Stein, E.

Die rechtsphilosophischen und positiv-rechtlichen Grundlagen des Elternrechts

1958

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Die rechtsphilosophischen und positiv-rechtlichen Grundlagen des Elternrechts

 

I

Der Ausdruck „Elternrecht” ist vieldeutig und verwirrend. Er ist mehr Kampfruf politischer und konfessioneller Gruppen oder Postulat verschiedener Weltanschauungen als wissenschaftlich oder rechtsphilosophisch bestimmt. Er enthält politische und religiöse, individuelle und soziale, aktuelle und geistesgeschichtliche Motivationen. In ihm wird die Interdependenz von Politik und Pädagogik besonders offenbar.

Zum Problem wird das Elternrecht im deutschen Kulturkreis erst mit der Verselbständigung der Schule gegenüber der Kirche im absolutistischen Einheitsstaat. In der Epoche der Universalkirche lag die Erziehung in den Händen der einen Kirche oder war mit kirchlicher Sanktion den Eltern anvertraut. Die Schule war Sache der Kirche. Es erübrigte sich, Erziehungsrechte voneinander abzugrenzen. Mit der Herausbildung des öffentlichen Schulwesens und der Einführung des Unterrichts- und Schulzwangs im 17. Jahrhundert nimmt der Staat auf Grund der neuen Lehre von der Souveränität und im Interesse der Selbsterhaltung des weltlichen Regiments Erziehungs- und Bildungsaufgaben für sich in Anspruch. Hierzu hatte nicht unwesentlich die reformatorische Lehre beigetragen, die erstmals ein primäres, neben dem Erziehungsrecht der Eltern stehendes Recht der Obrigkeit auf Unterrichtung und Erziehung der Jugend anerkennt. Der Staat tritt dadurch als eigen-berechtigter Verband mit selbständigen Erziehungsansprüchen, eigenen Verwaltungs- und Aufsichtsorganen der Kirche und damit auch der Familie als der einen durch eine einheitliche Weltanschauung verbundenen Gemeinschaft gegenüber. Auf dieser Grundlage gehen das Preußische Allgemeine Landrecht und die anderen Landesrechte von der prinzipiellen Erklärung des Schulwesens zur Sache des Staates aus, der zugleich die Lehrerbildung für sich beansprucht und staatlichen Erfordernissen gemäß ausbaut. Normalform der öffentlichen Erziehung ist die konfessionelle Mehrheitsschule; das Erziehungsrecht der Eltern ist als subsidiäres Recht anerkannt.

Die Erklärung der Menschenrechte, die Auswirkungen der französischen Revolution und die politische Selbstverwaltung erschüttern das absolutistische Erziehungswesen und führen zu einer labilen Koexistenz zwischen Staat, Kirche und Eltern. Die Auseinandersetzung spiegelt sich im 19. Jahrhundert in den Kämpfen zwischen liberaler, konservativer, lutherischer und katholischer Schulpolitik. Auf dem politischen Liberalismus und den negativen Staatstheorien beruhend, huldigt die liberale Erziehungspolitik einem

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rationalistischen Fortschrittsglauben und fordert grundsätzlich Freiheit der Erziehung gegenüber dem Staat. Die konservative Haltung sieht im Bunde mit der politischen und religiösen Romantik und der spekulativen Philosophie die öffentliche Erziehung als eine durch die Religion und das Staatsgesetz auferlegte heilige und notwendige Verpflichtung des Staates an. Nach katholischer Lehre ist die Familie der natürliche Grundpfeiler der Erziehung; die Schule ist nach der religiösen Überzeugung der Eltern einzurichten. In der ersten großen Elternrechtsdebatte der Deutschen Nationalversammlung im Jahre 1848 brechen diese Gegensätze bei den Fragen der Schulgesetzgebung und Schulaufsicht, bei dem Verhältnis von Staat und Kirche und Staatsrecht und Elternrecht auf. Mit der Forderung nach Emanzipation der Schule von der Kirche und nach Einrichtung weltlicher Schulen als Staats-, Gemeinde- und Privatschulen werden auch Stimmen für eine Repräsentativverfassung des gesamten Bildungswesens laut. Zum Schutze der Gewissensfreiheit und in Anerkennung der Lehr- und Lernfreiheit wird die These vertreten, „von der einen Seite die Rechte des Staates vollkommen zu wahren; auf der anderen Seite den Eltern es möglich zu machen, nach ihrer heiligsten Überzeugung ihre Kinder erziehen zu lassen1”. In dem nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches ausbrechenden Kulturkampf wird der Anteil der Kirche an der Erziehung vor allem durch die Beseitigung der geistlichen Schulaufsicht zurückgedrängt und das Prinzip des Vorrangs der öffentlichen Erziehung vor der privaten Erziehung gemäß der preußisch-deutschen Überlieferung erneut anerkannt. An dieser Regelung hat auch die Weimarer Verfassung von 1919 nur wenig geändert. Wenn ihre Schulartikel auch keinen ausgeglichenen Kompromiß zwischen Prinzipien der liberalen Demokratie und sozialistisch-kollektivistischen Elementen darstellen, so geht diese Verfassung von der Notwendigkeit staatlicher Regelung des Erziehungswesens aus. Sie erkennt die Kirchen als Erziehungsmächte nicht an, verstärkt jedoch die Elternrechte in gewisser Weise durch Gewährung eines allgemeinen Erziehungsanspruches und des Rechtes auf religiöse Erziehung. Nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Jahre 1945 haben das Grundgesetz und die Verfassungen der deutschen Länder das Schulkompromiß von Weimar teils wörtlich, teils sinngemäß übernommen. Sie gehen jedoch durch die Ablehnung des staatlichen Schulmonopols, die Anerkennung des elterlichen Erziehungsrechtes als eines Grundrechts, die verfassungsrechtliche Garantie der Privatschulen und die Anerkennung der Eigenrechte der Erziehungsträger über die frühere Regelung hinaus. Unter dem Eindruck der schulabsolutistischen Maßnahmen des NS-Regimes ist neben dem traditionellen Erziehungsrecht des Staates das


1 v. Ketteler, in Sten. Bericht über die Verhandlungen der Deutschen konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main, herausgegeben von Franz Wigart, Frankfurt am Main, 1848, 3. Band, S. 2183.

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Recht der Eltern auf Erziehung und Mitverwaltung erstmals als ein Grundrecht im Sinne einer Schutzklausel gegenüber dem staatlichen Erziehungsmonopol garantiert. Ebensowenig wie die Weimarer Verfassung haben das Grundgesetz und die Verfassungen der deutschen Länder die Lehren der katholischen Kirche über Elternrecht, Erziehungswesen und das Verhältnis von Staat und Kirche übernommen.

So treten uns aus diesem wechselvollen geschichtlichen, hier nur in groben Umrissen angedeuteten Hintergrund drei Gegensatzpaare entgegen: Recht und Pflicht des Staates, Recht und Pflicht der Eltern, Recht und Pflicht der Kinder. Dabei darf nicht übersehen werden, daß in der geschichtlichen Entwicklung mit der Wandlung der Funktion der Erziehung die Stellung des Ranges der Eltern sich geändert hat. Die Schule, die zu Beginn der Neuzeit zunächst als mediatisierte Staatsanstalt noch Annex der Landeskirche war, hat sich über die ständisch gegliederte Schule zur reinen Staatsanstalt des 19. Jahrhunderts entwickelt. Als solche bleibt sie Ausdruck der sozialen Schichtung der Gesellschaft. Über den Besuch der Schule entscheidet mit Ausnahme der Volksschule, die als die für alle Stände und Berufe gleichmäßig gedachte Bildungsanstalt gilt, die soziale Stellung der Eltern. In der industriellen Massengesellschaft2 ändern sich die Funktionen im Erziehungssystem. Nunmehr bestimmt die von der Schule, nicht von den Eltern vorgenommene Auslese der Schüler und ihre Zuweisung in bestimmte Schulen über den sozialen Aufstieg. Erziehung und Schule legen also den Grund für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht. Schelsky befürchtet, daß dadurch „die Schule sehr leicht zur ersten und damit entscheidenden zentralen sozialen Dirigierungsstelle für die künftige soziale Sicherheit, für den künftigen sozialen Rang und für das Ausmaß künftiger Konsummöglichkeiten werden könne, weil sowohl die Wünsche des sozialen Aufstiegs wie der Bewahrung eines sozialen Ranges primär über die durch die Schulausbildung vermittelte Chance jeweils höherer Berufsausbildungen und Berufseintritte gehen3”.

Trotz der umfangreichen Literatur über das Elternrecht ist der Anteil wissenschaftlicher und rechtsphilosophischer Besinnung recht gering. Es ist das besondere Verdienst der Preußischen Akademie der Wissenschaften, die wissenschaftliche Behandlung des Elternrechts frühzeitig angeregt und gefördert zu haben. Die Problematik des Elternrechts bricht bereits in der Preisfrage4 auf, die die Akademie im Jahre 1787 stellte: „Quels sont dans l’état


2 H. Becker, Forderungen an unser Bildungssystem, in Zeitschrift Merkur, 1957, S. 956 ff.; W. Dirks, Erziehung und Bildung in der industriellen Gesellschaft, in Frankfurter Hefte, 1958, S. 14 ff.; H. Bohnenkamp, Die soziale Resonanz des Lehrers, ebenda, S. 109 ff.; W. Röpke, Die Massengesellschaft und ihre Probleme, in Universitas, 1957, S. 785 ff. — 3 H. Schelsky, Soziologische Bemerkungen zur Rolle der Schule in unserer Gesellschaftsverfassung, 1956, S. 6. — 4 A. Harnack, Geschichte der Königl.-Preuß. Akademie der Wissenschaften, Berlin, 1900, Band 1, S. 42; Band 2, S. 309, S. 616.

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de nature les fondemens et les bornes de l’autorité des parens sur les enfans? Y a-t-il de la différence entre les droits du père et ceux de la mère? Jusqu’a quel point les lois peuvent-elles étendre ou limiter cette autorité?”. Die Diskussion setzt Friedrich Schleiermacher in seiner Rede „Über den Beruf des Staates zur Erziehung5” fort, die er am 22. Dezember 1814 in der Plenarsitzung der Akademie vorlas. Aber erst über ein Jahrhundert später — am 24. November 1927 — schenkte die Akademie diesem Problem erneut Beachtung, als Eduard Spranger seine Abhandlung „Die wissenschaftlichen Grundlagen der Schulverfassungslehre und Schulpolitik6” vorlegte.

Die Systeme des Naturrechts, die zum Teil das heutige Erziehungswesen noch bedingen, und die Theorien der Rechts- und Staatsphilosophie enthalten zwar wichtige Grundsätze und Ansätze für das Verhältnis „Eltern — Schule — Staat”; aber hier ist die vielschichtige Problematik ebensowenig methodisch und wissenschaftlich behandelt wie in der pädagogischen Literatur, die sich der Frage des Elternrechts besonders häufig annimmt7. In den juristischen Untersuchungen überwiegen die rein rechtsdogmatischen Darstellungen. Eine bedeutsame Ausnahme macht die juristische und kulturgeschichtliche Untersuchung von Günther Holstein über „Elternrecht, Reichsverfassung und Schulverwaltungssystem8”. Den weitaus größten Raum nehmen neben der tagespolitischen Literatur die historischen Darstellungen der Elternrechts-Bewegung anläßlich der Behandlung der Schulgesetzgebung, der Schulverfassung und Schulpolitik sowie die Erörterungen der beiden christlichen Kirchen ein. Aber fast alle sehen die Problematik nur von ihrer politischen, religiösen oder weltanschaulichen Sicht. Die heutige Situation charakterisiert anschaulich noch immer die bewegte Klage des Tübinger Professors Gustav von Rümelin9 in der Frankfurter Nationalversammlung: „Auf die Frage: wer soll für den Unterricht sorgen? gibt man vier Antworten. Die einen sagen: die Eltern; und das ist der Standpunkt der völligen Unterrichtsfreiheit mit den trostlosen Folgen, die wir z.B. in England sehen. Da besteht die Freiheit, die Kinder zu unterrichten, in der Freiheit, sie nicht zu unterrichten. Der zweite Standpunkt ist: die Schule gehört den Gemeinden; und wenn man das streng durchführt, so heißt es: man gibt die Schule entweder der Unwissenheit oder der Geistlichkeit in die Hände. Der dritte Standpunkt ist: die Schule gehört der Kirche. Das ist der Standpunkt der vergangenen Jahrhunderte, aus dem wir heraus wollen. Der vierte Standpunkt ist: die Schule gehört dem


5 Friedrich Schleiermachers sämtliche Werke, 3. Abteilung, 3. Band, Berlin, 1835, S. 227 f. — 6 Abhandlungen der Preuß. Akademie der Wissenschaften, Jahrgang 1927, Philosophisch-historische Klasse, Nr. 3 — Einzelausgabe, Berlin, 1928. — 7 Vgl. hierzu vor allem: F. Blättner, Das Elternrecht und die Schule, 1927; J. Dolch, Das Elternrecht, 1928 — Fr. Manns Pädag. Magazin, Heft 1154. — 8 Archiv f. öff. Recht, 1927, S. 187 f. hierzu kritisch: F. Hodes, Elternrecht und Staatsbefugnis (Diss.) 1932. — 9 a.a.O., 3. Band, S. 2283.

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Staate; das ist der Standpunkt des Polizeistaates. Diese vier Lösungen der Frage sind vier Einseitigkeiten, und dennoch haben alle diese vier Lösungen ihre volle innere Berechtigung. Das ist gerade der Schule eigentümlich, daß sie nicht einem Lebensgebiete ausschließlich angehört, daß verschiedene Interessen in ihr zusammenlaufen, daß sie den ganzen Menschen nach allen Richtungen umfaßt, und darum darf man nicht auf Eine dieser vier Seiten den Nachdruck legen.”

 

II

Wie dieser geschichtliche Überblick zeigt, ist der Begriff „Elternrecht” seinem Inhalt nach nicht eindeutig. Er enthält seine Bedeutung erst von dem sozialen Tatbestand, auf den er sich bezieht. Er ist ständig an sozialen Tatsachen, politischen und rechtlichen Verhältnissen orientiert und von der jeweiligen kulturellen Situation bestimmt. Seinen Inhalt empfängt er auch von der Antithese aus, also von den Mächten, die Ansprüche auf die Erziehung geltend machen: dem Staat, der Kirche, den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, der Elternschaft, den Gemeinden, den Parteien, der öffentlichen Meinung und dem historisch gewordenen Normensystem.

Infolge des modernen Wertpluralismus10 und mangels eines einheitlichen Wertbewußtseins im Erziehungswesen ist ein Ausgleich der divergierenden Ansprüche nicht unmittelbar zu erzielen. Das Elternrecht kann auch nicht rational-konstruktiv abgeleitet oder vernunftgemäß begründet werden. Es ist nicht als Naturrecht aus einer neben dem positiven Recht stehenden natürlichen Rechtsordnung herzuleiten, die unmittelbare Geltung hätte. Angesichts des vielseitigen und widersprüchlichen Begriffs des Naturrechts11, der ungelösten Frage seiner Erkennbarkeit, der Geschichtlichkeit und Konkretheit allen Rechtes ist eine aus der menschlichen Natur oder der transzendenten Sphäre unmittelbar ableitbare, inhaltsbestimmte natürliche Rechtsordnung nicht feststellbar. Damit wird hier aber nicht einem Rechtspositivismus das Wort geredet. Als menschliche Ordnung lebt das Recht ständig in der dialektischen Spannung von Idealität und Positivität. Das positivierte konkretisierte


10 H. Ryffel, Der Wertpluralismus unserer Zeit als philosophisches Problem, in Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, XLII, S. 305 ff. und 507 ff. — 11 Verwiesen sei nur auf folgende grundlegende Werke und Abhandlungen: C.A. Emge, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1955, S. 350 ff.; E. Fechner, Rechtsphilosophie, 1956, S. 179 ff.; H. Hubmann, Naturrecht und Rechtsgefühl, in Arch. für die civil. Praxis, Band 153, S. 297 ff.; Merkl, Einheit oder Vielheit des Naturrechts, in österreichische Zeitschrift f. öffentl. Recht, NF 1953, S. 257 ff.; J. Messner, Das Naturrecht, 1950; K. Ritter, Zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus, 1956 (Glaube und Forschung, Band 10); H. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1951; E. Wolf, Das Problem der Naturrechtslehre, 1955; Th. Würtenberger, Das Naturrecht und die Philosophie der Gegenwart, in JZ 1955, S. 1 ff. und die dort zit. Literatur.

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Recht ist nicht nur wirklichkeitsgestaltende Macht; es hat infolge seiner ständigen Orientierung an der Rechtsidee auch Wertcharakter; sonst könnte es nicht den Anspruch erheben, gerechtes Recht zu sein12. Daher kommt dem Naturrecht keine rechtliche, sondern nur sittliche Verbindlichkeit zu, sei es als Rechtfertigungsgrund des positiven Rechtes, sei es als regulierende Idee des empirisch-historischen Rechtes. Insofern fordert Pestalozzi mit Recht die Anknüpfung der Gesetze an den sittlichen Maßstab18 und Schopenhauer schlägt vor, das Naturrecht besser „moralisches Recht14” zu nennen. Der Erziehungsprimat der Eltern ist daher ebensowenig wie der Erziehungsprimat des Staates unmittelbar geltendes Naturrecht. Wohl kann er als sittlicher Anspruch legitimiert sein.

So folgt das Elternrecht aus dem Grundtatbestand des Elternstandes. Es ist ein vorgegebenes Seinsverhältnis, in dem die Elternverantwortung dem Elternrecht vorgeht15. Seine Konkretisierung ist Sache der nationalen Rechtsordnung; ihr obliegt es auch, Inhalt, Umfang und Grenzen des Elternrechts nach Maßgabe der verfassungspolitischen Grundentscheidung zu bestimmen.

Als familiäres Urrecht oder Menschenrecht ist das Elternrecht das allgemeine, unveräußerliche und unverzichtbare, private wie öffentliche Recht der Eltern auf Erziehung ihres Kindes, die mit seiner Mündigkeit aufhört. Es gilt ohne Unterschied des Glaubens, der religiösen oder politischen Überzeugungen, des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse, der Heimat und der Herkunft. Es beruht auf der biologischen, sittlichen und religiösen Ordnung der Familie, an die die Rechtsordnung anknüpft und die sie sinnvoll weiterführt. Insofern ist es originärer Natur16. Nach Fichte17 wird das ursprüngliche Verhältnis zwischen Eltern und Kindern nicht lediglich „durch den bloßen Rechtsbegriff, sondern durch Natur und Sittlichkeit bestimmt”. Dem Elternrecht korrespondiert die Pflicht der Eltern, das Kind „zu erhalten bis es sich


12 Vgl. hierzu BVerfGE 3, 232 f.; 5, 376 ff. — 13 Vgl. H. Weinstock, Die politische Verantwortung der Erziehung in der demokratischen Massengesellschaft des technischen Zeitalters, in Beilage B IV/58, S. 43, zur Wochenzeitung „Das Parlament”. — 14 Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, 4. Buch, § 62, Sämtliche Werke, Band 2, S. 403 f. — 15 Nachdrücklich stellt Simone Weil in ihrem letzten Werk „Die Einwurzelung” (franz. 1949, deutsch 1956) die Pflichten des Menschen vor seine Rechte, wie es schon Melanchthon, Pufendorf, Chr. Wolff und vor allem Kant getan haben. Sie schreibt dort (S. 11): „Der Begriff der Verpflichtung hat den Vorrang vor dem des Rechts, der ihm untergeordnet ist. Ein Recht ist nicht wirksam durch sich selbst, sondern einzig durch die Verpflichtung, der es entspricht; die tatsächliche Erfüllung eines Rechtes geschieht nicht durch den, der es besitzt, sondern durch die anderen, die ihm gegenüber eine Pflichtleistung ihrerseits anerkennen. Die Verpflichtung ist wirksam, sobald sie anerkannt wird. Aber selbst wenn eine Verpflichtung von niemandem anerkannt wird, so verliert sie dennoch nichts von der Fülle ihres Seins.” — 16 E. Fechner, Rechtsphilosophie, 1956, S. 89 f., 130 f., 200 f., 233, 236, 250. — 17 Fichte, Angewandtes Naturrecht, 1797, Erster Anhang, 4. Absch., § 39.

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selbst zu erhalten fähig ist18” und es zu erziehen. Dabei ist die Beziehung der Mutter zum Kind biologisch-psychologisch, sozial und religiös eine andere als die des Vaters zum Kinde19.

Diese Verantwortung oder Schuldigkeit elterlicher Fürsorge wird teils naturalistisch aus der Zeugung oder in Fortsetzung der Zeugung als „eine Art nachträglicher Beschönigung derselben20” hergeleitet21. Teils wird sie irrationalistisch damit begründet, daß die Mutter im Kinde den Gatten liebt, „dieser darin die Gattin; beide haben in ihm ihre Liebe vor sich22”, oder daß der Erzeugte im Erzeugten „sich selbst wiedererkennt23”. Sie wird aber auch moralisch und naturrechtlich mit der natürlichen Liebe der Eltern zu ihren Kindern begründet, die als „die erste und unerläßliche Macht in der Erziehung24” bezeichnet wird. Von der Grundlage der göttlichen Schöpfungsordnung entwickelt Emil Brunner25 in naturrechtlicher Beweisführung die These, daß nach christlicher Erkenntnis der Gerechtigkeit im Bereich der Familie Liebe und Gerechtigkeit ineinander greifen. „Die Liebe ist das, was alle Glieder gegeneinander gleicherweise bestimmt; aber diese Liebe muß beim Vater, bei der Mutter und beim Kind je eine andere durch die Gerechtigkeit bestimmte Form annehmen.” Die Mutter nennt er „die berufene Mittlerin zwischen der Gerechtigkeit väterlicher Autorität und der freiquellenden, durch keine Ordnung und kein Gesetz gebundenen Liebe”. Aus dem Anspruch der Wirklichkeit des menschlichen Daseins in Staat und Gesellschaft, die dem Einzelnen erst die Lebensbedingungen und die Tradition gibt, durch die er geistig erwacht und wird, was er ist, leitet Karl Jaspers26 die Verpflichtung zur Erziehung her als der „Vermittlung der Tradition und als Schulung zur Leistungsfähigkeit im Dienst des Ganzen”. Danach ist es die


18 Schopenhauer, Grundlage der Moral, § 17, Sämtl. Werke, Band 4, S. 221. — 19 K.H. Rengstorf, Vaterschaft im Neuen Testament, in Familienrechtsreform (Glaube und Forschung, 1955, Band 8), S. 34 ff.; E. Michel, Das Vaterproblem heute in soziologischer Sicht, in Zeitschrift Psyche, 1954. — 20 Nietzsche, Morgenröte, Aph. 397. — 21 Vgl. auch Christian Wolff, Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen, 1747, Kap. 2, § 18, S. 11, „deswegen müssen diejenigen welche sich zusammenbegeben, Kinder zu zeugen, auch miteinander einig werden sie zu erziehen. Und solchergestalt kann auch die Auferziehung von der Zeugung nicht getrennt werden.” Vgl. auch Kap. 3, § 81, S. 57 —. Kant — Metaphys. Anfangsgründe der Rechtslehre, 1797, § 28 — sagt: „So folgt, aus der Zeugung in dieser Gemeinschaft, eine Pflicht der Erhaltung und Versorgung in Absicht auf ihr Erzeugnis” — Schopenhauer, a.a.O., spricht von einer „Verpflichtung . . ., die nicht mittelst einer Übereinkunft, sondern unmittelbar durch eine bloße Handlung übernommen wird; weil der, gegen den man sie hat, noch nicht da war, als man sie übernahm: es ist die der Eltern gegen ihre Kinder.” — 22 G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts — 1820 —, § 173 Zusatz. — 23 Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, 2. Band, Ergänzung zum 4. Buch, Kap. 45, Sämtliche Werke, Band 3, S. 652. — 24 I. Messner, Das Naturrecht, 1950, S. 297. — 25 Emil Brunner, Gerechtigkeit, 1943, S. 173 f.; vgl. hierzu die kritischen Stellungnahmen von K. Ritter, a.a.O., S. 30 ff, und H. Kelsen in Studia Philosophica, XIII, 1953, S. 153 ff. — Karl Jaspers, Philosophie, 2. Aufl., 1948, S. 611.

