Wendland, H.D.

Sukzession im Neuen Testament

1955

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Sukzession im Neuen Testament

Die Frage nach der Sukzession kann an das Neue Testament nur so gestellt werden, daß nach der Tradition, d.h. der Weitergabe, und nach der Kontinuität der Kirche gefragt wird. Dabei handelt es sich nicht um eine Kontinuität „von unten her”, sondern um eine Kontinuität „von oben her”, die aber geschichtliche Wirklichkeit wird, weil sie mit der Stiftung und dem Sein der Kirche in der Welt eo ipso gesetzt ist. Der Begriff der Tradition bezieht sich auf die Weitergabe des Evangeliums, des Credo, der Sakramente und der sittlichen Weisungen (des Gesetzes Christi). Daher ist auch die Tradition mit dem Sein und der Sendung der Kirche in der Welt gegeben. Tradition und Kontinuität sind also nicht an irgendwelchen Punkten der späteren Entwicklung zu suchen, etwa erst in den Pastoralbriefen oder im 1. Clemens-Brief, dort, wo man gemeinhin den Umschlag der Entwicklung zur frühkatholischen Kirche hin ansetzt, sondern in den ältesten Dokumenten und Quellenschichten des Neuen Testaments, am Uranfang der Kirche selbst. Denn die Kirche Christi ist die Kirche der Apostel, und eben damit ist gesagt, daß sie Kirche ist und allein sein kann in der Form der Kontinuität und der Tradition.

Damit ist erstens die schwärmerische Auffassung von der Urkirche abgelehnt, die den Hl. Geist einerseits, Ordnung, Amt und Tradition der Kirche andererseits in Gegensatz zueinander stellt und die Urchristenheit als eine emotionale Erweckungsbewegung mit gestaltlosen Geisteswirkungen ansieht.

Zweitens aber auch jener protestantische Humanismus, der meint, sich historisch oder dogmatisch in ein direktes, unvermitteltes Verhältnis zur Hl. Schrift setzen zu können, indem er das Geschehen der traditio verachtet und überspringt, was nur die Folge haben kann, daß unkontrollierte Traditionen und ungeprüfte Voraussetzungen (sowohl im Historismus wie in der biblizistischen Orthodoxie) die Auslegung der Schrift und die Verkündigung beeinflussen.

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Kontinuität und Tradition wurzeln im Uranfang der Kirche, nämlich schon in der Berufung der ersten Jünger durch den Herrn von Ostern. Die nachösterliche Gemeinde hat diesen Vorgang als der von Gott gewollten und legitimierten Grund ihrer selbst anerkannt, indem sie die Berufungsgeschichten in die Evangelien aufnahm, und indem sie ausdrücklich feststellte, daß der Zusammenhang der vor- und der nachösterlichen Situation, der Jüngerschaft vor und der Gemeinde nach Ostern auf dem Kreise der Zwölf beruhe, aus dem nur Judas ausgeschieden und ersetzt worden war (Apg. 1, 13. 15 ff. vgl. Joh. 20, 19 ff.). Die erste Gemeinde tritt also mit dem Kontinuitätsbewußtsein ins Leben, daß Taten des geschichtlichen Herrn ihr Ursprung seien. Dies gilt nicht nur von der Berufung der Jünger, sondern auch von der Stiftung des Herrenmahls: Indem es das Abschiedsmahl der ersten Jüngerschaft vor seinem Tode ist und dieser an der göttlichen Heilskraft seines Sterbens im voraus Anteil gibt, ist es zugleich das Mahl der neuen, aus Ostern geborenen Gemeinde, die das geschichtliche Sterben des Herrn vergegenwärtigt und als göttliche Gegenwart erfährt gemäß der Anordnung „tut solches zu meinem Gedächtnis”. Gültig bleiben also, von Ostern und der nachösterlichen Gemeinde her gesehen, die Berufung und die Stiftung des Sakraments. Das sind die Urfundamente der Kontinuität und der Tradition. Beide werden weitergegeben und wirken ununterbrochen weiter in der Kirche.

