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Vorwort

 

Die eigentliche Verlegenheit des Protestantismus ist sein Verständnis von Kirche. Der Kampf der Bekennenden Kirche hat ihm zwar die Erfahrung geschenkt, daß Kirche im Akt des Bekennens Kirche ist; er hat aber zugleich aufgedeckt, daß Kirche immer schon von Kirche herkommt. Ebenso hat der Bekenntniskampf offenbar gemacht, daß das Verhältnis der Kirche zur Welt von Christi Herrschaftsanspruch her geprägt wird; und zugleich hat er gezeigt, daß jede Verwirklichung des Gehorsams in den vergänglichen Elementen geschieht.

Darum gehen die Protestanten heute von zwei Seiten her die Probleme an. Einerseits bleiben sie der Erfahrung treu, daß Kirche im Akt Kirche ist, daß sie gehorsam sein muß; dann droht die Schwärmerei der Einlinigkeit. Andererseits wollen sie die Kontinuität der Kirche festhalten; dann geraten sie leicht in eine häretische Wertung der Tradition.

Aus dieser Schaukel kommen wir schwer heraus. Und die Parteien können sich nur so aufeinander zu bewegen, daß jeder von seiner Position aus die Mitte sucht, damit er den anderen, seine Gegenposition, anrufen kann. Die Evangelische Michaelsbruderschaft ist 1931 von der Entdeckung der Kontinuität der Kirche aus angetreten. 25 Jahre nach ihrem Antritt hat sie in „Credo ecclesiam” versucht zu zeigen, wie weit sie von ihrem Ansatz her sich der Zeit und ihren Fragen nähern kann. Dem Echo nach zu urteilen, ist es ihr nicht gelungen, sich dem Aktualisten auf Rufweite zu nähern. — In der vorliegenden Schrift wird nun ein weiterer Versuch unternommen, zur Mitte zu dringen. In einem theologischen Ausschuß der Bruderschaft sind von einzelnen Brüdern Sachfragen dargestellt worden; in gemeinsamer Beratung wurde die endgültige Fassung gewonnen.

Am Problem der Rechtfertigungslehre soll gezeigt werden, daß wir von der Rechtfertigung Christi bis heute bestimmt sind. Die Wirkung des Wortes endet nicht bei den Reformatoren;

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vielmehr müssen wir sehen, wie die Gestalt unserer Zeit vom Wort des Neuen Testamentes her sowohl bestimmt als auch in Frage gestellt wird; auch die dogmatische Ausformung der Lehre wird so geschichtlich. Die Untersuchung über das Regnum Christi will zeigen, daß die Situation der Kirche nicht vom Akt ihres Bekennens her, sondern allein von Christi Herrschaft her, die zwischen Ankunft und Wiederkunft steht, verstanden werden darf. Die Darstellung vom allgemeinen Priestertum schließlich will die Situation an einem weiteren neuralgischen Punkt theologisch klären. Die Kirche hat den Individualismus aus sich entlassen und ist ihm doch zugleich erlegen. Recht begriffen, kann die „Stellvertretung" zu dem Schlüssel werden, der sowohl Christi einzigartige Stellung als auch die Stellvertretung in der Kirche und zugleich die Unvertretbarkeit jedes einzelnen neu aufschließt.

In diesen drei Studien sind einzelne Fragen von Einzelnen behandelt worden. Sie sind aber verbunden durch die gleiche Grundhaltung: Die Realität der Kirche kann nicht vom Ethos, vom Aktus, vom Gehorsam her (in der Nachfolge Kierkegaards) gewonnen werden, auch nicht von einer vorgegebenen Gestalt der Kirche aus (in der Nachfolge Vilmars), sondern allein von dem Herrn her, von dem jede Entscheidung immer schon herkommt und auf den sie zugeht. Die Einheit der Kirche wird nicht vom bekennenden Subjekt her gesetzt noch von der Vorgegebenheit, sondern allein vom Herrn, der als Haupt seine Kirche in alle Wahrheit leitet. Was möchten wir lieber, als daß dieser Ruf die Traditionalisten in Bewegung bringt und daß er bis zu den Aktualisten dringt.

Müller-Schwefe