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Zweites Kapitel
Ekklesiologisch/sakramentale Grundlegung des Kirchenrechts

 

Innerhalb der Bemühungen, eine Grundlage für das kirchliche Recht zu legen, widmen wir uns jetzt der ekklesiologisch/sakramentalen Grundlegung. Dabei werde ich so vorangehen, daß ich zunächst sehr allgemein über die Problematik der Institution und deren Anwendung auf die Kirche spreche. Dann soll mit Hilfe der Gedanken, die uns das Konzil bietet, eine systematische (ekklesiologische) Grundlegung des Rechtes versucht werden. Im dritten Paragraphen geht es schließlich darum, die vorher entwickelten Gedanken auf die Taufe zu applizieren.

 

§ 1 Die Kirche als Institution

 

In diesem Paragraphen1 geht es darum, in mehr formaler Weise die Gedanken vorwegzunehmen, die dann im § 2 (die ekklesiologisch/sakramentale Beweisführung) in mehr konkreter Weise (vor allem mit Hilfe der Sakramentsvorstellung) zur Durchführung kommen. Der vorliegende Paragraph2 ist


1 Ich folge hier weithin M. Kehl, Kirche als Institution, in: W. Kern/H.J. Pottmeyer/M. Seckler (Hg.) Handbuch der Fundamentaltheologie III, Freiburg i.Br. 1986, 176-197.
2 Vgl. H.U. von Balthasar, Pneuma und Institution, Einsiedeln: Johannes 1974; H. Dombois, Das Recht der Gnade I, Witten 1961, 894-939; H. Dombois, Hierarchie, Freiburg i.Br. 1971; H.-J. Höhn, Kirche und kommunikatives Handeln, Frankfurt a.M. 1985; H.-J. Höhn, Gnade vor Recht? Sozialtheoretische Überlegungen zu Ansatz und Aufbau einer Theologie des Kirchenrechts, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 33 (1986) 345-390; M. Kehl, Kirche als Institution. Zur theologischen Begründung des institutionellen Charakters der Kirche in der neueren ➝

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gleichsam eine Art „Vorübung”3 für den nächsten Paragraphen. Von daher erklärt sich die formale und abstrakte Darstellungsweise.

1. Was bedeutet Institution?

Von der Soziologie her läßt sich der Begriff „Institution” ganz allgemein so umschreiben: „Eine Institution ist ein Gefüge von geschichtlich gewordenen, relativ gleichbleibenden und typischen Vollzugsformen eines sozialen Gebildes.”4 Dieser Sachverhalt trifft weitgehend auch auf die empirische Gestalt der Kirche zu: „Die Kirche beansprucht, die den einzelnen Glaubenden und ihren persönlichen Gemeinschaftsformen unverfügbar vorgegebene ,Setzung’ (lat. ,institutio’) Jesu Christi und seines Geistes zu sein. Sosehr sie natürlich nur aus den konkreten Glaubenden besteht, leitet sie doch ihre Entstehung, ihren bleibenden Bestand und ihre Einheit nicht einfachhin ,von unten’, also nachträglich aus dem spontanen Versammlungswillen der einzelnen Gläubigen ab, sondern ,von oben’, d.h. aus der Berufung und Sammlung durch den Geist des Auferstandenen.”5

2. Die neuzeitliche Institutionenpröblematik

Vor der europäischen Aufklärung galten die Institutionen (vor allem Kirche und Staat) im allgemeinen Bewußtsein als schlechthin vorgegeben. Sie sind von Gott oder der menschlichen


➝ deutschsprachigen katholischen Ekklesiologie, Frankfurt a.M. 1976; M. Kehl, Die Kirche, Würzburg 199z; J.-L. Leuba, Institution und Ereignis, Göttingen 1957; W. Lipp/H. Dombois, Institution, in: H. Kunst/R. Herzog/W. Schneemelcher (Hg.), Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 11975, 1011-1022; W. Lipp/H. Hofmann/C. Hubig, Institution, in: Staatslexikon III, Freiburg i.Br. 71987, 99-109; K. Rahner, Institutionalismus, in: LThK V (i960) 714 f.; K. Rahner, Institution und Freiheit, in: ders., Schriften zur Theologie X, Einsiedeln: Benziger 1972, 115-132; H.E.Tödt, Institution, in: Theologische Realenzyklopädie XVI, Berlin 1987, 206-220.
3 „Für das Kirchenrecht hat der Institutionenbegriff große Bedeutung, ist er doch geeignet, die unfruchtbaren Aufspaltungen in einen doppelten Kirchenbegriff oder einen doppelten Rechtsbegriff zu überwinden” (Tödt, Institution [A. 2] 219).
4 Kehl, Kirche (A. 1) 176.
5 Ebd. 177.

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Natur gesetzte Einrichtungen, die der Freiheit des einzelnen Menschen weithin unverfügbar gegenüberstehen. Im Zuge der Aufklärung wird diese undialektische Gegenüberstellung aufgelöst.

Dennoch müßte eine Vermittlung zwischen der (subjektiven) Freiheit und der (objektiven) gesellschaftlichen Institution möglich sein und versucht werden. „In dem Maße, wie sowohl die einzelnen bereit sind, sich in dieser Weise auf die gesellschaftlichen Institutionen hin zu öffnen, als auch umgekehrt die Institutionen in der Lage sind, der subjektiven Freiheit diesen Freiraum schöpferischer Mitgestaltung einzuräumen, kann eine Vermittlung zwischen den beiden auseinanderdriftenden Polen des gesellschaftlichen Lebens gelingen. Denn erst so läßt sich erfahren, daß beide aus dem gleichen ,Stoff’ der Freiheit gewoben sind und einander zu ihrer sozialen Selbstverwirklichung vermitteln.”6

Daß diese Vermittlung immer nur sehr unvollkommen gelingt, davon zeugen die modernen Institutionstheorien. Für A. Gehlen7 haben „die Institutionen zunächst einmal die Aufgabe, das ,Mängelwesen’ Mensch von seinem instinktgebundenen, weltoffenen und damit stets riskanten, suchenden Verhalten zu ,entlasten’; als Ersatz für die fehlende Instinktsicherheit ordnen und stabilisieren sie menschliches Verhalten und bewahren es vor dem Chaos.”8

