Das besondere Priestertum aller Gläubigen
Genre: Literatuur
1960
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Diese Abhandlung ist ein gekürzter Abschnitt aus einem in Vorbereitung befindlichen kirchenrechtlichen Werke des Verfassers, welches unter dem Titel „Das Recht der Gnade” erscheinen soll.
Das Priestertum aller Gläubigen ist ein hochgeschätzter Haupt- und Grundsatz der reformatorischen Kirchen. Mit der überraschenden Schnelligkeit, mit der sich Revolutionen durchsetzen, war mit einem Schlage in der Reformation das tausendjährige Gebäude der kirchlichen Hierarchie zerstört und die Ordolehre gegenstandslos geworden. Jeder Christ war gleichsam reichsunmittelbar geworden, und mit Erstaunen stellte man fest, daß es auch ohne das bisher für unentbehrlich Gehaltene ging oder zu gehen schien.
Auch das Priestertum aller Gläubigen muß sich vor der Schrift rechtfertigen. Diese Rechtfertigung ist indessen nicht so selbstverständlich, wie es scheint. Weiterhin aber ist zu fragen, was eben der in der Reformation geprägte Begriff des Priestertums aller Gläubigen aus der biblischen Erkenntnis gemacht hat.
Die neutestamentliche Forschung unserer Zeit hat einen doppelten Tatbestand erhoben: es gibt in der Hl. Schrift eine besondere Berufung zum Amt, zur Verkündigung und Leitung der aus der Verkündigung entstehenden Gemeinden und die geordnete Vielfalt der Geistesgaben in der Gemeinde. Jeder Gläubige empfängt mit dem Geist bei der Taufe eine besondere unverwechselbare Gabe dieses Geistes, Geister zu unterscheiden, zu weissagen, zungenzureden usf. Alle diese Gaben hängen zusammen; sie widersprechen sich nicht in ihrer Mannigfaltigkeit, denn sie sind Gaben des einen Geistes. Aber sie sind als Gaben auch deutlich voneinander zu unterscheiden. Die Gabe wird zugleich als Berufung verstanden, und man soll in dem Beruf bleiben, zu dem man berufen ist. Der Geist gibt,
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was ihm gefällt, und wir sollen bewahren, pflegen und üben, was uns gegeben ist, nicht nach dem streben, was uns versagt ist.
Die Fülle der freien Geistesgaben widerspricht nicht der Aussonderung und Aussendung, der besonderen Berufung zur Verkündigung, Mission, Leitung, wiewohl jeder Christ ein geborener Missionar ist. Besondere Berufung und freies Charisma sind nicht Gegensätze; beides sind charismatische Tatbestände und zugleich aufeinander bezogen. Die Träger des freien Charismas beurteilen und prüfen das Tun der Träger der besonderen Berufung, aber diese lassen auch die Charis-mata nicht einfach wild wachsen, sondern prüfen als Geistträger die Geister, die sich hier kundtun. Alle Charismata sind eingebunden in das Ganze der ekklesia 1).
Dieser doppelte Tatbestand und das Verhältnis beider schließt die Exklusivität jedes von ihnen aus. Das Charisma ist nicht auf die Träger der besonderen Berufung beschränkt — aber ebensowenig auf die Träger der vielfachen Charismata, etwa in dem Sinne, daß Auftrag und Vollmacht der besonderen Berufung von ihnen ausginge, die Gestattung des Handelns bei ihnen läge 2). Auch die besondere Berufung ist die ausdrückliche Indienstnahme eines bereits vorhandenen Charismas.
Beides in seiner Unterschiedlichkeit ist zugleich zusammengeschlossen durch die Einheit des einen Geistes, der in beidem wirksam ist, so daß in der Gesamtheit der Gläubigen jeder und alle zusammen zur Mitwirkung und Auferbauung der ekklesia berufen, verpflichtet und berechtigt sind. In dieser allgemeinen Berufung gehen die besonderen Gaben ebensowenig auf wie aus ihr hervor, ebensowenig wie sie in Gegensatz zu der besonderen Berufung gestellt werden können. Niemand aber kann sich hier unverpflichtet und spezialistisch auf seine Berufung allein zurückziehen, da es immer um das Ganze
1) Edmund Schlink, Die apostolische Sukzession,
Referat vor dem oekumenischen Ausschuß der Ver. Ev. Luth. Kirche
D. (1957).
2) Über Gleichheit und Ungleichheit im Leibe Christi
vgl. Heinz Dietrich Wendland in: „Um die Katholizität der
Kirche”, Stuttgart 1957, über die soziologische Struktur der
frühen Kirche s. Dombois, Betrachtungen zur Soziologie der Kirche
in: „Ordnung und Unordnung der Kirche” (Kassel 1957).
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geht. Aber diese Inanspruchnahme aller deckt eben nicht den ganzen Tatbestand.
Es fragt sich darum, ob die reformatorische Vorstellung vom Priestertum aller Gläubigen dem entspricht 3).
Luther hat mit freimütigem Stolz das vielzitierte Wort geprägt, daß ein jeder Christ, der aus der Taufe kriecht, ein Papst, Bischof, Pfarrer usw. sei. Dieses Wort ist seither Programm und Modell für die Bestreitung hierarchischer Ausschließlichkeitsansprüche geworden. Es fragt sich nur, ob mit dieser zu Recht erfolgten Bestreitung der Ausschließlichkeit des kirchlichen Amtes zugleich das Richtige im Sinne des biblischen Vorbildes ausgedrückt worden ist.
Es ist, soweit ich sehe, selten genügend beachtet worden, daß ja von diesen getauften Christen immer nur wenige und keinesfalls alle zu geistlichen Ämtern berufen sind. Es wird hier also im Potentialis geredet: sie könnten es alle werden. Das Entscheidende ist dazu grundgelegt in der Taufe — eben deswegen kommt Entscheidendes hier nicht mehr hinzu. Aber der Heilige Geist gibt konkret und nur konkret in völliger Freiheit an Gaben, was ihm gefällt und wem zu geben ihm gefällt. Er gibt sich allen, aber jedem in personhafter besonderer Weise. Priestertum aller Gläubigen kann also nur heißen, daß alle Christen miteinander Priester sind, zugleich aber jeder Christ in besonderer Weise eine Gabe in der Gemeinde hat. Wenn wir diese Gaben nicht so zu erkennen vermögen, daß wir allen eine besondere Bezeichnung geben, so sind sie doch da, und jeder einzelne ist an die Gemeinde und an den Nächsten gewiesen, ihnen in einer unvertretbaren Weise zu dienen.
Wenn es erlaubt ist, alle diese Gaben als priesterliche zu bezeichnen, so hat jeder einen besonderen priesterlichen Beruf. Dieser kann in der Geisterunterscheidung, in der Krankenheilung, in der Weissagung, in der Diakonie liegen. Priestertum aller Gläubigen heißt besonderes Priestertum. Das
3) Schlink a.a.O. S. 6: „Ich möchte hier die Frage auf werfen, ob die paulinische Lehre von der Mannigfaltigkeit der Charismen und sein Verständnis der Kirche als Gemeinschaft mannigfaltiger Charismen wirklich aufgenommen ist in der reformatorischen Lehre vom allgemeinen Priestertum.”
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Priestertum als konkrete personale Beauftragung und Bevollmächtigung ist nie bloße Allgemeinheit des Geistbesitzes. Der personale Charakter des biblischen Glaubens würde in dieser Anschauung nicht ausgedrückt, sondern vernachlässigt.
Diesen biblischen Akzent auf der Besonderung der Gaben hat der Begriff des Priestertums aller Gläubigen nicht nachhaltig und eindeutig gewonnen. Er hat vielmehr in einer bedeutungsvollen Verschiebung den Sinn des „allgemeinen Priestertums” erlangt. Die biblische Besonderung der Gaben in dem einen Geiste tritt zurück gegenüber der Betonung der Allgemeinheit des Geistes. Die Besonderung der Gaben erscheint als eine sekundäre Individualisierung, so wie sich der Strahl des Lichtes an verschiedenen Gegenständen verschieden bricht und sie zum Leuchten bringt. Die Besonderung liegt damit nicht mehr in der freien Verfügung des Geistes, der auch die menschlich gesehen Untauglichen tauglich, der die Stummen und die Steine reden macht. Die Besonderung liegt jetzt in den menschlichen Eigenschaften, auf die der Geist belebend trifft. Das heißt, daß diese Vorstellung des allgemeinen Priestertums die humanistischen und pelagianischen Elemente, welche man zu bekämpfen auszog, in Wahrheit nicht ausgeschieden und überwunden hat. Man hat sich zwar von jeder Vorstellung freigemacht, welche in mehr oder minder feiner Form das Handeln Gottes und des Menschen zum Heil addiert. Und doch wird das menschliche Subjekt zu einer Voraussetzung des Heils.
Auch das Interesse an den besonderen Gaben wird immer schwächer. Wenn das Entscheidende in der Geistmitteilung überhaupt oder in einem wesentlich subjektiv verstandenen Glauben liegt, ist die Besonderheit der Gaben notwendig von geringerer, sekundärer Bedeutung. Gewiß soll der Christ mit seinen Gaben für das Evangelium und die Auferbauung der Gemeinde wirken: aber der eine Geist benutzt jetzt die natürlichen Gaben des Menschen; das ist die konsekutive Wirkung der einen Erleuchtung.
Tatsächlich hat auch der Gedanke des Priestertums aller Gläubigen keineswegs von der Ausschließlichkeit des Amtspriestertums verdrängte Charismata vervielfältigt und entbunden. Im Gegenteil. Die vorreformatorische Christenheit
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rechnet in einem grundsätzlich viel höheren Grade mit unterschiedlichen Berufungen, Gaben, Formen der Frömmigkeit und der geistlichen Gemeinschaft. So berechtigt der Kampf gegen die Formen der Möncherei und Werkgerechtigkeit war, so hat doch dieser hier gar nicht treffende Gedanke eine unendliche Uniformität und ein unüberwindliches Mißtrauen gegen alle besonderen Formen des Geistes hervorgebracht, gegen jede Berufung, die nicht als allgemeine jedermanns Sache ist. Die besonderen Charismata sind im Gegenteil als verdächtig und anormal weitgehend aus dieser Allgemeinheit in das Sektenwesen oder überhaupt aus dem Raum der Kirche verdrängt worden. Ohne Zweifel ging das Pathos, das Interesse, die Tendenz im ganzen nicht auf das Besondere, sondern auf das Allgemeine. Das Amt verlor seine Gliederung und die Kirche die Vielfalt. Alles teilte sich eindeutig in Prediger und Predigthörer. Schwache Ansätze einer kirchlichen Diakonie in Armen- und Kastenordnungen gingen erstaunlich schnell verloren. Eine konkrete Anwendung des Gedankens des Priestertums aller Gläubigen lag in dem lange Zeit wirksamen Gedanken des Hausvaters als des Priesters der Hausgemeinschaft, aber auch hier in einer sehr allgemeinen Form, gerade nicht in der Differenzierung verschiedener Gaben, aus der Gemeinde herausverlagert und vollends abhängig von historisch-vergänglichen patriarchalen Lebensformen. So hochzuschätzen die fromme Mutter ist, die ihre Kinder beten lehrt — die paulinische Fülle der Charismata, in denen sich die Gemeinde erbaut, ist mehr und anderes.
