Das Problem der apostolischen Sukzession und die Evangelischen Kirchen
1955
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Vorbemerkung
1. Das Problem der apostolischen Sukzession ist die Frage nach der Kontinuität der Kirche und zugleich die Frage danach, wie weit die Legitimität kirchlichen Handelns von dieser Kontinuität abhängig ist. Die bestehende Unklarheit in diesem Bereich ist für sehr viele Amtsträger evangelischer Kirchen eine ernste Bedrängnis des Gewissens und zugleich eine Quelle der Unsicherheit in wichtigen Entscheidungen, die auch von vielen Gemeinden empfunden wird. Mit dem Wort der Schrift, daß der Geist weht, wo er will, und der Auffassung, daß die Kirche wesentlich die ständige Aktualisierung dieses Geistes sei, kann die Frage nicht abgetan werden — auch nicht mit der Verdächtigung, man strebe hier nach falscher menschlicher Sicherheit. Die Abweisung der Frage bedeutet noch keine Lösung. Im Gegenteil zeigen die weltweiten Gespräche innerhalb der ökumenischen Bewegung die Tragweite und das Schwergewicht dieser Frage. Die gegensätzlichen Auffassungen auf diesem Gebiet sind auch nicht gleichbedeutend und gleichlaufend mit dem evangelisch-katholischen Gegensatz. Da das unbestreitbar und jedem Unterrichteten bekannt ist, bedeutet dieses Argument eine unzulässige Vereinfachung. Im Ganzen gesehen ist die Auseinandersetzung noch nicht über folgende Alternative hinweggekommen: Die einen behaupten, die apostolische Sukzession zu „haben” und halten sie für ein notwendiges Zeichen der Kirche (wobei es Abstufungen des Gewichts gibt, das man ihr beilegt); die anderen erklären, daß sie sie nicht brauchen und daß die Aufstellung eines solchen Merkmals haeretisch sei. Es geht hier darum, diesen Gegensatz als falsch zu erweisen. Er wird durch einen falschen Begriff von apostolischer Sukzession hervorgerufen, den es zu überwinden gilt. Das „Haben” und das „Nichtbrauchen” liegt grundsätzlich auf derselben Ebene der Betrachtung. Wir können aber dem Problem der Kontinuität der Kirche nicht ausweichen. Wo wir es versuchen, verstecken wir uns doch immer nur hinter
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Traditionen, die wir als solche nicht zu bezeichnen wagen. Da die evangelische Theologie sich mit dem Problem der Tradition nicht wirklich auseinandergesetzt hat, ist die evangelische Kirche unversehens sehr viel traditionalistischer geworden als selbst die römische.
2. Der Klärung dieser Fragen stehen im Raum der Evangelischen Kirchen noch besondere Hindernisse entgegen:
a) Die evangelische Kirchenrechtslehre hat die in den letzten dreißig Jahren gewonnenen exegetischen, dogmatischen und liturgischen Erkenntnisse bisher nicht verarbeitet. Sie ist entweder positivistisch oder traditionalistisch geblieben. Die kirchenrechtlichen Grundbegriffe sind bisher niemals in einer theologisch zulänglichen Weise geklärt und durchgebildet worden. Dieser Mangel macht sich heute in ganz besonderem Maße bemerkbar.
b) Auf Grund einer falschen Tradition wird alles Rechtliche in der Kirche vorweg abgewertet und das Recht zu Unrecht mit dem Gesetz im theologischen Sinne verwechselt. Die Theologen interessieren sich weder für die sachlichen Fragen noch für die Geschichte des Kirchenrechts. So verkümmert auch das rechtliche Verständnis. Wenn man meint, daß Geist und Recht sich nicht vertragen, so kann nur der Geist rechtlos und das Recht geistlos werden. „Die Schwierigkeit des Kirchenrechts liegt darin, daß die Theologen zu wenig vom Recht und die Juristen zu wenig von der Theologie verstehen” (Emil Brunner, Das Mißverständnis der Kirche). Trotzdem nehmen die gleichen Theologen jederzeit ein theologisches Urteil über Tatbestände in Anspruch, die ihnen nur unzulänglich bekannt sind. Das führt zu einer folgenschwere Abhängigkeit des kirchenrechtlichen Denkens von der in der römischen Kirche entwickelten Begrifflichkeit auf der einen oder der liberalen Jurisprudenz auf der anderen Seite, deren Begriffe ebenfalls unbesehen verwendet werden.
Gerade bei der Erörterung der apostolischen Sukzession wird vielfach außerhalb von Geschichte und System des Kirchenrechts mit einem ungeklärten festen Begriff gearbeitet.
c) Die Neigung, alle Erscheinungen auflösend gegeneinander zu stellen, zu trennen oder dialektisch zu neutralisieren, ist so tief eingewurzelt, daß es der Erkenntnis dessen und des Entschlusses bedarf, dieser Tradition der Destruktion gegenüber Freiheit zu gewinnen.
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3. Die Kirche beruht
thetisch gesprochen auf dem Missionsbefehl Matth. 28
parall. und auf dem Wiederholungsbefehl Lucas 22, 1. Kor. 11.
eschatologisch auf der Verheißung des Geistes für die im
Namen Jesu Christi (gottesdienstlich) versammelte Gemeinde wie
für die ganze Kirche als Leib Christi über Raum und Zeit hinaus:
bis daß er kommt (1. Kor. 11) — alle Tage bis an der Welt Ende
(Matth. 28).
Daraus ergibt sich von Anfang an ein Miteinander der missionarischen Verkündigung mit dem Ziel der Taue und der Vergegenwärtigung im Abendmahl, zugleich aber ein Miteinander der allgemeinen Kirche aus allen Völkern und der einzelnen gottesdienstlich versammelten Gemeinden. Jede Voranstellung oder Vernachlässigung eines dieser Merkmale muß zu einer Mißbildung der Kirche führen.
4. Das Verhältnis von Kirche und recht ist nicht so zu bestimmen, daß der idealen Größe Kirche die ideale Gröse Recht hinzugefügt wird, etwa wie ein schützenden Panzer oder ein Erhaltungsmittel. Das Recht ist mit der Kirche untrennbar verbunden. Ihr Recht entspringt aus dem Anspruch des göttlichen Wortes, aus ihrem Gehorsam gegen den ihr aufgetragenen Dienst. Dieser Dienst der Kirche (diakonia) umfaßt alles, was ihr im Sinne von Ziffer 3 aufgetragen ist.
5. Das Verhältnis von Kirche und Recht kann erst nach Überwindung eines idealistischen Rechtsbegriffs richtig gesehen werden. Grundsätzlich und geschichtlich ist der Anspruch vor dem Recht, der Prozeß vor dem Gesetz. Aus der Anerkennung des Anspruchs durch den Angesprochenen und die Gemeinschaft oder im Streitfalle den Richter erwächst das sog. objektive Recht. Ebenso entspricht dem Anspruche Gottes das Bekenntnis des Menschen. In dem Zusammentreffen von Offenbarungsanspruch und glaubendem Bekenntnis bildet sich auch das Kirchenrecht. Wegen dieser Anspruchsstruktur besteht ein Wortcharakter des Rechts und ein Rechtscharakter des Wortes.
Die eine, heilige, allgemeine (katholische) und apostolische Kirche als eine vorgegebene, im Bekenntnis bezeugte geistliche Wirklichkeit ist deshalb nicht Gegenstand unserer Verfügung. Sie gehört auch nicht in den Bereich des nachfolgenden Gesetzes. Die Ordnung ihres Lebens und Wesens ist primär nicht eine Sache der zweckmäßigen Vernünftigkeit, sondern des Geistes; sie ist nicht aus der Vernunft, sondern aus dem Geist, aber nicht wider die Vernunft.
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Die These Rudolf Sohms von der Unvereinbarkeit von Kirche und Recht ist daher in Übereinstimmung mit der ökumenischen Rechtskonferenz von Treysa 1950 ebenso abzulehnen wie eine Nebeneinanderstellung von Geistkirche und Rechtskirche. Der Kirchenkampf hat uns in neuer Weise zum Bewußtsein gebracht, daß Kirche und Recht nicht getrennt werden können.
Das Formalprinzip alles Kirchenrechts ist der Anspruch auf Durchführung und Duldung des der Kirche gegebenen Auftrags. Zum objektiven vorfindlichen Recht wird dieser Anspruch überall da, wo er in einer Gemeinschaft anerkannt wird.
Das Materialprinzip der geschichtliche verschiedenen kirchenrechtlichen Gestaltungen ist das jeweils verschiedene Verständnis dessen, was in der Kirche und durch die Kirche auftragsgemäß zu geschehen hat, nicht irgendeine Vorstellung von der Ordnung als solcher. Die Fragen kirchlicher Ordnung entscheiden sich daher zentral an der Gestaltung des Gottesdienstes im weitesten Sinne.
Diese Aussagen stellen keine Forderung, sondern eine Feststellung dar, welche aus der Kirchengeschichte nachweisbar ist.
6. Aus dem, insbesondere unter 3) Gesagten ergibt sich von vornherein eine doppelte Richtung des Kirchenrechts: Das Missionsrecht der Verkündigung und das Sakramentsrecht der Vergemeinschaftung. Beides lebt zugleich auf zwei verschiedenen Ebenen: Im Raum der ganzen, universalen Kirche über Raum und Zeit hinaus, wie innerhalb der einzelnen in Raum und Zeit gottesdienstlich versammelten Gemeinde.
7. Aus der Doppelheit des Auftrags der Kirche ergibt sich als Grundlage und Maßstab ihre Apostolizität und Katholizität. Diese Grundlage und dieser Maßstab gelten für die Gesamtkirche und jede überortliche Kirchengemeinschaft wie für jede einzelne Gemeinde.
8. In der Kirche stehen geistliches Amt und Prophetie in einer Weise nebeneinander, die nicht von vornherein in regelhafter Weise bestimmt werden kann. Beide sind nicht in einen Gegensatz zu stellen, sondern von der Einheit des Geistes her zu begreifen. Umgekehrt kann von der Prophetie her die regelmäßige Ordnung der Kirche nicht zulänglich positiv bestimmt werden.
9. Die heilige Schrift bietet uns über die Ordnung der Urkirche ein verwickeltes Bild, in dem jedoch gewisse Grundlinien und Grundtypen zu erkennen sind. Die strenge kritische Sichtung dieses exegetischen Befundes
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darf nicht dahin führen, die lebensmäßige Bedeutung der konkreten Gestaltung aus dem Auge zu verlieren, die uns jederzeit zur Entscheidung nötigt. Die Exegese darf nicht in der Exegese stecken bleiben.
