Wendland, H.D.

Die Herrschaft Christi

1960

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Die Herrschaft Christi

 

I.

Daß wir uns heute genötigt sehen, von der Herrschaft Christi in einer neuen Weise und mit einem neuen Klange zu sprechen, hat verschiedene Gründe, die in der Kirchen- und Weltgeschichte der letzten Jahrzehnte liegen und zu einer Neuentdeckung der neutestamentlichen Zeugnisse von der Königsherrschaft Christi über Kirche und Welt geführt haben. Denn darum geht es: Über Kirche und Welt. Erstens machte es der deutsche Kirchenkampf in der theologischen und kirchlich-praktischen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus deutlich, daß es gar nicht nur um die Freiheit der Kirche, um die Freiheit der Verkündigung des Evangeliums ging, sondern um dasjenige Verständnis ihrer Freiheit, das aus dem Bekenntnis zur universalen Herrschaft Christi über den ganzen Kosmos quillt und damit über den ganzen Umfang der menschlichen Existenz des Menschen, einschließlich der politischen und der gesellschaftlichen. Dieselbe Erkenntnis wuchs zweitens in der theologischen Auseinandersetzung mit den sozialen und politischen Heilsbotschaften unseres Zeitalters, insbesondere dem Kommunismus. Drittens führte die ökumenische Bewegung zu dem Versuch, die Herrschaft Christi über Kirche und Welt neu zu bezeugen, als hier die Fragen nach dem Verhältnis von Kirche und Welt, von Ethik und Eschatologie, Ethik und Christologie gebieterisch nach einer neuen Losung verlangten, so daß wir im Ringen um diese die Grenzen der Konfessionen und der theologischen Traditionen immer wieder überschreiten mußten. In diese dreifache Bewegung wirkt kräftig die Theologie Karl Barths hinein, besonders insoweit sie das Verhältnis von Rechtfertigung und Recht, Christengemeinde und Bürgergemeinde neu zu bestimmen versucht.

Damit war zugleich einer verkümmerten und verengten Rechtfertigungslehre der Kampf angesagt. Denn der, durch dessen Sterben und Auferstehen der Sünder gerechtfertigt und in den

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neuen Status des Kindes und Erben Gottes erhoben wird, ist sowohl der kommende Richter der ganzen Welt als auch jetzt schon, in Kraft seiner Auferstehung und Erhöhung, als der, welcher zur Rechten Gottes sitzt, der göttliche Herr der ganzen Welt. Gewiß ist die theologische Frage legitim, auf welche Weise er diese Herrschaft ausübt. Aber vor dieser Frage und sämtlichen differenzierten theologischen Antworten steht das Bekenntnis der Kirche zu seiner Herrschaft und die Anbetung des Namens, der über alle Namen ist (Phil. 2, 9 ff). Die Kirche bekennt Christus nicht nur als ihren Herrn, sondern auch als den Herrn der Welt. Sie glaubt an den Christus, in dem die neue Schöpfung ins Leben tritt (2. Kor. 5, 17). Diese aber soll die ganze alte, in Sünde und Tod verstrickte Schöpfung ergreifen und in einen neuen Himmel und eine neue Erde verwandeln. Es geht um den universalen, den Kosmos ergreifenden Sieg der göttlichen Gerechtigkeit. Gerechtigkeit aber ist — von der Gnade Gottes ausgesagt — die Schöpfermacht, die neues Leben stiftet. Sie ist identisch mit dem eschatologischen Sieg der Auferstehung. Von der Rechtfertigung des Sünders und des Gottlosen, von der Kirche als der Gemeinschaft der gerechtfertigten Sünder recht reden heißt reden von diesem eschatologischen Siege Christi, der alle widergöttlichen Gewalten niederwirft (1. Kor. 15, 23 ff.). Darum ist er schon jetzt der unbesiegbare Herr aller seiner Feinde, der Herr auch derer, die ihn nicht anbeten und nicht im Glauben erkennen.

Von einer anderen Seite her ausgedrückt: Die Versöhnung am Kreuz bringt nicht nur Gott und den einzelnen Menschen, sondern Gott und die Welt zusammen und stiftet einen kosmischen Frieden, der das All ergreift, in dem das All der Schöpfung von der Gegenherrschaft der göttlichen Verderbensmächte befreit ist (Kol. 1, 20; 2, 15).

Es ist wichtig die Antithesen zu bedenken, in denen im Neuen Testament der Glaube an die Weltherrschaft Christi bezeugt wird: Gegen die Astralmächte und die „Grundelemente” des Kosmos, von denen sich der spätantike Mensch abhängig weiß (vgl. den Kol.-Brief), gegen den angeblichen Zwang des unentrinnbaren Schicksals, gegen die Vergöttlichung der irdischen Herrscher im Kaiserkult, gegen die Heilandsgötter, welche die wiederkehrende Lebensmacht der Natur verkörpern und als

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Lebensspender verehrt werden. Zusammenfassend können wir sagen: Die Herrschaft Christi wird bekannt gegen alle Mächte und Gewalten, Throne und Herrschaften, kosmischer wie gesellschafts-politischer Art, die sich zwischen den Menschen und Gott gleichsam eingeschoben haben, um ihn von Gott zu trennen und ihre Herrschaft über den Menschen auszuüben. In der Verehrung dieser Mächte ist der Mensch der Welt verfallen und dem Tode ausgeliefert. Im Bekenntnis der Herrschaft Christi ist der Mensch der von den Weltmächten Befreite, dem das ewige Leben des Reiches Gottes zuteil wird.

Von diesen Antithesen her wird es besonders deutlich, daß es in unseren Tagen um nichts anderes geht als darum, die Herrschaft Christi von neuem anzubeten und zu bekennen angesichts der Mächte und Gewalten, die uns heute in Bann schlagen und zu ihren Sklaven machen. Wir stehen vor der großen Aufgabe, das Zeugnis des Neuen Testaments von den „Mächten und Gewalten” neu und konkret zu verstehen: Sie sind auch heute real als Bedrohung des Menschen und Anfechtung des Christen, vor allem in der Gestalt pervertierter und ideologisch erhöhter Strukturen und Systeme von Staat und Gesellschaft. Es geht heute wie in der apostolischen Kirche damit um die eschatologische Freiheit der Kirche und des Christen von der Welt, die diesen das Sein für die Welt erst gründet und möglich macht.

Von der Welt-Herrschaft Christi sprechen, schließt aber in sich, daß wir die Einheit der Schöpfung und Erlösung wahrnehmen. Der Schöpfer ist der eschatologische Sieger und Neuschöpfer, und umgekehrt.

Die neutestamentliche Christologie stellt uns daher Christus als den vors Auge, in dem der Kosmos seinen Bestand hat und gründet, als den, der A und O ist, durch den alles geschaffen ist (Kol. 1, 15 ff.; Joh. 1, 1 f.). Die Macht und Herrlichkeit Christi umgreift den Kosmos vom Anfang und Ende her. In Kreuz und Auferstehung aber tritt diese Macht in die Geschichte der sündigen Menschheit ein. Das Herz des Kosmos wird in der Person des Menschen von Christus getroffen und mit Gott versöhnt. Damit fängt eine neue Art von Weltgeschichte an, die Geschichte Christi unter den Menschen und den Völkern, inmitten der Institutionen der Gesellschaft,

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unter denen sie als irdische Menschen leben, in der Ehe, in der Ordnung der Arbeit, unter politischer Gewalt usf. Inkarnation, Kreuz und Auferstehung führen Christus und damit die Kirche in dieWelt ein; er wird allen Völkern verkündigt, in der ganzen Welt wird auf seinen Namen getauft; die „Heiden” bekennen seinen Namen als den Namen, in dem allein Heil ist und verwerfen alle anderen, angeblich heilbringenden Namen, an die sie bisher geglaubt haben. Diese Verkündigung ist offen für die ganze Welt und zeugt eine Gemeinde, die durch alle Rassen, Staaten und Gesellschaftssysteme hindurch eine neue, einheitliche eschatologische Wirklichkeit ist, der „Leib Christi”. Dieser Leib Christi ist weit mehr als das, was wir heute gewöhnlich unter „Kirche” verstehen. Er ist neue Welt, neuer Kosmos, neue Menschheit, neue Wirklichkeit der mit Gott versöhnten und wiedervereinigten Kreatur, wenngleich dies alles im verborgenen Anfange, nicht begriffen von der ungläubigen „Welt”.

