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von D. Dr. Hans Dombois
Evangelische Studiengemeinschaft/Heidelberg
Sie haben mich um ein kirchenrechtliches Referat als eine Art Gutachten in einem Streit gebeten, der in der dänischen Kirche ausgebrochen ist und deren Öffentlichkeit beschäftigt. Der Sachverhalt ist einfach. Ein der Volkskirche angehöriges Ehepaar bringt sein Kind zur Taufe. Der zuständige Gemeindepfarrer verweigert die Taufe, weil die Eltern nicht die Bereitschaft oder Gewähr für die christliche Erziehung des Kindes bieten. Das Kirchenministerium belangt den Pfarrer über den Bischof disziplinär unter Androhung der Amtsentlassung auf Grund der Auffassung, daß in der Volkskirche eine unbedingte Taufpflicht des Pfarrers bestehe. Über die theologische Seite des Falles hat auf Anforderung Prof. D. Edmund Schlink in Heidelberg unter dem 9. 7. 1974 ein Gutachten erstattet, dessen Text auch veröffentlicht worden ist. Ich trete diesem Gutachten voll bei. Schlink hat die Tauflehre der lutherischen Kirche dahin ausgelegt, daß wegen des notwendigen Zusammenhangs von Glauben und
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Taufe Hindernisse bestehen können, die zum Aufschub oder zur Verweigerung der Spendung führen. Er verweist auf die einschlägige Bestimmung in der Lebensordnung der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, wo es heißt:
“Die heilige Taufe wird in der Regel an allen Kindern vollzogen, für die sie begehrt wird. Wenn jedoch Vater und Mutter sowie die vorgesehenen Paten das Evangelium offenkundig verachten und sich ausdrücklich weigern, die Verpflichtung zur christlichen Erziehung zu übernehmen oder bereits getaufte schulpflichtige Kinder an der evangelischen Unterweisung teilnehmen zu lassen, so muß die Taufe zurückgestellt werden. Die Entscheidung trifft der Pfarrer…”.
Entsprechende Bestimmungen finden sich in den Ordnungen anderer lutherischer Landeskirchen in Deutschland. Es handelt sich nicht um eine Besonderheit, sondern um eine allgemeine Lehrtradition im Bereich des lutherischen Bekenntnisses.
Was aber liegt kirchenrechtlich vor, wenn ein Pfarrer in einem solchen Falle sich selbst und den Beteiligten Fragen stellt und je nach dem Ergebnis entscheidet, statt einfach zu taufen? Er übt, rechtlich betrachtet, die geistliche Jurisdiktion seines Amtes aus. Was heißt das? In Art. 28 der Augsburgischen Konfession ist unter dem Titel „De potestate ecclesiastica” die Unterscheidung zwischen potestas iurisdictionis und potestas ordinis, die sog. „vetus partitio” (vgl. Apologie zu Art. 28), ausdrücklich rezipiert. Sie ist an dieser Stelle auf den kleinen Kirchenbann bezogen. Die beiden Begriffe bezeichnen jedoch überhaupt die beiden Seiten der Kirchengewalt.1
1 Vgl. Dombois, Das Recht der Gnade. Ökumenisches Kirchenrecht I, Kap. 13, 2. Auflage, Witten 1969. Band II, Bielefeld 1974.
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Was heißt hier nun „potestas iurisdictionis”? Der Nichtjurist denkt hier zunächst an eine Art Gerichtsgewalt. Das Augsburgische Bekenntnis spricht auch an dieser Stelle von „Gerichtszwang”. Es handelt sich aber weit allgemeiner um die notwendige Entscheidung jedes Amtsträgers der Kirche über die Angezeigtheit seines geistlichen Handelns. Der Pfarrer, der durch die Ordination berufen und bevollmächtigt ist, das Wort Gottes zu verkünden und die Sakrament zu verwalten, muß bei jeder Handlung prüfen, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Dies hat — gerade auf die Taufe bezogen — guten biblischen Grund. Wir finden schon in Acta 8 den Bericht über ein Glaubensgespräch zwischen dem Apostel Philippus und dem sog. Kämmerer aus dem Mohrenland. Der Kämmerer beschäftigt sich auf der Reise mit der Heiligen Schrift. Ihm legt Philippus das Evangelium aus. Am Ende aber findet sich die berühmte Frage des Kämmerers: „Was hindert’s, daß ich mich taufen lasse?”. Philippus erfragt darauf von ihm das Bekenntnis des Glaubens und tauft ihn auf der Stelle. Die Frage „ty kolyei” ist nach Oskar Cullmann ein Bestandteil allerältester Taufliturgie.2
Jene Frage aber „Was hindert’s” muß sich der Pfarrer in jedem Falle seines geistlichen Handelns stellen. Sie gehört zu seiner Pflicht. Es geht dabei um eine eschatologische Verantwortung, die ihm
2 Zu den Rechtselementen der Taufe vgl. aaO, Kap. IV, S. 298ff.
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kein königliches Kirchenministerium abnehmen kann. Er darf weder dem Glaubenden willkürlich oder unter falschen Anforderungen die Taufe verweigern, noch darf er sie auf das bloße Begehren ohne weitere Erwägung einfach geben, weil es ein vorgeschriebener Ritus ist.