Mit diesem Gefälle zur Allgemeinheit tritt nun eben doch zu der richtigen Erkenntnis der Geistbegabung aller Gläubigen ein fremdes Element hinzu. Der Mensch wird durch Erwählung, Rechtfertigung, Taufe zu einem geistlichen Subjekt, dem dann alles anheimgegeben ist. Eben dies widerstreitet der biblischen Beschreibung des Verhältnisses von Christus und Gemeinde. Das „alles ist euer” heißt eben, daß alles in dem angebrochenen neuen Äon enthalten und den Bürgern des neuen Reiches anheimgegeben ist, nicht aber, daß jeder über alles gesetzt ist, zumal „nicht alles zuträglich ist”. Ein Gliedmaß am Leibe Christi ist nie etwas für sich allein, sondern eben nur Gliedmaß. Es ist als solches identisch mit der besonderen
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Einfügung und Zuordnung, vermöge deren es eben Gliedmaß ist. Die Inkorporation ist kein Accidens eines Heilsstandes, sondern dieser selbst. Wenn die Bausteine nicht tote Klötze, sondern lebendige Glieder sind, so sind sie eben in allem, was sie sind, in ihrer Besonderheit unvertretbar. Die Vorstellung gleicher Subjekte widerstreitet entscheidend dem personalen, unvertretbaren Charakter der Zuordnung des einzelnen zu Christus und seinem Leibe der Kirche. Denn es geht nicht um die geistlichen Subjekte mit gewissen Qualitäten, sondern das besondere und konkrete Zugeordnetsein in der ebenso besonderen und konkreten Berufung und Geistverleihung. Eine so verstandene Allgemeinheit des Geistes würde der Einheit des Geistes in seiner Vielfalt gerade widersprechen. Mit der Sprengung der Ausschließlichkeit des priesterlichen ordo ist in keiner Weise der Subjektbegriff überwunden, der ihm zugrunde liegt. In diesem Subjektbegriff bleibt gerade jene potentielle Fähigkeit, nur daß sie losgelöst von besonderen Weiheakten jedem zugesprochen wird. An die Stelle einer Hinzufügung besonderer Fähigkeiten zu den allgemeinen tritt die Verallgemeinerung der besonderen Fähigkeiten. Gerade die Lehre von der Rechtfertigung aus dem Glauben in ihrer herkömmlichen Form ist wehrlos gegen ein solches Verständnis. Denn da der Glaube ein solcher des einzelnen ist, wird auch die Rechtfertigung als eine solche des einzelnen verstanden und dahin aufgefaßt, daß die Zuordnung zur Kirche eine konsekutive Folge ist. Der konstitutive Zusammenhang zwischen Rechtfertigung und Inkorporation kann so nicht mehr verständlich gemacht werden. Das theologische Postulat, daß beides identisch sei, reicht nicht aus, um den Sachverhalt gegen die mächtige individualisierende Tendenz dieses Gedankens zu verteidigen. Solange ohnehin eine ungebrochene Kirchlichkeit bestand, mochte das nicht viel ausmachen — als diese nicht mehr vorhanden war und aus äußeren und geistesgeschichtlichen Gründen schwand, wirkte sich dieser Umstand in dem Verlust einer Lehre von der Kirche darin aus, daß nun gerade die Individualisierung des Menschen unabhängig von der Kirche als dem Leibe Christi in schriftwidriger Weise als das eigentliche Wesen und Verdienst rechter biblischer Lehre und der Reformation gepriesen wurde.
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Das Evangelium wird mit einer Geschichtsphilosophie verwechselt, nach der der Mensch fortschreitend zu sich selbst kommt. Ob dies durch Offenbarung oder Vernunft geschieht, ist dann ein verhältnismäßig unwichtiger Unterschied. Das „esse cum Christo” kommt aus dem Blick oder wird bis zur Bedeutungslosigkeit sublimiert. Nun werden große geschichtliche Bildungen, die immer etwas von Notwendigkeit in sich haben, nie einfach vernichtet. Die Form, in der sie abgelöst werden, ist umgekehrt gerade der Vorgang der Verallgemeinerung. Seit es keine Herren mehr gibt, ist jeder ein Herr oder läßt sich wenigstens als solcher anreden. Das Eigentum wird nicht aufgehoben, sondern in Gemeineigentum überführt. Nie werden die Ansprüche einzelner einfach verneint: sie werden immer auf das Ganze übertragen. Damit verlieren sie ihr eigentlich fruchtbar Besonderes.
Das Wort „allgemein” ist der typische Leitbegriff für diesen soziologischen Vorgang. So hat auch die Reformation nicht das Papsttum durch das Priestertum aller Gläubigen überwunden, sondern im allgemeinen Priestertum verallgemeinert. Wenn wir das Papsttum als den Souveränitätsanspruch des Menschen über das Wort Gottes und den Heiligen Geist bekämpfen, so haben wir selbst das Papsttum bis in die letzte Hütte verbreitet. Das bewirkt nicht nur den Verlust der Mannigfaltigkeit im Leben der Kirche, sondern vor allem eine allgemeine Verführung der Geister. Das Papsttum verkörpert den Anspruch, daß ein bestimmter Hoherpriester exklusiv über alles und alle richte: nunmehr beansprucht jeder Christ, allein und ohne die Gemeinschaft des Glaubens zu jeder Zeit über alles zu richten.
Mit dem besonderen Priestertum aller Gläubigen, seiner Umsetzung in das allgemeine Priestertum aber schwindet überhaupt das Verständnis für das, was Priestertum ist — es gibt weder besonderes noch allgemeines Priestertum mehr —, und schließlich rühmt man sich dessen sogar als religiösen Fortschritt. Soweit es aber erhalten bleibt und aus der geistlichen Notwendigkeit hervordrängt, besteht keine Bereitschaft mehr, es in seinem Dienst konkret anzunehmen.
Das Priestertum — als besonderes in Gestalt und Vollzug verderbt — verliert mit der Verallgemeinerung selbst im
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Begriff sein wirkliches Wesen und seine Konturen. Es wird mit Dingen verwechselt und gleichgesetzt, die löblich und gut, aber eben kein Priestertum sind.
Das Priestertum wurzelt in der unserem Leben unaufhebbar eingestifteten Tatsache, daß der Mensch nicht alles selbst zu tun vermag, was zu den entscheidenden Dingen seines Lebens gehört. Das hat mit der unvermeidlichen funktionellen Teilung menschlichen Lebens nichts zu tun. Denn die Funktionen sind — Zeit, Mühe und natürliche Begabung vorausgesetzt — vertauschbar. Man könnte auch die Funktionen — und das ist das Entscheidende — für sich selbst ausüben und vollziehen. Das Wesen des Priestertums ist aber gerade, daß hier ein anderer vollzieht, was der Mensch an sich selbst nicht vollziehen kann — und was auch der Priester selbst nicht an sich selbst zu vollziehen mächtig ist. Insoweit und hier ist jeder Priester „Laie” — in diesem Tun ist jeder „Laie” Priester, sofern er eben jenes Unvertretbar-Transfunktionale am Nächsten tut.
Jesus selbst unterzieht sich einem priesterlichen Tun, einem Handeln, das er an sich selbst nicht zu vollziehen vermag. Er läßt sich zu allererst von Johannes taufen, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, und wird damit unter das Gesetz getan. Er spricht sodann selbst aus, daß er mit einer (Blut-)Taufe getauft werden müsse, nämlich mit seiner Passion. Gott selbst opfert wie Abraham seinen eigenen Sohn, „auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden . . .” Vermöge der Passion aber wird er erhöht und gebietet nunmehr seinen Jüngern, in seinem Namen wiederum zu taufen. Das Einzigartige im Handeln Jesu liegt darin, daß er etwas Unvertretbares gehorsam an sich geschehen läßt und damit zugleich stellvertretend für uns tut. Darin liegt zugleich Grund und Bedingung alles christlichen Priestertums in der Nachfolge, nicht in einem Priesterbegriff. Aber ohne das konkret-historische priesterliche Handeln Gottes an seinem eigenen Sohn wie dessen Gehorsam, ist der ganze Sinn des Evangeliums zerstört.
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Jesus hat nach den Evangelien vor der Passion nur in der Zeit seiner Begegnung mit Johannes selbst getauft und seine Jünger taufen lassen, dann aber nicht mehr. Der Auferstandene dagegen gibt nicht nur den Missionsbefehl, sondern zugleich den Taufbefehl. Wir erweisen uns als die von der Verkündigung nicht Betroffenen, wenn wir nicht in seinen Gehorsam treten und uns auf seinen Namen taufen lassen, an uns ebenso das vollziehen lassen, was wir nicht selbst an uns vollziehen können. Die Taufe ist ein Akt des konkreten Gehorsams. Kreuz und Auferstehung sind ohne die Taufe in Wahrheit nicht existenziell, nicht weil ein „Äußeres” hinzukommen müßte, sondern weil der Gehorsam des An-sich-Vollziehen-Lassens in dem „In-sich-Geschäft” des Glaubens nicht enthalten ist. So gewiß Gott den Glauben wirkt, so gewiß fordert er die Nachfolge des Gehorsams in der Taufe. Der Glaube und die gehorsame Annahme des priesterlichen Handelns in der Taufe stehen nicht konsekutiv als Bekräftigung, Zeichen oder Sinnbild zueinander, sondern kontrapunktisch. Mehr noch: sie sind zeitlich different und damit Akte in geschichtlicher und eben deshalb weder kausaler noch abbildlicher Zuordnung. Der Glaube, daß Gott für uns ist, wäre nichts, wenn er nicht uns auch tötete und wir uns mit Christus töten ließen, damit wir leben. Ein konsekutives oder zeichenhaftes Verständnis der Taufe (und folgenderweise aller Sakramente) geht an der Inkarnation, der Passion und mit beiden am Priestertum Christi vorbei.
