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II. Evangelische Rechtstheologie

 

1. Ihre Existenz

 

Doch hier erhebt sich unerwartet eine erste Schwierigkeit. Gibt es „die” evangelische Rechtstheologie überhaupt? Handelt es sich nicht vielmehr um einen heterogenen und irreduziblen Pluralismus von Meinungen, gegründet auf Verschiedenheit der theologischen Herkunft, auf Gegensätzen der lutherischen, unierten oder reformierten Konfession, auf unausgesprochenen philosophischen oder auch politischen Vorentscheidungen? Nicht umsonst fehlt bis heute eine systematische Darstellung evangelischer Rechtstheologie.

Das erste Ziel dieser Arbeit ist daher, die Existenz „der” evangelischen Rechtstheologie nachzuweisen. Ihre Grundprobleme, ihre Fülle und Verschiedenheit sollen ebenso sichtbar werden wie ihre verborgene Einheit.

 

2. Hauptentwürfe

 

a) Die Methode

Soll also eine Synopse aller vorhandenen Konzeptionen, Ansätze und Fragestellungen geboten werden? Welche sind die Hauptrichtungen, wo verlaufen die Fronten? Hier zeigte sich eine weitere Schwierigkeit: Es fehlte einmal an hinlänglichen monographischen Vorarbeiten über die verschiedenen „Systeme”, zum anderen an einer angemessenen Methode, diese heterogenen Systeme zu vergleichen. Nicht einmal über den bisher erreichten innerevangelischen Konsens bestand Übereinstimmung.

Als der Verfasser daran ging, die Typologie der verschiedenen Konzeptionen zu erfassen, geriet er — im Bilde gesprochen — in die Lage eines Rechtsvergleichers, der ohne zureichendes Handwerkszeug die

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Eigenart des antiken römischen Rechts, des kontinentalen und des angelsächsischen Rechtskreises erfassen will, um Übereinstimmungen nachweisen zu können; ähnlich mag es einem Sprachforscher ergehen, wenn er den Bedeutungsumfang scheinbar gleicher Worte in verschiedenen Sprachen feststellen will.

So mußte der Verfasser die Erfahrung machen, daß methodisch die Kenntnis der jeweiligen rechtstheologischen Gesamt,,Systeme” gefordert ist, um Teilbereiche und Einzelbegriffe miteinander vergleichen zu können. Denn fast jeder Autor meint mit gleichen Worten Verschiedenes, gelegentlich auch mit verschiedenen Worten Gleiches oder doch wenigstens Ähnliches30. Es wurde unumgänglich, vorweg monographisch das jeweilige Gesamt,,System” eines Autors zu erforschen, einschließlich seiner theologischen, anthropologischen, philosophischen, soziologischen, juristischen und sonstigen Vorentscheidungen31 (also ohne Rücksicht auf Grenzüberschreitungen in nicht-juristische Fachbereiche), ferner einschließlich der jeweiligen Entwicklung (wo eine solche vorlag), endlich einschließlich der je verschiedenen (dialektischen usw.) „Denkform”, also der Grundkategorien des Denkens und der Sprache, die — überall gegenwärtig — allen Erörterungen mehr oder minder unreflektiert zugrunde liegen und darum auch die sachlichen Ergebnisse beeinflussen32.


30) Es kann z.B. von vornherein davon ausgegangen werden, daß ein lutherischer Jurist mit „Gesetz”, „Kirche” usf. etwas anderes meint als ein reformierter, ein lutherischer oder reformierter Theologe wieder anderes; diese Sprachtraditionen überschneiden sich mit den verschiedenen rechtstheologischen Richtungen (Zweireichelehre, „christokratische” Rechtsbegründung [sei es K. Barths oder J. Elluls] usf.), die trotz gewisser Konvergenzen keineswegs mit den konfessionellen Fronten zusammenfallen und obendrein von einer dritten Einteilung überlagert werden: derjenigen in eine Rechtsbegründung des ersten oder zweiten Artikels (also eines Schöpfungs- oder Christusrechts), oder des „trinitarischen” bzw. „heilsgeschichtlichen” Rechts (vgl. unten 732 ff.). — Zum vorausgesetzten Systembegriff (i.w.S.) s.u. 791.
31) Allein die theologische Literatur zu den angeschlagenen Themen ist unabsehbar groß; sie füllt je zu der Problematik der Rechtfertigung, der Kirche, der Zweireiche, des Amtes, zu „Gesetz und Evangelium”, zur Luther- und Calvin-Forschung überhaupt Bibliotheken. Ähnliches gilt für die philosophischen und soziologischen Abschnitte. Dies macht verständlich, warum nur eine — noch dazu subjektive — Auswahl aus der an sich einschlägigen Literatur beigezogen werden konnte. Dies gilt auch für die engere Rechtstheologie.
32) Zur Denkform vgl. G. Söhngen 1959 27-41, LThK III 230 ff. und bes. H.U. von Balthasar 1962 201 ff. — hier also in einem unspezifischen Sinn. Damit soll nicht etwa nach entdeckter Denkform eines Autors eine bequeme Handhabe zu seiner Einordnung in vorgefertigte Schablonen gewonnen werden; ebensowenig soll die ➝