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Familie in ihrer existentiellen Verpflichtung, die neben anderen Kulturkreisen das Erbe bewahrt und weitergibt und ohne die keine Tradition ist. Von der Religion, vom christlichen Glauben27 her findet die elterliche Verantwortung ihre Grundlage in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen, sowie in dem Auftrag, den Garten Eden zu bauen und zu bewahren und die Kinder zu lehren. Danach sind die Eltern durch die Schöpfung mit besonderer Vollmacht ausgestattet. Im Gewissen sind sie zur Erfüllung des Erziehungsauftrages verpflichtet und Gott hierfür Rechenschaft schuldig. Die Eltern haben ihr Amt danach nicht aus der ihnen immanenten Qualität der Natur, sondern in Relation zum göttlichen Wort und Gebot28. Die Verantwortung der Eltern gegenüber dem Kind als Gabe oder Eigentum Gottes gründet den Elternstand auf den Willen Gottes. Dadurch wird die Annahme eines schöpfungsimmanenten Naturrechts ebenso ausgeschlossen wie eine willkürliche Verfügungsmacht über das Kind.

Das Elternrecht ist nicht absolut und unumschränkt. Es ist durch den ihm eignenden fiduziarischen oder vormundschaftlichen Charakter eingeschränkt. Dem Kind kommt die gleiche Menschenwürde zu wie den Eltern. Kraft dieser Personwürde des Kindes sind die Eltern gebunden, das ihnen zustehende Erziehungsrecht als Sachwalter des Kindes, also in seinem Interesse und zu seinem Wohle, treuhänderisch auszuüben, vor allem auch das Recht des Kindes auf Freiheit, Erziehung und Bildung anzuerkennen. Darauf gründet sich, wohl erstmals von Hegel29 erkannt, „das Recht des Kindes, erzogen zu werden”. Daher können „die Dienste, die von den Kindern gefordert werden dürfen . . . nur den Zweck der Erziehung haben und sich auf dieselbe beziehen: sie müssen nicht für sich etwas sein wollen”.

Sodann ist das Elternrecht zugleich das besondere, gesetzlich unterschiedlich geregelte Recht gegenüber den organisatorischen Veranstaltungen der Erziehung, insbesondere der Schulerziehung. Als solches umfaßt es einmal das konfessionelle Elternrecht, soweit es auf die konfessionelle Erziehung und auf die Bestimmung des Religionsunterrichtes gerichtet ist. Da die konfessionelle Erziehung von den Eltern die Entscheidung fordert, ob das Kind konfessionell erzogen werden soll, und wo und nach welchen pädagogischen Methoden es geschehen soll, ist sie zugleich Auswirkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit.


27 1. Mose 1, 27; 2. 15; 5. Mose 21, 18; 32, 7; Psalm 78. — 28 Vgl. H. Thielicke, Theologische Ethik, I. Band, S. 147 f.; Karl Barth präzisiert die Aufgabe der Elternschaft wie folgt: „Was bedeutet Gottes Gebot für einen Mann und eine Frau, wenn diese nun wirklich gemeinsam Eltern, Vater und Mutter von Kindern geworden sein sollten? Zweierlei . . . Sie sollen an den Kindern als solche handeln, die sich der Ehre, die sich aber auch der Verpflichtung bewußt sind, die das bedeutet, Vater und Mutter zu sein . . . Die Verpflichtung besteht darin, daß er für dieses Ereignis und also für die Existenz dieses neuen Menschen verantwortlich ist und für sein ganzes Leben bleiben wird” — Kirchliche Dogmatik III, 4. S. 311. — 29 Hegel, a.a.O., § 174 Zusatz.

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Infolge dieser Ausstrahlung des Grundrechts der Glaubens- und Gewissensfreiheit auf das Elternrecht muß der gegen den Willen bekenntnisfremder Eltern staatlich erzwungene Besuch einer Bekenntnisschule durch ihre Kinder die Glaubens- und Gewissensfreiheit beeinträchtigen. Darüber hinaus hat das Recht auf Schulerziehung das pädagogische Elternrecht als das Recht der Eltern auf gestaltende Mitbeteiligung30 im Schulwesen zum Gegenstand. Das konfessionelle und pädagogische Elternrecht können den Eltern nicht allein als individuelle Rechte, sondern auch als kollektive Rechte zustehen, insofern der Elternschaft als Gruppe gestattet ist, die Gestaltung des Schul- und Unterrichtswesens mitzubestimmen.

Diese beiden Arten des Elternrechts unterscheiden sich begrifflich und prinzipiell. Kennzeichnendes Merkmal des konfessionellen Elternrechts ist das konfessionelle oder weltanschauliche Moment der Erziehung; das wesentliche Moment des von mir so genannten pädagogischen Elternrechts liegt in der Anerkennung und der Förderung der Selbstverwaltung im Schulbereich, ohne unmittelbare Berücksichtigung des konfessionellen Elementes. Infolge dieses Rechtscharakters läßt sich grundsätzlich das konfessionelle Elternrecht auch als Recht auf die Errichtung von konfessionell bestimmten Schulen und das pädagogische Elternrecht als ein Recht in der Schule, ein Recht für bereits bestehende Schulen bezeichnen.

 

III

Damit stehen wir vor der Frage nach dem das Elternrecht in der staatlichen Gemeinschaft legitimierenden Grund. Beruht es nur auf dem Machtanspruch des Staates, hat es seine Grundlage also nur in der Willkür staatlicher Setzung und bestimmt sie Grenzen und Inhalt? Oder lassen sich von der Idee des Rechtes aus allgemeine objektive Grundsätze für die Gestaltung des Umfanges und der Grenzen des Elternrechts feststellen, die nicht mißachtet werden dürfen, wenn anders die positivrechtlichen Regelungen den Anforderungen eines gerechten Rechtes entsprechen sollen? Kann eine der Erziehungsmächte — Eltern, Kirche, Staat, Verbände, Parteien und anonyme Erziehungsträger — Anspruch auf ein besseres Recht der Erziehung erheben, oder haben sie nur einen bestimmten Anteil an der Erziehung? In welchem Verhältnis stehen die Ansprüche der einzelnen Erziehungsmächte zueinander? Wem obliegt es, einen Ausgleich ihrer Ansprüche herbeizuführen?

Bei der Beantwortung dieser Fragen darf nicht übersehen werden, daß das Problem der Relation der Erziehungsmächte, vor allem des Staates und der


30 Blättner — a.a.O., S. 12 f. — unterscheidet hier das Recht der Mitverwaltung in den Formen der Schulgemeinde und der Schulpflegschaft, das Recht der Mitwirkung an Bildung und Erziehung in der Schule einschließlich des Rechtes auf Mitaufsicht und das Recht der Miterziehung in Form der Elternbeiräte.

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Eltern, nur einen Teil der Problematik der allgemeinen Verhältnisse bildet, in dem der Mensch zur Gemeinschaft steht, und des besonderen Verhältnisses zwischen Mensch und Staat. Im Rahmen dieser Darstellung kann das geistige Bemühen des Abendlandes nach materialen Maßstäben dieser Verhältnisse nicht in den Grundlagen untersucht werden. Hierbei handelt es sich nicht allein um ein Problem der Gestaltung der Gemeinschaft, sondern um das Zentralproblem der Lehre von der Gerechtigkeit überhaupt. Die Auseinandersetzung muß sich hier im wesentlichen auf die Frage nach der Verwertbarkeit der Lösungsversuche für das Elternrecht beschränken.

Eindringender Betrachtung zeigt sich, daß in idealtypischer Sicht im wesentlichen drei mögliche Staats-, Gesellschafts- und Rechtsauffassungen über das Verhältnis von Mensch und Gemeinschaft unterschieden werden können: die individualistische, die universalistische und die personalistische jeweils in verschiedenen Übergängen und Stufen.

Das Gegensatzpaar Individualismus-Universalismus ist in sich widerspruchsvoll. Denn im Individualismus und Universalismus wird ein Moment der sozialen Wirklichkeit isoliert und absolut gesetzt: dort das Individuum, hier das Ganze; beide werden nicht in ihrem bedingenden Verhältnis gesehen. Weder ist das gesellschaftliche Ganze primär, noch ist der Einzelne nur Teil des Ganzen, noch mangelt beiden Eigenständigkeit; auch ist der Einzelne nicht isoliert und autark, noch ist die Gemeinschaft nur ein mechanisches oder von den Einzelnen frei geschaffenes zweckhaftes Gebilde zur Sicherung des Lebens und der Freiheit des Einzelnen. Das Ganze wie der Einzelne bestehen notwendig zugleich, aber der Einzelne ist eigenständig mit der Gemeinschaft verbunden. Die Gemeinschaft wiederum ist nur eine Wirkungs- und Bewußtseinseinheit und nicht, wie der Universalismus es annimmt, eine über und außer den einzelnen realexistierende transpersonale Wesenheit: sei es in Gestalt des mechanischen und organischen Kollektivismus, sei es als geistige Allgemeinheit, als sich entwickelnde Idee oder als souveräner Wille, in der die Einzelnen nicht als Zweck an sich, sondern „bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauch für diesen oder jenen Willen” (Kant) dienen.

Damit ist die Position des Personalismus angedeutet, wie er von der phänomenologischen Schule, der modernen Soziologie und der Ontologie entwickelt worden ist31. Von den vorgegebenen sachlogischen Strukturen her —


31 Vgl. u.a. Th. Litt, Individuum und Gemeinschaft, 1920; Nicolai Hartmann, Neue Wege der Ontologie, 1949; Das Problem des geistigen Seins, 1949; Max Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, 1928; Max Graf Solms, Analytische Gesellungslehre, 1956, S. 165 ff.; Edith Stein, Individuum und Gemeinschaft, in Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, V. Band, S. 116 ff.; D. Brinkmann, Welt und Menschsein in der Sicht der europäischen Philosophie, in Universitas 1957, S. 1033 ff.

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also nicht von ewigen Vernunftwahrheiten oder apriorischen Denkformen und Denkkonstruktionen — sieht der Personalismus den Einzelnen nicht abstrakt, wie es der Individualismus tut, sondern konkret, als Persönlichkeit, in der Individualität, Personalität und Menschenwürde vereinigt sind. Die Persönlichkeit steht zugleich in Beziehungen zur Gemeinschaft und zum Sein; sie ist Mensch in der Gemeinschaft. Einzelner und Gemeinschaft stehen nicht gegensätzlich gegeneinander. Persönlichkeit und Sozialverbundenheit in der Gemeinschaft sind nur zwei Aspekte. Einzelner und Gemeinschaft greifen ineinander über, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Die Gemeinschaft ist kein mechanisches Nebeneinander von Einzelnen, sondern in sich vielgestaltig gegliedert; sie ist dynamisch, nicht statisch. Es besteht in ihr das Verhältnis der Gegenseitigkeit, der Ergänzungsbedürftigkeit und der polaren Vereinigung. Der Mensch, der in der Gemeinschaft seine Stellung und seine Funktion hat, erschöpft sich hier nicht in seiner Beziehung zu ihr. Er hat seinen Eigenwert und Eigenzweck. „Wohl ist auch das Ganze Zweck, aber das hebt die Zwecknatur der Elemente nicht auf, weil Ganzes und Teile in dialektischem Verhältnis zueinander stehen: weil das Ganze durch die Teile ist und die Teile durch das Ganze sind, weshalb sich keines als Mittel des anderen auffassen läßt. Wenn das aber auch feststeht, so kann trotzdem eine verschiedene Verteilung der Wertakzente innerhalb des Ganzen stattfinden und je nachdem dem einen Element mehr Zweckcharakter, dem anderen mehr der Charakter des Mittels beigelegt werden. So geschieht das durch die verschiedenen Staatsauffassungen im Verhältnis von Individuum und Staat. Aber weder Individuum noch Staat sind je nur Selbstzweck oder nur Mittel32”. Auf den sittlichen und sozialen Bereich bezogen bedeutet diese korrelative Zuordnung zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft: „Die Gemeinschaft stellt dem Einzelnen die überindividuellen Aufgaben; durch das gewissenhafte Ringen um sie und durch die Hingabe an sie erhält der Einzelne einen eigenen sittlichen Wert, der ihr nicht von der Gemeinschaft verliehen wird, sondern ihr kraft eigener Leistung zukommt33”.

Aus dieser unterschiedlichen Bewertung des Verhältnisses des Einzelnen zur Gemeinschaft ergeben sich ebenso unterschiedliche Konsequenzen für das grundsätzliche Verhältnis von Einzelperson und Staat. Der Individualismus beruht auf dem Einzelwesen als ens rationale et sociale. Hieraus leitet er seine Autonomie, seine Gleichheit und Freiheit her. Der staatlichen Ordnung geht im logischen oder historischen Sinn grundsätzlich das subjektive Recht des Einzelnen als Grund- und Menschenrecht, als ein angeborener, unverzichtbarer und unveräußerlicher Anspruch gegenüber dem Staat und der


32 Schindler, Verfassungsrecht und soziale Struktur, 1950, S. 65 — vgl. hierzu auch Kant, Kritik der Urteilskraft, 1790, § 65 Anmerkung. — 33 H. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 1951, S. 176.

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Menschheit vor. Der Staat leitet seine Gewalt erst von dem Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag der Einzelnen her. Aber hier entwickelt sich die naturrechtliche individualistische Lehre in zwei entgegengesetzte Richtungen, die bis in die Gegenwart ausstrahlen. Bestimmt im Herrschaftsvertrag der Staat endgültig den Rechtsstatus des Einzelnen — so nach Hobbes, Rousseau und zum Teil Spinoza —, dann ist die Volkssouveränität, das souveräne Kollektiv, die zentralistische Demokratie, die sowjetische Demokratie, die absolute Rechtlosigkeit die eine Konsequenz des Individualismus. Sind aber die Urrechte untrennbar mit dem Wesen des Menschen verbunden — so bei Locke, Althusius, Christian Wolff, Pufendorf, Thomasius, Blackstone —, dann behalten sie auch im Staat ihren absoluten Charakter als unübersteigbare Schranke der Staatsgewalt34. Werden nun auch der Familie, der Gemeinde und anderen Verbänden die gleichen unverzichtbaren individuellen Rechte wie dem Einzelnen zugebilligt, dann sind sie ebenbürtig mit dem Staat und haben ein eigenes Recht. Das ermöglicht einen föderalistischen Staatsaufbau von unten nach oben. Die liberale Demokratie, der Rechtsstaat und die föderalistische Gliederung ist die andere bis zur Gegenwart wirkende Konsequenz des Individualismus.

Im Universalismus, den die geschichtliche Wirksamkeit in den verschiedensten Spielarten kennt, kommt dem Staat absoluter Wert zu. Er ist Selbstzweck. Die Stellung des Einzelnen ist von der Funktion abhängig, die ihm im Staat zugewiesen ist. Der Einzelne ist daher dem Staat untergeordnet. Rechte stehen der Einzelperson nur insoweit zu, als der Staat sie ihr gewährt. Der Staat ist hier einem Organismus vergleichbar, in dem das Glied nur unselbständiges Organ des Ganzen ist. Auch dort, wo bei Übertragung des organischen Prinzips auf den Bereich der Staatsphilosophie der Begriff des Organismus nicht im Sinn des Biologismus oder Naturalismus verstanden wird, wird die Einzelperson durch den Staat und umgekehrt funktionalisiert. „Wenn das Oberindividuelle das Ursprüngliche (Primäre) ist”, sagt O. Spann35, „dann ist das Einzelne nur etwas der Möglichkeit nach Seiendes". . . . Das Uberindividuelle „weckt und bildet erst den Einzelnen.” . . . „Immer ist das Soziale die erste Form des Sittlichen, das Individuelle die abgeleitete36”. Ist — wie in anderen Arten des Universalismus — ausschließlich der Staat Träger des allgemeinen Geistes oder einer anderen substantiellen Allgemeinheit, dann wird der Staat Selbstzweck, und die Einzelperson geht in dem Allgemeinen auf und unter: Alles, was zur Selbstbehauptung des Staates


34 „Seinem Wesen stellt sich hier der Staat schlechthin nur als ein Komplex von Personen und Einrichtungen dar, die gleich den Teilen einer komplizierten Maschine zu einem einheitlichen Resultate zusammenwirken . . . Der Staat als solcher ist . . . eine Summe ungleich gestellter, teils herrschender, teils beherrschter Einzelpersonen” (O. v. Gierke, Die Grundbegriffe des Staatsrechts, 1915, S. 90). — 35 Der wahre Staat, 1938, S. 33. — 36 a.a.O., S. 36.

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geschieht, ist gerecht37. Macht ist Recht38. Freiheit ist „Einsicht in die Notwendigkeit39”.

In Konsequenz des Personalismus, der die Einseitigkeiten des Individualismus verwirft, hat der Staat keinen von der Einzelperson losgelösten Zweck. Da die Zwecke des Staates individuelle und kollektive menschliche Interessen zum Gegenstand haben, ist der Staat als Träger der Gesamtinteressen um der Menschen willen da. Der Mensch ist nicht allein in die Existenz des Staates hineingebunden. Außer der Sozialbeziehung zum Staat bestehen Sozialbeziehungen zu anderen eigenständigen, nichtstaatlichen Gemeinschaften; die Abgeschlossenheit des Staates ist daher nur beschränkt. Daher fordert das rechte Verhältnis zwischen Einzelperson und Staat auf Grund der Eigenständigkeit der Bereiche der verschiedenen Einzelpersonen und Gemeinschaften ihre partielle und gleichmäßige Anerkennung und Sicherung der Freiheitssphären gegenüber dem Staat nach sachlogischen Wertstrukturen. Wegen der Ergänzungsbedürftigkeit ist aber auch wiederum die wechselseitige Verschränkung, gegenseitige Hilfe und Förderung, Hemmung und Enthemmung in der Erkenntniss notwendig, daß jede Überbetonung des einen Teils die polar entgegengesetzte Wirkung im anderen Teil hervorbringt. Aus dem dialektischen Charakter dieses Verhältnisses folgt als unendliche Aufgabe, die latenten Spannungen zwischen Freiheit und Gleichheit im Geiste der sozialen Gerechtigkeit ständig auszugleichen. Die stets zu erneuernde Entscheidung liegt hier beim Menschen. Maß und Regel muß ihm dabei die objektive Seinsstruktur sein, der Mensch und Gemeinschaft als Teilordnung zugehören. Diese Ordnung ist damit in die Transzendenz, in die intelligible Ordnung gebettet. Von dieser Sinngebung aus konnte Schelling in seiner Auseinandersetzung mit Hegel — 1833/34 — sagen: „Der Staat, so viel Positives er in sich schließt, so gehört er doch ganz gegen alles Positive:


37 Das Recht umfaßt nach dieser Ansicht (vgl. O. v. Gierke, a.a.O., S. 89) im Grunde gar nicht die innere Einrichtung des Staates, der sich „als ein schlechthin selbständiges Ganzes mit schlechthin unselbständigen Teilen” darstellt, „das durch sich selbst, in sich selbst und um seiner selbst willen eine Einheit ist” (a.a.O., S. 88). — 38 Hegel hat diese Folgerung zwar nicht gezogen. Ihm ist der Staat „die Wirklichkeit der sittlichen Idee, — der sittliche Geist, als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille” — Rechtsphilosophie, § 257 —, der „Geist eines Volkes” — a.a.O., § 274 — nicht reine Machtorganisation — a.a.O., §§ 340 ff. —. Aber dennoch unterwirft er die Freiheit dem Staat. Hegel sagt von seiner Betrachtungsweise aus folgerichtig: „Denn das Gesetz ist die Objektivität des Geistes und der Wille in seiner Wahrheit; und nur der Wille, der dem Gesetz gehorcht, ist frei, denn er gehorcht sich selbst und ist bei sich selbst und frei... Indem sich der subjektive Wille des Menschen den Gesetzen unterwirft, verschwindet der Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit” — Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte herausgegeben v. J. Brunstaedt, S. 78 —. „Die Hauptsache ist, daß die Freiheit, wie sie durch den Begriff bestimmt wird, nicht den subjektiven Willen und die Willkür zum Prinzip hat, sondern die Einsicht des allgemeinen Willens, und daß das System der Freiheit freie Entwicklung ihrer Momente ist” — Hegel, a.a.O., S. 88. — 39 Friedrich Engels, Anti-Dühring, 1886, S. 91.

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Religion, Wissenschaft und Kunst auf die Seite des Negativen. Er ist auch nur conditio sine qua non eines höheren Lebens. Das wahre Streben nach rechter Freiheit ist eben, den Staat gegen alles höhere Leben zu beschränken; ihn in seinem diesem höheren Leben nur dienendem Verhältnis zu erhalten, nicht aber ihn zum Zweck machen40.” Diese Erkenntnis der Spätphilosophie Schellings41 setzt den Staat nicht hinauf oder über alles; sie läßt ihn auch nicht der Immanenz verhaftet sein: sei es als zweckhafte, vom Nützlichkeitsgeist erfüllte Veranstaltung der Koexistenz von Individuen, sei es als lebendigen, freien organischen Staat, der mehr ist als ein bloßes Zwangsinstitut oder ein nur zur wechselseitigen Sicherstellung der Rechte konstruierter Notstaat. Schelling weist hier den Staat einerseits in seine Grenzen zurück, sieht aber zugleich seine wahre Bedeutung in einer vorläufigen Ordnung im Dienst der Freiheit des Menschen, der Entfaltung des höheren Lebens des Geistes in der Gesellschaft, letztlich einer Ordnung der Welt gegenüber dem Reiche Gottes.

