Exkurs III

Das personale Defizit der modernen Verkehrswirtschaft

Das hier Gesagte will, wie der in diesem Band abgedruckte Aufsatz „Mensch und Sache”, als Erläuterung und Belegmaterial für die im Hauptteil vorgetragene Deutung der nachbürgerlichen Gesellschaft verstanden werden. Es belegt die dort entwickelte Aporetik. Wenn die Trennung von Mensch und Sache den Menschen nicht für die Erfüllung personaler Beziehungen freisetzt, sondern

|117|

diese gerade abbaut und verhindert, so ist auch die optimistische Beurteilung des bürgerlichen Eigentums geschichtlich widerlegt, welche Hegel in seiner Rechtsphilosophie als Bedingung der Freiheit vertritt. Die Einsicht in diese Lage ist sodann von Bedeutung für die Konversion im oben beschriebenen Sinne, die nur im Rahmen der realen Lage sinnvolle Formen der Verwirklichung finden kann.

Die Anfänge moderner Wirtschaftsformen liegen nach dem völligen Verfall der antiken Zivilisation in unserem Kulturbereich etwa im 12. und 13. Jahrhundert. Die damals beginnende Verkehrswirtschaft besitzt ihren adäquaten rechtlichen Ausdruck und zugleich ihr stärkstes Vehikel im Zweckkontrakt. Das Geld wird verflüssigt. Es braucht nicht mehr gegenständlich übergeben zu werden, sondern wird in abtretbare Schuldforderungen umgesetzt und dadurch von der Ortsgebundenheit des Raumes weitgehend freigemacht: Die Entstehung des Wechsel- und Scheckverkehrs in der früh entwickelten städtischen Wirtschaft Italiens ist bekannt.

Diese Gesinnung und diese Struktur des Verhältnisses von Mensch und Sache haben sich dann immer weiter ausgedehnt und eine unermeßliche produktive Wirkung entfaltet. Der Entwicklung des schon prinzipiell modernen Handelns folgte sehr viel später die Entwicklung auch der rationellen Landwirtschaft. Die Mittel dazu wurden durch Verflüssigung des dinglichen Landbesitzes in der Gestalt hypothekarischer Belastungen gewonnen. Auf den ruhenden Besitz, der bearbeitet wird und Früchte trägt, wird ein zweiter Stock von Forderungsrechten daraufgesetzt bis zur Ausschöpfung der Rentabilität. Eben dadurch aber wird auch die Rentabilität selbst durch instrumentale Ausrüstung und Bereicherung der Produktionsmittel fortlaufend erhöht. Die Aufstockung von Forderungsrechten auf die dingliche Basis in immer weiteren Schichten habe ich in meiner Abhandlung „Mensch und Sache” dargestellt. Dieser Vorgang hat in unserer Zeit insofern seine Vollendung erfahren, als durch die Bildung eines umfassenden Deckungssystems die Risiken plötzlichen Einsturzes fast völlig aufgehoben worden sind. Dadurch wird das bisher offene System zu einem geschlossenen und mündet in eine weiträumige wirtschaftliche Planungspolitik aus. Man hat gelernt, Wirtschaftskrisen im wesentlichen abzufangen und das Weiterdrehen der Expansionsscheibe nach oben fast unbegrenzt sicherzustellen.

Die volle Entfaltung dieser positiven Möglichkeiten hat sich erst in der modernen Industriewirtschaft gezeigt. Nicht der Handel,

|118|

sondern die Industrieproduktion wird das bestimmende Moment und tritt an die Spitz. Dies hat in ideologischer Überspitzung der Marxismus treffsicher erkannt. Diese Industrieproduktion nimmt rasch an Produktivität zu, und diese Steigerung erreicht in den letzten Jahrzehnten stürmische Formen. Diese Produktivität der vollrationalisierten Wirtschaft, die sich der Automation nähert, bestimmt in steigendem Maße, als ein Leitprinzip, alle übrigen, auch die nichtökonomischen Bereiche des Lebens. Denn alle übrigen Wirtschaftszweige werden gezwungen, sich wenigstens einigermaßen den Erträgen und Löhnen anzupassen, die hier erzielt werden. Entscheidend ist bei alledem nicht die viel erörterte Trennung des Arbeiters von den Produktionsmitteln, sondern die Aufhebung der direkten Beziehungen zum Empfänger und Verbraucher des Produkts.

