Bindung und Freiheit in der Ordnung der Kirche nach reformatorischer Anschauung
1959
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I.
Zum rechten Verständnis des Begriffes „Ordnung” ist eine kleine sprachliche Erinnerung nicht überflüssig. Wir hören heute im ersten, unreflektierten Aufnehmen etwas anderes heraus — oder besser: wir hören heute etwas nicht mehr, was Luther und die deutsche Reformation darin hörten. Das Wort hat immer eine doppelte Bedeutung gehabt: eine aktive und eine statische, das Ordnen und das Geordnetsein. Im Mittelalter, wo Ordnung auch Übersetzung von Ordination sein kann, und im 16./17. Jahrhundert werden sie nebeneinander gebraucht — und zwar oft so, daß sie ineinander hinüberspielen —, aber die aktive Bedeutung hat offenbar die Vorhand. Das ändert sich in unserer modernen Sprache so vollständig, daß wir den Begriff ohne Vorsilbe überhaupt nicht mehr aktiv verstehen können: Anordnung, Abordnung, Einordnung, Verordnung, Zuordnung, usw. Dagegen ist Ordnung für uns entweder absolut genommen ein idealer Zustand der Dinge oder ein Ausdruck für bestimmte Relationen: Reihen- oder Rangfolge, Klassen, Gliederungen usw. In der Rechtssprache ist es nur noch als schriftliche Verfügung verwendet: Städteordnung, Hausordnung, Strafprozeßordnung usw. Diese Verwandlung eines ursprünglich doppelseitig geöffneten Wortes unter völligem Verlust seiner starken aktiven Bedeutung in einen Formbegriff bedeutet für unsere Kirchenordnungen und Lebensordnungen einen gefährlichen Sog. Sie rücken dadurch ganz von selbst durch die anonyme Macht der Sprache in den Bereich des Gesetzlichen und Fixierten. Solange der handelnde Sinn, das Anordnen, im Wort Ordnung hörbar ist, stellt sich von selbst die Frage: Wer ordnet an
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— in der Kirche? Und zugleich wird das Jeweilige der Anordnung von selbst sichtbar. Anordnung ist ein geschichtlicher, auf eine bestimmte Situation gezielter Akt. Die Situation kann sich wandeln oder sie kann lange bleiben. Aber der Anordnende ist jedenfalls gezwungen, sie zu studieren nd sich nicht mit einer nun einmal rechtskräftig gewordenen Ordnung zufrieden zu geben. Wer ordnet an? Bei einer rechtlich fixierten Ordnung eine Behörde, ein Parlament, — eine Kirchenbehörde, eine Synode. Dadurch bekommt auch unser kirchliches Ordnungen-machen leicht den Beigeschmack des Statuts, des Unwandelbaren, an dem höchstens die Fachleute zu gegebener Zeit etwas ändern können. Daß es daneben noch andere, ständig ordnende Kräfte im Leben der Kirche gibt — oder geben müßte, läßt sich mit unserem Begriff der Ordnung nicht mehr ausdrücken.
Was das bedeutet, wird sofort klar, wenn man sich Luthers Sprachgebrauch etwas näher ansieht und beobachtet, wie die entscheidenden Fragen daraus von selber erwachsen. Auch bei ihm gibt es den Doppelgebrauch: neben dem statischen, der uns nicht zu beschäftigen braucht, auch den aktiven. Wer ordnet? Gott. Es ist Gottes „Ordnung und Befehl”, daß der eine predigt und der andere hört. Dadurch, daß beide einträchtig diesem Befehl Gottes, wenn auch in verschiedenem Amt, gehorchen, geschieht Gottesdienst, wie Gott ihn geordnet, d.h. befohlen hat1. Umgekehrt gibt es Dinge in der Kirche, die Gott nicht angeordnet hat. Vor allem — das ist die historische Scheidefrage für die Reformation: Es ist nicht „göttliche Ordnung” (An-ordnung), daß alles unter dem römischen Papst stehen müsse, sondern es ist eine lästerliche Lüge wider den Heiligen Geist, darauf die Einheit der Kirche zu gründen2. Was Gott einmal angeordnet hat in seinem Wort, ordnet er immer wieder an, wo das Wort verkündigt wird: das Angebot der Vergebung der Sünden, das Hören, Glauben und Beten. Diese befehlsgemäße Entfaltung des Wortes ist die Weise, in der Gott immer von neuem seine Kirche ordnet und unter Gnade und Gericht aufbaut. Das geschieht durch den Mund von Menschen, die also auch ständig, nicht nur alle paar Jahrzehnte,
1 22; 184, 27. Lutherzitate entstammen der
Weimarer Ausgabe.
2 6; 294, 24.
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die Kirche zu ordnen haben durch Predigt, Schlüsselamt, äußerliche Ordnung, damit alles ordentlich zugeht, und vor allem indem sie Menschen zum Dienst Gottes auswählen und „ordnen” (abordnen). „Das Predigtamt ist ein Befehl, den Gott mit ausgedrückten Worten gegeben hat, das heilige Evangelium zu predigen, Sakramente zu reichen, Sünden zu vergeben, Prediger samt der Kirchen (Gemeinde) zu ordnen, Sünde zu strafen, allein mit Gottes Wort und nicht mit leiblicher Gewalt.” (Melanchthon, Examen ordinandorum)3. Wie es göttliche Anordnungen — das Predigtamt mit allen diesen Aufgaben — gibt, so auch im Unterschied davon menschliche, geschichtlich gewordene. Vor allem, davon wird noch genauer zu reden sein, die Bischöfe sind „von christlicher Gemein Ordnung gesetzt”4.
Wenn nach reformatorischem Verständnis Gott und Menschen in der Gemeinde zu ordnen haben, dann fragt sich, wie sich beides zueinander verhält. Diese Frage ist am brennendsten dort, wo es sich um einen sichtbaren Ordnungsakt der Gemeinde handelt: bei der Berufung und Ordination. Die Kirche: d.h. in Notfällen, die am Anfang der Reformation die Regel waren, die Gemeinde, in Normalfällen die Vertreter des Predigtamtes und die Gemeinde zusammen, wählen aus. Zugleich sind aber die Erwählten damit auch von Gott „geordnet”, ordiniert, und zwar in einem doppelten Sinne: Einmal wird jeder Prediger durch Berufung und Ordination nur bestätigt in dem, was er kraft des allgemeinen Priestertums der Gläubigen schon ist. Gottes Berufung durch die Taufe ermöglicht erst die Berufung durch die Gemeinde. Auch ohne Wahl sind wir zum Verkündigungsdienst berufen. Die Ordination setzt nur in den geordneten, öffentlichen Dienst am Wort ein. Und außerdem sind diese öffentlichen Amtsträger schon vorher durch Gott mit charismatischen Gaben ausgestattet und damit berufen und erweckt. Die Berufung und Ordination bekommt damit notwendig auch den Charakter der Prüfung des Auszuwählenden auf seine geistigen und geistlichen Gaben, ohne die er den Dienst nicht tun kann.