 

IV

Von diesen grundlegenden Erkenntnissen über das Verhältnis des Einzelnen und der Gemeinschaft, von Einzelpersonen und Staat, löst sich die eingangs gestellte Frage nach dem das Elternrecht legitimierenden Grund. Die Stellung der Eltern im Erziehungswesen, ihre Rechte und Pflichten gegenüber der Gemeinschaft und dem Staat kann, wie dargelegt, nicht naturrechtlich in zeitloser Allgemeingültigkeit bestimmt werden. Sie ist von der jeweiligen geschichtlichen Situation, den in ihr herrschenden Ideal- und Realfaktoren und vor allem von den nach Ursprung, Gliederung, Funktion und Zweck zu unterscheidenden Gebilden Familie und Staat abhängig. Mag auch der Staat, wie manche meinen, sich von der Familie als dem urtümlichen sozialen Gebilde herleiten, so ist der Staat als souveräne Herrschaftsordnung eine grundsätzlich andere Ordnung als die aus der Liebes-, Geschlechts- und Wirtschaftsgemeinschaft sich entwickelnde Ordnung der Familie, die die Erziehung für sich beansprucht. Auch sind Staat und Familie42 in dauernder


40 Zitiert nach A. Hollerbach, Der Rechtsgedanke bei Schelling, Quellenstudien zu seiner Rechts- und Staatsphilosophie, 1957, S. 210. — 41 Vgl. auch Schellings Stuttgarter Privatvorlesungen (1810) und Darstellung der reinrationalen Philosophie (1848 ff.) in Schellings Werke (Hrg. M. Schröter), 1928, 5. Hauptband S. 715, (22. Vorlesung), S. 723f.; S. 728f.; S. 732ff. (23. Vorlesung), S. 735ff. (24. Vorlesung). — 42 Vgl. hierzu u.a. R. König, Artikel: Familie und Familiensoziologie, in W. Bernsdorf u. F. Bülow (Hrg.): Wörterbuch der Soziologie, 1955, S. 115 f.; derselbe, Soziologie der Familie, in A. Gehlen u. H. Schelsky (Hrg.): Soziologie, ein Lehr-und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde, 1955, S. 119 ff.; derselbe, Sozialpsychologie der gegenwärtigen Familie, in Universitas, 1957, S. 1247ff.; H. Schelsky, Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart, 1955; G. Wurzbacher, Leitbilder gegenwärtigen deutschen Familienlebens, 1954; B.Pohl, Die säkularisierte Restfamilie, in „Zeitwende", 1957, S. 282 ff.; M. Donath (Hrg.), Die Familie im Umbruch der Gesellschaft, 1954, Heft 13 der Schriftenreihe „Kirche im Volk”; ➝

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Wandlung begriffen. Für die Beurteilung ihres Verhältnisses sind besonders bedeutsam die jeweiligen Staatsideenlehren sowie die Gesellschafts- und Verfassungswirklichkeit; innerhalb der einzelnen Richtungen der Staats- und Rechtstheorien stufen sich die Ansichten in mannigfachen Nuancen ab. Gesellschaftliche und politische Entwicklungen haben zudem die Grundrichtungen differenziert und variiert. Das liegt in der alogischen Vielfalt des Lebens und der Lebenszusammenhänge. Zudem kann, was für die Vergangenheit gilt, nicht ohne weiteres auf die Gegenwart übertragen werden. Jede Zeit stellt ihre eigenen Forderungen und bietet selbständige Lösungen.

Überdies läßt sich eine Reihe von Schriftstellern je nach ihrer Entwicklungsstufe verschiedenen Richtungen zuordnen. So redet Rousseau (1712-1778) in seinem Beitrag „Über die politische Ökonomie” für die Enzyklopädie (1745) der öffentlichen Erziehung nach staatlich vorgeschriebenen Normen unter der Leitung von Beamten und der gemeinsamen Erziehung der Kinder „im Schoß der Gleichheit, eingetaucht in die Gesetze des Staates und die Grundsätze des Gemein willens43” das Wort. In seinem Erziehungswerk „Emile” (1762) dagegen unterscheidet er zwei sich widersprechende Formen der Bildung: die öffentliche und gemeinsame sowie die besondere und private. Da es eine öffentliche Erziehung nicht mehr gebe, bleibe nur die häusliche oder diejenige der Natur, und der Vater sei der rechte Lehrmeister des Kindes, der „seinem Geschlechte Menschen schuldig sei, der Gesellschaft soziale Menschen, dem Staat Bürger44”. In Pestalozzi45 (1746-1827) ringen die liberalistisch-autonomen Tendenzen mit den ständisch-patriarchalischen Bestrebungen, durch die er im Grunde nur den Geist der Familie neu beleben wollte. Aber gerade diese Elemente haben im Kreise seiner Nachfahren dazu geführt, aus der Haus- und Familienerziehung die öffentliche Erziehung zu machen und die allgemeine Volksschule zu entwickeln. Fichte (1762-1814) vertritt zunächst vor allem in seinen Jenaer Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794) das individuelle Recht auf Erziehung, da der Zweck des Staates seine Selbstaufhebung sei46. Im zweiten Teil seines


➝ H. Dombois, Das Problem der Institutionen und die Ehe, in Familienrechtsreform (Glaube und Forschung, Band 8), 1955, S. 132 ff.; Die Familie, 1957, in Herder-Korrespondenz, XII, S. 96 ff. — 43 Rousseau, Kritik der Kultur, Kröners Taschenausgabe, Band 85, 1956, S. 245. — 44 a.a.O., S. 136, 138 f. — 45 E. Spranger, Der Zusammenhang von Politik und Pädagogik in der Neuzeit, in „Die Deutsche Schule”, 1914, S. 427 f.; 1915, S. 363 f.; J.H. Pestalozzi, Abendstunde eines Einsiedlers, 1780; Lienhard und Gertrud, 1781, Dritter Teil, Kap. 19-21; 67, 68, 84. — 46 Fichte rückte damit in die Nähe der Marx-Engels-Leninschen Eschatologie, nach der im sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftssystem der Staat abzusterben beginnt und an die Stelle der bürgerlichen Gesellschaft eine freie Assoziation treten wird, in der es „keine eigentliche politische Gewalt mehr geben” wird (Marx, Das Elend der Philosophie, 1847, in: Die Frühschriften, Kröners Taschenausgabe, 1953, Band 209, S. 524; Engels, Anti-Dühring, 1894, S. 301 ff.; Lenin, Staat und Revolution, 1917, in Lenin, Ausgewählte Werke II, S. 168 ff.

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Naturrechts oder des angewandten Naturrechts (1796) beginnt er den Ansprüchen des Staates auf Erziehung den Vorrang zu geben und schränkt die Elternrechte immer weiter ein47. Julius Friedrich Stahl (1802-1861) nimmt die Unterrichtsfreiheit als Elternrecht gegenüber einem staatlichen Erziehungssystem in Anspruch, das von den religiös-kirchlichen Grundlagen gelöst ist oder ihm widerspricht. Er erklärt aber im christlichen Staat die Unterrichtsfreiheit für revolutionär, weil sie „die höhere Ordnung und Leitung” vernichtet und in ihrer Konsequenz dazu führt, daß der Staat „gottesleugnerische Unterrichtsanstalten dulden müßte48”. Demgegenüber verwendet Adolf Diesterweg (1790-1866) das Elternrecht im Kampf gegen den reaktionären Staat und verneint es zugunsten des demokratischen Staates. Ebenso widersprechend sind die Ansichten in dem Staatslexikon von Rotteck und Welcker und anderen Werken des Liberalismus49.

Aus diesen Gründen erscheint es — im Anschluß an die Darstellung der nach den einzelnen Gesellschafts- und Staatstheorien für das Elternrecht zu ziehenden Folgerungen — nicht unzulässig, sich hier auf diejenigen Philosophen, Pädagogen und Juristen zu beschränken, die als besonders repräsentativ für die jeweilige Richtung angesehen werden können.

Von der individualistischen Staats- und Rechtstheorie aus — „so wenig Staat als möglich50” — ist nur die These begründbar: „Elternrecht bricht Staatsrecht”. Nach ihr haben die Eltern ein eigenes originäres Recht auf Erziehung ihrer Kinder. Soweit die individualistische Theorie aus dem Herrschaftsvertrag die kollektivistische Folgerung zieht, wird gelehrt, daß die Vertragschließenden sich das Erziehungsrecht als ureigenstes persönliches Recht vorbehalten haben51. Die private Erziehung hat hier also den Vorrang vor der öffentlichen Erziehung. Dem Staat steht entweder überhaupt kein Recht auf Erziehung zu oder nur ein subsidiäres Erziehungsrecht für den Fall, daß die Eltern nicht fähig oder nicht willens sind, ihre Kinder zu erziehen. Im Grunde bleibt der Staat durch das Erziehungsrecht der Eltern gebunden und übt es nur namens der Eltern aus. Daher werden als berufene Träger des


47 Vgl.: J.G. Fichte, Der geschlossene Handelsstaat, 1800; Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, 1806; Reden an die Deutsche Nation, 1808. — 48 J. Fr. Stahl, Die Philosophie des Rechts, 1854, 2. Band, 1. Abt., § 87 ff. — 48 Vgl. Staatslexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften von C. v. Rotteck und Carl Welcker, 1835, Art. Bildung, S. 571 ff.; Art. Schulen, S. 354 f.; Art Schulwesen, S. 363 f.; 369 f., 378 f.; Rümelin, Über das Objekt des Schulzwanges, in Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1868, S. 311 ff., leitet den Schulzwang aus dem allgemeinen Schutz- und Obervormundschaftsrecht der Staatsgewalt her. — 50 Nietzsche, Aus dem Nachlaß, Blicke in die Gegenwart und Zukunft der Völker, Aph. 6; Morgenröte, Aph. 179; Menschliches, Allzumenschliches, I, Aph. 467, II, Aph. 320. — 51 Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, I. Buch, 4. Kap., a.a.O., S. 251f.; II. Buch, 4. Kap.

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Erziehungswesens die Familie und freie Verbände52 angesehen und dem Staat nur die oberste Aufsicht zugestanden. Der Staat soll nur die Hindernisse beseitigen, welche der Einzelne gar nicht oder wenigstens nicht so vollständig und zweckmäßig wegräumen könnte53.

Man muß sich hier davor hüten, das originäre Recht der Eltern mit der Unterrichtsfreiheit gleichzusetzen, weil dieser Begriff vieldeutig ist. Entweder kann die Errichtung und Führung von Schulen unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen Jedem freistehen — der Kirche, den Eltern, den Gemeinden und Verbänden jedweder Art —, und der Staat kann sich auf eine Rechtsoder Ermessensaufsicht beschränken. Dabei kann die Zulassung der privaten Schulen im Ermessen des Staates stehen (sog. abgeschwächtes Schulmonopol), oder der Einzelne kann auf ihre Zulassung einen Rechtsanspruch haben (sog. System der begrenzten Unterrichtsfreiheit). Schließlich kann die Unterrichtsfreiheit das Prinzip des Vorrangs der privaten Erziehung vor der öffentlichen enthalten. Es kann auch Ablehnung des staatlichen Schulzwanges zum Gegenstand haben. Unterrichtsfreiheit kann aber auch die Selbstverwaltung der Schulen durch die Elternschaft als Urrecht der Familie oder durch die Lehrerschaft in Anerkennung demokratischer Mitbestimmung oder als Ausdruck der Autonomie des Bildungswesens durch selbständige Schul- und Erziehungsgemeinschaften bedeuten.

Besonders repräsentativ für diese Richtung54 sind Wilhelm von Humboldt (1767-1835) und Johann Friedrich Herbart (1776-1841), deren wesentliche Grundgedanken später meist nur wiederholt oder abgewandelt worden sind.

Allerdings klafft zwischen Humboldts Bildungslehre und seiner Bildungspolitik während der Zeit seines staatlichen Wirkens ein gewisser Widerspruch. Er löst sich zum Teil dadurch, daß Humboldt zwar davon ausging, letzter Zweck des Weltalls sei die Bildung der Individualität, aber zugleich unterstellt, daß Mensch und Bürger in ihr verschmelzen, und dem Staat es „ebensowenig


52 Vgl. F.W. Dörpfeld, Die freie Schulgemeinde und ihre Anstalten auf dem Boden der freien Kirche im freien Staat, 1863; hierzu Holstein, in Archiv für öffentliches Recht, 1927, S. 227, 248 ff.; weitere Literatur in E. Stein, Elterliche Mitbeteiligung im deutschen Schulwesen, in JZ 1957, S. 11 f., Anm. 5 und 63. — 53 Robert von Mohl, Die Polizeiwissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaats, 1832, I §§ 4, 6, 18, 53; Staatslexikon, a.a.O., Art. Bildung, S. 574. — 54 Kant ist auch zu dieser Richtung zu rechnen. Er hält zwar im allgemeinen die öffentliche Erziehung für vorteilhafter als die häusliche, meint aber, daß im Interesse des „Weltbesten und der Vollkommenheit”, wozu die Menschheit bestimmt sei und sie auch die Anlage habe, weder von den Eltern noch von dem Staat dieser Endzweck erreicht werden könne; es komme daher hauptsächlich auf Privatbemühungen an: „Danach sollte auch die Einrichtung der Schulen bloß von dem Urteile der aufgeklärtesten Kenner abhängen. Alle Kultur fängt von dem Privatmanne an und breitet von daher sich aus” (I. Kants Werke, 10. Band, Schriften zur Anthropologie und Pädagogik, 1839, S. 392). Ist aber der bessere Zustand in der Welt durch die Macht der Erziehung erreicht, dann kann den Eltern die Erziehung anvertraut werden und die öffentlichen Erziehungsinstitute können wegfallen (a.a.O., S. 396).

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als der Menschheit um Wissen und Reden, sondern um Charakter und Handeln zu tun” sei55. Von hier aus führt Humboldts Forderung nach der höchsten und proportionierlichsten Bildung aller Kräfte des Menschen zu einem Ganzen an sich zu einer Menschenbildung, die zugleich Träger des Staates hätte werden können, aber in der Folgezeit nicht geworden ist. Grundlegend für seine Bildungslehre sind das 1792 nur teilweise gedruckte, erst 1851 vollständig veröffentlichte Werk „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen” und „Ideen über Staatsverfassung, durch die neueste französische Constitution veranlaßt” (1791). Humboldt geht darin davon aus, daß die Sorge für die Kinder das Recht und die Pflicht der Eltern sei und dem Staat es obliege, für die Sicherheit der Rechte der Kinder gegen die Eltern Sorge zu tragen. „Hiernächst muß er verhindern, daß die väterliche Gewalt nicht über ihre Grenzen hinausschreite und darf daher dieselbe mit seiner genauesten Aufsicht nicht verlassen. Jedoch muß diese Aufsicht niemals positiv den Eltern eine bestimmte Bildung und Erziehung vorschreiben wollen, sondern nur immer negativ dahin gerichtet sein, Eltern und Kinder gegenseitig in den ihnen vom Gesetz bestimmten Schranken zu erhalten56.” Eine öffentliche Erziehung ist nach Humboldt nachteilig, weil sie „eine gewisse Einförmigkeit der Wirkung hervorbringt, und . . . der Nutzen einer öffentlichen Erziehung nicht abzusehen ist . . . Ferner erreicht auch die öffentliche Erziehung nicht einmal die Absicht, welche sie sich vorsetzt, nämlich die Umformung der Sitten nach dem Muster, welches der Staat für das ihm angemessenste hält. So wichtig und auf das ganze Leben einwirkend auch der Einfluß der Erziehung sein mag, so sind doch noch immer wichtiger die Umstände, welche den Menschen durch das ganze Leben begleiten. Wo also nicht alles zusammenstimmt, da vermag diese Erziehung allein nicht durchzudringen. Überhaupt, soll die Erziehung nur, ohne Rücksicht auf bestimmte, den Menschen zu erteilende bürgerliche Formen, Menschen bilden, so bedarf es des Staates nicht . . . öffentliche Erziehung scheint mir daher ganz außerhalb der Schranken zu liegen, in welchen der Staat seine Wirksamkeit halten muß57.” In der Erkenntnis, daß der Staat kein Erziehungs-, sondern ein Rechtsinstitut ist, und „das höchste Ideal des Zusammenexistierens menschlicher Wesen” des Staats nicht mehr bedarf, hat Humboldt den freien Nationalverband58 als den berufenen Träger des


55 W. v. Humboldt, Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, 1810, in „Werke” Band X, S. 275; H. Weinstock, a.a.O., B III/58, S. 23 ff. — 56 Ideen zu einem Versuch: . . . Kap. XIV. — 57 Ideen zu einem Versuch . . . Kap. VI. — 58 Zum Problem der Autonomie des Bildungslebens vgl.: E. Spranger, Die wissenschaftlichen Grundlagen . . . 1927, S. 30 ff.; W. Flitner, Allgemeine Pädagogik, 1950, 2. Aufl., S. 114 f.; G. Ried, Aufgaben und Grenzen der Staatstätigkeit im Bildungswesen der Gegenwart, 1919; G. Wyneken, Schule und Jugendkultur, 1919; Holstein, in Arch. f. öff. Recht, 1927, S. 212 f., 228 f.

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Erziehungswesens angesehen. In seinem Generalbericht vom 19. Mai 1809 schreibt Humboldt, „daß der Zeitpunkt, wo die Sektion ihren Zweck erreicht hätte, der wäre, in dem sie ihr Geschäft gänzlich in die Hände der Nation niederlegen und sich mit dem Unterricht und der Erziehung nur noch in den höchsten Beziehungen desselben auf die anderen Teile der obersten Staatsverwaltung beschäftigen könnte. Der Grundsatz, daß der Staat sich um das Schulwesen gar nicht einzeln kümmern muß, ist an sich, einer konsequenten Theorie der Staatswissenschaft nach, gewiß der einzig wahre und richtige59.” Als Vorstufe zu dieser negativen Politik des Staates verlangt Humboldt, daß den Eltern in dem bestehenden öffentlichen Schulwesen genügend Einfluß eingeräumt würde. „Es ist keine wahre Teilnahme der Bürgerschaft und der Stadtobrigkeit am Schulwesen denkbar, wenn ihnen nicht sogar ein bedeutender Einfluß auf dasselbe verstattet wird; von einer solchen Teilnahme aber kann man sich mit Recht teils für die Unterstützung desselben, teils für die Benutzung der Anstalten und die eigene häusliche Erziehung großen Gewinn versprechen, und ist diese Teilnahme einmal hervorgebracht und gehörig geleitet, so wirkt sie weniger unterbrochen und gleichmäßiger, als Staatsbehörden es tun können, die weit mehr dem Wechsel der Personen und Grundsätze und dem Einfluß politischer Ereignisse unterworfen sind.” (Sämtliche Werke, Band X, S. 121).

Herbart beschränkt gegenüber Humboldt die Aufgabe des Staates nicht auf die Verwirklichung des Rechts, sondern dehnt sie auf die Förderung anderer Ideen und Zwecke aus, bei denen er neben das Verwaltungssystem das Kultursystem stellt. Sitte, Wohlwollen und Bildung sind ihm dabei ungleich wertvoller als die Rechtsbestimmungen. So legt er den freiwilligen Zusammenschlüssen der Menschen, die vom Staat nicht geschaffen sind, eine besondere Bedeutung bei, wenn auch ihr Verhältnis zueinander keine restlose Klärung findet60. Er hält den Weg von der Politik in die Pädagogik für einen verkehrten Weg. Dieser Weg gefährdet auch den Frieden im Schulwesen und ist geeignet, die Erziehung zu einem der wichtigsten Streitpunkte zu machen61. Hier läuft die vom Staate aus geordnete Erziehung am Ende dem Staate selbst zuwider, während die rechte Erziehung, die sich um den Staat nicht


59 Zitiert nach E. Spranger, W. v. Humboldt und die Reform des Bildungswesens, 1910, S. 104. —60 J.F. Herbart, Allgemeine praktische Philosophie, 1835; Analytische Beleuchtung des Naturrechts und der Moral, 1836. — 61 „Eine Partei würde durch die Jugendbildung eine neue Epoche vorzubereiten, die andere Partei auf dem nämlichen Wege jeder Veränderung vorzubeugen suchen... allemal werden politische Meinungen und Absichten Einfluß auf sie ausüben; denn wenn auch der Staat selbst noch so ruhig ist, so suchen dennoch viele sich dadurch wichtig zu machen, daß sie ihrer Ansicht vom Erziehungswesen, wie auch dieselbe beschaffen sei, eine politische Bedeutung beilegen . . . Diejenigen aber, welche im Ernste das Gute, ja das Beste wollen, mögen sich hüten, in irgend welchem Sinne die Erziehung als einen politischen Hebel zu betrachten. Aus einem geordneten Privatleben muß es von selbst hervorgehen.” — Kurze Enzyklopädie der Philosophie, § 101.

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bekümmert, die gar nicht von politischen Interessen begeistert ist, gar nicht einen für die anderen, sondern jeden nur für sich selbst bilden will, eben darum dem Staate aufs beste vorarbeitet62. Die Erziehung ist deshalb nach ihm „Sache der Familien; von da geht sie aus und dahin kehrt sie größtenteils zurück63”. Die erwünschte Sicherung des Familieneinflusses findet Herbart im kommunalen Schulwesen. Als Kommunalangelegenheit betrieben, würde die Erziehung zugleich öffentlich und häuslich sein, die vielbesprochenen Vorteile der einen und anderen Art vereinigen.

Gilt nach der individualistischen Theorie hinsichtlich der Gestaltung des Verhältnisses Eltern-Staat auf dem Gebiet der Erziehung der Grundsatz in dubio pro parentibus, so lautet der aus der universalistischen Theorie herzuleitende Grundsatz in dubio pro re publica. Hier geht das Staatsrecht dem Elternrecht vor. Da es ein vom Staate delegiertes Recht ist, ist es nur subsidiärer Natur. Staatsrecht bricht also Elternrecht. Der Grund liegt darin, daß hier der Staat Erziehung und Kultur selbst prägen will, anstatt sich zu bescheiden, nur die Voraussetzungen zur selbsttätigen Entfaltung der Kultur zu schaffen. In diesem Sinn schreibt Friedrich Schlegel gegen Wilhelm von Humboldt: „Der Staat muß daher, wenn er seiner höheren Bestimmung, die Bildung und Entwicklung des Menschengeschlechts mit befördern zu helfen, Genüge tun soll, nicht nur eine negativ auf Sicherheit und Schutz, sondern auch eine positive auf die Sittlichkeit gehende Richtung haben64.” In der Staatspraxis ist dieser Grundsatz des Vorrangs des Staatsrechts vor dem Elternrecht vielgestaltig verwirklicht. Die Skala führt hier vom totalitären Staat, der die Erziehung als ausschließliche Tätigkeit des Staates oder der ihn beherrschenden Partei ansieht und das Elternrecht nahezu beseitigt65, über den Wohlfahrtsstaat, der selbstverantwortliche Erziehung durch eudämonistisch-polizeiliche Bevormundung in der Erziehung ersetzt, zum nationalen Kulturstaat, der die öffentliche Erziehung als Staatserziehung ansieht. Dabei ist aber der Begriff der Staatserziehung selbst wieder je nach dem


62 Herbart, Über Erziehung unter öffentlicher Mitwirkung, 1810, in J.F. Herbarts Pädagogische Schriften, herausgegeben von Bartholomai v. Sallwürk, 1906, Band 2, S. 241 ff. — 63 Kurze Enzyklopädie der Philosophie, § 102; Über das Verhältnis der Schule zum Leben, 1818, a.a.O., S. 265 ff. — 64 Aus den philosophischen Vorlesungen, 1804—1806, in „I Baxa, Gesellschaft und Staat im Spiegel deutscher Romantik”, 1924, S. 88. — 65 Staatliches Schulsystem mit dem Prinzip der Einheitsschule und ausschließliche Erziehung im Sinne der marxistisch-leninistischen Weltanschauung in der UdSSR — vgl. Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, 1950, Band II, Spalte 1278 u. 1281 —; Schule als Einrichtung der „Arbeiter- und Bauernmacht”, in der das Erziehungsziel durch die „sozialistische Gesellschaft mit ihren eindeutigen Forderungen” bestimmt ist — § 1 VO zur Verbesserung der Arbeit der allgemeinbildenden Schulen v. 4. 3. 1954, GBl der DDR S. 269; H. Kersten, Schulen nach Parteimodell, in SBZ-Archiv 1958, S. LS; G. Möbus, Die Familie in der Sowjetpädagogik, in Zeitschrift „Stimmen der Zeit”, 157. Band, S. 29 ff. — Vgl. auch Anm. 109.