Wir müssen also den doppelten, geschichtlichen und zugleich österlich-pneumatischen Ursprung der Taufe, des Abendmahls, der Berufung und der Verkündigung erkennen, der doch ein einheitlicher, heilsgeschichtlicher, in Christus wurzelnder ist, weil Gott Jesus von der Taufe des Johannes durch sein geschichtlich-messianisches Werk, durch Kreuz und Auferstehung zur Erhöhung führt und ihn durch diese Heils- und Christusgeschichte zum pneumatischen Kyrios seiner Kirche macht, aus dem der ganze Leib und damit das ganze Leben der Kirche hervorgeht (Eph. 4, 11-16, vgl. Kol. 2, 19). Die Berufung aber darf ja nicht getrennt gedacht werden von der Sendung (Matth. 10, 1 ff. Par. u. 28, 18 ff.) und von der Predigt der nahe herbei gekommenen Gottesherrschaft. Durch die Berufung macht der Herr die Jünger zu Verkündigern des Wortes vom Reich und zu „Menschenfischern” (Mark. 1, 17 ff. Par.). Die Berufung ist also identisch mit der Sendung um des Reiches Gottes willen. Der Herr gibt seinen Jüngern Anteil an seinem Wort und Werk. Dies ist der Urakt, der die Tradition geschaffen hat, nämlich die Weitergabe des Verkündigungsauftrages und der dazugehörigen Vollmacht von Mann zu Mann, von Geschlecht zu Geschlecht. Wer empfängt, hat zugleich die

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Verantwortung für das Weitergeben. Ostern hat dabei in unserem Zusammenhang die Bedeutung, daß der Berufungs-, Übertragungs- und Stiftungsakt des geschichtlichen Herrn als göttlicher Wille und Heilstat anerkannt und legitimiert werden können und müssen, weil der Herr von den Toten auferstanden ist. Was sonst von Tod und Untergang verschlungen wäre, das hat Ostern bestätigt, bekräftigt, als göttlich erwiesen und zum Grunde der Kirche gemacht. Daher geben nun z.B. die Evangelien das Wort des geschichtlichen Herrn als das bindende Wort des göttlichen, auferweckten und erhöhten Kyrios weiter an die Kirche nach Ostern, und so ist nun die Predigt des Herrn vor Ostern durch Tradition zur Predigt der Gemeinde nach Ostern geworden, das Abschiedsmahl zum Sakrament und Mahl der Kirche, Berufung und Sendung zur Stiftung des Amtes der Verkündigung.

So bekommt hier auch die wichtige These O. Cullmanns ihr Recht, daß nämlich der zur Rechten Gottes erhöhte Herr der wahre Träger der ganzen Tradition sei, die sich im Schoße der apostolischen Kirche entfaltet habe (vgl. „Die Tradition” Zürich 1954). Wenn Paulus sagt „ich habe vom Herrn empfangen”, dann denkt er an die von der Gemeinde empfangene Überlieferung des Credo und des Herrenmahls (1. Kor. 11, 23 ff. und 15, 1 ff.). Er benutzt die von der rabbinischen Theologie geschaffenen Termini des Empfangens, des Überlieferens und der Lehre, aber in einer bezeichnenden, durch Ostern bestimmten christologischen und pneumatologischen Brechung und Umformung: Denn das Wort des Kyrios, das nach 1. Kor. 7, 10 ff. auch für die Ordnungen des Gemeindelebens entscheidende Bedeutung hat, ist jetzt das Wort des auferstandenen und erhöhten Herrn, und so wird das zum bindenden und gegenwärtigen Wort, was er während seines irdischen Daseins die Jünger gelehrt hat (vgl. Cullmann a.a.O., S. 19).

