6. Amt und Ordo

Wir haben gesehen, daß Ordo und Amt ursprünglich durchaus dasselbe waren, jedoch unter der nicht selbstverständlichen Voraussetzung, daß es ein Amt nur in Bezug auf und auf der Grundlage von gottesdienstlichen Verrichtungen gebe. Interpretation, Ausgestaltung wie Verlust dieser grundlegenden Beziehung macht die Geschichte und das Problem des geistlichen Amtes, des Amtes der Kirche aus. Der Amtsbegriff als notwendig dogmatische Bildung kann nicht von vornherein für sich allein und dann erst in Beziehung auf den gottesdienstlichen Vorgang gesehen werden.

Vermöge der unterschiedlichen Bedeutung der Verrichtungen findet sich der Gedanke der Stufung (1. Tim. 3, 13 ff.) schon in den Pastoralbriefen. Der sachliche Kern liegt zunächst nur in der Unterscheidung zwischen dem Amt der Verkündigung und Leitung einerseits, dem Dienst der Diakonen andererseits (1. Tim. 3, 8 ff.; 1. Tim. 5, 17). Da beides

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charismatisch verstanden wird, da es auch ein Charisma der Diakonie gibt, wird dieses Verhältnis keineswegs als eine unbrüderliche, unzulässige Wertung aufgefaßt. Auch die Diakone werden ordiniert. Es gibt also von vornherein keine Einheitsordination zu einem Einheitsamt, — vielmehr wird zu jeder eigentlichen, ständigen amtlichen Verrichtung ordiniert. Der Diakonat ist auch kein uneigentliches Amt im Verhältnis zu dem „eigentlichen”, heilsnotwendigen.

Andererseits wird der Amtsbegriff durch den der ekklesia geformt. Das Amt ist ein Amt der Ekklesia und innerhalb der Ekklesia. Jede gottesdienstlich versammelte Gemeinde, damit auch jedes Konzil, jede effektive Gesamtgemeinde ist ekklesia in pneumatischer Ganzheit. Aber dies wird nicht independentistisch verstanden. Wenn in einer großen Stadt wie Rom oder Alexandria viele presbyteral geleitete Teilgemeinden entstehen, so fassen sich doch vermöge der realen Lebensgemeinschaft einer solchen Stadt (und nicht wegen ihrer kommunalrechtlichen Zusammengehörigkeit) zugleich alle Teilgemeinden als eine ekklesia auf, welche von einem Bischof geleitet wird. Die Zuordnung eines gewissen Einzugsgebietes, welches zunächst Missionsgebiet ist, sprengt den Ekklesiacharakter noch keineswegs. Der monarchische Episkopat ordnet sich hier Presbyter und Chor- (Land-) Bischöfe nach. Der monarchische Episkopat als solcher setzt noch keineswegs ein hierarchisches System voraus, zumal neben der vertikalen Linie horizontale wirksam sind. Bei dem wesentlichen Akt der Bischofswahl selbst findet eine Unterscheidung von Klerus und Laien nicht statt, im Konzil bedeutet die Gleichheit der Bischöfe mindestens ebensoviel wie die Rangunterschiede und Ehrenvorrechte der Großbischöfe und Patriarchen usf.

Sohm hatte recht oder weitgehend recht mit seiner Kritik an der Formalisierung des Ämterrechts in Gestalt einer Stufenordnung. Die alte Kirche handelte (auch nach Sohms Anschauung) grundsätzlich legitim, wenn sie ihre Ämter entsprechend den gottesdienstlichen Verrichtungen ordnete, in welchen sich die verschiedenen Gaben auswirkten und ihren Platz fanden. Die Ordnung der sieben Ämter als Stufen jedoch sind zwar nicht ohne Sinn, tun aber doch als durchgängiges Schema dem Aufbau des Gottesdienstes auch wieder Gewalt an. Man kann es etwa so zusammenfassen: die ordines minores, die vier unteren Weihestufen mögen eine meditative Einführung in das eucharistische Geschehen ebenso bedeuten wie eine sinnvolle Gliederung zudienender Verrichtungen. Aber notwendig sind sie gewiß nicht; sie sind auch in der lateinischen und der griechischen Kirche wesentlich verschieden gestaltet. Gerade die griechische Kirche hat sie nicht zu einem aufsteigenden System gestaltet. Sie sind möglich, aber nicht notwendig. Die ordines maiores, Diakon, Presbyter, Bischof mögen notwendig sein. Aber ihr Verhältnis ist kein stufenförmiges. Denn bezogen auf den Gottesdienst dient zwar der Diakon zu Tische und ist insofern dem Leiter des