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Staatsbewußtsein und der Staatsgesinnung variiert. Ohne Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung des Erziehungswesens sind daher klare Begriffsbildungen nicht möglich.

Deshalb darf der Grundsatz, „Staatsrecht bricht Elternrecht” nicht mit der Staatsschule und ausschließlich öffentlicher Erziehung oder einem Staatsmonopol für das Erziehungswesen gleichgesetzt werden. Das staatliche Schulmonopol kann zunächst den ausschließlichen Vorbehalt des Staates bedeuten. Die Schulen sind dann „Veranstaltungen des Staates”, die nur mit seinem Vorwissen und seiner Genehmigung errichtet werden sollen (§ 1 II 12 ALR). Schulen und sonstige Unterrichtseinrichtungen zu gründen, zu unterhalten, zu verwalten und zu beaufsichtigen, ist hier allein Sache des Staates. Das Staatsmonopol kann aber auch dahin abgeschwächt sein, daß hierbei andere in den Staat eingegliederte Verbände, auch die Elternschaft, irgendwie beteiligt werden. Der Staat kann sich aber auch auf ein allgemeines oder besonderes Oberaufsichtsrecht über die Schule beschränken. Das Monopol kann schließlich nur darin bestehen, das Prinzip des Vorranges der öffentlichen Erziehung vor der privaten anzuerkennen. Dabei kann, wie heute, die sog. geistliche Schulaufsicht überhaupt ausgeschlossen sein, oder sie kann, wie in früherer Zeit, unter der staatlichen Aufsicht fortbestehen. Staatsmonopol kann aber auch nur Unterrichtspflicht oder allgemeine Schulpflicht bedeuten66. Bei der Unterrichtspflicht beschränkt sich die öffentliche Verpflichtung der Eltern darauf, ihren Kindern ein Mindestmaß von Bildung durch öffentlichen oder privaten, schulmäßigen oder nichtschulmäßigen Unterricht zu verschaffen. Die allgemeine Schulpflicht geht als öffentlich-rechtliche Pflicht der Eltern, ihre Kinder während des schulpflichtigen Alters zum Besuch der öffentlichen Schulen anzuhalten, weiter. Das staatliche Erziehungsmonopol kann aber auch die Entwicklung einer bestimmten staatlichen Gesinnung zum Gegenstand haben.

Als Schularten können in diesem System nebeneinander bestehen die weltliche Schule, die unter Ausscheidung christlich-religiöser Werte eine sittlich-humanitäre Erziehung für den Staat und die Gesellschaft erstrebt, und die Simultanschule oder paritätische Schule. Konfessionelle Erziehung bildet hier die Ausnahme67. Die Simultanschule ist mit dem Elternrecht nur relativ unvereinbar, da in ihr in der Regel konfessionell getrennter Religionsunterricht erteilt wird. Entstanden aus dem Glauben an eine allgemeine Vernunftreligion und als Ausdruck der allen — Katholiken, Lutheranern, Reformierten, Juden, Heiden — gemeinsamen menschlichen Natur ist die Simultanschule


66 Die allgemeine Schulpflicht wurde in Deutschland erst durch Art. 145 der Reichsverfassung vom 11. 8. 1919 eingeführt. Bis dahin bestand sie vornehmlich nur in den süddeutschen Ländern Baden, Bayern, Hessen, Württemberg, auch in Sachsen, nicht dagegen in Preußen, das nur die Unterrichtspflicht kannte, vgl. ALR II 12, § 43; Art. 21, Abs. 2 der preußischen Verfassung v. 31. 1. 1850. — 67 Vgl. Anm. 74 ff.

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zunächst eine öffentliche Schule für die Angehörigen aller Bekenntnisse auf humanistischer Grundlage ohne Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Mit dem Schwinden des Rationalismus und mit dem Heraufkommen des Positivismus und des dialektischen Materialismus im 19. Jahrhundert löst sich die Bindung an die allgemein-christlichen Werte. Der wissenschaftliche Unterricht steht ohne Zusammenhang mit dem konfessionell gebundenen Unterricht. Es bildet sich die religiös-indifferente, weltliche Simultanschule. In diesem Sinne definiert das preußische Oberverwaltungsgericht in der Entscheidung vom 8. 2. 1907 die Simultanschulen als „solche Schulen, an denen nach ihrer Grundverfassung Lehrer verschiedener Konfessionen nebeneinander angestellt und ihrer Lehrbefähigung gemäß mit entsprechend gleichen Rechten tätig sind68”. Die Auswirkungen des vom NS-Regime verursachten Kirchenkampfes, das durch diesen Kampf erweckte Bewußtsein gemeinsamer christlicher Überlieferung und die als notwendig erkannte Aufgabe, eine Zersplitterung der Erziehung durch weltliche Schulen zu vermeiden, haben zur christlichen Simultanschule oder Simultanschule christlicher Prägung geführt, in der der gesamte Unterricht auf christlicher Grundlage, der Religionsunterricht aber konfessionell getrennt erteilt werden; Profanfächer und die religiösen Fächer stehen hier in Wechselwirkung.

Zu Unrecht wird Platon als Vorläufer der universalistischen Richtung in Anspruch genommen. Platons Politeia ist weder dem Staat der Neuzeit vergleichbar noch ein staatsutopisches Wunschgebilde, sondern „die Ordnung der Herrschaft der Wahrheit selber in der Ordnung der Menschen, hierarchisch gegliedert nach dem Maß ihres philosophischen Wissens69”. Die Politeia setzt sich „die Entfaltung des Menschen im Menschen als Ziel”. Der Aufbau des platonischen Staates dient nur der Entwicklung dieses Bildes der menschlichen Seele als Folie. Die Politeia ist daher nur als geistige Lebensform des Menschen und als Selbstenthüllung gesamtmenschlicher Existenz zu verstehen70. Als der Begründer der universalistischen Erziehungslehre im modernen Staat ist, abgesehen von gelegentlichen Hinweisen bei Hobbes (1588-1679) und Christian Wolff (1679-1754), Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) anzusehen71. Zunächst bleibt er naturrechtlichen Vorstellungen verpflichtet, wenn er das Recht der öffentlichen Erziehung auf den Gesellschaftsvertrag stützt. „Der Staat hat das Recht, diese Erziehung von Kindern zu einer


68 OVG 50, S. 168 ff., §§ 33 ff. preußisches Volksschulunterhaltungsgesetz vom 28. 7. 1906. — 69 Karl Jaspers, Die großen Philosophen, 1957, Band I, S. 296. — 70 W. Jäger, Paideia, 1947, 3. Band, S. 86 f. — 71 Th. Hobbes, Grundzüge der Philosophie, vom Bürger, 1647, Kap. 9; Christian Wolff, Grundsätze des Natur-und Völkerrechts, 1754, § 430: „Parentes vi compellendi sunt, ut publicae institutioni liberos suos committant. In Republica educatio prolis non modo ad curam parentum, verum etiam civitatis pertinet. Quamobrem in ea non est permittendum, ut educatio a parentibus negligatur, consequenter ut iis non utantur, quibus liberi in Reipublicae educari possunt”.

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Bedingung des Staats Vertrages zu machen: und so wird die Erziehung äußere Zwangspflicht, nicht unmittelbar gegen das Kind, sondern gegen den Staat. Er ist es, der im Bürgervertrag das Recht erlangt, sie zu fordern72”. Die Ansprüche des Staates steigert Fichte im „geschlossenen Handelsstaat” (1800). Hier erklärt er für die Bestimmung des Staates, „jedem erst das Seinige zu geben, ihn in sein Eigentum erst einzusetzen, und sodann erst, ihn dabei zu schützen” (1. Buch, 1. Kap.). Aus dieser Prämisse leitet er das Recht der staatlichen Erziehung her. In den Vorlesungen über die „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters” (1806) lehrt er, daß die Individualität ganz in der Gattung aufgeht und alle Bildung vom Staat ausgeht. In Konsequenz dieser Haltung schränkt Fichte in seinen von fanatischem Glauben an die Menschheitsmission des deutschen Volksgeistes erfüllten „Reden an die Deutsche Nation” (1808) das Elternrecht völlig ein. Darin fordert er eine staatliche Nationalerziehung, die zugleich als religiös-sittliche Bildung jeden untrennbar mit dem deutschen Volksgeist als der reinsten Verkörperung der Menschheit verbindet. „Jener zu erzeugende Geist führt die höhere Vaterlandsliebe, das Erfassen seines irdischen Lebens als eines ewigen, und des Vaterlandes als des Trägers dieser Ewigkeit und, falls er in den Deutschen aufgebaut wird, die Liebe für das deutsche Vaterland als einen seiner notwendigen Bestandteile unmittelbar in sich selber; und aus dieser Liebe folgt der mutige Vaterlands Verteidiger und der ruhige und rechtliche Bürger von selbst . . . Mit unserer Genesung für Nation und Vaterland hat die geistige Natur unsere vollkommene Heilung von allen Übeln, die uns drücken, unzertrennlich verknüpft” (9. Rede). Zu dieser Erziehung ist die Familie nicht fähig. Jeder Vater, der seine Kinder selbst erziehen wollte, wäre daran zu hindern. Wiederholt fordert Fichte, „daß die Kinder in gänzlicher Absonderung von den Erwachsenen mit ihren Lehrern und Vorstehern allein zusammenleben sollen” (10. Rede). Die zu diesem Zweck zu gründenden Nationalschulen bilden nicht allein Erziehungsgemeinschaften, sondern sind Wirtschaftskörper, die sich selbst erhalten. „Nun ist allerdings nicht zu erwarten”, so fährt Fichte fort, „daß die Eltern allgemein willig sein werden, sich von ihren Kindern zu trennen und sie dieser neuen Erziehung, von der es schwer sein wird, ihnen einen Begriff beizubringen, zu überlassen”. Aber „der Staat als höchster Verweser der menschlichen Angelegenheiten, und als der Gott und seinem Gewissen allein verantwortliche Vormund der Unmündigen” hat „das vollkommene Recht, die letzteren zu ihrem Heil zu zwingen”. „Übernimmt der Staat die ihm angetragene Aufgabe, so wird er diese Erziehung allgemein machen über die ganze Oberfläche seines Gebietes für jeden seiner nachgeborenen Bürger ohne alle Ausnahme” (11. Rede).


72 Angewandtes Naturrecht, 1. Anhang, § 46.

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Ist bei Fichte und seinen Nachfahren die Totalität, die nach der universalistischen Theorie den Eltern gegenübergestellt wird, noch eine politische oder gesellschaftliche73, so greift die Erziehungslehre der Katholischen Kirche im Anschluß an Aristoteles und Thomas von Aquino über den Staat hinaus. Deshalb ist sie zu der universalistischen Lehre zu rechnen. Die katholische Kirche nimmt den Erziehungsprimat gegenüber dem Staat kraft des jus divinum in Anspruch. Sie erkennt das elterliche Erziehungsrecht als Natur-recht zwar an, macht aber auf Grund ihres Lehr- und Hirtenamtes die Voraussetzung, daß die Eltern ihre Kinder nach den Weisungen der Kirche zu erziehen haben: es ist „die Kirche, die sich mit ihrem Amt als Lehrerin und Erzieherin den Familien zur Verfügung stellt”; und es sind „die Familien, die sich beeilen, davon Gebrauch zu machen, und der Kirche ihre Kinder zu Hunderten und Tausenden zu übergeben” (Enzyklica vom 31. 12. 1929). Das eigenständige elterliche Erziehungsrecht wird damit kirchlich überhöht und legitimiert. Das Elternrecht geht aber dem des Staates vor, das nur als subsidiäres anerkannt wird. Das bedeutet, daß der Staat nur im Namen der Eltern als deren Stellvertreter wirkt und stets durch das Erziehungsrecht der Eltern gebunden bleibt. Das Elternrecht ist als schon aus der Natur begründetes Eigenrecht der Familie der Macht des Staates entzogen. Das Staatsrecht bricht sich hier an dem Erziehungsprimat der Kirche74 und dem Naturrecht der Eltern.

Wird die Erziehung75 so betont mit der Glaubens- und Gewissensfreiheit


73 Vgl. Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, 1896, in Karl Marx u. Friedrich Engels, Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, 1953, Bd. II, S. 218: „Die Pflege und Erziehung der Kinder wird öffentliche Angelegenheit; die Gesellschaft sorgt für alle Kinder gleichmäßig”; Marx-Engels, Kommunistisches Manifest: „Aufhebung der Familie” . . . „Die Familie des Bourgeois fällt natürlich weg... mit dem Verschwinden des Kapitals: Die Familie ist demnach nur ein dem Gesellschaftsprozeß untergeordnetes Element.” a.a.O., Bd. I, S. 39. — 74 Vgl. Encyklica Rerum Novarum vom 15. 5. 1891; Encyklica Divini illius Magistri vom 31. 12. 1929; Encyklica Casti connubii vom 31. 12. 1930; Hirtenschreiben der deutschen Bischöfe v. 20. 8. 1936; Eichmann-Mörsdorf, Lehrbuch des Kirchenrechts, 1953, Band II, S. 399 ff. — 75 Die Evangelien geben keine nähere Anweisung für das konkrete praktisch-politische Verhalten auf diesem Gebiet; sie weisen nur die Richtung, indem sie zur Verantwortung vor Gott und zur Verkündigung der christlichen Lehre aufrufen. Überdies sind infolge der unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklung der Kirchen und der christlichen Bekenntnisse die Fragen der religiösen Erziehung verschieden gelöst worden. Danach kann vom Evangelium her die Entscheidung nicht ausschließlich für die christliche Simultanschule oder die konfessionelle Schule getroffen werden. Wo eine verantwortungsbewußte Gemeinde eine Schule geistig und geistlich trägt, kann sie wahrhaft christlich sein. Eine Simultanschule ist gut, wenn sie wirklich in ihrem Geiste christlich ist und die Eltern im Verein mit den Kirchen das Recht haben, über diesen Geist zu wachen. Die Simultanschule kann sich zur weltlichen Schule entwickeln, wenn aus der kämpferischen Haltung des Liberalismus allein der Staat ohne Mitwirkung der Eltern und der Kirchen über sie zu bestimmen hat. In der Konfessionsschule wird der gesamte Unterricht und die Erziehung im Geiste des Bekenntnisses geleistet. ➝

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verbunden, dann ist die Forderung nach einer religiösen, konfessionellen Erziehung darin eingeschlossen. Allerdings ist dann als Konsequenz die weltanschauliche und weltliche Schule nicht auszuschließen, da Glaubens- und Gewissensfreiheit für jedermann gilt. Nun ist der Begriff der konfessionellen oder weltanschaulichen Erziehung nicht eindeutig. Die Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen sind, soweit es öffentliche Schulen sind, nicht Schulen der Kirchen, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften, sondern Staatsschulen mit Berücksichtigung der Konfession oder Weltanschauung. Diese Organisation ist widersprüchlich, weil die Pflege des Bekenntnisses nicht dem Staat, sondern den Eltern, den Kirchen und den Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften anvertraut ist. Der moderne, religionsneutrale Staat nimmt insoweit die oberste, wenn meist auch nur formelle Sanktion dieser Schularten in Anspruch; er beschränkt sich also nicht darauf, Toleranz und Parität zu üben, sondern tritt aus seiner Indifferenz heraus. Vieldeutig ist ferner der Begriff der Bekenntnisse und der Weltanschauungen. Bekenntnis kann dogmatisch im Sinne eines für verbindlich erklärten kirchlichen Glaubenssatzes oder frei im Sinne persönlicher Frömmigkeit oder Gesinnung oder nur formal im Sinne der äußeren Zugehörigkeit zu einer Kirche oder Bekenntnisgemeinschaft verstanden werden. Von dieser Voraussetzung wiederum ist der Charakter dieser Schulart als Bekenntnisschule oder lediglich konfessionell getrennter Schule abhängig. In jener ist die bekenntnismäßige Grundhaltung der gesamten Schulerziehung ausschließlich entscheidend; hier wird


➝ Darin liegt eine gewisse Garantie für eine einheitliche Erziehung: der Lehrkörper ist homogen, und das Menschenbild ist nicht autonom, sondern hat seine Grundlage in der Offenbarung des dreieinigen Gottes. Konfessionalität kann den Lehrenden auch vor einer falschen Neutralität bewahren. Konfessionalität vermag ferner die Voraussetzungen für echte Simultaneität zu schaffen; sie kann aber auch die Gefahr der Gleichgültigkeit der gemeinsamen Christlichkeit und der Mißachtung der Freiheit des Erzieherischen in sich tragen. Eine konfessionelle Schule, die nur mit christlichem Anspruch auftritt, ohne daß die Haltung der Lehrer, der Eltern und der Kinder diesem Anspruch entspricht, wird unglaubwürdig. In der Diskussion über die Schularten und in der pädagogischen Praxis sollte man der Schulart als solcher nicht die Bedeutung beimessen, die ihr gemeinhin beigelegt wird. Entscheidend für den Charakter der Schule bleibt, aus welchem Geist Erziehung und Unterricht geleistet werden. Die Grundhaltung der gesamten öffentlichen Schulerziehung wird im wesentlichen von dem Lehrer und der Gemeinde bestimmt. Deshalb verlagert sich das Problem der rechten Erziehung auf die Ausbildung der Lehrer. Vgl. hierzu u.a. O. Hammelsbeck, Die evgl. Verantwortung im Für und Wider der Bekenntnisschule, in Zeitschrift „Die Sammlung” 1947, S. 392 ff.; O. Hammelsbeck, Evangelische Lehre von der Erziehung, 1950; O. Hammelsbeck, Erziehung und Schule zwischen Kirche und Welt, in Zeitschrift „Der Evangelische Erzieher” 1954, S. 38 ff.; H. Kittel, Der Erzieher als Christ, 1953, S. 100ff.; W.F. Schmidt, Um die evangelische Bekenntnisschule, in „Der Evangelische Erzieher” 1954, S. 51 ff.; W. Uhsadel, Evangelische Erziehungs- und Unterrichtslehre, 1954; E. Weniger, Zum Gespräch zwischen evangelischer Theologie und Pädagogik, in Zeitschrift „Die Sammlung” IX, 1954, S. 126 ff. u. S. 180 ff. mit weiteren Literaturangaben.

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die Art der Schule nur durch die Zugehörigkeit zum Bekenntnis bestimmt76. Ähnliche Schwierigkeiten77 ergeben sich bei der Definition der Weltanschauung, die metaphysisch, wissenschaftlich, gesellschaftlich oder existentiell bestimmt werden kann.

Als zwei wurzeleigene Rechte stehen nach der personalistischen Deutung das Erziehungsrecht der Eltern und das Erziehungsrecht des Staates nebeneinander und wirken gegenseitig aufeinander ein. Staat und Eltern haben grundsätzlich ihren eigenen Wert und leben aus eigenem Recht. Aber die Eigenständigkeit des Bereiches der Erziehung kann weder allein an die Eltern noch an den Staat gebunden werden, sondern steht im Dienste der Bildungsgerechtigkeit. Elterliche erzieherische Vollmacht und staatlicher Erziehungsauftrag können zwar privilegiert, aber nicht monopolisiert werden. Die beiderseitigen Grenzen ergeben sich aus der Natur der Sache. Der Sinn und das Wesen der beiden Erziehungsrechte kann nur aus dem Zweck und den Funktionen des Schulwesens und des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes bestimmt werden. Das bedeutet vor allem: Gewährleistung der Gewissens- und Glaubensfreiheit, Offensein für andere als staatliche Werte und Überzeugungen. Es schließt aber eine Konfessionalisierung des Schulwesens nicht notwendig ein. Inhalt und Gestalt der Schule kann nur von der Sache her und nach den jeweiligen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Verhältnissen bestimmt werden; denn im politisch-pädagogischen Bereich kann die Frage der absoluten Wahrheit nicht entschieden werden. Hier liegt zugleich die Grenze der Politik gegenüber der Religion, in der die Bestimmung des Menschen im Hinblick auf sein Heil und seine Gemeinschaft mit Gott eine höhere ist. Im übrigen folgt aus dem personalistischen Prinzip die grundsätzliche Gleichstellung von Privat- und öffentlicher Erziehung und die Gewährung eines Freiheitsraums für den eigenständigen Bereich der Erziehung. Eine solche Regelung kann sich jedoch nicht in der Abgrenzung der beiden Bereiche Eltern-Staat erschöpfen. Da Einzelner und Gemeinschaft in Wechselwirkung miteinander stehen, müssen sie sich auch beide in der Sorge um die Erziehung für das Kind begegnen. Das schließt eine Kooperation aller, nicht nur der staatlichen Bildungsmächte ein, notfalls in Abwehr totalitärer Tendenzen des Staats. So betrachtet steht die öffentliche Erziehung im Dienste des elterlichen Erziehungsrechts. Eltern und Staat treffen sich in dem Bestreben, eine kulturelle Einheit in freiwilligem Zusammenwirken


76 Vgl. auch J. Schröteler, Kath. Bekenntnisschule und deutsche Volksgemeinschaft, 1936; J. Laubach, Bekenntnisschule oder Gemeinschaftsschule?, in Zeitschrift „Hochland”, 1951, S. 304 ff.; G. Siewerth, Zum Streit um die Konfessionsschule, in „Hochland”, 1953, S. 406 ff.; Bund katholischer Erzieher (Hrg.), Grundsätze katholischer Erziehungspolitik, 1958. — 77 Diese Divergenzen haben sich besonders anläßlich der Gesetzentwürfe zur Ausführung des Art. 146 Abs. 2 WeimRVerf. gezeigt; vgl. H. Rosin, Das Reichsschulgesetz, 1927 — Schriftenreihe des Deutschen Lehrervereins, Heft 5 —.