In dieser Kirche geht es also um den Menschen, um die Schöpfung, und darum ist sie keine religiöse Sondersphäre, kein selbstgenügsamer frommer Konventikel — die Herrschaft Christi über die Kirche macht das unmöglich; denn er ist der in der Welt für die Welt geopferte Christus, und mit allem, was er ist und tut, gehört er der Welt. Die Kirche kann nicht Christus für sich zurückbehalten — doch ihr Verhalten und Denken macht freilich oft den Eindruck, als ob ihr nichts mehr am Herzen läge als gerade dies! Dann aber kommt Christus gerade von der Seite der Welt her auf sie zu, dann bedient er sich der „Weltmenschen”, um die fromme Verschlossenheit der Kirche aufzubrechen. Das ist ein Wahrheitsmoment in dem „religiösen Sozialismus" des jüngeren Blumhardt und von Ragaz, als sie das weltliche Wirken Christi im Sozialismus und in der Frage des Proletariats nach der „neuen Gesellschaft" zu erkennen versuchten, jenseits der Grenzen der Kirche, unter deren Abgeschlossenheit von der Welt sie gelitten haben.

Einige Abgrenzungen werden hier nötig. Das zuletzt Gesagte ist nicht im Sinne eines „Chiliasmus” zu verstehen, der weltliche, politische oder soziale Bewegungen an die Stelle der Kirche setzt und sie als die alleinigen geschichtlichen Träger der Gottesherrschaft glorifiziert. Die zu erneuernde Erkenntnis

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der „Mächte und Gewalten” dieses Äons kann uns gegen diese Illusion schützen. Aber wir werden auch den ständigen Widerstreit der Kirche — im Kleinglauben, im Ungehorsam, in der Unkenntnis der Zeichen der Zeit, im Mangel an Liebe und Offenheit für den ihr zugewiesenen, gegenwärtigen Nächsten und Mitmenschen — gegen die Herrschaft Christi zu erkennen haben. So einfach liegen die Dinge doch nicht, als ob die Kirche im Namen Christi gegen die Welt stünde. Man kann nicht vom Antagonismus „Kirche-Welt” sprechen, ohne zu sehen, daß die Kirche immer selbst in der Versuchung ist, Welt zu sein, vielleicht von der Welt sich absondernde fromme Welt, und doch gerade deswegen Welt, die sich der Herrschaft Christi nicht beugen will — und im Leben jedes einzelnen Christen geht es genauso zu. Von der Herrschaft Christi aus gesehen, erkennen wir Welt in der Kirche. Die Aussonderung und Erwählung der Kirche aus der Welt (Joh. 15, 16 ff.) ist damit nicht aufgehoben. Die wirksame Gegenwart Christi in der Kirche, in der Taufe, im Sakrament des Altars ist damit nicht ausgelöscht. Aber der Widerstreit der Christen gegen diese wirksame, lebendige Herrschaft Christi in seiner Kirche ist damit aufgedeckt. Und damit wird die Selbstverklärung der Kirche, ihre Selbsterhebung über die Welt verhindert. Das ist z.B. deswegen wichtig, weil die moderne Gesellschaft seit ihren Anfängen mit einem antiklerikalen Affekt behaftet ist, der keinesfalls nur als Schuld der Welt und ihres Unglaubens verbucht werden kann. Überall in der modernen Welt stoßen wir auf die Nachwirkungen dieses Affekts und damit auch auf die vergangene, nicht vergessene Schuld der Kirche!

Die Rede von der wirklichen, gegenwärtigen Herrschaft Christi über die Welt schließt es ferner aus, daß wir es jetzt nur mit einer „potentiellen” Herrschaft Christi, lediglich mit seiner Anwartschaft auf die Weltherrschaft zu tun hätten. Dem auferstandenen Herrn ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden (Mt. 28, 19), und nur deswegen ist die Jüngerschaft zu allen Völkern entsandt, um zu verkündigen und zu taufen. Es ist die unbegrenzte, volle, reale Herrschaft im Namen und der Macht Gottes, die er jetzt schon ausübt. Es ist freilich das Geheimnis Gottes, daß jetzt noch seine Feinde zugelassen sind, jetzt noch seine Herrschaft den „Gegen”-Charakter einer um

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den Sieg kämpfenden Herrschaft trägt. Das ist der die Welt seit der Inkarnation erfüllende Antagonismus „Reich Christi-Reich der Welt”. Wir können diesen nicht vorzeitig aufheben — auch als Kirche nicht! Aber deswegen können wir nicht von der Macht und Herrlichkeit Christi ein Quantum abziehen; das Verhältnis der gegenwärtigen Herrschaft Christi zu seinem zukünftigen Siege über seine Feinde kann nicht quantitativ als ein Mehr oder Weniger bestimmt werden. Der Dualismus der beiden Reiche ist ein transitorischer, durch das „Ende” begrenzter. Man darf nicht die Feststellung des Gegensatzes der beiden Reiche dazu benutzen, um die Aussage des Neuen Testaments über die Weltherrschaft Christi hier und jetzt abzuschwächen. Das Neue Testament kennt solche Abschwächungen nicht. Es hält vielmehr die Paradoxie einer Herrschaft, die noch nicht zum Siege in Gestalt der neuen Weltform gelangt ist, „in welcher Gerechtigkeit wohnet” (vgl. 2.Petr. 3, 13), durch.

Das soeben Gesagte zeigt aber auch — denn wir waren genötigt, vom Jetzt und der Gegenwart der Christusherrschaft zu sprechen —, daß es auf keinen Fall ausreicht, von den „Räumen” und Bereichen der Christusherrschaft zu sprechen (Kirche und Welt, Kosmos und Menschen weit), sondern daß diese Aussagen im Bild des Raumes zeithaft-geschichtlich gefaßt und durchdrungen werden müssen. Von der Christusherrschaft sprechen, heißt von Zeiten der Welt, Zeiten des geschichtlichen Seins, Zeiten des Menschen und nicht zuletzt von der Zeit der Kirche reden, z.B. von der Weltzeit „außerhalb” und vor Christus, die „noch” überall regiert, sofern wir vor dem Tage des Weltgerichtes leben und sofern in „dieser” Welt (das ist ein Zeitbegriff!) Sünde, Tod und Teufel „herrschen”, die doch zugleich schon durch Tod, Auferstehung und Erhöhung des Herrn entmächtigt und außer Kraft gesetzt worden sind. So ist die Christuszeit in die Weltzeit eingedrungen und bricht diese auf; das Reich Gottes ist in Christus unter den Menschen erschienen; der Kairos, der Tag des Heils hat begonnen zu leuchten. In dieser Christuszeit oder unter der neuen Herrschaft der Gnade, des Heils, lebt die Kirche als der Leib und die Gemeinde dieses Herrn, als das durch Christus begründete, gesammelte, erleuchtete, mit ihm vereinigte

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wahre Gottesvolk der „Endzeit”, das der vollkommenen Erlösung und Überwindung von Welt und Sünde entgegengeht, im Vollzuge des Glaubens und des Gehorsams. So hat die Kirche zugleich Zeit und Ort mit der Welt, lebt Weltzeit und ist zugleich als Geschichte des regnum gratiae (Reich der Gnade) ganz in der Christuszeit geborgen und geht auf die Vollendung des Gottesreiches zu. So ist Kirche Anbeginn der „letzten” Zeit aus der Kraft der gegenwärtigen Anteilhabe am ewigen Leben durch die Vergebung der Sünden, d.h. in der Kraft der kommenden, schon vorlaufenden Vollendungs- und Erfüllungszeit, da Gott alles in allem sein wird, und alle seine Feinde niedergeworfen sein werden (Kor. 15, 24 ff.).

Die Zeit der Welt und die Zeit der Kirche sind also geheimnisvollerweise „gleichzeitig" bis zum Weltgericht, und doch ist Christus „schon jetzt" der göttliche Herr der Welt, nicht nur der Kirche, samt allen ihren Mächten und Gewalten. Ein Herr, eine Herrschaft in zwei Zeiten und zwei Reichen! Aber diese Zweiheit ist zeitlich, sie geht vorüber; denn die Gestalt dieser Welt schwindet dahin (1. Kor. 7, 31; 1. Joh. 2, 17). Daher muß auch die Vorläufigkeit unserer Gedankenbildung gesehen werden, wenn wir von zwei Wegen der Christusherrschaft sprechen, seinem Weltregiment und der Erlösung, aus der seine Herrschaft über die Kirche hervorgeht. Eine Herrschaft, die erlösende, ist das Ende der Welt und der Kirche.

Die „in” der Weltzeit jetzt noch kämpfende Herrschaft Christi wird siegen, und die Gemeinde des Herrn ist berufen, durch die Teilhaberschaft an seinem Siege mit ihm zu überwinden (so die Sendschreiben der Offb. Joh.). Im vollendeten Gottesreiche sind das Reich der Herrschaftsgewalt und das Reich der Gnade miteinander vereinigt; regnum gratiae und regnum potentiae sind hier ein und dasselbe; die Reiche der Welt sind zur Königsherrschaft Gottes und seines Christus geworden (Offbg. 11,15).