Die Einzigartigkeit des christlichen Priestertums liegt in der Einzigartigkeit des inkarnierten Sohnes Gottes und seines Opfers begründet. Das Opfer Christi wird dargebracht für den Menschen, der dessen bedarf, was er selbst nicht kann und was er fälschlich meint selbst zu können, sei es durch selbstgeschaffene priesterliche Ämter und Verrichtungen, sei es durch sein eigenes Handeln und Erkennen im Für-sich-Sein. „Mit Recht hat die Theologie der Reformatoren auf den neutestamentlichen Tatbestand ihre Aufmerksamkeit gerichtet, daß die Bezeichnung ,Priester’ im Bereich des neuen Bundes nur dem Herrn Christus selbst auf der einen Seite, der Gemeinde und dem Christen als solchen auf der anderen Seite zuerkannt wird, aber nicht einem besonderen Amt und seinen Trägern.
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Christus wird im Brief an die Hebräer im Blick auf die Aussagen
des Alten Testaments über den Königspriester Melchisedek als der
wahre Hohepriester in Ewigkeit bezeichnet . . . Er überhöht und
erfüllt das alttestamentliche Priestertum und steht insofern auch
in einem gewissen Gegensatz zum Priestertum des Alten Testaments.
Er macht ihm ein Ende.
Der Sinn alles priesterlichen Handelns ist die Versöhnung und
Heiligung des Menschen. Beides geschieht durch Opfer. Der
Priester opfert. Eine eindringende Betrachtung des
alttestamentlichen Opferkultes läßt erkennen, daß mit dem Opfer
die Bezahlung der Schuld gemeint ist und die Übergabe des
Opfernden an Gott zu seiner Heiligung. Der Opfernde . . .
überläßt sich Gottes Gericht und Gnade. Christus ist der wahre
Priester, weil er das wahre Opfer darbringt, nämlich sich selbst
in vollkommenem Gehorsam dem Zorngericht Gottes über die Sünder
übergibt und damit die Heiligung, die Aufnahme in die gnädige
Lebensgemeinschaft mit Gott ermöglicht, den Zugang zum
Allerheiligsten eröffnet.” (Karl Bernhard Ritter, ungedruckte
Arbeit.)
Durch Glaube und Taufe wird der Mensch zum Christen, wird er gottesdienstfähig (Peter Brunner). — Aber mit dem Lobopfer des Bekenntnisses, seinen Dank darbringend, die empfangene Gnade zurückbringend (gratiam referens) — „das Deine aus dem Deinigen” ist der Christ noch kein Priester — denn er handelt nicht für andere. Er ist nur insofern Priester, als er fürbittend für andere vor Gott tritt, als ein solcher, der dies nun kraft des Opfers Christi kann. Nur insofern, als das Fürbitten, Loben und Danken der Gemeinde etwas für die Übrigen, die Nicht-Anwesenden, die Welt, die Entschlafenen etwas bedeutet, nur insofern ist diese Gemeinde eine priesterliche und priesterlich handelnde. Sie wird biblisch auch nur so verstanden. Indem die Gemeinde auf das königliche Priestertum angesprochen wird, wird von vornherein diese über sie hinausgreifende Bedeutung, ihr exemplarischer und stellvertretender Charakter ins Auge gefaßt und vorausgesetzt.
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Dieses Handeln ist stellvertretend, es ist aber auch unvertretbar. Ich kann für mich beten. Aber die Fürbitte anderer für mich kann ich nicht ersetzen. Was die Kirche für die Welt als fürbittende tut, kann die Welt als solche eben nicht. Darum ist das Verhältnis von Kirche und Welt auch keine Funktionsteilung, sondern ein personales Verhältnis. Eben darum schon müssen Kirche und Staat wesentlich unterschieden und geschieden sein.
Anders stellt sich das priesterliche Handeln des Christen in der Nachfolge Christi dar, wenn wir nicht adversus deum, sondern adversus hominem in Richtung auf die Menschen und die Welt blicken.
Die missionarische Verkündigung bezeugt ein ein für allemal Geschehenes, Fleischwerdung, Kreuz und Auferstehung. Aber in alledem hat sich uns Gott gegeben und gibt sich uns weiterhin. Das ist die eigentliche Bedeutung der „traditio” — Gott in Christus übergibt sich uns, indem er sich hingibt und sich verraten läßt — in der eigentümlichen Doppeldeutigkeit des lateinischen Wortes tradere wird es sichtbar. Er will aber sich uns fort und fort geben. Seine Gabe der Selbsthingabe — für Euch vergossen . . . — will weitergegeben, ausgeteilt und mitgeteilt sein, aber nicht im intellektuellen Sinne der gedanklichen Mitteilung, sondern in der konkreten, persönlichen Zuwendung und Vermittlung.
Die auftragsgemäße Mission ist keine zweckmäßige Veranstaltung, um eine heilsame Tatsache wirksam unter die Leute zu bringen, sondern Anspruch und Zuspruch. Das Wort, das den Menschen richtet und aufrichtet, will ihm konkret von Person zu Person gesagt sein. Freilich kann mich auch das gelesene und selbst meditierte Wort der Schrift treffen, aber dies steht doch nur im Gesamtzusammenhang der missionarischen Verkündigung. In noch exklusiverem Sinne ist die Spendung der Sakramente personal. Denn ich muß sie mir spenden lassen. Die Meinung mancher Theologen (z.B. Althaus), daß die Sakramente nicht im gleichen Maße personalen Charakter tragen wie die Wortverkündigung, weil sie an Wasser, Wein, Brot gebunden sind, stellt den Sachverhalt auf den Kopf. Denn das Kerygma kann in seinem aussagbaren, formulierbaren Inhalt weit eher für sich und
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unabhängig von der Verkündigung als personalem Vorgang gedacht werden, während die Sakramente ohne den personalen Vollzug nichts sind. Die alte Kirche hat sinngemäß ihr transpersonales Kontinuum im apostolischen Kerygma, ihre personale Aktualität im Sakrament gesehen, während wir, verhaftet der Kontroverse mit der scholastischen Transsubstantiationslehre, sinnwidrig das Gegenteil annehmen. Dagegen sind die verschiedensten Lehrorthodoxien wie der Liberalismus der Versuchung nicht entgangen, den Verkündigungsinhalt als reine Lehre oder spezifisches Ethos für sich zu nehmen. Das ist eben die Umkehrung einer falschen Objektivation des Sakramentes. Unzweifelhaft ist dabei die Verkündigung um einen Grad dem Hinweis auf das ein für allemal Geschehene näher als das Sakrament, für das die Präsenz des Herrn wesentlich ist. Der deklaratorische und der konstitutive Charakter geistlichen Handelns liegen ineinander. Jedes deklaratorische Handeln ist zugleich auch immer konstitutiv, jedes konstitutive Handeln auch deklaratorisch. Der Versuch, beides zu scheiden und dann wertend einander gegenüberzustellen, ist verfehlt. In allem Handeln ist der Handelnde immer mit darin, und kann nicht ausgeschieden werden. Insofern ist alles geistliche Handeln ein im strengen Sinne geschichtliches, indem jeweils Neues geschieht. Zugleich ist beides, die Doppelheft von Verkündigung und Sakramentsspendung ein Gesamtzusammenhang verschiedener Akte. Die Verkündigung bezeugt die ein für allemal geschehene Losreißung der Welt von der Macht des Bösen, die eingetretene und eingeleitete Scheidung, und fordert die Annahme durch den Menschen.
Die Sakramente wenden die neue Heilsgemeinschaft konkret dem Menschen zu. Beides gehört als Befreiung und Einordnung sachlich zusammen und ist doch als zusammenhängender „gestreckter” Vorgang nicht einfach identisch.
Als personales, priesterliches, unvertretbares Handeln will dies durch den Menschen vollzogen und angenommen sein. Es ist die gemeinchristliche Überzeugung, daß hier der allein Handelnde Jesus Christus selbst ist, der sich in der Dimension der Geschichte hier der Menschen instrumental bedient. Hier liegt also eine priesterliche Stellvertretung des alleinigen priesterlichen Stellvertreters vor: wer Euch hört, hört mich.
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In der Nachfolge tritt der Christ in die drei munera Christi kraft seiner Vollmacht ein, in der gleichen Solidarität des Einstehens, des Priesters, des Richterkönigs und des Propheten. Denn in der Tat: dies kann der Mensch nicht an sich selbst vollziehen, auch der Priester nicht! Er kann sich weder richten, noch heilen, noch begnadigen — er kann auch keinen Bund mit sich selbst schließen — er kann auch keine Kinder mit sich selbst zeugen. Nach einem axiomatischen Grundsatz selbst des bürgerlichen Rechts sind die Rechtsgeschäfte eines Menschen mit sich selbst, auch in verschiedenen rechtlichen Rollen nichtig (§ 181 BGB). Von jenen Vorgängen sind drei rechtlichen Charakters — und der Begriff des Heilens, anwendbar auf das ärztliche Handeln, ist zugleich relativ synonym mit dem des Begnadigens. Man darf daher die rechtliche Dimension des Geistlichen nicht als eine nur äußere konsekutive mißverstehen oder zum bloßen Bild machen wollen.
Damit jene Dinge geschehen, bedarf es grundsätzlich immer zweier Menschen — eines, der handelt, und eines anderen, der dieses Handeln an sich geschehen läßt und annimmt. Die beiden Personen stehen in einem spezifischen Verhältnis, verhalten sich nicht wie Subjekt und Objekt zueinander. Das drückt sich darin aus, daß wir hier auf der einen Seite im Aktivum, auf der anderen Seite im Medium (an-sich-geschehen-lassen), nicht im Passivum reden.
Die Behauptung, daß der Mensch sich nicht selbst zu richten vermöge, scheint der Tatsache zu widerstreiten, daß er ja ein Gewissen hat. Dieses Gewissen als ein gleichsam zweiter Mensch, in dem er sich selbst noch einmal kritisch gegenübersteht, richtet ihn, indem es ihn so lange anklagt, bis in einem Spruch, einem Endergebnis und einer Urteilsfolge in seinem Handeln der Anklagegrund beseitigt ist. Aber ist das Urteil des Gewissens gerecht? Was bürgt dafür? Wie jedes Urteil kann es nach zwei Seiten ungerecht sein — der Mensch entschuldigt sich selbst in eigener Sache, wie wir wissen, durch Verdrängung der Schuld um jeden Preis. Aber wenn nun sein Gewissen geschärft ist und etwa durch die Predigt wachgehalten wird — ist es darum schon gerecht in seinem Urteil? Was steht dagegen, daß er nun umgekehrt sich selbst falsch anklagt, zum Skrupulanten wird?
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Daß der Mensch alle diese Dinge nicht an sich selbst vollziehen kann, zeigt auch die Erfahrung der weltlichen Berufe, die solche Aufgaben haben. Die sachlichsten Richter werden, wenn sie in eigener Sache klagen, zu Querulanten. Gerade weil die Richter aufs schärfste zur kritischen Sachlichkeit erzogen sind, drängt nun die ergänzende Seite der Willkür im Urteil des Menschen so deutlich hervor.
