Die Entwicklung im 19. Jahrhundert bis zum Doleanz.

 

I. Von der Synodalverfassung zur “besturenorganisatie”.

 

Am 7. Januar 1816 unterzeichnete König Willem I., der “aufgeklärte Despot”, das “Algemeen Reglement op het Bestuur der Hervormde Kerk in het Koninkrijk der Nederlanden” und gab damit unter Übergehung und Beiseitestellung der alten Ordnungen der Kirche ein neues Grundgesetz, in ihm aber das Skandalon für das ganze kommende Jahrhundert.1)

Fast zwei Jahrhunderte lang war die Kirche “publieke kerk” mit Vorrechten für ihre Glieder wie als Ganzes gewesen, wie sehr sich auch immer politische Einflüsse und Interessen in ihr Geltung verschafften, und es hatte sich seit der Dordrechter Zeit in den Niederlanden wenig ereignet, was ihr von innen oder aussen her einen entscheidenden Stoss hätte versetzen können. Als dann aber in Frankreich die grosse Revolution losbrach, zündeten ihre Ideen alsbald auch in den Niederlanden.

1795 ging die Zeit der alten Republik zu Ende, und der neu auftretenden Regierung galt als oberstes Gesetz die Volkssouveränität, die keine andere konkurrierende Macht neben sich dulden konnte. Um den grundsätzlichen Gleichheit aller Bürger willen konnte die Revolutionsregierung der Kirche kein Vorrecht mehr vor anderen Vereinigungen zuerkennen, verzichtete bereits im März 1795 auf die übliche Huldigung und stellte die Finanzierung der kirchlichen Versammlungen sowie die Zahlung der Predikanten-Gehälter ein. Nach dem Grundsatz “Elk burger heeft vrijheid, een God te vrezen na de


1) J.C.A. van Loon, Het algemeen Reglement van 1816, bietet wohl erschöpfend das Material über Vorgeschichte und Entstehung des Reglements; ihm kann die Darstellung folgen.

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overtuiging van zijn hart. De maatschappij verklaart ten dezen opzichte aan allen gelijke zekerheid en bescherming” war die Reformierte Kirche fortan mit den Dissentergruppen und den Römischen Katholiken gleichgestellt. Sie hätte nun, wäre die innere Triebkraft vorhanden gewesen, ohne Behinderung die Möglichkeit zu einer Neuordnung aus eigener Kraft gehabt. Aber es geschah nichts dergleichen. Die Regierung jedoch erkannte bald die Nützlichkeit der Religion für den Staat, konzentrierte 1803 die Oberaufsicht über die Kirche beim Staatsdepartement und zog 1806 die kirchlichen Gesetzgebung ganz an sich. Die Kirchen beruhigten sich dabei, dass wieder Subventionen gezahlt wurden.

Wurde einmal die Kirche als Zweig des Staatsdienstes betrachtet, so lag es in dieser Linie, dass 1808 durch königliches Dekret von staatswegen eine Commission ernannt wurde, um zu ermitteln, welche Form des kirchlichen Regiments die nützlichste und sparsamste wäre. Die Beratungen waren noch nicht abgeschlossen, als 1810 auch in Holland die napoleontische Kirchengesetzgebung wirksam werden sollte; den Franzosen gegenüber konnte man das konservative Argument ausspielen, dass die “tegenwoordige inrichting altijd heeft plaats gehad, door de ondervinding is gelouterd, met den geest der Hollandse kerk overeenkomt, en aangenaam is aan derzelver leden”.

Im Generaal-Staatssecretariaat war seit 1805 Jacobus Didericus Janssen leitender Beamter der Abteilung für kirchliche Angelegenheiten. Er blieb trotz aller Veränderungen in Regierung und Verwaltung durch die entscheidenden Jahre Chef dieses Ressorte, bis er schließlich 1815, seines Wissens und seiner Erfahrungen wegen allmählich unentbehrlich, Staatssekretär im Ministerie voor de Eeredienst wurde. Er ist die “graue Eminenz”, der eigentliche Schöpfer des “Algemeen Reglement”. Der ehemalige Leidener Theologiestudent, als Rationalist den Grundideen der Revolution und der Aufklärung restlos verschrieben, Verfechter eines allgemeinen,

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moralischen, evangelischen Christentum mit Unabhängigkeit der individuellen Glaubensüberzeugung von allem menschlichen “gezag”, darf wohl, mit Recht als Repräsentant dieses Zeitabschnittes gelten. Seiner Überzeugung nach muss die Kirche von dem seit etwa 1750 beschrittenen Wege scholastischer Herrschsucht freigemacht werden; Synodalentscheidungen und Bekenntnisse können nicht mehr sein als geschichtliche Urkunden, deren man sich bestenfalls als Leitfaden bedienen kann.

Janssen billigt dem Staat das im Verhältnis des Ganzen zu einem seiner Teile begründete Oberaufsichtsrecht über die Kirche zu, besonders angesichts der von dieser bezogenen staatlichen Subventionen. Der Fürst des Landes gilt ihm als Glied der Kirche auch als “aangewezen hoofd van het uitwendig bestuur”, wenn natürlich auch seiner Herrschaft durch die Rechte der Genossenschaft Grenzen gesetzt sind.

In der Praxis strebte Janssen eine Kirchenregierung mit gleichmässiger Vertretung aller Provinzen in einem Kollegium an: Ein so zentralisiertes “bestuur” würde auch sparsamer sein als die umständliche, kostspielige Synodalverfassung mit ihren vielen und grossen Versammlungen. Seinem Herzen nach hätte er wohl sogar einem episkopalen Regiment den Vorzug gegeben, liess sich aber überzeugen, dass man dem noch sehr stark konservativen Denken entgegenkommen müsse und entschloss sich, wenigstens die alten Namen von Classis und Synode beizubehalten, “die alleine schon Wunder wirkten”, wenn man ihnen auch unter der Hand einen völlig veränderten Inhalt gab.1) Dank seines “behutsamen, aber entschiedenen” Vorgehens verstand er es, unter bewusster Umgehung, ja Übergehung seiner Kontrahenten, einen grossen Teil seiner Pläne durchzusetzen.2) Der Weg für ihn wurde frei, als der Raad


1) Charakteristisch schreibt Roijaards: “men behield althans de oude namen, en deels ook de oude besturen, doch droeg aan dezelve grootendeels ander gezag op, en wijzigde derzelver invloed en werkzaamheden”. Hedendaagsch Kerkregt, S. 84.
2) Van Loon, a.a.O., S. 49.