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Dies erforderte, sämtliche erreichbaren33 Veröffentlichungen eines jeden Autors beizuziehen, auch wenn sie scheinbar vom Thema weitab lagen34; nicht nur die stilistische Eigenart in der Darstellung anklingen zu lassen, sondern durch mühevolle und zeitraubende Wortfelduntersuchungen aus hunderten von Einzelstellen zu meist nicht einmal direkt einschlägigen Themen die Bedeutung wenigstens der wichtigeren Begriffe festzulegen35; im sachlichen Umfang wie in formaler Gliederung nur den jeweiligen Autor zu Wort kommen zu lassen, also systematische oder begriffliche Angleichungen selbst um den Preis der Asymmetrie der Darstellung zu unterlassen — alles dies, soweit es bewußter Bemühung zugänglich ist. Andererseits mußte alles ausgeschieden werden, was nicht unbedingt zum systematischen Verständnis gerade dieser Rechtstheologie notwendig war, mochte es auch sachlich noch so wichtig sein36.

Erst nach dieser monographischen Vorbereitung konnte durch die Methode des „Systemvergleichs”37 nach eventuellen Gemeinsamkeiten gefragt werden.


➝ Untersuchung der philosophischen Voraussetzungen der beliebten These huldigen, daß konfessionelle Unterschiede doch nur philosophisch bedingt seien (das würde den tiefen Ernst der zugrundeliegenden religiösen Erfahrungen verkennen). Vielmehr soll auf der Grundlage der auf diese Weise erkannten Individualität der jeweiligen rechtstheologischen Konzeption versucht werden, unter gleichen Begriffen die Verschiedenheiten, unter verschiedenen Begriffen die Gemeinsamkeiten aufzuzeigen und damit den Boden für ein Gespräch zu bereiten, das auf wirklicher Kenntnis der Position des anderen Teiles beruht. Zugleich wird auf diese Weise ermöglicht, den erreichten Konsens und Dissens dieser Richtungen in einem abschließenden Überblick darzulegen.
33) Bei Heckel: alle einschlägigen.
34) Das erwies sich bei Erik Wolf als besonders fruchtbar, da er sich selbst in den entlegensten Rezensionen sehr konkret über seine eigenen Voraussetzungen Rechenschaft gegeben hat.
35) Z.B. die verschiedenen Bezeichnungen für „Kirche” bei Heckel, bei Wolf die unzähligen Belege zur „Dialektik”, bei Dombois die rechtsanthropologischen Grundbegriffe der Existenz, Struktur usw. Ein Teil der Ergebnisse ist in Exkursen und längeren Anmerkungen niedergelegt.
36) So verdient etwa das Widerstandsrecht Heckels eine ausführliche Darstellung (Andeutungen unten 90 f.); das gleiche gilt z.B. für das Naturrecht Erik Wolfs und H. Dombois’ (vgl. NRE, NR, NRO), die Kritik des ius divinum bei H. Dombois sowie seine Stellung zur Orthodoxie und für das je verschiedene Verständnis des Bundes, des Ökumenismus usf. Die Grundgedanken sind an systematisch passender Stelle eingearbeitet, so daß insoweit auf das Sachregister als notdürftigen Behelf verwiesen werden kann.
37) S.u. 791 ff. die Methodische Einleitung der Summula.

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b) Die Auswahl

Schwierigkeiten und Umfang dieser Aufgabe forderten eine rigorose Beschränkung der Autoren38. Zwei Kriterien wurden der Auswahl zugrunde gelegt: Die Konzeptionen mußten systematisch hinreichend vollständig39 und zugleich für die Hauptrichtungen der evangelischen Rechtstheologie repräsentativ sein.

