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Stellungnahme des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland zu den Fragen der Revision des Ehe- und Familienrechts (22. 3. 1952).

 

An den Bundesminister der Justiz
Herrn Minister Dr. Dehler

Bonn
Rosenburg.

Hochgeehrter Herr Minister!

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat auf Grund der ihm freundlicherweise zugestellten Denkschrift Ihres Ministeriums zur Frage der Angleichung des geltenden Familienrechts an Art. 3, 2 des Grundgesetzes diese Frage in einer von ihm eingesetzten Kommission eingehend beraten lassen und möchte Ihnen hiermit das Ergebnis dieser Beratungen mitteilen und Sie von seiner Stellungnahme zu dem gesamten Fragenkomplex in Kenntnis setzen, soweit eine solche ohne Kenntnis des in der Ausarbeitung befindlichen Gesetzesentwurfs formulierbar ist.

 

I.

Die Evangelische Kirche gehört nicht zu den gesetzgebenden Instanzen und trägt deshalb keine formale Mitverantwortung für die kommende Änderung des Ehe- und Familienrechts. Sie hält es deshalb auch im Allgemeinen nicht für ihre Aufgabe, formulierte Vorschläge für diese zu machen. Von einer sachlichen Mitverantwortung dagegen kann sich die Evangelische Kirche nicht dispensieren, da aus dem Wesen der Sache heraus zu allen Zeiten auf dem Boden der Ehe sich staatliche und kirchliche Belange und Notwendigkeiten begegnet sind. Und zwar weiß sich die Evangelische Kirche hier auf doppele Weise in die Verantwortung gerufen: Sie wird einmal darauf achten müssen, daß nicht etwa bei Änderungen des Ehe- und Familienrechts der Raum für eine christliche Eheführung durch staatliches Gesetz eingeengt werde; sie wird zum anderen darum besorgt sein müssen, daß das Wesensgefüge der Ehe überhaupt, in dem sie eine bewahrende Ordnung Gottes erkennt, nicht etwa durch veränderte Rechtsetzung gefährdet werde. Gerade darauf wird um so mehr zu achten sein, als in ethischer und soziologischer Hinsicht ein weitgehender Auflösungsprozeß von Ehe und Familie bereits seit längerer Zeit im Gange ist. Es mag zweifelhaft sein, ob solcher Auflösung mit Mitteln der Gesetzgebung und der Rechtsprechung wirksam begegnet werden kann; man kann aber nicht zweifeln, daß diese

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Auflösung unter Umständen durch eine Änderung der Gesetzgebung und der ihr folgenden Rechtsprechung, ob auch ungewollt, beschleunigt werden könnte.

In der juristischen Aussprache über die Revision des Familienrechts steht begreiflicherweise die Neuregelung der subjektiven Rechte von Mann und Frau beherrschend im Vordergrund. Die Evangelischen Kirche ist nicht in erster Linie an diesem Fragenzusammenhang interessiert, sondern vielmehr wesentlich daran, daß bei der bevorstehenden, auch von ihr als notwendig anerkannten Neuordnung solcher gegenseitigen subjektiven Rechte die heute gefährdete Institution von Ehe und Familie erhalten und wenn möglich gestärkt wird. Die Ehe ist eine auf der Grundlage der geschlechtlichen Differenziertheit zwischen den Ehegatten geschlossene Gemeinschaft, in die sie eintreten, ohne über sie zu verfügen. Mann und Frau gehen in sie ein mit ihrer ganzen Person und geloben sich gegenseitig umfassende Liebe und Treue. Deshalb wird die Ehe auf Ausschließlichkeit und grundsätzliche Unauflösbarkeit hin geschlossen. Das bedeutet, daß eine Verbindung, die von vornherein auf ihre Auflösbarkeit hin geschlossen würde, keine Ehe wäre. Ehe und Familie sind so die ursprünglichsten menschlichen Gemeinschaften und von dem Geheimnis des Ursprung umgeben, das für den Christen auf Jesus Christus hinweist, das aber auch vom Nichtchristen geachtet werden muß, wenn der Zerstörung des Lebens gewehrt werden soll. Auch die staatliche Gesetzgebung verfügt nicht über dies Wesensgefüge, sondern setzt es voraus.