Das Wort „kolyein” kehrt übrigens in Kap. X und XI der Apostel-Geschichte wieder. Es geht dort um solche, die den Heiligen Geist bereits empfangen haben und bei denen sich darum die Tauffrage als die Frage der Aufnahme in die Gemeinde stellt. Die Gemeinde soll und darf dem Geist nicht wehren, sondern muß ihn anerkennen. Man sieht die Doppelseitigkeit: auf der einen Seite geht es um den Taufbewerber, den Katechumenen, der auf dem Wege zum Glauben ist, und bei dem geklärt werden muß, ob er getauft werden kann und muß — im anderen Falle geht es um solche, die schon vom Geist ergriffen sind und durch die Taufe in den Leib Christi inkorporiert werden sollen.
Dieser im Wort „kolyein” zum Ausdruck kommende Entscheidungscharakter tritt noch sehr viel radikaler an anderer Stelle hervor. Im Präskript zum Römerbrief schildert Paulus selbst seine Bekehrung. Dort heißen die wesentlichen Aussagen — zusammengezogen — „Kletos apostolos aphorismenos … elabomen charin kai apostolén.” Es wird zunächst also auf die Erwählung zum Apostel abgehoben. „Aphorismenos” schildert den unmittelbaren Vorgang: herausgerissen durch die Hand Gottes aus der großen Tradition des Judentums um derentwillen er die Christen verfolgt hat, auch aus der geistigen Tradition der Antike, in der er
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als ein hochgebildeter Mann stand, umgeworfen wird er in einem zweiten Akt hinzugeführt: er empfängt eine Gnadengabe des Geistes und den institutionellen Apostolat.
Wir finden hier also eine Dualität der Vorgänge. Es entspricht der Herausnahme aus dem bisherigen naturalen oder geschichtlichen Zusammenhang als zweites die Einordnung in den geistlichen Zusammenhang, in den Leib Christi und die communio sanctorum, die Kirche. Deswegen besteht die eine große Linie der rechtlich relevanten Handlungen der Kirche, also des Kirchenrechts aus existentiellen Gründen dieser Dualität des Herausnehmens und Zuordnens. So ist es auch im Taufritus selbst: Hier gehen die abrenuntiatio und der Exorzismus voraus — ihnen folgt der Akt der Taufe, durch den der Täufling in Christus einverleibt wird. Dieser existentielle Vorgang ist rechtssoziologisch und rechtlich als personale Institution zu begreifen. Diese setzt Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten voraus und bewirkt dann die Eingliederung in den gewählten Lebenszusammenhang.
Den strukturellen Aufbau der Taufe finden wir wieder in den Ordination zum Amt. Wer in das Amt kommen soll, muß zunächst durch die Berufung aus der Gesamtheit und den übrigen möglichen Bewerbern ausgesondert werden. Andere müssen ihm bezeugen, daß sie ihn für berufen und geeignet halten, ihn auch wählen; nach einer besonderen Vorbereitung wird er dann durch die Ordination in das Amt gesetzt und bevollmächtigt. Wenn wir von Ordination sprechen, so
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benötigen wir nicht den ordo-Begriff der römischen Beamtenhierarchie, aus dem er stammt, — auch nicht die Spekulation auf eine intelligibele göttliche Weltordnung. Ordination heißt nicht mehr und nicht weniger als Einordnung in den geistlichen Zusammenhang und Aufbau der Kirche.
Diese Strukturen der personalen Institution finden wir auch im außerkirchlichen Raum, weil sie zur Konstitution des Menschen gehören. Wir finden sie bereits in der Genesis, wenn es heißt: “Darum soll der Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen”.3
Obwohl und weil diese Anschauung aus einem patriarchalischen Vorverständnis stammt, wird gerade dem Manne zugemutet, daß er mit der Tradition seiner Familie bricht, daß er dem Weibe anhängt und nicht umgekehrt. Weil bei ihm die Initiative ist, muß er den Bruch der Tradition vollziehen; erst durch ihn hindurch kommt er zur Ehe und erst auf diesem Umwege kommt er in den genealogischen Zusammenhang zurück. Er vererbt also nicht linear und kausal eine Potenz, sondern er muß sich umgekehrt an das Andere wagen. Die Existenz geht immer durch einen Bruch in das Neue und kehrt durch diesen hindurch in die Tradition zurück.
Die im Bekenntnis rezipierten Begriffe von iurisdictio als Entscheidung und ordo als Einordnung sind also nicht die Anwendung klug erfundener Normen, sondern der Vollzug existentieller Lebenszusammenhänge.
Nun wäre weiter zu fragen, welche Konsequenzen es hat, wenn der Pfarrer auf Grund dieser notwendigen
3 Gen 2, 24.
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Entscheidung die Taufe aufschiebt, von gewissen Bedingungen abhängig macht oder endgültig ablehnt. Ich gehe jetzt der Frage nach, auf welcher Rechtsgrundlage sich das Kirchenministerium befindet, wenn es die These vertritt, das Mitglied der dänischen Volkskirche habe als solches das unbedingte Recht, die Taufe seiner Kinder ohne jede weitere Voraussetzung zu verlangen. Das Kirchenministerium hat nicht zum ersten Mal diesen Standpunkt vertreten und mindestens der zuständige Bischof hat ihm sich zu eigen gemacht. Zur Begründung des Standpunktes des Kirchenministeriums gibt es meines Erachtens drei wesentlich verschiedene rechtliche Möglichkeiten, die ich jetzt nacheinander behandeln will.