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van Staten am 29. 4. 1814 den ersten, auf Veranlassung seines Vorgesetzten Van Stralen, ausgearbeiteten Reorganisationsentwurf abwies1), weil er eine so durchgreifende Reorganisation, wie vorgeschlagen, weder für notwendig noch für wünschenswert hielt, jedoch anheimstellte, die noch bestehenden Schwierigkeiten durch eine Kommission aus angesehenen und geachteten Lehrern aus den verschiedenen Provinzen und anderen kundigen Gliedern Hervormder Gemeinden begleichen zu lassen. Janssen liess ohne Befragung der Kirche seiner Auffassung zuneigende Männer ernennen. So verliefen die im Jahre 1815 gehaltenen Sitzungen ziemlich rasch und reibungslos.2) Das aus den Beratungen hervorgegangene Konzept wurde am 13. November 1815 dem König zur Unterschrift vorgelegt, nachdem rasch noch unter der Hand einige Änderungen zugunsten des Staatseinflusses angebracht worden waren. Am 7. Januar 1816 unterschrieb der König, am 1. April des gleichen Jahres trat die neue Ordnung in Kraft. Die erste, für die nächste Zukunft entscheidende Besetzung der “besturen” erfolgte direkt von oben, also eigentlich von aussen her; die Gemeinden wurden nicht gefragt. Die Namen der neuen Vorsitzenden und Mitglieder standen längst in Janssens Notizbuch vorgemerkt.

Welches Bild bot die Kirche in dieser Zeit des Umbruches? Die Sitzungen der Presbyterien und Classen fanden durchweg noch regelmässig statt, und diese haben auch manches getan, um die Gemeinden vor den eindringenden Revolutionsideen zu bewahren, nicht zuletzt im Blick auf die Prüfung und Einstellung neuer


1) J. war damit übrigens sehr unzufrieden, weil St. die neue Ordnung durch eine Synode beschliessen lassen wollte und den Einfluss des Innen-Departements zu beschneiden gedachte durch die Ernennung eines besonderen Kommissars.
2) Die Art und Weise der Verhandlungsführung Janssens geht aus einer bei Van Loon (S. 142) wiedergegebenen Protokollbemerkung von ihm hervor. Als Ds. Krieger, Hofprediger im Haag und einer der wenigen Opponenten, sich mehrfach gegen die Grundsätze des Entwurfes wandte, vermerkte J. nur am Rande: “. . . is niet zeer tevreden vooral over de beginselen, maar enfin!”

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Kandidaten. Die Classen, seit Emden wesentliches Instrument der kirchlichen Gemeinschaft, waren auch durch den Entzug der Staatsgelder am wenigsten getroffen, den sie ziemlich rasch durch einen Rückgriff auf die zugehörigen Gemeinden zu überwinden vermochten. auch das stets lebendig gebliebene Verlangen nach einer Nationalen Synode macht sich seit Ende des 18. Jahrhunderts in den Beratungen und in der Korrespondenz der Kirchen zunehmend bemerkbar1), bis im Jahre 1809 Janssen der Kirche mitteilte, dass solche Bemühungen unerwünscht seien, weil das Departement selbst sich mit einem entsprechenden Entwurf befasse.

Die meisten Provinzialsynoden fanden regelmässig statt oder wurden doch nach Unterbrechungen von einigen Jahren wieder aufgenommen, da man in relativ kurzer Zeit Möglichkeiten fand, um die Sitzungen auch ohne Regierungsgelder zu finanzieren.2) Liessen sich die Kosten für eine volle Synode nicht aufbringen, so trat an ihre Stelle ein “synodus contracta” oder ein Coetus. Van Loon urteilt, “dat de kerken geen oogenblik zonder wettige vertegenwoordiging zijn geweest en steeds haar levende organen hebben gehad, die haar bij een zelfstandige reformatie in haar regeering hadden kunnen leiden”.3)

Aus diesem Bewusstsein eigener Verpflichtung und Berufung der Kirche sind noch die Proteste von sechs Classen4) und der Waalsche Kerken sowie einige andere


1) Van Loon hat a.a.O., S. 32 ff. auf die diesbezüglichen Stücke hingewiesen. Besonders die Kirchen in Zuid-Holland und Utrecht, aber auch andere Part. Syn. strebten auf dem Wege über gemeinsame Beratungen die Einberufung einer Generalsynode an, durch welche die Kirchen selbst ihre Ordnung neu gestalten und neu beleben sollten.
2) So wurde die Synode von Nord-Holland durch die Classis Haarlem bereits vier Monate nach der Sperrung der Zuschüsse wieder einberufen.
3) A.a.O., S. 35 f.
4) Es handelte sich um die Classen Amsterdam, Thiel, Thielerwaard, Gorinchem, Haarlem und Utrecht.

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Zeichen von Auflehnung gegen das neue Reglement geboren. Aufs Ganze gesehen jedoch war der Widerstand nicht nennenswert. Zudem darf man die Autorität, die der König als Spross der seit dem Freiheitskampf fest verwurzelten Hauses Oranien im Volke besass, nicht unterschätzen, welche die Androhung scharfer Schritte gegen Übertreter des neuen Reglements im Grunde nur für einige “Extremisten” noch notwendig erscheinen liess. Und sehr viele fanden es — mit Janssen — durchaus in der Ordnung, dass dem Souverän die Regulierung des kirchlichen Lebens zustehe und als Pflicht sogar obliege. Wie sehr dies ja auch in Deutschland der Fall war, ist zur Genüge bekannt; von der Reformationszeit ganz abgesehen, braucht hier nur an die Unionsverhandlungen der gleichen Zeit erinnert zu werden.

