III. Kirchenrecht ist lebendiges Recht. Auch das ergibt sich unmittelbar aus dem Grundrecht der Gemeinde, laut dessen sie der Leib ist, dessen Haupt — oder die Gemeinschaft, deren Gesetz der lebendige Jesus Christus ist. Wer Er ist, ergibt sich aus dem in der heiligen Schrift bezeugten und erkennbaren Umriß seiner Person, seiner Geschichte. Aber eben seine in der Heiligen Schrift bezeugte Person lebt: in
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ihrer ganzen Damaligkeit auch heute, auch morgen. Und eben als diese lebendige Person regiert Er seine Gemeinde, erhält Er sie, ordnet Er sie auch: in der belebenden Macht des Heiligen Geistes zu jeder Stunde er selber. Er als der Rechte ist es, der darüber verfügt, was je eben jetzt für sie und in ihr Recht sein soll. Und so hat die Gemeinde bei der Auffindung, Aufrichtung und Betätigung dieses ihres Rechtes ununterbrochen und also immer aufs neue auf Ihn zu hören, auf Sein lebendiges Verfügen zu achten, Seine Weisung zu respektieren: so gestern, so heute, so morgen. Es wird umso gewisser begründetes, klares, festes und also gültiges und brauchbares Recht sein, je mehr seine Entstehung und Anwendung daraus erwächst, daß die Gemeinde in diesem Hören, Achten, Respektieren begriffen ist, je weniger sie bei seiner Auffindung und Handhabung aus der Aufmerksamkeit, der Ehrfurcht, der Willigkeit ihrem Haupt gegenüber herausfällt, je weniger sie der Macht des Heiligen Geistes ausweicht, um dann sicher in allerhand alte oder neue Eigenmächtigkeiten zu geraten. Indem der lebendige Jesus Christus das Gesetz ist, dem sie bei der Auffindung und Handhabung des ihr angemessenen Rechtes gehorsam ist, bekommt ihr Recht, das Kirchenrecht, notwendig seinerseits den Charakter lebendigen, dynamisch bewegten Rechtes. Kein Zeitgeist, keine politischen oder gesellschaftlichen Veränderungen oder Umwälzungen in ihrer Umgebung und erst recht keine eigenen Einfälle und Velleitäten der Christen werden ihr Recht bewegen dürfen. Der Heilige Geist aber, durch den ihr in der Schrift bezeugter Herr zu ihr redet, muß es in Bewegung setzen und in Bewegung erhalten. Dynamik von unten darf auf das Kirchenrecht gar keinen Einfluß haben. In dem Maß, als das geschähe, hörte es auf, Kirchenrecht zu sein. Es wäre und bliebe aber erst recht nicht Kirchenrecht, wenn es für die Dynamik von oben nicht schon in seinem Entstehen und dann in seinem Bestand und in seiner Anwendung weit offen wäre und bliebe. Wir haben dem schon in unseren bisherigen Überlegungen Rechnung getragen, indem wir an allen entscheidenden Stellen von dem in der im Gehorsam stehenden Gemeinde unmöglich zu unterlassenden
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Fragen nach dem für sie und in ihr gültigen Recht geredet haben. Es ist in der Tat so, daß dieses Recht, weil und indem es lebendiges Recht ist, immer aufs neue erfragt sein will durch eine für neue Weisung und Belehrung (nicht von unten, aber von oben!) aufgeschlossene und also zu neuen Beantwortungen willige und bereite Gemeinde.