Ebenso bekannt ist, daß nicht leicht ein Arzt in ernsthaften Fällen ein Familienmitglied behandelt. Er muß zum Handeln eine Distanz haben, die in der lebensmäßigen Identität mit dem hier Leidenden aufgehoben ist, so sehr gerade der Arzt ohne die lebendigste Mitmenschlichkeit ein unzulänglicher Techniker wird. Aber wenn auch in seinem Berufe diese Identifizierung mit dem Leidenden die innere Voraussetzung ist, so kumuliert sich das in der Behandlung des eigenen Fleisches und Bluts und macht die heteronome Seite des Arztberufes unwirksam. Der medizinisch über sich selbst urteilende Arzt ist ebenso der Euphorie wie der Hypochondrie ausgeliefert, wie der medizinische Laie — nur vielleicht etwas später und komplizierter.
Der Prozeß des Gewissens kommt im Menschen nicht zu Ende — weil er als Kläger und Beklagter in einer Person zwar immerfort urteilende Meinungen über die Sache von sich gibt, auch wohl einmal zu einem Endergebnis kommt, über das hinaus seine Erwägungen schlechterdings nicht weiterführen — aber er vermag diesem Urteil keine Rechtskraft zu verleihen. Das Urteil mag noch so richtig sein, seine Rechtskraft liegt nicht in ihm selbst, sondern in einer grundsätzlich transzendenten Gewährleistung seines Rechtsbestandes. Der Versuch, sich selbst zu beurteilen, ist letztlich ein untauglicher Versuch. Er kann sehr lange durchgehalten werden — und scheitert doch endlich an der vorgegebenen Struktur unseres Menschseins. Es braucht nicht weiter dargelegt zu werden, daß die Verdrängung der nicht bereinigten, nicht vergebenen Schuld zu den gefährlichsten seelischen wie leiblichen Krankheiten führt. Das Urteil setzt eine letzte Unabhängigkeit gegenüber dem zu Beurteilenden voraus, freilich nicht diese allein. Es liegt jener Meinung von der Möglichkeit der Selbstbeurteilung ein humanistischer,
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metaphysisch-transpersonaler Wahrheitsbegriff zugrunde. Es ist die Meinung, man könne als einzelner in eigener Sache grundsätzlich ebensogut wie der andere die objektive, für sich bestehende Wahrheit erkennen, und dann die Folgerungen daraus ziehen. Auch die Wahrheit über den Menschen sei eine solche objektive Wahrheit, losgelöst und loslösbar von seiner Person. Wir haben also mit dem Gedanken der Selbstverurteilung die ganze Summe einer objektivierenden Metaphysik im innersten Bereich unserer Bußgesinnung unversehens mit drin. Mit dieser Entwicklung hängt zusammen eine Zersetzung und Vergegenständlichung der Begriffe von Sünde und Schuld. Sünde und Schuld sind sowohl die einzelne für sich erkennbare und ausgrenzbare Handlung, wie die unerkennbare, oder nicht vollständig erkennbare Verstrickung, die unerkannte Sünde, die Gott vor sein Angesicht stellt. Je mehr die Erkenntnis der einzelnen und aktualen Sünde in den Vordergrund gestellt wird, desto mehr verschwindet die existenzielle Sündhaftigkeit und umgekehrt. Die Forderung der römischen Beichtlehre, alle Sünden zu erkennen und zu beichten, ist deshalb ebenso unmöglich und sinnwidrig wie die protestantische Vorstellung, man könne um dieser Unerschöpflichkeit der Sünde willen eine einzelne, ernsthafte, erkennbare, das Gewissen belastende Schuld außerhalb des Bekenntnisses lassen. In beiden Anschauungen ist das Verhältnis von aktualer Schuld und Verschuldung in Unordnung geraten. Schließlich aber haben Sünde und Schuld eine dritte Dimension, die der Gemeinschaft. Sie entstehen in der Gemeinschaft, trennen von ihr und tangieren sie also auf das Tiefste. Der Christ und die Kirche als Leib Christi sind keine getrennten Subjekte, die sich gegenüberstehen, sondern stehen auch im Vorgang der Trennung in tiefster Verbindung. Nicht allein die Sündenvergebung geschieht in der Gemeinde (so mit Recht Joh. Heckel in „Initia juris ecclesiastici Protestantium”), sondern schon die Sünde des Christen ist ein Leiden des Leibes Christi. Leidet ein Glied, so leiden die anderen mit. Wird der Christ durch die Sünde vom Leibe Christi getrennt, so ist dies einer Krankheit des Ganzen zu vergleichen, die dann durch Amputation beendet wird. Ärgert dich ein Glied . . .
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Anm.: Die juristische Anthropologie steht diesen Tatsachen heute schon sehr viel offener gegenüber, wenn sie von einer Mehrschichtigkeit der Schuld spricht und erkennt, daß Tatschuld und Täterschuld nicht trennbare Tatbestände, sondern Aspekte desselben Vorgangs bedeuten und zugleich eine Dimension der Gemeinschaftlichkeit mitenthalten. So Werner Hardwig in „Die weltliche Strafe in der evangelischen Theologie” (Glaube und Forschung, Band XVI, S. 117ff., Dombois in „Mensch und Strafe” Kap. 9).
Nun hat die Abschaffung der gesetzlichen Beichte und die Schärfung der Gewissen zur geistlichen Selbstbeurteilung eine ungeheure positive Wirkung hervorgebracht. Es ging so wie mit der Miquelschen Steuerreform von 1891 bei Einführung der Selbstveranlagung anstelle der amtlichen Einschätzung. Es kam wider Erwarten nicht viel weniger, sondern erheblich mehr auf, weil die Wahrheitsbereitschaft und Ehrlichkeit des Menschen viel größer war als heute (freilich war das nur bei den damaligen niedrigen Steuersätzen und in einem sehr intakten Staatsgefüge möglich). So hat auch die Bußgesinnung des reformatorischen Christentums den Menschen sehr viel nachdrücklicher und wirksamer sich selbst zu verurteilen gelehrt als die komplizierte Moraltheologie der römischen Kirche, die für alles ein Urteil bereit hat. Andererseits hat dies jedoch immer mehr dazu geführt, daß die Sünden nicht mehr vergeben wurden, weil die Sündenvergebung der Selbstgewißheit des Glaubens anheimgegeben wurde. So tritt notwendig je länger je mehr eine schizophrene Spaltung unseres Bewußtseins auf, weil der Prozeß, den wir gegen uns selbst zu führen veranlaßt sind, niemals zu Ende kommt, und wir doch nicht leben können, wenn er nicht beendet wird (um dann wieder neu anzufangen). Entweder also kommt der auf sich selbst gestellte Mensch dazu, sich nach langer ernsthafter Besinnung doch seufzend damit zufrieden zu geben, wie es ist, und sich notwendig mit irgend etwas selbst zu rechtfertigen, woran er sich klammert. Oder aber eine ständige Tendenz zur Selbstzerstörung, eine Todessucht tritt auf. Man bleibt in einer ständigen zerstörerischen Kritik alles und jedes. Es muß immerfort ein Anlaß zur Buße gesucht und gefunden werden; alles und jedes wird kritisch in Frage gestellt, nichts darf eigentlich mehr geschehen, und der
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erscheint als der am echtesten geistliche Urteilende, der immer mit dem erhobenen Zeigefinger Bedenken geltend macht, nicht einmal der wirklich Urteilende, weil dieser ja immer auch darauf gehen wird, daß anstelle des Falschen das Richtige geschehe. Das ist die sublimste Selbstrechtfertigung. Denn wenn man immer dagegen gewesen, immer bedenklich gewesen ist, hat man doch im möglichen Maße seine Bußbereitschaft kundgetan und bewahrt und kann jedenfalls nicht beschuldigt werden. Daß man durch Bejahung wie durch Versäumung genau gleich schuldig werden kann, wird nicht mehr gesehen.
Wenn nun die Schärfung der Gewissen in der protestantischen Sündenauffassung jene Wirkung ausgeübt hat, die ich mit dem Vergleich der Steuerreform geschildert habe, so ist die entgegengesetzte Wirkung im römischen Katholizismus zu verzeichnen. Hier wird zwangsmäßig gebeichtet und tatsächlich absolviert. Aber daß jene Absolution so regelmäßig erreichbar ist, hat nun die merkliche Entschärfung der Gewissen herbeigeführt, welche den durchschnittlichen Katholiken in jener auffälligen Weise zwischen Gesetzlichkeit und Laxheit schwanken läßt. Biete ich also die Absolution so selbstverständlich durch die Bereitstellung des fremden Urteils an, so bringe ich den Menschen in die Versuchung, an der ganzen Schärfe des Urteils vorbeizugehen. Verweise ich ihn auf die Selbstgewißheit des Vergebungs- und Rechtfertigungsglaubens, so kommt er nie zu Ende und gerät in die geschilderte Schizophrenie.
Dies zeigt also, daß das Problem nicht durch einfache institutionelle Lösungen zu bewältigen ist. Wir müssen daher tiefer gehen. Priesterliches Handeln ist grundsätzlich unabhängig von der institutionellen Form in jenem unablösbaren Tatbestand begründet, daß die genannten zentralen Dinge des Menschen nicht von ihm selbst an ihm selbst vollzogen werden können.
Nicht jeder Dienst, den der Mensch dem Menschen leistet, ist also priesterlich, sondern nur jene unvertretbaren Handlungen. Der Mensch wird erst durch sein Gegenüber konstituiert, existiert nicht an und für sich. Dies ist aber nicht einfach seine Sozialität, vermöge deren Aufgaben und Dienste
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nach Anlage und Vermögen zu wechselseitiger Dienstbarkeit geteilt werden. Das konstituierende Gegenüber wird erst in den priesterlichen Verrichtungen wirklich sichtbar — wie in der Ehe, in dem als Mann und Frau Geschaffensein. Dies steht jeder für sich bestehenden Idealität des Menschen entgegen, der eigentlich alles selbst zu tun vermöchte und vermögen müßte, wenn er nicht leider durch äußere Umstände daran verhindert wäre, so universal zu sein. Funktionale Dienste nähern sich dem priesterlichen Handeln dort, wo in selbstloser Weise, nicht im Austausch von Leistungen Dinge getan werden, die der Mensch zwar in abstracto, aber doch nicht in concreto für sich selbst tun kann, also vor allem viele Formen der Stellvertretung. Aber diese dem priesterlichen Dienste sich nähernden Verrichtungen sind eben doch nicht wahres Priestertum: es ist verhängnisvoll, daß sie gerade das Wesen dessen verdecken, aus dem sie ihre besondere Bedeutung und Würde herleiten. Das Verständnis des Wesens priesterlichen Handelns ist jedenfalls durch die Allgemeinheit des Dienstgedankens verlorengegangen.