Wenn Kirchenordnung also nicht nur ein gedrucktes Statut — das
3 Corp. Ref. 23, CIV (Werke hrsg. von
Stupperich 6, 240).
4 6; 440, 29.
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muß sie auch sein —, sondern zuerst und ständig göttliches und menschliches Handeln in der Kirche ist, so kann sie nur durch ein Zusammenwirken vielfältiger Charismata zustande kommen. Zur Gnadengabe des Wortes und seiner Zeichen treten die „sonderlichen Gaben und Geschicklichkeiten”, durch die Gott einzelne zum Predigtamt tauglich macht5, und das Charisma der Gemeinde, mit dem sie ihre Lehrer prüft und erwählt. Es kommt dabei nicht darauf an, in welcher Form sie das tut. Die Hauptsache ist, zu wissen, daß Gottes Gnade ständig in einer vielfältigen Weise in der Kirche am Werke ist: nicht nur durch die sogenannten Gnadenmittel im engeren Sinn, auf denen natürlich alles Handeln der Kirche beruht; sondern der Glaube darf es Gott zutrauen, daß er seine Gemeinde auch für die ihr zufallenden Aufgaben instand zu setzen vermag. So gewiß sie ständig von Verführung bedroht ist, so gewiß gibt Gott ihr auch Kräfte, die Geister zu scheiden. Es geht dabei nicht ohne Risiko und Kämpfe ab. Darum muß das Wort Gottes ununterbrochen „zu Felde liegen und kämpfen”. Charisma ist lebendiger Geist. Scon darum muß in der Kirche über die selbstverständliche Grundlage fixierter Ordnung hinaus immer neu das Wirken des Wortes und der Dienst der Liebe auf Ziele, die sich in der Zeit stellen, hingeordnet werden.
Der sprachliche Tatbestand, von dem wir ausgingen, läßt sich noch erweitern durch die Synonyma, die Luther für den Begriff Ordnung in seinem tätigen Sinne verwendet. Er kann dasselbe auch mit Regiment, Herrschaft, Gewalt sagen. Das „mündliche Wort oder Predigtamt” ist Gottes Regiment in der Kirche, sein Szepter, mit dem er in ihr herrscht6. Christus ist ein „Wortkönig”7. Was vom Kirchenregiment zu sagen ist, faßt daher die Augustana (Abschnitt 14) zusammen in einen einzigen Satz über das Predigtamt: Niemand soll „in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder Sakrament reichen ohne ordentlichen Beruf (Berufung)”. Und der Kontroversartikel 28 drückt dasselbe in der dreifachen Gleichung aus: De potestate ecclesiastica (die lateinische Überschrift), „Von der Bischöfe Gewalt” (die deutsche), Lehr- und Schlüsselgewalt: „das Evangelium zu predigen, die Sünde zu vergebend und zu behalten
5 41; 209, 30.
6 41; 123 f.
7 31 I; 362, 2.
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und die Sakrament zu reichen und zu handeln” (der Inhalt)8. Potestas ecclesiastica ist also nicht das Recht eines anonymen Kolletivs, sondern ein Auftrag, den Gott durch Personen erteilt, in der Sache nichts anderes als eine Entfaltung des der Kirche anvertrauten Wortes.
Auch die Zeichen rechter kirchlicher Ordnung sind für Luther, wenn er sie aufzählt, nicht Institutionen, geweihte Gebäude, bestimmte Ämter, Bekenntnisformulierungen, Rechtsformen (z.B. wie in der römischen Kirche die Rechtseinheit), liturgische oder sonstige Ordnungen, sondern lauter Tätigkeiten: predigen, Sakramente reichen, Sünden entlassen und behalten, Prediger berufen, den Glauben öffentlich bekennen, die Obrigkeit ehren, den Ehestand heilighalten, Verfolgung ertragen und für die Verfolger beten. Wo man solches sieht und hört, darf man wissen, daß Gottes Volk da ist. Zeichen sind für Luther niemals nur Symbole, Markierung, sondern Anzeichen eines Geschehens.
II.
Was sich aus dem Sprachgebrauch an grundsätzlichen Folgerungen ableiten läßt, wird durch eine kurze historische Erinnerung bestätigt und veranschaulicht. Luther ist, als er sich zum erstenmal öffentlich zu Wort meldete, nicht ausgezogen, die Kirche zu reformieren, sondern die scholastische Theologie, und zwar in der Hauptsache die scholastische Gnadenlehre mit ihren Voraussetzungen und Konsequenzen (die 98 Thesen der Disputatio contra scholasticam theologiam vom September 1517). Von Kirche und kirchlicher Ordnung ist darin noch keine Rede. Etwas mehr in den 95 Thesen von 31. Oktober 1517, aber doch nur von einem einzigen Stück des kirchlichen Lebens aus: Ablaß und Buße, wenn auch schon mit weittragenden Folgen: geistliche Gleichordnung des Papstes mit jedem Pfarrer, Ablehnung einer von Gott und bis ins Fegefeuer gültigen kirchlichen Jurisdiktionsgewalt, Konzentration auf das Evangelium als den einzigen Schatz der Kirche. Von der Buße wird Luther mit
8 Bekenntnisschriften (19563) 121, 15.
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Notwendigkeit auf den anderen Brennpunkt seiner Kritik an der bestehenden kirchlichen Ordnung weitergeführt: die Autorität des Papstes. Beim Nachdenken über die grundstürzende Verkehrung des Bußwortes Jesu und die furchtbaren Folgen davon, die in der Ablaßpraxis zutage lagen, muß er auf die Frage stoßen, wodurch denn die wahre Anwendung des Evangeliums in der römischen Kirche verhindert werde. Er stieß damit an die Mauern des römischen Systems, von denen die Schrift „An den christlichen Adel” spricht, auf jene Selbstsicherung der Kirche durch die Amtsgewalt des Papstes, der die authentische Auslegung der Schrift für sich beansprucht und durch die geforderte Oberhoheit über das Konzil die Möglichkeit verstopft, die Kirche unter der Autorität einer anderen Rechtsinstanz nach dem Evangelium zu reformieren. Natürlich kann der Papst ebenso wie andere Bischöfe auch evangelisch lehren, er ist nicht kraft Amtes in jedem Falle ein Irrlehrer. Aber er ist kraft Amtes ein Feind der Freiheit des Evangeliums, — der Feind, da er ja die absolute Gewalt in der Kirche für sich in Anspruch nimmt. Er ist der Feind in der Kirche, nicht außerhalb von ihr, und damit der viel gefährlichere. Das ist die Grundlage von Luthers mit Erschrecken gezogener Folgerung, der Papst sei der Antichrist, die wir heute nicht mehr so leicht verstehen können, da uns der eschatologische Vorstellungsbereich, in den sie gehört, verlorengegangen ist. Ebenso konsequent wie vom Bußkonflikt zur Papstfrage wird Luther von dort zu seinem Grundgedanken rechter kirchlicher Ordnung geführt, der im vallen Gegensatz steht zu der angemaßten Autorität eines einzelnen: zur Lehre von dem Priestertum aller Gläubigen. Nach dem, was wir schon über die Charismen Gottes in der Gemeinde gesagt haben, wird klar sein, daß es sich dabei nicht um ein demokratisches Prinzip, um eine Anwendung des antik-spätmittelalterlichen Gedankens der Volkssouveränität auf die Kirche handelt. Sondern es ist eine Konsequenz aus dem Evangelium. Das Evangelium ist zu jedem gesagt, darum jedem Glaubenden anvertraut, der einzige Schatz, den die Kirche besitzt und der heillosen Welt zu bieten hat, darum sind alle dafür verantwortlich. Alle Dienste in der Kirche sind Evangeliumsdienste, keiner kann mehr, keiner kann weniger in
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ihr leisten. Diese Dienste müssen zwar geregelt und geordnet werden, damit des kein Durch- und Widereinander gibt. Aber es kann keine Qualitäts- und Rangunterschiede in der Kirche geben. Ebensowenig wie den Unterschied von Klerus und Laien kennt Luther darum folgerichtig die Verleihung eines Amtscharismas in einer kirchlichen Handlung etwa durch Handauflegung. Auch nachdem die Ordination längst als kirchlicher, von Geistlichen oder Bischöfen vorzunehmender Akt geordnet war, ist sie für Luther nur das kirchliche Gegenstück zu einer öffentlichrechtlichen Bestätigung, „wie ein Notarius und Zeugen eine weltliche Sache bezeugen”9. Die Ordination wird dadurch nicht weltlich. Sondern hier erkennt ein Charisma das andere. Die Kirche bestätigt durch ihre Beauftragten, daß sie den Ordinanden für von Gott begabt und zu seinem Amt berufen ansieht. Aber die Kirche bestätigt, nicht die Amtsträger als solche; und auch sie bestätigt nur.