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herbeizuführen. Daher ist das Schulaufsichtsrecht des Staates nur als ein allgemeines Oberaufsichtsrecht und als Hilfe des Staates gleichsam als eine Form der Daseinsfürsorge gegenüber der heranwachsenden Generation zu verstehen. Beide Erziehungsmächte, Staat und Eltern, sind somit in einem dialektischen Verhältnis aufeinander bezogen und miteinander verbunden. Als gleichberechtigte Erziehungsmächte konkurrieren sie und teilen sich mit den anderen Erziehungsgruppen wie Kirchen, Religionsgemeinschaften, Parteien, Verbänden und sonstigen anonymen Erziehungsmächten in die öffentliche Erziehung, mit denen sie zusammenzuwirken haben. Man könnte auch sagen, daß die staatlichen Rechte gegenüber dem natürlichen Elternrecht insofern subsidiär sind, als bei ihrer Einschränkung oder Aufgabe das elterliche Erziehungsrecht zunimmt. Da weder dem Staat noch den Eltern ein Vorrang zukommt, stehen sie in einem Spannungsverhältnis, für dessen Ausgleich der Anspruch des Kindes auf angemessene Hilfe in der Erfüllung seines Rechtes auf Erziehung und Bildung bestimmend sein muß. Die rechte Beziehung zwischen der öffentlichen und privaten Sphäre der Erziehung liegt in der Resultante zwischen dem Elternrecht und den Erfordernissen der sozialen Gebundenheit. Als Maßstab bietet sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an. Je mehr die Regelung das Persönlichkeitsrecht berührt, um so schwächer darf der staatliche Eingriff sein.

Ansätze zu einer personalistischen Begründung des Elternrechts finden sich in der reformatorischen Lehre, bei Schleiermacher, Lorenz von Stein und in der von Otto von Gierke ausgebildeten organischen Staatstheorie. In Anknüpfung an die drei natürlichen Gewaltverhältnisse Mann-Frau, Eltern-Kinder, Herr-Gesinde und an das thomistische Naturrecht geht Luther78 von der Vorstellung aus, daß die Familie und die Hausvaterschaft Urzelle aller politischen Gewalt sind und Schule wie Unterricht der natürlichen Ordnung angehören. Demzufolge erklärt er im Großen Katechismus (1529) bei der Auslegung des vierten Gebotes79 die Erziehung zunächst zur Sache der Eltern. Daneben erkennt er das subsidiäre Erziehungsrecht des Staates — der Obrigkeit — an zwecks Ergänzung der Erziehungsaufgabe der Eltern (Sendbrief an die Ratsherren, 152480). Darüber hinaus begründet Luther — und hier liegt


78 Dr. Martin Luthers Pädagogische Schriften, herausgegeben von Joh. Christ. Gottlob Schumann, 1884, Pädagogische Klassiker 15. Band. — 79 „Denn aus der Eltern Obrigkeit fließt und breitet sich aus alles andere ... wollen wir feine, geschickte Leute haben, beide zu weltlichem und geistlichem Regiment, so müssen wir wahrlich keinen Fleiß, Mühe noch Kost an unseren Kindern sparen sie zu lehren und erziehen, daß sie Gott und der Welt dienen mögen, und nicht allein denken, wie wir ihnen Geld und Gut sammeln”. — 80 „Ja, wie wenn die Eltern aber solches (d.h. ihre Kinder erziehen) nicht tun? Wer soll’s denn tun? Soll's darum nachbleiben, und die Kinder versäumt werden? . . . Darum will’s hier dem Rat und der Obrigkeit gebühren, die allergrößte Sorge und Fleiß auf’s junge Volk zu haben. Denn weil der ganzen Stadt Gut, Ehre, Leib und Leben ihnen zu treuer Hand befohlen ist, so täten sie nicht redlich vor Gott und der Welt, wo sie der Stadt Gedeihen und Besserung nicht suchten mit allem Vermögen Tag und Nacht.”

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der neue fortschrittliche Gedanke und die Wendung zur Gegenseitigkeit der Erziehungsrechte — ein primäres, selbständig neben den Eltern stehendes Recht der Obrigkeit auf Unterrichtung und Erziehung der Jugend aus der Selbsterhaltung des weltlichen Regiments (Predigt, daß man Kinder zur Schule halten solle, 153081) und aus der Verantwortung gegenüber der Förderung der Kultur (Sendbrief an die Ratsherren82). Die Anerkennung eines selbständigen Erziehungsanspruches der Obrigkeit beruht auf Luthers Lehre von den zwei Regimenten. Ihr liegt eine pessimistische Anthropologie zugrunde. Wegen der Macht des Bösen und der zerstörenden Mächte bis zum Ende der Zeiten bedarf es des weltlichen Regiments, zu dem neben der politischen Ordnung auch die sittlichen Institutionen wie Ehe und Familie, Berufe und Ämter gehören. Es ist von Gott eingesetzt und soll der Bewährung des Menschen und der Erhaltung der Welt trotz ihrer Vorläufigkeit dienen. Aber die Obrigkeit ist — das wird meist übersehen — nach Luther zugleich ein Amt am Recht, ein Vateramt der Pflege, das auf Frieden, gerechte Ordnung und Fürsorge hält. Die Normen, die hier gelten, sind nicht von Christus gegeben, sondern als eine lex naturae vorgegeben, an der alles geschichtlich bedingte Recht jeweils zu messen ist83. Aus dieser Verantwortung und aus diesem Gehorsam obliegt auch der Obrigkeit die unmittelbare Verpflichtung zur Erziehung. Im Sendbrief folgert Luther daher: „Darum, liebe Herren, laßt euch das Werk anliegen, das Gott so hoch von euch fordert, das euer Amt der Jugend schuldig ist, das der Jugend so not ist, und das weder Welt noch Geist entbehren kann”.

In der preußisch-deutschen Schultradition ist der Gedanke zweier wurzeleigener Rechte nie verblaßt. Schleiermacher (1768-1834), dessen staatsethisches Gedankensystem im deutschen Volke nur eine geringe Nachwirkung


81 Luther nennt hier das weltliche Regiment „eine herrliche, göttliche Ordnung und treffliche Gabe Gottes”, „der es auch gestiftet und eingesetzt hat und auch will erhalten haben . . . also ist es des weltlichen Regimentes Werk und Ehre, daß es aus wilden Tieren Menschen macht und Menschen erhält, daß sie nicht wilde Tiere werden.” Aus diesem Grund hält Luther dafür, „daß auch die Obrigkeit hier schuldig sei, die Untertanen zu zwingen, ihre Kinder zur Schule zu halten. Denn sie ist, wahrlich, schuldig, die obgesagten Ämter und Stände zu erhalten, daß Prediger, Juristen, Pfarrherren, Schreiber, Ärzte, Schulmeister und dergleichen bleiben . . .” — 82 „Nun liegt einer Stadt Gedeihen nicht allein darin, daß man große Schätze sammele, feste Mauern, schöne Häuser, viel Büchsen und Harnisch zeuge; . . . sondern das ist einer Stadt bestes und allerreichstes Gedeihen, Heil und Kraft, daß sie viel feiner, gelehrter, vernünftiger, ehrbarer, wohlerzogener Bürger hat.” — 83 Luthers Werke WA 32, S. 391,4 ff.; 11, S. 280,16; aus der umfangreichen Literatur über Luthers Lehre von den beiden Reichen seien erwähnt: P. Althaus, Luther und die politische Welt, 1937; P. Althaus, Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik, im Luther-Jahrbuch 1957, S. 40 ff. mit reichen Literatur angaben; J. Heckel, Lex Charitatis, Abh. der Bayer. Akad. d. Wissensch. Phil.-hist. Kl., N. F. Heft 36, 1955; J. Heckel, Im Irrgarten der Zwei-Reiche-Lehre, 1957; F. Lau, Luthers Lehre von den beiden Reichen, 1952.

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gehabt hat, das aber bedeutsame Anregungen für die Gegenwart bietet84, gab ihm in seiner Akademierede eine philosophische Begründung. Bereits in seinen Reden über die Religion (1799) und den Monologen (1800) sieht Schleiermacher das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft nicht mehr kausal im Sinne eines logischen und zeitlichen Nebeneinanders wie Kant und der Rationalismus, sondern zeigt beide in gegenseitiger Einwirkung und Wechselwirkung. Mit der Frage nach dem Beruf des Staates zur Erziehung fragt er zugleich nach dessen Grenzen, da „das Haus, nicht freilich als Werkstatt, aber als Sitz der Familie, das Heiligtum ist, in welches die öffentliche Gewalt unter keinem Vorwande unaufgefordert eindringen darf” (Akademierede, S. 230). Von daher schon lehnt er ein völliges Zusammenfallen von Staat und Erziehung ab. „Denn der Staat ist ein Verhältnis der erwachsenen Menschen unter sich . . . und Erziehung ist ein Verhältnis der Generationen unter sich, in denen die eine erzieht und die andere erzogen wird” (a.a.O., S. 231). Aus diesem Grunde beruht für Schleiermacher die Erziehung nicht auf dem „Selbsterhaltungstrieb des Staates und der Regierung” (a.a.O., S. 238), sondern ist „das gemeinsame, aber freie und nur in freier Gemeinsamkeit gedeihende unbewußte Erzeugnis des Volkes” (a.a.O., S. 237). Bei der Erörterung der öffentlichen Erziehung unterscheidet Schleiermacher zwei Begriffe vom Staat: den negativen, „der die Triebe und Freiheiten sichern und den Mißbrauch verhüten soll” (S. 232), und den positiven, den er „als eine selbst hervorbringende bildende leitende Kraft” ansieht (S. 232 f.). Wenn die Erziehung von der Sitte des Volkes beherrscht wird, dann soll der Staat nur schützen und der freien Entwicklung vertrauen. Der Staat darf lediglich dann einen rechtmäßigen tätigen Anteil an der Erziehung des Volkes nehmen, wenn ihm die Aufgabe zufällt, „die Vielheit in eine wahre Einheit umzuprägen” . . . „die einzelnen Teile näher zu bringen, damit sie eben so zu einem Gefühl ihrer Identität mit dem Ganzen kommen” (S. 245), also dann und nur dann, „wenn es darauf ankommt eine höhere Potenz der Gemeinschaft und des Bewußtseins derselben zu stiften. Alle anderen Motive sind entweder verderblich . . . oder sie sind unhaltbar” (S. 246). Nach Erreichen dieses Zustandes muß der Staat die Erziehung wieder in die Hände des Volkes zurücklegen. Er überweist sie den Kommunen, da die Erziehung nicht mehr reine Privaterziehung sein kann (S. 247). Fragmentarisch beschreibt Schleiermacher gegen Ende seiner Rede die Aufgabe der dem Staate obliegenden Erziehung von dem Urverhältnis Individuum und Gemeinschaft im


84 Vgl. G. Holstein, Die Staatsphilosophie Schleiermachers, 1923; A. Strobel, Die Pädagogik Schleiermachers und Rousseaus, 1928; F. Kade, Schleiermachers Anteil an der Entwicklung des preußischen Bildungswesens von 1808-1818, 1925; E. Sander, Schleiermachers Gedanken zur christlichen Jugenderziehung, Diss. Erlangen, 1934; S. Schmutzler, Die Principien der Unterstützung und die Gegenwirkung in Schleiermachers Erziehungstheorie, Diss. Leipzig, 1939.

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personalistischen Geist. Dabei kommt es auf zweierlei an: „zuerst nämlich, daß der Mensch gebildet werde zur Ähnlichkeit mit dem großen Gemeinwesen . . . dann aber . . . daß er nicht nur äußerlich ein anderer sei als jeder andere, sondern . . . auch innerlich, und so in sich selbst Eins und unteilbar und nur sich selbst gleich” (S. 249). In der Staatslehre aus dem Jahre 182885 umschreibt Schleiermacher den Anteil des Staates an der Erziehung dahin, daß die Kinder Staat und Eltern gemeinschaftlich gehören und die Eltern nur die natürlichsten Organe des Staates sind und im Namen wie im Geiste des Staates erziehen86. Schleiermachers besonderes Verdienst ist die Erkenntnis, daß Eltern und Staat nicht allein Träger der Erziehung sind, sondern auch Sozial- und Kulturkreise die Erziehung wesentlich mitbestimmen. „Die Erziehung soll”, sagt Schleiermacher, „den Menschen abliefern als ihr Werk an das Gesamtleben im Staate, in der Kirche, im allgemeinen geselligen Verkehr und im Erkennen oder Wissen”. „Jede dieser Gemeinschaften hat demnach ein berechtigtes Interesse daran, daß die ihr zuwachsende Generation für ihre Aufgabe richtig erzogen werde87.”

Von besonderer Bedeutung ist die Stellung des Begründers der deutschen Soziologie, Lorenz von Stein (1815-1890). Er hat den Versuch unternommen, zwischen dem Individualismus und dem Universalismus zu vermitteln, und in seiner Verwaltungslehre macht er sich als einer der ersten zur Aufgabe, das Bildungswesen nicht rechtsdogmatisch, sondern systematisch darzustellen. Unerachtet des Umstandes, daß Steins Staatsbegriff nicht eindeutig ist — der Staat ist bei ihm teils Klassengesellschaft, teils ein eigenständiges außergesellschaftliches Phänomen, das den Gegensatz der Klasseninteressen in sich aufheben soll —, liegt seinem Gedankengang über die Grundlagen des Bildungswesens die Vorstellung zugrunde, daß Individuum und Gemeinschaft Wechselbegriffe sind, die mit- und ineinander gesetzt sind und sich gegenseitig bedingen. „Alles Leben, und so auch das geistige, gelangt zur Erscheinung in den zwei Grundformen der Gemeinschaft und der individuellen Persönlichkeit . . . Kein Leben kann ohne die Wechselwirkung beider bestehen; kein Leben kann daher gedacht werden, in welchem nicht jede von beiden selbsttätig wirkte . . . Was die Einzelnen oder der Staat tun mögen, empfängt deshalb zuletzt immer von dem Wesen beider seine endgültige Bestimmung” (Handbuch der Verwaltungslehre, 2. Teil, S. 123). An sich sind nach Lorenz von Stein „Erziehung und Bildung Sache des Individuums. Allein indem


85 Werke III 8, S. 125 ff. — 86 „Würde jener (der öffentlichen Erziehung) zuviel übertragen, so wäre die Familie gefährdet, es würde eine Unterordnung der Familie unter die Schule herbeigeführt. Das sind Prätensionen, die von denjenigen häufig gemacht werden, welche des Volksschulwesens mit großem Eifer und großer Lebendigkeit sich annehmen; aber ein Despotismus würde daraus entstehen, der, wenn er auch das Gute will, doch die wahre Entwicklung mehr hindern als fördern würde.” (Zit. in F. Blättner, Das Elternrecht u. die Schule, 1927, S. 61). — 87 Blättner, a.a.O.

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beide das geistige Leben aller Einzelnen beherrschen, werden beide auch Faktoren des Lebens der persönlichen Einheit der Gemeinschaft, also des Staates” (a.a.O., S. 125). Wie Schleiermacher nimmt auch Lorenz von Stein an, daß die Gemeinschaft ihr Bildungswesen sich dann erschafft, wenn sie erkannt hat, daß die Bildung, die an sich der Familie obliegt, nicht dem Zufall oder der Willkür der Familie allein überlassen werden kann. „Allein, sobald der Staat sich zur selbständig wollenden und arbeitenden Persönlichkeit erhebt und damit auch das Bildungswesen zu seiner Verwaltungsaufgabe macht, prägt er in Erziehung und Unterricht auch seinem Bildungswesen einen eigenen Charakter auf” (a.a.O., S. 126). Dabei bestimmt L. von Stein das öffentliche Recht der Bildung nicht als die funktionelle variable Resultante der Lebensverhältnisse, sondern sieht Lebens- und Rechtsverhältnisse in gegenseitiger Durchdringung88.

Was läßt sich als Ergebnis dieser Überlegungen und Erwägungen feststellen? Weder bietet sich der Individualismus noch der Universalismus als die rechte Lösung des Verhältnisses von Individuum und Gemeinschaft, von Eltern und Staat, dar. Ihre Voraussetzungen und ihre Folgerungen sind ebenso einseitig wie unrichtig, wenn auch viele Teilerkenntnisse und Folgerungen des Individualismus und Universalismus sich in die personalistische Grundhaltung einfügen lassen. Die Einsichten Humboldts und gewisse Erkenntnisse der organischen Staatsauffassung beweisen dies.

Dagegen ist deutlich geworden, daß von den möglichen Gesellschafts- und Staatsauffassungen über das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, von Eltern und Staat, die personalistische in vorgefundenen sachlichen Gegebenheiten begründet liegt. Diese Wertstrukturen haben Seinscharakter, erschöpfen sich also nicht in gesellschaftlichen oder politischen Grund- und Ordnungsverhältnissen. Wären sie nur soziologischer Art, dann bliebe als Konsequenz ein soziologischer Positivismus, ein konkretes autoritäres Ordnungsdenken oder ein Relativismus, der die drei möglichen Staats- und Gesellschaftsauffassungen gleichwertig nebeneinander stellte und die Wahl zwischen ihnen der Entscheidung des Einzelnen überläßt. Im Personalismus sind Einzelne und Gemeinschaft wechselseitig miteinander verbunden, ohne daß ihre Eigenständigkeit in ihrem Wesen beeinträchtigt würde. Infolge davon sind die Erziehungsbereiche gleichwertig und wechselseitig verschränkt. Andere Sozial- und Kulturkreise haben einen partiellen Anteil an der Erziehung und sind als eigenständige Erziehungsmächte anerkannt. Sie alle wirken bedingend auf die Gemeinschaft ein, wie diese auf sie zurückwirkt.

Einzuräumen ist, daß sich zwar nicht alle Folgerungen aus der Bildungsgerechtigkeit, der das Verhältnis von Staat und Eltern in personalistischer Sicht verpflichtet ist, unmittelbar ableiten lassen. Konkrete Lösungen lassen


88 Die Verwaltungslehre, 5. Teil, S. 9 f.

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sich nur in der Begegnung von Idealität und Positivität finden, nicht in ideellen Wesenheiten allein. Die Ausgestaltung im Einzelnen hängt von den individuellen Umständen und der geschichtlichen Lage ab; sie ist im wesentlichen Sache der Gesetzgebung. Daher können in diesem Teil keine konkreten Schlußfolgerungen aus den entwickelten Gedankengängen gezogen werden; unsere Darstellung hat sich auf die rechtsphilosophischen Grundlagen zu beschränken. Die Konkretisierung des Verhältnisses von Staat und Eltern ist Sache der Freiheit der Entscheidung des Menschen; hier ist es auch die Aufgabe des Staates, Faktor der Befriedung und Integrationsmitte des Volkes zu sein. In dieser Entscheidung steht der Mensch nicht im Leeren, wie existentialistische Weltsicht meint, noch ist er unabänderlichem Kausalgeschehen unterworfen, noch entscheidet er in absoluter Freiheit aus sich selbst. Für seine Entscheidungen sind hier die allgemeinen Grunderfahrungen menschlichen Daseins neben der objektiven Normordnung Richtmaß: religiöse, sittliche, politische, rechtliche und gesellschaftliche Momente sind hier unauflösbar miteinander verbunden. In dieser Freiheit des Menschen, die objektive Seinsordnung zu erkennen und schöpferisch und autonom nachzuvollziehen, liegt auch seine Gefahr. „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.” Doch hier hat das Wort nicht mehr die Wissenschaft. Hier ist das Gewissen aufgerufen.

 

V

Welchen Inhalt, welche Grenzen hat das Elternrecht im gegenwärtigen deutschen Erziehungswesen? Welchem der hier dargestellten Systeme läßt sich die Grundentscheidung des Grundgesetzes und der Verfassungen der deutschen Länder zuordnen? Lassen sich wenigstens gewisse übereinstimmende Hauptzüge in den einzelnen verfassungsrechtlichen Gestaltungen nachweisen?

Zur Beantwortung dieser Fragen ist es zunächst notwendig, die positiv-rechtlichen Grundlagen des Elternrechts festzustellen89. Sie sind teils im öffentlichen, teils im privaten Recht enthalten. Das Grundgesetz und die Verfassungen der deutschen Länder erkennen das Elternrecht, wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung, als unmittelbar anwendbares Grundrecht im Sinne eines subjektiv-öffentlichen, verfassungsmäßigen Rechtes an. Das bürgerliche Recht behandelt das Elternrecht als Bestandteil der elterlichen Gewalt.

Das Grundgesetz beschränkt sich auf dem Gebiete der Erziehung und Bildung, abgesehen von der Anerkennung der Gesetzgebungszuständigkeit und der Verwaltungshoheit der Länder und der Sonderregelung des Art. 141 (Art. 30, 70 ff.) GG, auf die Bestimmungen der Art. 6 und 7. Es regelt nicht den Aufbau des öffentlichen Schulwesens und die Schularten, die vielmehr vorausgesetzt werden; es enthält auch keine Vorschriften über Schulpflicht


89 Vgl insbesondere: H. Heckel und P. Seipp, Schulrechtskunde 1957 und die Kommentare zum Grundgesetz und den Länderverfassungen.

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und Schulbesuch, Unterricht und Erziehung, die soziale Begabtenförderung, die Stellung der Lehrer und die Lehrerbildung. Art. 6 GG stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung und erkennt neben dem elterlichen Erziehungsrecht den staatlichen Anspruch auf öffentliche Erziehung an. Nach Art. 6 Abs. 2 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder „das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft." Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder, so schreibt Abs. 3 vor, nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Art. 7 GG unterstellt das gesamte Schulwesen der Aufsicht des Staates, legt Grundsätze für die bekenntnismäßige Gestaltung des Schulwesens fest und regelt die Gewährleistung der Privatschulen.

Das verfassungsmäßig garantierte natürliche Elternrecht ist, wie die Entstehungsgeschichte90 eindeutig zeigt, zwar kein Naturrecht im Sinne der Lehren der katholischen Kirche über Elternrecht. Der Ausdruck „natürliches Erziehungsrecht" will nur besagen, daß es auf der biologischen, sittlichen und religiösen Ordnung der Familie beruht. Der Gesetzgeber hat also nur an diese vorrechtliche Gegebenheit angeknüpft. Das Elternrecht geht deshalb den staatlichen Rechten auf Erziehung nicht absolut vor. Es gewährt auch keinen unmittelbaren Anspruch auf die Gestaltung der Schule. Andererseits beschränkt es sich aber nicht auf die Erziehung in der Familie: es schließt also die Eltern nicht von jeder Mitwirkung bei der Schulerziehung aus; dies zeigen insbesondere Art. 7 Abs. 2-5 GG und die Verfassungen der Länder, die gewisse Mitgestaltungs- und Mitwirkungsrechte der Eltern und anderer Erziehungsträger anerkennen.

Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg anerkennt die besonderen „Erziehungsbereiche” — Eltern, Staat, Religionsgemeinschaften, Gemeinden und die in ihren Bünden gegliederte Jugend — und das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzubestimmen. Nach dieser Verfassung muß das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder mitzubestimmen, bei der Gestaltung des Erziehungs- und Schulwesens mitberücksichtigt werden. Außerdem gesteht diese Verfassung den Eltern das Recht zu, auf die Gestaltung des Lebens und der Arbeit der Schule einzuwirken. Nach der Bayerischen Verfassung sind die Eltern in ihrem natürlichen Recht „durch Staat und Gemeinden zu unterstützen”. In der Bremischen Verfassung ist bestimmt, daß Staat und Gemeinde den Eltern bei der Erziehung „die nötige Hilfe” leisten. In persönlichen Erziehungsfragen ist der


90 Vgl. v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 1953, S. 71 f.; v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, Kommentar, 1957, I S. 271; Jahrbuch des öffentlichen Rechts, 1951, Neue Folge, Band I, S. 100; 102 ff.