Die Änderungsvorschläge der Denkschrift bedeuten nun gewiß nicht einen Angriff auf dies Wesen der Ehe. Aber auch einzelne Änderungen der Rechtsgestalt und der Rechtsfolgen der Ehe können förderlich oder schädlich auf sie selbst zurückwirken. Die Evangelische Kirche wird also auch einzelne Gesetzesvorschläge daraufhin prüfen müssen, ob sie aus ihrer Gebundenheit an Gottes Wort und Ordnung heraus Einspruch erheben müsse oder ob sie, auch wenn dazu kein Anlaß besteht, um der Liebe willen in der Weise ratsamen Gutachtens mahnen und warnen solle, damit nicht, und sei es ungewollt, Wege beschritten werden, die in der gegenwärtigen Situation aller Voraussicht nach die Gefahr für Ehe und Familie erhöhen müßten.

 

II.

Als schwierig erweist sich bei der von Art. 3, 2 her geforderten Umgestaltung des Ehe- und Familienrechts offenbar die Auslegung des Begriffs „Gleichberechtigung”. Dieser Begriff kann nach unserer Auffassung in Art. 3, 2 nicht beliebig interpretiert werden in der unbegrenzten Weite, die etwa durch die Vokabel noch gedeckt würde. Er kann vielmehr nur im Rahmen eines vorgegebenen Verständnisses von Ehe und Familie ausgelegt und angewandt werden. Nicht alles Mögliche, was überhaupt etwa mit „Gleichberechtigung” bezeichnet

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werden könnte, kann hier gemeint sein, sondern nu das, was unter Voraussetzung des Wesens von Ehe und Familie innerhalb ihrer als Gleichberechtigung möglich und sinnvoll ist. Das Wesen von Ehe und Familie bildet also den Interpretationshorizont der Gleichberechtigung in Art. 3, 2. Es war offenbar nicht die Meinung und Absicht des Gesetzgebers, mit dieser Bestimmung ein neues, erst zu schaffendes Wesensgefüge der Ehe an die Stelle dessen zu setzen, was das geltende Recht auch als ihm vorgegeben voraussetzt. Der Gesetzgeber wollte vielmehr offenbar, daß bestimmte Rechtsfolgen der Ehe, bei denen dies ohne gefährdende Rückwirkung auf die Institution der Ehe möglich erscheint, genossenschaftlich, d.h. entsprechend dem Grundsatz der Gleichberechtigung geregelt werden. Eine Interpretation der Gleichberechtigung, die in ihren Folgen auf eine Auflösung der Institution der Ehe herauslaufen würde, kann nicht im Sinn des Gesetzgebers gelegen haben. Wir glauben uns für diese Rechtsauffassung auf Art. 6, 1 GG stützen zu dürfen. (Vgl. dazu den Kommentar von Prof. v. Mangoldt, dem Vorsitzenden der Grundrechtskommission im Parlamentarischen Rat, zu Art. 6, 1 GG, wo die Auffassung vertreten wird, daß hier „Ehe und Familie, so wie sie in der abendländischen Welt seit unvordenklichen Zeiten bestanden haben, in ihren Grundformen verfassungsrechtlich gewährleistet werden”.)

 

III.

Auf Grund dieser methodischen Erwägungen möchte der Rat zu verschiedenen Einzelfragen wie folgt Stellung nehmen.

1. Die Frage des Namens (§ 1355 BGB) sowohl der Ehegatten wie der Familie ist für das Wesen der Ehe, nicht nur für ihre Rechtsfolgen, von konstitutiver Bedeutung. Es will uns erscheinen, daß diesem Tatbestand in der Denkschrift (Teil I, S. 14 und Teil III, S. 22 ff.) nicht in genügendem Maße Rechnung getragen wird. Der Name eines Menschen ist weit mehr als bloß ein technisches Mittel zu seiner Identifizierung; man kann deshalb auch wohl nicht wie die Denkschrift etwa sagen, daß „die Wahl eines Vornamens für ein neugeborenes Kind noch keine bedeutsame Angelegenheit ist” (Denkschrift III, S. 25). Der Name ist vielmehr ursprunghaft und wesentlich ein Moment der geschichtlichen Existenz des Menschen. Wir leben und sind immer in diesem oder jenem Namen. Wenn der Wechsel und die Wahl eines Namens weithin ins Belieben gesetzt wird, wie z.B. im sowjetrussischen Recht, so bedeutet das immer eine Anonymisierung, d.h. aber eine Verflachung und schließlich Auflösung menschlicher Existenz. So erscheint es überhaupt nicht als sachgemäß, die Frage der Namengebung in Ehe und Familie unter den Gesichtspunkt der subjektiven Rechte von Mann und Frau zu stellen; der Name sowohl der Ehe wie der Familie konstituiert vielmehr wesentlich diese als „Stand”, als überindividuelle verbindliche Ordnung. Der Familienname sollte daher grundsätzlich