1. Es ist zu fragen, ob das Kirchenministerium hier Rechte ausübt, die ihm durch den Übergang von Rechten des Königs als summepiscopus, auf die demokratisch gewählte Regierung zugewachsen sind. Dazu ist die Rechtslage zu erwägen, welche die lutherische Reformation nicht nur im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, sondern auch in den übrigen, dem Augsburgischen Bekenntnis folgenden Staaten zur Folge gehabt hat. Der Übergang der bischöflichen Gewalt auf den Fürsten als summepiscopus und praecipuum membrum ecclesiae beruhte auf der Voraussetzung, daß die christlichen Länder zweigliedrige Körper waren. Diese Verzahnung bestand insbesondere darin, daß niemand Bürger eines solches Landes sein konnte, wenn er nicht der anerkannten christlichen
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Kirche angehörte. Ebenso wurde die Aufrechterhaltung der rechtgläubigen christlichen Kirche als eine Bedingung eines wohlgeordneten politischen Gemeinwesens angesehen. Als rechtgläubige Kirche aber kam bis dahin allein die Obödienz dem römischen Papstes in Betracht. Von der kultusrechtlichen Sonderstellung der jüdischen Kultusgemeinde kann ich hier absehen. Trat nun eine Bekenntnisbildung auf, welche Rechtgläubigkeit beanspruchte, die Obödienz des Papstes aber bestritt, so entstand die Frage, ob eine solche Kirche rechtens in einem christlichen Lande existieren könne. Nur, daß die Fürsten es übernahmen, das Augsburgische Bekenntnis zu vertreten, begründete die Möglichkeit einer rechtlichen Existenz der Kirche in einem damaligen Gemeinwesen. So heißt es auch im Augsburger Reichstagsabschied, daß man die Anhänger der Augsburgischen Konfession dulde, weil und soweit die Fürsten und Magistrate der Reichsstädte “es sich getrauten, dies vor Gott und kaiserlicher Majestät zu verantworten”. Damit war eine Art Remis geschaffen. Die römische Kirche blieb im Prinzip die orthodoxe, allein legitime Kirche. Daneben gab es aber nunmehr lutherische Staaten, in denen Fürsten und Magistrate die staatsrechtliche Verantwortung für das Vorhandensein von Kirchen übernahmen, die nicht der römischen Obödienz folgten. Darauf beruhte, daß auch die Fürsten auf die Bekenntnisgestaltung einen Einfluß gehabt haben: nicht weil sie das Lehramt der Bischöfe und Theologen übernommen hätten, sondern weil sie staatsrechtlich für diese
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theologischen Grundsätze hafteten. Das hat dann auch zu dem verhängnisvollen Satze geführt: “Cuius regio eius religio”, wonach jedenfalls im Reichsverband der Fürst das Bekenntnis ändern konnte. Mit dieser Verantwortung für die Rechtgläubigkeit einer nichtrömischen Kirche übernahmen die Fürsten zugleich die cura ecclesiae, d.h. die Verantwortung für die Aufrechterhaltung eines ordentlichen Kirchenwesens. Sie waren aber immer nur Notbischöfe; sie waren weder berechtigt, die Sakramente zu verwalten, noch — von der oben beschriebenen Bekenntnisfrage abgesehen — über Lehre zu entscheiden. Sie waren auch nicht befugt zu ordinieren. Der summepiscopus besaß also gerade nicht die wesentlichen Merkmale des Bischofsamts. Er war ein Treuhänder, der die beschriebene Verantwortung übernahm und zugleich in die äußeren Leitungsrechte der Bischöfe eintrat. Dies war ein personales Amt, das mit seinem persönlichen Christenstand verbunden war. Daher auch die regelmäßige Vorschrift, daß der regierende Monarch der Konfession des Landes angehören müsse. Diese Verbindung zwischen Konfessionszugehörigkeit und Staatsbürgerschaft aber ist in der Moderne durch die Religionsfreiheit gelöst worden: Staatsbürgerschaft und Kirchenzugehörigkeit decken sich nicht mehr. Unbestritten war in der ganzen Zeit, daß den Fürsten nur die cura ecclesiae, die Fürsorge für das äußere Kirchenwesen, zukam, sie sog. iura circa sacra, niemals aber die iura in sacra, d.h. die Entscheidung über Fragen der Lehre, der Kirchendisziplin und der Verwaltung der Sakramente. Wenn es in dieser
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Lage auch Überschneidungen, Übergriffe und Mißbräuche gegeben hat, denen zu Zeiten des fürstlichen Absolutismus nicht gewehrt werden konnte, so hat doch die Kirchenrechtslehre und die Auffassung der Beteiligten diese grundsätzliche Unterscheidung niemals in Frage gestellt. Wenn nun in einem parlamentarischen Staat das Kirchenministerium Rechte und Pflichte der Verwaltung und der Fürsorge für die Kirche übernommen hat, so kann es nicht in die Rechte und Pflichten eintreten, die der König in seiner personalen Stellung als Monarch hatte. Eine demokratischer Minister kann keine Monarch sein. Es kann also keine Sukzession des Kirchenministeriums in die Rechte des summepiscopus geben, sondern nur ein Teil dieser Rechte, die Verwaltungs- und Fürsorgerechte, kann unter der Voraussetzung der Scheidung von iura circa sacra und iura in sacra auf das Kirchenministerium übergegangen sein.