Die Kirche — das hieß für Luther zunächst und grundlegend immer die einzelne Gemeinde. Luther hat infolgedessen bekanntlich gewartet, bis Gemeinden kamen, die in irgendeiner Weise eine Erneuerung ihres kirchlichen Lebens wünschten: vor allem neue Prediger — das ist bei aller kirchlicher Ordnung für ihn das Entscheidende —, neue Formen des Gottesdienstes (Abendmahl statt Meßopfer) oder eine umfassende Umgestaltung der Gemeindeverhältnisse im Licht des Evangeliums, wie sie als erste die kursächsische Stadt Leisnig von Luther begehrte und erhielt. Gemeinde ist dabei von Luther nicht demokratisch im Zahlenverhältnis verstanden. Vielmehr werden die ersten Schritte rechter Neuordnung oft von einer Minderheit ausgehen, welche nach dem Evangelium leben und handeln möchte. So können Stadträte, Obrigkeiten oder engere Kreise vorangehen, wie Luther z.B. in der grundlegenden Schrift De instituendis ministris (1523) den Rat zu Prag ermuntert, mit der Reformation in Böhmen zu beginnen. Entscheidend ist, wo das Evangelium begehrt und gepredigt wird. Dort ist Gemeinde. Sie darf sich die nötigen Formen schaffen, frei ohne Gewalt. Das Evangelium und der wahre Gottesdienst sollen sich in der Kirche nicht
9 51; 257, 7.
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durch Zwang, sondern durch Ansteckung durchsetzen. Erst wo diese einigermaßen vollständig durchgedrungen ist, kann zur Not mit einigem Druck nachgeholfen werden, wie z.B. bei der Beseitigung des Meßgottesdienstes im Allerheiligenstift in der im übrigen evangelisch gewordenen Stadt Wittenberg. Insbesondere gilt diese Wachstumsfreiheit bei den rein zeremonialen Fragen. „Eine Gemeinde ahme die andere frei nach oder lasse sie bei ihren Bräuchen bleiben, wenn nur die Einheit des Geistes im Glauben und Wort gewahrt wird, wie groß auch die Unterschiedenheit und Mannigfaltigkeit im Fleisch und in den weltlichen Elementen sei.” (An Hausmann 17. November 1524.) Um dieser Freiheit willen riet Luther dem Landgrafen Philipp von Hessen dringend ab von der Einführung der Reformatio ecclesiarum Hassiae der Hornberger Synode von 1526, die wie eine Kirchenordnung und Agende des 19. oder 20. Jahrhunderts alles, was nur vorkommen konnte, zu regeln suchte. Er meinte, Philipp sollte zuerst Pfarren und Schulen mit guten Personen versorgen, und dann sollten 3-6-9 davon versuchen, in 1-3-5-6 Stücken einig zu werden, diese in Schwung bringen, bis andere, schließlich alle nachfolgten. Dann könne man die Ergebnisse in ein kleines Buch fassen, ähnlich wie Mose im wesentlichen auch nur Gewohnheitsrecht aufgezeichnet habe (Brief von 7. Januar 1527).
Nach dieser Richtschnur verfuhr er auch selbst, als nun die große Zahl der Gemeinden und die mancherlei praktischen Schwierigkeiten übergreifende Ordnungen erforderten. Die Vorrede zur „Deutschen Messe” (1526) beginnt fast beschwörend: Die, welche dieser Gottesdienstordnung folgen wollten, sollten kein Gesetz draus machen noch jemandes Gewissen damit verstricken, „sondern der christlichen Freiheit nach ihrem Gefallen brauchen, wie, wo, wann und wie lange es die Sachen schicken und fordern”. Es sei auch nicht nötig, daß ganz Deutschland die gleiche Ordnung hätte, aber „fein wäre es, wenn in einer jeglichen Herrschaft der Gottesdienst auf einerlei Weise ginge und die umliegenden Städtlein und Dörfer mit einer Stadt sich gleich verhielten”10. In diesem Geiste wurde
10 19; 72, 6 ff., 73, 3 ff.
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praktisch in den Visitationen verfahren. Luthers Vorrede zum Unterricht der Visitatoren (1528) betont wieder man wolle damit keine strengen Gebote aufrichten, sondern er begründet die Visitation historisch aus der Bibel und der Kirchengeschichte und „als ein Zeugnis und Bekenntnis unseres Glaubens” — die Schrift enthält ja eine ganze Reihe von Stücken reformatorischer Theologie — und hofft, daß „alle frommen, friedsamen Pfarrer” damit übereinstimmen werden. Selbst der Artikel „Von der menschlichen Kirchenordnung” betont zuerst, es komme aus „unbescheidenem (unüberlegtem, übertriebenem) Predigen” von Kirchenordnung viel Unrat heraus; Buße, Glaube, Seelsorge, Erziehung nach Gottes Geboten seien viel wichtiger. Und wenn dann „bescheidenlich” von Kirchenordnungen im einzelnen gesprochen wird, so geschieht es mehr in allgemeinen als in speziellen Anweisungen, in Ratschlägen („es wäre nützlich und gut”), mit geschichtlichen und biblischen Begründungen und dem ständigen Drängen darauf, dem Volke klarzumachen, warum sich diese und jene Anordnung empfiehlt11. Das Augenmerk ist ständig auf die Personen gerichtet: es wird visitiert, der Zustand erforscht, der Pfarrer und die Gemeinde mündlich unterrichtet und mit den nötigen Büchern, dem „Unterricht”, den Katechismen u.a. versehen und als einzige Dauerordnung eine personale, das Amt des Superintendenten, des Dauervisitators, geschaffen.