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eucharistischen Gottesdienstes nachgeordnet. Aber dieser Leiter ist entweder Presbyter oder Bischof. Der Bischof ist auch nach heutiger römisch-katholischer Lehre keine eigene Weihestufe, sondern nur die Vollendung oder der höchste Grad des Presbyterats.112 Die Weihegewalt des Bischofs unterscheidet sich von der des Presbyters nur dadurch, daß nur er zur Priesterweihe befähigt ist113 — das heißt also gottesdienstlich überhaupt nicht. Deshalb ist bis heute in der katholischen Kanonistik strittig, und auch das Trienter Konzil hat die Frage offengelassen, ob sich der Bischof vom Presbyter in diesem privilegium ordinandi nur nach Maßgabe der Entscheidungsgewalt (Jurisdiktion) oder auch durch einen anderen „ordo” unterscheidet. Das ganze Stufensystem, bezogen auf den Gottesdienst, löst sich also in die gut biblische Tatsache auf, daß einer leitet und vorsitzt (Presbyter oder Bischof) und andere zu Tische dienen (diakonein). Der Diakon ressortiert deshalb ebensosehr vom Bischof wie vom Presbyter. So sind in der stadtrömischen Kirchengeschichte vielfach, ja überwiegend im ersten Jahrtausend Diakone, ohne zuvor Presbyter gewesen zu sein, zu Bischöfen gewählt worden — es bildete sich eine gewisse Konkurrenz der Laufbahnen aus. Das erst im 6. Jahrhundert von Caesarius von Arelate formulierte Stufensystem114 drückt also das Verhältnis der drei ordines maiores zueinander nicht vollständig aus. Es gibt eine umgekehrte Deutung, daß nämlich der Bischof als geborener Gemeindeleiter dem Presbyter die nachgeordnete Leitung einer innerdiözesanen Teilgemeinde oder Lokalgemeinde eingeräumt habe. Das findet eine gewisse Stütze in der Tatsache, daß die Presbyter biblisch ein Kollegium sind, welches an der Leitung teilnimmt, daß aber der einzelne Presbyter entweder synonym mit dem Bischof zu verstehen ist, oder aber Ältester in unserm heutigen Sinne ist, also kein Amt im engeren Sinne hat. Andererseits wird diese Anschauung unmöglich, wenn man das Durchlaufen der Weihestufe voraussetzt, in denen dann der Bischof nur auf den Presbyter folgen kann.

Beide Deutungen sind eine gewisse Überformung des sozusagen dreiseitigen Verhältnisses der drei Ämter, von denen jedenfalls keines ganz auf das andere reduziert werden kann.

Die vier ordines minores und die sieben Stufen des ordo enthalten eine meditative Entfaltung des fortschreitenden Geschehens der Messe. Die ordines minores zeigen dabei eine ausgesprochene Dialektik: den ausgrenzenden Ämtern, die das Fremde fernhalten, stehen die zuordnenden gegenüber: auf den Türhüter (ostiarius) folgt der Akoluth, auf den Exorzisten der Lektor. Diese Dialektik setzt sich in der Teilung des Diakonats in Diakon und Subdiakon und der Unterscheidung einer Epistel- und Evangelienseite fort.

Der geschichtlich-progressive Charakter des Gottesdienstes setzt sich dann allmählich in ein metaphysisches Verständnis personaler Seinsstufen um. Aber in dieser Verständnisform verliert der Gedanke sein

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Interesse: die traditionell bewahrten ordines werden zu formalen Durchgangsstufen zur (Voll-) Weihe des Presbyterats. Ihr Bedeutungsgehalt ist so sehr abhanden gekommen, daß römische Priester den Hinweis auf diesen Ursprung als einen ihnen gänzlich fremd gewordenen, aber hilfreichen Aspekt zum tieferen Verständnis ihres Amtes begrüßen.