Mit der Wiedergewinnung des Verständnisses für den personalen Charakter priesterlichen Handelns ist es auch erst möglich, den Vorstellungsbereich der formalistischen Ethik zu durchbrechen. Diese Ethik lehrt die Gleichwertigkeit aller menschlichen Handlungen nach ihrem Gegenstande, und die alleinige Bedeutsamkeit der Gesinnung, in welcher sie ausgeführt werden. In der Unvertretbarkeit der Handlungen, in dem Unvermögen des Betroffenen, sie selbst zu vollziehen, und damit dem existenzbegründenden Charakter bestimmter personaler Handlungen haben wir einen gültigen Maßstab für eine Bewertung menschlichen Handelns. Als klassisches Beispiel wird immer die Gegenüberstellung der getreuen Dienstmagd mit dem ungetreuen König angeführt. Darin liegt eine evidente, aber eben nur eine Teilwahrheit. Als Teilwahrheit fälschlich für das Ganze und Entscheidende genommen, hat sie die Einsicht verkümmern lassen, daß neben und vor dem modus der Ausführung (der Treue und Hingabe) die Frage nach demjenigen verschwindet, dem dieses Handeln gilt. Man kann schließlich in der guten Überzeugung funktionieren, daß man ja auf die redlichste Weise gedient
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habe, ohne zu fragen, wem. Ist dieser „wer” aber nicht mehr beliebig, zufällig, sondern wesentlich, so stellt sich notwendig auch die Frage nach dem Gegenstande des Handelns. Die Bedeutsamkeit der existenzbegründenden Handlungen, die der Mensch an sich vollziehen lassen muß, ist aber eine entscheidend andere, als die alltäglichen Lebenshilfen und Dienste, deren wir unausweichlich auch bedürfen. Die bescheidenen Dienste und Verrichtungen, die uns erwiesen werden, gewinnen, wiewohl sie vertretbar und erkaufbar, austauschbar sind, eine abgeleitete Würde daraus, daß sie, wo sie konkret werden, nun nicht mehr vertretbar sind. Mit der Verschüttung des Blicks für das Besondere des priesterlichen Handelns verlieren wir verhängnisvollerweise gerade den Blick für die eigentliche Quelle der Würde auch der funktionalen Dienste als sekundärer. Indem man beides verwischt, gibt man alles zusammen preis.
Die alte Fakultätseinteilung unserer Universitäten hat etwas von diesen Einsichten gehabt. Man unterschied die drei alten Fakultäten der Theologen, Juristen und Mediziner von den artes liberales, welche heute in den philosophischen, naturwissenschaftlichen und technischen Fakultäten fortleben. Der Unterschied besteht darin, daß jene ersten drei zum Handeln am Menschen in jenem priesterlichen Sinne berufen sind, als Priester, Richter und Ärzte, während die artes liberales nicht am Menschen handeln, sondern nur gegenständlich erkennen und über Erkanntes reden. Erst hier setzt sich das Subjekt-Objekt-Schema im wissenschaftlichen Leben durch. Auch die Rechtswissenschaft hat in ihrer Systematik einen Rest jener Einsichten bewahrt. Sie unterscheidet zwischen vertretbaren Sachen und Handlungen, die auf dem Wege der Ersatzleistung, des Geldes ersetzt werden können, von den unvertretbar-personalen Leistungen, die als solche nicht ersetzt, zum Teil noch nicht einmal erzwungen werden können, wie z.B. die Eheschließung. (Anm.: Die in der Rechtsgeschichte vorkommende Zwangskopulation ist damit nicht zu verwechseln, sie ist die Vollziehung der bereits durch eheschließendes Verlöbnis bestehenden Ehe).
Dies eröffnet auch den Blick für eine vollere Erfassung des Priestertums. Der Levit, der an dem unter die Räuber
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Gefallenen vorbeigeht, um sich nicht für seinen Dienst zu verunreinigen, steht nicht im Konflikt zwischen seinem Amt und einer allgemein-menschlichen Verpflichtung, sondern er verfehlt in Wahrheit gerade seinen priesterlichen Dienst an seinem klassischen Ort, der Diakonie. Denn was ist mehr solcher Dienst, als dem zu helfen und zu heilen, der sich selbst nicht zu helfen vermag!? Hier ist nicht der (Kult-) priester aus seiner Absonderung herausgerufen, sondern umgekehrt jeder andere vor den priesterlichen Dienst gestellt, welchen der Priester selbst hier versäumt und verkennt. Von dem personal-priesterlichen Dienst her sind alle Tätigkeiten des Menschen zu sehen und zu werten, und nicht von diesen her die besonderen priesterlichen. Solange wir so denken und in dieser umgekehrten Richtung schauen, hängen wir bei aller Ablehnung des von Christus überwundenen Opferpriestertums immer noch an seiner soziologischen Konzeption.
Das Phänomen des Priestertums ist nun durch soviele Vorurteile überdeckt, daß vor seiner weiteren Entfaltung mit der Aufzeigung seiner Gefährdung und Entartung seine Grenzen festgestellt werden müssen.
Dieser personale Charakter priesterlichen Handelns, der sich auf Christi Vicariat bezieht 1), schließt den Funktionsbegriff aus. Nur im übertragenen und unwesentlichen Sinne kann man von einer Funktion des Priestertums sprechen. Wo immer von Funktion gesprochen wird, kann man sicher sein, daß Priestertum nicht gemeint und auch nicht möglich ist, mag noch so oft und mit noch so viel Pathos davon geredet werden. Die Funktionalisierung ist eine sozialgeschichtliche Erscheinung; sie ist auch in der Spätantike festzustellen, aber sowohl dem biblischen Denken wie der konkreten Umwelt der Heiligen Schrift fremd. Der Funktionalismus entsteht durch eine folgerichtige Anwendung kausaler Denkformen auf alle personal-sozialen Zusammenhänge. Dieses Merkmal hat er mit den bürgerlichen Lebensformen gemeinsam. Es liegt
1) Karl Barth: Man müßte schon den Christus praesens leugnen, wenn man den Vicarius Christi grundsätzlich leugnen wollte (KD I,1, S. 99).
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im Wesen der Funktion, daß in der reinen Sachlichkeit des Handelns von der Person des Handelnden abgesehen werden kann, weil er auswechselbar und darum selbst nur als kausale, nicht mehr personal-unvertretbare Größe erscheint. So hat das Anliegen, der Alleinigkeit des Heilshandelns Christi Raum zu geben, zu dem Aberglauben an die vom Menschen abstrahierende reine Funktion geführt. Gegenüber der scholastischen Vergegenständlichung von Handlungen, Wirkungen, Begriffen in der Statik des Substanzbegriffes suchte man nach der lebendigen Dynamik des Heiligen Geistes, ersetzte aber in Wahrheit den Substanzbegriff nur durch den entsprechenden der Kausalität. Redet man anstelle von Korpuskeln von Wellen, so ist man immer noch in der gleichen klassischen Physik. Man glaubte mit dieser Dynamisierung ein wirklich Neues gefunden zu haben, weil man bekanntlich beide Aspekte ein und desselben Gegenstandes nicht gleichzeitig beobachten kann. Zugleich bestätigte man die in der Scholastik eingeleitete Subjekt-Objekt-Spaltung, indem man ihn nur umkehrte. Während bis jetzt das Handeln aus dem Sein folgte (operari sequitur esse), wurde jetzt die Innerlichkeit des Glaubens (die res credens) gegen die Äußerlichkeit des Handelns (die res externa) gestellt. Ehedem folgte alles aus dem konstitutiven sakramentalen Handeln, jetzt alles aus dem deklaratorischen Wort. Die Struktur des Denkens ist die gleiche.
Aus dem Bereich des geistlichen Handelns müssen um seines streng personalen Charakters alle kausalen und der Kausalität analogen Vorstellungen als inadäquat ausgeschieden werden. Personal-soziale Bezüge können noch nicht einmal rein innerweltlich mit kausalen Kategorien verstanden und geklärt werden.
Haben wir das Priestertum in einem ganz bestimmten Sinne umschrieben und es uns im alleinigen Priestertum Christi und im Vicariat des Christen vergegenwärtigt, so sollte dadurch hinreichend ausgeschlossen sein, den Begriff des Priestertums in der Allgemeinheit eines philosophischen oder anthropologischen Satzes zu verstehen und zu gebrauchen, so unverzichtbar und notwendig die darin beschlossene Erkenntnis ist. Latet dolus in generalibus. Daß priesterliches Handeln
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in dem besteht, was der Mensch an sich nicht allein vollziehen, was deshalb funktional nicht verstanden werden kann, besagt noch nicht ohne weiteres, daß dieser andere immer ein Mensch ist. Im Gegenteil: allem liturgischen wie allem priesterlichen Handeln liegt die Anschauung zugrunde, daß unter dem menschlichen Handeln Christus der eigentlich Handelnde ist. Deshalb gibt es kein eigenständiges Priestertum mehr, sondern nur noch ein Vicariat.
Es wird aber auch immer wieder dem Menschen die in Ps. 32 ausgesprochene Erfahrung begegnen:
Denn Deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir, daß mein Saft vertrocknete, wie es im Sommer dürre wird. Darum bekannte ich Dir meine Sünde und verhehlte meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem Herrn meine Übertretungen bekennen. Da vergabst Du mir die Missetat meiner Sünde . . .
Hier wird eine unmittelbare Begegnung mit dem richtenden und gnädigen Gott beschrieben. Die Exegese ist sich jedoch einig, daß die in Psalm 32 beschriebene Begegnung sich im Tempel, nicht privat, sondern in der Gemeinschaft des Gottesvolkes vollzieht. Die darin bezeugte Unmittelbarkeit und die Eingebundenheit des Menschen in das Gottesvolk und seinen Kultus schließen sich nicht aus.
Diese Begegnung geschieht ubi et quando est visum deo, wie dies auch für das auftragsgemäße Handeln des Menschen gilt. Verhängnisvoll aber ist nur die eigentümliche Vergesetzlichung und Exklusivität, welche diese Erfahrung des geistlichen Lebens durchgemacht hat. Aus der Möglichkeit nämlich, daß Gott in so überwältigender Weise dem Menschen richtend und begnadigend begegnet, wird die Behauptung, daß diese Unmittelbarkeit die menschliche Vermittlung ausschließe. Weil Gott so dem Menschen begegnen kann und es auch tut, wird geschlossen, daß er es im Gnadenzuspruch des priesterlichen Amtes nicht tue, oder daß dies bis zur Unwesentlichkeit zurücktrete. Gott muß geradezu sich dem bußbereiten Menschen stellen, wie er sich angeblich dem sakramentalen Priester in den liturgischen Verrichtungen in die Hand gegeben habe. Zwischen diesem Sichstellen Gottes und der Leere eines vergeblichen Rufens steht nichts mehr.