10. Die Ämter der apostolischen Zeit (Apostel, Propheten, Lehrer) sind überörtliche charismatische Ämter, die mit der Zeit der ersten Zeugen verschwunden sind. In deutlicher Nachordnung bestehen schon zur gleichen Zeit ohne abgeschlossene Ausprägung Gemeindeämter in Gestalt der episkopoi, presbyteroi, prohistamenoi, diakonoi. Ihre Zusammenordnung und wertende Stufung im Sinne der in vielen Kirchen als klassisch angesehenen Reihenfolge (Bischof, Presbyter, Diakon) gehört einer späteren Zeit an. Jedoch ist eindeutig, daß die Diakone der Gemeinde nicht vorstehen, sondern den anderen Ämtern nachstehen. Die Urkirche hat einen starken Trieb zur Einheit, jedoch keine Neigung zur Gleichheit. Sie unterscheidet sehr bewußt und scharf die verschiedenen, von Gott verliehenen Gaben und weist jedem nach seiner Gabe seine Stellung in der Gemeinde zu. In dieser Berufung soll er bleiben und nicht nach einem anderen Beruf trachten. Die Unterschiede des alten, vergehenden Aeons treten zurück, die des neuen, kommenden und schon angebrochenen Aeons werden um so deutlicher festgehalten. Da es geistgewirkte Unterschiede sind, so werden sie durch die Einheit des Geistes davor bewahrt, zu Gegensätzen zu werden (vgl. Zitter 14 „collegium inaequale”). Dieser „katholische Friede” geistlicher Einheit wird als Merkmal rechter Gemeinschaft in der Kirche angesehen. Heute wird gerade umgekehrt von den letzten Dingen her Gleichheit in der Kirche gefordert.
11. Die gemeindeleitenden Ämter der Bischöfe und Presbyter samt
den nicht näher gekennzeichneten Prohistamenoi zeigen zwei
unterscheidbare Haupttypen:
a) Der Bischof kommt sowohl kollegial wie monarchisch vor, ist
jedoch niemals nur Stand. Er ist ohne ein bestimmtes Tun und
Leiten nicht denkbar.
b) Der Presbyter kommt sowohl als Amtsträger (Priester) wie als
kollegialer Stand der Bewährten und Geehrten vor.
Im Presbyterat erbt sich deutlich eine Tradition des jüdischen Ältestenamtes fort, welches die Lehrtradition in streng institutioneller Form unter Handauflegung weitergab. (Lohse, Ordination im Spätjudentum und Neuen Testament). Da die Kirche auftragsgemäß wie die Synagoge lehrt, ist diese Formtradition unbeschadet des grundsätzlich veränderten Wesens durchaus legitim. Die Zweige der Kirche, welche die Lehre voranstellen,
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haben deshalb auch die Neigung zur stärkeren Ausbildung und Vorausstellung des Presbyterats.
Der Episkopat dagegen läßt sich trotz Vorkommens der Bezeichnung in weltlichen Verbänden des hellenistischen Bereichs auf diese nicht zurückführen, sondern ist eine eigenständige christliche Neubildung.
Das Verhältnis beider läßt sich in komplementärer Zuordnung so begreifen, daß das Presbyterat vor allem die Verheißung des Evangeliums und den Anspruch Christi an die Welt verkündigt, während der Episkopat den bereits angebrochenen und in die Welt eingebrochenen Neuen Aeon repräsentiert und zur Geltung bringt. Missionarischer Anspruch und Geheimnis der Gegenwart sind zusammengesehen und nicht zu vereinzeln oder gegeneinander zu stellen. Dementsprechend haben Kirchen mit vorwiegend sakramentalem Leben das bischöfliche Amt besonders bewahrt. In der geschichtlichen Entwicklung sind trotz der starken Verbreitung bischöflicher Gemeinden auch noch lange Zeit presbyteral geführte Gemeinden festzustellen.
12. Missionssituation, Kirchenverfolgung, Kampf mit Gnosis und anderen Haeresien haben in den ersten Jahrhunderten das monarchische Bischofsamt immer stärker hervortreten lassen. Es hat damals unbestreitbar die Zeit seiner großen Bewährung gehabt und sein historisches Ansehen begründet. Die Presbyteralgemeinden werden immer seltener. Chor- (Land-)Bischöfe und Presbyter als Gemeindeleiter werden allmählich mediatisiert. Je früher die Mission, desto größer die Zahl der bischöflichen Gemeinden (Afrika 600, Italien 300, Frankreich 80, Deutschland 50 usw.). Immer mehr wird das Bistum aus der Einzelgemeinde zur Vorortgemeinde und dann zum Zentrum eines Territorialverbandes. Die ursprüngliche Gleichwertigkeit von Bischof und Presbyter wird zum Übergewicht des Bischofs. Dieser übernimmt ökumenische Funktionen, zu deren Versehung die kleinere Einzelgemeinde weder personal noch sachlich imstande ist. Seither hat das Bischofsamt ausschließlich Sitz und Stimme auf den Concilien, was die Beiziehung von Doctoren usw. nicht hindert, aber einer Aufgliederung in Nationalvertretungen aller Stände (Reformconcilien des 15. Jahrhunderts) entgegengestanden hat. Das Bischofsamt wird per definitionem zum Ökumenischen Amt und die Gemeinschaft der Bischöfe zur Bürgschaft und zum Zeichen ökumenischer Gemeinschaft. Der wesentlichste Recht altkirchlicher Ordnung in der sonst so weit umgeformten römischen Kirche ist die Unaufhebbarkeit des Bischofsamtes. Mit dem alten Recht der Bischöfe aber fällt zugleich das Gemeinderecht in ihr
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dahin. In dem Maße, in dem die ökumenische Gemeinschaft der Bischöfe von der Zentralgewalt des Papsttums zurückgedrängt und mediatisiert wird, wird auch das Bischofswahlrecht der Gemeinden vernichtet. Das Papsttum hat den niederen Klerus und die Reformorden benutzt, um die ursprünglichen Träger der Kirchenverfassung, Bischöfe und Gemeinden, gemeinsam auszuschalten. Es kennzeichnet die Unkenntnis der Kirchenrechtsgeschichte, wenn die Verfechter des Gemeindegedankens heute das Bischofsamt beargwöhnen.
13. Die biblische und altkirchliche Ämterwahl ist keine Verfügung irgendjemandes über das Amt, sondern ein Gerichtsakt, ein Urteil (jurisdictio) über das vorgegebene Berufensein des Kandidaten, dessen von Gott gegebene charismatische und pneumatische Gaben anerkannt werden (Rudolf Sohm, Kirchenrecht I. S. 56). Die Wahl trägt jurisdiktionellen Charakter.
Jurisdiktion bedeutet nicht das Hineintragen eines juristischen Urteils in der Kirche, welches geistlichem Handeln fremd wäre. Jurisdiktion ist ausschließlich die Entscheidung darüber, ob geistliches Handeln (ordinatio) angezeigt und damit auch gültig ist. Alles geistlichen Handeln trägt Entscheidungscharakter, ist zugleich Zusage an Gott wie Absage an widergöttliche Mächte. Es kann immer nur vollzogen werden, indem sowohl eine Absage des Glaubens wie eine objektive Loslösung von diesen Mächten erfolgt. Deshalb enthält etwa Luthers Taufordnung nebeneinander Exorcismus (Austreibung des Teufels) und abrenuntiatio (Absage an ihn). Deswegen kann ohne Jurisdiktionsbefugnis niemand in der Kirche handeln, und wer in der Kirche handelt, nimmt immer Jurisdiktionsbefugnis in Anspruch. Jurisdiktion und Ordination können nicht voneinander getrennt werden. Das geistliche Handeln wird unter dem Begriff Ordination als Einordnung, Bindung, Zuordnung verstanden: es geschieht durch Predigt, Seelsorge und Darreichung der Sakramente.
In diesem Sinn haben auch die lutherischen Bekenntnisschriften die kirchenrechtlichen Grundbegriffe Jurisdiktion und Ordination ausdrücklich übernommen (Confessio Augustana Art. 28, 20 ff. Apologie Art. XXVIII Zif. 13 ff. sachlich übereinstimmend Heidelberger Katechismus Frage 85).
Insbesondere heißt es in der Apologie a.a.O.:
„Wir reden aber von rechten christlichen Bischöfen, und es gefällt mir die alte Division oder Teilung nicht übel, daß sie gesagt haben, bischöfliche Gewalt stehe in diesen zweien potestate ordinis und potestate jurisdictionis, das ist in Reichung der Sacrament und geistlichem
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Gerichtszwang. So hat ein jeder christlicher Bischof potestatem ordinis, das ist, das Evangelium zu predigen, Sakrament zu reichen, auch hat er Gewalt eines geistlichen Gerichtszwangs in der Kirchen, das ist Macht und Gewalt aus der christlichen Gemeine zu schließen diejenigen, so in öffentlichen Lastern funden werden, und dieselbigen, wenn sie sich bekehren, wieder anzunehmen, und ihnen die Absolution mitzuteilen. Sie haben aber nicht ein tyrannische Gewalt, das ist, ohn gewiß Gesetz zu urteilen. So haben sie auch keinen königlichen Gewalt, das ist, über die gegebenen Gesetz zu schaffen, sondern haben ein gewiß Gottes Gebot und gemessen Befehl, unter welchem sie sind, nach welchem sie ihren geistlichen Gewalt und Gerichtszwang brauchen sollen.”
Hier wird mit Recht betont, daß alles Handeln in der Kirche ausschließlich im Auftrage, nie aus eigener Macht erfolgt. Der positive, notwendige Zusammenhang von Jurisdiktion und Ordination wird jedoch nicht mehr hinreichend sichtbar, daß nämlich der Ausschließung und Entscheidung in der Jurisdiktion die positieve Gewährung und Zuordnung in der Ordination entspricht.
14. Diese Jurisdiktion in der Ämterwahl wird von der Gemeinde als collegium inaequale ausgeübt. Die Urkirche lebt soziologisch in der Form der Gemeinschaft; diese bedingt Einstimmigkeit der Beschlüsse bei sehr ausgeprägter Verschiedenheit des Einflusses der Ämter, Stände, Personen, deren Verhältnis zueinander nicht rationalisiert ist. Die Einstimmigkeit verbürgt, daß die Entscheidung im rechten Geiste geschieht. Erst im zweiten Jahrtausend rationalisiert sich diese Form in diejenige des collegium aequale, in dem Mehrheitsentscheidung unter Gleichen möglich ist (Presbyterium, Domkapitel, Kardinalskollegium). Im collegium inaequale sind Volk und Klerus miteinander tätig. Im biblischen Beispiel der Diakonenwahl (Apg. 6, 6) wirken Apostel und Gemeinde in einer ganz bestimmten Weise zusammen. Die auf Geheiß der Apostel von der Gemeinde Erwählten werden den Aposteln vorgestellt und nach ihrer Billigung durch Handauflegung ordiniert. Dieses Gegenüber ist charakteristisch. Nirgends handeln die Apostel abgesondert von der Gemeinde, nirgends machen sie sich demokratisch von ihr abhängig *.