Von den sieben Stufen des ordo sind die ersten sechs schon längst keine echten Ämter mehr. Der Diakonat als besonderer Amtstypus verliert im Laufe des zweiten Jahrtausends fortschreitend seine Bedeutung zugunsten des presbyteral-priesterlichen Vollamtes. Der Stufenbau des ordo gleich dem treuen Heinrich im Märchen, dessen ganzer Leib zu Stein verwandelt wird, so daß nur noch sein Haupt lebt und spricht. Interesse besteht nur noch am Vollamt, innerhalb dessen das Verhältnis von Presbyter und Bischof bis heute nicht voll geklärt ist. Es drückt sich hierin ein verwandeltes Wirklichkeits- und Personverständnis aus: die Vollperson, die absolute Person, kann nicht relativ sein auf andere geschichtliche Stufen oder auch Seinsweisen. Die hierarchische Kirche ist neben dem Prinzip der Unterordnung als solchem, das von seinem progressiven Geschehenscharakter abgelöst ist, in Wirklichkeit nicht auf die Stufen des ordo ausgerichtet, sondern auf diejenigen der Jurisdiktion (vom Bischof bis zum Papst). Das immer stärker werdende Übergewicht des jurisdiktionellen Moments in der abendländischen Kirche wird auch hierin sichtbar (und setzt sich in der Reformation in neuen Formen ungebrochen fort).

In dieser Entwicklung ist das Eine Amt, welches wir dann in der lutherischen Kirche vorfinden, schon vorgebildet. Die erstarrte Substruktur der ordo-Stufen ist weggeschlagen und der jurisdiktionelle Überbau beseitigt. Ein bestimmtes definierbares Tun bestimmt das Amt, nicht mehr ein Geschehen in der Erstreckung und im Gemeinschaftsgefüge. Der diakritische Punkt aber ist der Verlust des biblischen Diakonats, des Amtes, das immer zurückgestanden hat und das fallen mußte, weil sein bloßes Vorhandensein der Einlinigkeit des Amtsbegriffes widerspricht.115

Die protestantische Kritik beschränkt sich in diesen Fragen auf den Gegensatz von Gleichheit und Ungleichheit, die unechte Auflösung einer Dialektik. Eine Untersuchtung der geistigen Grundlagen und der vorfindlichen Strukturen finde ich jedoch nirgends.116

Denn schon in Acta 6 wird vorausgesetzt, daß sachliche verschiedene Verrichtungen geordnet werden, wie immer auch ihr Inhalt ist. Wenn die erwählten Sieben nicht Diakone im Sinne der Fürsorge sind — wovon der Text selbst spricht, was aber dann nicht weiter bezeugt wird — wenn sie zur diakonia tou logou berufen sind, obwohl die Apostel ihre Wahl gerade betreiben, um die Wortverkündigung selbst nicht zurückstellen zu müssen (6, 2): ein Unterschied muß bestanden haben. An anderen Stellen aber kommt deutlich der Diakonat (auch einer Frau,

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Röm. 16) in deutlicher Nachordnung zum Episkopat vor (Phil. 1; 1. Tim. 3, 8 ff.). Ist der Episkopos noch weitgehend identisch mit dem Presbyteros oder sonstigen Leitenden, so doch ebenso deutlich vom Diakonos unterschieden und ihm vorangestellt. Sind sie Prediger ohne Gemeindeleitung? Gewiß nicht die diakonos Phöbe in Röm. 16. Der Begriff des diakonos und des diakonein muß also, wenn er Aufgaben der Verkündigung umschloß, jedenfalls weiter gewesen sein. Die Wortverkündigung kann auch nicht derart zentral gewesen sein, weil sonst die deutliche Tendenz zur Nachordnung unverständlich wäre, die in den Pastoralbriefen hervortritt: an den diakonos werden ähnliche, aber geringere Anforderungen gestellt als an den episkopos. Die Duplizität der Ämter ist unverkennbar. Es wäre unverständlich, weshalb sonst über den fließenden Sprachgebrauch hinaus zwei öfters wiederkehrende Bezeichnungen gebildet wurden. Wenn — im Gegensatz zu dem Text von Acta 6 bei näherer Betrachtung — dort eine diakonia tou logou in einem anderen Kreise gemeint ist, so hebt das jene sonst sich findende Unterscheidung nicht auf. Dieser Diakonat ist immer noch am ehesten in Richtung auf die spätere Auffassung verständlich, in welcher ja der Diakon gerade auch als Lektor und Prediger verwendet wird. Eher kann man sagen, daß der biblische episkopos eine steigende Tendenz zum gemeindeleitenden Bischof, der biblische diakonos eine fallende zum nachgeordneten Gehilfen in den verschiedensten Verrichtungen hat. So berechtigt Lohses Hinweis auf die Unabgeschlossenheit der Lage und der Begriffe ist, so übergeht er doch die schlichte Tatsache der mehreren Ämter. Wie die römische Exegese hier schon Bischofskonsekrationen und Sukzessionsreihen hineingelegt, so die lutherische nicht weniger retrospektiv ihr eines Predigtamt. Das wird sofort deutlich, sobald man etwas anderes, drittes nur einmal ernstlich erwägt. Ganz zu Unrecht hält sich die protestantische Auslegung selbst für interesselos gegenüber der Schrift, weil sie meint, kein besonderes vorgeprägtes Amtsverständnis zu vertreten. Aber in Wahrheit setzt sie das Predigtamt von CA V ganz unbefangen mit dem biblischen Tatbestand in eins und findet es natürlich dann dort wieder.