Für N. Luhmann9 dienen die Institutionen heute dazu, in


6 Ebd. 181.
7 A. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, Frankfurt a.M. 21964. In diesem Buch wird die anthropologische Bestimmung des Menschen als Mängel- und Handlungswesen durch eine Theorie der Institutionen wie durch eine Theorie der archaischen Kultur ergänzt. Institutionen erlauben dem nicht mehr instinktgeleiteten und verhaltensunsicheren Wesen Mensch wieder ein quasi-automatisches Fühlen und Handel. Sie entlasten von der Reizfülle, von allzuvielen Entscheidungen, von immer neuen Grundsatz- und Statusfragen.
8 Kehl, Kirche (A. 1) 181.
9 J. Habermas/N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie — Was leistet die Systemforschung? Frankfurt a.M. 1971. Der ➝

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einem immer komplexer werdenden gesellschaftlichen System einen Konsens hinsichtlich der unüberschaubar vielen Wert- und Verhaltenserwartungen vorauszusetzen und festzuschreiben. „Weil heute in fast allen gesellschaftlichen Beziehungen ein wirklicher Konsens aller in inhaltlichen Fragen kaum mehr her- und festzustellen ist, aber dennoch unabdingbar nötig ist für das Funktionieren des gesellschaftlichen Zusammenlebens, darum wird dieser Konsens einfach unterstellt und auch verbindlich formuliert, um von dieser Voraussetzung aus dann gesellschaftlich miteinander handeln zu können. Dieser formal vorausgesetzte Konsens drückt sich gerade in den gesellschaftlichen Institutionen aus (z.B. in Bräuchen, Verfahrensregeln, Gesetzen, Riten, Umgangsformen, Normen, Ämtern usw.); sie sind gleichsam der formalisierte Konsens eines gesellschaftlichen Systems.”10

J. Habermas11 vertritt eine institutionskritische Richtung, die sich im Umfeld der kritischen Theorie der sogenannten Frankfurter Schule (T.W. Adorno, M. Horkheimer, J. Habermas) gebildet hat. „Danach sind Institutionen in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation primär Mechanismen der Repression; durch sie werden im Interesse der Herrschenden alle jene gesellschaftlichen Bedürfnisse unterdrückt, die an sich nach dem fortgeschrittenen Stand der Produktivkräfte erfüllt werden könnten, aber wegen ihrer gefährlichen, die herrschenden Produktionsverhältnisse verändernden Kraft nicht erfüllt werden dürfen. In einem


➝ Diskussionsband dokumentiert die Auseinandersetzung um die beiden einflußreichsten Ansätze der zeitgenössischen Sozialtheorie: Luhmanns Konzept einer funktionalen Systemtheorie der Gesellschaft und Habermas’ Entwürfe zu einer Theorie des kommunikativen Handelns.
10 Kehl, Kirche (A. 1) 182 f.
11 Habermas/Luhmann, Theorie (A. 9). Beiden Autoren geht es um eine Antwort auf die Frage, wie Gesellschaft als ein geordneter Zusammenhang von Handlungen begriffen werden muß, wie Interaktionspartner ihre Handlungspläne und Interessen so aufeinander abstimmen können, daß das Risiko eines Mißverständnisses oder Kommunikationsabbruchs ausgeschlossen wird.

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solchen gesellschaftlichen Kontext werden Institutionen vor allem dazu gebraucht, durch bestimmte stabilisierende Weltbilder, Normen und Herrschaftsstrukturen eine ungerechte Gesellschaftsordnung zu legitimieren. Sie verhindern oder verzerren systematisch eine wirklich herrschaftsfreie, öffentliche und willensbildende Kommunikation über eine gerechte Gesellschaftsordnung.”12

F.-X. Kaufmann13 behandelt das Phänomen der gegenwärtigen katholischen Kirche als einer Institution, die sich nur sehr schwer mit dem neuzeitlichen Freiheitsbewußtsein verständigen kann. „Der Grund liegt nach Kaufmann vor allem in der starken Sakralisierung kirchlicher Organisationsstrukturen, die im 19. Jahrhundert vorgenommen wurde und noch heute weitgehend aufrechterhalten wird.”14 Freilich hat heute die Pluralität der modernen Gesellschaft auch den Katholizismus eingeholt. „Deswegen steht heute die Theologie vor der Aufgabe, eine Begründung kirchlicher Strukturen zu bieten, die nicht eine bestimmte zeitbedingte Sozialform verewigt, sondern den Blick für neue, der Überlieferung des Glaubens heute angemessene Institutionen öffnet.”15

3. Zwei theologische Institutionstheorien

Die nachkonziliare Ekklesiologie hat zunehmend erkannt, daß die traditionelle Begründung für die Institutionen in der Kirche weder exegetisch noch fundamentaltheologisch hinreicht. „Christus [hat] selbst kein Grundgesetz seiner Kirche in Paragraphen, Artikeln oder Kanones verfaßt; er hat seine Kirche nicht durch rechtsgeschäftlichen Akt (durch ein ,Stiftungsgeschäft’ im Sinn des § 80 BGB) ins Dasein gerufen,


12 Kehl, Kirche (A. 1) 183.
13 Vgl. F.-X. Kaufmann, Religion und Modernität, Tübingen 1989; F.-X. Kaufmann, Kirchenrecht und Kirchenorganisation, in: Diakonia 13 (1982) 221-231.
14 Kehl, Kirche (A. 1) 185.
15 Ebd.

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sondern durch seine Menschwerdung, durch sein Leben und seine Lehre, durch sein Leiden und Sterben, durch die Sendung des Hl. Geistes. Zwar finden sich in seinem Leben und seiner Lehre auch einige Absichts- und Willenserklärungen; aber auch sie sind nicht in der Fachsprache des Juristen ausgedrückt, sondern in Bildern, die er seiner zeitgenössischen Umwelt entnahm und die darum der Vorstellungswelt seiner Zeit und seines Volkes entsprachen und ihrem Verständnis mühelos eingingen.”16 Die Theologie der letzten Jahrzehnte hat sich deshalb um eine Begründung der Institution „Kirche” und der Institutionen in der Kirche bemüht, die sowohl theologisch überzeugender ist wie auch der neuzeitlichen Sozialgeschichte mehr gerecht wird. Zwei Theorien seien genannt:

a) Das Institutionelle als Zeichen der „Vorgegebenheit” des Heils

In der neueren Amtstheologie argumentiert man sehr häufig so: „Die Institution des kirchlichen Amtes in all seinen amtlich-verbindlichen Vollzügen dient dazu, in der sakramentalen Dimension der Kirche zeichenhaft darzustellen, daß Kirche nicht aus sich selbst heraus lebt, sondern aus der bleibenden Vorgabe des Heilsgeschehens in Jesus Christus und dem Geschenk seines Geistes.”17

b) Das Institutionelle als Ermöglichung kritischer Freiheit

J.B. Metz18 hat in seinen Frühschriften versucht, Ansätze von H. Schelsky19 und der Frankfurter Schule miteinander