* Vgl. hierzu Dombois, Altkirchliche und evangelische Kirchenverfassung, Zeitschrift für Evangelisches Kirchenrecht, Bd. 2, S. 1 ff. ebenso in Glaube, Recht, Europa, Bd. IV der Schriftenreihe Glaube und Forschung S. 134 ff.
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Calvin sagt in der Auslegung der Apostelgeschichte Kap. 6 V. 3:
„Die rechte Ordnung ist die, daß man Leute, die ein öffentliches Amt in der Gemeinde übernehmen sollen, durch allgemeine Stimmabgabe wähle. Die Apostel aber ordnen an, welcherlei Männer man wählen soll. So hält man die rechte Mitte zwischen Tyrannei und unordentlicher Freiheit. Es geschieht nichts ohne Zustimmung und Genehmigung des Volkes, die Hirten aber behalten die Zügel in der Hand.”
Diese Auffassung entspricht weitgehend derjenigen der apostolischen Konstitutionen (s.u.). Insbesondere ist deutlich, daß die Aufgaben der Apostel bzw. Hirten und diejenige des wählenden Volkes wesentliche verschiedene sind. Dieses Grundverhältnis kommt erst in dem Zusammenwirken des leitenden geistlichen Amtes und der Synode, (Bischof in der Synode, synodaler Bischof) zur rechten Darstellung und Wirkung, nicht in einer unterschiedslosen Ältestenversammlung von Pfarrern und Presbytern, die die Leitung der Kirche als ständigen Ausschuß aus sich heraussetzen.
15. Die so handelnde Gemeinde steht weder isoliert da, noch ist sie grundsätzlich autonom oder gar souverän. In der Kirche kann nur handeln, wer dazu bevollmächtigt ist und diese Bevollmächtigung ausweist. Insofern ist eine Kirche außerhalb des Rechts nicht denkbar, weil sie nicht mehr handelnde Kirche wäre. Wohl aber ist mit dem Wesen der Kirche der Begriff der Souveränität in dem Sinne unvereinbar, daß irgend jemand kraft dieser Souveränität eine Letztentscheidung besitze, ohne ein Urteil über sich anzuerkennen (superioritas superiorem non cognoscens).
Deswegen vollzieht sich geistliches Recht in der wechselseitigen Anerkennung geistlicher Entscheidung.
Jener ungeistliche Souveränitätsbegriff liegt sowohl dem Amtsanspruch des Papsttums wie dem Gemeinderecht der Erwählten und Mündigen zugrunde. Beide beruhen auf dem gleichen Ansatz, auf der gleichen Selbstmächtigkeit; der Papalismus bekennt sich ausdrücklich zu dieser institutionell begründeten Macht, während ein falsch verstandenes Gemeinderecht in Verwandtschaft zu modernen Bewegungen der Machtverneinung meint, durch die Gemeinschaftlichkeit autonomer Entscheidung dem Machtproblem entgehen zu können.
Die altkirchliche Gemeinde, die nicht mehr unter der ursprünglichen und unmittelbaren apostolischen Autorität steht, sucht die Begründung und Anerkennung ihres rechten Handelns im Geiste nicht zuerst in der eigenen Entscheidung, sondern in der Übereinstimmung mit der Gesamtkirche in
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Kultus, Lehre und Ordnung (Katholizität). Wie Sohm immer wieder hervorgehoben hat, stand eine jede ekklesia kraft ihres Geistbesitzes grundsätzlich für die ganze Kirche, mochte es eine Gemeinde oder eine Synode sein. Was sie personal oder dogmatisch beschloß, hatte jedoch nur Wirksamkeit, wenn und soweit es von der Gesamtkirche als geistgewirkt anerkannt wurde. Infolge dieses pneumatischen Rechtsprinzips der wechselseitigen Anerkennung (Rezeption) war die alte Kirche weder von oben (papal) noch von unten (kongregational), sondern in horizontaler Verschränkung verfaßt. Gewährleistet wurde diese Einheit durch das Band der sakramentalen Vergemeinschaftung (koinonia, gemeinschaftlicher Anteilhabe am Sakrament). Denn die Gemeinschaft mit einem Irrlehrer schloß auch diejenigen aus, die mit ihm Gemeinschaft des Altars hatten, auch wenn ihnen Irrlehre selbst nicht zur Last fiel (vgl. insbes. Elert, Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche hauptsächlich des Ostens).
Insofern ist das Recht der alten Kirche sakramentales Verfassungsrecht, nicht allein Recht der Sakramentsverwaltung. Dieses Rechtsprinzip ist dem körperschaftlichen Rechtsdenken des zweiten Jahrtausends entgegengesetzt und deshalb auch den meisten heutigen Theologen unverständlich. Er beruht auf der Koinonia, der gemeinsamen Anteilhabe am Heiligen (nicht primär der personalen Gemeinschaft der Heiligen), deren Gewährung oder Versagung kirchenbildend und kirchentrennend wirkt.
16. Aus diesem Grundbestand ist das Bischofswahlrecht des Canons IV von Nicaea und der Apostolischen Konstitutionen zu verstehen. Vom Bischofswahlrecht ist allein die Rede, weil der nachgeordnete Klerus vom Bischof eingesetzt wurde. Aber es ist das entscheidende Beispiel für Geist und Struktur des Rechtes der alten Kirche. Beide Ordnungen haben kein neues Recht geschaffen, sondern einem aus dem ekklesiologischen Selbstverständnis erwachsenen Zustand nur ausdrücklich geordnet.
Canon IV von Nicaea lautet:
„Es ziemt sich am meisten (kommt am meisten zu, proshekei malista), daß ein Bischof von allen (Bischöfen) in der Kirchenprovinz eingesetzt wird. Wenn aber dies allzusehr erschwert ist, sei es durch eintretende Gewalt, sei es durch weite Entfernung, sollen drei (Bischöfe) zu diesem Zweck zusammenkommen und die Handauflegung vollziehen, nachdem sie einstimmig geworden sind, auch mit den Anwesenden, notfalls durch brieflichen Beitritt. In jeder Provinz kommt es jedoch dem Metropoliten zu, die Bestätigung des Geschehenen zu geben.”
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Das Gemeinderecht ist hier gar nicht erwähnt, weil es bis zum 12. Jahrhundert ganz selbstverständlich und unbestritten war. Die entsprechende Stelle der apostolischen Konstitutionen zeigt dies ganz deutlich und gibt das vollständige Bild (Buch VIII, Kap. 4) (Dombois a.a.O., S. 137):
„Das Volk soll sich mit dem Presbyterium und den anwesenden Bischöfen am Tage des Herrn zu einer Versammlung eines Sinnes vereinen. Der Erste der Bischöfe soll das Presbyterium und das Volk fragen, wen sie zu ihrem Vorsteher wünschen. Wenn sie ihm einen solchen bezeichnen, soll er wiederum fragen, ob er von allen das Zeugnis habe, daß er dieses wichtigen und angesehenen Vorsteheramtes würdig sei, ob er die Pflichten der Gerechtigkeit gegenüber Gott erfüllt, die Rechte der Menschen geachtet, ob er sein eigenes Hauswesen recht verwaltet habe und sein eigener Wandel vollkommen untadelig sei. Wenn nun alle der Wahrheit entsprechend, nicht auf Grund einer Voreingenommenheit, bezeugt haben, daß er ein solcher sei, gleichsam als ob Gott Vater und Christus richteten, und angesichts des heiligen Geistes und aller heiligen und helfender Geister sollen sie wiederum zum dritten Mal gefragt werden, ob er wahrhaft des Dienstes würdig sei. Und wenn sie es dreimal bestätigen, daß er würdig sei, soll von allen ein Zeichen der Zustimmung gefordert werden. Sobald dieses freudig gegeben ist, sollen sie erhört werden. Nach Herstellung völligen Schweigens soll einer von den ersten Bischöfen mit zwei weiteren Bischöfen zum Altare stehend unter stillem Gebet der übrigen Bischöfe und der Presbyter und während die Diakone die heiligen Evangelien über dem Haupte des zu Ordinierenden halten, zu Gott beten usw.”
Der orthodoxe Bischof Milasch von Zara kommentiert in seinem Werk über das Recht der orientalischen Kirche diese Ordnung wie folgt (Dombois a.a.O., S. 138):
„Wenn ein erledigter Bischofssitz wieder besetzt werden sollte, so versammelten sich Volk, Klerus und die Bischöfe der Metropolie, trachteten geeignete Persönlichkeiten für jene Würde ausfindig zu machen, und nachdem das Volk seine Meinung über dieselben kundgegeben, entschieden die versammelten Bischöfe darüber, wer für den Episkopat der Würdigste sei, oder es wurde auch von den Bischöfen selbst eine Persönlichkeit in Vorschlag gebracht, worauf das Volk sich entweder für oder gegen den Vorschlag aussprach. Nach erzieltem Einverständnis zwischen dem Volk, dem Klerus und den Bischöfen wurde die Wahl dem betreffenden Metropoliten zur Bestätigung vorgelegt und sodann
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zur Weihe des Gewählten geschritten. Daraus geht hervor, daß das Wahlrecht im strengen Sinne den Bischöfen zufiel, während das Volk nur die Eigenschaften der für die bischöfliche Würde in Aussicht genommenen Person zu bezeugen oder die Zustimmung zu der von den Bischöfen vorgeschlagenen Person zu äußern hatte. Die Stimme des Volkes war sonach in dem gleichen Maße entscheidend wie die der Bischöfe, weshalb auch niemand ohne Mitwirkung des Volkes Bischof werden konnte. Falls eine Verständigung unter den Bischöfen nicht zustande kam, entschied die Majorität; konnte aber auch auf diese Weise keine Einigung erzielt werden, so wandte man sich wieder an das Volk, dessen Stimme jedes weitere Mißverständnis ausschloß”. (Milasch, § 91, S. 323).
An diesen Grundsätzen hat die griechische Kirche bis heute festgehalten. Die Mitwirkung von mindestens drei Bischöfen wird hier überall gefordert, um den gesamtkirchlichen Zusammenhang durch Mitwirkung eines außerhalb gemeindlicher Autonomie stehenden Faktors im Wechselbezuge sicherzustellen und damit die Geistgemäßheit der Wahlentscheidung im höchstmöglichen Maße zu gewährleisten. Dies geschieht nicht zum der „Ordentlichkeit”, sondern um der „Geistlichkeit” willen.