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der Vatername sein, da jede andere Regelung mehr oder weniger direkt zur Anonymisierung der Familie führt. Dagegen wäre es wohl erwägbar, ja zu empfehlen, wenn die Ehegatten das Recht erhielten, gemeinsam zu erklären, daß sie ihre beiderseitigen Namen zu einem Doppelnamen vereinigen und diesen als Ehenamen führen wollen. Dieser Ehename sollte nur aus besonderen Gründen mit gerichtlicher Genehmigung auf die Kinder übergehen können. Diese Regelung entspräche einem der Vorschläge der Denkschrift und der bewährten zivilrechtlich anerkannten Rechtssitte in der Schweiz.

2. Ein besonders breiter Raum wir die Neuregelung des ehelichen Güterrechts einnehmen, dem ja auch in der Denkschrift ein ganzer Teil gewidmet ist. In bezug auf dieses Rechtsgebiet ist der Rat der Auffassung, daß es gegenüber dem geltenden Recht einer starken Umarbeit im Sinn der Erweiterung der Rechte der Frau bedarf. Die ökonomischen und soziologischen Verhältnisse haben sich seit dem Inkrafttreten des BGB aufs stärkste verändert, vor allem ist die Frau, zumal infolge der beiden Weltkriege, aber doch so, daß dies nicht bloß als vorübergehende Kriegsfolge betrachtet werden kann, in das Erwerbsleben, wie in das Beamtentum in einem Maße eingerückt, das bei der Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht vorauszusehen war. Um das BGB der neuen Stellung der Frau auf diesem Gebiet anzugleichen, bedürfen vor allem die Fragen der Errungenschafts- und der Zugewinst-Gemeinschaft einer neuen Regelung. In diesem Bereich kann der Rat den in der Denkschrift gemachten Vorschlägen weithin zustimmen. Freilich stehen die güterrechtlichen Fragen auch in engem Zusammenhang mit den im I. Teil der Denkschrift (S. 22 ff.) behandelten Rechtsfragen in bezug auf die Berufstätigkeit der Eheleute. Hier wird eine Urteilsbildung zunächst noch ausstehen müssen, bis deutlich wird, welche Folgerungen sich besonders in beamtenrechtlicher Hinsicht ergeben. Für die Berufsrechte und -pflichten wird nach Überzeugung des Rats der Grundsatz maßgebend sein müssen, daß die Ehebindung wegen ihrer umfassenden Personhaftigkeit und grundsätzlichen Unauflösbarkeit im allgemeinen den Berufsbindungen voransteht, es sei denn, es handele sich bei diesen um qualifizierte Treueverpflichtungen besonderer Art.

3. Die größte Schwierigkeit bereitet offenbar die Frage der Entscheidungsgewalt des Mannes in der Ehe (§ 1354 BGB) und in der Familie (§ 1634 BGB). Die Evangelische Kirche hat keinen Grund, sich für die unveränderte Aufrechterhaltung der allgemeinen Entscheidungsgewalt des Mannes einzusetzen. Sofern das geltende Recht heute vielfach als patriarchalisch bezeichnet wird, muß darauf hingewiesen werden, daß die Evangelische Kirche auch keinen Grund hat, die Aufrechterhaltung dieses relativen Patriarchalismus als solchen zu wünschen. Sie könnte durchaus einer neuen Formulierung des § 1354 zustimmen, welche die Ehegatten zu gemeinsamer