16 O. von Nell-Breuning, Ein Grundgesetz der Kirche? In: Stimmen der Zeit 188 (1971) 219-229, hier: 219 f.
17 Kehl, Kirche (A. 1) 186.
18 Vgl. J.B. Metz, Zur Theologie der Welt, Mainz/München 1968.
19 Vgl. H. Schelsky, Ortsbestimmung der deutschen Soziologie, Düsseldorf/Köln 1959; H. Schelsky, Auf der Suche nach der Wirklichkeit, Düsseldorf/Köln 1965. Nach Schelsky tragen Institutionen auch in der Neuzeit in sich die Kraft, sich durch Erneuerung, d.h. durch neue institutionalisierte ➝

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zu verknüpfen. „Institutionen sind demnach Objektivationen der Freiheit, durch die diese überhaupt erst frei wird von naturhaft vorgegebenen Zwängen und zugleich fähig wird, in kritischer Weise gesellschaftlich wirksam zu werden. Institutionen sind insofern legitim, als sie die Bedingung der Möglichkeit kritischer Freiheit und kritischen Bewußtseins sind. Dies gilt gerade für kirchliche Institutionen, die ja wegen des ,eschatologischen Vorbehaltes’, unter dem ihre Existenz steht, in besonderer Weise Träger kritischer Freiheit innerhalb der menschlichen Gesellschaft sein können.”20

4. Weiterführende Begründung des institutionellen Charakters der Kirche

Die beiden (eben angeführten) theologischen Institutionstheorien sind gewiß hilfreich für die Begründung kirchlicher Institutionen, es darf freilich bezweifelt21 werden, ob viele Christen wegen der Erkenntnisse der Religionssoziologie den kirchlichen Institutionen kritisch gegenüberstehen. „Der schärfste Einspruch stammt vielmehr aus dem Inneren des christlichen Glaubens selbst; kann er doch auf das kritische Verhältnis zwischen Jesus und den religiösen Institutionen seiner Zeit hinweisen oder auf die ,charismatische Gemeinde’ des Paulus oder auf die jederzeit lebendige christliche Utopie einer von allem Formal-Institutionellen befreiten ,Kirche des Geistes’”.22

So muß also die Überlegung noch etwas weitergetrieben


➝ Antworten auf neue subjektive Bedürfnislagen, zu erhalten und weiterzuentwickeln.
20 Kehl, Kirche (A. 1) 187 f.
21 Es ist dies auch der Grund, weshalb die hier angestellten Überlegungen zur Problematik der Institutionen nur eine Art Vorübung zur ekklesiologisch/sakramentalen Beweisführung sein sollen. M.a.W.: Die Entscheidung für das Kirchenrecht muß auf dem theologischen (hier: ekklesiologisch/sakramentalen) Feld fallen. Weil Gott Mensch geworden ist, deshalb muß unser Glaube sich verleiblichen und gleichsam Hand und Fuß bekommen.
22 Kehl, Kirche (A. 1) 188.

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werden, und zwar in zwei Richtungen.23 Zum einen muß der Weg der geschichtlichen Vergewisserung gegangen werden. Kirche gründet in dem geschichtlich ergangenen Ruf Jesu. „Über die geschichtliche Legitimierung hinaus muß die Theologie nach der ,sachlichen’ Wahrheit des Institutionellen in der Kirche fragen. Als theologisch wahr können Selbstverständnis, Praxis und Lebensordnung der Kirche aber nur dann gelten, wenn sie — über die strukturelle Kontinuität hinaus — in einem bleibend wirksamen ,Sinnzusammenhang’ mit dem Geschehen der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus und seiner Gegenwart im Geist stehen. Konkret liegt dieser ,Sinnzusammenhang’ der Kirche darin, daß sie als soziale Gestalt der im Heiligen Geist uns übereigneten Liebe zwischen Vater und Sohn diese Liebe bleibend zu vergegenwärtigen und zum Heil aller Menschen zu vermitteln hat. Kirche als ,universales Sakrament des Heils’ (LG 48) — das ist der theologische Sinn von Kirche; darin findet sie zu ihrer Wahrheit.”24

5. Thesenhaft seien zum Schluß zwei Funktionen der Institution in der Kirche genannt:

a) Das Institutionelle als Zeichen der identifizierenden Kraft des Geistes

„Der Geist verhilft der Kirche immer neu zur Identifizierung mit der ursprünglichen Botschaft des Evangeliums und


23 Diese beiden Richtungen entsprechen den beiden Kapiteln (bibeltheologische Grundlegung des Kirchenrechts; ekklesiologisch/sakramentale Grundlegung des Kirchenrechts) des dritten Teils (systematische Auseinandersetzung mit Sohm) unserer Arbeit.
24 Kehl, Kirche (A. 1) 190. „Durch Gott allein, d.h. durch seine letztlich von ihm allein getane, verheißene u. im Glauben (u. anders nicht) angenommene Tat, geschieht es, daß die von ihm selbst gestifteten u. dem Wesen des in allen seinen Dimensionen für das Heil beanspruchten u. erlösten Menschen u. der inkarnatorischen Struktur seines Heils in Christus entsprechenden Institutionen wirklich sind, was sie in sich u. von sich allein auf die Dauer nie sein könnten: dienende Mächte für das Heil des Menschen, das nicht mehr Institution, sondern Unmittelbarkeit zu Gott selbst ist” (Rahner, Institutionalismus [A. 2] 715).