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Und gerade aus dieser harten Alternative wird dann der radikale Anspruch, sich dem Urteil und Gnadenzuspruch des brüderlichen Priestertums zu entziehen. Der höchste Anspruch der Reichsunmittelbarkeit wird zum Deckmantel praktischen Libertinismus, einer Meisterlosigkeit, welche sich immer dann am wenigsten etwas sagen läßt, wenn es offenkundig am allernötigsten ist. Damit aber wird in Wahrheit auch jene Bußbereitschaft in Frage gestellt, welche sich im Ernst Gott stellt. Die Unbereitschaft, sich dem Bruder zu stellen, wird zum Zeichen der Unbereitschaft, sich Gott zu stellen. „Wer nicht beichtet, ist kein Christ”, hat Luther gelegentlich mit einiger Härte gesagt.
Man muß die Gründe für diese so wirksame Verirrung aufdecken. Der erste Grund liegt im exklusiven Denken, dessen Begrifflichkeit nicht duldet, daß mehrerlei Dinge nebeneinander stehen und sich ergänzen.
Der zweite Grund liegt in dem geschichtlichen Gefälle zur Verallgemeinerung der Exemtion des Klerus auf die ganze Gemeinde, welche die immanenten Gefahren des Priestertums vervielfältigt.
Drittens setzt sich in dieser Anschauung die von der lateinischen Kirche eingeleitete Tendenz zur Juridifizierung des geistlichen Lebens in fortschreitender Verengung fort. Gemeinhin wird die Aufhebung oder Zurückdrängung der priesterlichen Beichtjurisdiction als eine Überwindung dieser Tendenz angesehen und damit diese Entwicklung gerechtfertigt. Das ist eine Selbsttäuschung. Es verlagert sich vielmehr lediglich die Jurisdiction in das forum internum unter Abstreifung der sichtbaren, personalen, institutionellen Momente.
Zu dem verhängnisvollen Irrtum des Funktionalismus hat nun entscheidend die Verderbnis des als exklusiv verstandenen Amtspriestertums beigetragen, d.h. die Gleichsetzung des Priestertums überhaupt mit der Form, welche es in der scholastischen Lehre vom (absoluten) Ordo gewonnen hatte. So ist die geschichtliche Alternative entstanden, daß man auf
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der einen Seite ein exklusives, auf der anderen Seite überhaupt kein Priestertum mehr hatte, jedoch bei fortdauernder Verwendung eines leeren theologischen Terminus, der meist dann auftritt, wenn die systematische Theologie in die gehobene Sprache übergeht.
Jene Gleichsetzung von Priestertum schlechthin und exklusivem Amtspriestertum kehrt nun die Dinge in einer typischen Weise um. Nicht der existenzielle Tatbestand und die notwendige Aufgabe priesterlichen Handelns, sondern das historische Priestertum selbst, und noch dazu in einer sehr eingeengten Form wird die Quelle, Ursache und Wirkung werden umgekehrt. Dieses historische Priestertum ist nun zutiefst dadurch bedroht, daß es zwar die Notwendigkeit priesterlichen Handelns an jedermann zu Recht betont, sich selbst aber von diesem priesterlichen Handeln mehr oder minder folgerichtig ausnimmt. Es hat immer die Tendenz zur Exemtion, zunächst von der weltlichen Gerichtsbarkeit, sodann aber zur kirchlichen Souveränität.
Die Spitze selbst, die sedes romana, verteidigt als ihr höchstes Privileg, daß niemand sie richten könne. Der Papst hat gewiß auch seinen Beichtvater. Aber dieser ist in der Lage eines Hofpredigers bei einem absoluten Fürsten, der gewiß auch geistlich mahnen kann, aber in der Sache selbst die Bindung des Fürsten an ein Gegenüber des Volkes in seinem eigentlichen Verantwortungsbereich nicht ersetzen kann. So spaltet sich der regierende Hierarch ohne die Mitberechtigung der Kirche — die im Vatikanum ausdrücklich ausgeschlossen wird — in einen privaten und einen amtlichen geistlichen Menschen, welch letzterer in der höchsten Steigerung gerade infallibel ist. Mindestens ein bestimmtes Handeln, das der Kathedralentscheidung, wird von der Beichte und Absolution ausgenommen und im Grunde das meiste des Regierungshandelns selbst auch. Gerade die höchste Steigerung des so verstandenen exklusiven Priestertums hebt am entscheidenden Punkte das Priestertum auf 2). Denn auch das höchste
2) Es ist immerhin bemerkenswert, daß der gegenwärtige Papst Johannes XXIII. auf das „Privileg” verzichtet hat, sich selbst das Aschenkreuz am Aschermittwoch zu geben, sondern es sich hat geben lassen, indem er das Knie vor einem Prälaten beugte.
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Urteil ist darauf angewiesen, daß ihm der Dienst des unabhängigen Urteils geleistet wird: wer irrt, weiß nicht, daß er irrt.
Die römische Kirche kennt keine Gemeindebeichte, weil nur der einzelne sündigen könne. Der Protestantismus hat die Gemeindebeichte ausgebildet, die freilich mehr eine Summe unvollständiger Einzelbeichten ist, die die Einzelbeichte nicht ausschließt, aber doch beiseitedrängt. In Wahrheit liegt der Grund beiderseits tiefer. In der römischen Ablehnung der Gemeindebeichte liegt die Auffassung, daß die Kirche, als solche unfehlbar und fleckenlos, nicht sündigen könne, sondern nur die Katholiken. Die protestantische Gemeindebeichte verführt zu der Auffassung, daß die Glaubensgewißheit der Sündenvergebung eines konkreten Zuspruchs von direkter Personalität nicht bedürfe. Deswegen der ständige Zweifel über den exhibitiven oder nur deklaratorischen Charakter der Absolution. Auf beiden Seiten steht die gleiche Selbstgewißheit: diejenige der anstaltlichen Kirche und die des glaubenden Subjekts. Wie anders sähe die römische Kirche aus, wenn sie unter Vorantritt der Hierarchie eine Gemeindebeichte vollzöge, wie anders die reformatorischen Kirchen, wenn sie die Gemeindebeichte in der Einzelbeichte konkretisierten!
So stehen sich hier zwei Einwände mit gleich guter Berechtigung gegenüber: die Kirchen des besonderen Priestertums werfen dem Protestantismus vor, daß er den Menschen durch die Befreiung vom Fremdurteil seiner Selbstmächtigkeit gerade anheimgebe, wo er dessen am meisten bedürfe und wo es ihm am ernstesten ist, und daß die leidenschaftliche Verfechtung der Souveränität Gottes auf diese Weise der Ausbildung einer Souveränität des Menschen nicht zu widerstehen vermöge. Die Kritik an der Hierarchie aber verweist auf die Neigung zur Exemtion und darauf, daß am Punkte der stärksten Ausprägung die Anerkennung des notwendigen priesterlichen Handelns zentral eingeklammert und verderbt ist durch eine letzte Selbstmächtigkeit des souveränen Papsttums. Der berechtigte Protest gegen das letztere aber verhindert nun durchgreifend, daß das erstere in Ordnung kommt.
Kehren wir nun zuallererst vor der eigenen Tür, so müssen wir eingestehen, daß wir durch die römischen Mißbräuche uns
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zu der Annahme eines Menschenbildes haben drängen lassen, welches weder biblisch noch anthropologisch noch soziologisch zu halten ist. In allen drei Bereichen wird heute sichtbar, daß es so nicht geht. Die Erkenntnisse der Gegenwart zeigen schon auf dem philosophischen und naturwissenschaftlichen Felde, daß der Mensch von dem Gegenstande seiner Erkenntnis nicht getrennt werden kann. Damit ist aber eine zulängliche Selbstbeurteilung und Selbstverurteilung ausgeschlossen.
Die Struktur dieses Urteilens ist nun so beschaffen, daß neben dem notwendigen Fremdurteil immer zugleich das Eigenurteil stehen muß. Das eine kann das andere nicht ersetzen. Das Fremdurteil muß mir zum Eigenurteil verhelfen, und das Eigenurteil muß sich dem Fremdurteil vertrauend öffnen. Der Fremdurteilende aber vermag nur dann zu urteilen, wenn er mit dem Gegenüber, über den und das er urteilt, im tiefsten ebenso solidarisch, wie von ihm unabhängig ist. Jesus Christus wird zum eschatologischen Richter erhöht, weil er als Sohn Gottes im Gehorsam unsere Natur angezogen und in der Passion ihre Schuld als eigene auf sich genommen hat — judex quia passus —. (Vgl. Dombois, Mensch und Strafe, Kap. 8 S. 77 ff: Die Struktur des Richteramtes.)
Dieses dialektische Verhältnis tritt in der Schizophrenie der Kirchenspaltung tödlich auseinander. Die alten Kirchen wissen sehr wohl und weisen mit Recht darauf hin, daß der Mensch der heteronomen Beurteilung bedarf, wenn er nicht in geistliche Willkür verfallen, der Selbstrechtfertigung und Selbsttäuschung oder der Verzweiflung anheimfallen soll. Aber sie vermögen in dieser Heteronomie ihr echtes Mitleiden, die compassio nicht deutlich zu machen, ja nicht wirklich zu wahren. Auf der anderen Seite verfällt der Protestantismus einer ungeistlichen Autonomie. Die einen haben keinen Platz für die Autonomie der Freiheit und die anderen ebensowenig für die Heteronomie des uns konstituierenden Gegenüber, alles dies in mehr oder minder folgerichtigen Ausprägungen von verderblicher Einseitigkeit.
Beide Kirchen befinden sich demnach in einem gegenläufigen Gefälle, zur Heteronomie wie zur Autonomie, sie folgen gegenläufigen „Ansätzen”, „Prinzipien” und vermögen der Wucht dieses Gefälles keine wirksame Grenze zu setzen, selbst da,
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wo die Einsicht in die Mißbildungen und Gefahren nicht fehlt. Der Versuch, dieser Spaltung im Leben selbst entgegenzuwirken, begegnet immer der Verdächtigung, dem Vorwurf, eben den Ansatz, das Prinzip, und damit den „Stil” in Frage zu stellen, während doch gerade das Denken von einem solchen Ansatz her das Vorgegebene uns unzulässig in den Griff gibt. So haben auch die reformatorischen Kirchen eben nicht vermocht, gegen das exklusive Amtspriestertum das wahre Priestertum zu bewahren und darzustellen.