Willig und bereit zu neuen Beantwortungen — das muß nun doch als erstes hervorgehoben werden. Sie darf sich also durch die Erkenntnis, daß Kirchenrecht nur als lebendiges Recht entstehen und bestehen kann, den Mut und die Lust dazu nicht nehmen lassen, sich auf ihre Frage nach ihm je und je auch bestimmte Antwort zu geben. Nicht eigenmächtig, nicht aus fremder oder getrübter Quelle schöpfend, sondern hörend und gehorsam, aber bestimmte Antwort — konkret gesagt: Antwort in der Bildung kirchenrechtlicher Sätze, noch konkreter: in der Aufstellung und Durchführung von Kirchen-, bzw. Gemeindeordnungen, in denen dieses geboten, jenes verboten, ein Drittes wohl auch erlaubt, bzw. jenem freien, verantwortlichen Ermessen in bestimmter Abgrenzung anheimgestellt wird, in welcher nach bestem Wissen und Gewissen explizite Entscheidungen vollzogen werden. Alles ohne Ziererei auch in juristischer Form und Genauigkeit! Das wäre ja kein echtes Fragen, das als solches in einem processus ad infinitum weitergehen wollte, in welchem die Fragenden sich nie auch antworten, sich nicht je und je auf bestimmte Erkenntnisse und Entschlüsse zunächst festlegen lassen wollten, um dann von ihnen aus weiter zu fragen. Das wäre kein echtes Fragen, in welchem begriffen die Fragenden im Grunde Angst davor hätten, Antworten zu finden, und also solche vorläufige Erkenntnisse und Entschlüsse wagen zu dürfen und zu müssen. Und vor allem: das wäre bestimmt nicht die Dynamik von oben, nicht die Macht des Heiligen Geistes (der bekanntlich kein Skeptiker ist!), durch die sich die Gemeinde von solchem Wagnis zurückhalten lassen würde. So kann und darf es ja auch im christlichen Leben des Einzelnen nicht zugehen, daß er ewig in ethischer Besinnung und Überlegung verweilen und angesichts der übergroßen Tiefe und Schwierigkeit der
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ethischen Aufgaben und Probleme nie zum Ethos, d.h. zur ethischen Entschließung und Tat vorstoßen wollte. Lebendiges Recht heißt nicht gestaltloses, wortloses, in bloßen Instinkten und Gefühlen existierendes, in unkontrollierbaren Eingebungen und Intuitionen sich äußerndes, der juristischen Fixierung und Kodifizierung sich entziehendes Recht. Es kann und wird, wie alles menschliche Recht, auch wichtige ungeschriebene Elemente enthalten; es ist aber durchaus nicht prinzipiell und ausschließlich ungeschriebenes Recht. Es wird sich auch nicht etwa dadurch auszeichnen, daß es möglichst weitmaschig ist, sich tunlichst auf die Angabe allgemeiner Richtlinien beschränkt — und auch nicht dadurch, daß es in seinen einzelnen Bestimmungen — wohl gerade absichtlich! — möglichst dehnbar bleibt, möglichst vielen und verschiedenen Deutungen Raum gibt. Es wird sich als Kirchenrecht auch nicht etwa dadurch kenntlich machen und empfehlen, daß es seine Bedeutung für das Leben der Gemeinde möglichst minimalisiert. Daß es wie alle ihre Lebensäußerungen (das Dogma, die Predigt und die Theologie nicht ausgeschlossen!) nur dienenden Charakter haben kann, heißt nicht, daß ihm keine konstitutive Bedeutung, nur untergeordnete und beiläufige Wichtigkeit zukomme. Es wird gerade als lebendiges Kirchenrecht dem in allen diesen Formen drohenden, groben oder feinen ekklesiologischen Doketismus nicht Vorschub zu leisten, sondern zu widerstehen haben. Indem die Gemeinde sich je und je darüber einigt und ausspricht, was sie hinsichtlich der Form ihrer Existenz als eine irdisch-geschichtliche und also auch sichtbare Gemeinschaft vor Gott und den Menschen für verantwortlich oder unverantwortlich, für Recht oder Unrecht hält, nimmt sie sich selbst genau so ernst, wie sie es auch in ihrem Gottesdienst im engeren und dann auch im weiteren Sinn des Begriffs tun muß. Es geht auch hier — und wie wir sahen: in nächster Beziehung gerade zu ihrem Gottesdienst — um die Gehorsamsfrage. Wo aber diese aufgeworfen ist, da ist nicht abzusehen, wie sie hier mit größerem, dort mit geringerem Gewicht gestellt und beantwortet werden könnte. Kann und darf sich z.B. die kirchliche Dogmatik (indem auch sie sich ihres dienenden
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Charakters und aller ihrer damit gesetzten Grenzen bewußt ist) solche Differenzierung nicht leisten, dann wird sie sie der Gemeinde auch hinsichtlich der ihr notwendigen Rechtsbildung und Rechtspraxis nicht empfehlen können. Nach ihrem lebendigen Recht (in dem vorhin beschriebenen Sinn) hat sie zu fragen — eben nach diesem aber allen Ernstes. Und „allen Ernstes” wird dann heißen: im Wagnis bestimmter Entscheidungen, in welchen sie sich für weitere Entscheidungen offen zu halten hat, die sie aber zunächst nicht vermeidet, sondern rüstig vollzieht. „Allen Ernstes” wird heißen: in der Bemühung, sich dem Stand ihrer jeweiligen Erkenntnis gemäß so deutlich, so eindeutig und präzis wie möglich auszusprechen: in Form von klarem Ja oder Nein