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damit zu ihrer eigenen Identität als Gemeinde Jesu Christi; dazu bedient er sich vornehmlich der institutionalisierten Strukturen der Kirche.”25 Es geht in dieser These um die Identität der Kirche, d.h. um die diachronische Kontinuität der Kirche mit dem Ursprung ihres Glaubens.

b) Das Institutionelle als Zeichen der integrierenden Kraft des Geistes

„Der Geist fügt die einzelnen Glaubenden und die verschiedenen Kirchen in die ursprüngliche Einheit der universalen Kirche ein; er bedient sich dazu vornehmlich der institutionalisierten Strukturen der Kirche.”26 Es geht in dieser These um die Einheit der Kirche, d.h. um den synchronischen Zusammenhang mit der Gegenwart des Glaubens in der einen Universalkirche.27

 

§ 2 Die ekklesiologisch/sakramentale Beweisführung

 

Ich möchte versuchen, die jetzt anstehende Begründung in einer doppelten Weise zu führen: einmal mehr allgemein, dann streng unter dem Sakramentsbegriff. Beide Beweisführungen gehen aber auf dasselbe Ziel: Es soll dargestellt


25 Kehl, Kirche (A. 1) 191.
26 Ebd. 193.
27 Die im gegenwärtigen Paragraphen (Kirche als Institution) mehr allgemein angestellten Überlegungen zur Begründung der Institution „Kirche” lassen sich gewiß — was hier deshalb nicht geschehen soll, weil ich die eigentliche Entscheidung für das Kirchenrecht auf der theologischen Ebene suchen möchte — zu einer Begründung des Kirchenrechts ausweiten. So sind in diesem Zusammenhang von H.-J. Höhn vier sozialtheoretische Bausteine einer Theologie des Kirchenrechts entwickelt worden: 1. Die sozialphilosophische Idee des Rechts: Regel der gegenseitigen Begrenzung und Ermöglichung von personaler und sozialer Freiheit. 2. Der rechtstheoretische Anspruch normativer Strukturen: Legitimität und Rationalität. 3. Die gesellschaftliche Funktion des Rechts: Stabilisierung und Integration sozialen Handelns. 4. Das sozio-theologische Fundament des Kirchenrechts: Die Korrelation von Glaubensverkündigung und Glaubensgemeinschaft (vgl. Höhn, Gnade [A. 2] 362-389).

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werden, daß der Gnaden- und Mysteriencharakter der Kirche ein kirchliches Recht nicht ausschließt, sondern gerade fordert. Gefordert ist ein Recht der Gnade, ein Gnadenrecht.

 

I. Die Kirche als ein rechtlich bestimmbares Mysterium

Das erste Kapitel der dogmatischen Konstitution über die Kirche trägt die Überschrift „Das Mysterium der Kirche”. Und doch finden wir gerade dort, wo vom Geheimnischarakter der Kirche die Rede ist, den folgenden Text, der in seiner ganzen Länge zitiert werden soll. „Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfaßt und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus. Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst. Deshalb ist sie in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4, 16).”28

Der vorliegende Text spricht für sich selber und bedarf nur weniger Erläuterungen.29 Die Kirche steht in einer Analogie zu Christus. Wie bei ihm göttliche Natur und menschliche


28 Lumen gentium, Art. 8, in: LThK-Konzilskommentar I, 171.
29 Vgl. H. Müller, De analogia verbum incarnatum inter et Ecclesiam (L.G. 8a), in: PerRMCL 66 (1977) 499-512.

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Natur zu einer Person vereinigt sind, so sind in der Kirche Göttliches und Menschliches vereinigt, und zwar so, daß dem Göttlichen (= Geist Christi) das Menschliche (= gesellschaftliches Gefüge der Kirche) zugeeignet ist.

Nun sind aber in der Kirche das göttliche und das menschliche Element nicht bloß additiv aneinandergefügt, dergestalt, daß das göttliche Element (eben der Heilige Geist als Geist Christi) zunächst ohne Recht wäre und ein solches erst im menschlichen Element (eben im gesellschaftlichen Gefüge der Kirche) bekäme. Vielmehr hat das göttliche Element in sich selber Recht, „insofern die Kirche von Gott in die Geschichte der Menschheit eingestiftet worden ist und die Herrschaft Gottes über die Menschen darstellen muß”.30 Allerdings muß das göttliche Recht sich erst noch im menschlichen konkretisieren, um in dieser Welt wirksam werden zu können. Dem göttlichen Recht fehlt gleichsam der Leib samt Beinen und Armen. Die hier beschriebene Wirklichkeit läßt sich nicht leicht fassen.

Das Zweite Vatikanische Konzil greift, um diesen Sachverhalt in Worte zu bringen, gern auf den biblisch-patristischen Begriff der „communio” zurück, durch welchen die Gemeinschaft des Menschen mit Gott wie auch die Gemeinschaft der Menschen untereinander angezeigt wird.31

Es ist angebracht, die Eingliederung in diese menschlich-göttliche Wirklichkeit (genannt Kirche) schrittweise geschehen zu lassen. Es gibt hier nicht ein „Entweder-Oder”, vielmehr läuft die Kirchengliedschaft über verschiedene Stufen. Das wird eigens in der Kirchenkonstitution in Artikel 14


30 P. Krämer, Theologische Grundlegung des kirchlichen Rechts, Trier 1977, 147.
31 Vgl. I. Riedel-Spangenberger, Die Communio als Strukturprinzip der Kirche und ihre Rezeption im CIC/1983, in: Trierer Theologische Zeitschrift 97 (1988) 217-238. Vgl. auch K. Lüdicke, Nicht das letzte Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: A. Angenendt/H. Vorgrimler (Hg.), Sie wandern von Kraft zu Kraft (= FS Lettmann), Kevelaer 1993, 167-179.

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betont: „Jene werden der Gemeinschaft der Kirche voll eingegliedert, die, im Besitz des Geistes Christi, ihre ganze Ordnung und alle in ihr eingerichteten Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verband mit Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden sind, und dies durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft.”32

Fassen wir unseren ersten (mehr allgemein gehaltenen) Abschnitt zusammen. „Die Kirche stellt als Mysterium oder Sakrament des Heils eine Gemeinschaft (,communio’) dar, in welche der Mensch durch die Taufe in endgültiger und unwiderruflicher Weise eingegliedert wird; diese Gemeinschaft wächst aus göttlichem und menschlichen Element zu einer einzigen komplexen Wirklichkeit zusammen, worin die Unterscheidung zwischen einer menschlicher Setzung vorgegebenen und einer durch menschliche Setzung erzeugten Dimension des kirchlichen Rechts begründet liegt, und kommt zur vollen Entfaltung durch das im Geist Christi geprägte und zu prägende dreifache Band des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Gemeinschaftsordnung, in welchem der rechtliche Charakter der Kirche noch einmal aufscheint.”33