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Wille der Eltern maßgebend. Nach der Nordrhein-Westfälischen Verfassung bildet die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens das natürliche Erziehungsrecht der Eltern. Einen ähnlichen Rechtssatz enthält die Rheinland-pfälzische Verfassung. Nach der Hessischen Verfassung ist die Erziehung der Jugend Recht und Pflicht der Eltern; die Erziehungsberechtigten haben das Recht, die Gestaltung des Unterrichtswesens mitzubestimmen. Sehr weitgehende Rechte räumt die Verfassung des Saarlandes den Eltern ein. Auf der Grundlage des natürlichen und christlichen Sittengesetzes haben die Eltern das Recht, die Bildung und Erziehung ihrer Kinder mitzubestimmen. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind als Bildungsträger ausdrücklich anerkannt91.

Diese verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Erziehung sind als Schutzklauseln gegen das Erziehungsmonopol und den Erziehungsprimat des Staates geschaffen worden. Daß dem Staat nach der Verfassung nur eine eingeschränkte Erziehungsaufgabe obliegt und die staatliche Schulhoheit nicht mehr wie früher als „uneingeschränkte Organisationsgewalt” oder als „volle und alleinige Bestimmungsgewalt des Staates in der Schule92” zu verstehen ist, folgt eindeutig aus dem Grundgesetz. Das Grundgesetz ist keine wertneutrale Ordnung wie die Reichsverfassung von Weimar. In seinem Grundrechtsabschnitt hat es eine objektive Wertordnung aufgerichtet, die die gesamte öffentliche Gewalt begrenzt. Die Geltungskraft der Grundrechte ist dadurch prinzipiell verstärkt. Mit der Voranstellung des Grundrechtsabschnittes wollte das Grundgesetz den Vorrang des Menschen und seiner Würde gegenüber der Macht des Staats betonen. Dieses Wertsystem stellt in seinen Mittelpunkt die sich in der sozialen Gemeinschaft frei entfaltende menschliche Persönlichkeit; es erklärt ihre Würde für unantastbar und macht es der staatlichen Gewalt zur Verpflichtung, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. An die Grundrechte als subjektive Freiheitsrechte und an die rechtsstaatliche demokratische Grundordnung als objektive Normativordnung sind Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung nach Art. 1 Abs. 3 GG „als unmittelbar geltendes Recht” gebunden. Das heißt: zu ihrer Wirksamkeit bedürfen die Grundrechte keiner Umformung durch weitere Rechtssätze, sondern die Grundrechte bestimmen den Inhalt der Gesetze und die Rechtsanwendung. Bei Auslegung und Anwendung der Gesetze ist daher die sich aus den Grundrechten unmittelbar ergebende Modifikation zu beachten.


91 Art. 6 II und III, 7 II, IV und V GG; Art. 12 II, 15 II, 16 III, 17 IV, 18 Verf. des Landes Baden-Württemberg; Art. 126, 134, 135, 137 Verf. des Freistaates Bayern; Art. 23 Verf. der Freien Hansestadt Bremen; Art. 56 VI und VII, 58 I, 156 II S. 1 Verf. des Landes Hessen; Art. 8 I und IV, 10 II, 12-14 Verf. für das Land Nordrhein-Westfalen; Art. 27 I und II, 29, 30, 35 Verf. für Rheinland-Pfalz; Art. 26 II, 27 I S. 2, 24, 25 Verf. des Saarlandes. — 92 G. Anschütz, Kom. zur Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. 8.1919 zu Art. 144 Ziff. 1.

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Die politische Grundentscheidung des Grundgesetzes93 geht daher von der Vorstellung aus, daß die Staatsordnung für und im Interesse des Menschen errichtet ist, der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbständigen Wert besitzt und in Freiheit die Gestaltung seines Lebens und das Zusammenleben mit den anderen Menschen aus sozialer Verantwortung verwirklichen soll. In der übergreifenden staatlichen Einheit sind Freiheit und Bindung, Rechtsordnung und Sozialordnung miteinander wechselbezüglich verbunden, so daß eines das andere trotz aller Eigenständigkeit jeweils durchdringt und so zur politischen und sozialen Integration führt.

Auf das Verhältnis von Staat und Eltern oder auf Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 1 GG angewandt bedeutet dies, daß kein uneingeschränktes staatliches Schulmonopol mehr besteht und die Institution der staatlichen Schulhoheit nicht mehr im Sinne der überlieferten preußisch-deutschen Tradition bestimmt werden kann. Aus dieser Grundentscheidung hat das Grundgesetz auch das Privatschulwesen ausdrücklich garantiert und es aus seiner Stellung als widerruflich geduldete Ausnahmeeinrichtung befreit. Für diese Auslegung spricht auch das in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht, Beruf und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Gewisse Mitbeteiligungsrechte der Eltern und anderer Erziehungsträger sind darüber hinaus in den Verfassungen der deutschen Länder anerkannt. Wenn auch Art. 120 WRVerf. und Art. 6 Abs. 2 GG übereinstimmend ein natürliches Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder anerkennen, so kann die Auslegung, die die Bestimmung der Reichsverfassung erfahren hat94, nicht ohne weiteres auf das Grundgesetz übertragen werden. Art. 6 Abs. 2 GG kommt deshalb eine wesentlich andere Bedeutung als dem Art. 120 WRVerf. zu, weil er aus dem Sinngehalt und der Wertordnung des Grundgesetzes auszulegen ist. Konnte während der Geltungsdauer der WRVerf. das natürliche Recht der Eltern dem Erziehungsprimat des Staates untergeordnet werden, so ist eine solche Begrenzung des natürlichen Elternrechts nach dem Grundgesetz nicht mehr zulässig94a. Daher bedeutet die „Wacht der staatlichen Gemeinschaft” über die Betätigung des elterlichen Erziehungsrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) nicht einen generellen Gesetzesvorbehalt, so daß das elterliche Erziehungsrecht nur im Rahmen der von dem einfachen Gesetzgeber zum Schutz der Jugend erlassenen Gesetze gewährt wäre. Sonst könnte das Elternrecht seinem Wesen nach angetastet werden und „leerlaufen”. Die Wacht der staatlichen Gemeinschaft beschränkt sich deshalb auf ein staatliches Oberaufsichtsrecht. Auf Grund des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG darf der Gesetzgeber nur dort generell in das elterliche


93 Vgl. BVerfGE 2, 12; 4, 15 f.; 5, 134 ff.; 197 ff.; 6, 40 f.; BVerfG in NJW 1958, S. 257. — 94 Vgl. Holstein in Arch. f. öff. Recht 1927, S. 235 ff.; Anschütz, a.a.O., zu Art. 120, Ziff. 2. — 94a Vgl. hierzu Beschluß des BVerfG v. 10. 3. 1958 — 1 BvL 42/56, in NJW 1958, S. 865.

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Erziehungsrecht eingreifen, wo diese Art der Überwachung von der staatlichen Gemeinschaft zum Schutz des Kindes zwingend geboten ist; dabei darf er aber den Wesensgehalt des Grundrechts nicht antasten.

Da Staat und Eltern grundsätzlich ihren eigenen Wert haben und aus eigenem Recht leben, ist heute dem Recht des Staates auf Ausübung der öffentlichen Schulerziehung das natürliche Elternrecht grundsätzlich koordiniert. Der Grundsatz „Staatsrecht bricht Elternrecht” kann daher heute ebensowenig Geltung beanspruchen wie der gegenteilige Grundsatz „Elternrecht bricht Staatsrecht”.

Mit der Anerkennung eines natürlichen Elternrechts ist den Eltern keine schrankenlose erzieherische Freiheit im Bereich der Schulerziehung gewährt worden. Der Sinn und das Wesen dieses Rechtes kann nur aus dem Zweck und den Funktionen des vom Grundgesetz vorausgesetzten staatlichen Schulwesens und des in Art. 2 Abs. 1 GG statuierten allgemeinen Persönlichkeitsrechtes bestimmt werden, das in Art. 6 Abs. 2 GG nur seinen konkreten Niederschlag gefunden hat95. Der Reichsverfassung von Weimar war ein solches allgemeines Recht der Persönlichkeit, der sittliche Autonomie gegenüber der Souveränität des Staates zukommt, noch fremd; sie beschränkte sich auf die Anerkennung einer rechtlich normierten und vom Staate erst geschaffenen Persönlichkeit96. Erst das Grundgesetz hat den von einzelnen Verfassungen der deutschen Länder normierten Begriff der Persönlichkeit als Träger höchster geistig-sittlicher Werte übernommen und das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Menschenrecht anerkannt. Dabei schützt es nicht nur die allgemeine Menschenwürde97, die jedem Menschen als Person zukommt, sondern auch die Individualität, die Originalität des Einzelnen und seinen Eigenwert. Dieses allgemeine Persönlichkeitsrecht ist daher keineswegs identisch mit der Rechtsfähigkeit oder der Rechtspersönlichkeit98.


95 Vgl. BVerf GE 4, 57. — 96 Der Begriff der Persönlichkeit läßt sich vor allem auf die Anthropologie J.G. Herders zurückführen. Der Mensch als „der erste Freigelassene der Schöpfung" bedarf zur Entwicklung seiner geistigen Anlagen und Kräfte der Gemeinschaft der Individuen, des Volkes, der Menschheit und Gottes. — Vgl. F. Berger, Menschenbild und Menschenbildung, Die philosophisch-pädagogische Anthropologie Herders, 1933; H. Keferstein, J.G. Herders Pädagogische Schriften und Äußerungen, 1902; Th. Litt, Kant und Herder als Deuter der geistigen Welt, 1950. Der Begriff der Persönlichkeit ist nicht identisch mit dem der Entelechie im Sinne des Aristoteles, da es sich bei dieser nur um von Natur gegebene Kräfte handelt, die unabhängig vom Menschen bestehen — vgl. E. Fechner, Rechtsphilosophie, 1956, S. 149 f.; H. Hubmann, Das Persönlichkeitsrecht, 1953, S. 59 ff. — 97 Vgl. auch G. Bally, Pflege und Gefährdung der Menschenwürde, in Evangelische Ethik 1957, S. 175 ff. — 98 Vgl. Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1950, S. 136; Coing in SJZ 1957. Sp. 641.; Coing, Der Rechtsbegriff der menschlichen Person und die Theorie der Menschenrechte, in Beiträge zur Rechtsforschung, 1950, S. 191. — Der BGH erkennt ein Persönlichkeitsrecht in ständiger Rechtsprechung an — BGHZ 13, 338; 24, 76 ff.; das Reichsgericht hat in ständiger Rechtsprechung ein derartiges allgemeines Persönlichkeitsrecht abgelehnt — RGZ 79, 398; 113, 414 f.; 139, 92.

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Von den Prinzipien des öffentlichen Schulwesens und des Persönlichkeitsrechtes ergeben sich hier gewisse immanente Schranken des natürlichen Elternrechts. Wenn die elterliche Erziehung der Lenkung und Förderung der freien Entfaltung der Persönlichkeit des unmündigen Kindes dient, so findet das natürliche Recht der Eltern, im Wege der Erziehung auf die werdende Persönlichkeit des Kindes Einfluß zu nehmen, seine Grenze einmal an den Rechten anderer, an dem Sittengesetz und an der verfassungsmäßigen Ordnung. Bei noch so weitgehender Mitwirkung der Eltern und anderer Erziehungsmächte an der Erziehung und Bildungsarbeit kann — vor allem in der modernen pluralistischen Gesellschaft — letztlich eine endgültige Integration des Erziehungswillens zwecks Ausgleichs der widerstreitenden Interessen99 durch die staatliche Gemeinschaft nicht entbehrt werden. Das folgt zudem aus der verfassungsrechtlich normierten allgemeinen Schulpflicht und dem von der Verfassung vorausgesetzten öffentlichen Schulwesen, das zur Sache des Staates erklärt ist. Es darf auch nicht übersehen werden, daß infolge der modernen Arbeits-, Zivilisations- und Kulturverhältnisse heute Erziehungs- und Ausbildungsanforderungen an die Eltern gestellt werden, die von ihnen allein nicht mehr bewältigt werden können. Eine weitere Grenze des natürlichen Elternrechts ergibt sich aus der Natur der Sache. Grundsätzlich kann es nur Einwirkungen zum Gegenstand haben, die sich auf die Persönlichkeitsentfaltung der Kinder beziehen, also persönlichkeitsbildende Elemente enthalten. Deshalb vermögen rein organisatorische Entscheidungen des Staates das Erziehungsrecht der Eltern entweder gar nicht oder nur zum Teil zu berühren. Andererseits ist auch das Recht des Staates nicht unbeschränkt. Es findet gegenüber dem natürlichen Elternrecht seine Grenze an dem Rechtsstaatsprinzip, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, den Grundrechten und dem unmittelbarsten Zweck der Schule. Die nach den Grundrechten zulässigen Eingriffe des Staates in die Rechtssphäre der Eltern bedürfen daher jeweils der gesetzlichen Grundlage und dürfen nicht weiter gehen, als die Schulerziehung und der Schulbetrieb es notwendig erfordern.

Die gegenwärtigen verfassungsrechtlichen und schulgesetzlichen Regelungen erschöpfen sich aber nicht in der Abgrenzung der beiden Bereiche „Eltern — Staat”. Beide begegnen sich auch in der Sorge um die Erziehung für das Kind. So betrachtet steht das Schulwesen auch im Dienste des elterlichen Erziehungsrechts. Den beiden Rechtssphären „Eltern — Staat” liegt zugleich das Bestreben zugrunde, jenseits der nationalen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze eine kulturelle Einheit in freiwilligem Zusammenwirken


99 Die Frage, in welchem Verhältnis „Eltern — Staat” zu den anderen Erziehungsmächten — Kirche, Verbände, öffentliche Meinung, Parteien und anonyme Erziehungsmächte — stehen und inwieweit Eltern und Staat diesen Mächten gegenüber ähnliche oder widerstreitende Interessen haben, kann hier nur aufgeworfen werden.

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herbeizuführen. Zutreffend führt das OVG Lüneburg100 aus, daß Art. 7 GG „zugleich auch das Zusammenwirken der staatlichen Gemeinschaft mit den Eltern (regelt), die die Hilfe des Staates für die Erziehung ihrer Kinder in Anspruch nehmen müssen”. Dieser Rechtsgedanke zwingt zu der Folgerung, daß infolge des dialektischen Verhältnisses die Rechtsposition der Eltern nicht von den Grenzen des Staates her bestimmt und ausgelegt werden kann.

Der Gesetzgeber ist daher heute verfassungsrechtlich verpflichtet, die den Eltern garantierte Mitwirkung zu verwirklichen. Bei der Regelung der Mitbeteiligung der Eltern im Schulwesen hat der Gesetzgeber das zwischen der öffentlichen Schulerziehung und der Rechtssphäre der Eltern bestehende dialektische Verhältnis zu normieren und in seiner Eigenart zu sichern. Bei der Abgrenzung der beiden Bereiche muß er das Mitbeteiligungsrecht der Eltern in die rechte Beziehung zum staatlichen Erziehungsrecht setzen. Weder darf es in Anbetracht des Art. 19 Abs. 2 GG angetastet noch ausgehöhlt werden, noch darf es abgeschwächt werden, daß es zwar noch formell, aber nicht mehr tatsächlich besteht. Die Verwaltung hat in dem ermessensfreien Raum im Sinn und Geist dieser verfassungsrechtlichen Entscheidung zu handeln und danach die Grenzen des Elternrechts im Einzelfall zu bestimmen. Schließlich ist es die Aufgabe der Rechtsprechung, darüber zu wachen, daß diese Grundentscheidung der Verfassung bei Mitbeteiligung der Eltern im Schulwesen nicht gefährdet oder verletzt wird.

Das Ineinandergreifen von Elternrecht und Staatsrecht im Erziehungswesen zeigt auch die konfessionelle Erziehung. Sie wird gemeinhin als der Kern des Elternrechts angesehen, bildet in Wahrheit aber, wie auch das pädagogische Elternrecht, nur einen Teil des allgemeinen Erziehungsrechts der Eltern. Das Grundgesetz enthält bis auf die Beschränkungen in Art. 7 GG keine Bestimmungen über die Simultan-, Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen als öffentliche Schulen101. Es überläßt die Regelung der konfessionellen öffentlichen Schulerziehung den Ländern. Er gewährt aber in Art. 7 Abs. 5 GG den Eltern die Möglichkeit, eine private Schule der ihnen zusagenden Art als private Gemeinschafts-, Bekenntnis- oder Weltanschauungsschule zu errichten, wenn eine öffentliche Schule dieser Art am Orte nicht besteht. Damit verwirklicht es das natürliche Recht der Eltern auf Erziehung gemäß Art. 6 Abs. 2 GG. Im übrigen weist das Grundgesetz die Regelung der konfessionellen Schulerziehung den Ländern zu, weil der Vielgestaltigkeit der konfessionellen Ordnung des Schulwesens Rechnung getragen werden sollte. Daher sind, wie das Bundesverfassungsgericht durch Urteil vom 26. März 1957102 entschieden hat, die Länder verfassungsrechtlich auch nicht verpflichtet, die Schulartikel des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933 bei der Gestaltung des Schulrechts einzuhalten.


100 VerwRspr. 8, 399 f. — 101 BVerfGE 6, 355 ff. — 102 BVerfGE 6, 309 ff.

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Die Regelung der Schularten in den einzelnen deutschen Ländern ist nicht einheitlich. Es lassen sich hier folgende Systeme der allgemeinbildenden öffentlichen Schulen unterscheiden:
(a) Die christliche Gemeinschaftsschule ist die Regelschule für Baden-Württemberg mit Ausnahme des früheren Landes Württemberg-Hohenzollern, in Hessen und in Schleswig-Holstein. Die in Berlin und Bremen als Regelschulen bestehenden Gemeinschaftsschulen sind nur allgemein christlich orientiert: in Berlin103 ist der Religionsunterricht Sache der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, in Bremen sind sie Gemeinschaftsschulen „mit bekenntnismäßig nicht gebundenem Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage”.
(b) Die Bekenntnisschule besteht ausschließlich als allgemeinbildende öffentliche Schule im Saarland und in dem früheren Land Oldenburg.
(c) Gemeinschafts- und Bekenntnisschulen stehen in den Ländern Nordrhein-Westfalen, außer dem früheren Land Lippe, in Rheinland-Pfalz und in dem früheren Land Württemberg-Hohenzollern gleichwertig nebeneinander. Die Eltern haben hier ein Wahlrecht der Schularten. In Nordrhein-Westfalen erstreckt sich das Wahlrecht der Eltern auch auf die Weltanschauungsschulen, da hier alle drei Schularten gleichberechtigt sind.
(d) Gemeinschaftsschulen und Bekenntnisschulen bestehen in Niedersachsen104 und im früheren Land Lippe dergestalt nebeneinander, daß die Gemeinschaftsschule den Vorrang vor der Bekenntnisschule hat, diese aber auf Antrag der Eltern zu errichten ist.
(e) Gemeinschaftsschulen und Bekenntnisschulen sind in Bayern dergestalt nebeneinander errichtet, daß die Bekenntnisschule den Vorrang vor der Gemeinschaftsschule hat, diese aber auf Antrag der Eltern zu errichten ist.

Die verfassungsrechtlichen Regelungen und Gesetze räumen aber den Eltern noch weitere Gestaltungsrechte konfessioneller oder weltanschaulicher Art ein: das Recht der Eltern, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht und an religiösen Schulfeiern, wie Morgenandachten, Schulgottesdiensten usw., zu bestimmen. Es ist als Grundrecht im Grundgesetz und den Länderverfassungen anerkannt und gilt für sämtliche Schulen. Modifiziert ist dieses Recht durch das Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921. Nach diesem Gesetz steht dem Kinde nach Vollendung des 14. Lebensjahres die Entscheidung darüber zu, an welches religiöse Bekenntnis es sich halten und demgemäß, ob und an welchem Religionsunterricht es teilnehmen will.


103 Vgl. hierzu die Stellungnahme des Kammerkollegiums der Kirchl. Erziehungskammer Berlin über „Grundsätzliches zur Schulfrage in Berlin”, in Zeitschrift „Der Evangelische Erzieher", 1954, S. 53 ff. — 104 H. Kittel, Evangelische Schulpolitik. Zum Verständnis eines Synodalbeschlusses, in Zeitschrift „Die Sammlung”, 1954, S. 428 ff.

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Ein weiteres, im Grundgesetz wie in den Landesverfassungen gewährleistetes subjektiv-öffentliches Gestaltungsrecht ist das Recht zur Errichtung von Privatschulen. Es steht aber nicht nur den Eltern zu, sondern gilt allgemein für jedermann. Durch Art. 7 Abs. 4 GG ist die Garantie für die Freiheit der Errichtung von Privatschulen geschaffen. Die freie Erziehungs- und Bildungsarbeit der Privatschulen ist heute angesichts der veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Struktur des Volkes aber erst dann gesichert, wenn den Privatschulen für die im öffentlichen Interesse geleistete Erziehung auch gewisse Ansprüche auf öffentliche Zuschüsse anerkannt werden. Bis jetzt haben nur Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg für sogenannte Ersatzschulen einen Anspruch auf die zur Durchführung der Aufgaben dieser Privatschulen und zur Erfüllung ihrer Pflichten erforderlichen öffentlichen Zuschüsse gewährt. Hessen hat den Anspruch auf Subventionen nur in beschränktem Umfange, nämlich hinsichtlich der Unterrichtsgeld- und Lernmittelfreiheit, anerkannt.

Außer diesem Recht ist den Eltern ein verfassungsmäßiges Grundrecht auf Mitbeteiligung am Schulwesen in Form der Mitwirkung oder Mitbeteiligung eingeräumt, das pädagogische Elternrecht105.