Das Verhältnis des einzelnen Arbeiters und Angestellten zur Leitung, zum Management, ist im Prinzip in einer freien und in einer sozialisierten Wirtschaft das Gleiche. Eine grundlegende Veränderung dieser Situation hat sich als unmöglich erwiesen. Ja, ihre Forderung selbst ist romantisch. Die Frage der Verwendung der Erträge zu Investitionen und Gewinnverbrauch ist eine völlig andere, als die nach der Stellung des arbeitenden Menschen im Produktionsprozeß selbst. Es hat sich nun gezeigt, daß die industrielle Produktion im großen Rahmen sowohl in der freien, wie in der sozialisierten Wirtschaft mit fast ähnlichen Erfolg organisiert werden kann.

Die freien Wirtschaftsformen und die sozialistischen Systeme unterscheiden sich heute wesentlich dadurch, daß das dialektische Verhältnis zwischen Produktion und Verteilung im freien System noch einigermaßen aufrechterhalten ist, in den sozialistischen Wirtschaften aber zerstört wurde. Diese Dialektik besagt, daß sich die Produktion nach der Nachfrage und insofern auch noch in relativer Anpassung nach den nicht konstanten Bedürfnisses und Wünschen der Abnehmer richten muß. Diese Rückkoppelung ist also ein Gegenelement im Verhältnis zu der eigenen Planung der Produktion. Diese Dialektik ist freilich in zunehmendem Maße auch in den freien Systemen gefährdet, weil immer stärker der Bedarf durch Werbung manipuliert und die Befriedigung individueller Wünsche als unrationell abgewiesen wird. Während man hier aber dieses dialektische Verhältnis noch grundsätzlich bejaht, wird es in den sozialistischen Systemen mehr oder minder grundsätzlich bestritten. An die Stelle eines echten ökonomischen Moments tritt das politische Moment der administrativen Zuteilung, die jedem nach seinem

|119|

objektiven Bedarf mit nur relativer Anpassung an seine eigenen Wünsche geben will. Der offenkundige Mißerfolg der Verteilungssysteme ist das Ergebnis der Einführung eines nichtökonomischen, politischen Moments in einen prinzipiell ökonomisch gedachten Verlauf. Angesichts der gewissen Krise dieser Dialektik auch in den freien Systemen wird dieser Gegensatz freilich schon heute stark relativiert.

Es darf dabei niemals verkannt werden, daß das physische Überleben der Menschheit in ihrer heutigen Zahl und die Befriedigung einer Bedürfnishöhe, hinter die niemand mehr zurück gehen will, von der Vollrationalisierung der Industrieproduktion schlechterdings abhängt. Diese Entwicklung ist daher geschichtlich nicht mehr rücknehmbar. Sie hat nunmehr aber auf fast allen Lebensgebieten zu einem personalen Defizit geführt.

Die Aufmerksamkeit hat sich bisher weit überwiegend auf die neue Situation beschränkt, die durch Großbetriebe und Massenproduktion entstanden war, wobei schon weitgehend verkannt wurde, daß diese Produktionsform sich auch in zahllosen übersehbaren Mittelbetriebe organisiert hat. Die Situation des arbeitenden Menschen in dieser Wirtschaftsform wurde zum Gegenstand der grundsätzlichen Erörterung und des ethischen Bemühens bis hin zur Organisation der „human relations”. So viel hier getan werden konnte und in allmählicher Erkenntnis der wirklichen Situation auch getan worden ist, ist die Grundsituation als solche nicht veränderbar. Die Beschäftigung damit darf nicht die parallelen Probleme übersehen lassen, die als unmittelbare Folge für einen sehr großen Teil, mindestens ein Drittel der übrigen Menschheit, dadurch entstanden ist.