32 Lumen gentium, Art. 14, in: LThK-Konzilskommentar I, 199-201.
33 Krämer, Grundlegung (A. 30) 154.

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II. Ekklesiologische Grundlegung mit Hilfe der Sakramentsvorstellung34

1. Das Ursakrament (Jesus Christus)

Jesus Christus, die eine Person, ist zugleich wahrer Gott und wahrer Mensch, ist göttlicher und menschlicher Natur. Diese von den ersten Konzilien definierte Lehre ist uns wenigstens mit den anderen christlichen Bekenntnissen als Ausgangspunkt gemeinsam.35 Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch nicht in einem getrennten Nebeneinander oder in einem vermischten Ineins von Gottheit und Menschheit (von göttlicher und menschlicher Natur) sondern in der Einheit („indivise” und „inconfuse”) beider Naturen in der einen Person des göttlichen Logos. Hierbei ist es für unsere Betrachtung wichtig, daß nach dem Konzil von Chalzedon (451) die menschliche Natur des Gottmenschen ganz und unzerstört sie selbst geblieben ist, weil sie und als sie unvermischt mit der Gottesnatur vereint wurde. Es gibt also kein apollinaristisches36 Aufgesogensein des Menschlichen durch das Göttliche in Christus. Christus ist voll und ganz Mensch. Und eben dieses ganze Menschsein dient „dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan (organum salutis)”37, wodurch er (Christus) das Heil der Menschen wirkt. Die Menschheit Christi ist nach der im Mittelalter selbstverständlichen Lehre der Tradition


34 Vgl. zu diesem Abschnitt J. Meyer zu Schlochtern, Sakrament Kirche. Wirken Gottes im Handeln der Menschen, Freiburg i. Br. 1992; Congar 281-287; zu dieser Ableitung des Rechtes aus dem Sakrament Kirche meint Congar: „Ich würde mich gerne stark machen für eine neue, ursprüngliche Reflexion über den eigentlichen und ursprünglichen Charakter des Rechts in der Kirche. Das wäre wirklich etwas Neues, denn das ist tatsächlich noch nie gemacht worden” (Y. Congar, Herbstgespräche. Erinnerungen und Anstöße. Hg. von B. Lauret, München 1988, 52).
35 Von dieser Wahrheit sieht Sohm völlig ab. Er spricht stets nur von Christus als Gott und übersieht so die Menschheit Christi.
36 Vgl. H. de Riedmatten, Apollinarismus, in: LThK I (1957) 716f.
37 Lumen gentium, Art. 8, in: LThK-Konzilskommentar I, 171.

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sakramental, d.h. Zeichen und Unterpfand der Präsenz Gottes und seines Heils für die Menschen, wirksames Bildzeichen der Erlösungsgnade in dieser Welt und für diese Welt. Christus ist Ursakrament.

2. Das Vollsakrament (die Kirche)38

In Christus hat Gott seinen Heilswillen an den Menschen personenhaft ausgedrückt. Christus kam als Wort Gottes an die Menschen. In der Kirche ist dem sakramentale Dauer verliehen. Die Kirche ist kein anderer Ausdruck des Heilswillens Gottes als Christus. Sie ist nur die andere, in unserer Geschichte dauernde Gestalt des gleichen Ausdrucks. Sie ist der Leib Christi in der Geschichte.

Was von Christus, dem Herrn der Kirche, ihrem Grund und ihrem Urbild von den ersten Konzilien gesagt wurde, das gilt nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zwar nicht in absolut gleicher, aber in analoger Weise von der Kirche: Sie ist in einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. Das sakramentale Geheimnis des Gottmenschen hat in der sakramentalen Wirklichkeit der Kirche ein echtes Nachbild. Wie in Christus findet sich in der Kirche ein göttliches, übernatürliches, geistliches und ein menschliches, natürlich-soziales, sichtbares Element. In ihr ist der erhöhte Herr durch seinen Geist gegenwärtig und zugleich sind es die Menschen als Glieder der Kirche. Die Kirche ist „die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche”.39 Diese beiden Elemente (das himmlische und das irdische) sind in der Kirche — wie in Christus — unvermischt und ganz, aber auch ungetrennt. Sie „sind nicht


38 Vgl. L. Müller, Die Kirche als Wurzelsakrament, in: R. Ahlers/L. Gerosa/L. Müller (Hg.), Ecclesia a sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht, Paderborn 1992, 125-135.
39 Lumen gentium, Art. 8, in: LThK-Konzilskommentar I, 171.

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als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst”.40

Die Aussagen über die komplexe Wirklichkeit der Kirche müssen noch weiter ergänzt werden. In der Kirche ist auch das Menschliche voll und ganz da, vereint mit dem göttlichen Element, aber nicht aufgesogen und vermindert. Das Menschliche der Kirche darf ebensowenig wie bei Christus apollinaristisch verflüchtigt, verspiritualisiert werden. Und: Wie die unversehrte menschliche Natur „dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes (vgl. Eph 4, 16)”.41 Das heißt aber: Die Kirche ist ähnlich wie Christus sakramental, und das nicht nur instrumentalistisch in ihren Tun (in Wort und Sakrament), sondern in ihrem Sein. Denn sie kann nur das handelnd und wollend leben, was sie ist. „Das heilige und organisch verfaßte Wesen dieser priesterlichen Gemeinschaft vollzieht sich . . . durch die Sakramente”.42 Kirche ist als sichtbare Wirklichkeit selbst Sakrament, Vollsakrament.

Also: In der Kirche ist das gnadenhaft-pneumatische, unsichtbare göttliche Leben da. Und: In und durch die sichtbare und menschliche Wirklichkeit der Kirche wird die unsichtbar-göttliche Wirklichkeit (in ihrer Präsenz) bezeichnet, sichtbar verleiblicht. Und: Kirche bewirkt, was sie bezeichnet, verleiblicht es unterpfandlich. Sie ist nicht nur Zeichen, sondern auch Unterpfand des Heils, bewirkendes Deutezeichen des göttlichen Lebens. Das menschliche Element der Kirche bildet mit dem gnadenhaften Element der Kirche so eine Einheit, daß das Menschliche das Gnadenhafte manifestiert und bewirkt.