2. Auf Grund dieser nicht zu Ende bedachten, aber auch nicht bestrittenen Lage könnte das Kirchenministerium auf einer zweiten Ebene argumentieren. Hat es zwar nur administrative Rechte, so wird dabei vorausgesetzt, daß alle Verrichtungen in der Kirche nach den vorfindlichen positiven Gesetzen und Bestimmungen, insbesondere auch den liturgischen Formen exekutiert werden können, so daß darüber keine weiteren Streitfragen mehr vorkommen können. Es geht also immer nur um die pflichtgemäße Vollziehung und Handhabung des geltenden Rechtes. Ausgeschlossen wird aber der Fall, daß diese Bestimmungen in irgendeiner Weise theologische,
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im konkreten Fall zu entscheidende Fragen enthalten. Wenn alles, was der Pfarrer zu tun hat, eindeutig gesetzlich bestimmt ist, könnte dem Kirchenministerium die Aufsicht über alles Handeln des Pfarrers zukommen. Diese Auffassung würde die Rechtsgestalt der Kirche und des kirchlichen Amtes eingreifend verändern. Der Pfarrer wäre ein Staatsbeamter eigener Art, der seine Amtsverrichtungen nach Maßgabe der bestehenden Gesetze und Ordnungen ebenso vollzieht wie jeder Beamte eines anderen Ressorts. Das innere Gefüge der Kirche wäre eine Gesetzeskirche, in der unbeschadet eines gewissen Spielraumes der Wortverkündigung alles durch ein Zeremonialgesetz endgültig geordnet ist. Drittens wären die Glieder der Volkskirche Rechtsgenossen eines Verbandes, denen bestimmte äußerliche Handlungen, gerade auch in Gestalt der Sakramente ohne jede weitere Voraussetzung und Einschränkung als Recht zustehen. Es ist nicht meine Aufgabe darzutun, wie sehr dieses Ergebnis dem lebendigen Sinn des Begriffes Volkskirche widerspricht.
Diese Kirche wäre jedenfalls in sehr viel höherem Maße vergegenständlicht und vergesetzlicht als es die römische Kirche je getan hat. Denn diese mit allen ihren bekannten Mißbräuchen gerade rechtlicher Art, gegen die sich die Reformation gewendet hat, hat sich doch immer grundsätzlich am Begriff des „salus animarum” orientiert und darum bei jedem geistlichen Handeln dem Bischof und Priester eine konkrete, iurisdiktionelle Unterscheidung aufgegeben.
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Diese folgerichtige Begründung des ministeriellen Verwaltung aus einer umfassenden Vergesetzlichung der Kirche beruht nun auf der Voraussetzung, daß es in diesem Bereich keine jeweiligen theologischen Entscheidungen mehr gibt und geben kann. Dies ist jedoch eine bloße Annahme. Es ist eine Art unwiderlegliche Rechtsfiktion (praesumtio iuris et de iure). Aber das Kirchenministerium kann nicht von sich aus die Grenzen seines Verwaltungsrechts bestimmen. Es ist ebensowenig imstande, theologisch auszuschließen, daß hier theologische Entscheidungen impliziert sind. Denn das Kirchenministerium besitzt weder auf Grund eines kirchenrechtlichen Rechtstitels noch auf Grund seiner Zusammensetzung eine Kompetenz, theologische Fragen zu entscheiden. Die Frage aber, ob hier theologische Fragen vorkommen können, ist selbst eine theologische Frage. Das Kirchenministerium ist selbst kein Organ der Kirche, wie etwa eine Kirchenleitung oder Synode oder auch Gemeindeversammlung, die unter gewissen Bedingungen kirchenrechtlich verbindlich über Lehre zu urteilen berufen sind. Welcher theologischer Meinung der Kirchenminister und die Mitglieder seines Ministeriums sind, ob sie theologisch gut oder schlecht beraten sind, ist rechtlich belanglos. Das Kirchenministerium ist selbst kein Konsistorium, sondern ein Staatsorgan mit gewissen Verwaltungsbefugnissen.
In den Zeiten des christlichen Summepiskopats hat es in vielen Territorien Formen der Kirchenleitung gegeben, die der fürstlichen Kirchenverwaltung
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ein theologisches Urteil ermöglichten. Solche Bildungen waren die Konsistorien. Sie waren Kollegialbehörden, in denen fürstliche Räte und Theologen zu gemeinsamer Beratung und Beschlußfassung vereinigt waren. In ihnen war vor der Gewaltenteilung Verwaltung und Rechtsprechung miteinander verbunden. Diese Behörden entschieden kollegial, wurden nicht aber von einem politisch bestellten Minister nach bürokratischer Organisation geleitet. Von dieser eigentümlichen Form der Ausübung des Summepiskopats, in welche bis zu einem gewissen Grade ein Element geistlicher Leitung der Kirche integriert war, kann aber in einem parlamentarischen Staat mit demokratischer Verfassung nicht mehr die Rede sein.