Die Anwendung dieser Maßstäbe auf die bisherige Literatur ergab ein bezeichnendes und zugleich eindeutiges Ergebnis: Die drei bzw. vier umfassendsten Konzeptionen, die zugleich nach dem Urteil des Altmeisters des deutschen Kirchenrechts als repräsentativ für die Hauptrichtungen evangelischer Rechtstheologie gelten können40, sind bisher nicht ausführlicher41 wissenschaftlich behandelt worden. Sie stammen übrigens von Juristen, und zwar von Kirchenrechtlern42 ... Dagegen haben die von Theologen herrührenden rechtstheologischen Entwürfe43 fast durchweg die Beachtung ihrer (katholischen und evangelischen44) Fachkollegen gefunden45.


38) Darum also nicht als Titel „Die” evangelische Rechtstheologie.
39) Das Maß der Vollständigkeit wiederum wurde nicht aus einem übergeordneten Prinzip von außen herangetragen, sondern der Systemlogik der jeweiligen Konzeption entnommen. Daraus ergeben sich die (scheinbaren) Lücken (oben A. 36).
40) H. Liermann LM 1963 41, E. Ruppel FS E. Müller 130 ff. — S. Grundmanns, des Nachfolgers von J. Heckel, in einem eigenen Kapitel zu gedenken, ist nicht nur des Schülers Dankesschuld, sondern sachliche Notwendigkeit (s.u. 238 ff.).
41) Die Auseinandersetzung ist hier überall noch in den Anfängen; vgl. für J. Heckel die holländische Lizentiatsarbeit L. van Houts, für Erik Wolf: H. Müller-Zetzsche, A. Reber und P. L. Zampetti 1962, für H. Dombois: M. Bergman RDC 1966/67, J. Hoffmann RDC 1964 ff.
42) Darum erweist es sich als notwendig, die Kirchenrechtstheologie in größerem Umfang beizuziehen. — Es ist überhaupt zu beobachten, daß die evangelische Entwicklung zunehmend von Fachjuristen bestimmt wird, die selbst in die theologische Klärung eingreifen, da ihnen die Theologie keine gesicherte „Deduktionsbasis” (H. Wehrhahn) bereitzustellen in der Lage ist. Dabei wird versucht, das Rechtsproblem von den unterschiedlichsten Ansätzen her zu lösen: Exegese der Schrift, der Reformatoren, der (lutherischen, weniger der reformierten) Bekenntnisschriften, und einiges andere.
43) Es ist eine Ehrenpflicht, an dieser Stelle auf diejenigen lutherischen und reformierten Theologen hinzuweisen, die an der theologischen Rechtsbegründung führen den Anteil haben: P. Althaus, K. Barth, H. Diem, E. Kinder, W. Maurer, E. Schlink, Ernst Wolf; und ebenso auf diejenigen Juristen, die hier nicht ausführlich behandelt werden können: H. Ehlers, J. Ellul, G. Holstein, H. Liermann, R. Smend, W. Schönfeld — um nur die wichtigsten der älteren Generation hervorzuheben.

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Welches sind nun diese vier Entwürfe?

Es sind die rechtstheologische „Zweireichelehre” des verstorbenen Münchener o. Professors für öffentliches Recht Johannes Heckel (✝ 1963) sowie seines Nachfolgers Siegfried Grundmann (✝ 1967), die Konzeption der „Christokratie und Bruderschaft” des Freiburger Ordinarius für Rechtsphilosophie Erik Wolf und schließlich das „Gnadenrecht” des ehemaligen Staatsanwalts Hans Dombois in Heidelberg 46.

Ihre Ansätze sind in Fragestellung, Methode und Inhalt denkbar verschieden. Der erste Blick findet kaum Gemeinsamkeiten;
Heckel: der lutherische Rechtshistoriker, der das personhaft-dualistische mittelalterliche Weltbild Luthers mit aller systematischen Sorgfalt nachgezeichnet hat;
Grundmann: der selbständige Interpret seines Lehrers, der behutsam dessen Vermächtnis modernisierte und aktualisierte, um vor allem die Einigung des Weltluthertums zu fördern;
Wolf: ein grande umanista und moderner Rechtsphilosoph, der im Gespräch mit Karl Barth in geschliffener Dialektik die spannungsgeladenen Gegensätze christlicher Existenz ins Recht bringt;
Dombois: der große Ökumeniker aus der Michaelsbruderschaft, der im Alleingang die zerstrittene Theologie vor das Forum des Rechts ruft, um ihr ein juristisches Vergleichsangebot zu unterbreiten.


