Exkurs I zu Kapitel II

Zum ekklesia-Begriff K.L. Schmidts

Karl Ludwig Schmidt114 will die Singularität des ekklesia-Begriffs wahren, wenn er sagt:

„Von einem soziologisch bestimmten Gemeinschaftsgedanken aus erreicht man nicht das, was die Versammlung Gottes in Christus besagt und besagen will. Entscheidend ist die Gemeinschaft mit Christus. Zugespitzt wäre zu sagen: ein einziger Mensch könnte und müßte die ekklesia sein, wenn er die Gemeinschaft mit Christus hat.”

Daß das Besondere der Kirche nicht mit einem innerweltlichen soziologischen Gattungsbegriff erfaßt werden kann (z.B. societas — scholastisch, Gemeinschaft — idealistisch) ist unbestreitbar. Daß aber die ekklesia in ihrer Singularität gleichwohl eine soziale und damit soziologisch beschreibbare Erscheinung darstellt, ebensowenig. Die Gegenposition — „der Einzelne mit Christus” — ist mit dem viel zitierten Satz von den „Zweien und Dreien” unvereinbar. Eben diesen Einzelnen mit Christus gibt es nicht. Jesus hat von Anfang in Hinblick auf die 12 Stämme des Alten Bundes 12 Jünger erwählt — nicht einen Einzelnen, und nicht als Einzelne, und die Ausgießung des Geistes geschieht in Gemeinschaft und zur Gemeinschaft. Auch der einsam zu Damaskus erwählte Paulus bildet mit Christus zusammen noch keine ekklesia — er selbst wäre niemals auf den Gedanken gekommen —, sondern er läßt sich taufen. Auch die Anschauung von K.L. Schmidt steht nicht außerhalb soziologischer Beurteilung: es ist eine individualistische Soziologie — der Robinson des Glaubens.

Offenbar hat es gute Gründe, wenn es heißt „worüber zwei übereinkommen werden, zu bitten …”. Nur im Consens mehrerer kommt die kritische und positive Transsubjektivität des Geistes zur Wirkung. Denn das heißt eben: nicht alles, was einem Einzelnen für sich einfällt und wichtig erscheint, sondern nur das, wovon und wofür er mindestens einen oder mehrere Andere — in der Gemeinsamkeit des Geistes! — überzeugen und engagieren kann, hat diese Verheißung. Dieser Satz verweist also auf den Geist und ist zugleich auch eine soziologisch erfassbare Gemeinschaftsform. Eben darum kann der Einzelne mit Christus nicht ekklesia sein. Vielmehr schließt die Gemeinschaft mit Christus die Gemeinschaft mit den Brüdern und also mit der konkreten ekklesia ein. Aber die Tendenz dieser verengten Gleichsetzung ist charakteristisch. Man kann soweit gehen, daß die „Zwei oder Drei” ein notwendiges quantitatives Minimum sind, aber eben darum sind sie als erstmalige Pluralität, als Gruppe eigener Art, über den Einzelnen hinaus auch etwas qualitativ Neues.

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Schmidt blickt hier — auf Grund anderer Stellen muß man annehmen — auf das Verhältnis zwischen der Rechtfertigung des Einzelnen und der ekklesia. Jedoch auch die Rechtfertigung ist ein Geschehen innerhalb des pneumatischen Zusammenhangs der ekklesia und zugleich in die ekklesia hinein.115 Wenn qahal ein Verhältnisbegriff ist, so auch ekklesia — eben zwischen Gott und einer Mehrzahl von Menschen. Ekklesia ist immer ekklesia tou theou.