Die Anstrengungen zu einer Reorganisation von innen heraus liessen in demselben Augenblick nach, als wieder Staatssubstitutionen in Aussicht standen. Der tiefere Grund dafür, dass man die Freiheit der Kirche gegen die Zahlung von Predikantengehältern verkaufte und nicht um sie kämpfte, kann nur in einem zunehmenden Schwund der Glaubenssubstanz und einem Absinken der Opferbereitschaft zu suchen sein; was blieb, war ein humanistisch verfärbtes, aufgeklärtes Christentum, dem die Prägung auch der äusseren Gestalt der Kirche vom Zentrum ihres Glaubens her ein fremder Gedanke geworden war. Die Kirche soll gute Sitten und Vaterlandsliebe pflegen.

 

II. Die Bestimmungen des Algemeen Reglements von 1816.

 

Schon der Aufbau des “Algemeen Reglements” ist bezeichnend.1) Es basiert seiner Form nach auf dem System des Territorial-Kirchenrechts, wie es in Deutschland


1) Das Reglement ist nach seiner ursprünglichen Fassung im Staatsblatt abgedruckt bei Van Loon, a.a.O., S. 223 ff.

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durch J.H. Boehmer, Thomasius und H. Stephani vorbereitet war und im 19. Jahrhundert durch F.J. Stahl gelehrt wurde, ist aber zugleich — und materiell vorwiegend — bestimmt von der Kollegial-Theorie.1) Mit aller gebotenen Einschränkung wird man es doch als eine Auswirkung des Eindringens von Gedanken der französischen Revolution betrachten dürfen. Nach den Eingangsbestimmungen, die die Kirche als eine über das ganze Land sich erstreckende Genossenschaft definieren, folgen hintereinander die Bestimmungen über die Synode, die “Provincialen Kerkbesturen”, die “Classicalen besturen”, die “ringen” und schliesslich die Gemeinden und ihre “kerkeraden”. Synoden und Classicale vergaderingen, zu denen die Kirchen frei abordnen, sind abgeschafft, an ihre Stelle sind “besturen” getreten, deren Mitglieder vom Souverän ernennt werden. Die “minderen” sind an die Befehle der “höheren” gebunden; es gibt ein Einspruchsrecht, jedoch ohne aufschiebende Wirkung (Art. 6). Die Mitglieder der “besturen” treten nicht mehr als Vertreter bestimmter “vergaderingen” (kirchlicher Versammlungen, wie z.B. der alten Classis) auf, und sind an deren Aufträge und Weisungen nicht mehr gebunden, sondern stimmen nach eigenen Gutdünken “altijd hoofdelijk” ab (Art. 4). Die Kirchenregierung ist straff zentralisiert: “Alle de hervormde Kerken in het Koninkrijk . . . . behoren tot hetzelfde geheel en zijn onder hetzelfde gemeenschappelijke bestuur geplaatst” (Art. 13). “Het hoogste kerkelijke bestuur is opgedragen aan de sijnode” (Art. 16)2). Diese ist mit der Sorge für die allgemeinen Belange der Hervormden Kerk beauftragt (Art. 21), sie entscheidet als letzte Instanz über etwa in oder zwischen “Provincialen kerkbesturen”


1) Als ihre klassischen Verfechter wären Chr. Math. Pfaff, J.L. Mosheim und G.L. Böhmer zu nennen. Vgl. auch die entsprechenden Bestimmungen im Preussischen Allgem. Landrecht.
2) Sie setzt sich aus je einem Vertreter jeden “Prov. Kerkbestuurs” (vom König auf Vorschlag der “Provincialen kerkbesturen” ernannt), dem Sekretär, Quästor und einem Ältesten zusammen, der abwechselnd nach fester Folge von einer Provinz entsandt wird. Je ein Professor der drei theologischen Fakultäten erhält prae-advisierende Stimme.

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entstandene Meinungsverschiedenheiten (Art. 22), sie entwirft die kirchlichen Reglemente und Verordnungen, um dazu im Wege über das Departement die Zustimmung des Königs einzuholen (Art. 23), sie erlässt die Bestimmungen über Zulassung und Examen der künftigen Diener am Wort (Art. 24).

Eine ihrer ersten Aufgaben ist nach Art. 27, “een ontwerp van reglement op de manier van kerkelijke zaken te behandelen . . . en over het kerkelijk opzicht en tucht te vervaardigen, daarbij in acht nemende om door nauwkeurige bepalingen en voorschriften alle aanleiding tot willekeur en onzekerheid, zoo veel mogelijk te vermeiden”. In diesem Reglement, in technischen Bestimmungen über die Pfarrwahl (Art. 28) und die Einrichtung der örtlichen Presbyterien (Art. 29) glaubte man Blüte, Einheit und Bestand der Kirche garantieren zu können.

Dem “Provincialen kerkbestuur”, dem in Analogie zur Synode ein Prediger aus jedem “Classicalen Ressort” angehört, das ebenfalls (aus einem sechs Namen enthaltenden, vom voraufgehenden Provincialen Bestuur auf drei reduzierten Vorschlag der Classis) vom König ernannt wird, fällt die Zulassung zum Predigtdienst sowie auch die volle Disziplinarbefugnis (einschl. Amtsenthebung) für Prediger, Kandidaten und Mitglieder der Presbyterien zu (Art. 31, 46).

Die dem gleichen Provincialen kerkbestuur unterstehenden Hervormden kerken “worden tot geregelde uitoefening van het kerkelijk bestuur verdeeld in Classen” (Art. 49), deren Grenzen vom Staatsdepartement festgelegt werden (Art. 52). Das “kerkelijk bestuur in elk classicaal ressort” ist einer “commissie van moderatoren” übertragen, bestehend aus Praeses, Assessor und Scriba sowie drei oder vier weiteren Predikanten aus dem Classis-Gebiet, wozu noch ein Ältester oder “Oud-ouderling” tritt (Art. 55). Die Mitglieder werden auch hier vom König ernannt, wozu die der Form nach

