Gibt es außer der Volksgemeinschaft noch eine andere sittlich notwendige Gemeinschaft? Gibt es außer dem weltlichen (staatlichen) Recht von der Kirche selbständig erzeugtes Recht? Die Frage nach dem Machtverhältnis von Staat und Kirche ist damit aufgeworfen. Ist die Kirche Rechtsquelle, so ist auch die Kirche ein selbstherrlicher Verband.
Geistlich ist, was aus dem göttlichen Geist (πνεῦμα), aus dem heiligen Geist stammt, aus dem Geist ist, in welchem die Quelle alles christlich-religiösen Lebens, in dessen Besitz das Wesen des Christentums gegeben ist. Was christlich ist, hat seinen Ursprung in Gott, in dem Leben der Christenheit aus Gott.
Geistliches Recht ist das aus dem heiligen Geist stammende „heilige Recht” (sacri canones, ius sacrum). Es ist verbindlich kraft des Glaubens an Gott. Geistliches Recht ist aus religiösen Gründen geltendes Recht.
Nicht so als ob das geistliche Recht mit dem aus religiösen Gründen gesetzten oder mit dem auf religiöse Dinge bezüglichen Recht zusammenfiele. Es gibt aus religiösen Gründen entspringendes und auf religiöse Dinge bezügliches weltliches Recht. Das auf kirchliches Leben bezügliche Recht ist keineswegs als solches geistliches Recht (obgleich beides häufig genug miteinander verwechselt wird). Geistliches Recht ist vielmehr nur das aus religiösen Gründen geltende, d.h. aus religiösen Gründen seine Verpflichtungskraft ableitende Recht. Das
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geistliche Recht hat in dem religiösen Leben, in der Religion nicht bloß Beweggrund und Gegenstand, sondern seine Quelle.
Die Frage des geistlichen Rechts ist also die, ob die Christenheit als Trägerin des aus dem heiligen Geist Gottes stammenden religiösen Lebens, ob die Kirche im religiösen Sinn Rechtsquelle ist. Eine kirchliche Körperschaft als solche kann niemals geistliches Recht hervorbringen. Von der kirchlichen Körperschaft genossenschaftlich erzeugtes Recht (das „kirchliche Recht” unserer herrschenden Lehre) würde nicht geistliches, sondern weltliches (aus weltlichen Gründen, kraft körperschaftlicher Gewalt, geltendes) Recht bedeuten. Geistliches Recht kann nur von der Kirche im religiösen Sinn, von der Kirche ausgehen, deren Leben aus dem Geiste Gottes, aus der Offenbarung Gottes in Christo, aus dem Worte Gottes fließendes Leben ist. Bringt die Christenheit aus dem Glauben an das Evangelium göttliches, „heiliges” Recht hervor? Das ist die Frage.
Gibt es geistliches Recht, so ist es evangelisches (evangelisch-soziales), d.h. im Evangelium enthaltenen und kraft des Evangeliums geltendes Recht für die ganze Christenheit auf Erden. Aus dem Evangelium fließendes Recht ist notwendig christliches Weltrecht.
Gibt es geistliches Recht, so kann es in der Lage sein, dem weltlichen Recht zu widersprechen. Welches Recht geht vor? Die Antwort kann für die Christenheit nicht zweifelhaft sein. Das geistliche Recht entspringt dem Geiste Gottes, das weltliche dem Geist der Welt. Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen. Gibt es geistliches Recht, so muß es innerhalb der Christenheit den Vorrang vor allem weltlichen Recht besitzen. Der Geist, der aus dem geistlichen Recht spricht, ist höher, denn der Geist, der in der Welt ist. Gibt es geistliches Recht, so muß es dem weltlichen übergeordnetes Recht sein.
Ist die Kirche im religiösen Sinn (die aus dem Geist Gottes lebende Christenheit) Rechtsquelle, so muß sie wie geistliches Recht, so geistliche Obrigkeit mit selbstherrlicher geistlicher Befehlsgewalt,
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mit Befehlsgewalt im Namen Gottes hervorbringen. Gibt es geistliches Recht, so gibt es geistliche Obrigkeit, deren Gewalt höher ist als die Staatsgewalt.
Die Frage des geistlichen Rechts ist zugleich die Frage nach Bestand und Wert des gesamten weltlichen Rechts.