Die Reformation hat nun die Hierarchie in beidem Sinne, des gottesdienstlich-charismatischen ordo wie der Jurisdiktion vernichtet, und die Vorstellung von der grundsätzlichen Gleichheit im Amt und zwischen den Ämtern durchgesetzt. Das kann jedoch in zwei Richtungen verstanden werden und ist auch so unterschiedlich gestaltet worden: Entweder gibt es überhaupt nur ein Amt, dessen sämtliche Träger gleich sind, oder es gibt mehrere Ämter, die als solche wie in ihren Trägern gleich sind. Die erstere, mehr der lutherischen Kirche eigene Auffassung hat zu der Ausbildung des Einmannsystems geführt, das in sich nicht gliederungsfähig ist und der vollen Ausgliederung verschiedener Gaben und Aufgaben in der oikodomé entgegensteht. Denn wenn der

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Diakon eben nicht das Amt der Verkündigung und der damit verbundenen Gemeindeleitung hat, kann sein Amt folgerichtig nur als ein Minderamt mit allen rechtlichen, sozialen und psychologischen Folgen verstanden werden.

Dabei ist die Nähe des (lutherischen) einen Amtes und der (reformierten) mehreren Ämter zum Gottesdienst eine wesentlich verschiedene. Das eine Amt wird wesentlich deswegen ausgebildet und festgehalten, weil es auf Predigt und Sakramentsverwaltung als notae ecclesiae bezogen, also unmittelbar gottesdienstlich ausgerichtet ist. Die reformierte Aufgliederung dagegen zieht von vornherein bewußt alle Verrichtungen in Betracht, welche in der Kirche außerhalb und innerhalb des Gottesdienstes nötig sind. Darin hat der Gottesdienst seinen vollen Platz, die Ämter stehen nicht im Gegensatz dazu. Sie sind aber nicht aus ihm entwickelt. Alles ist im weiteren Sinne Gottesdienst und dieser verliert seine präzise und ausgezeichnete Bedeutung, welche ihm auch Barth in seiner Kirchenrechtslehre zuweist.118 Es ist eine bewußt planmäßig rationale Erfassung und Organisation der Aufgaben der Kirche, trotz der Berufung auf biblische Vorbilder. Diese haben ohnehin nicht gehindert, das Bischofsamt fallenzulassen, weil der Gleichheitsgedanke als Prinzip ein Vorurteil gegen jedes pourvoir personel enthält; ein solches war der frühen Kirche fremd.

Das Ergebnis ist also: bei gottesdienstlicher Begründung des (einen) Amtes fehlt die Ausgliederung zur oikodomé, und bei bewußter Ausgliederung des Amtes zur oikodomé geht der gottesdienstliche Bezug verloren. Gottesdienst und gegliederte oikodomé sind auf alle Fälle auseinandergefallen. Das zeigt, daß der Gleichheitsgrundsatz (wie alle „Prinzipien”) unzulänglich ist (vgl. im übrigen Kap. IV).