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noch beibehaltene Classicale vergadering einen sechsfachen Vorschlag für jeden Platz einreicht, der vom Provincialen Kerkbestuur auf drei reduziert wird. Dies ist aber auch, von der Rechnungsprüfung abgesehen (Art. 67), ihre einzige Aufgabe, während alle Verbindung zu anderen Classen und zu den höheren Besturen, die Entscheidung in Streitfällen, die Aufsicht und Zucht (bei Predikanten, Kandidaten und Mitgliedern der Kirchenräte bis zur Suspendierung) allein dem “Bestuur” obliegt und zusteht (Artt. 60-64). Hat also die “Classicale vergadering” schon hinsichtlich der Mitglieder ihres “Bestuurs” nur ein sehr begrenztes Vorschlagsrecht, auf die Bestimmung des Vorsitzenden und seines Stellvertreters besitzt sie gar keinen Einfluss; diese Funktionen fallen automatisch denjenigen Predigers zu, die aus dem Gebiet der Classis als Primus bzw. Secundus dem Provincialen kerkbestuur angehören. “Een wel zeer hierarchische maatregel”, wie Bronkhorst mit Recht schreibt.1)

Was den Gemeinden bzw. ihren Presbyterien bleibt, ist die Aufsicht über ihre Glieder, nicht mehr über die Amtsträger, ihre internen Angelegenheiten2), und dann die Fürsorge für die Schulen; die Vermögensverwaltung nahm dank der Beteiligung des Staates oder der Kommunen ohnehin einen besonderen Status ein.

Die Synode bestellt eine “Algemene Synodale Commissie”, der die Erledigung der laufenden Geschäfte und die Ausführung der synodalen Beschlüsse übertragen ist. Sie ist der Form nach vielleicht den früheren Deputaten vergleichbar, hat aber doch wesentlich grössere Vollmachten als diese und entspricht am ehesten noch den Königlich Preussischen Konsistorien.


1) A.J. Bronkhorst, Op weg naar een nieuwe KO, S. 21.
2) Solange diese nicht der “eenheid in beginselen en gelijkvormigheid in hoofdzaken, welke de onderscheidene kerken, als deelen van hetzelfde geheel, behoren te kenschetsen”, entgegenstehen, dürfen die Gemeinden ihre besonderen “huishoudelijke inrichtingen” behalten (Art. 14).

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Das Reglement stellt die traditionelle Ordnung der niederländischen Kirchen formal und inhaltlich geradezu auf den Kopf. Die “vergaderingen” sind durch Behörden ersetzt.1) Von der Synode über die Provincialen und Classicalen “Besturen” bis hin zu den Presbyterien bestand das in staatlichen Einrichtungen besonders einer Monarchie übliche Anordnungsverhältnis.2) Die Classis, früher Schwerpunkt des gemeinsamen Handelns, verschwindet überhaupt, das an ihre Stelle tretende Bestuur ist das unterste ausführende Organ der staatlichen Kirchenverwaltung.3)

Interessant ist das Verhältnis an den beiden Polen dieses Schemas. Der König, der alle Kirchenbeamten ernennt und alle Verordnungen zu sanktionieren hat, bevor sie in Kraft treten können, erhielt doch keine feste Stellung im Reglement, sondern schwebt — als der Repräsentant des Staates — gleichsam darüber.


1) Die “Kerkgenootschap” ist — im Unterschied zur “wahren Kirche” des Bekenntnisses (Art. 25 Conf. Belg.; Fr. 54 H.K.) — eine “maatschappelijke inrichting” genau wie “letterkundige of handelsgenootschappen”, von diesen nur abgehoben, weil es um “de hoogste vermogens in den mensch, zijn zedelijk-godsdienstige vermogens” geht. Das Band der Glieder und der Gemeinden untereinander liegt in “de kerkelijke wetgeving, gelijk die der ware kerk ligt in geloof en liefde”. Roijaards, a.a.O., S. 33 f. Diese “genootschap” ist “menschelijk van oorsprong en inrigting” und hat jetzt “den vorm eener kerkelijke republiek aangenomen”. “De democratie van onzen vroegeren kerkvorm, . . . is . . . overgegaan tot aristokratie”. Roijaards, a.a.O., S. 36, 65, 66. Von einem maßgeblichen Kirchenrechtslehrer dieser Zeit geschrieben, offenbaren solche Sätze deutlich, wie weit die Anpassung an die Staatsphilosophie das eigentliche kirchliche Gespür für Ordnungsfragen verdrängt hatte.
2) Vgl. bei Roijaards, S. 87: “De algemeene Synode vormt het middenpunt der kerkelijke wetgeving en van geheel het kerkbestuur.” S. 67: “Van de Synode als vertegenwoordiger der Hervormde Kerk van Nederland daalt alle kerkbestuur af”.
3) Vgl. Roijaards, a.a.O., S. 93 f.: Die Synode führt ihre Beschlüsse aus “door de mindere kerkelijke Collegien”.

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Faktisch ist er Summepiskopus, formell aber liegt die Regierung der Kirche bei ihrer Synode.1) Oberflächlich gesehen blieb alles wie früher; diese Kirche hatte sogar endlich wieder eine nationale Vertretung. Auch die Funktionen der Presbyterien (kerkeraden) im Verhältnis zu den Gemeinden hatten sich fast nicht verändert. Aber ihr Einfluss auf die Regierung der Gesamtkirche war völlig abgeschnitten. Die Folge musste notwendig auch das Erlahmen des Interesses und der Sorge für die gemeinsamen Belange sein; das trug vielleicht erheblich dazu bei, das Doleanz-Signal “Nur die Ortsgemeinde” offene Ohren finden zu lassen. In dem lediglich für das “uitwendig bestuur” eingerichteten Gebäude bildet die Lehre nicht mehr die Seele des Ganzen, wie Calvin sie klassisch genannt hat2), von der aus das eigentliche Leben der Kirche pulst. Das vor Jahrhunderten fixierte Bekenntnis war zur blossen Formel erstarrt, seine Auslegung und Anwendung standen in der Praxis jedermann frei.3) Als eine lebendige, bekennende Kirche kann man dies Gebilde kaum noch ansprechen; die Synode war “thans niet opgeroepen, om leerstellige geschillen te beslissen, maar om de kerk te besturen”.4)


1) Roijaards, a.a.O., S. 39: “Republikeinsch van aard, handelt zij (die “kerkgenootschap”) in alles zelfstandig; doch niet oppermachtig of willekeurig, daar zij onder toezicht is van den staat . . .”. Vgl. auch S. 37, 41.
2) Calvin, Institutio, Buch IV, Kap. 12, 1.
3) Im Reglement beziehen sich auf die Lehre Art. 11, in dem die “handhaving der Leer” allen besturen zur Aufgabe gemacht wird, und Art. 9, in dem es heisst: “De zorg voor de belangen, zoo van het Christendom in het algemeen, als van de Hervormde Kerk in het bijzondere, de handhaving harer leer, de vermeerdering van godsdienstige kennis, de bewaring van orde en eendragt, en de aankweeking van liefde voor Koning en Vaderland, moeten steeds het hoofddoel zijn van allen, die in onderscheidene betrekkingen met het kerkelijk bestuur belast zijn”. Dieser Artikel charakterisiert treffend die Kirche dieses Jahrhunderts; er blieb auch 1852 unverändert.
4) Zitiert nach Kleyn, Algemeene Kerk, S. 132, Bronkhorst, Op weg naar een nieuwe KO, S. 24; aus einem Brief des Staatskommissars an die Classis Amsterdam.