Es wird nun darauf hingewiesen, daß die Aussagen über die Kosmosherrschaft Christi im Neuen Testament selten seien. Das trifft zu, verglichen mit den zahlreichen Worten über Christus als den Herrn der Gemeinde und des einzelnen Gläubigen. Aber sind nicht auch die Aussagen über die Inkarnation

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genauso selten, ohne daß ein Zweifel obwalten könnte über ihre grundlegende und entscheidende Bedeutung? Außerdem ist es sachgemäß, daß der Blick der neutestamentlichen Zeugen zunächst auf der Heilssendung Christi und ihren Folgen hinsichtlich der Bildung der Gemeinde ruht, auf dem Eindringen der die Herrschaft der Sünde und des Unglaubens stürzenden, den Glauben schaffenden Gnade in diese Weltzeit. Was die Herrschaft Christi als des Erlösers der Welt ist, konnte nur auf diesem Wege begriffen und verkündet werden. Aber alsbald werden auch in der apostolischen Verkündigung nach allen Seiten hin die universalen Konsequenzen daraus gezogen, daß Christus der Sohn des Vaters und der göttliche Kyrios ist, Konsequenzen, die schon in der Erwartung Jesu als des „Menschensohnes”, d.h. des kommenden Weltrichters und Welterlösers, beschlossen lagen, dessen Macht sich nichts im Himmel und auf Erden entziehen kann.

Es wird ferner von lutherischen Theologen warnend darauf hingewiesen, daß die angeblich „monistische” Lehre von der Königsherrschaft Christi dazu führe, den Gegensatz zwischen Glauben und Unglauben, Gnade und Sünde zu relativieren, und daß in einer solchen „christokratischen” Theologie das Kreuz Christi, die Versöhnung des Sünders und die Leidensgestalt der in diesem Äon immer bedrängten Kirche gar nicht mehr zu ihrem Rechte kommen könnten. Aber in Wirklichkeit bedeutet die Verkündigung der Christusherrschaft nicht eine Spekulation aus einem, alle anderen neutestamentlichen Aussagen vergewaltigenden Prinzip, so gewiß die menschliche Schwäche der Theologen dazu führen kann, auch aus der Christusherrschaft ein alle Gegensätze auflösendes, metaphysisches Prinzip zu machen. Die göttliche Herrschaft und Herrlichkeit Christi geht jedoch an den ungeheuerlichen Gegensätzen von Heil und Unheil, Glaube und Unglaube, Gnade und Sünde, göttlicher Macht und Kreuzesleiden nicht zugrunde, weil der Weg, den Gott Christus führt, die göttliche Kraft, mit der Gott ihn ermächtigt, zum Siege und durch den Tod in das Leben führt. Das „Lamm”, das geschlachtet ist, ist der siegreiche Überwinder aller Dämonen und des ganzen Reiches des Antichrist — so sagt die Apokalypse (bes. 5, 9 ff.; 19, 11 ff.). Es ist demnach unsinnig, die Theologie des Kreuzes gegen die Lehre von der

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Königsherrschaft Christi ausspielen zu wollen, und das Umgekehrte wäre selbstverständlich nicht besser. Wir können nicht vom Kreuz als Heil reden, ohne von dem Auferstandenen, dem Erhöhten, dem kommenden Sieger, dem Mittler der Schöpfung zu reden — oder von der Inkarnation ohne Kreuz und vom Kreuz ohne Inkarnation, da uns denn Joh. 1 und Phil. 2, 5 ff. eines Besseren belehren. Eben die Versöhnung am Kreuze führt zur Versöhnung des Alls, zum kosmischen Frieden zwischen Gott und Welt (Kol. 1, 20; Eph. 1, 10). Das Haupt der Kirche ist zugleich das Haupt des Alls; der Erstgeborene vor aller Schöpfung wird zum Auferstandenen und zum Herrn der Kirche gemacht (Kol. 1, 15 ff.).

Von einer solchen Vergegenwärtigung der universalen Reichweite und Bedeutung der Christusherrschaft aus können die Schwächen der traditionellen Fassung der sog. Zwei-Reiche-Lehre überwunden werden, die u. a. in folgenden Punkten zu sehen sind (wobei ausdrücklich zu sagen ist, daß es sich hierbei nicht um Luthers Konzeption, sondern um eine spätere Verengung und Entstellung der Lehre Luthers handelt, die sich vor allem im 19. Jahrhundert herausgebildet hat): Erstens führt die Trennung der beiden Reiche, Gottes und der Welt, zu einer gefährlichen Belastung der Gotteslehre; denn die Einheit des Handelns Gottes droht verlorenzugehen; der Gott, der die Welt regiert, handelt offenbar ganz anders als der Gott, der sich in Jesus Christus offenbart. Diese Aufspaltung führt zweitens zu einer Privatisierung und Spiritualisierung des Glaubens und der Kirche; der Glaube wird in die Innerlichkeit verwiesen, und das Reich Gottes als ein unsichtbares Reich des Geistes verstanden, das in der realen Welt keine Stätte hat, sondern nur in einer geistigen Überwelt existiert. Diese Anschauung konnte auch zur Neutralisierung der Kirche führen, zu ihrer Ausschaltung aus dem Leben von Gesellschaft und Staat, zur Auslieferung ihrer sog. „äußeren Ordnung” an weltliche Mächte, vor allem den Staat, und hat dazu geführt. Hiermit geht drittens eine Freigabe der Welt, der gesellschaftlich-politischen Mächte an diese selbst Hand in Hand; sie werden als Schöpfung des Menschen begriffen, und mit der Herrschaft Gottes in Christus haben sie nicht das mindeste zu tun. Sie leben außerhalb aller ethischen Maßstäbe

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und Bindungen; ihr Leben, ihre Macht sind Selbstzweck und kennen keine Grenzen. Diese Art von pervertierter Weltlichkeit dient der Legitimierung der sog. „Realpolitik” oder der These, daß der Staat allein Macht und nichts sonst sei, oder der Verherrlichung des Blutes, der Rasse, des nackten Bios. Zum mindesten hat die entstellte Zwei-Reiche-Lehre den Weltraum für derartige Ideologien oder auch für die Theorie der „Eigengesetzlichkeit” der Weltsphären freigegeben. Die letzte Folge war endlich die Spaltung des Christen, seines Denkens und Handelns in zwei Personen bzw. zwei Weisen des Handelns: In der „Welt” handelt er weltlich gemäß den „Gesetzen” der Wirtschaft, der Politik usw., im Leben der privaten Frömmigkeit und der persönlichen Intimsphäre gemäß dem Glauben und der Liebe: er ist so der „Bürger zweier Reiche", aber ein zerrissener. Für diese Anschauung vom Christen ist auch die Vereinzelung charakteristisch, in der er gesehen wird. Denn die Gemeinde Christi als die Einheit gemeinsamen Handelns und Liebens in und an der Welt existiert für diese Konzeption nicht; diese Zurückdrängung der Gemeinde aber führt zur Isolierung des einzelnen Christen in der Welt und zu einer Ohnmacht gegenüber den Mächten der Welt.

Die von verschiedensten Seiten heute an dieser Verzerrung der Zwei-Reiche-Lehre geübte theologische Kritik stellt uns vor die Aufgabe, die in ihr liegenden Fragen positiv zu beantworten, indem wir von dem Glauben an die universale Weltherrschaft Christi ausgehen. Zur Lösung dieser Aufgabe sollen hier einige Gesichtspunkte beigetragen werden.

 

II.

Herrschaft und Reich Christi führen einen allumfassenden Kampf um den Menschen, der alle Weiten und Breiten seiner kreatürlichen geschichtlichen Existenz ergreift. Da die deutsche theologische Tradition es mit der Berufung auf die Zwei-Reiche-Lehre immer von neuem abgelehnt hat, und z.T. lutherische Theologen es noch heute ablehnen, aus der Weltherrschaft Christi Folgerungen für das Handeln der Kirche und der Christen in der politischen Welt abzuleiten, ist die

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Neigung, in der gegenwärtigen deutschen theologischen Diskussion, das Bekenntnis der Herrschaft Christi primär und einseitig auf die politische Existenz des Menschen und auf den Staat zu beziehen, begreiflich und als Korrektur notwendig.