Die Mitwirkung der Elternschaft im deutschen Schulwesen106 ist beratende und helfende Mitarbeit der Eltern am Erziehungswerk der Schule, der Schulverwaltung und des gesamten Schulwesens. Das in der Schulverwaltung der Elternschaft eingeräumte Mitwirkungsrecht erstreckt sich in der Regel nicht


105 Folgende Zusammenstellung gibt eine Übersicht über die gesetzlichen Regelungen:
Baden-Württemberg:
Art. 17 IV Verf.; Bek. des Kultministeriums v. 20. 1.1953, Teil I und II über die Bildung eines Landesschulbeirates, Schaffung von Elternbeiräten und Schülervertretungen (ABl. S. 79); VO des Kultministerium v. 31. 10. 1946 über den Ortsschulrat (ABl. 1947, S. II, v. 15. 11. 1947 (ABl. 1948, S. 51) und v. 11. 6. 1948 (ABl. S. 91) mit Geltungsbereich nur für Nordwürttemberg; Weisung des Kultministeriums v. 25. 8. 1949 über Ortsschulräte an Volksschulen (ABl. S. 127) und v. 1. 3. 1951 (ABl. S. 67) mit Geltungsbereich nur für Südwürttemberg-Hohenzollern.
Bayern:
Art. 126 I Verf.; G über die Schulpflege v. 27. 7. 1948 (GVBl. S. 157) und Vollzugsvorschrift hierzu v. 14. 12. 1948 (KMB1. S. 169); §§ 29 ff. des Berufsschule v. 25. 3. 1953 (GVB1. S. 35) und AusfBest. hierzu v. 18. 1. 1954 (KMB1. S. 25); Bek. über Elternbeiräte an Höheren Schulen v. 7. 1. 1953 (KMBl. S. 1).
Berlin:
§ 18 des SchulG für Berlin v. 26. 6. 1948 (VOB1. I S. 358) i. d. F. v. 9. 8. 1955 (GVB1. S. 723); Erste DVO zu § 18 des G v. 28. 2. 1950 (VOB1. I S. 76); VO über Beiräte an Berufs- und Berufsfachschulen v. 15. 3. 1956 (GVB1. S. 250).
Bremen:
§ 5 I des G über das Schulwesen v. 4. 4. 1949 (GBl. S. 59); Zweite DVO hierzu v. 7. 12. 1954 (GBl. S. 120).
Hamburg:
§§ 9, 29 des G über das Schulwesen v. 25. 10. 1949 (GVBl. S. 257) i. d. F. v. 20. 12. 1954 (GVBl. S. 155); SchulverwaltungsG v. 3. 7. 1956 (GVBl. S. 125). ➝

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auf die Schulleitung und die Schulaufsicht. Es ist in verschiedenen Abstufungen denkbar und gesetzlich zugebilligt. Als einfaches Informationsrecht besteht es in dem Recht der Unterrichtung. Als Anhörungs- oder Mitspracherecht umfaßt es die Befugnis, Beschwerden, Wünsche, Anregungen und Forderungen den zuständigen Schulverwaltungsbehörden vorzutragen, und das Recht, vor dem Erlaß von Anordnungen und Beschlüssen Stellung zu nehmen. Eine höhere Form des Anhörungsrechtes ist das Mitberatungsrecht, das auch einen Anspruch auf Erörterung von Gründen und Gegengründen gewährt. Eine weitere Stufe der Mitwirkung ist das Initiativ- oder Antragsrecht der Eltern. Hier ist ihnen das Recht der Antragstellung gegeben, das bei Beratungsrechten allein der Schulbehörde zusteht. Allen diesen Formen des Mitwirkungsrechtes ist gemeinsam, daß die Schulbehörde oder das Schulverwaltungsorgan allein oder mit Mehrheit endgültig entscheidet, ohne an die Meinung der Elternschaft gebunden zu sein. Wenn die Elternschaft in den Schulpflegschaften, Schulvorständen oder Ortsschulräten auch ein Recht auf Mitentscheidung hat, so ist sie damit noch nicht völlig gleichberechtigt, weil sie von der Mehrheit der Mitglieder dieser Gremien überstimmt werden kann. Ihre Beteiligung beschränkt sich daher noch auf eine bloße Mitwirkung. Gegenüber dem früheren Rechtszustand ist das Mitwirkungsrecht jedoch dem Recht auf Mitentscheidung insofern angenähert, als bei der elterlichen Mitbeteiligung in der Schulverwaltung die staatliche Schulaufsicht nicht Ermessensaufsicht ist, sondern sich auf Rechtsaufsicht beschränkt.


➝ Hessen:
Art. 56 VI Verf.; SchulverwaltungsG v. 10. 7. 1953 (GVBl. S. 131); MinErl. über die Einrichtung von Elternbeiräten v. 19.5.1949 (ABl. S. 181 f.), v. 17.11.1950 (ABl. S. 677 f.), v. 19. 4. 1951 (ABl. S. 149); MinErl. über die Wahlordnung für die Stadt- und Kreiselternausschüsse v. 19. 12. 1951 (ABl. 1952, S. 10 f.).
Niedersachsen:
§§ 18, 19 des SchulverwaltungsG v. 19. 5. 1954 (GVBl. S. 29); MinErl. y. 18. 3. 1948 über Aufgabe und Wahl der Elternvertretungen; MinErl. über Schulbeiräte an den berufsbildenden Schulen v. 19. 10. 1948 (SchVerwGl. 1949, S. 11).
Nordrhein-Westfalen:
Art. 10 II Verf.; §§ 5-15 des Ersten G zur Ordnung des Schulwesens v. 8. 4. 1952 (GVBl. S. 61); Erste AVO v. 31. 7. 1952 (GVBl. S. 155).
Rheinland-Pfalz:
Art. 27 II Verf.; §§ 39-41 des VolksschulG v. 4. 2. 1955 (GVBl. S. 1); §§ 24-28 der Ersten Landes VO hierzu v. 3. 12. 1955 (GVBl. S. 117); Runderlaß v. 19. 7. 1956 über die Bildung von Elternbeiräten (ABl. S. 161); §§ 15 ff. des BerufsschulG v. 3. 3. 1952 (GBl. S. 57) i. d. F. v. 21. 1. 1954 (GVBl. S. 1); Zweite LandesVO hierzu v. 2.4.1953 (GVBl. S. 36); Vierte LandesVO hierzu v. 1.7.1953 (GVBl. S. 77).
Schleswig-Holstein:
Art. 6 Landessatzung i. d. F. v. 20. 11. 1950 (GVBl. S. 289); MinErl. über Elternvertretungen an Schulen nebst Satzungen v. 10. 6. 1948 ABl. S. 248), v. 17. 2. 1950 (ABl. S. 34), v. 18. 5. 1950 (ABl. S. 250); §§ 11-13 des BerufsschulG v. 28. 2. 1950 (GVBl. S. 87); Erster DurchfErlaß v. 10. 5. 1950 (ABl. S. 241).
106 Ein Teil der folgenden Ausführungen ist meinem Vortrag „Das pädagogische Elternrecht im deutschen Schulwesen”, in Zeitschrift Eltern und Schule, 1958, Heft 1 und 2 entnommen.

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Der Anwendungsbereich der Mitwirkung der Elternschaft ist in allen deutschen Ländern zunächst die Gestaltung des Lebens und der Arbeit in der einzelnen Schule. Ihr Organ ist die Elternvertretung als ein in die Schulverwaltung eingegliedertes Organ, das aus Wahlen der Eltern hervorgeht und in einigen Ländern auch Vertreter der Lehrerschaft einbezieht, wie z.B. in Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein. In der Regel sind Elternschaft und Lehrerschaft einander koordiniert. Trotz dieser Ausgestaltung der Elternvertretungen als besonderes Organ der Elternschaft zur Bildung eines einheitlichen Erziehungswillens beschränkt sich ihre Zuständigkeit auf die beratende Mitwirkung in der Förderung und der Vertiefung der Beziehungen zwischen Schule und Elternhaus durch die Herstellung einer lebendigen Verbindung zwischen Lehrerschaft, Gemeinde und Eltern.

Darüber hinaus besteht in den Ländern Bayern, Hessen und Baden-Württemberg ein Mitwirkungsrecht der Elternschaft auch auf dem Gebiet der Schulverwaltung, wie z.B. Mitwirkung bei der Förderung der äußeren Schulverhältnisse, der Festsetzung des Schuletats, bei der Aufsicht über die Schulgrundstücke, bei der Eröffnung oder Änderung von Schulen, bei der Ausführung von allgemeinen Anordnungen der Schulaufsichtsbehörde. Die Organe, in denen die Elternschaft hier beteiligt ist, sind in Bayern die bei den Volksschulen errichteten Schulpflegschaften und an den Berufsschulen gebildeten Berufsschulbeiräte, in Hessen die Schulvorstände, in dem früheren Baden die Schulpflegschaften und in dem ehemaligen Württemberg die an den Volksschulen und den Berufsschulen gebildeten Ortsschulräte. In diesen Gremien stehen den Eltern echte Mitwirkungsrechte zu, da die Elternvertreter dieser Gremien aus den Kreisen der Eltern selbst gewählt werden. Ein solches Mitwirkungsrecht liegt aber dort nicht vor, wo Eltern in örtlichen oder


107 Baden-Württemberg: Bek. des Kultministeriums v. 20.1.1953 (ABl. S. 79); Bayern: MinErl. über die Errichtung eines Landesschulbeirats v. 10. 6. 1955 (KMBl. S. 177); Bremen: §§ 2, 6 der Zweiten DVO v. 7. 12. 1954 (GVBl. S. 120); Berlin: § 3 des SchulG v. 26.6. 1948 (VOBl. I S. 358); Vierte DVO v. 3. 11. 1952 (GVBl. S. 1007); Hamburg: § 37 des SchulverwaltungsG v. 3. 7. 1956 (GVBl. S. 125); Hessen: MinErl. über die Bildung eines Landesschulbeirats v. 28.11.1947 (ABl. 1948 S. 124); Bek. über Vorl. Landeselternbeirat v. 10. 3. 1958 (ABl. S. 104); Nordrhein-Westfalen kennt nach § 15 des Ges. v. 8. 4. 1952 nur Sachverständigenausschüsse; die Bildung eines Landesschulbeirats ist vom Landtag abgelehnt worden, weil sie als in Konkurrenz und Kollision zum Parlament stehend betrachtet wurde (vgl. MinErl. v. 9. 8. 1954 - II - Egn 11 - 470/54 -); Niedersachsen: ein Landesschulbeirat besteht bis jetzt noch nicht; Rheinland-Pfalz: MinErl. über die Bestellung eines Landesschulbeirats v. 6.7.1949 (ABl. S. 157); Schleswig-Holstein: MinErl. v. 26.10.1951 (ABl. S. 157). — 108 Vgl. hierzu im einzelnen: E. Stein, Elterliche Mitbeteiligung im deutschen Schulwesen, in JZ 1957, S. 14 ff. — 109 Einer besonderen Darstellung bedürfen die in der sog. Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bestehenden Verhältnisse. In der für die sowjetische Besatzungszone geltenden Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 — GBl DDR S. 5 — ist den Eltern in Art. 37 Abs. 3 bei der Schulerziehung ihrer Kinder ein Mitwirkungsrecht durch ➝

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regionalen Schulverwaltungsorganen, wie z.B. Gemeindekommissionen oder Deputationen im Sinne der Gemeindeordnungen, Mitgliedschaftsrechte nur auf Grund von Wahlen der Gemeindevertreter erwerben. Das trifft für die Schulausschüsse in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz (hier jedoch nur für die Volksschulen) und die Beiräte an berufsbildenden Schulen in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein zu. In den Berufsschulbeiräten in Berlin, Hamburg und Niedersachsen ist die Elternschaft überhaupt nicht vertreten.

Neuerdings ist der Elternschaft, zwar noch nicht in allen deutschen Ländern, ein Mitwirkungsrecht auf dem Gebiete des gesamten Schulwesens bei der obersten Schulbehörde (Unterrichtsministerium) durch den bis jetzt meist nur verfügten, aber noch nicht recht in die Erscheinung getretenen Landesschulbeirat oder den Zentralelternbeirat107 eingeräumt. In diesen Beirat werden die Eltern teils gewählt, teils berufen. Seine Aufgabe ist, die Zentralinstanz in allen Fragen, die das gesamte Schulleben betreffen, insbesondere bei grundsätzlichen Maßnahmen und bei der Vorbereitung der Schulgesetzgebung, zu beraten und sich gutachtlich zu allen pädagogischen Fragen zu äußern. Der Landesschulbeirat kann in einigen Ländern auch von sich aus Vorschläge zur Förderung des Erziehungs- und Unterrichtswesens einbringen.

Außer diesen beratenden Mitwirkungsrechten der Elternschaft ist den Erziehungsberechtigten im Lande Hessen ein pädagogisches Recht der Mitbestimmung als gleichberechtigtes Mitentscheidungsrecht im Unterrichtswesen als Grundrecht gewährleistet108. Nach Art. 56 Abs. 6 HV haben die Erziehungsberechtigten nämlich ein unmittelbar wirksames, subjektiv-öffentliches Recht, die Gestaltung des Unterrichtswesens mitzubestimmen, soweit bestimmte verfassungsmäßig festgelegte Erziehungsgrundsätze nicht verletzt werden109.


➝ Elternbeiräte gewährt. Durch VO vom 12. April 1951 — GBl DDR S. 279 — ist bestimmt, daß an jeder allgemeinbildenden Schule ein Elternbeirat zu bilden ist. Auch er hat nur unterstützende und beratende Funktionen. Neben den herkömmlichen Aufgaben ist ihm auch die Mitwirkung „bei der Durchführung der demokratischen Gesetze, Verordnungen und Anweisungen auf dem Gebiete des Schulwesens und der Erziehung” übertragen (§ 2 Abs. 2a). Ferner ist dem Elternbeirat zur Pflicht gemacht, mit den Elternseminaren zusammenzuarbeiten (§ 2 Abs. 2e). Die Bildung von Elternseminaren ordnet die DurchfBest vom 31. Januar 1951 (GBl DDR S. 118) an. Die Elternseminare, deren Träger der Demokratische Frauenbund Deutschlands ist, sollen die Eltern „bei der Erfüllung ihrer ehrenvollen Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder im Geiste des Friedens und der Demokratie unterstützen und ihnen die pädagogischen Grundkenntnisse vermitteln, die sie zur Erfüllung dieser Aufgaben gebrauchen”; sie sollen auch „die Eltern und darüber hinaus die breite Öffentlichkeit mit den Zielen und Aufgaben der neuen demokratischen Schule" vertraut machen. Aus dieser Aufgabenstellung geht hervor, daß für die Beziehungen zwischen Schule und Elternhaus nicht die Interessen der Eltern, sondern die sog. „fortschrittlichen demokratischen Erziehungsgrundsätze der volksdemokratischen Ordnung” maßgebend sind — vgl. M.G. Lange: Totalitäre Erziehung (1954), S.62f.; S. 232 ff. u. Anm. 65.

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Das in dem Grundgesetz und den Verfassungen der deutschen Länder enthaltene Bundes- und Landesverfassungsrecht ist überlagert von der Konvention der Mitgliedstaaten des Europarates zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950. Diese Konvention ist am 3. September 1953 in Kraft getreten und für die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied des Europarates unmittelbar rechtsverbindlich110. Die in Abschnitt I der Konvention niedergelegten Menschenrechte, zu denen nach Art. 9 der Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit gehört, gehen als allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 24 GG allen innerdeutschen Gesetzen, mithin auch dem Grundgesetz und den Verfassungen der deutschen Länder, vor. Die Konvention gewährt den Angehörigen der Mitgliedstaaten, mithin auch den deutschen Staatsangehörigen, unmittelbare Rechte, deren Schutz durch besondere Einrichtungen gewährleistet111 ist. Für das Erziehungswesen bestimmt Art. 2 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952 zusätzlich: „Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.” Der Bundestag hat dem Zusatzprotokoll durch Gesetz vom 20. Dezember 1956112 zugestimmt. Es ist seit dem 13. 2. 1957 innerstaatliches deutsches Recht113. Art. 2 des Zusatzprotokolls geht insofern über das Grundgesetz hinaus, als es ein Menschenrecht auf Bildung anerkennt, das im Grundgesetz nicht enthalten ist. Im übrigen garantiert das Zusatzprotokoll nur das Recht der Eltern, eine Erziehung und einen Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen. Es begründet jedoch keine Verpflichtung des Staates113, unter gänzlicher oder teilweiser Inanspruchnahme von öffentlichen Mitteln Schulen zu errichten oder aufrechtzuerhalten, die den verschiedenen in der Bevölkerung bestehenden Richtungen entsprechen. Er berührt insbesondere auch nicht das aus der Kulturhoheit der Länder fließende Recht, durch Verfassung oder Gesetz die Schulart zu bestimmen114.

Die UN-Deklaration der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 gewährt in Art. 26 jedem Menschen ebenfalls ein Recht auf Bildung und erklärt, daß die Eltern in erster Linie das Recht haben, die Art der ihren Kindern zuteil


110 Bundesges. v. 7. 8. 1952 — BGBl II, 685, 953; Bek. v. 15. 12. 1953 — BGBl 1954 II, 14. — 111 R. Echterhölter, Die Europäische Menschenrechtskonvention im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, in JZ 1955, S. 689 ff. — 112 BGBl 1956 II, S. 1879. — 113 BGBl 1957 II, S. 226. — 114 Vgl. hierzu BR StenBer., 100. Sitzung vom 6. Februar 1953, S. 64; 120. Sitzung vom 19. März 1954, S. 60 f.; BT Rechtsausschuß. 4. Sitzung vom 4. Februar 1954.

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werdenden Bildung zu bestimmen. Dieser Erklärung kommt jedoch nach der herrschenden Meinung nur eine moralische, keine rechtliche Verbindlichkeit zu. Sie ist nach den Erklärungen in der Hauptversammlung der UN nur ein Appell an die Regierungen, sich zu „bemühen, durch Unterricht und Erziehung die Achtung dieser Rechte und Freiheiten zu fördern und durch fortschreitende Maßnahmen im nationalen und internationalen Bereiche ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung und Verwirklichung . . . zu gewährleisten”. Da die Ansprüche der Deklaration der Menschenrechte nicht als subjektiv-öffentliche Rechte ausgestaltet sind, können sie auch nicht als allgemeine Grundsätze des Völkerrechts angesehen werden, die gemäß Art. 25 GG für die Bundesrepublik Deutschland unmittelbar rechtsverbindlich sind115.

Das verfassungsmäßig und überstaatlich garantierte Elternrecht ist auf die öffentliche Gewalt bezogen. Außer dem Abwehrrecht gegen unzulässige Eingriffe des Staates in das elterliche Erziehungsrecht enthält es zugleich eine staatliche Erziehungshilfe für die Eltern. Da die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Lebensbereiche gilt, ist sie vor allem für das bürgerliche Recht von Bedeutung. Es hat das Elternrecht als privatrechtliches Verhältnis der Eltern gegenüber dem Kind und dritten Personen ausgestaltet. Die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches über das Eltern-Kind-Verhältnis sind durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957116 (BGBl I, S. 609) geändert, das grundsätzlich am 1. Juli 1958 in Kraft tritt. Darin hat der Gesetzgeber die ihm durch Art. 3 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 GG gestellte Aufgabe zu lösen versucht, eine familiengerechte Ordnung des privaten Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kindern und dem Rechtsschutz der Gleichberechtigung zu verwirklichen. Vor dieser Änderung entsprach das Bürgerliche Gesetzbuch dieser Verfassungslage nicht. Es war trotz der Bezeichnung der vormundschaftlichen Gewalt über das Kind als elterliche Gewalt von dem Gedanken des Vaterrechts beherrscht. Nunmehr ist durch § 1626 BGB in der neuen Fassung das Vaterrecht zum Elternrecht entwickelt. Seiner Substanz nach ist es unentziehbar, nur in seiner Ausübung kann es, wie Art. 6 Abs. 2 und Abs. 3 GG vorsehen, beschränkt werden. Die einzelnen Bestandteile der elterlichen Gewalt, die Personensorge, die auch das Erziehungsrecht (§ 1631 BGB) umfaßt, die Vermögenssorge (§ 1638 BGB) und die gesetzliche Vertretung (§ 1629 BGB) stehen grundsätzlich gleichzeitig, gleichrangig und gleichwertig beiden Elternteilen, unbeschadet des Entscheidungsrechts des Vaters, zu. Die Eltern haben nach § 1627 BGB „die elterliche


115 Vgl. hierzu Lauterpacht, International Law and Human Rights, 1950, S. 397 f.; W. Schätzel, Festschrift für Giese, 1953, S. 226; Guradze, Der Stand der Menschenrechte im Völkerrecht, 1956, S. 127 ff. — 116 H. Paulick, Das Eltern-Kind-Verhältnis gemäß den Bestimmungen des Gleichberechtigungsges., in Zeitschrift „Ehe und Familie” 1958, S. 1 ff.; G. Beitzke, Betrachtungen zum neuen Kindschaftsrecht, a.a.O., S. 7 ff. mit weiteren Literaturangaben; die einschlägigen Kommentare.

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Gewalt in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohle des Kindes auszuüben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie sich einigen.” Trotz grundsätzlicher Anerkennung des Entscheidungsrechts des Vaters ist die Mutter nicht schütz- und rechtlos. Sie kann in Angelegenheiten, die von nicht unwesentlicher Bedeutung für die Entwicklung und die Zukunft des Kindes sind, das Vormundschaftsgericht anrufen. Die elterliche Gewalt findet nunmehr ausdrücklich ihre Grenze an dem Wohl des Kindes. Darin liegt die gesetzliche Anerkennung des eigenständigen Rechtes des Kindes. Erstmals hat es im Reichsgesetz für Jugendwohlfahrt vom 9. Juli 1922117 seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden. Hier ist jedem deutschen Kind ein Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit gewährt. Gleichzeitig wird hier ein Eingreifen gegen den Willen des Erziehungsberechtigten nur dann für zulässig erklärt, wenn ein Gesetz es bestimmt. Das Eintreten der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendpflege und Jugendfürsorge) ist davon abhängig gemacht, daß der Anspruch des Kindes auf Erziehung von der Familie nicht erfüllt wird.

Über den Inhalt der Erziehung enthält das Bürgerliche Gesetzbuch keine Vorschriften. Nach den Motiven zu diesem Gesetz wurde es nicht für erforderlich erachtet, „den Inhalt der Erziehungsgewalt im Gesetz näher zu bestimmen, da derselbe aus dem Begriff der Erziehung und der Natur der Sache sich von selbst ergibt118”. Bestimmungen über den Inhalt der Erziehung finden sich heute fast in allen Verfassungen der deutschen Länder. Danach gehören zur Erziehung die Sorge für die leibliche, geistige, sittliche und religiöse Entwicklung des Kindes und für seine gesellschaftliche Tüchtigkeit. Der Begriff der Erziehung wird dadurch wertbetont. Die Erziehung erstreckt sich auf die Schulwahl, die Schulausbildung, den Bereich der Berufswahl und der Berufsausbildung. Die Eltern haben auch das Recht, für ihre Kinder die Schulen auszusuchen, die deren Wünschen, Anlagen und Neigungen entsprechen. In der Rechtsprechung besteht Einmütigkeit darüber, daß das natürliche Elternrecht das Recht einschließt, das künftige Lebensschicksal des Kindes und damit die Auswahl der Schule zu bestimmen. Das Elternrecht kann aber nicht dazu dienen, für unbegabte Kinder einen höheren Bildungsweg zu erzwingen oder die staatlichen Prüfungsanforderungen auf ein niedrigeres Niveau zu senken. An die Schulorganisation und die allgemeinen Erziehungsanordnungen bleiben die Eltern gebunden.