3. Als eine dritte Begründung für das Vorgehen des Kirchenministeriums könnte angeführt werden, daß auf Grund einer bestimmten theologischen und politischen Theorie von Volkskirche die unbedingte Taufpflicht schon seit länger Zeit gegolten habe und in Streitfällen durchgesetzt worden sei. Rechtlich würde dies die Behauptung bedeuten, daß die Kirche eine bestimmte Auslegung ihrer Taufordnung stillschweigend selbst angenommen und rezipiert habe. Unter Rezeption versteht das Kirchenrecht einen pneumatischen Rechtsakt, durch den eine bestimmte geistliche Handlung oder Lehrentscheidung, insbesondere im Zweifelsfalle, als rechtmäßig anerkannt wird. Die Voraussetzung für eine solche Rezeption aber ist immer die volle Freiheit. Die mir bekannten Vorgänge lassen aber erkennen, daß in den früheren
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Streitfällen über die Taufpflicht das Kirchenministerium die Anerkennung seines Standpunktes erzwungen hat, so daß der einzelne Pfarrer mit Gefahr für seine Existenz, in absolutistischen Zeiten sogar gegen den Vorwurf der Unbotmäßigkeit gegenüber dem König seine Entscheidung verteidigen mußte. Das Kirchenministerium hat also selbst die Voraussetzungen für eine freie Rezeption vernichtet, zumal es dieser Kirche an Organen gebricht, die verfassungsmäßig berufen wären, Lehrentscheidungen und Fragen der Disziplin der Sakramente verbindlich zu klären. Die gesamte Rechtsposition des Kirchenministeriums beruht ja gerade darauf, daß es die eigenständige Entscheidung kirchlicher Organe ausschließt und gar nicht erst zustande kommen läßt. Das Verhalten des Ministeriums macht also gerade den freien Rechtsakt unmöglich, auf den es sich berufen müßte.
Die Frage der Rezeption ist auch insofern von kirchenrechtlicher Tragweite, als sie das Verhältnis der dänischen Kirche zu den übrigen lutherischen Kirchen berührt. Eine Kirche welche die unbedingte Taufpflicht als geltendes Recht ihrer Mitglieder anerkennen würde, würde sich der Frage der übrigen lutherischen Kirchen in der Welt aussetzen, ob sie sich noch auf den Boden des Augsburgischen Bekenntnisses befindet. So gewiß die Fälle der Taufverweigerung oder des Taufaufschubs Grenzfälle sind, die gerade in der Vergangenheit verhältnismäßig selten aufgetreten sind, so unzweifelhaft ist doch die Haltung aller auf dem Augsburgischen Bekenntnis gegründeten
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Kirchen. Die Frage stellt sich heute jedoch in ganz neuer Weise und in höherem Grade, weil in breitem Umfange die Mitgliedschaft und Bindung an die Kirche nur noch eine nominelle ist und als ein in Anspruch zu nehmendes Recht, nicht aber als innere Verpflichtung verstanden wird. Die umfassende Debatte, die sich über die Frage der Kindertaufe im gesamten Protestantismus entwickelt hat, beruht ja gerade auf die Tatsache, daß der Glaube der Kindeseltern und ihre ernstliche Bereitschaft zur christlichen Erziehung heute in weit geringerem Maße vorausgesetzt werden kann, als dies in früheren Zeiten der Fall war. Um aber die schwierige Frage zu lösen, wie sich eine Volkskirche in dieser modernen Lage zu verhalten hat, ermangelt es dem Kirchenministerium erst recht an geistlicher Vollmacht und theologischer Kompetenz. Das Kirchenministerium fundiert nicht nur seinen Standpunkt mit der oben gekennzeichneten Rechtsfiktion, sondern unternimmt es zugleich, eine schwerwiegende theologische und seelsorgerliche Frage im Umbruch der kirchlichen Situation durch einen äußeren Rechtszwang zu lösen.
Die drei möglichen Rechtsbegründungen für den Anspruch des Kirchenministeriums halten also einer Nachprüfung nicht stand. Es erweist sich an dieser Grenzentscheidung, daß der bisherige Verzicht der dänischen Kirche, auf Grund des einschlägigen Verfassungsartikels mit Hilfe des Parlaments zu einer eigenständigen Verfassung zu gelangen, eine empfindliche Lücke geschaffen hat. Würde
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allerdings eine rechtlich autonome dänische Kirche der sachlichen Auffassung des Ministeriums in der Tauffrage beitreten, so würde erst recht die oben bezeichnete Kollision mit den übrigen Kirchen des Augsburgischen Bekenntnisses eintreten.