Damit verfehlen sie nun gerade eine zentrale Intention Luthers. Ihm machte eben das Personalpronomen, das „pro me”, das „pro nobis” erst das Evangelium zum Evangelium 3). Dieses „pro me” aber muß mir eben persönlich, konkret, vollmächtig zugesprochen werden.
Wird aber der Mensch auf die eigene Erkenntnis verwiesen, so wird ihm in dieser autonomen Erkenntnis das Evangelium ebenso zum (autonomen) Gesetz wie in irgendeiner heteronomen kirchlichen Satzung des Dogmas, des Kultus, der Moraltheologie. Die Verwechslung liegt genauso nahe zwischen dem Gehorsam Christi und dem Gehorsam gegen Menschen, wie zwischen der Freiheit Christi und eines Christenmenschen und der eigenen, selbstmächtigen Freiheit. Am allerwenigsten gibt es hier eine Faustregel und Rechtsvermutung, daß wir im Zweifel für die „Freiheit” zu unterscheiden hätten. Gerade diese stillschweigende Faustregel ist unter uns eine arge Macht der Verführung geworden.
Es ist freilich unmöglich, wie die Geschichte gezeigt hat, Wesen und Gestalt des Priestertums, gerade des besonderen Priestertums aller Gläubigen, durchzuhalten und zu bewahren, wenn man — korrespondierend und nicht exklusiv dazu — nicht wirklich riskiert, das besondere Priestertum auszubilden und darzustellen. Der Verlust eines theologischen Begriffs Priestertum, der diesen Namen verdient, zeigt das an. Heute werden so viele Menschen dazu verführt, sich der römischen Kirche in die Arme zu werfen, weil hier trotz aller offenkundigen Mängel und sogar zentraler Einwände das Priestertum wenigstens
3) vgl. Oestergaard-Nielsen, Scriptura sacra et viva vox, München 1957, insbes. S. 132 ff.
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deutlich und sichtbar erhalten ist und entschlossen geübt wird. Das ist so. Da hilft kein Protest. Messe und Beichte ziehen die geistlich verhungerten Menschen an, wobei die Lehre nicht annähernd die Rolle spielt, die wir ihr beimessen.
Die Verweisung des Menschen auf seine Selbstkritik hat nun jene verhängnisvolle Intellektualisierung und Akademiesierung hervorgerufen, an der unsere Kirche leidet. Denn wenn diese Selbstkritik dergestalt im Zentrum des geistlichen Lebens steht, so liegt es gefährlich nahe und ist auch nicht vermieden worden, damit die intellektuelle Fähigkeit zu kritischem Denken zu verwechseln und alles auf deren Schärfung zu stellen. So kann schließlich der liberale Protestantismus, wie etwa Wilhelm Dibelius in seiner Darstellung englischer Frömmigkeit 4) es für ganz selbstverständlich halten, daß die breiten Massen des kontinentalen Protestantismus entkirchlicht und säkularisiert sind, weil ja natürlich die hohen Anforderungen dieses Glaubens nur von einer Minderzahl erfüllt werden können, im Kern von der Bildungsschicht, die gelernt hat, sich vom kritischen Denken des Humanismus und der Wissenschaft her selbst kritisch gegenüberzustehen. Die geistliche Selbstkritik verweltlicht sich zum kritischen Denken als Merkmal höherer Bildung. Mit einem schlimmen Überlegenheitsgefühl wird hier das Evangelium der Mühsamen und Beladenen zu einem Privileg der Gebildeten und derjenigen, welche sich geistig und sozial ihnen einigermaßen anzuschließen in der Lage sind.
Dabei definiert Dibelius dieses Ideal von der Mystik, der Vereinigung der Seele mit Gott als höchster Individualisierung her und übersieht die kritische Voraussetzung dessen im Intellekt.
Die reformatorische Theologie hat auch in ihrem modernen und radikalen Denken nicht vermocht, erkennbare Grenzen zu ziehen und ernstlich zu vermeiden, daß ihre Lehre vom
4) Wilhelm Dibelius, England 1925, Band II: „Das deutsche (Frömmigkeits-) Ideal führt zur höchsten Religiosität der wenigen und treibt die Masse dem gröbsten Materialismus in die Arme” (S. 78). „Der englische Gottesdienst . . . erscheint dem deutschen Protestanten, der erwartet, verstandesmäßig angepackt oder (!) in seinem Gewissen aufgerüttelt zu werden, leicht als leerer Formenkram.”
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Menschen sich in ein humanistisches oder idealistisches Selbstbewußtsein des Menschen verläuft. Es sind nur Zwirnsfäden, die sie hier spannt, wenn sie überhaupt die Frage sieht. An dem streng abgegrenzten Phänomen und Begriff des Priestertums aber entscheiden sich die Dinge. Es wurde hier so deutlich und scharf gegen das exklusive Priestertum Stellung genommen, um auszuschließen, daß man sich mit der polemischen Wendung gegen dieses und durch die Berufung auf den Mißbrauch an den Fragen vorbeidrückt.
Sodann kann man an der Tatsache nicht vorbei, daß das besondere Priestertum aller Gläubigen nicht möglich ist ohne das besondere Priestertum, sowenig das eine aus dem anderen hervorgeht. Die reformatorische Theologie und die evangelischen Kirchen haben wider Willen den geschichtlichen Beweis dafür geliefert, weil sie zwar das Wort vom Priestertum, aber nicht dieses selbst festzuhalten vermocht haben, weder in der theologischen Lehre noch im geistlichen Handeln.
Das Problem des Priestertums klärt sich indessen sehr bald, sobald sein Wesen wieder klargestellt ist. Handelt es sich um ein notwendiges, unvertretbares, den Menschen konstituierendes Handeln, so ist es eben darum wirkliches, wirksames Handeln, in welchen Begriffen wir diese Wirklichkeit auch zu begreifen versuchen. Es ist wiederum nun bezeichnend für die Intellektualisierung und den idealistischen Begriffsrealismus, daß die Theologie über die Frage des adäquaten Ausdrucks für diese Wirklichkeit den Charakter als Wirklichkeit und das sachliche Verständnis für sie so weit verlieren konnte. Dieses wirkliche Handeln in der priesterlichen Vollmacht der Sündenvergebung, zu binden und zu lösen, ist dem Amts-priestertum nicht vorbehalten, sondern den Jüngern schlechthin verliehen. Geht es aber wirklich darum, so wird für ein so konkretes und verantwortliches Handeln die Vollmacht nicht von jedermann mit der Selbstverständlichkeit in Anspruch genommen werden, wie das beim Begriff des allgemeinen Priestertums vorausgesetzt wird. Denn dazu bedarf es in der Tat einer Einsicht und einer Gabe der Seelsorge, die eben nicht einfach jedermanns Sache sein kann. Jeder ernsthafte Mensch sieht das ein. Aber es wird doch damit zugleich deutlich, daß mit Begriff und Anspruch des allgemeinen Priestertums weit mehr
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die Teilhabe an den Rechten des Klerus, die Wiederherstellung der von der scholastischen Kirche vernichteten urkirchlichen und altkirchlichen Gemeinderechte gemeint gewesen ist, als der strenge, verantwortliche, gefährliche, hingebungsvolle Dienst des Priesters am Nächsten. So gewiß beides zusammenhängt, so gewiß ist es doch nicht einfach identisch. Ist der priesterliche Dienst wirklich die Voraussetzung der Rechte in der Kirche, nicht eine Qualität an sich, so hat der vielgerühmte mündige Christ in zunehmendem Maße Rechte in der Kirche in Anspruch genommen, ohne die Last des Dienstes auf sich zu nehmen, aus dem dieses Recht kommt.
Erst auf der Grundlage einer so entschlossenen Kritik kann dann auch deutlich gemacht werden, was es mit der Aussonderung des priesterlichen Dienstes auf sich hat.
Das Seltsame ist nun, daß alle diese bedrängenden Einsichten uns weit eher außerhalb der Theologie begegnen, in Philosophie, Naturwissenschaft, Anthropologie, Soziologie, Psychologie: nur die Theologie in ihrem Turm stellt sich dem nicht. Soll die Welt die Kirche bekehren?
Da nun aber einmal jene Summen der Vorurteile nicht ohne unsere tiefste Schuld eingeprägt und verfestigt sind, so kann man nicht dringend genug aussprechen, daß es hier, im Bereich von Beichte und Absolution, um das „Sakrament des Bruders” geht, um jenen Dienst, der gemeint ist, wenn es in der Schrift heißt, „beichtet einander”. Darum haben wir uns an das altkirchliche Wort erinnert, daß „in der Kirche sein heiße, unter dem Bischof sein”, nicht weil wir dem Bischofsamt hier eine neue Exklusivität beimessen wollen, sondern weil wir schuldig sind, einander vice Christi Hirten und Bischöfe unserer Seelen zu sein, und weil, wer ohne Hirten ist, eben außerhalb der Herde ist.
Immer dann, wenn ernstlich vom geistlichen Handeln der Kirche die Rede ist, wie hier im besonderen von Beichte und Sündenvergebung, tritt die Warnung vor dem „opus operatum” auf. Die Auffassung durchläuft dann alle Spielarten, vom Objektivsten bis zum Subjektivsten. Der Gedanke des opus operatum ist der verfehlte oder mindestens unzulängliche und verwirrende Versuch, darzustellen und festzuhalten, daß wirklich etwas geschieht, was seinen Grund in sich selbst,
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d.h. in der Verheißung Gottes hat, wie unser Glaube Gottes Gnade nicht schafft, sondern empfängt. Gegenüber diesem „Anliegen” tritt dann der an sich unbestrittene Satz „fides virtus sacramenti” (Augustin) mehr oder minder zurück. Dieser Fehlweg, der eine ganze Kettenreaktion von echten und falschen Einwänden erzeugt, würde vermieden, wenn man vom „opus credendum” redete. Damit wird zugleich deutlich, daß bei fortschreitender Bestreitung des Wirklichkeitscharakters nur noch ein credendum ohne opus übrigbleibt. Das beruht letztlich auf der Ersetzung der pneumatischen Wirklichkeit durch die erkennbare Wahrheit. Diese aber kann nur bezeugt werden, es kann ihr gegenüber und in ihr und durch sie nichts geschehen. Daher die Abwehr gegen die Annahme eines Handelns in der geistlichen Wirklichkeit, welches mehr ist als deklaratorische Aussage.