Der einzige Wirtschaftsbereich, der sich dieser Situation voll angepaßt und auch die ethische Problematik einigermaßen bewältigt hat, ist der organisierte Verkehr. Die Verkehrsunternehmen aller Art funktionieren überall. Das Bewußtsein auch ethischen Verplichtung bei den hier Tätigen von den Staatsbahnen bis zur motorisierten Güterfernverkehr und zum Luftverkehr, ist im allgemeinen hochentwickelt. So ist markant die Bereitschaft vieler Omnibusfahrer und Flugzeugführer, ihre eigenes Leben zum Schutze der ihnen Anvertrauten aufzuopfern, oft in heroischer Form, etwa in dem Versuch, die Folgen von Flugzeugabstürzen zu vermindern. Dagegen ist chaotisch überall der Zustand des parallel dazu organisierten freien, vor allem Autoverkehrs. Der Massenmord auf der Straße ist das Zeichen dafür, daß die ethische Verpflichtung auch gegenüber dem Verkehrsgenossen in gleicher Lage nur dort zulänglich

|120|

wahrgenommen wird, wo der Einzelne eine institutionalisierte soziale Funktion ausübt, wie der Autobusfahrer im Verhältnis zum Einzelfahrer. Es zeigt sich daran, daß das Gesamtsystem seiner Struktur nach einen ethischen Standard im Grunde nur innerhalb der funktionalen Zusammenhänge in vergemeinschafteter Form durchzuhalten vermag, während der gleichzeitig notwendig auch freigesetzte Einzelne keinen wirksamen Anhaltspunkt für sein Verhalten besitzt, so vernünftig die Forderungen an sich immer sein mögen. Hier setzt bereits das personale Defizit des Systems ein.

In allen Wirtschaftssystemen ist sodann die Landwirtschaft strukturell notleidend. Trotz hoher Rationalisierungsergebnisse hat sie bisher die Produktivitätsgrade der Industriewirtschaft nur in Anfängen zu erreichen vermocht. Dies beruht darauf, daß sowohl der Ackerbau wie die Viehzucht eine unmittelbare Anpassung an die Schwierigkeiten und Besonderheiten der Produktionsmittel erfordert, welche nur dann und bei voller Wahrnehmung dieser Bedingungen den vollen Ertrag liefern. Daraus ergibt sich eine strukturelle Unterlegenheit, die heute noch weitgehend in einer ständig steigenden Überlastung der hier arbeitenden Menschen, vor allem der Landfrauen, sich auswirkt. Das System erlaubt aber nicht eher Hilfe, als bis das allgemeine Lohnniveau ökonomisch erreicht werden kann, also die Kräfte nicht mehr in die produktiveren Wirtschaftszweige abgesaugt werden und abgesaugt werden müssen. Die Industrieproduktion einschließlich der Herstellung der technischen Geräte und des Kunstdüngers entlastet also nicht nur die Landwirtschaft, sondern wird solange zugleich auf dem Rücken der in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen durchgehalten.

Zur modernen Industrieproduktion gehört auch ein ausgebreiteter Service, ein System von Dienstleistungen, welche allein den fortlaufenden Gebrauch und die rationelle Ausnützung der hochwertigen Güter ermöglicht, welche die Industrieproduktion in reicher Fülle anbietet und verteilt. Dieser Service ist vermöge der doktrinären Fixierung des Blicks auf die bloße Produktion in den sozialistischen Staaten fast unentwickelt, in den freien Systemen aber in zunehmendem Maße notleidend. Denn die Reparatur erfordert ebenfalls ein gewissenhaftes und zeitraubendes Nachgehen, die Erfassung der Besonderheiten des einzelnen Geräts und eine erneute Bindung des Arbeitenden an den Gegenstand. Obwohl diese Wartung absolut notwenig, rationell und produktiv ist, kann sie doch den Produktivitätsgrad der Produktion selber nicht erreichen und steht daher unter demselben Druck wie bisher die Landwirtschaft.