Jedoch muß der universale Charakter der Herrschaft Christi über den Kosmos im ganzen neu interpretiert werden, wozu vor allem auch die Ausdehnung der technischen Welt- und Weltraumbewältigung durch den homo technicus, den homo faber alle Veranlassung gibt. Wir können also die Wirklichkeit der kosmischen Herrschaft Christi nicht bloß auf geschichtlich-politische Subjekte oder gesellschaftliche Gebilde beziehen. Auch die Leiblichkeit des Menschen, die neu entdeckten Tiefen und Mächte des Unbewußten gehören in den „Raum” der Herrschaft Christi hinein. Unter dieser und durch sie werden alle Möglichkeiten des Menschen neu entbunden, und vollzieht sich die wahre Menschwerdung des Menschen, nämlich die „neue Schöpfung”, die nicht einen Unmenschen, nicht einen Übermenschen, nicht einen Menschgott, sondern den wahren und wirklichen, den freien und heiligen Menschen schafft. Christus ist nach neutestamentlichem Zeugnis der „neue Adam”, der Lebensschöpfer durch den Geist Gottes, der in ihm ist, d.h. der Mensch der „Endzeit”, durch welchen eine mit Gott versöhnte und von den Verderbensmächten befreite Menschheit ihren Weg beginnt (1. Kor. 15, 45 ff.). Dies ereignet sich inmitten dieser Welt und ihrer Geschichte, inmitten der menschlichen Gesellschaft. In diesem Sinne ist „Diesseitigkeit” der Herrschaft Christi zu eigen: Sie kann weder in einen von der Welt geschiedenen Raum, ein Jenseits, noch in eine Zukunft „nach dem Tode" verbannt werden. Diese räumliche und diese zeitliche Fehlinterpretation der Lehre von den zwei Reichen sind mit der Lehre von der Herrschaft Christi unvereinbar. Solch ein christlicher Piatonismus darf auch nicht in die Theologie und Soziallehre Luthers eingetragen werden. Wir fragen nunmehr

1. was sich hieraus für das Verhältnis der Kirche zur „Welt” ergibt? Zunächst dies, daß überhaupt erst die geschichtliche Diesseitigkeit des Reiches Christi und die Verkündigung dieses Reiches die Scheidung der beiden „Reiche" möglich macht. Wir wiederholen das oft Gesagte: Christus macht die Welt weltlich

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und den Menschen menschlich. Er vollbringt die Entgötterung und Entdämonisierung der Welt. Die Götter des Blutes und des Geschlechtes, der Macht und des Besitzes, der Sippe und des Staates müssen vor ihm vergehen. Er deckt uns die Welt als Schöpfung des einen Schöpfers und Herrn aller Kreaturen auf. Er enthüllt die Macht der Sünde, des „Fleisches”, des Todes, indem er uns ihr entreißt. Indem er an dieser Welt stirbt, wir der ihr Bezwinger und Befreier. So hat die Apok. Joh. Christus erkannt und bezeugt: Dem „Lamm”, das „geschlachtet” ist, ist die Macht des Weltenrichters, des eschatologischen Siegers über die Feinde Gottes verliehen (5, 1 ff.).

In solchen Sätzen darf „Welt” nicht bloß als eine Summe von Einzelpersonen verstanden werden, die durch Christus erlöst werden. Die Herrschaft Christi trifft vielmehr die Welt als kosmische Einheit des Geschaffenen. In dieser Hinsicht hat unsere Theologie die „mythologischen” Bilder des Neuen Testaments überhaupt noch nicht ausgeschöpft, welche davon reden, wie alle Kreaturen in allen Gliederungen des Kosmos Christus die Ehre geben. Sodann trifft die Herrschaft Christi die geschichtlich-gesellschaftliche Welt des Menschen. Dies soll in dem unten über die Institutionen Gesagten verdeutlicht werden.

Weil Christus Herr der Welt ist und sein wird, deshalb hat die heutige Parole „Kirche für die Welt” Wahrheit und Gültigkeit. Nicht deshalb, weil die Kirche über irgendeine religiöse oder sittliche Eigenmacht verfügte, die Welt zu verchristlichen oder zu humanisieren und so allmählich in ein Reich allgemeinen, friedlichen Wohlstandes und Wohlbehagens zu verwandeln. Aber Christus selbst verweist seine Gemeinde an die Welt. Kirche ist Kirche im Dienst und Opfer für die Welt, so gewiß sie selbst ja nur aus dem Opfer Christi für die Welt lebt und leben kann. Wenn sie wirklich an den Gekreuzigten glaubt, so ist sie für die Welt da. Darum ist von der Welt-Diakonie der Kirche zu sprechen, in allen Bereichen der Welt, den politischen nicht ausgenommen, oder wir trennen uns von Christus, dem Urdiakon der Welt, der den Seinigen das Ur- und Grundgesetz der dienenden Liebe eingestiftet hat (Mk. 10, 42 ff.). Die Gegenwart des Christusopfers in der

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Kirche für die Welt bedeutet die Einheit von Liturgie und Diakonie, von sakramentalem Leben und Ethos im Sinne eines Christus gehorsamen Dienens. (Der eigentümlichen, immer aktuellen Versuchung der geschichtlichen Kirche, diese ihr eingestifteten Ur-Ämter oder Vollmachten ständig auseinanderzuzerren und damit beide zu pervertieren, müßte an einem anderen Orte gründlich nachgegangen werden.)

Diese Welt-Diakonie bedarf der ständigen Offenheit der Kirche für die Welt — wie sollten sonst Mission und Diakonie möglich sein? In der Welt muß verkündigt und gedient werden; um die Welt kämpft Christi Liebe.

Darüber vergessen wir nicht, daß die aus der Welt der Sünder erwählte und durch den Geist erleuchtete Kirche die gleichnishafte Gegenform der Welt, insbesondere der menschlichen Gesellschaft, ist und bleibt, in der Kraft der aus Christus fließenden Gnade und Gnadengaben. Denn als sakramentale Gemeinschaft — ein Leib durch die Teilhabe an Christus (1. Kor. 10, 16 f.) — und als Trägerin der priesterlichen und missionarischen Vollmacht ist die Kirche „Gleichnis” des Reiches Gottes auf Erden; Gleichnis nicht im Sinne eines fixierten und in sich geschlossenen „Abbildes”, sondern im Sinne einer geschehenden und handelnden, eschatologisch-gegenwärtigen Wirklichkeit. Daß die Kirche, der Leib Christi, diese Gegenform zur Welt ist, das macht sie erst heilsam für die Welt und ihren Dienst fruchtbar und lebensspendend, das gibt ihr Unersetzlichkeit und Unzerstörbarkeit in dieser Welt (auch das Totenreich wird sie nicht überwältigen, Mt. 16, 18) — unersetzbar durch den Staat, durch gesellschaftliche Ordnungssysteme, die sich heute mit Heilscharakter umkleiden möchten, was doch nur zeigt, wie notwendig die Gemeinschaft am Heile für die Welt ist, und wie verzweifelt die Welt darüber ist, daß diese Kirche so wenig Kirche ist. Die heutigen Pervertierungen der Weltlichkeit (Säkularismus oder wie immer genannt) und weltlichen „Heils”-Botschaften oder Weltheilungssysteme scheinen uns u.a. auch eine Wurzel in dieser furchtbaren Enttäuschung der „Welt” an der Kirche zu haben. Denn „Gegenform” in einem ernst zu nehmenden Sinne ist die Kirche in bezug auf die menschliche Gesellschaft doch nur als eine Bruderschaft, die mit Liebe zu dienen weiß. Kein Zweifel, daß die Kirche nicht

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bloß eine Gemeinschaft ethischen Handelns oder gar eine Wohlfahrtsinstitution ist, und daß das sakramentale Leben der Kirche nicht nur unter dem Gesichtswinkel seiner „Umsetzung” in Taten der Liebe beurteilt werden kann. Aber der Gottesdienst, der nicht zum Menschen-Dienst wird, entartet, weil er die empfangene Gnade gleichsam in sich zurückhält, anstatt sie in Gestalt der vergebenden und der dienenden Liebe den Menschen in der Welt weiterzugeben und mitzuteilen. Der Terminus „Gegenform” darf also nicht so verstanden werden, als ob die Kirche von der doppelten Solidarität mit der Welt in der Menschlichkeit und in der Agape entbunden werden könnte. Wohl aber bezeichnet dieser Ausdruck ihren Charakter und ihre Sendung als Stiftung und Werk des dreieinigen Gottes zur Verwirklichung des Heils in einer durch Christus mit Gott und den Brüdern versöhnten und vereinigten Menschheit. Der Begriff der „Gegenform” ist das Widerspiel zu der Aussage „Kirche für die Welt”. Die Wirklichkeit der Kirche umschließt beides. Denn sie ist neue Schöpfung, „Anfang” der Herrschaft Christi, wenngleich verborgen unter dem Kreuz, und eben damit rechtes Mensch-Sein in der Welt. Ohne den Widerstreit gegen „Welt” im Sinne der Entartung und dämonischen Ent-ordnung des Menschen, der Gesellschaft und des Staates kann das rechte „Sein” in der Welt nicht gebildet werden. Andererseits kann „Gegenform” nicht bedeuten, daß die Kirche nur aus dem Verneinen der „bösen” Welt lebte (faktisch erweckt sie freilich oft diesen Eindruck). Sie lebt vielmehr aus dem göttlichen Ja zur Welt, das über die gegenwärtige Welt und Kirche hinausführt.