auch über die Punkte, die sie einer allgemeinen Regelung ganz oder teilweise meint entziehen zu sollen. „Allen Ernstes” wird heißen: in der Willigkeit zu fixieren und auch zu kodifizieren, was sich nach Maßgabe der Sache und ihrer Erkenntnis der Sache fixieren und kodifizieren läßt und zur Abwehr drohender oder schon eingetretener Unordnung fixiert und auch kodifiziert werden muß. „Allen Ernstes” heißt: aus der Sphäre des unverbindlichen „Es ist mir so” heraustretend, um die nötigen Worte, die hier nun eben juristisch brauchbare Worte sein müssen, ohne Zimperlichkeit, weil zu ihrer Aussprache verpflichtet, auszusprechen und auch aufzuschreiben. „Allen Ernstes” heißt also wirklich: Die Gemeinde hat zu fragen und je und je in aller Form auch zu antworten — zu antworten, um dann weiter zu fragen, aber zu antworten, etwas zu sagen und nicht stumm — vielleicht in einer Fülle erbaulicher Redensarten erst recht stumm! — zu bleiben. Alles, was von der Lebendigkeit kirchlichen Rechtes weiter zu sagen ist, hat den Ernst des konkreten Wagnisses zur Voraussetzung, in welchem es aufzusuchen, aufzurichten und zu handhaben ist — könnte ohne es nur als unfruchtbarer Liberalismus verstanden werden.
Das ist aber das Weitere, was dazu zu sagen ist: es kann alles kirchliche Recht — und wäre der Ernst, in welchem es gesucht und gefunden und aufgerichtet wurde, noch so groß
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— nur menschliches, nicht göttliches Recht (ius humanum, nicht ius divinum) sein wollen. Man kann und muß das auch von allem anderen Recht sagen. Die Erkenntnis Gottes und des Menschen, die zu dieser Unterscheidung und zum Zeichen der sich aus ihr ergebenden Konsequenzen nötig ist, kann aber in der dabei gebotenen Bestimmtheit nicht in jeder menschlichen Gemeinschaft, sondern nur in der christlichen Gemeinde vorausgesetzt werden. Unbedingt und klar kann nur sie wissen, was sie sagt, und was das bedeutet, wenn sie ihr Recht menschliches und nicht göttliches Recht nennt. Alles andere Recht wird sich gegenüber der Gefahr der Konfusion dieser beiden Bestimmungen, der Gefahr seiner eigenen Verabsolutierung als letztlich ungesichert erweisen. Im Kirchenrecht ist sie schon von dessen Wurzel und Wesen, von dem Grundrecht der Gemeinde, von der Herrschaft Jesu Christi über sie als seinen Leib her abgewehrt. Kirchenrecht wird dieses Grundrecht der Gemeinde schlechthin respektieren als die Autorität, im Blick auf die es die Gemeinde zu ordnen, der es diese und vor allem sich selbst in allen seinen Bestimmungen zu unterwerfen hat. Es kann nicht selber dieses Grundrecht sein, kann es nicht ersetzen, kann es auch nicht authentisch interpretieren, kann sich also nicht mit seiner Autorität bekleiden wollen. Es kann nicht vom Himmel her, sondern nur auf Erden wählen, entscheiden, bestimmen, Sätze bilden, aussprechen und in Kraft setzen — gerade wie das ja auch die kirchliche Dogmatik nicht vom Himmel her, sondern nur auf Erden tun kann. Es muß das ius divinum der Christokratie wie als seinen Ursprung, so auch als seine Grenze im Auge behalten, sich selbst also in aller Strenge las ius humanum verstehen. Und gerade indem es das tut, ist es lebendiges Recht in einem Sinn, sie anderes irdisches Recht es darum nicht sein kann, weil es ohne unmittelbares und zwingendes Wissen um diesen fruchtbaren Unterschied und Gegensatz zustandezukommen und gehandhabt zu werden pflegt. Eben dieser Unterschied und Gegensatz ist nämlich fruchtbar, hindert das kirchliche Recht, steril zu werden, wie es die ständige Gefahr alles anderen Rechtes ist, treibt es auf der ganzen Linie vorwärts. Eben
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er ist das Geheimnis seiner Lebendigkeit. Indem es diese Grenze respektiert, stellt es sich nämlich in den Zusammenhang des Lebens der unter der Herrschaft ihres lebendigen Hauptes in ihrer Erbauung begriffenen, der extensiv und intensiv wachsenden Gemeinde: der Gemeinde, die sich selbst aufgeben müßte oder nicht ernst nehmen würde, wenn sie nur ecclesia formata, bzw. reformata und nicht gerade als solche ecclesia semper reformanda sein wollte. Wie sollte sie als solche existieren und sich als solche erkennen, wenn sie sich für ihren eigenen Herrn und also für das souveräne Subjekt des in ihr gelten sollenden Rechtes hielte, statt strikt und ausschließlich der Mandatar Jesu Christi zu sein, der sich ihm auf jeder Stufe seines Weges unmittelbar und neu verantwortlich und verpflichtet weiß? Indem sie als sein Mandatar handelt — und nun eben gerade in Sachen ihres Rechtes als solcher und nur als solcher, indem ihr Recht an ihrem Leben als Leib, dessen Haupt Jesus Christus ist, teilnimmt, wird das Kirchenrecht lebendiges, wachsendes, von jeder denkbaren Formation und Reformation her neu zu reformierendes Recht: eben darin keinem anderen Recht zu vergleichen, ein ius sui generis.