44) Von katholischen Stellungnahmen zu Teilgebieten sind hier vor allem zu nennen: Christologische Rechtsbegründung: J. Fuchs 1955, 1963, R. Hauser 1949, B. Schüller; Schöpfungsordnungen: R. Hauser 1949; Gesetz und Evangelium: G. Söhngen 1957, 1962, LThK IV 831 ff. (fundamentaltheologisch), F. Böckle 1965 I (moraltheologisch); Naturrecht: z.B. A. Auer 1960, FS Messner 111 ff.; Gerechtigkeitsbegriff: P.L. Zampetti 1955, 1962; Anthropologie: A. Reber 1962; zu R. Sohm: H. Barion 1931 und bes. K. Mörsdorf zuletzt HthG I 834 ff. (Wort- und Sakramentsrecht). Auf evangelisch-juristischer Seite sei neben den schon Genannten eigens hingewiesen auf die Arbeiten von H. Simon (1952, FS Barth 346 ff., FS Ernst Wolf 341 ff.), D. Nörr ZRG rom. Abt. 1961, K. Till (1963), H. Wehrhahn (ThR 1950, ZevKR 1951, 1956) und zuletzt nochmals D. Pirson (1965). Eine eigene Erwähnung verdient die rechtshistorisch-theologische Kirchenrechtsbegründung von L. Buisson ZRG 1966, bes. zu Gesetz und Evangelium.
45) Diese Interessenverteilung ist auch in den bekannten interdisziplinären Sprachschwierigkeiten begründet; so meinen Juristen und Theologen, wie erwähnt, je Verschiedenes, wenn sie etwa „Gesetz”, „Gnade”, „Bürgerschaft”, „Anspruch”, „Zeuge” usf. sagen, vermeinen aber gleichwohl einander zu verstehen . . .
46) Im folgenden ist mit „Heckel” („He.”) stets Johannes Heckel, mit „Grundmann” („Gru.”) Siegfried Grundmann, mit „Wolf” („W.”) stets Erik Wolf, mit „Do.” Hans Dombois bezeichnet.

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Bei dieser Diskrepanz mag es nicht verwunderlich erscheinen, daß sogar diese bedeutenden Juristen einander nicht immer und in allen Stücken richtig interpretiert haben, viel weniger, daß sie gelegentlich insgesamt und jeder für sich von den Vertretern der theologischen Wissenschaft in fast beängstigendem Maße mißverstanden wurden.

Ist angesichts dieser radikalen Verschiedenheit überhaupt noch die Zusammenfassung dieser Entwürfe in einer einzigen Arbeit gerechtfertigt? Je tiefer man blickt, desto mehr Gemeinsamkeiten findet man — zur eigenen Überraschung.

Nicht nur die spezifisch juristische Methode und das kirchenrechtliche Fachinteresse verbinden sie; alle beseelt die Liebe zur allgemeinen Kirche47. Damit nicht genug; der Außenstehende sieht — vielleicht deutlicher als der allzu Beteiligte —, wie diese divergierenden ökumenischen Rechtstheologien dennoch eingebettet sind in den breiten Strom der reformatorischen Überlieferung. Zur Gemeinsamkeit der reformatorischen Herkunft kommt ferner die des historischen Ausgangspunktes im Kirchenkampf. Ungeachtet aller Differenzen versteht sich jede dieser Konzeptionen als Antwort auf die damals aufgebrochenen Probleme. Schließlich verhilft die relative Distanz des engagierten Beobachters dazu, eine nur schwer faßbare atmosphärische Übereinstimmung zu erkennen, für die eine — freilich unzulängliche — Erklärung in folgendem bestehen mag: Wie jeder katholische Forscher gleichsam selbstverständlich vom Denken der Scholastik herkommt, mag er sie bejahen oder überwinden wollen, ebenso selbstverständlich steht der evangelische Wissenschaftler in einer nicht-scholastischen Tradition, die — ursprünglich augustinischer oder nominalistischer Herkunft — durch die Erfahrung des deutschen Idealismus hindurchgegangen ist und in einer mehr oder minder nicht-metaphysischen und (noch genauer zu bestimmenden) „existentiellen” Haltung mündet48. Alle diese verborgenen Querverbindungen und Konvergenzen werden erst im „Systemvergleich” sichtbar, der in der abschließenden (aber unabgeschlossenen!) „Summula” unternommen wird. Sie ergibt einen wesentlich größeren Bestand an Gemeinsamkeit, als nach den geschilderten Schwierigkeiten zu erwarten war.


47) Explizit bei Erik Wolf und H. Dombois, implizit — wie S. Grundmann m.E. zu Recht gezeigt hat — bei J. Heckel.
48) Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auf historischem Wege H. Mühlen 1965.