Er geschieht also die Fortpflanzung des bischöflichen Amtes in der alten Kirche primär nicht durch Übertragung von Höheren auf den Niederen, sondern durch das Zusammenwirken des gesamtkirchlichen Bischofsamtes in der Gemeinschaft seiner Träger mit der gottesdienstlich versammelten Gemeinde. Auf diese Weise kommt die kontinuierliche Amtsfolge zustande. Das Recht des Metropoliten ist eine abschließende Bestätigung, keine primäre und selbständige Verfügung. Erst eine spätere Tendenz dehnt dieses Bestätigungsrecht immer mehr aus. Was man heute gemeinhin Hierarchie nennt, ist ein sich allmählich immer stärker ausweitender Jurisdiktionsprimat, kein Vorrang der Ordo, da es bis heute nach den Begriffen des kanonischen Rechts keinen höheren Ordo als den des Bischofs gibt (auch keine Ordination zum Papst). In der römischen Kirche vollends ist die altkirchliche Hierarchie der Patriarchen und Metropoliten zu einer bedeutungslosen Form geworden. Ein souveräner Herrscher hat gern gleiche Untertanen. Dieses Bild der altkirchlichen Ordnung bedeutet bereits eine wesentliche Revision des üblichen Bildes von der alten Kirche, dem Sukzessionsvorgang und der Hierarchie.
Diese Ordnung des Bischofswahlrechtes hat in der ganzen alten Kirche einschließlich der getrennten Kirchen des Ostens gegolten und gilt heute
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noch als wesentlichster Rest gemeinchristlichen Kirchenrechts in den nichtrömischen bischöflichen Kirchen. Sie ist in der römischen Kirche auch für das Papstwahlrecht endgültig erst durch das III. Laterankonzil 1179 gegen Geist und Tradition der alten Kirche außer Kraft gesetzt worden.
17. Dieses Zusammenwirken der Bischofsgemeinschaft (als der Vertreter der Gesamtkirche) und der autonomen Einzelgemeinde (Klerus und Laien gemeinsam ohne Unterschied) hat jedoch seinen eigentlichen Grund und sein Vorbild in dem zugrundeliegenden gottesdienstlichen Verständnis, in dem wechselbezüglichen Miteinander von sakramentalem und sakrifiziellem Handeln, wie es neuerdings Peter Brunner in seiner Lehre vom Gottesdienst (Leiturgia Band I, S. 191) ans Licht gebracht hat:
„Dank und Lobopfer sind: ,Predigt des Evangeliums, Glaube, Anrufung Gottes, Danksagung, Bekenntnis, die Leiden der Heiligen, überhaupt alle guten Werke der Heiligen’. Auch die ,Zeremonie der Messe’ kann ein Lobopfer genannt werden. Es gibt also auch gottesdienstliche Handlungen, die Opfer sind. ,Opfer ist eine Zeremonie oder ein Werk, welches wir Gott darbringen, um ihn dadurch zu ehren.’ Ein Opfer, das in einer gottesdienstlichen Handlung besteht, kann nie ein von uns Gott dargebrachtes Versühnopfer sein, es ist Dank- und Lobopfer. Sacramentum und Sacrificium, die Heilsgabe Gottes an uns und unsere Hingabe an Gott in Dank und Lob, sind daher nach Melanchthons Apologie die beiden Grundpfeiler dessen, was im Gottesdienst geschieht.”
Diese Zwiefältigkeit fordert nun eine klare Sonderung von Amt und Gemeinde wie ihre Zusammenordnung. Sie bedeutet zugleich die umfassende und jederzeitige Gegenwärtigkeit der Heilsgabe Gottes an uns in der Verbindung mit der glaubenden Hingabe gerade dieser begrenzten Gemeinde. In dem Maße, in dem dieses Grundverständnis des Gottesdienstes aus dem Blick kommt, auch im Sinne einer ausschließlichen und damit einseitigen Wortverkündigung, deformiert sich auch die Ordnung der Kirche.
Auf dem Hintergrund eines veränderten Gottesdienstverständnisses ist auch der Umbruch des alten Kirchenrechts in dasjenige des scholastischen Neukatholizismus zu verstehen. Wenn das Opfer (Sacrificium) der Gemeinde — wie auch immer verstanden — von dieser abgelöst ausschließlich durch den Priester dargebracht wird, so werden dieser Gemeinde naturgemäß die aus der Concelebration folgenden Rechte abgesprochen. Den Verfall der Messe als Gemeinschaftshandlung im Hochmittelalter hat I.A. Jungmann in seinem Werk „Missarum solemnia” ausführlich
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beschrieben. Eine scharfe Kritik dieses Zustandes ist auch in den Ausführungen des bedeutenden französischen Ekklesiologen Yves Congar O.P. in dessen Abhandlung „Structure du sacerdoce chrétien” (S. 144) enthalten:
„Wiewohl der hierarchische Priester allein das sichtbare Opfer vollzieht, hat die Teilnahme der Gläubigen nach ,Mediator Dei’ eine liturgische Bedeutung, die sich im ,Amen[ zum Canon und insgesamt im Dialog der Messe kundtut. Wenn man die alten Texte liest, besonders die des westlichen Hochmittelalters, ist man von der Tatsache beeindruckt, daß sie noch erheblich mehr als dies zu sagen scheinen. Die Gläubigen erscheinen da als wirkliche Zelebranten des Mysteriums. So wenig wie heute erkannte man ihnen damals die Gewalt zu, die heiligen Gaben zu konsekrieren. Aber man scheint zu denken, daß diese Konsekration nur im Schoße ihrer Glaubens- und Gebetseinheit geschehen kann. Die neue Sakramentstheologie interessiert sich fast nur noch für die kanonischen Bedingungen der Gültigkeit, doch in ganz ungenügender Weise für den inneren Sinn der Dinge. Sie legt sehr genau das Minimum von Gesten, Worten, Materie und Intention fest, das die Gültigkeit der Zelebration verbürgt, aber sie beschäftigt sich kaum mit dem kirchlichen und religiösen Sinn der Dinge .... Mit einem Wort, wir haben heute als Ekklesiologie eine reichlich juristische Theologie der hierarchischen Gewalten, aber keine Theologie der Ecclesia. Doch die Kirche, wiewohl hierarchisch aufgebaut, lebt in ihrem ganzen Volk; die Laien, sagt der heilige Chrysostomos, sind das priesterliche Pleroma des Bischofs. Das Gesetz der Kirche, wenn man sie in ihrer lebendigen Wirklichkeit betrachtet und nicht nur in ihrem Skelett, ist es, daß die hierarchische Tätigkeit oder Übermittlung und die Zustimmung der Gemeinde Hand in Hand gehen. Solange man diese überlieferte Einsicht der Ekklesiologie nicht wieder hergestellt hat, kann eine Fülle liturgischer und pastoraler, ja apostolischer Probleme nicht gelöst werden; ein paar kanonistische Distinktionen ersetzen nicht die schlichte Wirklichkeit eines wahrheitsgemäßen Lebens.”
18. Die Reformatoren haben sich ausdrücklich auf den Canon IV von Nicaea und entsprechende Stellen der Väter berufen (Tractatus de potestate papae VI). Wie auf dem Gebiete des Gottesdienstes (Rudolf Stählin, Geschichte des christlichen Gottesdienstes, in „Leiturgia”) haben sie jedoch den erstrebten Anschluß an die Ordnung der alten Kirche in Wahrheit nicht gewonnen. Denn die übliche Mitwirkung von anderen Amtsträgern
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bei der Ordination enthält gerade das Wesentliche der alten Ordnung nicht, die Mitentscheidung. Gehören die Ordinierenden mit zum wählenden Presbyterium, so haben sie zwar Anteil an der Wahljurisdiktion, aber auf der Gemeindeseite und nicht als Repräsentanten der Gesamtkirche. Auch in der alten Kirche wählte der Ortsklerus und die Gemeinde ohne Unterschied gemeinsam im Gegenüber zu den Bischöfen. Gerade die Mitentscheidung durch die Repräsentanten der Gesamtkirche ist wesentlich, um die Souveränität der Gemeinden und Synoden auszuschließen, ohne ihr Recht aufzuheben. Dieses Recht wird begrenzt und nicht verneint, so wie umgekehrt die Bischöfe nicht einseitig verfügen können. Geistliches Handeln (ordinatio) kann niemals erfolgen ohne Recht der Jurisdiktio, d.h. Entscheidung darüber, ob dieses Handeln angezeigt ist (s.o. Z. 13). Beides kan niemals voneinander getrennt werden. Im übrigen hat die Gleichsetzung von Bischofsamt und Presbyteramt praktisch nur zur Auflösung und Zerspaltung des ersteren und damit zum Verlust der gesamtkirchlichen Ordnung geführt (s.u. Z. 35).
19. Die hier entwickelte pneumatische Rechtsordnung der alten Kirche begründet und sichert nicht die Apostolizität, sondern die Katholizität im Sinne des Bekenntnisses, d.h. die Einheit, Identität und damit Gültigkeit ihres personalen und lehrmäßigen Handelns. Das rechtliche Ineinandergreifen aller Ekklesien, Gemeinden, Metropolien, Patriarchate stellte ein wirksames Band der Einheit dar, welches wir verloren haben. Von hier aus ist die Rechtmäßigkeit unseres souveränen Landeskirchentums in Frage zu stellen. Das Notrecht der Reformationszeit können wir nicht mehr in Anspruch nehmen; Not kann im übrigen, wie Luther sagt, Recht brechen, aber nicht Recht schaffen.
20. Die dargestellte korrelative Verschränkung von Gesamtkirche, Teilkirche und Gemeinde begründet und sichert zugleich ihre Katholizität durch den ganzen Raum der Oekumene. Die Frage der Apostolizität ist dagegen die Frage nach der Kontinuität, nach dem zeitlichen Ursprung und der Legitimierung aus ihm.
21. Die fächerförmig in verschiedenen Strömen sich ausbreitende Mission begründete überall gewisse Abhängigkeitsverhältnisse der missionierten Gemeinden von den missionierenden als von ihrem Ursprung, ihrer auctoritas. So sind die geschichtlichen Patriarchate entstanden, die nach der Ordnung der ökumenischen Konzilien in einem bestimmten Rangverhältnis
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zueinander standen. Erst später ist diese Patriarchatsverfassung der politischen Territorialorganisation des römischen Reiches angeglichen worden.