Zu unterscheiden von dem Fall einer einfachen Taufverweigerung im konkreten Fall ist ein anderes mögliches Verhalten des Pfarrers. Ausgehend von der Voraussetzung, daß das Taufverständnis der Gemeinde und der in Frage kommenden Kindeseltern unzulänglich ist, könnte dieser dazu übergehen, der Gemeinde oder allen Kindeseltern den Besuch eines Taufkurses zur Pflicht zu machen. Dies wäre eine Art Analogie zu dem durch die Kirche allgemein geordneten Konfirmandenunterricht. Eine solche generelle Maßnahme würde nicht unter den Begriff der Jurisdiktion fallen. Denn hier handelt es sich darum, den Gemeindemitgliedern generell bestimmte Verpflichtungen aufzuerlegen. Zu einer solchen selbständigen Gestaltung der Gemeindeordnung mit verpflichtendem Charakter ist der Pfarrer jedoch nicht befugt. Er könnte etwas Entsprechendes, so weit er es für notwendig hält, nur im Einvernehmen mit dem Gemeindekirchenrat und auf freiwilliger Grundlage einrichten. Er könnte auch den Besuch eines solchen Kurses nicht zu Bedingung der Taufe machen, solange er imstande ist, sich im Einzelnen auch über die Voraussetzungen der Taufe bei den Beteiligten zu vergewissern. Hier handelt es sich nicht um Ausübung
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der Jurisdiktion, sondern um ein kirchenordnendes Verhalten, welches nur nach Maßgabe der Kirchenverfassung im Allgemeinen zulässig sein kann. Was liegt hier vor? Der Pfarrer versucht, die durch den Taufzwang und auch die sonstige Taufpraxis verdeckte Problematik der Kindertaufe in der Volkskirche aufzudecken. An die Stelle der positiven Rechtsfiktion des Kirchenministeriums stellt er von sich aus die negative Vermutung auf, daß seine Gemeindeglieder über die Taufe unzulänglich unterrichtet sind, und versucht dann, diesen Mangel in der beschriebenen Weise zu beheben. Falsche Mittel zu falschen Zielen rechtfertigen aber nicht falsche Mittel zu richtigen.
Kann aber die einfache Taufverweigerung überhaupt Anlaß zum Einschreiten geben? Vorausgesetzt, daß dem Pfarrer eine Entscheidungspflicht obliegt, kann der Fall eintreten, daß er in der Beurteilung fehlgegriffen hat, die Persönlichkeit der Beteiligten verkennt, an Vorurteilen festhält usw. In jedem Falle haben die Kindeseltern das Recht der Beschwerde an den Probst bzw. Bischof. Ist der Pfarrer im Recht, so muß die Beschwerde zurückgewiesen und versucht werden, die Beteiligten zu überzeugen. Stellt sich heraus, daß nach einem unbefangenen Urteil der Pfarrer irrt, so kann die Folge niemals eine Bestrafung sein. Der Irrtum des Pfarrers ist als solcher niemals Grund zu einer Bestrafung. Der Irrtum des Gewissens oder der Theologie ist kein Delikt. Im übrigen ist ein anerkannter und sehr berechtigter Grundsatz des evangelischen Kirchenrechts,
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wie es sich im deutschen Sprachbereich herausgebildet hat, daß ein Pfarrer niemals gegen sein Gewissen zu einer Amtshandlung gezwungen werden kann. Erkennt also der Vorgesetzte, daß der Pfarrer geirrt hat, und sieht dieser seinen Irrtum nicht ein, so kann die Rechtsfolge nur sein, daß der Pfarrzwang aufgehoben wird und die Kindeseltern die Möglichkeit haben, das Kind durch einen anderen Pfarrer taufen zu lassen.
Wer mit diesen Streitfragen befaßt ist, kann unmöglich verkennen, daß diese Fragen rechtlich in sehr unbefriedigender Weise geordnet sind.
Dies gilt schon für das Verfahren. Das Probsteigericht, besetzt mit einem Zivilrichter und einem Bischof als Berater, kann nur für die Entscheidung von Bagatellfällen oder für Untersuchungshandlungen zuständig sein. Wirkliche Disziplinarfälle erfordern so schwierige Abwägungen, daß das Urteil in einem Kollegialgericht im Wege des Ausgleichs der Meinungen gewonnen werden muß. An einem solchen Gericht fehlt es aber. Die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts kann auch nicht von dem Gutdünken des Ministeriums als Verwaltungsbehörde abhängig sein. Dies widerspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der in allen demokratischen Staaten anerkannt ist. Das Ministerium selbst kann daher auch nicht disziplinar urteilen; es würde in vielen Fällen in eigener Sache richten. Auf diese Weise bleibt als ordentliches Gericht nur das Oberste Gericht als
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Appellinstanz übrig. Auf diese Weise wird aber das Appellgericht zum Instanzgericht — oder jeder Fall zum Grundsatzfall. Es müßte also ein kirchliches Kollegialgericht erster Instanz gebildet werden, welches unabhängig vom Ministerium entscheidet. Diese Gericht müßte neben Juristen auch Theologen einschließen. Das öffentliche Amt des Pfarrers ist eine Strecke weit mit dem des Beamten gewiß vergleichbar. Die Tätigkeit des Pfarrers steht aber unter so besonderen Bedingungen, daß sie mit den Begriffen des Beamtenrechts nicht zureichend beurteilt werden können. Dazu ist die Mitwirkung ordinierter Theologen nötig, die selbst im Amte gestanden haben. Der bisherige Mangel einer in anderen Ländern selbstverständlichen Gerichtsordnung deutet erneut darauf hin, daß der Versuch gemacht wird, alle Verrichtungen und Vorgänge in der Kirche als eindeutig gesetzlich verordnet und insofern unabhängig von ihrem besonderen kirchlichen Charakter beurteilbar zu behandeln. Die Maßnahmen und Strafen, die das Gericht verhängen kann, müßten nach rechtsstaatlichen Grundsätzen auch abgestuft und festgelegt sein. Insbesondere fällt auf, daß in den streitigen Fällen der Taufverweigerung auch in früheren Zeiten immer sofort und allein von der Entlassung aus dem Amte die Rede gewesen ist. Dies deutet darauf hin, daß der Taufzwang auf dem Verwaltungswege aus einer bedeutenden Teilfrage zu einem punctus stantis et cadentis ecclesiae gemacht worden ist. Offenbar ist gemeint, daß hiermit Begriff und Bestand der Volkskirche in dem besonderen dänischen Verstande in Frage gestellt ist.