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Durch den Erweis dieses Formalkonsenses im ganzen und durch die Klärung einiger kontroverser Details hofft der Verfasser, auch für das innerevangelische Gespräch einen bescheidenen Beitrag zu leisten. Wenigstens war dies sein zweites Ziel.

 

3. Die ökumenische Aufgabe

 

Gerade die reformatorische Gemeinsamkeit ergab die letzte, wohl auch größte Schwierigkeit: Die relative Übereinstimmung des Verstehenshorizontes innerhalb der evangelischen Rechtstheologie und ihr Abstand von einem „katholischen” Vorverständnis der in Frage stehenden Probleme und Begriffe (er ist wesentlich bedeutender als die dogmatische Differenz!) verbieten jede simplifizierende Übertragung „evangelischer” Ergebnisse in ein „katholisches” Begriffsschema. Wie ist es dennoch möglich, diese auf einer letztlich nicht mitteilbaren religiösen Welterfahrung beruhenden Rechtstheologien so darzustellen, daß einerseits der evangelische Autor noch seine wahren Intentionen wiedergegeben findet, andererseits der Katholik die Andersartigkeit seines Gesprächspartners erfassen und gleichwohl dessen Konzeption wenigstens soweit nachvollziehen kann, daß sie ihn trotz fremder Terminologie und Denkweise zu eigenem Fragen anregt? Diese hohe Dolmetscherkunst ist das dritte und letzte Ziel. Es erreichen zu wollen, wäre Vermessenheit; es gleichwohl anzustreben ist unabdingbare Pflicht.

 

Eine dreifache Aufgabe49 also hat sich die vorliegende Untersuchung gestellt:
1. Die Existenz einer evangelischen Rechtstheologie als eigenen Wissenschaftszweig mit eigener Methode und eigenen Ergebnissen zu erweisen;
2. durch Klärung von Meinungsverschiedenheiten und unter Verzicht auf Kritik von außen einen innerevangelischen Gesprächsbeitrag zu leisten;


49) Vielleicht sollte man nicht nur unter theologischem Gesichtspunkt wahrnehmen, was diese Rechtstheologen an Erkenntnissen erbracht haben; es scheinen hier Einsichten in das Wesen des Rechts — und damit des Menschen — zutage zu treten, deren Tragweite auch für das staatliche Rechtsleben zu prüfen der weltliche Jurist angesprochen ist (so auch Ernst Wolf II 197).

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3. der im Entstehen begriffenen katholischen Rechtstheologie die Ergebnisse evangelischer Forschung zu vermitteln
und damit letztlich eine ökumenische Rechtstheologie zu ermöglichen50.

Die Schwierigkeit und Schönheit eines solchen Unterfangens hat niemand besser geschildert als Hans Urs von Balthasar51:

„Nichts ist im konfessionellen Gespräch wichtiger als die Klärung der Denkform . . . Wo es evident ist, daß die Partner eines Gesprächs zwei verschiedene Sprachen reden, da hat der Übersetzer, der Dolmetsch . . . die erste und wichtigste Aufgabe. Bevor er sein Werk getan, ist jedes Reden vergeblich, jede Verständigung aussichtslos. Und je länger zwei Sprachen, die vielleicht einmal gemeinsamer Quelle entstammt und gemeinsame Wurzeln besitzen, sich ohne Kontakt nebeneinander entwickeln, desto sicherer entfernen sie sich voneinander, bis zur gänzlichen Unmöglichkeit einer Verständigung . . . Jeder Übersetzer weiß, daß in der Transposition von der einen Sprache in die andere . . . ein Besonderes, Einmaliges, eine Prägung, ein Schmelz unrettbar verloren geht . . . Ein Gespräch . . . wird Vorarbeiten, welche Denkform und Sprachschatz betreffen, nicht scheuen dürfen. Erst wenn wir sicher sind, was der andere meint und wie er es auffaßt, erst wenn wir die fremde Sprache beherrschen, läßt sich von einem Gespräch etwas Befruchtendes erwarten.”


50) Externe Kritik wäre wenig sinnvoll, da man nicht behaupten kann, daß in der katholischen Rechtstheologie die Lösungen zu den aufgeworfenen Problemen schon fertig bereitlägen. Eine eigene Konzeption en passant dagegenzustellen, verbietet sich von selbst. — Dagegen wird a.E. eines jeden Sinnabschnittes auf „offene Fragen” hingewiesen, die sich aus der Systemlogik oder der allgemeinen Gesprächslage (einschl. des katholischen Beitrages) nahelegen.
51) H.U. v. Balthasar 1962 201 ff. als Überleitung zu seiner „katholischen Antwort” an K. Barth.