Wir sahen, daß besonderes Priestertum ganz gewiß gerade dort nicht zu begründen ist, wo man es traditionell am ehesten sucht: in der kultisch-liturgischen Verrichtung adversus deum. Hier handelt der Amtsträger mit der Gemeinde, als praecipuum membrum der Gemeinde, aber weder kumulativ noch gar exklusiv zu ihr. Wer opfert, ist hier die Gemeinde des Priestertums unter Vorantritt eines dieser Glieder. Hier wird die radikale Solidarität Christi mit seiner Gemeinde sichtbar. Eben darum aber ist es genau umgekehrt, wo es um die Zuwendung, den Zuspruch und die Austeilung der Gnadengaben geht. Eben hier vollzieht sich das, was der Mensch nicht an sich selbst vollziehen kann: Richten und Begnadigen, alles dies vice Christi. Hier wird der Grund sichtbar, der zur Ausbildung des besonderen Priestertums geführt hat. Wie kann gerichtet, gemahnt, verwiesen, wie zugesprochen und freigesprochen, kurz, wie gebunden und gelöst werden, wenn nun eben der dazu Berufene nicht in Unabhängigkeit dem anderen gegenübersteht? Deshalb ist bei aller geistlichen Hilfe der Ehegatte eben nicht der rechte Beichtiger, ebensowenig der nahe, durch tausend Gemeinsamkeiten verbundene Freund. Deswegen beichten mit Recht viele fromme Katholiken nicht dem Ortspfarrer, sondern einem fremden Priester, nicht um
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sich dem Ernst der Beichte zu entziehen, sondern um dieses Verhältnis aus nicht dazugehörigen Bindungen zu lösen. Um dieser Heteronomie willen muß der regelmäßige Amtsträger herausgenommen und dabei selbst einer strengen Heteronomie unterworfen werden. Es ist eine völlige Verkennung, daß eine solche Herausnahme durch wissenschaftlich-theologische Bildung, d.h. einen höheren Grad theologischer Bewußtheit, die gewiß auch nötig ist, erreicht werden kann. Darauf die Kirche zu bauen, ist idealistischer Kulturprotestantismus — abgesehen, daß die Bildung des Pfarrerstandes unmöglich eine so hohe Anforderung erfüllen kann. Priester kann nicht sein, wer sich nicht dem priesterlichen Dienst des fremden Urteils und des fremden Losspruchs bereitwillig unterzieht. Unter dieser harten Bedingung ist diesen vicarii instrumentales das Amt der Schlüssel anvertraut — nicht exklusiv (vgl. das über das Sakrament des Bruders Gesagte), aber separative und specialiter.
Demnach gibt es drei Anschauungsweisen vom Priestertum:
1. Priester und Laien sind als Stände der Kirche durch einen ontischen Charakter ein für allemal so unterschieden, daß der geweihte Priester als solcher etwas besitzt, was dem Laien abgeht. Er ist eigentlich ein qualifizierter Laie.
2. Alle Christen sind Priester, so daß es dadurch gegenstandslos wird, vom Laien zu sprechen. Durch die Verallgemeinerung fällt jedoch der Gegenbegriff fort, so daß sich gerade der Priesterbegriff selbst entleert. Eigentlich ist so der Laie ein unvollkommener, inaktiver, unzulänglich unterrichteter, verhinderter Priester, etwas, was es nicht geben dürfte. Von da aus werden immer wieder hochgespannte und ebenso unerfüllbare Forderungen an diesen Laien gestellt, er aber auch allzu leicht idealisiert.
Auf beiden Seiten ist ein mehrschichtiger Tatbestand auf eine Linie gebracht und damit verfehlt. Die folgerichtige Durchführung muß daher immer irgendwo mit der Wirklichkeit zusammenstoßen; je konsequenter, desto mehr. Die beiden Antinomien, die von der Aussonderung und Verbundenheit und diejenige der Handlungsrichtung sind aufgelöst; sie lassen sich eben nicht eindeutig verrechnen.
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Weder der humanistisch-optimistische Stufengedanke noch die radikale Gleichheit entgeht diesem Fehler, weil es ein gemeinsamer Fehler der Methode, der Denkform ist.
3. Alle Christen sind wirklich Priester und Laien zugleich, je
nach der Rolle, in die sie treten: als Handelnde sind sie
Priester, als Empfangende Laien.
Innerhalb dieses priesterlichen Handelns scheiden sich dann
wiederum noch die Rollen:
a) adversus deum sind Alle Priester in Opfer und Fürbitte, und
dieses Handeln steht, weil hier das Volk Christi —
selbst in der äußerlichen Vereinzelung — gemeinschaftlich
handelt, dem Laientum näher.
b) adversus hominem dagegen ist der zum Vicariat Christi
Ausgesonderte und Bevollmächtigte gerade als einzelner wirklicher
Priester. Diese Ausformung des Priestertums der Christen ist
besonderes Priestertum.
c) adversus hominem ist schließlich ein jeder kraft der ihm
verliehenen Gabe außerhalb des besonderen Amtes in besonderer
Weise ein Priester — in der Auferbauung der Gemeinde durch das
Charisma wie in der Diakonie.
Es wird aus dem Gesagten deutlich, daß weder mit den formalen Begriffen „allgemeines” und „besonderes” Priestertum noch mit den Begriffen „Priester” und „Laie” im Sinne des ausschließenden Gegensatzes die Wirklichkeit des Priestertums ausgesagt und festgehalten werden kann. Jene Allgemeinbegriffe zeigen vollends nur das geringe sachliche Interesse an, welches nicht bis zu inhaltlichen Bestimmungen durchträgt.
Jene drei Formen des Priestertums treten auch in drei gänzlich
verschiedenen soziologischen Formen auf:
1. Im ersten Fall handeln alle in der Gemeinde
gemeinschaftlich. Soweit ein Amtsträger als Sprecher, Liturg,
Vorbeter hier auftritt, ist er lediglich primus inter pares, in
einem gewissen engeren Sinne „Ältester”, presbyteros im Sinne
relativer Unterschiedlichkeit. — (congregational im
echten Sinne, als Volk.)
2. Im zweiten Falle aber handeln gerade einzelne oder
mehrere einzelne in gleichen oder vergleichbaren Verrichtungen
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gegenüber der Gemeinde miteinander oder unabhängig voneinander
analog. (Episkopat im echten Sinne, als Väter.)
3. Im dritten Falle handeln viele in wesentlich verschiedenen
Verrichtungen nebeneinander zur Auferbauung der Gemeinde und zum
Liebesdienst gegenüber jedermann überhaupt. (Diakonie im echten
Sinne, als Brüder.)
Ist die erste Form eine gemeindlich-gemeinschaftliche, in welcher nur praecipua membra hervortreten, aber keine grundsätzlichen und gegenständlichen Unterschiede, so kann man die zweite Form als die „episkopale” bezeichnen, wenn man den eigentlichen Wortsinn des „schauen auf jemand”, „episkopein”, nicht so sehr die historische Form des Episkopen- und Bischofsamtes im engeren Sinne im Auge behält. Diesem episkopalen Typus gehören dann zu: die Verkündigung und Spendung der Sakramente, aber auch die consolatio fratrum und das Hausvateramt. Die dritte Form kann man als die diakonale bestimmen — vielerlei Dienste, die sich unterscheiden, aber nicht widersprechen, die aber der Prüfung und Einordnung bedürfen, die im übrigen als Dienst an der Welt von unübersehbarer Vielfalt sind. Es handelt sich also in dieser Typologie nicht um den Unterschied von Amtsträger und Dienst außerhalb des Amtes, sondern um eine Inhaltsbestimmung allgemeiner Art. Alle drei Formen kommen im Amt wie außerhalb des Amtes vor, wie schon die inhaltlichen Bestimmungen, die Beispiele zeigen. Daß die einen Verrichtungen spezifisch dem Amte, andere allen zukommen, ergibt sich dabei von selbst. Es gibt nicht den Amtsträger an sich, den Laien an sich, sondern dies richtet sich nach der Rolle, in der ein jeder handelt. Gerade damit ist der ursprüngliche Sinn von ordo wiedergewonnen.
Ohne Berücksichtigung dieser sachlichen und soziologischen Unterschiede ist gedankliche Verwirrung in diesem Bereich schwer zu vermeiden. Daß die geschichtlichen Amtsformen nicht einfach diesen Unterschieden gefolgt sind und diese nicht rein darstellen, daß damit umgekehrt also nicht jene Amtsformen gemeint sind, liegt auf der Hand. Trotzdem schlagen diese Kriterien bis zu einem gewissen Grade in den geschichtlichen
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Amtsformen durch, auch wenn es etwa in breitem Maße gemeindeleitende Presbyter gibt oder Presbyter und Episkopen als synonyme Bezeichnung erscheinen.
Demnach gibt es ein dreifaches Priestertum der Gläubigen. Weder als Priester noch als Laie ist jedoch der Christ ein autarkes geistliches Subjekt. Sodann geschieht alles, was hier überhaupt geschieht, immer per Jesum Christum dominum nostrum. Das ist so allgemeine Lehre der Kirche, daß mit dem Hinweis auf diesen Satz die Unterschiede der Auffassung nicht dargestellt und ausgetragen werden können.
Gibt es demnach in der Entfaltung des besonderen Priestertums aller Gläubigen drei Hauptrichtungen, die episkopale, die presbyterale und die diakonale, so ist damit noch nichts darüber gesagt, wieweit dem bestimmte Ämter entsprechen. Umgekehrt kommen vielmehr alle drei Richtungen in der Form des Amtes als ständiger Zuordnung, als Berufung und Bevollmächtigung zu dauernder Widmung, wie in aktualer und zeitlich begrenzter Form vor. Es hat daher die Kirche nicht falsch gelehrt, wenn sie die drei Ämter lehrte, wie heute noch die anglikanische Kirche an diesen ausdrücklich festhält. Es darf darüber nur nicht verkannt und beiseitegestellt werden, daß es an seinem Platze und in seiner Form jene drei Formen der Verrichtungen am Leibe Christi auch außerhalb des Amtes gibt. Die Kirche, die nur die drei Ämter hätte, wäre ebenso unvollkommen und gelähmt, wie wenn sie ohne Ämter wäre. Sowenig wie das Amt des Diakonen dem diakonischen Dienst des Christen überhaupt etwas wegnehmen kann und soll, sowenig die Mitwirkung am episkopein und das Sprechen für die Gemeinde coram deo. Am allerwenigsten gibt es nur ein im Grundsatz undifferenziertes Amt. Sowenig das Amt der Kirche körperschaftlich begründet und verstanden werden kann, sowenig kann es aber auch einem geistlichen „Zweck”-Gedanken entstammen: es hat seinen Sitz im Leben, seinen Ursprung und seine Würde aus dem wie in dem Gottesdienst der im Namen Jesu Christi versammelten Gemeinde, der ekklesia.