Das bedeutet nun aber Folgendes: Wir setzen voraus, es sei in der christlichen Gemeinde da und da, zu der und der Zeit, in dieser und dieser Situation ihrer innneren und äußeren Geschichte ernstlich nach dem gefragt worden, was in ihrem Leben Recht zu heißen und als solches praktiziert zu werden verdienen möchte: ernstlich und also in jenem Wagnis, sich — nicht ohne Fixierungen und Kodifizierungen — nach bestem Wissen und Gewissen auch konkrete Antwort geben zu lassen und selbst zu geben — ernstlich und also auch in Respektierung ihres göttlichen Grundrechtes und so in voller Klarheit darüber, daß, was sie als Recht jetzt eben gefunden und in Geltung gesetzt hat, menschliches Recht, aber nicht mehr als das ist. Wie wird sie sich zu diesem ihrem gestern erkannten, anerkannten und in Kraft gesetzten Recht heute verhalten? Sie wird — es müßte denn sein, daß sie heute mit dem schlechten Gewissen gestraft wäre, das sie dann aber bestimmt schon bei ihrem gestrigen Entscheiden
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und Handeln hatte — nicht daran zweifeln, daß der Wille, in dem sie gestern entschieden und gehandelt hat, als ihr Wille, gehorsam zu sein, notwendig — sagen wir ruhig: glaubens- und heilsnotwendig und also heilig, gerecht und gut war. Sie wird darum zu ihren Entschließungen und Bestimmungen von gestern, zu den nun eben formulierten und ganz oder teilweise auch zu Papier gebrachten kirchenrechtlichen Sätzen, auch heute stehen — immer genau so, wie es in der kirchlichen Dogmatik mutatis mutandis auch geschehen muß! Sie wird ihr bekennendes Recht von gestern heute sprechen und gelten lassen, d.h. sie wird ihm praktisch Fogle und den nötigen Nachdruck geben. Sie wird nun eben heute als die gestern so und so geordnete Gemeinde weiterleben. Alles so gewiß, als sie gestern nicht geträumt und gespielt, sondern gebetet und gearbeitet hat! Und alles so gewiß, als sie dabei nicht ihrem eigenen oder einem fremden, sondern dem Heiligen Geist gehorsam gewesen zu sein und also heute auf der Linie von gestern her wieder gehorsam zu sein glauben darf. In seiner Freiheit hat und übt sie ihrerseits die Freiheit, das von ihr gefundene und aufgerichtete Kirchenrecht als rechtes Recht in Geltung und in die Praxis zu setzen. Heute! bis morgen, bis auf weiteres! Eben indem sie es in der Freiheit des Heiligen Geistes in Geltung setzt und praktiziert, wird sie es so hoch, aber nun eben doch nicht höher als so halten: Heute! bis morgen, bis auf weiteres! Für ein ewiges oder auch nur für alle Zeiten geschaffenes Werk und gültiges Gesetz wird sie es also nicht halten. Heilsnotwendig, für alle Zeiten und in Ewigkeit feststehende Autorität war und ist das Grundrecht, von dem sie bei der Findung und Aufrichtung ihres Rechtes herkam. Heilsnotwendig war auch der ihr gebotene Wille, von dort her zu denken, sich zu entschließen, schlicht: ihr Wille, Jesus Christus als ihrem Haupt gehorsam zu sein. Aber eben, weil es morgen wieder heilsnotwendig sein wird, Jesus Christus auch hinsichtlich der Gestalt ihres Rechtes aufs neue gehorsam zu sein, aufs neue von diesem ihrem Grundrecht her zu denken und zu entscheiden, wird es die Gemeinde unterlassen, das Werk ihres Gehorsams und also die von ihr