40 Ebd.
41 Ebd.
42 Lumen gentium, Art. 11, in: LThK-Konzilskommentar I, 183.

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3. Die einzelnen Sakramente als wirksame Symbole

Was auf der Ebene Christi und dann auf der Ebene der Kirche dargetan wurde, soll nun — wenigstens andeutungsweise — auf der Ebene des Einzelsakramentes nachvollzogen werden. Wählen wir dabei ein Sakrament aus: die Taufe. Nachgewiesen werden soll, daß der äußere Vollzug (Materie und Form der Taufe) dem inneren Wesen (eben der Gnade) entspricht. Und zwar möchte ich das nachweisen mit Hilfe der Theorie der Symbolursächlichkeit. Dazu muß etwas weiter ausgeholt werden. Wenn gefragt wird, wie die Sakramente wirken, so haben die Theologen im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Antworten gegeben, die sich schematisch in vier Gruppen einteilen lassen43: Nach der Theorie von der direkten physischen Instrumentalkausalität bewirken die Sakramente als von Gott (innerlich oder äußerlich) erhobene Instrumentalursachen und als Instrumente der Menschheit Christi mittels ihrer physischen Realität unmittelbar die Gnade als solche. Nach der Theorie von der unmittelbar „moralischen” Wirksamkeit „bewegen” die Sakramente als Handlungen Christi und durch ihre objektive Würde Gott unfehlbar zur Bewirkung der Gnade. Nach der Theorie der mittelbaren Wirksamkeit bewirken die Sakramente nicht unmittelbar instrumental die Gnade, sondern sie bewirken eine physische oder rechtliche Disposition im Menschen, auf Grund derer Gott als alleinige Wirkursache die Gnade gibt.

Neuerdings wird von den Theologen die Theorie der Symbolursächlichkeit vertreten. Sie sieht das Sakrament als geschichtliche und soziale (inkarnatorische und ekklesiale) Verleiblichung und Erscheinung der Gnade, also auch als deren Wirkung und darum als realsymbolische Erscheinung, in der die Gnade entsprechend ihrer und des Menschen


43 Vgl. K. Rahner, Sakrament, V. Systematik, in: LThK IX (1964) 227-230.

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Natur sich selbst gegenwärtig setzt; sich setzt, indem sie sich ausdrückt. Die Gnade ereignet sich, indem sie sich verlautbart: gratia se significando se efficit.

Das läßt sich noch ein wenig verdeutlichen. Zunächst drei Beispiele.44 Der Vater in der Dreifaltigkeit ist er selbst, indem er sich im Sohn aussagt. Die Seele vollzieht ihr eigenes Wesen, indem sie sich verleiblicht und sich ausdrückt. Eine bestimmte Haltung gelingt dem Menschen, indem er sie unter einer bestimmten Geste vollzieht. Das ist so sehr der Fall, daß dann, wenn Menschen bewegungsgeschädigt sind und bestimmte Handlungen nicht ausführen können, sie auch geistig geschädigt sind, wie uns die Tatsachen beweisen.

Was in den Beispielen gemeint ist, läßt sich philosophisch folgendermaßen formulieren: „Das Seiende ist von sich selbst her notwendig symbolisch, weil es sich notwendig ,ausdrückt’, um sein eigenes Wesen zu finden.”45 Und: „Das eigentliche Symbol (Realsymbol) ist der zur Wesenskonstitution gehörende Selbstvollzug eines Seienden im anderen.”46 Das heißt also nun für unseren Fall: Die Gnade verleiblicht sich im Taufsakrament, das seinerseits Recht impliziert. Somit verleiblicht sich die Gnade im Recht, eben im Gnadenrecht. Und umgekehrt: Das Recht, welches im Taufvollzug impliziert ist, symbolisiert die Gnade; es deutet sie an und bewirkt sie. So sind eben Gnade und Recht nur zwei Seiten der einen Münze.

 

§ 3 Kirchenrecht als liturgisches Recht

 

Es ist bisher nachgewiesen worden, daß sich in der Kirche das Recht aus der Gnade ableiten läßt. Diese Behauptung


44 Vgl. K. Rahner/H. Vorgrimler, Kleines Theologisches Wörterbuch, Freiburg i.Br. 161988, 398 (Symbol).
45 K. Rahner, Zur Theologie des Symbols, in: ders., Schriften zur Theologie IV, Einsiedeln: Benziger 41964, 275-311, hier: 278.
46 Ebd. 290.

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soll nun noch ein wenig erläutert werden. Gnade wird — wenigstens im greifbaren Sinn — am ehesten in den Sakramenten vermittelt. In der Gnadenvermittlung der Sakramente müssen sich also die Rechtselemente finden lassen.47 Das gilt grundsätzlich für alle Sakramente. Es soll hier exemplarisch an der Taufe48 aufgezeigt werden. Ich werde das in drei Schritten versuchen. Zunächst sei ein Taufbericht aus der Apostelgeschichte analysiert, dann wird das Zeugnis der frühen Christenheit befragt, schließlich füge ich noch einiges bei über Taufe, Kindschaft und Adoption.

 

I. Die Taufe des äthiopischen Höflings

Die entscheidende Stelle im 8. Kapitel der Apostelgeschichte, auf die es mir ankommt, sind die Verse 36 und 37: „Wie sie so des Weges zogen, kamen sie zu einem Wasser, und der Höfling rief: ,Da sieh das Wasser! Was steht im Wege, daß ich getauft werde?’ Philippus sprach: ,Wenn du aus ganzem Herzen glaubst, so darf es geschehen’. Er erwiderte: ,Ich glaube, daß Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist’.” An dieser Stelle lassen sich drei Rechtsakte heraustrennen:

1. Die Jurisdiktionelle Frage nach der Angezeigtheit des geistlichen Handelns. Der Taufende muß sich zunächst klar werden, ob er denjenigen, der um die Taufe bittet, auch taufen


47 Vgl. schon den frühen (von O. Casel beeinflußten) Aufsatz: H. Keller, Liturgie und Kirchenrecht, in: Scholastik 17 (1942.) 342-384, bes. 376-384; vgl. ferner P. Krämer, Liturgie und Recht, in: Liturgisches Jahrbuch 34 (1984) 66-83; H. Socha, Grundfragen der Liturgie im neuen Kirchenrecht, in: Trierer Theologische Zeitschrift 93 (1984) 14-39.
48 Vgl. W. Bertrams, Die Bedeutung des 2. Vatikanischen Konzils für das Kirchenrecht, in: ÖAKR 23 (197z) 125-162, bes. 130-136; E. Corecco, Taufe, in: R. Ahlers/L. Gerosa/L. Müller (Hg.), Ecclesia a sacramentis. Theologische Erwägungen zum Sakramentenrecht, Paderborn 1992, 27-36; A. Hollerbach, Bemerkungen zum kanonischen Taufrecht, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 29 (1984) 145-169; P. Krämer, Kirchenrecht I, Stuttgart 1992, 79-85; H. Schmitz, Taufe, Firmung, Eucharistie. Die Sakramente der Initiation und ihre Rechtsfolgen in der Sicht des CIC von 1983, in: AfkKR 152 (1983) 369-407, bes. 377-387.