Diesen Rechten entsprechen Erziehungspflichten, die teils im Privatrecht, teils im öffentlichen Recht ihre Grundlage haben: die allgemeine Pflicht, das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen (§ 1631 BGB), die Pflicht, für das Vermögen des Kindes zu sorgen (§ 1638


117 RGBl I, S. 633. — 118 Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band IV, S. 750.

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BGB), die Verpflichtung, das Wohl des Kindes und sein Vermögen nicht zu gefährden (§ 1666 BGB), die Schulpflicht119, die die Verfassungen der deutschen Länder und die Schulgesetze als allgemeine Staatsbürgerpflicht auferlegen, die Verpflichtung, das Kind vor Gefährdung in der Öffentlichkeit zu schützen120 und das Verbot der Kinderarbeit121.

Aus diesen verfassungsrechtlichen Neuregelungen hat die Staatspraxis nur zu einem geringen Teil die notwendigen gesetzlichen und verwaltungsrechtlichen Folgerungen gezogen. Weitgehend ist das schulverwaltungsrechtliche Denken in den deutschen Ländern noch den traditionellen Vorstellungen der staatlichen Schulhoheit verhaftet. In weiten Kreisen sind die Anschauungen verblaßt, die nach dem katastrophalen Zusammenbruch des Jahres 1945 in Abwehr gegen die autoritäre und zentralistische Schulpolitik zur Schaffung der Voraussetzungen für ein neues, der freiheitlichen Demokratie verpflichtetes Schulwesen geführt haben. Vielerorts machen sich heute Tendenzen bemerkbar, das Mitwirkungsrecht der Eltern auf die einzelnen Schulen zu beschränken und als einziges Organ der Elternschaft den Elternbeirat an der einzelnen Schule anzuerkennen. Die in dem Grundgesetz und den Länderverfassungen vorgesehene Mitbeteiligung der Eltern im Schulwesen, durch die die bürokratisch verwaltete Schule in einen demokratischen Erziehungsträger umgewandelt werden soll, erfordert aber zwingend die Mitwirkung der Eltern auf alle dem Unterrichts- und Erziehungswesen zugehörigen Bereiche, also auch auf die unteren, mittleren und oberen Instanzen der Schulverwaltung durch Beteiligung an Schulvorständen oder ähnlichen Schulverwaltungsorganen, zu erstrecken. Eine Beschränkung der elterlichen Mitbeteiligung auf die herkömmlichen Formen der Elternbeiräte an den einzelnen Schulen oder die Ausschließung der Eltern von der Schulverwaltung würde dem den Verfassungen zugrundeliegenden Rechtsgedanken nicht gerecht, daß Eltern und Schüler Partner der Schule und der Lehrer geworden sind. Der Staat muß dringend nach neuen Wegen und Formen suchen, die das Interesse der Eltern an der Schule fördern, die Eltern zu fruchtbarer Mitarbeit anregen und ihre Verantwortung für die Gestaltung des Schulwesens stärken. Es gilt hier eine


119 Das Grundgesetz enthält im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung keine Bestimmung über die Schulpflicht. In den Verfassungen der deutschen Länder ist die Schulpflicht mit Ausnahme der Verfassungen von Berlin, Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz geregelt. Neuerdings ist aus dem „unentziehbaren Naturrecht des Elternrechts” die Schulpflicht mit der Begründung angezweifelt worden, daß sie eine Beschränkung des Elternrechts darstelle, das diesem weder begrifflich inhärent noch in Art. 6 Abs. 2 GG ausgesprochen sei — vgl. Mayer, Elternrecht, Schule und Kirche, in DVB1 1955, S. 581 ff. — Ihm kann jedoch nicht zugestimmt werden. — 120 Vgl. Ges. zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit vom 4. Dezember 1951, BGBl I, S. 936, Ges. über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953, BGBl I, S. 377. — 121 Ges. über die Kinderarbeit und über die Arbeitszeit der Jugendlichen — Jugendschutzgesetz — vom 30. April 1938, RGBl I, S. 437.

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Entwicklung nachzuholen, die in der kommunalen Verwaltung, der Laiengerichtsbarkeit und der sozialen und wirtschaftlichen Mitbestimmung seit langem eine Selbstverständlichkeit ist.

Daher müßte den Eltern, wenn die Einflußnahme auf die Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder zuvörderst das Recht der Eltern ist, auch bei der Auswahl und Berufung von Schulleitern und Lehrern ein entscheidendes Mitwirkungsrecht eingeräumt werden. Denn für die Persönlichkeitsbildung der Kinder und den Erfolg der Erziehung ist gerade der Lehrer besonders entscheidend. Alle Pädagogen sind darüber einig, was ein guter Lehrer für die Erziehung zu leisten vermag und ein schlechter Lehrer verderben kann. Um Beunruhigungen in den Schulen zu vermeiden, würde dem Erfordernis der Mitwirkung der Eltern schon dadurch genügt sein, wenn den Organen der Erziehungsberechtigten ein befristetes Vetorecht bei der Berufung oder Versetzung von Schulleitern und Lehrern eingeräumt würde. Damit werden Schule und Lehrer ebenso wenig von den Eltern abhängig wie sie von den Gemeinden dadurch abhängig werden, daß diese ein gesetzlich geregeltes Mitspracherecht haben. Mitbestimmung bedeutet ja nicht Alleinbestimmung, sondern nur Mitentscheidung. In Anwendung des hier vertretenen Prinzips müßten auch Maßnahmen allgemeiner Art wie die Aufstellung von Bildungsplänen, die Einführung von Tagesheimschulen, der Erlaß von Ferienordnungen künftighin unter gestaltender Mitwirkung der Eltern getroffen werden. Es erhebt sich auch die Frage, ob es sich nicht empfehlen würde, Schlichtungsstellen einzurichten, die bindende Entscheidungen zu treffen hätten, wenn sich Elternschaft und Schulbehörde über von ihnen gemeinsam zu entscheidende Fragen nicht einigen könnten. Es wäre auch zu erwägen, ob eine rechtverstandene Mitwirkung der Elternschaft nicht die Grundlage dafür bilden könnte, ein eigenes Rechtsmittelverfahren in Schulangelegenheiten durch Einrichtung von Schulbeschwerdekammern zuzulassen, um die Verwaltungsgerichte von der Mitentscheidung fachlich-pädagogischer Fragen oder schulrechtlicher Grenzfragen zu entlasten. Schließlich wäre zu prüfen, ob nicht auch die Erweiterung, Einschränkung, Schließung oder Verlegung einer Schule sowie die Schaffung oder Beseitigung zusätzlicher Unterrichts- sowie sozialer und pädagogischer Hilfseinrichtungen nur im Einvernehmen mit den Organen der Elternschaft durchgeführt werden sollte. Eine besondere Beteiligung der Organe der Elternschaft müßte auch ebenfalls bei der Vorlage von Gesetzentwürfen durch die Landesregierungen vorgesehen werden. Als solches bietet sich der Landeselternbeirat oder Landesschulbeirat dar. Die Landesregierung müßte verpflichtet werden, ihn vor der Vorlage von Gesetzentwürfen und allgemeinen Anordnungen zu hören und etwaige Änderungsvorschläge der Elternschaft samt ihrer Begründung dem Landtag zur Kenntnis zu bringen.

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Nun darf man von diesen und ähnlichen organisatorischen Maßnahmen allein nicht eine fruchtbare Beteiligung der Elternschaft erwarten. Die mannigfachen Formen elterlicher Mitbeteiligung sind zwar geeignet, die Verwaltung des Schulwesens zu demokratisieren und einen Ausgleich zwischen den verschiedenen bei der Gestaltung des Schulwesens mitwirkenden Erziehungsmächten herbeizuführen. Wie überall, so können auch hier organisatorische Änderungen höchstens die Voraussetzungen für ein demokratisches Schulleben schaffen. Wenn die echte innere Mitbeteiligung der Eltern und die vertrauensvolle sachliche Zusammenarbeit mit der Lehrerschaft fehlt, dann kann sich eine Schulgemeinschaft als Lebens- und Wirkungseinheit nicht entwickeln und die Schaffung besonderer Organe der Elternschaft beschränkt sich dann auf bürokratische Betriebsamkeit oder fördert gar einen pädagogischen Dilettantismus. Angesichts der erzieherischen Notlage unseres Volkes müssen alle, die am Werk der Erziehung beteiligt sind, in wechselseitiger Hilfe zusammenarbeiten122. Es ist daher notwendig, das echte Vertrauensverhältnis zu finden, die gemeinsame Verantwortung der Erziehungsmächte zu erkennen und die Verantwortung der Elternschaft wie der Lehrerschaft zu stärken. In der täglichen Praxis ist es nicht immer leicht, aktive und ideenreiche Elternvertreter, Lehrer und Gemeindevertreter zu finden, die in den organisatorischen Einrichtungen mehr als reine Verwaltungsgremien sehen. Die Kontaktnahme zwischen Eltern und Lehrer scheitert teils an den Eltern123, die ihr Kind überfordern, teils an den Lehrern, die gegenüber den Eltern mißtrauisch sind, weil sie von ihnen eine unzulässige Einmischung in die Unterrichtsarbeit und in die Schule oder gar einseitige konfessionelle Eingriffe fürchten, teils an den Schülern, die sich nicht verstanden fühlen. Nur der Pflege der mitmenschlichen Beziehungen und einer vertrauensvollen überparteilichen und überkonfessionellen Zusammenarbeit wird es gelingen, die organisatorischen Einrichtungen mit dem rechten Geist zu erfüllen.

Wenn die Verfassungswirklichkeit auf dem Gebiete des Erziehungswesens infolge erstarrender zentralistischer und bürokratischer Tendenzen dem Bilde der Verfassungen nur zum Teil entspricht, so bleibt die Verpflichtung, die Verfassungen aus ihrem Geist auszulegen und auszuführen. „Wie neues Recht


122 Aus diesen Gründen sollte die Mitwirkung der Eltern in der Form von Elternbeiräten sich auf die einzelnen Schulen beschränken; auf den Gebieten der Schulverwaltung und des gesamten Schul- und Unterrichtswesens sollten die Eltern mit den anderen Erziehungsträgern — Lehrern, Gemeinden, Kirchen, sonstigen Verbänden, Staat — in gemeinsamen Organen vereinigt werden, weil so zwischen den verschiedenen Interessen in gemeinsamer Beratung und Beschlußfassung leichter und nachhaltiger ein Ausgleich erzielt werden kann als in getrennten Organen. Als besondere Form bietet sich hier die Schulgemeinde auf genossenschaftlicher Grundlage an. Aus ihr könnte ein Landesschulbeirat gebildet werden, der auch Vertreter der Elternschaft umfaßt (vgl. hierzu E. Stein, Vorschläge zur Schulgesetzgebung in Hessen, 1950, S. 69 ff., 82, 94, 85). — 123 J.M. Hollenbach, Werden die Eltern erziehungsunfähig?, in Zeitschrift Stimmen der Zeit, 159. Band, S. 442 ff.

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im Einklang mit dem grundrechtlichen Wertsystem stehen muß, so ist bestehendes älteres Recht auf dieses Wertsystem auszurichten; von hier fließt ihm ein spezifisch verfassungsrechtlicher Gehalt zu, der fortan seine Auslegung bestimmt124.” Auch die vielberufene Daseins Vorsorge des modernen Verwaltungsstaates kann weder das Recht noch die Pflicht der Eltern, die zuvörderst ihnen obliegt, einschränken oder beseitigen noch die verantwortliche Mitwirkung der nichtstaatlichen Erziehungsträger aufheben. Gerade der moderne Massenstaat zwingt zur größeren Freiheit in der Erziehung und der Schule im Staat — das hat schon Eduard Spranger in seiner Akademierede im Jahre 1927 nachdrücklich betont —, weil nur so eine Sicherung „gegenüber dem einseitigen Gesinnungsdruck staatlicher Machtträger” gewährleistet und eine Gefährdung für den Staat vermieden werde125.

Die Frage, inwieweit die Gewährleistung eines Elternrechts mit dem Gedanken der Repräsentation des Volkes in der parlamentarischen Demokratie überhaupt vereinbar sei, ist kein echtes Problem. Dabei wird übersehen, daß das Grundgesetz keine wertneutrale, sondern eine wertgebundene Ordnung ist, mithin der Mehrheitswille an die normative Ordnung der Verfassung gebunden bleibt. An ihr findet der souveräne Wille des Volkes seine Grenze und Schranke. Auch die Mitbeteiligung der Elternschaft bei der Gestaltung des Erziehungswesens widerstreitet nicht der Trennung der Gewalten. Die Gesetzgebung verbleibt nach wie vor den hierfür allein zuständigen gesetzgebenden Körperschaften. Die in den Staat eingegliederte Mit- oder Selbstverwaltung der Erziehungsberechtigten dehnt die in anderen Bereichen bestehende Selbstverwaltung entsprechend dem föderativen Staatsaufbau nur auf ein weiteres Gebiet aus, ohne die Souveränität des Staates dadurch zu beeinträchtigen.

Die Rechtsprechung hat der verfassungsrechtlichen Wandlung des Verhältnisses Staat-Eltern besondere Rechnung getragen. So hat das Bundesverfassungsgericht126 das natürliche Recht der Eltern nach Art. 6 Abs. 2 GG als Grundrecht anerkannt, das u. a. ein Abwehrrecht gegen unzulässige Eingriffe des Staates in das elterliche Erziehungsrecht enthalte. Durch Urteil vom 29. 6. 1957 (VerwRspr. 10, 138 ff.) hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, daß die Bedeutung des Art. 6 Abs. 2 GG sich nicht auf die Gewährleistung dieser Abwehrbefugnis beschränkt. Die Abwehr staatlicher Eingriffe in den häuslichen Bereich der Familie sei zwar das eigentliche Anliegen dieser Verfassungsvorschrift. „Die Gestaltung des deutschen Schulrechts, insbesondere die im Landesrecht verankerte Schulpflicht,” so fährt das Urteil fort, „bedeutet aber bereits einen derart starken staatlichen Eingriff in den Bereich der Erziehung, daß ohnehin die geistige und haltungsmäßige Prägung der Kinder,


124 BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 in NJW 1958, S. 257. — 125 E. Spranger, a.a.O., S. 28, 39. — 126 BVerfGE 4, 57; vgl. auch BVerfGE 6, 355 hinsichtlich des Art. 7 GG.

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die Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art. 6 Abs. 2 GG), zu einem ganz entscheidenden Teil außerhalb des Elternhauses bestimmt wird. Wenn daneben das elterliche Erziehungsrecht in seiner Bedeutung nicht praktisch verkümmern soll, gebietet sich eine Auslegung des Art. 6 Abs. 2 GG, die den Eltern ermöglicht, sich bei der Bestimmung der Lebensrichtung ihrer Kinder auch dem Staate gegenüber zu behaupten, und die sie mit den entsprechenden Rechtsansprüchen ausstattet." Zuvor hatte das Hanseatische Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 16. April 1953127 das Erziehungsrecht als ein echtes Grundrecht bejaht, das nur eine besondere Form des Rechtes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit für das Kind sei. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 12. Februar 1954128


127 VerwRspr. 6, 654 ff. Ziffer 2-5 der Leitsätze dieser Entscheidung lauten:
„2. Das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) umfaßt das Recht, über die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Kinder zu wachen und diese zu gestalten. Dieses Recht hat auch die Auswahl der Schule, d. h. das Anrecht auf den Zugang zu jedem Schulzweig, den der Staat zur Verfügung stellt, zum Inhalt. Hierbei kann unentschieden bleiben, ob die allgemeinen Schulen als Ausbildungsstätten im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG anzusehen sind.
3. Eingeschränkt ist das elterliche Erziehungsrecht nur im Rahmen des Art. 2 GG. Die Frage der Eignung und Begabung des Kindes für den Übergang zur Oberschule darf somit nur dahin gestellt werden, ob der Schüler für den von seinen Eltern gewünschten Schulzweig ungeeignet und nicht begabt ist. Nur wenn feststeht, daß er die Entwicklung seiner Mitschüler auf der gewünschten Oberschule hemmen würde, kann er mangels Eignung oder Begabung abgelehnt werden.
4. Ein Ausleseverfahren, nach dem es darauf ankommen soll, die besonderen Neigungen, Anlagen und Befähigungen eines Kindes zu ermitteln, auf Grund deren es für die ihm gemäße Form der Oberschule vorzuschlagen ist, ist rechtswidrig, weil die Schule damit für sich ein staatliches Lenkungsrecht hinsichtlich der Schulbildung in Anspruch nimmt, das die Grundrechte der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der elterlichen Erziehung verletzt, und zwar sogar in ihrem Wesensgehalt (Art. 19 Abs. 2 GG).
5. Das in Art. 7 Abs. 1 GG genannte Aufsichtsrecht des Staates über das Schulwesen begründet keinen Vorrang der Schulverwaltung bei der Frage, welchen Schulzweig ein Kind besuchen soll.”
128 VerwRspr. 6, 641. Ziffer 3 und 4 der Leitsätze dieser Entscheidung lauten:
„3. Wenn auch dem elterlichen Erziehungsrecht in der Gesamterziehung der Primat zukommt, so sind doch durch die neuzeitlichen Arbeits-, Zivilisations- und Kulturverhältnisse Erziehungs- und Ausbildungsanforderungen gestellt, die von den Eltern allein nicht mehr bewältigt werden können, deren Erfüllung vielmehr eines Hinzutretens der Erziehungs- und Bildungsarbeit der Gemeinschaft bedarf. Diese notwendige Arbeit ist in der deutschen geschichtlichen Entwicklung in die Hand des Staates übergegangen. Die dem Staat als Erziehungsträger von der Bayerischen Verfassung zugewiesenen Funktionen setzen erst mit dem Beginn des schulpflichtigen Alters des Kindes ein und beschränken sich auf die schulische Erziehung. Das elterliche Gesamterziehungsrecht erfährt insoweit notwendig eine Einschränkung durch das schulische Organisations- und Aufsichtsrecht des Staates.
4. Das schulische Organisations- und Aufsichtsrecht des Staates ist begrenzt. In bestimmten Fragen bleibt die Entscheidung allein den Eltern vorbehalten (Wahl der Schulart, Art. 135 Abs. 1 Satz 2 BV; Teilnahme am Religionsunterricht, Art. 137 Abs. 1 Satz 1 BV). Dagegen kann eine Begrenzung hinsichtlich der Bestimmung des — im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens liegenden — Schuleintrittsalters nicht anerkannt werden.”

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den Eltern den Primat in der Gesamterziehung als elementares Grundrecht zuerkannt; es erleide nur insoweit Einschränkungen durch das staatliche Schulorganisations- und Aufsichtsrecht, als die Eltern heute tatsächlich nicht mehr alle Erziehungsaufgaben wahrnehmen könnten. Diese Begründung hat sich auch das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg im Urteil vom 15. April 1955129 zu eigen gemacht. Es erklärt, Art. 6 GG sei nur in enger Beziehung zu Art. 7 zu verstehen; seine Bedeutung liege nicht nur darin, die staatliche Schulaufsicht gegenüber der kirchlichen zu gewährleisten; zugleich sei das Schulaufsichtsrecht des Staates nicht als Einschränkung des elterlichen Erziehungsrechts, sondern als Hilfe des Staates gleichsam als eine Form der Daseinsfürsorge zu verstehen. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in seinem Urteil vom 4. Mai 1957130 ausgeführt, daß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG den Eltern das primäre Recht der Gesamterziehung des Kindes gebe, von der die schulische Erziehung ein Teil sei. Durch Art. 2 GG sollten staatliche Eingriffe in die Rechtsstellung des Staatsbürgers verhindert werden, „um diesem so einen bestimmten Bereich persönlicher Gestaltung im Rahmen der Gesetze zu gewährleisten.” Der Hessische Staatsgerichtshof hat in seinem Urteil vom 19. Dezember 1957131 festgestellt: „In Abweichung von der Weimarer Verfassung schränkt die Hessische Verfassung die staatliche Schulhoheit, wie sie in Art. 56 Abs. 1 festgelegt ist, in der Bestimmung des Art. 56 Abs. 6 durch das Mitbestimmungsrecht der Eltern ein und erweitert damit die Befugnisse der Eltern.” Die Wechselwirkung zwischen Eltern und Schule umschreibt der Staatsgerichtshof dahin, daß das Mitbestimmungsrecht der Eltern nicht ohne weiteres aus dem Elternrecht abgeleitet werden könne, sondern in seinem Umfange auch aus der Ordnung, die die Verfassung dem Schulwesen zuteil werden lasse, festzulegen sei. In seinem Urteil vom 18. Januar 1958132 erklärt der Hessische Staatsgerichtshof das Mitbestimmungsrecht der Erziehungsberechtigten als ein Grundrecht, das sich nicht auf die Einzelschule beschränke, sondern auch die allgemeinen Richtlinien der zentralen Unterrichtsverwaltung zum Gegenstand habe, soweit sie die inneren Ziele von Erziehung und Unterricht an der staatlichen Schule und die Wege festlegen, die zur Erreichung dieser Ziele dienen sollen. Dabei hat der Staatsgerichtshof erstmals die Elternschaft als solche als kollektives Organ anerkannt, die ein selbständiges Recht auf Mitbestimmung habe.

Wenn die Rechtsprechung diesen Weg konsequent weiterschreitet, dann steht zu hoffen, daß sich auch die Legislative und Exekutive ebenso an der Idee der Bildungsgerechtigkeit orientieren. Dazu gehört aber auch das verantwortliche Zusammenwirken aller Erziehungsmächte in der Achtung der dem Kind verliehenen Würde. Auf diese Weise kann das vielschichtige


129 VerwRspr. 8, 399 f. — 130 VerwRspr. 9, 917. — 131 Staatsanzeiger für das Land Hessen, 1958, S. 15. — 132 Staatsanzeiger für das Land Hessen, 1958, S. 313 f.

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Problem des Elternrechts von politischem Dogmatismus und konfessionellen Einseitigkeiten befreit und eine „höhere Potenz der Gemeinschaft” gestiftet werden. Die personalistische Gestaltung des Verhältnisses von Eltern und Staat im Grundgesetz und in den Verfassungen der deutschen Länder hat hierzu den Grund gelegt. Wenn auch frühere Gestaltungen rudimentär in die neue Ordnung hineinragen, so bleibt der Ausgleich aus der personalistischen Grundentscheidung die immerwährende Aufgabe. Sie kann nur im Sinne der sozialen Bildungsgerechtigkeit gelöst werden.

 

Verzeichnis der Abkürzungen

 

ABl — Amtsblatt
ALR — Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten vom 5. Februar 1794
Bek — Bekanntmachung
BGBl — Bundesgesetzblatt Teil I, Teil II
BGHZ — Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen
BR — Bundesrat
BT — Bundestag
BVerfGE — Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
DVBl — Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt
G — Gesetz
GBl — Gesetzblatt
GG — Grundgesetz
GVBl — Gesetz- und Verordnungsblatt
JZ — Zeitschrift Juristenzeitung
KMBl — Ministerialblatt des Kultusmnisteriums
Luthers Werke WA — Luthers Werke, Weimarer Ausgabe
NJW — Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift
OVG — Oberverwaltungsgericht
RGBl — Reichsgesetzblatt
RGZ — Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
VerwRspr — Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland, Sammlung oberstrichterlicher Entscheidungen aus dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht.
WRVerf — Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 (Weimarer Reichsverfassung)