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gestern gefundenen und in Geltung gesetzten kirchenrechtlichen Sätze als solche für heilsnotwendig zu halten und mit göttlicher Autorität zu umkleiden. So ernstlich sie gestern bei ihrer Auffindung gebetet und gearbeitet haben, so fest sie über zeugt sein mag, mit ihnen das Wichtige und richtige getroffen zu haben, so vortrefflich diese sich vielleicht in ihrem Leben schon bewährt haben mögen! Müssen sie denn, um in ihrem Leben Geltung zu haben und brauchbar zu sein, gerade heilsnotwendig sein, gerade göttliche Autorität haben? Mindert es denn ihre Kraft, wenn sie nicht von der Vorstellung umwittert sind, daß sie nun für alle Zeit oder gar ewig Geltung haben müßten? Eben mit diesem Anspruch kann und darf nun einmal als ius humanum kein Kirchenrecht auftreten. Gerade indem es in konkretem Gehorsam von dem heute und hier gegenwärtigen und handelnden Jesus Christus her entsteht, bezieht es sich doch notwendig auf bestimmte Zeiten und Umstände, auf das Leben der Gemeinde in einer bestimmten Etappe ihrer Geschichte, hat es also schon von Haus aus nur eine relative, je diese besondere Notwendigkeit, in der es sich der an anderem Ort und zu anderer Zeit lebenden Gemeinde so nicht darstellen wird. Dazu kommt dann aber vor allem auch das, daß ja der Gehorsam, in welchem die Kirche sich jetzt und hier gerade zu dieser und dieser Rechtsgestalt als der richtigen bekennt, nie und nirgends ein ungemischter, sondern im besten Fall nur ein sehr teilweiser, bestimmt durch allerlei Mißverständnis und verkehrtes Wollen getrübter Gehorsame sein wird, so daß sie von dieser Seite erst recht von ferne keinen Grund hat, dem Ergebnis ihrer Nachforschung und Bemühung Vollkommenheit und also allgemeine und dauernde Gültigkeit, göttliche Autorität zuzuschreiben. Ihr Kirchenrecht wird in allen Fällen ein schon prinzipiell bedingtes und dann nicht nur prinzipiell, sondern auch praktisch fehlbares, verbesserungs- und revisionsbedürftiges Werk sein. Daß sie es ernst nimmt, schließt nicht aus, sondern vielmehr ein, daß sie sich schon bei seiner Entstehung und vom ersten Tage seines Inkrafttretens an bewußt ist und bleibt: es ist unabgeschlossenes Recht. Die Herrschaft Jesu Christi hat sich, indem es
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entstand und nun Bestand hat, nicht erschöpft. Sie hat sich darin keine Grenze gezogen, daß der Gemeinde jetzt und hier diese Erkenntnis geschenkt wurde, daß sie gerade zu diesen Entschließungen angeleitet wurde. Die Gemeinde wird sich, gerade wenn sie sich ihres Glaubens und Gehorsams ihrem Herrn gegenüber in letzter Treue bewußt ist, von dem jetzt und hier erreichten Punkt her für neue Weisung und Anleitung bereit halten müssen. Und daß sie ihrerseits in seiner Schule schon so treu und so viel gelernt hätte, daß sie weiteren Unterrichts und eines besseren Lernens nicht bedürftig wäre, das wird sie ja erst recht nicht meinen können. Wir haben die Aufstellung und Handhabung von Kirchenrecht bereits ein Wagnis genannt. Gemeint ist: das notwendige Wagnis des Gehorsams. Gerade der Mut zu diesem Wagnis kann aber nur dann echt und stark sein, wenn er ganz bewußt der Mut zum Provisorium ist: der Mut zu vorläufiger, bis auf weiteres gelten sollender Ordnung des kirchlichen Lebens. Diesen Mut kann die Gemeinde nur fassen und haben mit dem bewußten und ausgesprochenen (am besten auch in aller Form ausgesprochenen) demütigen Vorbehalt kommender besserer Belehrung und künftig besser zu leistenden Gehorsams und also mit dem Vorbehalt, ihre Hefte von gestern vielleicht nicht erst morgen, sondern heute schon revidieren zu müssen — und mit dem Vorbehalt der Freiheit, dies tun zu dürfen! Er kann nur in Gestalt dieser freien Demut der wahre Mut sein, den sie zur Beantwortung ihrer Ordnungsfrage nötig hat. Eben als Mut in dieser freien Demut ist er der Mut zu den ihr als der Gemeinde Jesu Christi allein angemessenen, von Grund aus lebendigen Recht und zu dessen lebendiger Handhabung. Vor der tödlichen Gleichgültigkeit oder Liederlichkeit der Ordnungsfrage gegenüber und damit vor der tödlichen Unordnung wird sie, indem sie den Mut zum lebendigen Recht faßt, ebenso bewahrt sein, wie vor der tödlichen Überschätzung irgend einer ihrer Beantwortungen dieser Frage: vor der tödlichen Erstarrung in irgend einer neueren oder älteren Tradition, vor der tödlichen Gesetzlichkeit irgendwelcher ein für allemal geordneter Institutionen. Die freie — in der