|121|

Die Folge ist ein Absinken der Sorgfalt, eine Überlastung der Kräfte und die steigende Verweisung auf die eigene Pflege. Auch hier tritt erneut ein personales Defizit auf. Diese Situation korrumpiert auch das Verhältnis des einzelnen Besitzers zu dem wertvollen Gerät, welches er mit erheblichen Aufwendungen anschafft. Es ist eine fast romantische Überforderung und ein seltsames Paradox, wenn im Zeichen der arbeitsteiligen Wirtschaft nunmehr der Einzelne wieder aufgefordert wird, ein allround-Handwerker zu werden, der wenigstens einen größeren Teil der anfallenden Wartungsarbeiten selbst übernehmen kann. Dies führt aber zugleich zur Störung des Verhältnisses von Besitzer und Besitz. In den untersten sozialen Schichten steigt infolgedessen schon die Bereitschaft, sich bei Beschädigung nicht nur kurzlebiger Wirtschaftsgüter zu entäußern, sondern auch wertvollere Objekte schon dann fortzugeben, wenn sich relativ leichte Schäden zeigen. Die Mühe wird nicht mehr aufgewendet, sie zu beheben, wenn dafür keine Hilfe zur Verfügung steht. Dagegen wird dann die Forderung erhoben, anstelle des reparaturbedürftigen, aber auch reparaturfähigen Gegenstandes einen beschwerdelosen neuen zu erhalten. Die Standardforderung wird auf diese Austauschbarkeit und Mühelosigkeit ausgedehnt. Etwas kraß ausgedrückt: der Mensch nähert sich insofern auf der Höhe der industriellen Gesellschaft dem Menschenaffen, der lernen kann, ein Gerät einzuschalten, der aber nicht lernen kann, es (wieder) herzustellen. Der Mensch unterscheidet sich davon nur dadurch, daß er dies könnte, aber schließlich nicht mehr will.

In zunehmendem Maße werden sodann alle Berufe der persönlichen Dienstleistung notleidend. Aus dem gleichen Produktivitätszwang können sie den Wettbewerb mit Lohnhöhe und Arbeitszeitbegrenzung nicht aushalten. Dies wird in immer stärkerem Maße durch Überlastung der unmittelbar Interessierten ausgeglichen. Der Vergleich der Wirtschaftssysteme ist auch hier aufschlußreich. Die sozialistischen Staaten können für eine kleine Zahl von Hotels und Erholungsheimen, an denen sie als Devisenbringern interessiert sind, also im Grunde aus Erwerbsmotiven, einen zulänglichen Service aufstellen. Im Ganzen genommen fehlt er und kann im breiten Maße nicht dargeboten werden. Aber auch hier beginnt der Gegensatz, sich zu relativieren.

Besonders und zunehmend schwierig ist die Situation der helfenden und pflegerischen Berufe. Zur selben Zeit, wo für Millionen die Arbeitszeit zunehmend herabgesetzt wird, werden diese Berufe in langfristiger Dienstleistung überbeansprucht. Die 48-Stunden-Woche