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Der Satz spricht für den Geist der neuen Ordnung. Und die Synode ihrerseits verfuhr dann auch so und wies in der Folge alle Lehrfragen kurzerhand zurück: etwa, weil von der Auferstehung Christi in den Reglementen nirgendwo die Rede war und man also nicht zu entscheiden habe, ob man diese von der Kanzel herab leugnen dürfe! Man wird denen nicht Unrecht geben können, die behaupteten, die Gemeinde Gottes habe hier das Erstgeburtsrecht ihrer Freiheit für das Linsengericht einer sanierten Organisation und Finanzgebarung vertauscht.

Es ist hier nicht der Platz, die Berechtigung des Königs zur Einführung des Reglementes einer breiteren Erörterung zu unterziehen. Man sollte diesen Fragenkomplex überhaupt nicht überbewerten, weil seine negatieve Beantwortung — von sie grossem Gewicht sie juristisch auch sein mag — an den faktischen Tatbeständen nichts mehr zu ändern vermöchte. Die Kirchen haben sich mit der neuen Organisation in ihrer überwiegenden Mehrheit “rebus ipsis et factis” zufriedengegeben.1)

Soviel dürfte immerhin feststehen, dass der König nach dem Grundgesetz das Recht zu einer so tiefgreifenden Umgestaltung des kirchlichen Lebens und des Kirchenregimentes nicht besass, und dass die von seinem General-Kommissar aufgestellte Behauptung, dies Recht habe den Souveränen des Landes seit der Reformation angestanden und sei auch von ihnen ausgeübt worden, nicht stichhaltig ist, weil gerade um dies Obrigkeitsrecht ein ständiger Streit zwischen den “Kirchlichen” und “Politischen” geführt worden ist, und die Synoden jedenfalls den Grundsatz, dass die Kirche ihre eigenen innersten Angelegenheiten selbst ordne, niemals preisgegeben haben.

Wilhelms Nachfolger auf dem Thron der Niederlande entschloss sich 1843 dazu, die Hand aus den kirchlichen Angelegenheiten zurückzuziehen und die Befugnis


1) Vgl. Kleyn, a.a.O., S. 130, auch S. 131 ff. Vos, a.a.O., S. 3. Segers, De Rechtsbevoegdheid, S. 32.

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zur Reglementsänderung der Synode zu übertragen. Diese nahm sofort eine Revision des bisherigen Reglementes in Angriff, und der erste Entwurf vom 15.8.47 weist — so sehr man die Zeichen des liberal-demokratischen Zeitgeistes in ihm verspürt — wieder ganz in die Richtung der alten presbyterial-synodalen Ordnung. Bei freien Wahlen in den Gemeinden soll das Schwergewicht der gesamtkirchlichen Arbeit bei den vollen “Classicalen vergaderingen” liegen, die sich selbst ein ständiger Moderamen wählen1), und die dann auch eine grosse Synode mit Predigern und Ältesten im Verhältnis 3:1 beschicken, die für ihre Gesetze an die Zustimmung von mindestens der Hälfte der Classen gebunden ist.

Die Synode scheiterte damals an diesem Übergang vom Staatskirchenrecht zur eigenkirchlichen Gestaltung, wie man ihn grundsätzlich erst hundert Jahre später wagte. Wieviel Unheil hätte verhütet werden können, wenn man sich damals für den vom Provincialen Kerkbestuur von Utrecht vorgeschlagenen Weg — nämlich Einberufung einer ausserordentlichen, von allen Classen beschickten Generalsynode zur Verabschiedung einer neuen Ordnung — hätte entschliessen können!2) Stattdessen legte die Synode den ersten Entwurf ad acta und ernannte 1849 eine neue Kommission, die sich lediglich mit kleinen Revisionen in Bezug auf die Wahl der Mitglieder der höheren Kerkbesturen und das Verhältnis dieser Kollegien zueinander beschäftigen sollte. Das Ergebnis dieser Beratungen ist das Reglement von 18523), welches, von einzelnen Veränderungen abgesehen, bis zum 1. Mai 1951 gültig gewesen ist.


1) Dies hätte der in den deutschen niederrheinischen Gemeinden beachteten Ordnung in etwa entsprochen. Vgl. dazu die Schriften von Rutgers, Fabius, Kuyper, Kleyn.
2) Vgl. dazu Vos, a.a.O., S. 9 f. An diesem Punkt hat auch vornehmlich die spätere Kritik eingesetzt, indem sie behauptete, dass der König zwar seine Hand von der Kirche zurückgezogen habe, die Neugestaltung aber nicht eigentlich von der Kirche, d.h. von den Gemeinden ausgegangen sei, sondern von dem alten, unkirchlichen, weil oktroyierten Gremium.
3) Fabius, Het Reglement van 1852, S. 167 ff. Über die Tendenz dieser Arbeit im ganzen vgl. weiter unten.