Wir können demnach für das Verständnis der traditio als Weitergabe sowohl bei dem Handeln des geschichtlichen Herrn als auch bei dem österlichen Kyrios einsetzen, müssen aber jeweils den totus Christus, d.h. hier Ostern im Zusammenhang mit der vorösterlichen Geschichte Jesu sehen.

Weil aber der Herr der Geist ist (2. Kor. 3, 17) und der Geist Jesus als den Herrn bekennt (1. Kor. 12, 3), gibt es für das neutestamentliche Denken keinen Gegensatz zwischen Pneuma und Tradition! Im Gegenteil. Denn der Geist ist die lebendige, göttliche Macht der Vergegenwärtigung dessen, sowohl im Verkündigungswort wie im Sakrament wie in der Fortsetzung der Kette von Berufungen, was einst der Herr während seines

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Erdenwandels begonnen hatte; er ist nichts anderes als der in jedem Augenblick der fortgehenden Geschichte gegenwärtige Herr, der durch alle Zeiten der Geschichte hindurch wirkt; er ist der Schöpfer der Tradition, er ist die Kontinuität, indem er, wie die johanneischen Abschiedsreden zeigen, aus dem nimmt und lehrt, was Jesus gesagt und getan hat (14, 26; 16 ,13). Kontinuität und Tradition in der Kirche der Apostel sind ein pneumatischer Zusammenhang und ein pneumatisches Geschehen. Diese beiden treten an die Stelle des Gesetzesparadosis in der Judenschaft. Die österlichen Zeugen des auferstandenen Herrn sind auch die Träger des Geistes (Joh. 20, 19 ff.): Sie empfangen den Geist vom Kyrios und damit die Vollmacht, sein messianisch-göttliches Amt der Sündenvergebung auf Erden fortzuführen.

Damit ist der vierte Gesichtspunkt ins Blickfeld getreten, von dem aus hinsichtlich des Neuen Testaments Tradition und Kontinuität gewürdigt werden müssen. Er handelt sich um das Amt des Apostels. Der Kyrios rüstet sie für ihren Dienst mit aller notwendigen Vollmacht aus. Das Amt der Apostel ist das kirchengründende Amt, einmalig und nicht wiederholbar, so wenig die geschichtliche Sendung des Herrn oder Ostern wiederholbar sind. Von den anderen Gliedern der Gemeinde her gesehen sind die Apostel das Fundament aller Tradition und Kontinuität in der Kirche (Eph. 2, 20), weil in ihnen und durch sie der erhöhte Kyrios redet (Röm. 15, 18 f.; 2. Kor. 3, 6 ff. 13, 3), zu seiner Gemeinde wie auch zur Welt. Darum kommt alles darauf an, daß wir in der apostolischen Kirche sind, und daß wir das Wort der Apostel hören und glauben. Wo und wann dies geschieht, sind wir in der echten, der pneumatischen Tradition darinnen. Diese apostolische Überlieferung ist von allem zu unterscheiden, was es sonst in der Kirche an Wort oder Ordnung usw. geben mag. Die Kirche hat den Kanon geschaffen, um die apostolische Verkündigung, Lehre und die von den Aposteln überlieferten kirchengründenden Stiftungen des Herrn zu bewahren, als die mündliche Weitergabe nicht mehr genügte, um, z.B. im Kampf mit den angeblichen Geheimtraditionen der Gnostiker, das Evangelium der Apostel vor der Mischung mit und der Unkenntlichmachung durch vielfältige Irrlehre zu schützen. Darum gilt: In der Kirche Christi gibt es ohne den Kanon kein Bleiben in der Überlieferung der Apostel, keine Fortsetzung der echten, pneumatischen traditio.

Damit aber taucht nun, wenn wir in die Kirche als lebendiges Geschehen der Verkündigung, der Gemeindegründungen etc. sehen, das Problem der Tradition in einer neuen Form auf, und hier erst wird das Problem der

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Sukzession im engeren Sinne sichtbar. Es ist die ebenso klare wie fundamentale Frage:

Wie geht das Leben der Kirche von den Aposteln aus weiter?