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darf. Ob also der Taufbewerber in der richtigen Verfassung ist und die richtigen Motive hat. Andernfalls muß er die Taufe verweigern oder aufschieben. Das zeigt uns die Apostelgeschichte unmittelbar vorher, als Petrus dem unreinen Begehren des Simon widersteht und die Firmung verweigert (vgl. Apg 8, 18-24).

Vielleicht war uns früher die Notwendigkeit der Prüfung nicht sehr bewußt. Die gemeinsame Synode der Bistümer in der BRD hat diese aber wieder erneut herausgestellt: „Wenn ,beide Eltern nicht nur die religiöse Praxis aufgegeben haben, sondern als ungläubig anzusehen sind’ . . . und wenn sie die Aufgabe der christlichen Erziehung niemand anderem übertragen, so muß die Taufe aufgeschoben werden. Die Entscheidung über einen solchen unvermeidlichen Taufaufschub — der niemals als Verweigerung der Taufe verstanden werden darf — soll der Seelsorger wenn irgend möglich im Einvernehmen mit den Eltern fällen. Wenn die Eltern bei der Bitte um die Taufe ihres Kindes bleiben und der Seelsorger glaubt, dieser Bitte nicht entsprechen zu können, darf er nur im Einvernehmen mit dem Dekan auf dem Taufaufschub bestehen.”49

2. Wenn der Taufende sich bereit erklärt zu taufen, wird der Täufling ein Taufbekenntnis ablegen. („Ich glaube, daß Jesus der Messias, der Sohn Gottes ist.”) „Dies ist . . . ein Akt der Unterwerfung unter die so ausdrücklich bezeugte Herrschaft und als solcher ein klarer Rechtsakt, der die Bedingung für die begehrte Taufe setzen will.”50 Daß es sich hier wirklich um eine Unterwerfung handelt, „zeigt die Haltung einer Schweizer Kantonalregierung, welche die Bestätigung der kantonalen Kirchenverfassung verweigerte, in der die


49 Beschluß: Sakramentenpastoral, in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung. Offizielle Gesamtausgabe I, Freiburg i.Br. 21976, 238-275, hier: 252; vgl. auch can. 868 § 1 n. 2 CIC/1983.
50 H. Dombois, Das Recht der Gnade I, Witten 1961, 298.

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Taufe zur Bedingung der Kirchengliedschaft erklärt war. Es sei keinem freien Schweizer Bürger zuzumuten, sich einer solchen Handlung zu unterwerfen.”51

3. „Aber Unterwerfung ist ein zweiseitiger Akt. Sie muß auf jemanden treffen, der bereit ist, sie anzunehmen. Sie ist rechtlich auch eine empfangsbedürftige Willenserklärung”.52 Und zwar wird sie empfangen von demjenigen, der tauft. Dieser freilich handelt im Namen Jesu Christi.

 

II. Der Rechtscharakter der Taufe nach der frühchristlichen Tradition

Othmar Heggelbacher53 hat im Vollzug der Taufe einen vierfachen rechtlichen Sinn herausgehoben:

1. Die Taufe als Ritus der Aufnahme in die kirchliche Gemeinschaft. Daß die Taufe ein Initiationsritus ist, wird u.a. dadurch deutlich, daß die Taufe mit der Beschneidung parallel gesetzt wird. Wie diese in das Bundesvolk des Alten Testamentes aufnahm, so jene in das Bundesvolk des Neuen Testamentes. Paulus sagt in Kol 2, 11 f.: „In ihm [gemeint ist Christus] habt ihr eine Beschneidung empfangen, die man nicht mit Händen vornimmt, nämlich die Beschneidung, die Christus gegeben hat. Wer sie empfängt, sagt sich los von seinem vergänglichen Körper. Mit Christus wurdet ihr in der Taufe begraben”. Ähnliches läßt sich aus Apg 19, 1-3 ablesen. Es wird dort unterstellt, daß man durch die Taufe einer „Organisation” oder „Sekte” eingegliedert wird. So darf man Heggelbacher zustimmen, wenn er formuliert: „Unbeschadet gewisser Unterscheidungen und Abgrenzungen ergibt sich also, daß die frühe Christenheit in der Taufe jenes


51 Ebd. 299. Es war mir bisher nicht möglich, den entsprechenden Beschluß in der Literatur aufzufinden.
52 Ebd. 298.
53 O. Heggelbacher, Die christliche Taufe als Rechtsakt nach dem Zeugnis der frühen Christenheit, Freiburg (Schweiz): Universitätsverlag 1953, 79-105.

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Heilszeichen sieht, welches den Menschen zum Glied der Kirche macht und zwar im Sinne einer erkennbaren und feststellbaren Zugehörigkeit zu der einen wahren und sichtbaren Kirche Christi.”54

2. Die Taufe als Akt der Weihe an Gott und als Eid. „Forschungen neuerer Zeit über die griechische Sprache im Zeitalter der neutestamentlichen Schriften haben ergeben, daß der Ausdruck ,auf den Namen’ eine damals häufige Rechtsformel war, durch die eine Person oder Sache demjenigen als eigen oder zugehörig bezeichnet wurde, dessen ,Namen’ sie zugesprochen oder zugeschrieben ward.”55 Mit der Weihe verband sich auch die Vorstellung, daß die Taufe ein Eid sei. „So wie der Soldateneid Weihe und zugleich Anrufung der Götter als der Schiedsrichter über die Ehrlichkeit des Versprechens war, gilt dieses für die Taufe, wenn und sooft sie zum Soldateneid in Parallele gesetzt wird.”56

3. Die Taufe als Vertrag. „Die Auffassung des Taufgeschehens als eines Vertrages ist in der alten Kirche sehr verbreitet und hebt der Wurzel nach in biblischer Zeit an.”57 Dieser Vertrag wird so gedeutet, daß Gott (vertreten durch den taufenden Priester oder Bischof) sich in der Taufe verpflichtet, das Seelenheil zu schenken, welches durch die Erbsünde verloren ging.