2. Wir fragen nun weiter: Was ergibt sich aus dem Eintritt des Reiches Christi in die Welt für die gesellschaftlichen Institutionen, in welche die Menschheit immer schon verfaßt ist und lebt, wenn an irgendeinem Orte und zu irgendeiner Zeit die Botschaft von Christus sie trifft?

a) Die Gesellschaft und die Institutionen sind geschichtlich. Zu ihrem geschichtlichen Werden und Wesen gehört ihre Wandelbarkeit, gehört die Tatsache, daß Menschen zu ihren Verwaltern und verantwortlichen Trägern eingesetzt sind, gehört drittens ihre geschichtliche Pluralität und Unübersehbarkeit (so hat z.B. die industrielle, technisierte Gesellschaft eine vorher

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unausdenkbare Fülle von sozialen Gebilden geschaffen, die frühere Gesellschaftssysteme nicht gekannt haben). Diese Sätze besagen jedoch nicht, daß „der Mensch" oder „die Gesellschaft” die Schöpfer ihrer Welt und der Institutionen seien. Sie sind vielmehr Träger und Gestalter göttlicher Stiftungen und Aufträge — so im Staate, in der Ehe, in der Ordnung der irdischen Arbeit, welche Gott dem Menschen verfügt und gegeben hat, damit er als Glied der menschlichen Gemeinschaft zu leben vermöge. Aber eben dieses Stiften und Regieren Gottes ist geschichtliches Handeln in der Eröffnung einer unüberschaubaren Fülle geschichtlicher Wirklichkeiten und Möglichkeiten.

Die Offenheit für die geschichtliche Pluralität der Welt hat bedeutsame Konsequenzen, sowohl für das Verhältnis der christlichen Theologie zu den Wissenschaften und Künsten als auch zu der gesellschaftlich-politischen Welt und ihrer Institutionen. Eine ontologisch oder naturrechtlich begründete Konzeption von einer immer und ewig bestehenden oder doch wenigstens in der Grundanlage festen Ur-Ordnung der menschlichen Gesellschaft ist dann nicht mehr möglich. Nur eine relative Sozialkonzeption bleibt übrig. Es können auch nicht einzelne Gesellschaftsmächte ins Absolute erhoben und ideologisch in dieser Stellung legitimiert werden. Ein schlechthin alles beherrschender Staat ist ausgeschlossen. Ebensowenig können andere Institutionen sich absolut und total machen, um auf diese Weise die ganze Gesellschaft in sich hineinzuschlingen. Man könnte von einer Unverfügbarkeit der Institutionen in ihrem Verhältnis zueinander sprechen. Die positive Kehrseite dieses Tatbestandes ist das Verhältnis des gegenseitigen Dienstes. So hat die christliche Soziallehre den faktischen Pluralismus der heutigen Gesellschaft als Aufgabe und Verantwortung zu verstehen.

Mit diesen Sätzen ist also keineswegs der ordnungslosen Dynamik das Wort geredet oder das menschliche Handeln dem reinen Aktualismus, etwa unter bloßen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten, preisgegeben worden.

b) Die Kirche Christi ist die Grenze der gesellschaftlichen Institutionen. Sie macht die letzteren „weltlich”. Dies ist wieder nicht in dem Sinne einer äußerlich-räumlichen Begrenzung

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und Unterscheidung gemeint. Denn die Kirche ist ja innerhalb der Institutionen, z. B. einer staatlichen Rechtsordnung, vorhanden und anwesend. Die Christen sind zusammen mit Nichtchristen aller Arten und Farben verantwortliche Verwalter, Mitträger und Gestalter der weltlichen Sozialgefüge. Wohl aber bedeutet die scheidende und begrenzende Wirkung Christi und seiner Kirche — in der Folge des Herrnwortes „Gebet dem Cäsar, was des Cäsars ist, aber Gott, was Gottes ist!” (Mk. 12, 17) — eine umfassende Ernüchterung, und hat die christliche Absage an alle autonome, in sich selbst ruhende Metaphysik des Staates, der Gesellschaft usw. hervorgerufen. Andererseits nimmt die Kirche die gesellschaftliche Welt nicht nur als vorgegebene geschichtliche Realität an, sondern macht die Christen frei zum tätigen Dienst in den Institutionen, zur wirtschaftlichen Arbeit, zur Wahrnehmung der politisch-bürgerlichen Pflichten. Sie geht also durch diese Christen selbst, als weltliche Christenheit, in den Raum hinein, in welchem jene sozialen Gebilde aus- und fortgebildet und durch eine Fülle personaler Akte teils bestätigt, teils ständig verändert werden. Dieselbe Kirche also, welche durch die göttliche Heilsstiftung und -Verwirklichung eine mit allen anderen Sozialgebilden unvergleichbare Gegenform zur institutionellen Welt darstellt, deren eigenes Recht daher auf den Grundpfeilern des ius divinum beruht, wirkt auf die soziale Welt der Institutionen nicht bloß negativ-begrenzend ein (etwa in der Abwehr falscher Allmachtsansprüche von Staaten oder Klassen), sondern zugleich äußerst positiv. Denn die Kirche und ihre Glieder erkennen, erleuchtet durch den Hl. Geist, im Glauben das Gottes-Recht anderer Institutionen, wie der Ehe und der politischen Ordnung, und bestätigen dieses fortgesetzt durch ihre Verkündigung und ihren praktischen Dienst innerhalb der Welt. Freilich muß dieser Letztere ständig in der Form jener „innerweltlichen Askese” geschehen, die schon durch die neutestamentlichen Schriften begründet worden ist: Die Wachsamkeit gegenüber den „Mächten" des Blutes, des Geschlechtes, der politischen Gewalt, des Erwerbens und Besitzens muß es verhindern, daß die Christen sich diesen Mächten ausliefern, um dadurch von neuem der Welt zu verfallen. Die sog. „Entweltlichung” wird also in der Welt der Institutionen, im

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praktischen Weltdienst der Christen, in ihrem wirtschaftlichen Handeln exerziert. So ist seit den diesbezüglichen Mahnungen des Apostels Paulus an die Thessalonicher, zu arbeiten (1. Thess. 4, 11 f.; 2. Thess. 3, 10 ff.), gerade die irdische existenzerhaltende Arbeit und der Werktag zu einem Hauptmittel der „disciplina” des Christen gemacht worden, und sowohl die lutherische wie die puritanische Ethik haben auf diesem Felde, so verschieden auch ihre Motivationen waren, Unvergängliches geleistet. Aber in unserer heutigen wirtschaftlichen und sozialen Welt ist dieselbe Aufgabe noch so gut wie völlig ungelöst, weil wir die institutionelle Existenz des heutigen Menschen theologisch noch nicht erfaßt haben, und die Prediger großenteils vor dieser die Augen verschließen, was weder ihre lutherischen noch ihre calvinischen Vorväter verstanden, geschweige denn gebilligt hätten! Daher die Aufgabe, heute vorzüglich diesen Realitäten menschlicher Wirklichkeit in den Institutionen ins Gesicht zu sehen und für diese Welt die Frage nach der praktischen Anerkennung der Herrschaft Christi zu stellen.

c) Wenn Christus und die Kirche Christi in die soziale Welt eintreten, so verändern sie die Institutionen, die Ehe, den Staat, die Rechtsordnung und das Rechtsdenken. Erstens dadurch, daß die Institutionen gleichsam ihr metaphysisches Schwergewicht verlieren. Sie können ja nicht mehr die letzte alles umschließende Wirklichkeit und Macht sein. Ein neuer Begriff der Person, dies ist das Zweite, wirkt auf die sozialen Ordnungen ein, und er verändert das Verhältnis des Menschen zu ihnen ganz wesentlich. Denn ist der Mensch in Christus zum Sohne Gottes und Erben der ewigen Güter erhoben und adoptiert, so hat er eine eschatologische Existenz, die nicht in der Welt der gesellschaftlichen Gefüge aufgeht. Er kann von dieser Welt aus niemals völlig begriffen und definiert werden, weil er ins Gottesvolk berufen und eingestiftet ist. Wenn die Kirche Eheleute vor ihrem Altare segnet und ihr Wort und Segen diese Gottesstiftung Ehe bestätigt und erleuchtet, so muß zwar nicht — denn der Staat kann Widerstand leisten —, aber es kann hieraus, wie in der abendländischen Welt — ein neues Eherecht, ein neuer Begriff der Familie als Institution erstehen. Wenn die Kirche dem Staate