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Demut gegen ihr Haupt freie — Gemeinde geht, indem sie nach dem für sie maßgebenden lebendigen Recht fragt und indem sie durch dieses nach links wie nach rechts geschützt wird, zwischen den von beiden Seiten drohenden Gefahren mitten hindurch wie jener Ritter zwischen Tod und Teufel. Sie ehrt ihre Vergangenheit, weil sie auch in ihrer Vergangenheit mit und also unter Jesus Christus lebte. Und eben indem sie sie ehrt, blickt sie in die Zukunft, in der sie wieder mit und unter Jesus Christus zu leben begehrt, hofft und gewiß ist. Im Übergang von dort nach hier lebt sie wie überhaupt, so auch hinsichtlich ihrer Rechtsordnung. Sie wird sich gerade, indem sie Übergangsordnung ist, als hilfreich und heilsam — und vor allem: als würdig des Gesetzes erweisen, nach dem sie angetreten, unter das sie gestellt, unter dessen Herrschaft sie die christliche Gemeinde, die communio sanctorum ist, der irdische Leib ihres himmlischen Hauptes.
Es ist, von da aus gesehen, klar, daß es besseres und schlechteres Kirchenrecht geben kann: hier in diesem, dort in jenem Punkt starkes oder versagendes, dienliches oder weniger dienliches, sauberes oder trübes — kurz: richtigeres und weniger richtiges, bzw. unrichtiges Recht: Alles gemessen an der in ihm zu beantwortenden Gehorsamsfrage! Und nun wird sich die christliche Gemeinde faktisch immer und überall — und das im Einzelnen wie im Ganzen — irgendwo in jenem Übergang von Gestern ins Morgen und Deo bene volente als auf dem Wege vom Schlechteren zum Besseren befinden. Ist nun Kirchenrecht lebendiges Recht, so wird das bedeuten: sie wird sich auf diesem Weg immer und überall zu bewegen, sie wird ihn — hoffentlich in der rechten und nicht etwa in rückläufiger Richtung! — zu begehen, sich also vom Schlechteren zu entfernen, dem Besseren zu nähern haben. Es wäre das sichere Anzeichen dafür, daß sie vom Heiligen Geist verlassen, aus der Gehorsamshaltung ihrem Herrn gegenüber herausgefallen wäre, wenn sie sich irgendwo und irgendeinmal nicht in dieser Bewegung befände. Man bedenke noch einmal, wie viel schon jenes Allgemeine in sich schließt: daß sie ihr ganzes Leben als Dienst zu
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verstehen und zu gestalten hat! Man bedenke noch einmal die Fülle der Probleme, die ihr in der Mitte ihres Lebens von ihrem Gottesdienst her und dann wieder gerade im Blick auf diesen gestellt sind! Wo und wann würde sich die Kirche in einer Situation befinden, in der nicht eine ganze Fülle von Fragen — hier diese, dort jene in besonderer Dringlichkeit — auf neue, bessere Beantwortung warten würde? Man bedenke ferner die im einen oder anderen Sinn bestimmt immer und überall aktuelle Spannung zwischen den Möglichkeiten der geforderten Offenheit und der ebenfalls geforderten Bestimmtheit ihrer Rechtsordnung auf der einen und den Unmöglichkeiten des bösen Schlendrians und der ebenso bösen Starrheit kirchlicher Jurisprudenz auf der anderen Seite! Wo und wann hätte die Gemeinde es nich nötig, nach der einen oder anderen Seite (oder auch nach beiden zugleich!) allen Ernstes mit sich ins Gericht zu gehen und also nach Besserung ihres Rechtes auszuschauen und dementsprechend rüstig ans Werk zu gehen?