Wie bei der Visitation, der zeitweiligen Durchordnung der Kirche, so sind auch die Fixpunkte bleibender kirchlicher Ordnung personaler Art: Pfarrer und Bischöfe. Die Kirche ruht nicht auf Behörden, repräsentativen Vertretungen der Einzelgemeinde oder der Gesamtkirche, genaugenommen auch nicht auf Ämtern, die der Kirche ihre eigene Rechtsform neben anderen Sozialgebilden geben, sondern auf Personen, die bestimmte Dienste wahrnehmen, die das einzige lebenspendende Element der Kirche, das verkündigte Wort, verwalten und weitergeben. Das kann bei der umfassenden Verantwortung der Gemeinde für sich selbst und das ihr anvertraute Gut nur in Wechselwirkung geschehen. Nicht trotz, sondern wegen des allgemeinen
11 26; 200, 10 ff., 222, 9 ff.
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Priestertums ist die geordnete Einsetzung von Priestern notwendig. Gerade weil alle das gleiche Recht haben, soll sich keiner von sich aus „hervortun, sondern sich berufen und hervorziehen lassen”12. Es wäre gegen die Liebe und gegen die Ordnung, sich unberufen in das Predigtamt zu drängen. Es wäre nicht zuletzt auch ein hochgefährliches Spiel, das man einmal mit schweren Anfechtungen zu bezahlen haben wird; und wenn nicht, dann um so schlimmer. Das „Berufen und Hervorziehen” ist Sache der Gemeinde. Ebenso ist auch das Amt des Bischofs von dem Zusammenwirken mit der Kirche abhängig. Die Wittenberger Reformatoren haben einen evangelischen Bischofsstand immer für ein nötiges Erfordernis der Kirche gehalten. Die wenigen Bischöfe, die das reformatorisch verstandene Evangelium aufnahmen, blieben selbstverständlich in ihren geistlichen Funktionen. Das Superintendentenamt war ein Versuch, ein rechtes Bischofsamt wiederzugewinnen. Die Visitation wird von Luther ausdrücklich mit dem Visitationsamt, der vordringlichen Berufspflicht der alten Bischöfe, begründet. „Denn eigentlich heißt ein Bischof ein Aufseher oder Visitator.”13 Die Einsetzung Amsdorfs als Bischof von Naumburg 1542 zeigt dann deutlich genug, wie Luther sich den Aufbau der Kirche dachte. Auch das Amt des Bischofs ist ein Amt aus der Gemeinde heraus und darum unter der Verantwortung der Gemeinde. Als Prediger und Lehrer ist er wie jeder Pfarrer der Gemeinde, die das Recht hat, „Lehre zu urteilen”, Rechenschaft schuldig. Und auch in Fragen der kirchlichen Ordnungen und Zeremonien ist er ebenso wie der Pfarrer an die Zustimmung der Gemeinde gebunden. „Der Bischof hat als Bischof keine Gewalt, seiner Kirche irgendwelche Traditionen oder Zeremonien vorzuschreiben, ohne die ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung der Kirche.”14 Das liegt darin begründet, daß dem bischöflichen Amt genau wie dem Pfarramt um der Ordnung willen gewisse Aufgaben übertragen sind, die eigentlich der Gemeinde selbst gehören. Sie werden für gewöhnlich zusammengefaßt wie in der „Wittenbergischen Reformation” von 1545: Berufung und Ordination
12 11; 412, 31.
13 26; 196, 5.
14 An Melanchthon 21. Juli 1530. Briefw. 5; 492,
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zum Pfarramt, Visitation, Sorge für gute Lehre (u.a. auch durch Bemühungen um die Universitäten und hin und wieder durch Synoden) und gute Zucht (gegebenenfalls mit der Exkommunikation)15. Das sind Aufgaben, welche die Kirche ihnen übertragen, aber nicht abgetreten hat.
Das Zusammenwirken, der notwendige consensus erforderte eigentlich die Ausbildung von Gemeindeorganen, die ihn wahrnehmen konnten. Luther ist damit nicht so weit gekommen wir im Durchdenken der Dienste des Pfarrers oder Bischofs. Sein Kirchengedanke ist nach dieser Seite besonders unabgeschlossen. Vor allem waren ihm Synoden im Blick auf die Geschichte der Konzilien kompromittiert, obwohl er sie grundsätzlich wie auch die Mitwirkung hervorragender Laien in ihnen nicht verwarf. Es begnügt sich damit, daß entweder die Gemeinden als ganze selbst handeln oder durch einen aktiven Kreis, irgendwelche führende Sprecher oder vor allem durch die als Glied der Kirche legitimierte Obrigkeit, Stadträte oder Fürsten. Aber die Ausbildung von Gemeindeorganen mußte auch im lutherischen Raum konsequent einmal nötig werden.
Eine besonders schwierige Aufgabe stellte im ganzen Reformationsgebiet — aber schließlich in der ganzen Kirchengeschichte — die Schaffung von Formen der Kirchenzucht. Luther hat eine kirchliche Zuchtübung immer bejaht und doch nie Organe dafür geschaffen und sie selten geübt. Wenn er in der Formulae missae et communionis (1523) die gesonderte Aufstellung der Abendmahlsgäste im Chor vorschlug, so hatte das neben dem Charakter bewußten Bekennens, den er dem Abendmahlsgenuß geben wollte, auch den Sinn, daß Einspruch gegen unwürdige Kommunikanten erhoben werden konnte. Erst recht galt das von dem privaten Beichtgespräch mit dem Pfarrer, das der Kommunion vorangehen sollte. Beides waren keine festen Formen von Kirchenzucht. Und bei der Aufstellung im Chor fügte Luther sofort hinzu: „Ich möchte allerdings auch hier kein Gesetz aufrichten, sondern nur zeigen, was freie Christen schicklicher- und anständigerweise frei tun sollten.”16 Seine Stellung zur
15 C.R. 5, 601 ff.
16 12; 216, 20 ff.