Noch Paulus stellt und beantwortet diese Frage verbis expressis nicht, aber die Apostelgeschichte und die Pastoralbriefe stellen und beantworten sie deutlich, weil zu ihren Tagen der Prozeß der Gemeindebildung schon erheblich weiter fortgeschritten war als in den ersten Lebenstagen der paulinischen Missionsgemeinden, mit deren Aufbau es Paulus in seinen Briefen zu tun hat. Lukas führt Apostelgeschichte 14, 23 die Einsetzung der Presbyter (Bischöfe) auf die Apostel zurück. Die Pastoralbriefe schieben als Zwischenglied sozusagen die Apostelschüler ein, die im Auftrag und auf Anweisung des Apostels zu handeln haben und auf das ihnen verliehene Charisma hin angeredet werden. Bezeichnend ist aber, daß Lukas ebensogut sagen kann, der Heilige Geist habe die Bischöfe eingesetzt (Apg. 20, 28), und das ist für ihn selbstverständlich gar kein Gegensatz zu dem oben (Apg. 14, 23) über die Apostel Gesagten. Denn diese sind ja Träger des Geistes. Das Handen des Pneuma ist ganz als „leibliches” (Luther) d.h. real-geschichtliches Handeln verstanden. Und der Heilige Geist selber bewirkt durch das Werkzeug der Apostel den notwendigen Übergang der Gemeindeleitung, der Seelsorge, der Verkündigung von den Aposteln zu den Presbytern und Bischöfen, damit in der Kirche das lebendige Gegenwart bleibe, was der Herr gesagt und gestiftet hat, woran der Herr sich selbst gebunden hat, auch dann, wenn die Apostel nicht mehr am Leben sein werden.

Die Übergabe des Auftrages der Verkündigung, Seelsorge und Gemeindeleitung findet nach der Apostelgeschichte und den Pastoralbriefen statt durch die öffentliche Ordination, die mit der Handauflegung und dem Fürbittgebet verbunden ist. Diese Ordination ist ein „sakramentaler Akt”, der dem Empfänger die „wirksame Amtsgnade” verleiht (H. Frh. von Campenhausen), indem die Handauflegung als leibhafte Handlung und Medium das Charisma mitteilt, ohne welches das Amt nicht ausgerichtet werden kann (Apg. 6, 5-6; 13, 2-3; 1. Tim. 4, 14; 2. Tim. 1, 6; 4, 5). Diese Ordination bedeutet zugleich auch die rechtliche Anweisung und Legitimierung des betr. Amtsträgers vor der Gemeinde. Eine absolut wirkende Garantie für die echte Ausübung des Amtes ist aber in diese Beauftragung und geistliche Bevollmächtigung nicht eingeschlossen gedacht.

Zweifellos kann man also weder in der Apostelgeschichte noch in den Pastoralbriefen eine formale Sukzessionstheorie finden. Vollends ist hier

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jeder Gedanke daran ferne, man könnte das kirchliche Amt durch den Aufweis von Bischofsreihen empirisch-historisch sicherstellen. Wenn die Pastoralbriefe den Begriff der Paradosis geradezu meiden und statt dessen vom Depositum (Paratheke) der apostolischen Lehre sprechen, so dürfte darauf die Abwehr des gnostischen Traditionsbegriffes von erheblichen Einfluß gewesen sein.