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Mit dem Erlass des neuen Reglementes verzichtete der König auf seinen Summepiskopat und übertrug die gesetzgebende Macht der Synode, die ihn fernerhin nur noch von ihren Beschlüssen zu unterrichten hatte: aber die Organisationsform von 1816, mit “besturen” an Stelle der freien Versammlungen, blieb bestehen. Die Reihenfolge in der Kirchenordnung war nun immerhin umgekehrt, beginnend mit den örtlichen Gemeinden und fortschreitend über die classicalen und provincialen “kerkbesturen” zur “Algemenen Synode”; die Mitglieder der “besturen” werden nicht mehr vom König ernennt, sondern von den “vergaderingen” des jeweils kleineren Ressorts gewählt; niemand durfte mehr gleichzeitig einen Sitz in mehreren “besturen” einnehmen. Auch die 1852 beginnende stärkere Hinzuziehung von Ältesten in die “besturen” sollte der hierarchischen Tendenz begegnen, die allmählich die grundsätzliche Gleichheit aller Diener (oder auch Amtsträger) der Gemeinden zur farce gemacht hatte. Allein, diese Umkehr kam vielleicht schon zu spät, als dass man nicht praktisch ganz von vorne hätte beginnen müssen.

Mit “Dominokratie”, Herrschaft der Pastoren, hat man in Holland diesen Zeitabschnitt gerne bezeichnet. Der Aufgabenbereich der Classis bleibt, von den Wahlen des eigenen “bestuurs” und der Mitglieder im Provincialen Kerkbestuur abgesehen, beschränkt auf die Rechnungsprüfung und die Erteilung von Gutachten zu Vorlagen der Synode, an welche diese jedoch nicht gebunden ist. Vos schreibt: “Vergeleken met hetgeen de classicale vergadering oudtijds was, is zij heden ten dage niets meer dan een armelijk overblijfsel van voormalige grootheid . . .”1)

Suchen wir die Folgen des Reglementes von 1816 und der Neufassung von 1852 mit einem Blick einzufangen, so lassen sie uns erschrecken: Die Kirche erfreute sich


1) Vgl. Vos, a.a.O., S. 155.

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nun zwar einer stärkeren Einheit der Gemeinden als je zuvor in ihrer Geschichte; aber diese Gemeinden waren zunehmend ihrer Mündigkeit beraubt und der Sorge und Verantwortung für die Gesamtkirche entwöhnt worden. Das Konsistorialschema hat — nach dem preussischen Vorbild — das synodale abgelöst; das Motiv der Verwaltung hatte gesiegt.

Sagten wir schon, dass in dieser Organisation für Lehr- und Glaubensentscheidungen kein Raum war, so können wir dem hinzufügen, dass die so verwaltete Kirche immer mehr in sich selbst ruhte. “Orde en rust” und Mässigung gaben der Synode die Leitbilder für ihr Handeln.1) Von einem wirklichen Zusammenleben mit den Kirchen anderer Länder, wie es etwa die Dordrechter Synode noch repräsentieren konnte, ist nichts zu bemerken, es sei denn, dass sich dies auf diplomatischem Wege über die Regierung oder auf literarischem über die theologische Wissenschaft ereignet. Ebensowenig aber kümmert man sich um die drängenden sozialen Fragen. Die Kirche nimmt weite Stücke ihres Auftrages nicht mehr wahr, sie erkennt sie nicht einmal mehr als solche.2)

Die faktisch bestehende und von der Synode mehrfach verkündete Freiheit der Lehre machte bald die niederländische Kirche zu einem Tummelplatz der “Richtingen”, die den verschiedenen Auffassungen theologischer Lehrer folgten, von der Groninger “Evangelischen Theologie” angefangen bis hin zum rechten Flügel der Irenisch-Konfessionellen und “Juridisch-Confessionellen”, die unerbittlich am Buchstaben des Dordrechter Bekenntnisses festhielten und keinen Strich an Lehre und Ordnung der Väter zu ändern gedachten.3) Unter dem


1) Vgl. Bronkhorst, Op weg, S. 30 f.
2) Vgl. Hoedemaker, Advies inzake de reorganisatie, S. 49 ff.
3) Was dies bedeutet, wird sofort deutlich, wenn man bedenkt, dass in Orten, wo die Predigt des Pastors nicht der Auffassung der gesamten Gemeinde entsprach, der unbefriedigte Rest eigene Gruppenevangelisationen einrichtete und dort bald auch Taufe und Abendmahl bedienen liess.

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einenden Dach der organisatorischen Form loderten bei jeder Wahl um die Besetzung von Pfarrstellen oder Presbyterämtern neu die Leidenschaften des Parteienkampfes mit allen üblen, zersetzenden Symptomen auf1), den man “met vlag en wimpel” in die Kirche geholt hatte, wie es Kuyper einmal ausdrückte.2)

Dem Zeitgeiste folgend hatte der Individualismus seinen Einzug in die Kirche gehalten. Er drückt sich bereits deutlich aus in dem Satze: “De leden aller besturen stemmen altijd hoofdelijk, zonder aan lastbrieven . . . . gebonden te zijn”.3) Hatten die Väter geglaubt, dass der Heilige Geist die Kirche und damit such ihre Versammlungen als Ganze leiten werde, so hiess es nun, dass er seine Wegweisung letztlich nur dem einzelnen schenke. Hatte die Kirche zuvor als von ihrem Herrn versammeltes soma Xristou gegolten, und hatte der Akzent der Artikel 28 und 29 des Niederländischen Glaubensbekenntnisses4) darauf gelegen, dass sich jedermann dieser wahren Kirche anzuschliessen habe, und es Sünde sei, sich von ihr zu trennen, so verschob sich die Schwerkraft nun zum einzelnen Gläubigen hin. Die 1563 gegen die römische Kirche und gegen die täuferischen und schwärmerischen Sekten formulierten Artikel wurden erneut aktuell, indem sie jetzt die einst sammelnde Kirche von innen heraus zersprengten. Es ging wohl auch noch um die wahre Kirche, aber — jedenfalls auf dem konfessionellen Flügel, der sich auf das Bekenntnis berief — im Sinne der Kirche der wahren Gläubigen.5)


1) Bronkhorst, a.a.O., S. 34.
2) A. Kuyper, Wat moeten wij doen . . . ., S. 22.
3) Algemeen Reglemente, Art. 4.
4) Bei Müller, Reformierte Bekenntnisschriften, S. 243 f. Art. 29 handelt von dreierlei Kennzeichen.
5) Eines ist hierbei besonders beachtlich: Die niederländische Erweckungsbewegung in gewissen Zügen, die “Christelijk Gereformeerden” auch in kirchlicher und theologischer Gesamtheit, durchschlagend aber erst Abraham Kuypers mächtige Gestalt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts fördern ein dem niederländischen Reformiertentum seit je innewohnender Moment neu zutage, das in Deutschland fast ohne Parallele ist; die enge Verbundenheit von Orthodoxie und Pietismus, welche sich schon in Männern wie Gisbert Voetius repräsentierte.