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Kirchenzucht läßt sich am genauesten umreißen durch zwei Briefe des Jahres 1543. Im ersten vom 2. April spricht er ein rundes Ja zur hessischen Form der Kirchenzucht: zu dem durch die Ziegenhainer Zuchtordnung (1539) eingeführten Kirchenrat (senatus ecclesiasticus), d.h. von der Gemeinde gewählten Ältesten, welche die ihnen bekanntgewordenen groben Sünder vor sich riefen, ernst vermahnten und ihnen schlimmstenfalls öffentliche Mitteilung an die Gemeinde androhten. Der frühere Gießener Pfarrer und spätere Dresdener Superintendent Greser, der diese Ordnung gern auch im Herzogtum Sachsen eingeführt hätte, rühmte davon: „Durch dies Vermahnen ist eine solche Zucht und Furcht in das Volk gebracht, daß sich die Irrenden gebessert und Gott Lob und Dank, es niemals einer öffentlichen Renuntiation noch Bannes hat von nöten getan.”17 Luther schrieb an den Pirnaer Superintendenten Lauterbach: „Wenn ihr das einführen könntet, würdet ihr trefflich handeln.”18 Und ein halbes Jahr später, am 22. Oktober 1543, wandte er sich mit den schärfsten Worten gegen die Kirchenzucht in der Landesordnung von Herzog Moritz, in der die Exkommunikation mit weltlichen Strafen gekoppelt wurde19. Aber auch für den „kleinen Bann” (ohne bürgerliche Wirkungen) hat er aus Sorge vor Zwang und Gesetzlichkeit keine formen geschaffen. Er hat ihn aber in fünf schweren Fällen als Seelsorger verhängt und ein paarmal angedroht19a. Luther steht damit weit entfernt von dem schweizerisch-oberdeutschen-calvinistischen Reformationstyp, der viel Kraft und sehr verschiedenartige Methoden für die Schaffung von Organen der Kirchenzucht aufgewendet hat. Manches davon ist später auch ins Luthertum eingedrungen.
III.
Untersucht man die mannigfachen Ordnungen, die Luther belassen, geschaffen, gebilligt, erwogen und doch nicht durchgeführt hat (wie die Sammlung einer Kerngemeinde derer, „die mit Ernst
17 Beitr. zur sächs. Kirchengeschichte 9, 1894,
S. 106.
18 Briefw. 10; 284, 17.
19 Briefw. 10, 436.
19a Ruth Goetze, Luthers Exkommunikations-Praxis.
Theol. Diss. Berlin (vgl. das Referat in Theol. Lit. Ztg. 1958,
592).
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Christen sein wollen”), auf das Verhältnis von Bindung und Freiheit in ihnen, so muß man sich zunächst noch einmal die drei wesentlichen Elemente kirchlichen Ordnens und Handelns, die bei ihm begegnen, vergegenwärtigen.
1. Kirchliche Ordnung ist Ordnung vom Wort her und auf die Verkündigung des Wortes hin. „Vom Wort her” heißt nicht aus der Bibel. Luther versucht niemals wie die Täufer, Bucer oder Calvin, aus der Bibel kirchliche Verfassungsformen abzuleiten. Die Bibel ist ihm keine Kirchenrechtsquelle. Luther will überhaupt nicht eine Buchordnung aus Büchern machen. Sondern er will dem Evangelium Bahn machen, das immer neu die Kirche ordnet. Ordnung ist für ihn, wie wir sahen, Regiment des „Wortkönigs” Christus, Herrschaft des lebendigen Geistes. „Daß nur Christus verkündigt werde”, ist das einzige Prinzip für den Aufbau der Kirche. Ihm hat alles zu dienen. Weil es um die Verkündigung geht, zielen alle Ordnungsüberlegungen auf Personen. Und es gibt kein Amt und keine Autorität in der Kirche als die, welche aus der Predigt des Wortes entspringen. „Wenn die Bischöfe ... das Evangelium predigen, so sollt ihr sie hören; denn da gebrauchen sie ihre Gewalt. Predigen sie es aber nicht, so haben sie ihre Gewalt verloren und ist ihr Amt schon aus.”20 Es gibt nur eine Urordnung der Kirche: Prediger und Hörer; sie muß innegehalten werden, sonst kann das Evangelium nicht strömen. Freilich so, daß die Prediger zugleich wissen, daß sie Hörer sein müssen, und die Hörer, daß ihnen die Verantwortung für die Predigt mit aufgetragen ist. Nach diesem vom Wort bestimmten Grundprinzip der Kirche bemißt sich der Sinn aller kirchlichen Ordnungen: der Gottesdienst, die Ämter, die Übung der Schlüsselgewalt, die Feste und Feiertage — „Gott fordert solche Kirchenordnungen (Feiertage) von uns nicht anders denn um Lehrens willen” (Unterricht der Visitatoren)21. Wort Gottes heißt dabei immer etwas Bestimmtes: nicht eine Summe der Dinge, die in der Bibel stehen, sondern ihr Nerv, die Vergebung der Sünden durch den Glauben an Christus. Infolgedessen sind für ihn Predigt und Schlüsselgewalt in
20 10 I 2; 246, 22 ff.
21 26; 223, 14.
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der Sache identisch, „also daß ein christlicher Prediger nimmer das Maul auftun kann, er muß eine Absolution sprechen”22. In dieser Konzentration auf das Wort, und zwar nicht nur auf das gedruckte, sondern auf das weitergesagte, sind Bindung und Freiheit untrennbar verwoben. Man kann nicht beides nebeneinander stellen und jedes für sich entwickeln. Sondern die strengste Bindung gibt der Kirche zugleich die größte Freiheit. Sie kann sich immer neue Formen und Wege ausdenken, wenn sie nur der Botschaft der Gnade dienen, die gewiß nicht, ohne von Gesetz und Gericht zu wissen, verkündigt werden kann. In dem Sinne gehört der Kirche alles, wenn sie dem Evangelium gehört. Die Verkündigung braucht Menschen. Darum muß es das erste und alles durchdringende Bemühen der Kirche sein, Menschen für den Dienst am Evangelium zu gewinnen und auszurüsten, nicht nur für das Predigtamt, sondern für jeden, der nur denkbar ist.
2. Der zweite Grundzug rechter kirchlicher Ordnung ist für Luther die Liebe. Es ist wider die Liebe, wenn einer sich das Predigtamt von sich aus anmaßt, da ja alle das gleiche Recht dazu haben; wider die Liebe, wenn man dem ordnungsgemäß Berufenen nicht die schuldige Ehrerbietung beweist. Es ist Luther stets gegenwärtig, daß lieben immer zuerst ehren heißt. Die konkrete Gemeinde ist insoweit communio sanctorum, als sie Liebesgemeinschaft ist. Aber ebenso verpflichtet die Liebe nach außen, gegenüber denen, die noch nicht Christen sind, zu rechter Ordnung der Kirche. Man kann Luthers eigentümlich distanzierte und doch zugleich feste Haltung in der frage kirchlicher Formen nicht verstehen, wenn man sich nicht klarmacht, daß sie für ihn in erste Linie exoterischen, erziehenden und für das Evangelium werbenden Charakter haben. Für Kultgefühle, mit denen man sich selbst erbaut, ist er ganz unempfänglich. Zum Gottesdienst derer, die mit Ernst Christen sein wollen, bedürfe es „nicht viel und groß Gesänges. Hier könnte man auch eine kurze, feine Weise mit der Taufe und Sakrament halten und alles aufs Wort und Gebet und die Liebe richten”. Aber Luther ist alles andere als nur
22 15; 485, 31.