Wohl aber kann man von diesem zweiten Stadium urchristlicher Kirchenbildung sagen:

Die Bischöfe bezw. die Ältesten, eingesetzt durch die Apostel, repräsentieren jetzt die legitime diadoché successio. Diese Form des Traditionsbewußtseins der Kirche hat dann der 1. Clemens-Brief auf die berühmte und zugleich viel verlästerte Formel gebracht, die eine „nicht abreißende Kontinuität” hinsichtlich des Amtes der Kirche feststellt: Gott-Christus-die Apostel-die Bischöfe; eines kommt vom anderen und hat durch dieses Herkommen sein Recht und seine Legitimität. Im diesseitig-empirischen und innerweltlich-historischen Sinne ist dieser Satz zweifellos nicht beweisbar, weil man nicht an allen Orten und für die Zeit vom Ende der Generation der Apostel an lückenlos feststellen kann, welche Gemeindeleiter von den Aposteln eingesetzt worden sind. Dennoch ist der Satz des Clemens-Briefes mehr als eine dogmatische und kirchenrechtliche Theorie. Von den Aposteln aus geht die Verkündigung des Evangeliums und der Vollzug der sakramentalen Stiftungen weiter, ebenso die Kirchen- und Gemeindeleitung. Das Neue, was jetzt zu dieser grundlegenden Vorstellung hinzutritt, ist aber dies: die Weitergabe ist angeknüpft an das Amt der Gemeindeleiter oder Bischöfe (man beachte, daß dieses Amt sich also nicht einfach mit dem Bischofsamt der heutigen „katholischen” Kirchen deckt). Und zweitens: Die Tradition der apostolischen Lehre und des Credo kann nur als gesichert gelten gegenüber den Feinden, den Irrlehrern in und außerhalb der Kirche, wenn die Amtsträger der nachapostolischen Kirche von den Aposteln herkommen. Auf den anderen Seite zeigt es sich bald, daß die Bindung der apostolischen Traditin an dies Amt der Bischöfe nicht genügte, daß es auch nicht ausreichte, damit zugleich diese Amtsträger für die echte, apostolische Paradosis verantwortlich zu machen. Darum band sich die Kirche und band sie die Bischöfe an die regula fidei, das Credo und an den Kanon. D.h. also: das die Tradition der Apostel, von der die Kirche lebt, schützende Amt der Bischöfe muß selbst geschützt, normiert und gebunden werden; dies geschieht dadurch, daß die Kirche ein Credo hat, und daß sie die apostolische Tradition mit Hilfe des Kanon begrenzt gegen die Irrlehren und die angeblichen

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mündlichen Traditionen und damit verbundenen Lehrerreihen der gnostischen Bewegung. So darf denn der Lehrsatz des 1. Clemensbriefes nicht isoliert gesehen werden. Das Amt der Bischöfe wird zum konstituierenden Amt der Kirche. Aber es kann nicht willkürlich lehren noch handeln. Es ist durch die apostolische Tradition selbst gebunden. Darin besteht die echte traditio, auch dort, wo wir von einer Einsetzung der Presbyter durch einen Apostel nicht das Mindeste wissen, daß die Bischöfe ihr Amt und ihre Verkündigung in der Kirche der Apostel empfangen. Ausdrücklich faßt denn auch der 1. Clemens 44, 2 f. die Möglichkeit ins Auge, daß auch „andere bewährte Männer” an Stelle der Apostel Bischöfe einsetzen, und er fügt hinzu, daß dies „unter Zustimmung der ganzen Gemeinde” geschehen sei, also nicht ein Vorgang sein kann, den die Amtsträger in ihrem eigenen Kreise für sich abmachen könnten.