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III. Die “Afscheiding” von 1834

 

Die erste Erschütterung erfolgte 1834. Der in der Gemeinde Ulrum in Groningen stationierte Pastor Hendrik de Cock brandmarkte in seinen Predigten und Schriften alle jene Kollegen, die sich von der Lehre der Reformatoren abwandten und das Bekenntnis der Kirche nicht mehr als sie bindende Autorität gelten lassen wollten, als “valse leeraars” und Eidbrüchige und führte, wo immer er konnte, einen heftigen Kampf um die Reinheit der Lehre gegen sie. Auch taufte er mehrmals in Gemeinden mit liberalen Predigern. Die entstehende Unruhe missfiel den Kirchenbehörden sehr, und sie suchten De Cock zu bewegen, sich der unter anderen von Prof. Hofstede de Groot propagierten und immer mehr um sich greifenden Lehrfreiheit anzupassen, d.h. also um des Friedens und der Ordnung willen zu schweigen. De Cock aber forderte unter Berufung darauf, dass die alten Bekenntnisse auch unter dem Reglement voll in Gültigkeit ständen, Lehrzucht und Predigtverbot für die Leugner der Gottheit Christi. Daraufhin wurde er in Dezember 1833 suspendiert und im Mai 1834 vom Provincialen Kerkbestuur seines Amtes enthoben; die Berufung auf die Synode erreichte, dass die Absetzung zurückgezogen wurde, während man ihn in der Suspendierung beliess und ihm sechs Monate Bedenkzeit zudiktierte. Da ihm nach einer Unterredung mit dem Provincialen Kerkbestuur keine Möglichkeit mehr zu einer Einigung und zu einer Besinnung der Kirche auf ihre Pflicht zu bestehen schien, erklärte er seinen Austritt aus der Hervormden Kerk. Mit ihm zusammen sein Presbyterium, das ihn bereits früher zu diesem Schritt zu beeinflussen getrachtet hatte.1) Die Separierenden unterzeichneten Mann für Mann die sogenannte “Acte van Afscheiding of Wederkeer”,


1) Vgl. dazu auch die Darstellung bei Berkhof, Geschiedenis der kerk, S. 289 f. Ohne Frage wirkten bei dieser Bewegung Einflüsse des französisch-schweizerischen Reveils mit.

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in der sie sich für ihren Schritt auf die erwähnten Artikel 28 und 29 der Confessio Belgica berufen.1)

In dieser Erklärung wird ausgeführt, dass die Hervormde Kerk der Befolgung ihrer Reglementen grössere Bedeutung beimesse als dem Gehorsam an das Wort der Schrift, dass sie auch nicht mehr die reine Verwaltung der Sakramente übe, da sie Ungläubige zum Abendmahl zulasse, und nun auch dazu übergegangen sei, sich derer, die in Gehorsam gegen Gottes Wort und vom Bekenntnis der Kirche her sie auf diese Schuld aufmerksam machten und ihre Abstellung forderten, durch Absetzung und Entfernung aus dem Amt zu entledigen. Dann heisst es weiter:

“uit dit alles tezamen genomen is het nu meer als duidelijk, dat de Nederlandsche Hervormde Kerk niet de ware, maar de valsche Kerk is volgens Gods Woord en art. 29 van onze belijdenis, weshalve de ondergetekenden met dezen verklaren dat zij overeenkomstig het ambt der geloovigen (art. 28) zich afscheiden van degenen, die niet van de kerk zijn, en dus geen gemeenschap meer willen hebben met de Nederlandsche Hervormde Kerk, totdat deze terugkeert tot den waarachtigen dienst des Heeren; en verklaren tevens gemeenschap te willen oefenen met alle ware Gereformeerde ledematen, en zich te willen vereenigen met elke op Gods onfeilbaar Woord gegronde vergadering, aan wat plaatse God dezelve ook vereenigd heeft, betuigende met dezen, dat wij ons in alles houden aan onze aloude Formulieren van eenigheid . . . . Eindelijk verklaren wij bij dezen, dat wij onzen onrechtmatig geschorsten predikant als onzen wettig geroepen en geordenden herder en leeraar blijven erkennen”.2)

Was war geschehen? Die Ulrumer Gemeinde hatte nahezu geschlossen, aber doch jeder durch seine Unterschrift


1) Abgedruckt bei G. Keizer, De Afscheiding van 1834, S. 576.
2) Hier zitiert nach: Th. Delleman, Kerken in Nederland, S. 36 f.; als Quellen für die historische Untersuchung seien genannt: W.J. de Wilde, geschiedenis van Afscheiding en Doleantie, Wageningen; — Komplete uitgave van de officieele stukken betreffende den uitgang uit het Nederlandsche Hervormde Kerkgenootschap, Kampen, 1863; S. Sybenga, De Afscheiding en het algemeen reglement . . . ., Groningen, 1932.

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zunächst für sich (nicht also vertreten durch die Amtsträger) erklärt, dass die Hervormde Kerk, als Gesamtverband, im Sinne des Reglementes von 18161) nicht mehr die Zeichen der Kirche Christi trage und man sich deshalb von ihr trenne. Der Auffassung folgend, dass die Gemeinde in erster Linie Zusammenschluss der Gläubigen sei, “formierte” man eine neue Kirche und nahm — aus eigenen Entschluss — die alte Dordrechter Kirchenordnung wieder auf. Man sollte logischerweise erwarten, dass auch alle Ämter neu besetzt worden wären, da die fungierenden Amtsträger ja ihr Mandat dem königlichen Reglement dankten. Dies geschah aber nicht; Prediger und Presbyterium blieben im Amt. In diesem logischen Widerspruch liegt ein Symptom für das noch erhaltene Bewusstsein davon, dass man die Kontinuität der Kirche doch nicht ganz willkürlich nach menschlichem Gutdünken unterbrechen kann und ihr Grund nicht in der positiven Ordnung allein liegt.