|122|

ist für einen praktischen Arzt ein fernes, unerreichbares Ideal. Wo versucht wird, auch diese Berufe dem Lohnniveau und der Arbeitszeitbegrenzung anzupassen, steigen die Kosten ins Unerträgliche und wird der Apparat unübersehbar und unlenkbar. Analoges gilt für den Beruf des Anwalts und für alle Berufe der geistigen Vermittlung, welche nicht wie die Schule institutionalisiert werden können. Oder aber es entstehen steigende Anforderungen an diese ergänzenden Tätigkeiten des Redens, Schreibens, Belehrens und Beratens, welche die Tätigkeitsbegrenzung der institutionalisierten Formen nicht übernehmen können. Diese Schwierigkeiten sind auch nicht durch den noch freiberuflichen Charakter etwa des Arztes und Anwalts bedingt. Durch Organisation und Rationalisierung können diese Engpässe nicht beseitigt, sondern nur verdeckt und verschoben werden. Es kann auch etwa der freiberufliche Anwalt seine Tätigkeit nicht von sich aus begrenzen. Er muß bis an den Rand seiner Arbeitsfähigkeit tätig sein, weil jede Beschränkung den umgekehrten Effekt seines Ausscheidens aus dem Wettbewerb hervorruft. Vollends ist Hilfe in unmittelbarem Sinne überall dort nahezu unerreichbar geworden, wo sie sich im Einzelnen vollzieht und weder rationalisiert noch institutionalisiert werden kann, wie in der Hauspflege und häuslichen Krankenpflege.

Die Folge der modernen Wirtschaftsorganisation ist also auf fast allen diesen Gebieten ein personales Defizit, wobei die speziellen Probleme des direkten Verhältnisses in der industriellen Produktion verhältnismäßig noch am ehesten gesichtet werden und angegriffen werden können. Charakteristisch ist aber weiter, daß diese strukturellen folgen infolge des Übergewichts und der Spitzenbedeutung der industriellen Produktion auch bei deren sozialpolitischer Fortentwicklung nicht gesehen, sondern aus dem Bewußtsein verdrängt werden. Die Forderung fortschreitender Arbeitszeitverkürzungen wird weitgehend ohne Rücksicht auf die parallele Frage vorangetrieben, welche Folgen sie für alle anderen ökonomischen und sozialen Zusammenhänge mit sich bringt. Die Freistellung von der Arbeit wird als solche zu einem undiskutierten, absoluten Wert, dessen Entstehung und Begründung der Untersuchung bedürfte.

Der Marxismus hat mit treffsicherem Blick jene Leitfunktion der Industrieproduktion gesehen und dogmatisch auf die Schwerindustrie konzentriert, weil in der Verbrauchsgüterindustrie ja immer noch der für ihn systemfremde Rückstau vom Bedarf sich aufdrängt. Aber im Grunde genommen wird überall in der gleichen Einseitigkeit von diesem Leitmotiv her gedacht und verfügt.

|123|

Es liegt auf der Hand, daß dieses personale Defizit nicht unter Rückgriff auf vorindustrielle Lebensformen gedeckt werden kann. Aber es ist noch nicht einmal in den Blick gekommen. Auch ohne die doktrinäre Vorbelastung der marxistischen Theorie wird genauso einseitig von der dominierenden Funktion der Produktion her operiert. Der Marxismus ist dabei eine Lehre, welche diese Umsetzung des Systems sehr treffend erkannt, aber gleichzeitig alle Übergänge, Milderungen und Parallelprobleme gewaltsam aus seinen Erwägungen ausgeschaltet hat. Er hat immer gerade diejenigen Dinge forciert, die in ruhiger Entwicklung aus der Notwendigkeit kommen mußten. Er hat durch diese Forcierung aber alle Nachteile und Schäden potenziert, die in einer langsameren Entwicklung wenigstens abgemildert und teilweise abgefangen werden könnten. Er hat gewissermaßen die moderne Situation mit Gewalt in ihre Schwierigkeiten hineingeführt, die Erkenntnis dieser Schwierigkeiten aber aus ideologischen Gründen von sich gewiesen.

Es zeigt sich bei alledem, daß das Verhältnis des Menschen zur Sache, zu seinem rein persönlichen Besitz wie zu den Mitteln der Arbeit, in unmittelbaren Zusammenhang steht zu diesem Verhältnis von Person und Person. Die Trennung beider Relationen voneinander, die reine Versachlichung des Verhältnisses von Person und Sache, die volle expansive Funktionalisierung hat mit ungeheurer produktiver Entfaltung und Lebensermöglichung zugleich das Verhältnis von Person zu Person in seinen konkreten Inhalten in Frage gestellt. Eine grundsätzliche Disproportion ist gerade deswegen entstanden, weil man dem Verhältnis von Person zu Person mit gleicher dogmatischer Reinheit gegenüberstellte.