22. Diese Patriarchatsverfassung mit einer Stufung von oben nach unten entstammt nicht dem Sakramentsrecht, sondern dem Missionsrecht, aus dem sich das Recht der entscheidenden Bestimmung, der Jurisdiktion herausbildet. Es handelt sich überall um Jurisdiktionsprimate. Die konkrete Übertragung des Amtes geschieht jedoch wie gezeigt durch die Gemeinschaft der Bischöfe zusammen mit der Gemeinde; der Metropolit hat nur ein Bestätigungsrecht, wie der Canon IV des Nicaenum ausweist. Seine Mitwirkung ist nicht konstitutiv, sondern regulativ. Die immer weitere Ausdehnung dieser regulativen Funktion zu einer konstitutiven und schließlich zur Alleinigkeit ist das Mittel gewesen, durch das das Papsttum die alte Ordnung der Kirche gesprengt und aufgehoben hat. Die Folge dieser Zerstörung durch den päpstlichen Universalismus war die Kirchenspaltung. Der überspannte Bogen ist zerbrochen. Die alte Kirche ist eine Gemeinschaft von Ekklesien unter der Autorität apostolischer, durch die Mission, die Traditio geschichtlich erwachsener, in einem bestimmten Rangverhältnis stehender Vororte. Die Vorstellung einer einheitlich geleiteten, aus einer Quelle abgeleiteten Kirche und damit das neukatholische System des unbeschränkten Jurisdiktionsprimats und Unversalepiskopats ist erst auf Grund eines geistesgeschichtlichen Umbruchs seit dem 12. Jahrhundert möglich geworden. Sie entfaltet nicht, sondern widerspricht Geist und Recht der alten Kirche. Vorortsordnung und Körperschaftsbegriff schließen einander aus.
23. Das Missionsrecht hat, wie sein Name besagt, zum Grund und Gegenstand die auftragsgemäße missionarische Verkündigung, damit die Lehre der Kirche überhaupt, die scheidende Auseinandersetzung mit der Welt in jeder Form. Denn mit Mission und Lehre ist immer die Scheidung der Geister, die Abweisung der Ansprüche gottwidriger Mächte, die Bekenntnisbildung und Lehrentscheidung verknüpft. Dies alles aber hat die alte Kirche nicht als die Aussage intellektueller Wahrheiten verstanden, sondern als einen Akt der glaubenden Hingabe, als gleichlautende Antwort auf den Anspruch Gottes (homologia) wie als Abwehr fremder Mächte. Sie hat es daher im gottesdienstlichen Zusammenhang behalten. So sagt Elert (a.a.O., S. 37, 91 ff.):
„Dogma ist in der alten Kirche nur, was liturgische Qualität besitzt” (S. 91).
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„Das orthodoxe Bekenntnis trägt gottesdienstlichen Charakter
nicht erst, seitdem das Credo formell in die Liturgie aufgenommen
wurde, sondern seinem Wesen nach” (S. 92).
„Das Dogma der alten Kirche will Bekenntnis sein, es trägt in
seinem Sachgehalt auch das Bekenntnis der Urkirche in sich und
Bekenntnis heißt Gottesdienst” (S. 93).
Je mehr Bekenntnis und Lehre der Kirche sich vom Gottesdienst löst, und zum umfassenden für sich bestehenden System wird, desto höher steigt auch der Jurisdictionsanspruch der kirchlichen Gewalten, desto mehr verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen Katholizität und Apostolizität, zwischen koinonia und Leitungsgewalt, fallen beide auseinander. In der äußersten Steigerung dieses Jurisdictionsanspruchs, in der Unfehlbarkeit des Papsttums, hat die römische Kirche die Katholizität zugunsten der Apostolizität, so wie sie sie versteht, preisgegeben. Die Richtigstellung dessen kann nie durch eine Gegenlehre allein, sondern nur durch die Wiederherstellung des Zusammenhangs von Lehre und Gottesdienst und vom Gottesdienst her erfolgen. Es ist daher nicht folgerichtig, wenn Elert in dem genannten Werk doch wieder im Still der altprotestantischen Orthodoxie unter Abweisung jeder anderen Fragestellung und anderer Merkmale die Kirchengemeinschaft zentral durch die lehrmäßige Übereinstimmung begründet sieht.
24. Denn die konkrete frei gewachsene Geschichtlichkeit der Kirche, ihre Apostolizität pflanzt sich aktual in Gestalt ihrer Katholizität fort. Sie schließ die existentielle Tatsache ein, daß über die Art unseres Christseins durch die geschichtliche Form, in der wir ergriffen werden, bereits in bestimmtem Maße vorverfügt ist. Es gibt ein ungeschichtliches, chemisch reines Christentum so wenig wie einen abstrakten, ungeschichtlichen Menschen. Wir können diesem Problem auch nicht dadurch entgehen, daß wir den Glauben ausschließlich als aktuellen Vorgang verstehen, ebensowenig wie wir der Glaubensentscheidung durch die Flucht in eine grundsätzliche und völlige Vorentscheidung der Kirche entgehen können. Je nachdem wird entweder der Entscheidungscharakter oder die Substanz dieser Entscheidung aufgehoben. Dieses komplementäre Verhältnis muß durchgehalten werden. Die Frage der Apostolizität ist daher die Frage, ob und wie die Legitimität der Kirche von ihrer Kontinuität abhängt, und dann, worin diese Kontinuität real gründet, wie sie sich vollzieht.
25. Jede empirische Kirche hat sich in ihrer Weise mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Ein rein aktualistisches Verständnis ist lebensmäßig nicht durchzuhalten und führt in die Sekte oder Vereinzelung, also
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immer aus der Kirche heraus. Eine Kirche, die die Verkündigung des Evangeliums ausschließlich in die subjektive Gewissenhaftigkeit des Predigers stellt, nimmt die hier gestellte Frage und Lebensnotwendigkeit nicht ernst. Diese Haltung ist auch erkenntnistheoretisch heute nicht mehr möglich. Dieser Tatsache hat auch die Weltkirchenkonferenz von Lund 1952 für Glaube und Kirchenverfassung Rechnung getragen, indem sie die gleichen Fragen und den Gesichtspunkt des Verhältnisses von Kontinuität und Diskontinuität stellt (vgl. Bericht hgg. von Bischof Stählin, Luther-Verlag, Witten 1954, S. 26 f.).
Über das gleiche Problem sagt Günter Howe in den Vorbemerkungen zum Gespräch zwischen Theologie und Physik (Glaube und Forschung, Band I, S. 107 f.):
„Kontinuum und Diskontinuum sind in der heutigen Physik in dem
früher beschriebenen Sinne komplementäre Begriffe geworden. Durch
die kleinste Längeneinheit und die mit ihr trotz des nicht zu
übersehenden Unterschiedes zwischen Raum und Zeit
zusammenhängende kleinste Zeiteinheit wird nun eine Vorstellung
von Raum und Zeit geschaffen, die gleichsam in der Mitte zwischen
Kontinuum und Diskontinuum und damit in der Mitte zwischen der
makroskopischen und mikroskopischen Welt steht. Ebenso sucht die
heutige Theologie nach einer Zeitvorstellung, die der in Jesus
Christus geschehenen Inkarnation von Gottes erfüllter Zeit in
unserer verlorenen Zeit der Kalender und Uhren gerecht wird, oder
einfacher gesagt, die Theologie versucht zu erläutern, daß Gott
für uns sündige Menschen Zeit hat. So wird der Zeitbegriff der
gegenwärtigen Physik zu einer Analogie für das von der
Zweinaturenlehre aus zu interpretierende Miteinander von Gottes
Zeit und der verlorenen Menschenzeit. (Das Wort Analogie ist
trotz der an ihm hängenden schweren theologischen Gewichte kaum
vermeidbar, da sachnähere Ausdrucksformen fehlen.)
Wir vergegenwärtigen uns die Bedeutung der neuen physikalischen
Gedanken an Hand der theologischen Vorstellungen über die Kirche
und insbesondere über die Realpräsenz. Die Kirche ist die
Fortsetzung der historischen Existenz Jesu Christi, wobei das
Wort Fortsetzung durch Hebräer 7, 28 korrigiert werden muß. Die
so als Leib Christi verstandene Kirche ist der Raum, wo sich
Gottes erfüllte Zeit und die verlorene Zeit der Menschen
berühren, und an der Art, wie diese Berührung geglaubt wird,
entscheidet sich das Wesen der Kirche.
Die katholische Kirche begründet die Realpräsenz auf die aus der
apostolischen Sukzession hergeleitete Unfehlbarkeit des
päpstlichen
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Lehramts und auf das als opus operatum verstandene
Sakrament. Die unproblematische Kontinuität dieser Realpräsenz
findet etwa im Tabernakel ihren sinnfälligsten Ausdruck. Da
Kontinuität physikalisch Vorausberechenbarkeit bedeutet, ist die
Gnade auch an dieser Stelle zur Natur, die göttliche Zeit einfach
zu einem Teil unserer menschlichen Zeit geworden.
In der evangelischen Kirche wird die Gegenwart des Auferstandenen
infolge der besonderen Betonung der Aktualität und Freiheit des
göttlichen Handelns diskontinuierlich gesehen, wobei man freilich
in der Kanonisierung der einzelnen Punkte des Diskontinuums recht
weit geht (Augsburg 1530, Bekenntnissynoden!). Durch die
Hervorhebung der Aktualität des göttlichen Eingreifens in die
Kirche wird aber der Raum für das göttliche Handeln an der Kirche
in einer der Geduld und Treue Gottes widerstreitenden Weise
beschränkt, so daß die Basis für die irdische Existenz der Kirche
zu schmal wird.
Hier könnte der Physiker dem Theologen einfach durch die
Bemerkung helfen, daß Kontinuum und Diskontinuum komplementäre
Begriffe sind, so daß man bei Beleuchtung des einen den andern
nicht mehr zu sehen vermag. So ist zu hoffen, daß der bedeutende
und zumeist nicht klar erkannte Einfluß, den der Zeitbegriff auf
die Vorstellungen vom Wesen der Kirche ausübt, durch die neuen,
noch im Anfang ihrer Entwicklung stehenden Theorien stärker ins
Bewußtsein erhoben wird und daß der Kirche damit ein neuer Ansatz
zum Gespräch zuwachsen wird.”
Die Vorstellung der Aktualität liefert die Kirche dem Zugriff des menschlichen Denkens und Handelns ebenso aus, wie die Vorstellung eines mit Sicherheit tradierbaren Kontinuums. Das Geheimnis der Kirche liegt genau zwischen beiden. Die Unzulänglichkeit einer einseitigen Kontinuitätsvorstellung begründet auch die einer ebenso einseitigen Aktualitätsvorstellung.
26. Die Beantwortung der Sachfrage, worin nun die konkrete Apostolizität der Kirche liegt, läßt sich am ehesten durch den Vergleich der Problemlösungen finden, welche die empirischen Kirchen gefunden haben — von jenen abgesehen, die durch Abweisung des Problems sich weigern, sich ihm zu stellen und schon dadurch ipso facto die Apostolizität verlieren.
27. I. Nach dem oben Ermittelten geschieht in der alten Kirche die Tradition des Amtes in einer Weise, die durch drei Merkmale gekennzeichnet ist:
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a) sie geschieht nicht durch einen einzelnen, sondern im
Zusammenwirken der Bischöfe im Plural und der
Gemeinde;
b) die Ordination setzt Jurisdiction (Wahlentscheidung) voraus,
ist von ihr nicht abtrennbar;
c) sie geschieht auf ein konkretes Amt in einer bestimmten
Gemeinde hin.