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gegenübertritt, auf das ius divinum gegründet, das ihre Verkündigung, ihre Sakramente und ihr geistliches Amt trägt, so verändert diese Tatsache in jedem Falle den Staat, auch denjenigen, der nun eine antichristliche Frontstellung bezieht, oder es entstehen Rechtsgefüge wie z.B. ein Staatskirchenrecht, das in irgendeiner Form dem Faktum Rechnung trägt, daß die Kirche in diesem Staate da ist und Millionen von Staatsbürgern sich zu ihr bekennen. Auf diese Weise, in der geschichtlichen Begegnung der Kirche mit Institutionen von sehr verschiedenem weltlichen Ausmaß und Mächtigkeit, bilden sich neuartige christlich-weltliche Ordnungsformen, Rechtsvorstellungen, sozialethische Regeln für Familien und „Stände” und andere soziale Einheiten. Diese können gewiß weder mit der Kirche qua Leib Christi oder Volk Gottes gleichgesetzt, auch nicht direkt als Wirkungen der Weltherrschaft Christi bezeichnet werden, und doch sind sie indirekte geschichtliche, weltliche Folgen der Inkarnation, der geschichtlichen Sendung Christi, seiner Erhöhung zur göttlichen Herrschaft und der geschichtlichen Stiftung der Kirche. Diese „christlich-weltlichen” Sozialordnungen bekehren keinen Menschen zum Christusglauben — diese wirkt der Hl. Geist durch die Verkündigung des Evangeliums —, aber sie schließen Menschen auf durch die ethischen und rechtlichen Wirkungen der christlichen Botschaft, durch „christliche Erziehung”, ein Geschäft mit sehr vielen höchst begrenzten Mitteln, das doch zur Gelegenheit der Segenswirkung Christi werden kann, trotz seiner zweifelhaften Weltlichkeit und der Sündhaftigkeit der christlichen Lehrer und Erzieher. Selbst von einer verfolgten und bedrängten oder doch in den Innenraum des Kultus eingeschlossenen Kirche können, wie das heutige Rußland zeigt, solche Wirkungen ausgehen, z.B. von der einfachen Tatsache, daß diese Kirche tauft und viele diese Taufe für ihre Kinder begehren.

d) Dies bedeutet nun nicht eine neue Theorie vom christlichen Staat, von christlicher Nation oder Gesellschaft! Deshalb nicht, weil die Herrschaft Christi allenthalben in der menschlichen Welt mit den Kräften der Pervertierung ringt, aus welchen die von P. Tillich sog. „Strukturen der Destruktion” hervorgehen, die zu Gefügen und Traditionen verfestigten „Mächte

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und Gewalten”, von denen die Apostel und urchristlichen Propheten in ihren Bildern und Visionen gesprochen haben, wenn sie die Propheten und Priester des Antichrists zu Feld ziehen sahen gegen Reich und Herrschaft Christi. Auf dem Boden der weltlich gewordenen Gesellschaft und Kultur wirken sich diese Mächte in neuen, geschichtlichen Formen aus. Denn an die Stelle des alten Mythos und der frommen Verehrung der kosmischen Mächte, der „Weltelemente”, von denen der Kolosserbrief spricht, sind nun rationale Entwürfe von politischen und gesellschaftlichen Ordnungen getreten, nach denen der Mensch selbst die endgültige Heilung und Befreiung seiner selbst und der ganzen Menschheit vollbringt. Oft genug wird nun dieser Selbstheilungsanspruch in der modernen Gesellschaft anti-christlich gewendet; wird er folgerichtig gedacht, so muß er diese Gestalt annehmen. Schon Rousseau hatte, als er seine „religion civile” entwarf, es ausgesprochen, daß die christliche Ethik mit seinem Bilde von Staat und Gesellschaft im Grunde unvereinbar sei, obwohl auch er sich genötigt sah — wie sehr viele seiner „totalitär” denkenden Nachfolger — Anleihen bei dem verhaßten Christentum aufzunehmen. Denn der vorchristliche politische Mythos konnte trotz aller Anstrengungen nicht wieder heraufgebracht werden, und der Aberglaube an die Wissenschaft und die souveräne Macht des die Gesellschaft neu konstruierenden Verstandes genügte doch offenbar nicht zur Herstellung einer umfassenden Ideologie, die ja immer in irgendeiner Form, wie K. Marx es am klarsten formuliert hat, glauben muß, das „Rätsel der Geschichte” der Menschheit und ihres Zieles gelöst zu haben.

Wichtig ist hier zu sehen, daß jede rein individualethische Betrachtung, die nur vom Abfall vom Glauben oder vom Empörertum des einzelnen spricht, an diesem Punkte versagen muß. Denn hier handelt es sich um eine über die einzelnen weit hinausgreifende Entstellung und Verderbnis der Strukturen, der Baugesetze und Bau-Ordnungen der gesellschaftlichen Welt. Darum müssen denn auch die edelsten und kräftigsten moralischen Appelle an den einzelnen in dieser Sache ohne Wirkung bleiben, weil dieser in Gefüge und Strukturen eingefangen ist, die sein Verhalten und das seiner Gruppe vielleicht schon seit Generationen bestimmen.

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In der „weltlichen” Welt gibt es also neue Möglichkeiten der Dämonisierung, in Gestalt neuer Formen des Verfallenseins an die Welt, und zwar nicht nur als Bewußtsein und als individuelles Verhalten, sondern in der Form eines den gesellschaftlichen Formen und Institutionen immanenten Säkularismus, der durch seine Macht die Menschen beherrscht und prägt, jenseits ihres Willens und Bewußtseins. Wir vergessen nicht die ideologischen Ausformungen der Weltlichkeit in der modernen Gesellschaft; doch eine Kirche, die nur diese letzteren sehen würde, unterschätzte die gleichsam lautlos wirkende Macht der vorgegebenen Formen, in die der Mensch der heutigen Welt einbezogen wird. Ihre Haupt-Typen sind die Massen-Organisation und das System der Arbeit im modernen Industriebetrieb. Dies soll nicht heißen, daß diese technisch-rationalen Formen als solche Strukturen der Destruktion seien, aber sie geben Möglichkeiten zur Pervertierung des sozialen Lebens, zumal dann, wenn sich eine Ideologie wie der Nationalsozialismus oder der Kommunismus ihrer bedient und mit ihrer Hilfe den Menschen total abhängig macht.

Man wird die sekundären Institutionen der technisierten Gesellschaft wie den Industriebetrieb, die Massenorganisation oder auch die Apparaturen der Bürokratie deutlich unterscheiden müssen von den Stiftungen Gottes zur Bewahrung der menschlichen Gesellschaft auf das Ende und Ziel seines Handelns hin, wie die Ehe, die politische Ordnung oder die von Gott dem Menschen verliehene „Sachherrschaft" und Verwalterschaft über die Güter der Erde. Aber man darf die sekundären Formen von diesen fundamentalen Institutionen auch nicht einfach trennen; denn die ersteren sind es, die den heutigen Staat organisieren (Partei und Bürokratie), und wie sie die Strukturen der Ehe und Familie ergriffen und umgeformt haben, hat die neuere soziologische Familienforschung eindringlich an der Schrumpfung, der Isolierung und der Desintegration der Familie gezeigt.

e) Nur wenn wir die widerstreitenden Bewegungen sehen: Erstens die geschichtliche Einwirkung des Reiches Christi auf die Welt der vorgegebenen sozialen Institutionen und ihre Veränderung, zweitens die entgegengesetzte Pervertierung der Institutionen auf dem säkularen Boden der emanzipierten

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Welt, werden wir recht über die sog. Abbildfähigkeit der weltlichen Institutionen für Reich und Herrschaft Christi urteilen können. Schon vor Jahrzehnten haben W. Stählin u.a. auf die sozusagen „theo-politische” Gleichnisrede der Hl. Schrift aufmerksam gemacht, die vom „Volke” und von der „Königsherrschaft” Gottes, von dem himmlischen „Politeuma” oder „Bürgerrecht” der Christen, von den „Sklaven” Gottes und Christi spricht, d.h. also soziale Institutionen und Relationen zu Gleichnissen des Reiches Gottes und der Gemeinde Christi erhebt, auswählt oder „tauft". Ebenso hat man immer wieder von der Gleichnisfähigkeit der Ehe für den Bund Christi mit seiner Gemeinde anhand von Eph. 5, 22 ff. gesprochen (man vergleiche dazu den eindrucksvollen, neuen Epheserbrief-Kommentar von H. Schlier. Die in Eph. 5 bezeugte Sonderstellung der Ehe kann in diesem Zusammenhange nicht behandelt werden). Aber hier müssen klare Grenzen gezogen werden. Denn die alten und die neuen Lehren von der analogia entis oder der analogia relationis gefährden die Weltlichkeit der Institutionen; sie sind in der Versuchung, die Ehe oder den Staat oder beide zu sakralisieren. Darum gilt es, das Reich Christi und das Reich der Welt, und damit die vorläufigen Institutionen einer vergehenden Welt klar zu unterscheiden. Auf der anderen Seite ist geltend zu machen, daß sie in und mit dieser ihrer Weltlichkeit „extra Christum” (außerhalb von Christus) dennoch in den Zusammenhang der Heilsgeschichte aufgenommen werden, so wahr Christus in dieser Welt geboren, gekreuzigt und auferstanden ist, um zum göttlichen Herrn der Welt erhöht zu werden.