Und nun kann und wird sie sich, indem sie an diesem Werk ist, an diesem und jenem Ort, zu dieser und jener Zeit in je ganz verschiedenen Stationen jenes Übergangs befinden, denen entsprechend ihr Recht dann wohl auch hier und dort, dann und dann sehr verschiedene Gestalten bekommen kann und wird. Nicht das ist wichtig, ist heilsnotwendig, daß sie sich hier und dort, dann und dann, gerade an dieser Station befindet, wohl aber dies: daß diese ihr immer und überall eine Station ihres Gehorsams und also Übergangs- und nicht etwa Endstation bedeute, daß sie auch im Durchgang durch diese und diese Station wirklich im Gang, auf dem Weg vom Schlechteren zum Besseren begriffen sei und bleibe. Nicht das ist also wichtig und heilsnotwendig, daß ihr Recht jetzt und hier gerade diese und diese Gestalt annimmt und bis auf weiteres behält, wohl aber dies, daß es auch in dieser und dieser Gestalt als lebendiges Recht erkannt, ergriffen und gehandhabt wird: im Gehorsam als das ihr jetzt und hier gebotene, aber schon in seinem Entstehen und dann auch in seinem ganzen vorläufigen Bestand über sich selbst hinausweisende ius humanum — nicht als als ein ius divinum,
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zu dessen Aufrichtung und Durchsetzung sie — ihm als ihrem eigenen Gesetz unterworfen und also nicht dessen Meister! — nun einmal keine Befugnis hat. Sie darf und soll sich, vorausgesetzt, daß es im Gehorsam geschieht, jetzt und hier und bis auf weiteres diese und diese Rechtsordnung geben. Sie darf und soll sich dann auch mit gutem Gewissen und allen Ernstes an sie halten: vorausgesetzt, daß sie dabei aus dem Gehorsam nicht herausfällt, sondern — als ecclesia semper reformanda — für das weitere Anordnen ihres Herrn offen und also zu neuem Gehorsam bereit und also zur Auffindung und Aufrichtung neuer, besserer Rechtsordnung auf Grund neuer, besserer Belehrung willig bleibt.
Geht es nur immer und überall um das lebendige Kirchenrecht, dann sollte auch ein tragbares, ja sinnvolles, ja fruchtbares Verhältnis zwischen den verschieden verfaßten und geordneten Kirchen hier und dort (in dieser und dieser geschichtlichen Situation, d.h. auf dieser und dieser Übergangsstation) nicht unmöglich sein: eine ruhige Einschätzung der eigenen, jetzt und hier bezogenen und gehaltenen Position und damit dann auch eine ebenso ruhige — und darüber hinaus: eine aufmerksame und lernbegierige — Einschätzung der Positionen, die man andere Kirchen beziehen und halten sieht.
Für eine vollkommene und also allgemein, zu allen Zeiten und an allen Orten für jede christliche Gemeinde verbindliche Rechtsform wird man ja da, wo es um lebendiges Kirchenrecht geht, wo man also in jenem Übergang lebt und zu leben sich bewußt und willig ist, auch die nicht halten, die man hierseits für einmal im Gehorsam gegen den Herrn der Kirche wählen und in Geltung setzen und vorläufig respektieren zu müssen glaubt. Eben von daher wird man die Rechtsreformen anderer Kirchen, die man hierseits im Gehorsam nicht gutheißen, nicht wählen, sich auch nicht aufdrängen lassen wollen könnte, mindestens im Licht der Frage betrachten: ob sie dort nicht ebenfalls im Gehorsam — in dem nun eben dort geforderten Gehorsam — für gut befunden, gewählt, in Kraft gesetzt und also rechte kirchliche Ordnung sein möchten? Immer in der Voraussetzung, daß auch sie nicht
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vollkommen, sondern höchst verbesserungsbedürftig sind, daß sie auch dort nicht ernstlich als ius divinum, sondern ehrlich und nüchtern als ius humanum eingeschätzt und behandelt werden! Dieselbe Beurteilung wird aber doch auch da stattfinden müssen, wo man auf der Gegenseite mehr oder weniger deutlich gerade diese Verwechslung wahrzunehmen meint. Wo man sich selber als christliche Gemeinde richtig versteht, da hat man die Freiheit, im gegebenen Falle auch eine solche dem Anschein nach — vielleicht doch mehr dem Anschein nach als in Wirklichkeit — obstinate Gegenseite in meliorem partem, besser zu verstehen als sie sich selbst versteht, um sich dann in ihrer Beurteilung und eventuell im Verkehr mit ihr nach diesem besseren Verständnis zu richten.