Die Person des zu Ordinierenden wird in eine doppelte Relation, nämlich zur Gemeinde und zu seiner Aufgabe der Verkündigung und Sakramentsverwaltung gesetzt. Diese Rechtsform ist die sog. relative Ordination. Sie schließt die Zusammenbindung von Amt und Gemeinde, wie von Person und Funktion ein. Ohne Ordination keine Funktion, ohne Funktion keine Ordination. Sie begründet keinen für sich bestehenden status, keinen character indelebilis. Erweist sich, daß der Ordinierte den Geist nicht hat oder verloren hat, so wird er auf dem Wege der liturgischen Deposition aus dem Amt entfernt. Die Ordination begründet also einen echten Stand, aber keine für sich bestehende Qualität. Aus dieser Auffassung folgte auch das altkirchliche Versetzungsverbot für die Bischöfe. Die relative Ordination gehört zu denjenigen Erscheinungen der Kirchenrechtsgeschichte, welche trotz umfangreicher Darstellung bei Rudolf Sohm nicht beachtet werden, weil man ausschließlich auf die heutige römische Lehre von der absoluten Ordination und vom character indelebilis sieht. Die Reformation hat davon noch etwas gewußt, aber die Tragweite dessen ebenso wenig realisiert, wie bei den übrigen in Anspruch genommenen altkirchlichen Loci. Der Rat der Prediger zu Leipzig hat noch im 17. Jahrhundert einen unwürdigen Pfarrer liturgisch deponiert, d.h. seines Amtscharakters in einer bestimmten Form, insbesondere durch Ablegung des Amtsgewandes, entkleidet und ihn ausgeschlossen. Nach Auffassung der alten Kirche verlieh die Ordination einen echten geistlichen Charakter, der aber vernichtbar war. Die römische Kirche erklärte diesen Charakter für unzerstörbar. Die reformatorischen Kirchen ließen die Frage des geistlichen Charakters des Amtes mehr oder weniger weit offen und waren eindeutig nur in ihren Aussagen über die funktionalen Amtsbefugnisse, die natürlich verloren gehen können.
Demgegenüber muß klargestellt werden, daß die Ordination einen echten personalen und konstitutiven Charakter trägt, der wie in der alten Kirche aberkannt werden kann. In der Formel der CA XIV „de ordine ecclesiastico” „nisi rite vocatus” ist die Zuordnung von Jurisdiction (Beruf) und Ordination (Ritus) erhalten, aber nicht deutlich entfaltet. Daraus ergibt
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sich zugleich, daß bei zeitweiligem Verlust der funktionalen Amtsbefugnisse die Ordination nicht wiederholt werden kann, sondern fortbesteht. Bei allem ist an die Aussagen der Apologie (Art. XIII De numero et usu sacramentorum), eine fast ganz vergessene Stelle, zu erinnern:
„Wo man aber das Sakrament des Ordens wollte nennen ein Sakrament von dem Predigtamt und Evangelio, so hätte es keine Beschwerung, die Ordination ein Sakrament zu nennen. Denn das Predigtamt hat Gott eingesetzt und geboten und hat herrliche Zusage Gottes Rom. 1 usw. — Wenn man das Sakrament des Ordens also verstehen wollt, so möcht man auch das Auflegen der Hände ein Sakrament nennen. Denn die Kirche hat Gottes Befehl, daß sie soll Prediger und Diakone bestellen...”
In der ganzen vorausgehenden Begründung wird lediglich der Opferdienst, also ein bestimmtes gottesdienstliches Verständnis verworfen, keineswegs aber der geistlich-sakramentale Charakter des besonderen Priestertums, welches in Gottes Wort gefaßt und mit Gottes Wort verbunden ist.
II. Die altkirchliche Zusammenordnung von Person und Funktion, Amt und Gemeinde wird vom 12. Jahrhundert ab durch die in der neukatholischen Kirche geltende Rechtsform der absoluten Ordination abgelöst. Sie entsteht aus dem praktischen Bestreben, die Unsicherheitsmomente pneumatischen Rechts auszuschalten, also aus einer Rationalisierung, geistesgeschichtlich jedoch vor allem durch den Einbruch kausaler Kategorien in der Scholastik. Die prima causa Gott setzt die secunda causa, das esse des Priesters, welcher das sakramentale opus vollbring, welches wiederum das Subjekt des Gläubigen sich zueignet, und das ihm zugewendet wird. Operari sequitur esse. Deshalb muß die secunda causa des Priesters ein esse, eine bestimmte qualitas kraft der Weihe besitzen. Hierdurch begrenzt sich die Vorstellung vom Hergang der Sukzession auf die Person der Tradierenden.
III. In antithetischen Gegensatz dazu versteht die Reformation das Amt wesentlich funktional und versucht, das personale Moment soweit als möglich auszuschalten. An die Stelle des absoluten ordo und in Opposition zu ihm tritt die absolute Funktion. Jedoch bestehen noch wesentliche Unterschiede zwischen der lutherischen und der reformierten Auffassung.
a) die lutherische sieht die Kontinuität wesentlich in der dauernden Selbstbezeugung des Wortes Gottes in der fortschreitend enger auf die Predigt begrenzten Verkündigung und ist daher bis heute immer wieder die Versuchung erlegen, sie in einem bestimmten Lehrbestande sichern zu wollen.
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b) die reformierte, die der Bekenntnisbindung nicht gan entbehrt (Heidelberger Katechismus, Dordrechter und Westminster-Synode), ist noch stärker aktualistisch.
In der Gegenwart ist eine Krise dieser Auffassungen zutagegetreten. Die Frage nach der Legitimität des Amtes und der Sukzession ist keine restaurative, sondern eine ganz moderne. Denn ebensowenig wie Kontinuität und Aktualität können Person und Funktion, Sein und Akt voneinander getrennt werden. Die Krise des kausalen Weltbildes zwingt zur Bildung neuer Begriffsmittel und Ausdrucksformen für diese komplementäre Struktur.
Der Grund dieser Krise liegt darin, daß sowohl der neukatholisch-scholastischen wie der in der Antithese befangenen protestantischen Position eine Kausalitätsproblematik zugrunde liegt, die sich in der alten Kirche wohl vorbereitete, aber für ihre gültige Ordnung nicht maßgebend war.
28. Der Amtsbegriff der absoluten Funktion ist im Augsburgischen Bekenntnis noch nicht völlig durchgeführt, da die funktionellen Aussagen von CA VII in Zusammenhang mit den personalen von CA V gesehen werden müssen. Jedoch ist diese Verbindung zu schwach gewesen, um die Funktionalisierung des Amtes in Theorie und Praxis auf die Dauer zu verhindern.
Die Ansätze zu einer Lehre von der Ordination sind zu unklar und zu bestritten gewesen, haben auch kein genügendes theologische Interesse gefunden, um zur Entfaltung zu kommen. Insbesondere blieb immer offen, wie weit die Ordination konstitutiven Charakter trägt.
Da es grundsätzlich wie lebensmäßig unmöglich ist, Person und Funtion zu trennen, ist soziologisch der geistliche Stand erhalten geblieben. Da er theologisch sich als solcher nicht begreifen dürfte, substituierte sich ihm die Lebensform des Akademikers. Das gesamtkirchliche (Bischofs-) Amt geht unter weitreichender Aufspaltung (s. unten) vorzugsweise auf das Lehramt der Professoren über; das Pfarramt gewinnt ebenso in hervorragendem Maße akademischen Charakter, indem das Predigtamt unter Zurücktreten von Sakramentsverwaltung, Seelsorge, Kirchenregiment hervortritt. Alle anderen Ämter und Lebensformen verkümmern, insbesondere der Diakonat und die außergemeindlichen Gemeinschaften der Anbetung, des Liebesdienstes und der Mission, für die es sämtlich keinen legitimen Platz mehr gibt. Die geistliche Bildung wird zur theologischen
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Schule und wissenschaftlichen Wahrheitspflicht, die Predigt zur wissenschaftlich-exegetischen Aufgabe. Schließlich wird die historisch-kritische Methode über ein Erkenntnismittel hinaus zum eingestifteten Mittel biblischer Verkündigung, ein Annex zum Credo. Der akademische Typus aber beruht seinerseits auf einer platonisierenden oder stoischen Trennung des höheren Geistigen vom niedrigen Ungeistigen, Unkritischen. Der Dualismus Klerus-Volk wird zum Dualismus akademischer Theologe-Volk.
Der Mensch kann im Verhältnis zum heiligen Geiste nie etwas anderes als ein Instrument sein. Je mehr man jedoch das geistliche Amt als Funktion auffaßt, desto weniger wird in der Kirche mit der Gegenwart des heiligen Geistes als Person und in Person gerechnet, „der ein Herr ist und mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und verehrt wird”. Dieser Geist benutzt den Menschen, ohne daß seinem Wirken dadurch etwas hinzugefügt wird, aber auch ohne daß er die Personalität des Menschen aufhebt. Diesem Wirken des Geistes etwas hinzuzufügen, addieren zu wollen, ist eine Anmaßung; der umgekehrte Versuch von der Personalität des im Auftrage Gottes Handelnden absehen, sie subtrahieren zu wollen, ist ein theoretisch und praktisch untauglicher Versuch und eine Mißachtung des souveränen Willens Gottes, dem es gefallen hat, uns die Versöhnung durch Fleisch und Blut anzubieten. Das nur relative Recht der zu haeretischer Einseitigkeit entwickelten funktionalen Auffassung des Amtes liegt darin, daß das Formal- und Materialprinzip alles Kirchenrechts ausschließlich in dem gebotenen Handeln der Kirche liegt. Die Kontinuität der Person ist von der Kontinuität der Funktion nicht abzutrennen und umgekehrt.
29. Der funktionale Amtsbegriff ist nicht biblisch und pneumatisch, sondern bürgerlich und spiritualistisch. Er bildet sich vom 12. Jahrhundert ab durch Einsetzung bischöflicher Offiziale, abhängiger Beamter aus, die die Jurisdiktion ausüben, ohne geistliche Weihe zu benötigen; er zeichnet sich ab in der Wandlung der Ämter in den großen Orden vom benedictinischen Abt auf Lebenszeit mit Bischofsrang zu den Wahlämtern der Bettelorden auf Zeit und ohne ordo. Dieser bürgerlich-spirituale Typus ist also von der Reformation nicht geschaffen, sondern unter irriger Annahme, damit biblische Ordnung durchzusetzen, weiter ausgebildet worden. Die hier vollzogene und vorausgesetzte Trennung von Akt und Sein ist mit dem kausalen Subjekt-Objekt-Schema untrennbar verbunden; sie ist der
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Umformung aller großen Rechtsinstitute (souveräner Staat, consensuale Ehe, absolutes Eigentum) gleichzeitig und kongenial **.