Diese jetzt deutlich gewordene Lage ermöglicht jenseits der sekundär gewordenen ideologischen Scheidungen überhaupt erst eine Prüfung und Interpretation. Ohne diese in Betracht zu ziehen, können Erwägungen einer modernen Sozialethik gar nicht angestellt werden. Diese steht nicht im Raum freier ethischer Entscheidungen einzelner Subjekte. Auf alle Fälle können die Grundsätze persönlicher Freiheit, personaler Würde und aller Proklamationen in der UN-Charta nicht als eine adäquate Antwort auf die gegenwärtige Situation verstanden werden. Sie bezeichnen eine Art Mindeststandard, aber nicht das Problem selbst.

Bis in die Gegenwart, bis zur vollen Durchsetzung der Industriewirtschaft, war der Mensch für den Menschen da und auch tatsächlich vorhanden — unter schwerem Mißbrauch der nicht Selbständigen,

|124|

insbesondere der unverheirateten Familienmitglieder in der Sphäre der Agrar- und Kleinbetriebe. Dies war in hohem Maße bedingt durch eine hierarchische und patriarchale Struktur der Gesellschaft, wenn auch keineswegs allein. Es war weiter bedingt durch andersgeartete ökonomische Strukturen. In beiden fehlten keineswegs ergänzende freie Elemente, welche die Strenge des Systems milderten. Vor allem aber enthielt dieses System — ebenso wie das Verhältnis von Produktion und Nachfrage in der Industriewirtschaft — eine systematische Rückkoppelung, eine Korrelation, Verbindung und Angewiesenheit derjenigen, denen dies zugute kam, zu denjenigen, die zur Verfügung standen. Man braucht hier nichts zu romantisieren, wenn man feststellt, daß streng strukturell dieses System nicht eingleisig, sondern korrelativ war. In dem Maße, in dem es einseitig verstanden wurde, näherte es sich bereits den ganz anderen Formen der zweckhaften Verkehrswirtschaft.

Nachdem nunmehr der Generalsatz gilt, daß der Mensch dem Menschen nicht zur Verfügung stehen soll, außer in Freiheit, ist er mit steigender Tendenz überhaupt nicht mehr für ihn da, weil er in der arbeitsteiligen Funktion aufgeht. Denjenigen aber, die mit oder ohne ökonomischen Nutzen noch in früherem Sinne für den Menschen da sind, wird dies in strukturellem Maße ständig durch Überlastung erschwert, wobei die Frage offenbleibt, ob diese sozialen Formen einmal durch Überlastung zum Erliegen kommen. Ethische Forderungen, von der ethischen Phrase ganz zu schweigen, haben sich jedenfalls als unfähig erwiesen, die konstruktiven Schwierigkeiten des Systems in einem bedeutenden Maße zu beeinflussen. Im Gegenteil ist die Verweisung auf das vom je Einzelnen Wahrzunehmende, mit der Struktur des Systems nicht zusammenhängende sittliche Gebot nur eine Funktion der Systemumbildung selbst, die sich blind vollzieht, aber nicht hilft. Sie setzt gerade eine grundsätzliche Trennung des ethischen Subjekts von den äußeren Bindungen seiner Existenz im sozialen System voraus, so daß die Unfruchtbarkeit sozusagen mitgeplant, jedenfalls von vornherein mitgegeben ist. Sie ist system-adäquat, aber nicht hilfreich.

Das personale Defizit als strukturelle Erscheinung illustriert die Aporie, die oben entwickelt wurde. Jede Aussicht, ihr zu begegnen, hat die Offenlegung der Sachverhalte zur Voraussetzung. Die Weigerung jedoch, die Aporie zuzugestehen, führt zu immer neuer utopischer Zukunftsromantik, und hindert, jene Wunden wenigstens zu verbinden und auf Heilung bedacht zu sein.