Ulrum glich einem Signal. Als ob es nur des ersten Funkens bedurft hätte, folgten dem Beispiel rasch eine nicht ganz geringe Zahl anderer Pastoren und Gemeinden. Pastor H.P. Scholte in Genderen beantwortete seine — wegen einer in De Cocks Gemeinde ohne Zustimmung des Classicalen bestuurs wahrgenommenen Vertretung ausgesprochene — Suspendierung innerhalb drei Tagen mit einer “Acte von Afscheiding”, die Gemeinde folgte ihm. Der Rest wartete meist gar nicht erst mehr ein kirchliches Verfahren ab, sondern sagte sich einfach auf Grund des einmal gefällten Urteils über die Hervormde Kerk von dieser los.


1) Vgl. H. de Cock, De Christelijk Gereformeerde Kerk en de Nederduitsche Gereformeerde Kerken, S. 3 ff., 11, 15. Die völlig autonome Betrachtung der Gemeinde wird abgelehnt. Sie steht zur Landeskirche in einen gleichen Verhältnis, wie der einzelne Gläubige zu ihr selbst (S. 8). “De plaatselijke afdeelingen staan evenmin op zich zelven als de leden der gemeente, zij staan in een onderling verband”. S. 15.

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An alle Glieder der Hervormden Kerk erging der Ruf, aus dem leblosen Gebäude zu fliehen und daneben die Kirche des Herrn neu aufzubauen, weil diese, repräsentiert durch ihre verschiedenen “besturen”, sich nicht willens erweise, diejenigen abzustossen, bei denen nicht die Zeichen der wahren Christen erkennbar seien, und damit die Sauberkeit des Abendmahlstisches und die Reinheit der Lehre zu wahren.1)

Die Regierung ging zunächst gegen die De Cockschen Gemeinden mit Strafen und Schikanen vor, weil sie sich nicht als neue “kerkgenootschap” registrieren lassen wollten, bis diese schliesslich doch um staatliche Anerkennung nachsuchten. Die seit 1836 auch synodal vereinigten Gemeinden schlossen sich 1869 zusammen als “De Christelijk gereformeerde kerk” und gaben sich der Regierung gegenüber neben der alten Kirchenordnung ein deren wichtigste Stücke enthaltendes Statut.2) Darin ist im Unterschied zur alten Ordnung die Führung der laufenden Geschäfte, insbesondere der Verkehr mit der Regierung, den Provinzialsynoden und anderen Kirchen, einer durch die Allgemeine Synode ernannten Kommission übertragen. Sie ist aber grundsätzlich nicht selbst entscheidendes, sondern bloss ausführendes, der Synode verantwortliches Organ. Dies ist insofern von Belang, als sich die Doleanzkirchen später mit Händen und Füssen dagegen wehrten, ausser dem örtlichen Presbyterium irgendein permanentes, zentrales Organ zu schaffen.3) Diese Status und die “Algemeene Synodale Commissie” haben denn auch den Zusammenschluss der Doleerenden mit dieser Kirche lange verhindert.


1) Das Prinzip ist bei Ten Hoor wohl einige Jahrzehnte später, aber getreu dem Geist der Väter so formuliert: “Wijl de kerk eene vergadering van geloovigen is, moet de kerk zich van de ongeloovigen afscheiden . . . .” S. 66.
2) Das Reglement ist abgedruckt bei H. de Cock, De Christelijk Gereformeerde Kerk . . . ., S. 21 ff.
3) Vgl. Kuyper, Tractaat, S. 79.

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Wie tief die “Afscheiding” in die Substanz der Hervormden Kerk eingriff, wird daran deutlich, dass es dreihundertundacht Gemeinden waren, die der Christelijk Gereformeerden Gruppe 1869 angehörten. Der Zahl nach erscheint das nicht so bedeutend, wenn man bedenkt, dass nur an einigen wenigen kleinen Plätzen, vorwiegend im Norden des Landes, die Hervormde Kerk praktisch aufhörte zu existieren, während in der Regel und besonders in den grösseren Orten sich nur eine Minderheit der alten Kirche entzog und eine eigene Institution errichtete. Aber die “Vaderlandsche Kerk” verlor damit gerade einen grossen Teil derer, die sich ein Bewusstsein des eigentlichen Auftrages und die Treue zum Bekenntnis der Väter bewahrt hatten und derer Gewicht — kirchlich gesehen — ohne Zweifel grösser war als das des zurückbleibenden, teilweise oder gar überwiegend liberalen oder indifferenten Restes.

Gleichwohl, dieser Schlag ist nicht tödlich gewesen, es blieb doch mehr als die “synodale organisatie” übrig, und die Stimme der Wächter auf dem Turme verstummte auch in der eigenen Burg nicht. Die “Synode” allerdings hatte taube Ohren; es war ihr gleichgültig, ob die Kirche allmählich zu einem religiösen Tummelplatz wurde, wenn nur der äussere Apparat intakt blieb. Jeder Antrag, der auf eine Reorganisation hinzielte, und jeder Versuch, wieder über der Lehre der Kirche zu wachen, wurde systematisch erstickt.1) Man glaubte allen Ernstes, dass sich aller Lehrstreit durch gute und zweckentsprechende Reglemente vermeiden lasse.


1) A.J. Bronkhorst hat dies in seiner 1945 erschienenen Schrift “Op weg naar een nieuwe Kerkorde” in einer gedrängten chronologischen Übersicht eindrücklich gezeigt (S. 39 ff.).
Zur Situation jener Jahre ist besonders aufschlussreich die Dokumentensammlung in W. Volger, De leer der Nederlandsche Hervormde Kerk.

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“Men leefde toen in het Utopia van het Doctrinarisme . . . . Dat men ook door reglementen leertwisten kon veroorzaken, dat besefte men niet”, schreibt H.G. Kleyn 1888.1) Wie die Synode der Lehrfrage beizukommen gedachte, erhellt darauf, dass sie 1878 ein “Reglement op de rechten der minderheden” verabschiedete, das allerdings ein Jahr später bereits wieder zurückgezogen wurde.


1) H.G. Kleyn, Algemeene Kerk en Plaatselijke Gemeente, S. 132.