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ein Konventikelhalter. Um derer willen, „die noch Christen sollen werden oder stärker werden ... allermeist aber um der Einfältigen und des jungen Volks willen ... muß man lesen, singen, predigen, schreiben und dichten, und wenn es hilflich und förderlich dazu wäre, wollt ich lassen mit allen Glocken dazu läuten und mit allen Orgeln pfeifen und alles klingen, was klingen könnte” (Vorrede zur deutschen Messe)23. Das kann alles der Einübung in die heilige Schrift und der Verkündigung des Evangeliums dienen. In dem Sinn schreibt er seine deutsche Messe, die ja nicht nur ein liturgisches Formular ist, an das man zumeist dabei nur denkt, sondern zuerst eine Anleitung zum Katechismusunterricht, zu Predigt, Wochen- und Schülergottesdiensten und dann — „des Sonntags für die Laien” (d.h. für die breite Öffentlichkeit auch der Nochnichtchristen) — die erneuerte Messe in aller Ausführlichkeit mit Altargesang und anderem Singen, mit „Meßgewand, Altar und Lichtern ..., bis sie alle werden oder uns gefället zu ändern; wer aber hier anders will fahren, lassen wir geschehen”24. Aber Luther hat nicht geändert. Er war Sinnenmensch und Pädagoge genug, um den Wert dieser Formen zu schätzen, freilich mit der Freiheit, die kein Gesetz daraus macht und ihnen nur einen Hilfsdienst bei der Verkündigung des Evangeliums zuschreibt. Das gibt Luther in allen Fragen der Liturgie und äußeren Ordnungen eine freie Überlegenheit. Er wendet sich auf der einen Seite erbittert gegen einen Gottesdienst wie in der römischen Kirche, der nicht auf die Jugend und die Einfältigen gerichtet ist, sondern bei dem sie „selbst dran kleben und halten ihn für sich selbst nutz und nötig zur Seligkeit”25; und er erträgt auf der anderen Seite auch ein Übermaß von liturgischen Formen und Gewänden mit Humor, wie in dem berühmten Brief an den Berliner Propst Buchholzer (4. Dezember 1539). Dazwischen liegt der geordnete Gebrauch dieser Dinge, den die Liebe und pädagogische Weisheit erfordern.
3. Das dritte Element ist ein ganz profanes: es soll ordentlich zugehen in der Kirche, deshalb müssen gewisse Regelungen getroffen werden. Freiheit vom Gesetz heißt auch Freiheit zur Ordnung. Aber
23 19; 75, 13 ff., 73, 15 ff.
24 19; 80, 25 ff.
25 19; 73, 29.
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ebenso umgekehrt: Ordnung heißt auch Freiheit vom Gesetz. Die Sorge vor der Gesetzlichkeit ist das stärkste Motiv in allem Nachdenken Luthers über das Problem der Ordnung, im weltlichen, wie erst recht im kirchlichen Bereich. Denn hier ist zwei Gefahren zu begegnen: einmal daß Ordnungen und Traditionen ein Eigenwert oder gar ein Heilswert zugemessen wird, der das Vertrauen allein auf die Gnade und auf das Wort aufhebt; andererseits aber weil die Gesetzlichkeit die wahre, gewachsene Ordnung verhindert oder untergräbt. Das gilt für beide Bereiche. Er wendet sich darum in dem schon zitierten Brief an den Landgrafen Philipp vom 7. Januar 1527 mit rein praktischen, aus der Erfahrung gewonnenen Argumenten gegen die Einführung der Reformatio ecclesiarum Hassiae: Gesetze, die man einführt, bevor sie in Brauch und Übung gestanden haben, geraten selten wohl. „Vorschreiben und Nachtun ist weit voneinander... Es ist fürwahr Gesetz machen ein groß, gefährlich, weitläufig Ding, und ohne Gottes Geist wird nichts Gutes daraus. Darum ist mit Furcht (Ehrfurcht) und Demut vor Gott hier zu fahren und dieses Maß zu halten: kurz und gut, wenig und wohl, sachte und immer an.” Wenn solche Gesetze dann eingewurzelt sind, wird man von selbst dazutun müssen, „wie es Mose, Christo, den Römern, dem Papst und allen Gesetzgebern gegangen ist”. Christus unter den Gesetzgebern, — man sieht, wie universal für Luther diese Erfahrung ist.
Freiheit vom Gesetz bedeutet also nicht Willkür, sondern gehört zu den Voraussetzungen dauerhafter Ordnung. Darum ist, wenn man die nötigen Ordnungen in der Kirche machen will, ein gelegentliches hartes Zugreifen nicht ausgeschlossen, allerdings nicht durch Erzwingen des Gehorsams, sondern durch Trennung. Es gibt ja Leute, die ohne Grund ihre eigenen Wege gehen, „wilde Köpfe, die aus lauter Bosheit nicht können etwas Gemeines oder Gleiches ertragen, sondern ungleich und eigensinnig sein, ist ihr Herz und Leben”26. Von solchen muß man sich trennen und darf nicht um ihretwillen die einheitliche Ordnung aufgeben. Aber das ist, wie gesagt, eine Sache der guten Gründe, auf die sie zuvor zu prüfen sind, und
26 26; 200, 22 ff.
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eine Entscheidung, die Fingerspitzengefühl und pädagogische Weisheit erfordert.
Die Absage an jede Gesetzlichkeit, auch eine biblizistische, macht es der Kirche möglich, unbefangen auch geschichtlich entstandene Ordnungen und Formen aufzunehmen und nötigenfalls auch wieder abzulegen. Das bedeutendste Beispiel ist das Bischofsamt. Obwohl die Reformatoren es sehr hoch einschätzen, wissen sie dich, daß es — anders als das Predigtamt, das zur Natur des Evangeliums gehört — historisch und aus praktischen Bedürfnissen vor allem der Städte oder anderer großer Kirchenkörper entstanden ist. Auch Melanchthon, der traditionsgläubiger als Luther war, sagt vom bischöflichen Amt: accessit utilis ordinatio27. Selbstverständlich entsteht eine solche sich bewährende Ordnung auch nach dem Willen Gottes — Gott ist ja nicht nur der Gott der Bibel, sondern auch der Geschichte, im besonderen der Geschichte der Kirche —, aber es können auch neue utiles ordinationes entstehen, welche die alten ergänzen oder ersetzen. Die Kirche wird erprobten und gesegneten Ordnungen mit Ehrfurcht zu begegnen haben, darf ihnen aber kein ewiges Recht zuschreiben.
Ordnungen können, wie sie entstehen, auch verfallen. Auch der Teufel ist eine Macht der Geschichte, insbesondere der Kirchengeschichte. Darum bedarf es der Wahrheit, des ständigen scharfen Blickes für den geschichtlichen Zustand, um Ordnungen auf ihre Tauglichkeit oder Untauglichkeit zu prüfen. Luther schließt seine Schrift über die deutsche Messe: „Ordnung ist ein äußerlich Ding; sie sei wie gut sie will, so kann sie in Mißbrauch geraten. Dann aber ist’s nicht mehr eine Ordnung, sondern eine Unordnung. Darum steht und gilt keine Ordnung von ihr selbst etwas ..., sondern aller Ordnungen Leben, Würde, Kraft und Tugend ist der rechte Brauch, sonst gilt sie und taugt gar nichts.”28 „Der rechte Brauch”, damit versucht Luther die Dialektik von Freiheit und Ordnung zu formulieren: die Freiheit, die sich ordnen läßt, und die Ordnung, die immer offen ist und aufgehoben werden muß — um wahrer Ordnung
27 C.R. 4, 368.
28 19; 113, 13.