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Entscheidung verpflichtet und nur im Konfliktsfall dem Ehemann die Entscheidung überläßt. In diesem Fall sollte auch die ausdrückliche Bestimmung Platz greifen, daß der Ehemann gesetzlich gehalten ist, den Versuch gemeinsamer Willensbildung auf alle Fälle zu machen, und daß das willentliche Unterlassen eines solchen Versuchs bereits den Tatbestand des Mißbrauchs nach § 1354, 2 darstellt. Für den Konfliktsfall außerhalb der Ehe stehende dritte Instanzen mit Entscheidungsgewalt heranzuziehen, scheint uns für die Ehe gefährlich und ihrem Wesen fremd zu sein. Auch würde die Mehrzahl der Fälle nicht judiziabel und infolgedessen die getroffene Entscheidung nicht vollstreckbar sein. Nichtgerichtliche dritte Instanzen („Ehehilfe” verschiedener Art) können bei guter persönlicher und sachlicher Ausrüstung in mancher Hinsicht hilfreich sein, aber gerade nur dann, wenn sie keine rechtlich verbindliche Entscheidungskompetenz haben. Es war auch Gegenstand der Erwägung die Frage, ob die Kirche einer ersatzlosen Streichung des § 1354 zustimmen könne, zumal im Blick darauf, daß die Mehrzahl der in Betracht komenden Fälle der Rechtsprechung nicht zugänglich sind und der Paragraph deshalb als entbehrlich betrachtet werden könne. Es erhebt sich zwar hier das Bedenken, daß mit der völligen Streichung der Entscheidungsgewalt des Mannes in der Ehe eine Rechtsform der Ehe geschaffen würde, die mit dem neutestamentlichen Gebot der Unterordnung der Frau unter den Mann in Spannung stände. Dieses Bedenken könnte noch behoben werden, wenn die Letztentscheidung des Familienvaters in bezug auf die Erziehung der Kinder gemäß § 1634 auch im neuen Recht erhalten bliebe. Eine Streichung jedoch des § 1354 gleichzeitig mit der Beseitigung einer Letztentscheidungsgewalt des Vaters nach § 1634 möchten wir mit Nachdruck widerraten, und zwar aus folgenden Gründen.

a) Es würde damit im Recht der letzte Rest der Struktur von Ehe und Familie verschwinden, welcher in der apostolischen Ermahnung von Eph. 5, 23 und 1. Pt. 3, 1 im Vordergrund steht. Es ist theologisch unmöglich, die apostolischen Ermahnungen dadurch für die Gegenwart unverbindlich zu machen, daß man sie für nur zeitgeschichtlich bedingt erklärt oder die Meinung vertritt, sie beziehe sich nur auf Geistliches. Gerade eine geistliche Unterordnung der Frau unter den Mann in der Ehe kennt das Neue Testament nicht (Gal. 3, 28), wohl aber die in den irdischen Dinge der Ehe. Die Ermahnungen, besonders von Eph. 5, bilden in den meisten Gottesdienstordnungen einen wesentlichen Bestandteil der Trauungs-Liturgie. Der Dissensus zwischen der staatlichen Ehegesetzgebung und der kirchlichen Trau-Vermahnung würde also in verwirrender und beunruhigender Weise hervortreten.

b) Wir glauben nicht, daß es die Absicht des Gesetzgebers ist, das Wesensgefüge der Ehe selbst rein genossenschaftlich neu zu konstruieren (vgl. oben, Abschnitt 2). Der Versuch, nicht nur gewisse Rechtsfolgen der Ehe, sondern diese selbst rein genossenschaftlich zu

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konstruieren, würde die Gesetzgebung in eine verhängnisvolle Entfernung von der gegebenen Wirklichkeit bringen. Das in der Eltern-Kind-Beziehung beschlossene Verhältnis von Vaterautorität und Mutterautorität würde dadurch gestört. Es muß in der Familie für ein Erziehungsamt der Mutter und für ein Erziehungsamt des Vaters Raum sein. Damit das Erziehungsamt der Mutter volles Gewicht habe, muß es das Erziehungsamt des Vaters geben und da der Vater normalerweise der Schützer der Familie nach außen ist, so schließt sein Vateramt die Letztentscheidung ein. Vater- und Mutterautorität sind aufeinander bezogen und ergänzen sich, aber sie dürfen nicht gleichgesetzt werden.

c) Wenn die Letztentscheidung des Vaters in der Familie fällt, so muß für den Konfliktsfall eine außerfamiliäre Entscheidungs-Instanz eingeschaltet werden. Dafür schlägt die Denkschrift nach eigehender Prüfung der Möglichkeiten das Vormundschaftsgericht als Regelfall vor. Vor dieser Lösung glaubt der Rat mit Nachdruck warnen zu sollen. Sei es, daß das Vormundschaftsgericht selbst entscheidet, sei es, daß es im gegebenen Fall die Entscheidung seinerseits dem Vater oder der Mutter überträgt (Denkschrift III, S. 12), in jedem Fall würde durch ein solches Einschalten der außerfamiliären Instanz sowohl durch die einzelne Ehe aufs schwerste gestört, wie die Institution der Ehe nachhaltig gefährdet werden. Der Gesetzgeber kann aber auch nicht etwa darauf verzichten, für den evtl. Konfliktsfall eine Entscheidungsmöglichkeit zu setzen, zumal es sich hier um das Interesse Dritter, der Kinder, handelt. Wenn nun eine außerfamiliäre Entscheidungs-Instanz widerraten werden muß, eine Aufteilung der erzieherischen Entscheidung nach dem Geschlecht, dem Alter der Kinder oder nach Sachbereichen aber keine praktisch brauchbare Lösung darstellt, so entspricht es dem Verhältnis von Vaterautorität und Mutterautorität am besten, wenn die Letztentscheidung dem Vater belassen wird. Es müßte dann allerdings nach Ansicht des Rats die Rechtsstellung der Mutter in bezug auf die Erziehung über das geltende Recht hinaus fortgebildet werden. Auch für den Bereich der Familie müßte künftig der Mann stärker als im geltenden Recht durch Gesetz gehalten sein, den ernsthaften Versuch zu einer gemeinsamen Entscheidung zu machen mit der Maßgabe, daß beim Unterlassen dieses Versuchs bereits der Tatbestand des Mißbrauchs des Entscheidungsrechts vorläge. Schließlich wäre etwa noch zu prüfen, inwieweit im Zusammenhang mit den hier gemachten Vorschlägen neben dem Personensorgerecht der Mutter nach § 1634 für sie auch ein Recht zur Vertretung des Kindes geschaffen werden könnte.

