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„Die Kirche ist göttliche Stiftung”: mit diesem Satze soll hier unser Reden von der Kirche beginnen.1) Das ist der Anfang aller Aussagen über die Kirche, daß sie göttliche Stiftung und dazu in einem ganz eigentümlichen und einmaligen Sinne die göttliche Stiftung sei. Es ist aber ein Anfang, den wir nie hinter uns lassen können, ein Anfang, der zugleich gegenwärtiger Grund und gegenwärtige Bestimmungsmacht ist in allem Weiteren, das über die Kirche zu sagen ist. Denn auch von der Kirche als der Gemeinschaft glaubender Menschen, von der Kirche als Gemeinschaft des Gottesdienstes, von der Kirche in der Welt und im Verhältnis zu den Weltordnungen des Schöpfers und Erhalters kann nur so recht geredet werden, daß darin und darüber der Satz stehen bleibt: Die Kirche ist göttliche Stiftung.
Dieser Satz hat eine große Geschichte. Bedeutende Lehrer der lutherischen Kirche im 19. Jahrhundert, im Zeitalter einer Wiederentdeckung der Würde, der Hoheit und des göttlichen Mysteriums der Kirche reden von der Kirche als der einzigartigen Stiftung Gottes oder Christi oder von dem „Stiftungstage” der Kirche, um ihren einzigartigen Ursprung dadurch zu kennzeichnen. Luther spricht von der Stiftung eines Reiches, das Gott gesetzt hat, und den Menschen von ihren Sünden zu helfen, oder von der Stiftung eines solchen Reiches durch Christus. Das regnum Christi, Reich Christi aber ist die Kirche. Ebenso weiß Luther von der Stiftung des Amtes der Kirche durch Christus. Die Funktionen der Kirche entstammen dem Stifterwillen Christi und stehen unter seinem Auftrag. Wenn die Diener der Kirche die Schlüsselgewalt ausüben, so vollziehen sie damit den Stifterwillen Christi.2)
Aber wir können uns hier nicht die große Geschichte dieses Begriffes vergegenwärtigen. Uns ist eine andere Aufgabe gesetzt, nämlich die, nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes von der Kirche als göttlicher Stiftung zu fragen.
Gibt es ein solches überhaupt? Das Neue Testament kennt das Wort „Stiftung” nicht, und es kennt auch den Gedanken der Stiftung
[32] 1) Diese Blätter enthalten drei
Vorlesungen, die auf der Möllner Theologischen
Lehrkonferenz am 30. 8. 1938 gehalten worden sind. Die
Begrenzung ihres Gegenstandes wird auch in dieser Wiedergabe
durch die Themen der auf sie folgenden Vorlesungen über die
Kirche als menschliche Glaubensgemeinschaft, als
Kultusgemeinschaft und über die Kirche in Volk und Staat
umrissen.
2) Siehe W. Elert, Morphologie des Luthertums
I, München 1931, S. 301 f. „Gott hat ein Reich gesetzt, ad quod
emisit discipulos . . . ut homines helfft a peccatis.” WA 41,
545,2 (bei Elert a.a.O. S. 302, Anm. 1). — M. Doerne,
Lutherisches Pfarramt (Theologia militans 10), Leipzig 1937, S.
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nicht als zusammenfassenden Begriff für den Ursprung und die Hoheit der Kirche. Der Begriff der Stiftung ist ein Auslegungsbegriff, der gewisse Tatbestände im Neuen Testament sichtbar zu machen und auszudrücken imstande it und darum keineswegs willkürlich in der dogmatischen Lehre von der Kirche und im kirchlichen Handeln zu großer Bedeutung gelangt ist. Er hat vielmehr seine Begründung in einer ganzen Reihe neutestamentlicher Aussagen über die Kirche. Das Neue Testament kennt die mit dem Begriff gemeinte Sache. Es kennt durchaus die Elemente des Stiftungsbegriffs, die wir hier als die theologisch grundlegenden herauszuziehen haben. Ebenso aber gilt und wird deutlich zu machen sein, daß der Begriff der Stiftung der Kirche auch neutestamentlicher Korrekturen und Ergänzungen bedarf und allein nicht imstande ist, das neutestamentliche Zeugnis von der Kirche zu erfassen und auszulegen.
Der theologische Begriff der Kirche als göttlicher Stiftung besagt:
1. Die Kirche ist das Werk Gottes und seine Setzung. Sie ist in nichts Anderem begründet als in seinem Willen; sie ist souveräner Willensakt Gottes. Sie ist einzig und allein himmlisch-göttlichen Ursprunges.