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In Disziplinarfällen ist zusammen mit einer Abstufung möglicher Maßnahmen auch zu bedenken, daß das Verhältnis ein beiderseitiges ist. Hat der Pfarrer auf Grund seines Amtes sehr bestimmte Verpflichtungen, so hat doch die Kirche gegen ihn ihrerseits eine Schutz- und Treupflicht. Wenn dies heute für jedes bürgerliche Arbeitsverhältnis gilt, so muß es erst recht für kirchliche Ämter gelten. Wer in einem bestimmten Falle und an einer bestimmten Stelle versagt hat, braucht noch nicht an einer anderen Stelle unverwendbar zu sein. Ein einfacher Vergleich mit dem Pfarrerrecht anderer Kirchen zeigt, welches Maß an sinnvoller Ordnung im Dienste der Gerechtigkeit und zum Schutze der Menschen hier erforderlich, aber auch möglich ist.
Ich bin nun weiter gefragt worden: Wie steht in diesem Zusammenhang das Recht der Gemeinde? Diese Frage ist natürlich umgreifender als die Disziplinarfrage, die ohnehin meistens vom Ministerium oder Bischof, seltener von den Gemeinden aufgeworfen wird. Gefragt wurde vor allem: Hat die Gemeinde gegenüber dem Pfarrer ein Abberufungsrecht? Dieses ist rundheraus zu verneinen. Das Pfarrwahlrecht hat in der Tradition der lutherischen Kirchenverfassung keine grundlegende Rolle gespielt. Trotz der Verkündigung des Priestertums aller Gläubigen ist das Interesse der lutherischen Theologie nicht primär auf ein solches Recht gerichtet gewesen, sondern vorzugsweise darauf, das für alles Leben der Kirche konstituierende Wort Gottes auszurichten.
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Wenn der Pfarrer instrumental dem Worte Gottes diente, dann nicht weniger die Gemeinde. In diesem Zuge hat sich eine gewisse Kopflastigkeit des lutherischen Kirchenrechts herausgestellt. Es ist auch keineswegs in allen lutherischen Kirchen ein durchgehendes Pfarrwahlrecht begründet worden. Patronatsrechte und fürstliche Besetzungsrechte haben das Gemeinderecht an vielen Stellen ausgeschlossen. So wenig das Recht der Gemeinde bestritten wurde, so wenig wurde es durchgängig praktiziert. In der alten Kirche was es kanonische Ordnung, daß die Gemeinde den Bischof wählt, und zwar mit dem Gemeindeklerus zusammen ohne ständische Unterschiede. Der Gewählte wurde dann von den übrigen Bischöfen geprüft und nach Anerkennung von ihnen ordiniert. Dieses alte Recht ist erst Anfang des zweiten Jahrtausends in Abgang gekommen, aber nie vergessen worden. War das Gemeindewahlrecht kein fundamentales Interesse des lutherischen Kirchenverständnisses, so ist es doch gute Ordnung, gerade wenn in einem demokratischen Staate das der Kirche eingestiftete demokratische Element auch im Wahlrecht der Kirchengemeinde hervortritt. Dabei entsteht freilich das ernsthafte Problem der Freiheit der Verkündigung. Es ist ein fundamentaler Satz des reformatorischen Kirchenrechts, daß die Verkündigung des Pfarrers von dem Wohlgefallen und der Zustimmung der Gemeinde unabhängig sein muß. Gerade auch diejenigen Kirchen und Konfessionen, die das Recht der Gemeinde so hoch als irgendmöglich gestellt haben, und die dem Geiste der modernen Demokratie
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historisch sehr viel näher gestanden haben als das Luthertum, nämlich Calvinisten, Presbyteraner u.a. haben immer unzweideutig abgelehnt, die Predigt des Pfarrers dem Gutdünken der Presbyter oder der Gemeinde zu unterstellen. Das skandalon des Evangeliums kann nicht von dem Gutdünken derjenigen abhängig sein, die sich ihm stellen sollen. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung, ohne die das Salz dumm wird.