30. Die Wandlung des Kirchenrechtsverständnisses von der alten Kirche in den Neukatholizismus beruht auf einer Wandlung des Gottesdienstverständnisses, dem Zerfall der Messe als Gemeinschaftshandlung, den J.A. Jungmann beschrieben hat. Die Ursache dafür, daß der lutherische Amtsbegriff immer einseitiger im Sinne der Funktion verstanden wurde, liegt ebenfalls in einer Entwicklung des Gottesdienstes. Hans Asmussen hat darauf hingewiesen, daß schon im deutschen Text des Augsburgischen Bekenntnisses der Gesamtbereich des ministerium ecclesiasticum in den Begriff des Predigtamtes verengt ist. Die Grundkonzeption Luthers (Torgauer Predigt) und Melanchthons von der Doppelschichtigkeit des Gottesdienstes (s.o.) ist nicht durchgehalten und entfaltet worden, sondern hat sich immer mehr in eine Einseitigkeit der predigenden Verkündigung verwandelt. Infolgedessen ist auch die Grundkonzeption von „Amt und Gemeinde” nicht wirklich festgehalten worden und erst in der Gegenwart wieder deutlicher und allgemeiner in das Bewußtsein getreten. Vielmehr entsteht auf der einen Seite eine reine und viel beklagte Pastorenkirche, und auf der anderen Seite die Ausschließlichkeit der unterschiedslosen Gemeinde des allgemeinen Priestertums. Das Grundverhältnis von allgemeinem und besonderen Priestertum bleibt ungeklärt, weil die gottesdienstlichen Fragen ungeklärt sind. So stellt heute die liturgische Neubesinnung uns wieder vor Grundsatzfragen der Kirchenordnung.
31. Die Darlegungen unter I haben gezeigt, daß die Sukzession und Amtstradition sich nicht durch einen Einzelnen vollzieht. Das ist nur auf Grund der scholastischen Lehre von der absoluten Ordination möglich, verwirrt aber die Vorstellungen in kaum abzuschätzendem Maße. Sie setzt vielmehr die unter 19 a, b, c dargestellten Momente voraus. Sie sind weder in der römischen noch in den protestantischen Kirche mehr in vollem Unfange vorhanden ***.
** Vgl. Dombois: Strukturprobleme des Eheschließungsrecht
I u. II in „Weltliche und kirchliche Eheschließung” (Glaube und
Forschung Band VI), „Familienrechtsreform” (ebda. Band VIII),
ferner ders. „Mensch und Sache” in „Zeitschrift für die gesamte
Staatswissenschaft” 1954, S. 239 ff.
*** Zur sog. Presbyteralsukzession ist zu sagen: Der Vorstellung,
daß es entweder eine episkopale oder eine presbyterale Sukzession
gebe, liegt weitgehend jene bereits gekennzeichnete Verengung des
Gesamtcharakters der Sukzession zugrunde. Wo praktisch das Amt
nur über Presbyter tradiert wird, ist jedoch regelmäßig das
gesamtkirchliche Moment verkürzt oder ausgefallen.
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a) In der römischen Kirche:
1) Die Ordination ist von der Jurisdiction gelöst. Bei der
Bischofswahl ordinieren diejenigen, die nicht judizieren, und
judizieren, die meist selbst nicht ordinieren.
2) Das kanonische Recht der Gemeinde ist ausgeschaltet oder zur
bedeutungslosen Akklamation abgeschwächt.
3) Die Ordination ist vom Gemeindebezug grundsätzlich, wenn auch
nicht immer praktisch abgelöst.
b) in den protestantischen Kirchen:
zu 1) gilt genau das Gleiche. Der in mehreren Etappen und
Zuständigkeiten aufgelöste Prüfungs- und Wahlakt wird als
Jurisdictionsakt von der Ordination gelöst, wenn er nicht
überhaupt als bloßer Verwaltungsakt mißverstanden wird; die
Ordination geschieht durch Amtsbrüder, welche
Mitentscheidungsrecht weder besitzen noch beanspruchen. In
manchen Kirchen sind Prüfung der Kandidaten und Ordination in der
Hand des leitenden geistlichen Amten, in anderen sind die Dinge
mehr zufällig geordnet. Ein durchgängige gemeinsame Überzeugung
von dem, worum es sich handelt, fehlt.
zu 2) wie in der römischen Kirche das Gemeinderecht, so wird hier
das Recht der Gemeinschaft der Bischöfe nirgends beachtet; die
Synoden wählen souverän. Die Parallelität von Papalismus und
Synodalismus ist offenbar. Beachtlich ist, daß in den unierten
Kirchen von Provinz Sachsen und Pommern die Bischofswahl durch
Wahlkollegien unter Zustimmung der Synode erfolgt. Dies und
einzelne Verfassungsbestimmungen der Vereinigten Lutherischen
Kirche Deutschlands sind erste Ansätze, um eine weitreichende
Zerstörung und Verwirrung zu überwinden und echtes Kirchenrecht
neuzubilden. Die weithin geübte Mitwirkung bei der Amtseinführung
ist nur eine äußerste Verkürzung.
zu 3) es bleib unklar, wieweit das Moment der Ordination
konstitutiven Charakter trägt und was es bedeutet. Die Formel
„rite vocatus” in der CA läßt in bedenklichem Maße die Frage
offen, was gemeint ist, ob es sich lediglich um die Wahrung der
Ordnung und öffentlichen Klarheit oder um einen echten
geistlichen Akt handelt.
Es ist sichtbar, daß der Zerfall der altkirchlichen Ordnung in der römischen und der protestantischen Kirche in einer sich genau antithetisch entsprechenden Weise vollzogen hat. Die Ordnung ist nicht einfach aufgelöst, sondern in ihre Bestandteile auseinandergebrochen. Dies verschärft die Frage nach der Legitimität beider Kirchen. Beider Ordnung ist, wenn auch
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in entgegengesetzter Weise, unkanonisch, gemessen an der Ordnung der Urkirche und der alten Kirche. Beide beanspruchen Kirche im Vollmaß zu sein. Beide beanspruchen dadurch Kirche zu sein, daß sie tun, was die Kirche tut, d.h. zu tun hat. In beiden wird das Vollmaß dessen durch die einseitige Hervorhebung des priesterlichen opus wie der predigenden Verkündigung verkürzt, durch welche die Spendung der Sakramente und damit das Leben aus ihnen zurückgedrängt ist. In beiden ist ein eigentümlicher Minimalismus eingetreten.
a) in der römischen Kirche: was hier zu sagen ist, ergibt sich
aus der schon im anderen Zusammenhang zitierten Äußerung des
Dominikaners Congar.
b) im Protestantismus tritt die Reduktion auf den subjektiven
Rechtfertigungsglauben und die gottesdienstliche Verkündigung
dieser Rechtfertigung durch den Glauben ein. Man kann in dieser
Kirche den biblischen Kanon, die altkirchlichen und
reformatorischen Bekenntnisse, die Lehre von den Sakramenten und
der Kirche bestreiten und zersetzen: wenn man, sei es auch in der
subjektivsten und formalsten Weise die Rechtfertigung aus dem
Glauben proklamiert, ist man immer noch in der Kirche, und also
alles Übrige vielleicht nicht schädlich, aber überflüssig.
Dieser beiderseitige Minimalismus ist bezeichnenderweise ein juristischer: er geht vom Grenzwert aus, dem juristischen Mindesterfordernis der Gültigkeit sakramentalen Handelns und dem Minimum der subjektiven Glaubensgewißheit über das Gnadenurteil Gottes, das mir verkündet wird. Im Protestantismus hat sich lediglich der juristische Schwerpunkt verlagert.
32. Nach alledem rechtfertigt sich der Schluß: infolge wesentlicher Verkürzungen und Verzerrungen des gottesdienstlichen Grundverständnisses und der daraus folgenden Ordnung ist auch die Katholizität und Apostolizität der vorfindlichen Kirchen ebenso verkürzt. Die Wiedergewinnung rechten Gottesdienstes und rechter Kirchenordnung ist auch entscheidend für die Frage der apostolischen Sukzession.
Das vorliegende Gutachten ist ein Versuch, dies in seinen geschichtlichen Voraussetzungen wie gegenwärtigen Erfordernissen so deutlich wie möglich bei ehrlicher Aufdeckung bisheriger Fehlwege zu umschreiben. Gottesdienst
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und Kirchenordnung sind deshalb in sehr viel höherem Grade Ausdruck eines Wahrheitsanspruchs, als es in der protestantischen Tradition erscheint.
33. Kirche im eigentlichen Sinne und deshalb legitime Kirche ist dort, wo in Übereinstimmung von Gemeinde und Gesamtkirche in der Predigt und der Darreichung der Sakramente die Gegenwärtigsetzung des Heils erfolgt. Wo diese Gegenwärtigsetzung in der ganzen Fülle der der Kirche anvertrauten Geheimnisse Gottes nicht intendiert und geglaubt wird, kann auch die Kirche nicht sein. Den Mangel rechter Predigt, die Verderbnis eines isolierten sakramentalen Handelns, die grundsätzliche und praktische Vernachlässigung der Gemeinde haben die Reformatoren der römischen Kirche ihrer Zeit vorgehalten und daraus das Notrecht zur rechten Ordnung unter Berufung auf die alte Kirche und deren Väter hergeleitet. Den Mangel sakramentalen Lebens und gesamtkirchlicher Einheit und Ordnung machen heute die bischöflichen Kirchen insgemein — nicht allein die römische! — den protestantischen Kirchen zum Vorwurf. Die Reformation hat, wie ausgeführt, den Anschluß an die Ordnung der alten Kirche zwar gesucht, aber nicht gefunden. Sie setzte dem römischen Universalismus den Nominalismus, und deshalb den Partikularismus entgegen; sie hat sich aus der geistigen Abhängigkeit des Universalienstreits bis heute noch nicht zu befreien vermocht. Sie verlor deshalb die Gesamtkirche über die Gemeinde und spiritualisierte sie. Indem sie biblisch korrekt die Gleichheit der potestas von Presbyter und Bischof betonte, verkannte sie die notwendige Unterschiedlichkeit beider Ämter. Die objektivierende Spaltung von jus divinum und jus humanum — der neukatholischen Kanonistik angehörend! — stellt den Geist und die konkrete Geschichtlichkeit der Kirche in falscher Weise gegeneinander und gefährdet beide.
Die Gestalt des Amtes muß daher die Übereinstimmung der Gesamtkirche mit der Teilkirche und Gemeinde zum Ausdruck bringen. Die in der alten Kirche ausgeprägte und von der Reformation anerkannte Form der Beteiligung der Bischofsgemeinschaft an der Ämterbestellung gewinnt ihren vollen Sinn erst, wenn sie Mitentscheidung und Mitverantwortung ist, nicht nur Ordinationsassistenz oder Anerkennung der vollzogenen Bestellung.