4. Die Taufe und die Begründung der kirchlichen Personalität. „Die umfassendste Aussage für das grundlegende Wirken der Taufe ist die, daß der Mensch in ihr neugeboren und damit eine neue Schöpfung wird. Sowohl Paulus (2 Kor 5, 17; Eph 2, 9 f.; Kol 3, 10; Tit 3, 5) wie die johanneischen Schriften (Joh 3, 5; 1 Joh 3, 9) und 1 Petr 1, 3 ff. (1, 23) kennen diesen Begriff”.58


54 Ebd. 90.
55 Ebd.
56 Ebd. 93.
57 Ebd. 96.
58 Ebd. 99.

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Man hat später die neue Personalität durch ein Erkennungs-, Eigentums- und Schutzzeichen auszudrücken versucht. Schon Paulus spricht in Röm 4, 11 davon. Von hier aus ist es dann nicht mehr weit bis zur allgemeinen kirchlichen Lehre vom „character indelebilis”, dem geistlichen und unauslöschlichen Merkmal.59 Deshalb konnte Trient definieren: „Wer sagt, in den drei Sakramenten, nämlich der Taufe, Firmung und Weihe, werde der Seele keine Prägung eingeprägt, das heißt ein geistliches und unauslöschliches Zeichen, weshalb sie nicht wiederholt werden können: der sei mit dem Anathema belegt.”60

 

III. Taufe, Kindschaft und Adoption

„Der Mensch ist kraft Geburt Kind oder Nichtkind jemandes; wenn er es nicht ist, so kann er es durch einen ebenso eindeutigen Akt, den der Adoption, werden. Die Kindschaft ist entweder lediglich festzustellen oder andererseits herzustellen.”61

Nun vollzieht sich allerdings die Begründung der Kindschaft62 keineswegs durch die Geburt allein, auch wenn uns das auf den ersten Blick so scheinen möchte. Die Geburt ist zunächst nur die „Anwartschaft”, gleichsam die Frage an die Eltern, ob sie ihr Geschöpf annehmen wollen. Das volle Kindschaftsrecht erwirbt sich das Kind „in den meisten ältesten Rechten . . . erst durch einen Akt der Aufnahme, entweder durch schlüssige Handlung (insbesondere Ernährung) oder durch einen förmlichen Ritus (das Kind wird etwa durch einen nackten Mann um das Herdfeuer


59 Vgl. J. Mulders, Charakter, sakramentaler, in: LThK II (1958) 1020-1024.
60 DH 1609.
61 Dombois, Recht (A. 50) 316.
62 Vgl. E. Pax/J. Finkenzeller, Gotteskindschaft, in: LThK IV (i960) 1114-1117.

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herumgetragen).”63 Eine Nichtannahme besteht in der Aussetzung64, die in älteren Rechtsordnungen bedenkenlos vollzogen werden konnte. Reste dieser Annahme oder Nichtannahme haben wir noch bei einigen Primitiven z.B. bei den Zigeunern. Das Neugeborene wird eine Zeitlang in kaltes Wasser gehalten. Überlebt es dies, so wird es in die Familie aufgenommen.65 Hier sind sicher biologische Motivationen im Spiel (unwertes Leben soll ausgemerzt werden), aber auch rechtliche. Das gilt selbst dann, wenn die einzelne Zigeunerfamilie sich dessen nicht mehr bewußt sein sollte. Auch Gen 1, 31 („Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut”) läßt sich in diesem Sinn interpretieren. Gott billigt sein eigenes Werk, das er gemacht hat und nimmt es an. Vielleicht läßt sich die Doppeltheit zwischen Geburt und Annahme heute mit den Begriffen „physischer” und „sozialer” Geburt beschreiben. Man erlebt das vor allem dort, wo das geborene Kind zwar äußerlich versorgt wird, aber nicht mehr personal und sozial in die Familie aufgenommen wird.

Erst jetzt kann auch die Adoption66 richtig verstanden werden. „Sie ist ein Akt der Rezeption in das Kindesverhältnis, welches die Voraussetzungen überspringt und das Vollrecht ohne die vorausgehende Anwartschaft gibt. Sie ersetzt die Erzeugung durch die Wahl, die Natur durch die Entscheidung.”67

Die Gedanken von Kindschaft und Adoption treten auch im Neuen Testament auf — meist in Verbindung mit der


63 Dombois, Recht (A. 50) 317.
64 W. Ogris, Aussetzen (eines Kindes), in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte I, Berlin 1971, 267 f.
65 Vgl. Dombois, Recht (A. 50) 317.
66 Vgl. J. Gabriel/F. Klein, Adoption, in: LThK I (1957) 155-157; W.D. Wackernagel, Adoption, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte I, Berlin 1971, 56-58.
67 Dombois, Recht (A. 50) 318.

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Taufe.68 Vielleicht läßt sich schon die Verleihung von Ring und Kleid (Lk 15, 22) als neue Adoption deuten. Sicher aber haben wir die Adoption bei der Taufe Jesu (Mt 3; Mk 1; Lk 3; Joh 1). Jesus, der als Sohn Gottes geboren war, wird in der Taufe von Gott adoptiert: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe” (Mt 3, 17). In diesem Zusammenhang könnte auch der Adoptianismus69 verstanden werden. Aus Sorge um den reinen Monotheismus sieht dieser in Jesus nur einen Menschen, der aber von Gott zum Sohn adoptiert wurde. In Wirklichkeit setzt die Adoption in der Form der Annahme des eigenen Kindes die wahre Geburt meist voraus. Die „reine” Adoption ist also stets die Ausnahme.


68 K. Prümm/R. Schnackenburg/B. Neunheuser/A. Stenzel/A. Raes/K. Mörsdorf/K. Beitl, Taufe, in: LThK IX (1964) 1310-1323; H.-J. Becker, Taufe, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, 33. Lieferung, Berlin 1991, 128-130.
69 Vgl. A. Grillmeier, Adoptianismus, in: LThK I (1957) 153-155.