Die Abbildfähigkeit kann also nicht mehr einfach in dem antiken Schema: Das Abbild repräsentiert realiter das himmlische Urbild, gedacht werden.

Ebensowenig aber darf die Abbildfähigkeit wegen der Weltlichkeit der Institutionen einfach in Abrede gestellt werden; dann würde man die Redeweise der Hl. Schrift Lügen strafen und dem Herrschen Christi die Gewalt über „Himmel und Erde”, d.h. den ganzen Kosmos, bestreiten. Vielmehr ist es die Heilsverwirklichung durch Christus im Hl. Geiste, welche es überhaupt erst möglich macht, von der Abbildfähigkeit zu

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sprechen. Diese wird durch Christus und seine Kirche geschaffen und konstruiert, weder durch die Struktur der politischen Ordnung noch der Ehe als solche, wie sie ja auch unter den vorchristlichen Heiden oder den nachchristlichen Menschen der säkularen Gesellschaft vorgegeben ist. Wohl aber wird jetzt durch Christus, im Denken und Handeln seiner Kirche, ein neuer, realer Bezug der weltlichen Institutionen auf die Kirche hin, zum Reiche Christi aufgedeckt, der immer „da war”, insofern das All in Christus seinen Bestand hat, aber in der gefallenen Welt, in welcher auch die Institutionen ständig der Dämonisierung verfallen, nicht realisiert werden konnte. Durch den neuen Herrn, Christus, gewinnen die weltlichen Institutionen eine neue Potenz und Kraft, eine neue Dimension: Sie werden fähig zum Dienste an der Kirche (z.B. in der Schaffung einer Ehe- und Rechtsordnung, die dem Handeln der Kirche Raum gibt), und sie werden fähig zum Dienste am Menschen, weil sie ständig von der Entstellung und Entartung befreit werden, von der sie ohne die Gegenwart der Herrschaft Christi in der Welt überwältigt werden würden, um in dieser neuen Freiheit sehen zu lernen, was wahrhaft dem irdischen Wohle des Menschen und der menschlichen Gesellschaft dient.

Es ist demnach nicht eine von Christus absehende, ontologische oder metaphysische Aussage, wenn man von der Abbildfähigkeit der Institutionen Ehe oder Staat spricht, sondern eine trinitarische, christologische und pneumatologische Aussage, die ihrerseits das Sein der Institutionen trifft und betrifft und also ontologische Konsequenzen hat, da wir von dem neuen Sein in Christus her das Sein der Welt in den Blick bekommen. Nur von Christus und der Kirche her, auf dem Boden der Kirche kann der eschatologische und heilsgeschichtliche Realbezug der weltlichen Institutionen auf Christus und seine Herrschaft erkannt und erfahren werden, der Realbezug, der die Gleichnissprache der Hl. Schrift (Reich Gottes, himmlisches Bürgerrecht, Erben Gottes u. dergl. mehr) überhaupt erst möglich macht. Er ist gegründet auf das Walten der göttlichen Liebe, die Schöpfung und Erlösung in der Überwindung der „Mächte und Gewalten” von neuem zusammenbringt, das Himmlische und das Irdische miteinander versöhnt und im

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Kreuze des Herrn den kommenden kosmischen Frieden des Reiches Gottes sowohl schafft als auch ankündigt.

Insofern behält auch der tiefe Gedanke Luthers recht, durch welchen er die zwei Reiche Christi und der Welt miteinander verbindet: In den existenzerhaltenden, weltlichen Institutionen wirkt die lex charitatis latens, das verborgene Gesetz der Liebe, verborgen vor der Welt und ihrer Weisheit, aber erkannt durch den Glauben der Kirche als geheimes Wirken der göttlichen Linie zur Bewahrung und Errettung der Welt; Bewahrung also nicht im Sinne der bloßen Erhaltung von etwas Vorhandenem, sondern Bewahrung im Dienste der Versöhnung und Neuschöpfung der Welt. Wenn dies richtig ist, dann muß man freilich auch über viele negative Bestimmungen hinausgehen, wie sie für die lutherische Theologie bezeichnend sind: Als ob der Ehe oder der politischen Gewalt nur der antidämonische Abwehrcharakter gegen Mächte der Zerstörung und des Chaos zukäme, oder als ob das Recht vorzüglich im koerzitiven Sinne zu verstehen wäre. Vielmehr ist die ständige, positive soziale Integration, die das tägliche Leben in der menschlichen Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht, die stille, positive Ordnungskraft des Rechtes als das Wirken der lex charitatis, der bewahrenden Barmherzigkeit Gottes zu verstehen. In den Dienst dieses göttlichen Gesetzes stellt die Kirche sich und ihre Glieder. Sie verpflichtet und bevollmächtigt diese zum demütigen Dienst der Liebe in und an den weltlichen Institutionen, die sekundären eingeschlossen. Sie tritt damit der Gegenmacht entgegen, die in der menschlichen Gesellschaft wirkt und deren Leitbild in der Frage Kains ausgesprochen ist: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?” (Gen. 4, 9). Die Kirche steht in der Welt der Institutionen wider den Fluch, der über der menschlichen Gesellschaft, den Kindern Kains liegt. Das gehört zu ihrem Gehorsam gegen das Gebot der Liebe und gegen die Herrschaft Christi, die über die Grenzen der Kirche weit hinausgreift — um des Menschen willen, der zum Reiche Gottes berufen ist.

3. Hiermit ist schon vorausgesetzt, daß die Kirche und die Herrschaft Christi sich nicht decken, weil Christus der Welt und die Welt Christus gehört. Das gilt nicht nur deswegen, weil die Kirche in vielfältiger geschichtlicher Begrenztheit steht

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und ihre Glieder Sünder sind, die im harten Kampfe zwischen Geist und Fleisch immer von neuem der Herrschaft Christi ungehorsam und untreu werden; es gilt auch nicht nur wegen der Zerspaltung und des Streites, der zwischen den geschichtlichen Kirchen herrscht — ihrer sind viele, aber die Herrschaft und das Reich sind eines! —, sondern es gilt vor allem deswegen, weil die Kirche nicht als ein endgültig von der Welt abgegrenzter Bereich gesehen werden darf, sondern in ihrer Offenheit auf die Zukunft Christi hin begriffen werden muß. Daß sich Kirche und Reich Christi nicht decken, ist also nicht nur ein Satz der Selbstkritik der Kirche, der ihre Bußbereitschaft ausdrückt, sondern auch ein Satz der eschatologischen Hoffnung: Die Kirche ist größer, weiter, reicher, als sie scheint, weil sie auf die Herrschaft Christi über die ganze Menschheit hin entworfen ist, weil es ein noch nicht gerufenes, gleichwohl aber für diesen Ruf aufbewahrtes, „potentielles" Gottesvolk auf Erden gibt, das hinzukommen wird zu der Kirche, wie sie jetzt da ist; denn „der Acker ist die Welt” (Mt. 13, 38), und diese ganze Welt ist der Herrschaftsraum und das Erntefeld Christi. Sehen wir die Kirche in den Kirchen so in ihrer eschatologischen Relation zu der Herrschaft Christi, so sehen wir nicht nur ihre Grenzen, sondern sehen sie auch unter dem Zeichen der Hoffnung, des zukünftigen Reichtums an Menschen und Völkern, die dereinst dazu gehören werden.

Die Kirche ist mehr als ihre Geschichte oder als ihr gegenwärtiger Bestand. Die Herrschaft Christi bricht immer wieder von neuem die geschichtliche Kirche zur Welt hin und von der Welt her auf, wenn sie sich vor der Welt verschlossen hat, und gibt ihr immer neu eine Zukunft unter den Menschen in der ganzen Welt. Welt und Kirche werden durch das göttliche Herrschen Christi über Kirche und Welt immer neu aufeinander zugeführt.