34. Die Apostolizität der Kirche und folgeweise die apostolische Sukzession ist deshalb keine „objektive” Größe, deren Vorhandensein oder Nichtvorhandensein an gewissen personalen oder lehrmäßigen Mindesterfordernissen abgelesen werden kann. Die Verheißung Jesu Christi verbürgt nicht allein seine aktuale Gegenwart, sondern auch sein kontinuierliches
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Bleiben bei seiner Gemeinde bis ans Ende: aber immer will er gebeten sein.
Die Apostolizität der Kirche ist also dort, wo die Fülle der uns verheißenen Gnadengaben unablässig und in rechter Weise erbeten worden ist und weiter erbeten wird. Sie ist kein Vollkommenheitsideal. Nur so verstanden bleibt die Kirche das unverfügbare Geheimnis der Gegenwart und Zukunft des Herrn, während die Rationalität der Theologie die personalen und inhaltlichen Elemente dessen auseinandergetrieben hat. Dieses gebotene Handeln ist weder vollständig versäumt noch recht erfüllt worden. Die Wiederherstellung der Apostolizität der evangelischen Kirchen geht deshalb nur über die Herstellung ihrer Katholizität im Sinne des unter I ausgeführten, die den bischöflichen Kirchen unverletzter kanonischer Ordnung, als welche wir in erster Linie Orthodoxie, Anglikaner, nordische Lutheraner zu erkennen vermögen, die geistliche Anerkennung solcher Kirchen ermöglichen würde. Dabei ist zu bedenken, daß die Bereitschaft zur grundsätzlichen Überwindung nationalkirchlicher Bindungen auch hier zum Teil nur sehr schwach ist. Die vorsichtige Zurückhaltung in vielen Fragen zeit, daß erst eine entschlossene Neubesinnung einen breiten Strom gesamtkirchlichen Denkens wieder erwecken kann.
Es ist deshalb auch gegenstandslos, von den angeblichen oder tatsächlichen „Inhabern” apostolischer Sukzession Weihen zu erbitten. Diese Vorstellung beruht wesentlich auf der Theorie der absoluten Ordination. Eine Ordination durch einen Ordinator, der keine Jurisdiction über den Ordinanden hat und auch gar nicht behauptet, ist unzweifelhaft nichtig. Allen solchen Auswegen, die nur Abwegen sind, muß abgesagt werden. Wir haben der Tatsache zu stehen, daß nicht ohne Gottes Zulassung der katholisch-protestantische Raum in einen Zustand der Zerstörung, ja einer geradezu schizophrenen Gespaltenheit geraten ist. Das verbietet freilich die heutige konfessionelle oder unionistische Selbstgenügsamkeit.
35. Die apostolische Sukzession kann vom Standpunkt zweckmäßiger Bewährung und äußerer Gewährleistung jederzeitiger Erkennbarkeit der rechten Kirche weder behauptet noch bestritten werden. In dieser Weise ist sie zwar schon frühzeitig apologetisch benutzt worden. Damit ist aber nicht ihr eigentliches Wesen getroffen. Ebensowenig beweist es etwas, wenn sie Schismata nicht verhindert und in solchen nicht einfach eine simple Entscheidung ermöglicht hat. Diese Betrachtungsweise setzt bereits eine entscheidende Verengung des Begriffs voraus.
36. Für die Beurteilung der Lage in der lutherischen Kirche ist zu beachten, daß die Reformatoren das Bischofsamt nicht beseitigt haben, weil es
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nämlich gar nicht beseitigt und entbehrt werden kann. Sie haben es aber in verhängnisvoller Weise aufspalten lassen,
a) auf den Landesfürsten als Primatbischof, curator ecclesiae und
episcopus in externis,
b) auf den Professor als theologischen Lehrer, dessen
traditionelles Ansehen noch heute überragend ist und die
Entfaltung des Bischofsamtes hindert,
c) auf den Superintendenten als Lokalbischof minderen
Rechtes,
d) zum Teil auf den Gemeindepfarrer,
e) auf die halbstaatlichen Konsistorien.
Diese Aufspaltung ist wesentlich bedingt durch ein einseitig funktionales Amtsverständnis und gefährdet den geistlichen Charakter und die Einheit kirchlichen Handelns. Sie beruht weitgehend, insbesondere zu a, b, auf der lediglich historischen Unterstellung, daß die Kirche im Raum des corpus christianum lebe, in dem es weder einen profanen Staat noch eine autonome Wissenschaft gibt.
Die notwendige personale Zusammenfassung des funktional Gespaltenen kann aber nur recht vollzogen werden, wenn ihre beiderseitigen Grenzen recht gesehen werden.
a) Sie kann weder in der Anhäufung funktionaler Kompetenzen
geschehen. Diese ist weder historisch noch gegenwärtig das
Merkmal des Bischofsamtes. Diese Kumulation der Funktionen ist
heute ebenso ein Krebsschaden der Kirche wie die Häufung von
Pfründen im Spätmittelalter und ist schwerer zu bekämpfen, weil
sie sich hinter dem Dienstgedanken versteckt. Daß das Bischofsamt
nur in Gemeinschaft und nicht kraft synodaler Souveränität
existieren kann — unus episcopus, nullus episcopus — ist
noch einmal zu betonen.
b) Sie kann nicht vollzogen werden, wenn aus Angst vor der Macht
und falsch verstandener Brüderlichkeit der Bischof nur als
Vorsitzender der Kirchenleitung und primus inter pares
verstanden wird; er braucht mindestens ein Vetorecht, wenn nicht
bestimmt unrissene positive Befugnisse eigenen Rechtes.
37. Die geschichtlichen Verhältnisse unseres Landeskirchentums, das Schwergewicht der Kirchenverwaltung und die noch nie aufgedeckte Bedeutung der Finanzverfassung der Kirchen, nicht zuletzt auch noch die Überschätzung der kirchengeschichtlichen Lokaltraditionen, stehen zusammengenommen mit vollem Gewicht einer rechten Neuordnung der Kirche entgegen.
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38. Die Geschichte hat uns unabweislich gelehrt, daß das reformatorische „satis est” nicht in einem einengenden, minimalistischen Verständnis der Ganzheit des Gottesdienstes und der rechten Ordnung der Kirche entgegenstehen darf, sondern sie gerade fordert, um im Sinne des apostolischen Glaubensbekenntnisses die Katholizität und Apostolizität der Kirche zu bewahren. Es gibt unendlich viel weniger adiaphora, als wir gewohnt sind anzunehmen.
39. Die Lage der reformierten Kirche ist eine andere. Auch in ihren großen geschichtlichen Kirchenkörpern, der schottischen, niederländischen, französischen und schweizer Kirche sind Kräfte der Erneuerung im Sinne rechter Katholizität und Apostolizität lebendig. Die Wahrheit gebietet aber zu sagen, daß in ihr auch die Hemmnisse ganz besonders groß sind. Sowohl ihr gottesdienstliches wie ihr kirchenrechtliches Verständnis, welches sie gemeint hat, am Bilde der Urkirche auszurichten, muß angesichts der exegetischen und kirchengeschichtlichen Erkenntnisse von heute einer radikalen Überprüfung unterworfen werden. Ebenso hat unzweifelhaft die unerbittliche Unterwerfung des Menschen unter den Ratschluß Gottes im dialektischen Umschlag zu einer selbstmächtigen Autonomie des Menschen geführt, die in der Verbindung von kirchlicher und politischer Demokratie die rechte Ordnung der Kirche hindert. Die Theologie Karl Barths kann hier viele, wenn auch nicht alle notwendigen Dienste leisten, die von außen allein auch nicht im loyalsten brüderlichen Dienst geleistet werden können. Auch in der reformierten Kirche entscheiden sich die Dinge am Gottesdienstverständnis. Der Versuch einer positivistischen Übernahme biblischer Ämter beruht auf einer Selbsttäuschung, weil die Auffassung dieser Ämter deswegen noch nicht biblisch ist. Denn nicht der biblische Name macht das Amt, sondern das, was es auszurichten hat. Predigt und Gemeindezucht im calvinischen Verständnis, geprägt durch das Prädestinationsdogma, ist etwas anderes als die wesentlich eucharistisch-sakramentale Gemeinschaft der frühchristlichen Gemeinden. Die entscheidende Stellung der Presbyter, auf der auch die theologische Tradition unserer Synoden beruht, ist darin begründet, daß die bewährten und geehrten Ältesten berufen sind, durch Verkündigung, Vermahnung und Zucht die Gemeinde zu leiten. Sobald erkannt wird, daß das gottesdienstliche Geschehen nach der Verordnung der Schrift ein sehr viel umfassenderes und bestimmt strukturiertes ist, müssen sich auch hier viele überkommene Anschauungen wandeln. Eine jede Teilkirche muß heute angesichts der neu aufgebrochenen Erkenntnisse die Bereitschaft
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bewähren, der Schrift auch gegen die eigen Tradition gehorsam zu sein.
40. Demnach handelt es sich bei dem Phänomen und Problem der apostolischen Sukzession nicht um die Bejahung und Verneinung eines einzelnen Ordnungsbegriffs.
„Die apostolische Sukzession ist” — (auch nach unserer Auffassung) — „ein Element in eine organischen Gefüge des Lebens und der Anbetung, des Glaubens und der Ordnung, die in ihrer Gesamtheit das Prinzip der Kontinuität ausmachen” (Lund a.a.O., S. 29).
Es geht um die rechte Gestalt von Gottesdienst und Kirchenordnung im Ganzen. Hierzu ist eine umfassende Neubesinnung, die Abstoßung mißbildeter Lebensformen und ein entschlossenes Vorwärtsgehen erforderlich. Es ist verständlich, daß sich dies auch in konkreten Forderungen niederschlagen muß, von denen einige hier noch genannt seien:
1) Die Gemeinden müssen auf die Repräsentation des
Heilsgeschehens im Gottesdienst hingeführt werden; die Pfarrer
müssen die selbstüberwindende Erkenntnis gewinnen, daß das
Predigtwort über sich hinaus zum Altare führt.
2) Bischofsamt und bischöfliche Gemeinschaft im Sinne von Nicaea
IV müssen neu gebildet werden.
3) Das Landeskirchentum muß im Sinne von Punkt 2 überwunden
werden.
Bei alledem kann die Ordnung der Kirche nur durch die Reinigung des Gottesdienstverständnisses gewonnen werden:
lex orandi — lex credendi.
Dr. jur. Hans Dombois
Hemer/Kr. Iserlohn |
P. Arthur Graf
Thun (Kanton Bern) |
P. Dr. Dr. Helmut Hochstetter Bergisch-Gladbach |