 

IV.

Der Artikel 3, 2 GG ist unmittelbar geltendes Recht. Auch die Evangelische Kirche muß bei den Bedenken, die sie erhebt, und den Vorschlägen, die sie macht, erwägen, wie diese mit dem genannten

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Artikel vereinbar sind. Wir verweisen auch in bezug auf diese Frage zunächst auf das in Abschnitt II dieses Schreibens zum Problem der Auslegung von Artikel 3, 2 Gesagte. Darüber hinaus scheint die Denkschrift Ihres Ministeriums selbst einen Weg zu weisen, auf dem allzu formalistische Auslegungen des Gleichberechtigungsartikels vermieden und dieser fruchtbar auf die vorgegebene Wirklichkeit bezogen werden kann. In Teil I B, I. Abschnitt dieser Denkschrift wird die Frage erwogen, ob der Unterschied des Mindestheiratsalters für Mann und Frau mit dem Grundsatz der Gleichberechtigung vereinbar sei. Die Denkschrift kommt zu dem Ergebnis, daß „unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung kein Anlaß bestehe, daß Ehemündigkeitsalter für beide Geschlechter gleichzusetzen” (S. 5). Es kann kein Zweifel bestehen, daß diese Frage einerseits unter den Gesichtspunkt der Gleichberechtigung fällt, andererseits aber von ihrer so oder so zu treffenden Regelung das Wesensgefüge der Ehe nicht berührt wird. Wenn also die Denkschrift selbst in einer Frage, welche das innere Wesen der Ehe nicht betrifft, zu dem Ergebnis kommt, daß hier eine verschiedene Behandlung der Geschlechter mit dem Gleichberechtigungsgrundsatz vereinbar ist, so müßte eine solche Vereinbarkeit in viel höherem Maße dort bejaht werden können und müssen, wo eine Gleichbehandlung an das Wesensgefüge der Ehe rührt und dieses gefährdet.

 

V.

Soweit wir zu überblicken vermögen, sind in dem Bereich der vorbereitenden Arbeit zur Umgestaltung des geltenden Familienrechts bisher folgende Rechtsgebiete nicht einbezogen:
a) das Ehescheidungsrecht (mit Ausnahme der Wirkung der Ehescheidung auf das Verhältnis von Eltern und Kindern, Denkschrift III, S. 18 f.),
b) das Eheschließungsrecht,
c) das Gesetz zur religiösen Erziehung der Kinder.

Uns bewegt die Frage, wie es im Blick auf Artikel 117, 1 GG nach dem 31. März 1953 mit diesen Rechtsgebieten wird, da sie nach dem derzeitigen Stand der Dinge bis zu dem genannten Termin wohl kaum noch dem Artikel 3, Abs. 2 angeglichen werden können. Tritt hier nicht in bezug auf besonders aktuelle und verwickelte Rechtsgebiete vom 1. 4. 1953 an ein Rechtsvakuum ein? Wir wären Ihnen, hochverehrter Herr Minister, um eine Auskunft über diese Fragen dankbar.

Zum Schluß erlauben wir uns den Vorschlag zu machen, ob nicht nach Fertigstellung des in Arbeit befindlichen Gesetzesentwurfs und vor dessen Weiterleitung an das Bundeskabinett und den Bundestag Vertretern beider Kirchen Gelegenheit zu einer Aussprache über den Gesetzesentwurf gegeben werden könnte.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung

D. Dr. Dibelius.