Vor längeren Jahren besuchte mich eine amerikanischer Pfarrer dänischer Herkunft. Er sagte zu mir, ich sollte ein Kirchenrecht für amerikanische Verhältnisse schreiben. Die Pfarrer aller Konfessionen seien dort die Knechte der wichtigsten Kirchenbeitragszahler, die verlangen, daß in ihrem Sinne unanstößig gepredigt wird. Ob das nun große Geschäftsleute, Parteiführer oder Gewerkschaftsbosse sind, spielt dann keine Rolle. Da dort jede Gemeinde sich ihren Pfarrer auf Zeit wählt und ihn nach Vertragsablauf wegschicken kann, kann sie einen schlimmen Druck auf das ausüben, was er zu sagen sich getrauen darf. Eine solche Situation sollte man nicht mutwillig heraufführen. Vielmehr muß zwischen der Unabhängigkeit des Amtes und dem unverzichtbaren Recht der Gemeinde ein sinngerechter Ausgleich gefunden werden. Kirchen mit Öffentlichrechtlichen Status sind hier in einer relativ günstigen Lage, weil in ihnen eine direkte Abhängigkeit von dem Steuerzahler nicht bestehen kann. In Deutschland hat sich ein
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Ausgleich gebildet, der diese Fragen praktisch kaum hervortreten läßt. In den meisten Kirchen gibt es ein alternatives Besetzungsrecht. Bei einer Vakanz wählt die Gemeinde unter Zustimmung der Kirchenleitung, bei der zweiten Vakanz besetzt die Kirchenleitung unter ausdrücklicher Zustimmung des Gemeindekirchenrats. Auf diese Weise können auch Einseitigkeiten der Entwicklung einer Gemeinde durch eine entsprechende Besetzung ausgeglichen werden.
Klar sollte sein: der Pfarrer ist nicht ein Angestellter in der Gemeinde, auch nicht mit langfristiger Amtsdauer. Der Pfarrer wird vielmehr von der Gemeinde in ein Amt gewählt, das der Kirche vorgegeben ist, und dessen Vorhandensein nach Art. V und VII CA ebenso zu den Merkmalen der Kirche gehört wir die congregatio selbst. Es braucht hier zwischen den beiden Elementen der Kirche weder nach der einen noch nach der anderen Seite ein Vorrang behauptet zu werden. Infolgedessen kann und muß die Gemeinde in dieses Amt wählen; sie erfüllt damit ihre Pflicht, selbst mitzuwirken, daß in ihr das Wort Gottes ausgerichtet wird.
Es kann natürlich der Fall eintreten, daß Pfarrer und Gemeinde sich so auseinanderleben, daß ein gedeihliches Zusammenwirken nicht mehr zu erwarten ist. Ob dabei eine Schuld feststellbar ist, ist für die Frage nicht entscheidend. Auch in einem solchen Falle hat die Gemeinde nicht das Recht, den Pfarrer von sich aus abzuwählen; eine verantwortliche Kirchenleitung aber hat das Recht
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und die Pflicht, in einem solchen Falle, auch gegen den Willen und Einsicht des Pfarrers ihm im Interesse des Dienstes zu versetzen. Ein Disziplinarfall ist auch dieses nicht. Es ist also zwischen dienstrechtlichen Verfehlungen, Verletzung der Amtspflicht, des Bekenntnisses und der Ordnung auf der einen Seite und innergemeindlichen Konflikten zu unterscheiden. Das Erste ist eine disziplinargerichtliche, das Zweite eine Frage der Kirchenleitung.
Dies ist aber noch nicht das Ende der Überlegung. Der extreme Fall, daß bestimmte Tendenzen einer Gemeinde zu Beschränkung und Unfreiheit der Verkündigung führen, braucht nicht immer vorzuliegen. Es kann sich auch die Tendenz der Gemeinde so einseitig entwickeln, das wesentliche Dinge des kirchlichen Lebens mehr oder minder ausfallen, weil der Gemeindekirchenrat und Pfarrer die Dinge vernachlässigen. Man hat keine Ader für die Diakonie oder für die Jugendarbeit, die Sakramentsverwaltung wird beiseitegedrängt usf., ohne das es zu formellen Verstößen kommt. Die Gemeinde darf sich aber mit oder gegen den Pfarrer nicht independentistisch in dem Sinne verstehen, daß sie sich im Rahmen einer Pluralität von Richtungen isoliert. Denn jede Gemeinde ist eine Gemeinde Jesu Christi, zu der jeder Christ des gleichen Bekenntnisses Zutritt hat und haben muß. Die Grenzen der Gestaltungsmöglichkeiten sind also dort, wo der Christ des gleichen Bekenntnisses seinen Glauben noch in dieser Kirche wiederfinden kann. Wenn das nicht mehr gewährleistet
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ist, begibt sich die Gemeinde in einen fehlerhaften Zustand und an den Rand der Zugehörigkeit. So wie die dänische Kirche von den übrigen lutherischen Kirchen gefragt werden kann, ob sie noch auf dem unverkürzten Boden des Augsburgischen Bekenntnisses steht, so muß sich jede einzelne Gemeinde fragen lassen, ob sie noch in der Gemeinschaft zunächst der dänischen, aber dann auch überhaupt der lutherischen Kirche im vollen Sinne steht. An dieser gesamtkirchlichen Frage findet das Recht der Gemeinde zur freien Gestaltung ihres Lebens unzweifelhaft ihre eindeutige Grenze.
Bei alledem bleibt im Endergebnis für den Betrachter die Frage, ob die lutherische Kirche in Dänemark auf die Dauer bei der Auffassung bestehen bleiben kann, auf die verfassungsmäßig verbürgte selbständige Gestaltung ihrer Verfassung und die Wahrnehmung eigener Verantwortung für ihr Leben und ihre Ordnung zu verzichten.