Damit ist die Unterscheidung nicht aufgehoben, welche ihr vorläufiges Recht hat, nämlich vor dem „Ende” der Welt, und besonders in Luthers Lehre von den zwei Reichen mit Recht scharf akzentuiert worden ist: Christus herrscht im Reiche der Welt vorläufig noch auf andere Weise als in der Kirche. Hier wirkt er den Glauben durch den Hl. Geist, der Taufe, Herrenmahl und Predigtwort mit seinem Leben erfüllt; dort in

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der Welt wirkt Christus auf verborgene Weise ohne diese „Gnadenmittel”: erstens, insofern er für die Menschen der Welt, die nicht glauben, überhaupt gar nicht vorhanden ist, er verbirgt sich also noch „hinter” der Welt und ihren vorläufigen Institutionen, durch die er hier schafft und regiert; zweitens, insofern auch die Kirche, die Christus als den Herrn der Welt und ihrer Mächte anbetet und erkennt, mit den Geheimnissen des Weltregiments Christi nicht vertraut gemacht wird. Wohl erhält die Kirche je und dann prophetische Weisungen und Warnungen, aber sie kann aus diesen niemals eine vollständige, zusammenhängende Erkenntnis der Herrschaft Christi über die geschichtliche Welt, z.B. eine theologische Theorie des geschichtlichen Ablaufes entwickeln. Die Kirche weiß mit 1. Kor. 13, 8 ff. darum, daß auch die christliche, auch die prophetische Erkenntnis Stückwerk bleibt, Erkenntnis „vor” dem Jüngsten Tage ist; wenn aber das Vollkommene erscheint, dann wird dies Stückwerk abgetan, dann wird auch diese doppelte Verborgenheit der Christusherrschaft aufgehoben werden.

Aber man sollte auch hier nicht bei bloßen Abgrenzungen stehenbleiben. Sowenig die Unterscheidung von Kirche und Welt den Dienst der Kirche an der Welt ausschließt, sowenig schließt sie auch aus, daß die Kirche von der Welt einen Dienst empfängt und nicht nur die Welt von der Kirche. Erstens nämlich, indem die Welt die Liebe der Kirche nötig hat und sie herausfordert; zweitens, indem die Welt, trotz aller Sünde und aller dämonischen Gewalten, die unendliche Fülle der göttlichen Schöpfung ist und bleibt; drittens gilt, im paradoxalen Verhältnis zum eben Gesagten: Daß die Welt die Kirche zwingt, immer neu darüber nachzudenken, was der Mensch sei und was diesem Menschen nottue, was Freiheit, Gerechtigkeit, Friede, Gemeinschaft, Humanität seien, da ja die Ideologien ständig mit großen Worten und in unendlichem Wechsel der Masken von diesen Maßstäben oder Zielen für den Menschen und die menschliche Gesellschaft reden. Wie könnte die Kirche aber durch die Masken der heutigen Menschen hindurch die Wirklichkeit des Menschen zu fassen bekommen, wenn sie nicht von Christus wüßte, dem neuen Adam, dem Anfänger der erlösten Menschheit, dem wahren

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und wirklichen Menschen, der die Versuchung bestand und so der erste Mensch wurde, der das erste Gebot wirklich erfüllt hat? (Mt. 4, 1 ff.).

Endlich erweist die Welt der Kirche den Dienst, daß sie die letztere zu redlichem Denken führt und die frommen Kurzschlüsse, den frommen Aberglauben aufdeckt, die auch heute noch nicht in der Kirche überwunden sind. Man denke an die ständigen Kurzschlüsse, die die Theologie in ihren immer wieder gescheiterten Versuchen begangen hat, die Reichweite der menschlichen Vernunft und des menschlichen Handelns räumlich und materiell zu begrenzen. Aber der „homo faber” hat eine seiner technischen Utopien nach der anderen realisiert, und jedesmal hat sich die kirchliche Grenzfestsetzung als unhaltbar und töricht erwiesen. Eine apologetische Theologie dieser Art führt zu dem „Wirklichkeitsverlust”, den der Hamburger Kirchentagskongreß 1958 für das Verhältnis der Kirche zur Gesamtwirklichkeit, zur Welt im ganzen festgestellt hat. Die Welt zeigt sich durch diesen Dienst an der Kirche als Welt unter der gegenwärtigen Herrschaft Christi, so daß sie offenbar nicht einfach als die schlechthin verlorene angesehen werden kann, da sie doch ihrerseits die Pervertierung des christlichen Denkens und Handelns aufdeckt, und zwar gerade dadurch, daß sie die Welt der totalen und radikalen Säkularität geworden ist.

4. So wird von der Herrschaft Christi über die Welt aus nun auch das Verhältnis von Glauben und Vernunft in neuer Weise sichtbar. Denn allein mit einer theologischen Vernunftkritik, welche die Grenzen der Vernunft hinsichtlich der Möglichkeit ihrer Gotteserkenntnis und der Heilserlangung bestimmt, ist es offenbar nicht getan. Der Glaube ist vielmehr positiv verantwortlich für das Vernünftigwerden der Vernunft, vor allem hinsichtlich ihres Verhaltens zur Welt. Er muß der Vernunft helfen, durch die Masken durchzustoßen, die sie trägt, die Ideologien abzubauen, die sie auf dem Boden der modernen Welt, in der Folge eines falschen Autonomiebewußtseins in unaufhörlicher Kette hervorgebracht hat. Aber diese Erleuchtung der Vernunft durch den Glauben setzt voraus, daß wir die der menschlichen Vernunft verliehene Aufgabe und Vollmacht der Welterkenntnis und der auf dieser

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beruhenden Weltgestaltung erkennen und anerkennen. Die Institutionen, die Arbeit in ihnen, ihre Fortbildung, dies alles ist der „sachlichen”, also der politischen, der wirtschaftlichen, der rechtsgestaltenden Vernunft zur Ordnung anvertraut und übergeben. Das heißt freilich zugleich, daß es sich um die verantwortliche und selbst-kritische Vernunft handelt, die sich von dem Wahne abscheidet, selbst der Weltschöpfer und Welterlöser zu sein. Der Vernunft aus solchen Ideologien herauszuhelfen, ist die diakonische Aufgabe christlichen Denkens die Vernunft, um zur wahren menschlichen Vernünftigkeit zu bilden. Diese Vernunft wird immer die erfindende, die ordnende und planende, die welterobernde Vernunft sein und bleiben. Aber die verantwortliche Vernunft muß wieder über die technische Vernunft erhoben werden, welche in der heutigen Welt ihre Vorherrschaft ausübt, und, wie P. Tillich gezeigt hat, den Menschen entmenschlicht, insbesondere deswegen, weil sie Werkzeug jedes Machtwillens werden kann, der den Menschen zum Ding, zum Objekt herabwürdigt. Das ist die Entfremdung der Vernunft von ihrer Menschlichkeit. Diese technische Vernunft, das Herrschaftswissen, entmündigt den Menschen, den es zu befreien schien. Überdies wird eine Gesellschaft unter der Herrschaft der technischen Vernunft ständig von dem Aufstand der irrationalen Mächte des Vitalen, des Bios bedroht sein (vgl. den Nationalsozialismus). Auch die verantwortliche, gegen sich selbst kritische Vernunft ist endlich und steht nicht in der Seinseinheit mit Gott. Darum muß sie durch die Wahrheit des Hl. Geistes und den Glauben erleuchtet werden, welche der verantwortlichen Vernunft zur Geburt verhelfen und sie dadurch zu ihrer weltlichen, z.B. zur wissenschaftlichen Aufgabe tüchtig machen. Das weltordnende Amt der Vernunft wird also durch die Kirche weder bestritten noch aufgehoben, sondern seinem eigentlichen Sinne nach legitimiert und als göttliche Setzung und Gabe geehrt und erkannt.

Sehen wir die Welt unter der gegenwärtigen Herrschaft Christi stehen, so wird der Glaube von seiner Angst vor der Vernunft befreit, und die Vernunft aus ihrem Verfallensein an Ideologien, an ihren Machtrausch, an ihre Selbstvergöttlichung erlöst, um sich selbst als empfangende und vernehmende

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Vernunft zu verstehen, die den Auftrag in sich trägt, die Welt, die Gesellschaft, die Institutionen in ihrer Menschlichkeit zu bewahren.

In diesem Sinne glaubt und verkündigt die Kirche, daß unter der Weltherrschaft Christi, durch den Dienst der Kirche an der Welt und der Welt an der Kirche, Welt und Kirche von Christus ihrem Herrn hingeführt werden zu dem Reiche der neuen Schöpfung, in dem Entartung und Dämonie keine Stätte mehr haben, und alle Kreaturen mit allen versöhnt sind. Wenn aber Gott alles in allen ist, dann haben auch die vorläufigen Unterscheidungen von Welt und Kirche ihren Sinn verloren; denn „nun gehört die Königsherrschaft über die Welt unserem Herrn und seinem Gesalbten . . .” (Offbg. Joh. 11, 15).