Mit „Relativismus” hat das nichts zu tun. Mehr als die aufgeschlossene Frage: ob dort nicht auch der Herr das Wort führen und gehört sein möchte, wird ja in solcher Begegnung zwischen verschieden verfaßten und geordneten Kirchen nicht möglich sein. Und an der Treue des Gehorsams hierseits wird diese Frage nichts ändern können. Daß in Sachen des Kirchenrechtes (wie übrigens auch in Sachen des Dogmas und der Dogmatik — und in welcher Sache nicht?) von der offenbaren Herrschaft Jesu Christi und nicht von irgendwelchen Prinzipien her und also im Gehorsam gedacht und entschieden wird, das ist es, was semper et ubique et ab omnibus verlangt ist. Fügt man sich selbst diesem Verlangen — und weiß man darum, wie unvollkommen man es selber tut — dann hat man die Freiheit, dann steht man eigentlich unter der Verpflichtung, damit zu rechnen, daß Andere es in ihrer ganz anderen Weise auch tun möchten: und das eben auch dann, wenn diese Anderen einem dabei nicht Gegenrecht halten sollten. Man wird sich dann durch sie nur umso intensiver anregen lassen, es selber umso ernstlicher zu tun. Was Paulus zu gewissen Gegensätzen der Lebenshaltung innerhalb der römischen Gemeinde geschrieben hat, dürfte dem Verdacht des Relativismus doch wohl enthoben sein: „Du hast Glauben — habe ihn für dich selbst vor Gott! Wohl dem, der sich nicht richten muß in dem, was er gut heißt!” (Röm. 14, 22). Und Röm. 14, 4: „Wer bist du, der du einen fremden Knecht richtest? Er steht und fällt dem eigenen Herrn. Er wird aber stehen bleiben, denn der Herr vermag ihn aufrecht zu halten”. Vollkommen, weil direkt vom Himmel gefallen oder eben mit dem Grundrecht der christlichen Gemeinde identisch war und ist keine kirchliche Rechtsform: die der neutestamentlichen Urgemeinde (wie immer sie beschaffen gewesen sein mag) nicht und so auch nicht die des westlichen Papsttums und
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auch nicht die der östlichen Patriarchate, so auch nicht die calvinische Vierämter-Ordnung samt der darauf aufgebauten Synodal-Presbyterial-Verfassung, so auch nicht die der anglikanischen, methodistischen, neulutherischen und andern Episkopate, so auch nicht der im Sinn des Kongregationalismus souveränen Einzelgemeinde. Und die verschiedenen Derivate und Variationen dieser Grundtypen waren und sind es auch nicht. Kein Anlaß, hochmütig und schlechthin abweisend von der einen auf die andere hinunterzublicken! Sie können lebendiges, im Gehorsam gesuchtes und in bestimmter Zuspitzung gefundenes Recht und also legitime Rechtsgestalten des Leibes Jesu Christi einmal gewesen, können es auch noch sein und als solche bei aller Problematik, von der sie umgeben sein mögen, auch von den anderen her zu respektieren sein. Aller Anlaß, sich, indem man sich für die Frage danach offen hält, auch die Rückfrage gefallen zu lassen: wie es denn mit dem lebendigen Recht hierseits stehen, ob die Entfernung des Matth. 7, 4 erwähnten Balkens im eigenen Auge nicht doch noch dringlicher sein möchte als die Bekümmerung um den Splitter im Auge des Bruders — ob man nicht endlich und zuletzt gerade von diesem Bruder dieses oder jenes zur eigenen Reformation zu lernen bedürftig wäre? Es ist immer und überall der Perfektionismus, der (wie das Leben des einzelnen Christen, wie die Theologie! auch das Kirchenrecht steril macht. Im aufgeschlossenen und auch lernbereiten Vergleich seiner verschiedenen Gestalten, in der aufrichtigen ökumenischen Begegnung — in der es bestimmt nicht nur zur Auseinandersetzung, sondern auch zu Zusammensetzungen kommen wird — wird und bleibt das Recht der Gemeinde (wie ihre Theologie und Predigt) je in seinen besonderen Gestalten hier und dort fruchtbar. Sie wird keine Kirche davon abhalten, jede vielmehr dazu anregen, von der von ihr erreichten Übergangsstation her aufs neue und mit neuem Ernst ihr lebendiges und so ihr rechtes Recht zu suchen und zu finden.