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willen. Sie steht dann im rechten Gebrauch, wenn sie das geeignete Mittel ist, das Wort hindurchströmen zu lassen und die tätige Liebe zu erwecken.
IV.
Die Unabgeschlossenheit der lutherischen Kirchenverfassung hat es den Kräften, die aus dem politischen Raum kamen, erleichtert, die Kirche auf einen ihrem Wesen widersprechenden Weg zu drängen, in die Formen der staatlichen Bürokratie. Was nach den vielfachen Ansätzen als Haupttypus der lutherischen Kirchenverfassung übrigbleibt, entstammt letztlich der zentralistischen Behördenreform Maximilians I., die auf dem Wege über das Württemberg Herzog Christophs I. die meisten lutherischen Territorien eroberte. Und wo sich nicht wie in diesen Gebieten eine zentrale staats-kirchliche Oberbehörde herausbildete, wurde die Verwaltung der Kirche meist unmittelbar von den Organen der landesherrlichen Regierung übernommen. Eine Entwicklung, die zu straffer Ordnung und festen Formen führte, deren geschichtlichen Wert man nicht unterschätzen wird, die aber doch der Kirche einen Panzer anlegte, unter dem sie nur schwer frei atmen und sich den Anforderungen der gewandelten Zeiten anpassen konnte.
Daraus ergibt sich die Frage, ob es nicht andere reformatorische Kirchenbildungen gibt, in denen Bindung und Freiheit ein glücklicheres und dauerhafteres Verhältnis gefunden haben. Wenn wir uns dabei auf die reformierte Kirchengestaltung beschränken, weil sie die geschichtlich bedeutendste neben dem Luthertum ist, so tritt einem freilich sofort die dogmatische Starrheit dieser Ordnung im Gegensatz zu der Offenheit, Unabgeschlossenheit der lutherischen entgegen. Die Sicherheit, mit der die vier Ämter (Pastoren, Lehrer, Älteste und Diakone) als biblisches Kirchenrecht deduziert wurden, ist längst als eine unhistorische Schematisierung erkannt. Hier wurde der Heilige Geist an eine bestimmte Form, Presbyterien und Synoden, gebunden; dagegen haben sich die Lutheraner immer mit Recht gewehrt. Aber wer sich zu der lutherischen Freiheit in der Ordnung der Kirche vom Wort her bekennt, kann doch unbefangen die
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reformierten Formen auf ihren sachlichen Gehalt prüfen. Das pseudobiblische System dieser Ämter ist doch nicht willkürlich, sondern es ordnet natürliche Funktionen der Gemeinde: Verkündigung, Erziehung, Selbsttätigkeit und Selbstzucht der Gemeinde, Diakonie. Der Dogmatismus dieser Formen ist illegitim, aber die Aufgaben sind legitim. Es gibt noch andere legitime Aufgaben, welche die Gemeinde als ihre eigensten Aufgaben ansehen sollte (äußere Mission, Fürsorge für schwächere Gemeinden — was man heute stewardship nennt —, Auseinandersetzung mit den geistigen und sozialen Problemen der Zeit usw.). Und man wird die reformierte Kirchenzucht in ihrer Gesetzlichkeit nicht als einen Ausdruck des reformatorischen Verständnisses des Evangeliums ansehen können. Das darf aber nicht hindern, anzuerkennen, daß in den reformierten Formen manches am Leben erhalten worden ist, was zu den Grundfunktionen der Gemeinde gehört. Sie sind wie alles in der Welt und der Kirche dem Mißbrauch ausgesetzt. Wenn die lutherischen Kirchen anfällig waren für Bürokratisierung, für eine katholisierende Amtsüberschätzung, für einen die Verantwortung des einzelnen und der Gemeinde lähmenden Autoritätsbegriff, so die reformierten für Parlamentarisierung, Moralisierung, ängstliche Gesetzlichkeit des kirchlichen Lebens. Man muß die Schäden sehen und doch zugleich einen offenen Blick dafür haben, daß diese Formen oft der reformierten Kirche eine größere Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit verliehen haben.
Vielleicht darf in diesem Zusammenhange gerade in Baden an die Auseinandersetzungen um den Kirchenbegriff, die sich hier im 19. Jahrhundert vollzogen haben, erinnert werden, vor allem an den Mehrfrontenkrieg Hundeshagens gegen das summepiskopale Staatskirchentum, dessen sicheres Ende er mit anderen voraussah, gegen ein hochkirchlich-autoritätsgläubiges Luthertum, gegen den badischen Liberalismus, gegen Rothes idealistische Schwärmerei vom künftigen Aufgehen der Kirche in einem sittlichen Staatswesen. Er führte diesen Kampf aus der Überzeugung, daß dem Luthertum die Bildung einer wirklichen, selbständig organisierten, nach eigenem Wesensgesetz lebenden Kirche noch nicht gelungen sei, sondern nu eines Kirchentums, in dem Staatliches und Kirchliches sich unklar
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gemischt habe. Wohl aber sei es im reformierten Bereich, wenn auch keineswegs immer und überall, zur Bildung wirklicher Gemeinden gekommen. Er meinte, die lutherischen Kirchen würden in den ihnen nach der unvermeidlichen Verselbständigung bevorstehenden schweren Kämpfen von den Erfahrungen der calvinistischen Kirchen in ihrem Ringen mit dem Druck von außen und spiritualistischer Verführung drinnen lernen können. Ich bin weit davon entfernt, mir Hundeshagens Verklärung der Ordnungen der reformierten Kirche, zu der er gehörte, zu eigen zu machen. Aber man braucht heute zum Glück, wenn man Luthers Verständnis von Kirche und kirchlicher Ordnung für die Gegenwart lebendig gemacht sehen möchte, nicht Reformierter zu werden, um die Erkenntnisse und Erfahrungen, die auf diesem Wege evangelischer Kirchengeschichte gemacht worden sind, unbefangen zu prüfen, — in der Freiheit, die sich freilich gerade auch von der reformierten Ämtergläubigkeit unterscheidet. Es kommt auch hier auf den rechten Brauch an. Und es geht nur darum, uns durch einen weiten Blick, der auch andere Kirchenkörper erfassen kann, an Funktionen und Aufgaben der Gemeinde Christi erinnern zu lassen, die diese auf ihre Weise lösen und die wir vielleicht versäumt oder für die wir keine Form gefunden haben.
V.