Blicken wir von hier aus noch einmal auf die erste Epoche in der Bildung der apostolischen Kirche und ihrer Ämter zurück, so wird die Bedeutung jener Anweisung des Paulus an die Thessaloniker klar, daß sie diejenigen ehren und in Liebe hochhalten sollen, die sich um die Gemeinde mühen und sie „im Herrn betreuen” (1. Thess. 5, 12 f.). Hier handelt es sich um freiwillig übernommene Dienstleistungen für die Gemeinde, aber aus diesen bildet sich nun die Autorität des Amtes, und der Apostel legitimiert diese Autorität der Diener der Gemeinde. Es ist hier nicht davon die Rede, daß der Apostel selbst sie eingesetzt habe. Dennoch steht die kirchenleitende Autorität des Apostelamtes nicht außerhalb dessen, was die der Gemeinde freiwillig dienenden Personen tun. Vielmehr, der Apostel erkennt ihren Dienst an und fordert die Gemeinde auf, diese ersten Diener der Gemeinde „anzuerkennen”. So wenig hier bei Lebzeiten des Apostels also von einer formalen „Sukzession” die Rede sein konnte, so deutlich zeigt die Mahnung des Apostels, daß er seine Autorität und Vollmacht dazu einsetzt, den Gemeinden zur Ordnung und zur örtlichen Gemeindeleitung zu verhelfen. Entscheidend ist dabei das die ganze Gemeinde mit ihren Dienern umschließende Bewußtsein, daß auf den Dienst die Liebe antworten muß, und aller Dienst an der Gemeinde „im Herrn” ausgerichtet wird.

Wir ziehen daraus die Folgerung, daß es die wahre Tradition und Weitergabe, die wahre Kontinuität der Kirche allein in Christus gibt, in der Einheit des Geistes und der Liebe. Dann aber kann das Amt der Bischöfe die Gemeinde Christi nur dann leiten und wieden und von den Gefahren verführerischer Irrlehre bewahren (vgl. Apg. 20, 28!), wenn es sich als

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diakonia versteht und sich an Wort und Geist der Apostel bindet. Die formale historische Sukzession der Amtsträger sichert als solche die Kirche nicht. Wohl aber sichert der in seiner Kirche lebendige Kyrios die echte Tradition und Kontinuität seiner Kirche, und Er bewirkt diese ununterbrochen dadurch, daß er durch den Heiligen Geist seine Diener beruft und sendet. Er ist der Schöpfer der Kette der Zeugen auch dort, wo diese Kette für den menschlichen Blick unsichtbar geworden ist.

Das besagt zugleich, daß der Begriff der Weitergabe des Amtes, den schon das Neue Testament im oben entwickelten Sinne bezeugt, nicht ersetzt werden kann durch den angeblich allein „evangelischen” Begriff der „successio fidei”. Ohne die Tradition des Credo und der Sakramente, ohne die Weitergabe des Amtes der Gemeindeleitung, der Verkündigung, des Vollzuges der kirchenstiftenden Sakramente der Taufe und des Herrenmahls, welche die ganze Gemeinde, die der Väter und die der noch ungeborenen Geschlechter, zur Kirche der Apostel macht, ist eben dieser successio fidei unmöglich.

Es gibt also die successio fidei nicht außerhalb der Kontinuität und Tradition der Kirche. Es ist der häretische Spiritualismus, der den punktuell als Ereignis gedachten Glauben aus diesem pneumatisch-geschichtlichen Zusammenhang der traditio in der Kirche herausreißt und zweitens auch die Sachtradition, nämlich die Weitergabe des Evangeliums, und die Personaltradition, nämlich die Weitergabe der Ämter von Einem zum Anderen, in einen unmöglichen Gegensatz zu einander bringt. Weder kann die Sachtradition die Personaltradition noch umgekehrt die letztere die Sachtradition ersetzen. Beide können nur in- und miteinander bestehen. Die Predigt und der Glaube leben aus der Geschichte der Übertragungen und des Weitergebens, die Personen aber, die in der Kirche ein Amt empfangen oder weitergeben, aus der apostolischen Überlieferung des Evangeliums und der Sakramente, an welche ihre Ämter gebunden sind, durch die sie ausgerichtet und normiert werden, und welche sie zu bewahren und weiterzureichen bevollmächtigt werden.

                                       

Prof. D.Dr. Heinz Dietrich Wendland

Münster i./W.
Theol. Fakultät der Universität