2. Stiftung heißen wir den Kirche setzenden Willensakt Gottes als einen geschichtlichen. Kirche ist Gottes ewiger Wille, Kirche ist sein Weltziel von der Schöpfung an und vor aller Schöpfung. Indem aber die Kirche „gestiftet” wird, wird sie der Welt „eingestiftet”, wird sie geschichtlich realisiert. Kirche als Stiftung gibt es nur im Zusammenhange der geschichtlichen Offenbarung Gottes. Als Ordnung seines Versöhnungs- und Erlösungswillens ist die Kirche in der Welt und lebt für die Welt. Die Stiftung der Kirche ist demnach das Geschichtewerden des ewigen Gotteswillens, der auf das Sein der Kirche gerichtet ist. Und sofern dieses Geschichtewerden der Kirche nun wiederum klarer, erkennbarer Willensakt und schöpferisches Handeln Gottes durch Christus ist, reden wir mit Recht von Ereignissen der Stiftung der Kirche oder von der Stiftung des Amtes und des Abendmahls. Wir lehnen es ab, diesen alten kirchlichen Sprachgebrauch zu verwerfen; denn in dieser Verwerfung wird das Nein zu der Kirche als dem göttlichen Heilswerk in Welt und Geschichte deutlich. Die Ablehnung des Stiftungsbegriffes ist mit dem Versuch verbunden, Gott und die Kirche, Christus und die Kirche von einander zu trennen. Wir bekennen uns mit Theodosius Harnack dazu, daß die Kirche sei „ein Werk göttlicher Gedanken und Taten, eine
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Gnadenstiftung Gottes auf Erden, näher: eine Schöpfung Jesu Christi, des erhöhten und lebendigen.”3)
Unsere Aufgabe ist es, den Begriff der geschichtlichen Stiftung der Kirche biblisch zu begründen und, wo es nottut, neu zu bestimmen und zu reinigen.
3. Mit dem Begriff der Kirche als göttlicher Stiftung ist nicht nur das ewig-geschichtliche Handeln Gottes, sondern auch seine Wirkung und sein Ergebnis bezeichnet: die Kirche als ein Bleibendes, ein Unabänderliches, als eine „objektive” Wirklichkeit, die unabhängig ist von allem Menschenwillen und jeglicher Menschenwillkür — dem Augenschein zutrotze. Von Gott hat die Kirche ihr Leben und ihr Grundgesetz. Gott ordnet ihren Zweck und die Mittel ihres Handelns. Das ist es, was mit der „Objektivität” der Kirche hier gemeint sein soll.
4. Damit ist zugleich der eigentümliche Gemeinschaftscharakter der Kirche festgestellt. Das vierte Grundelement des Stiftungsbegriffes ist dies: Kirche als Stiftung Gottes ist eine in eigentümlicher Weise gottgesetzte Gemeinschaft, die Gemeinschaft nämlich, die in seinem Heilswillen ihren Grund wie auch ihre Bindung und Ordnung hat. Gebundene Gemeinschaft, nämlich an und durch den Stifterwillen gebundene Gemeinschaft ist die Kirche. Diese Gemeinschaft ist also keine beliebig veränderliche Größe. Ihre Bindung an den Stifterwillen Gottes in Christus durch die religio hominis in irgendeiner ihrer unzähligen Gestalten ersetzen, das bedeutet Unglaube und Ungehorsam gegen die Herrschaft Gottes. Die Kirche als göttliche Stiftung ist die Gemeinschaft Glaubender, die aus dem Gehorsam gegen die kundgewordene und nahegekommene Gottesherrschaft lebt und in dieser Herrschaft Gottes ihre Bindung und Ordnung hat, an deren Stelle keinerlei Größen dieser Welt, auch nicht die weltlichen Gottesordnungen des Volkes oder des Staates treten dürfen. Auch in diesen Gemeinschaften gibt es zwar Bindung an den göttlichen Willen, doch nicht an den Heilswillen Gottes, der in ihnen nicht offenbar wird, sondern an den Willen des Schöpfers und Erhalters in der Form des „natürlichen Gesetzes”.
Ist die Kirche die durch den göttlichen Heilswillen gestiftete und gebundene Gemeinschaft, so heißt dies zugleich, daß sie nicht individualistisch als Summe frommer Einzelner, Verein oder Religionsgesellschaft gedeutet werden darf. Sie ist „kein Verein, der aus dem Willen der sich darin zusammenschließenden Menschen entsteht, keine
[32] 3) Theodos. Harnack, Die Kirche, ihr Amt, ihr Regiment, Nürnberg 1862, S. 5.
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Gruppe von Menschen mit gleicher religiöser Überzeugung oder gleicher Weltanschauung. Kirche ist Stiftung. Ein ,fremder Wille’ ist dieser Verbundenheit von Menschen eingestiftet”.4) —
Wir haben diese vier vorläufiger Sätze durch das Zeugnis des Neuen Testaments von der Kirche zu erhellen und zu begründen.
[32] 4) Fr. Brunstäd, Die Kirche und ihr Recht, Halle 1935, S. 23.