Bindung und Freiheit in der Ordnung der Kirche nach reformatorischem — das heißt für mich nach einem für andere Erfahrungen aufgeschlossenen lutherischen — Verständnis stellen sich mir so dar: Die Bindung gilt der bleibenden Grundordnung der Kirche, dem Evangelium, das Verkündigung, sichtbare Zeichen und jede andere geeignete Form der Weitergabe des Wortes umschließt und die elementare Einteilung in Predigen und Hören (sonst allerdings keine) erfordert; die Freiheit gilt den jeweiligen Gestalten, die das Wort annehmen muß, um an sein Ziel, an die Herzen der Menschen zu kommen. Bei absoluter Bindung an die Sache des Evangeliums hat Luther ein offenes Verhältnis zur Geschichte gehabt, das ihm unbefangen über das geschichtliche Werden und Vergehen auch kirchlicher Ordnungen zu urteilen erlaubte. Die Weitergabe des Wortes
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erfordert Menschen. Darum war es seine eigentliche Sorge, Menschen zu finden und in Gang zu setzen, die auf irgendeine Weise: als Prediger, Bischöfe, Regenten, Erzieher, Hausväter usw. sich in den Dienst der Weitergabe des Evangeliums stellten. Es war das Richtige und Reformatorische an den reformierten Ordnungen — im Unterschied von ihrem biblizistischen Perfektionismus —, daß sie in manchem erfinderischer als das Luthertum versuchten, einen vielseitigen Dienst von Menschen in der Kirche zu schaffen. Für diesen kirchlichen Dienst gilt genau dasselbe, was Luther überhaupt über die Funktion des Christen gegenüber seinen Mitmenschen sagt: „Alle christliche Lehre, Werk und Leben ist kurz, klarlich und überflüssig (überreichlich) begriffen in den zweien Stücken Glauben und Lieben, durch welche der Mensch zwischen Gott und seinen Nächsten gesetzt wird als ein Mittel, das von oben empfähet und von unter wieder ausgibt und gleich einem Gefäß oder Rohr wird, durch welches der Brunnen göttlicher Güter ohne Unterlaß fließen soll in andere Leute.”29
Wegen dieses unlösbaren Zusammenhangs zwischen dem Evangelium und Menschen, die es weitergeben müssen, ist es ebenso notwendig, Lebensfunktionen für die Kirche zu schaffen wie Lebensordnungen, zumal unserem Verständnis von Ordnung jenes eingangs berührte sprachliche Mißverständnis des Statutarischen anhaftet. Lebensfunktionen — neben den Lebensordnungen, gegen die nichts gesagt sein soll — heißt Ämter, Arbeitsgelegenheiten für Menschen, die wir auch oftmals deshalb nicht haben, weil wir ihnen keine Arbeit zu bieten wissen. Lebensfunktionen der Kirche können ebenso dauerhafte und sich bewährende wie variable und von Zeit zu Zeit erneuerungsbedürftige Einrichtungen sein. Es kommt nur darauf an, sie voneinander zu differenzieren und nicht einem Amte alles aufzuladen. Das Bischofsamt z.B., oder wie man geistliche Leitung benennen mag, ist nach Auffassung der Reformation kein zeitlos notwendiges, sondern ein geschichtliches gewordenes Amt, das sich bewährt hat und sich bewähren kann, trotz der hochgefährlichen
29 10 I 1; 100, 8.
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Mißbildungen, die es im Laufe seiner langen Geschichte durchgemacht hat. Seine spezifische Aufgabe besteht für Luther in der ἐπισκοπή. Es ist also nicht in erster Linie ein Verwaltungs- oder Lehr- oder Predigt- (auch nicht Festpredigt-)amt, sondern zuerst ein Visitations-, ein Besuchsamt. Allen anderen Funktionen teilt es mit anderen Ämtern, dies ist seine eigenste. Mir ist fraglich, ob wir die hohe Bedeutung, welche die Visitation — die eines einzelnen oder die eines Kollegiums — in der Reformationszeit hatte, schon ganz begriffen und für das gegenwärtige Leben der Kirche fruchtbar gemacht haben.
Auch in der Gemeinde wird das Bemühen immer wieder darauf gerichtet sein müssen, spezifische Aufgaben und Ämter, wie sie sich aus dem konkreten Leben der Kirche ergeben, zu finden. Im 19. Jahrhundert und bis in das 20. hinein hat das Vereinswesen der Kirche für diese tätige Anteilnahme ihrer Glieder am Gemeindeleben unschätzbare Dienste geleistet; unschätzbar gerade in der Zeit des Staatskirchentums, wo die Kirche bürokratisch verwaltet war und alle lebendigen Aufgaben, welche die Zeit ihr stellte, infolgedessen von frei gebildeten Gesellschaften und Vereinen übernommen werden mußten. In der katholischen Kirche strömt heute noch der größte Teil der Aktivität der Gemeinden durch ein weitverzweigtes System von Vereinen. Sie sind bei uns z.T. aus soziologischen Gründen, zum Teil aber auch aus kurzsichtigen theologischen Vorurteilen zum Erliegen gekommen, und alles ist zur Sache der Gemeinde, d.h. leider meistens des überlasteten Pfarrers, gemacht worden. Aber es wäre doch wert, zu untersuchen, was damit an Aufgaben nicht mehr wahrgenommen wird, was man wiedererwecken oder durch andere Formen oder Ämter in der Gemeinde ersetzen könnte. Es wäre vielleicht auch einiges von den Erfahrungen zu lernen, welche die kleine österreichische Diasporakirche mit dem bei ihr seit langem eingeführten Amt der Kuratoren gemacht hat, den weltlichen Leitern der Gemeinde, die dem Pfarrer als Partner in eigener Verantwortung zur Seite stehen und ihn erheblich in der Verwaltungsarbeit entlasten.
Diese paar Beispiele, mit denen ich über mein Thema hinausgegriffen habe, sollen nur illustrieren, daß sich aus dem reformatorischen
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Verständnis von Bindung und Freiheit konkrete Folgerungen für unser kirchliches Leben ableiten lassen. Rechte Ordnungen zu machen, ist ein Charisma, um das die Kirche Gottes nur bitten kann. Dadurch allein kann ihr die eigentümliche Verbindung von Festigkeit und Elastizität geschenkt werden, die dazu nötig ist. Es geht nicht um Wahrung von Traditionen; die einzige Tradition der Kirche ist das Evangelium. Sondern es geht um ein organisches Wachstum, in dem ständig Altes, Bewährtes bewahrt und Notwendiges, Neues mit erfinderischer Kraft hervorgebracht wird. Durch zu viele Gesetze kann sich die Kirche die Möglichkeit dieses Wachstums leicht selbst verschließen. Luthers Regel für die schriftlichen Fixierungen heißt: „kurz und gut, wenig und wohl, sachte und immer an.” Dagegen darf die Kirche bei der Gewinnung von Menschen und im Ausdenken von Diensten für sie kühn und stürmisch sein. Denn darauf kommt es bei allem Ordnen zuletzt allein an: „Alles ist gelegen an geeigneten, treuen und verständigen Personen.”