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Erster Teil.

Geschichte der Quellen und Literatur der reformierten Verfassungslehre.

 

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Wir haben zunächst die Aufgabe, die wir uns gesetzt, etwas näher zu bestimmen. Wenn es sich darum handelt, die reformierte Kirchenverfassung als ein eigentümliches System von Verfassungsgrundsätzen und Verfassungseinrichtungen im Unterschied von der lutherischen darzustellen, so scheidet einmal die gesammte Kirchenverfassung im Gebiete des Zwinglianismus aus. Denn dieser hat keinen eigenen, vom lutherischen wesentlich unterschiedenen Typus kirchlicher Organisation hervorgebracht, den man als den spezifisch reformierten bezeichnen könnt. Wohl fehlt es ihm nicht an einem von dem lutherischen abweichenden Kirchenbegriff und an gewissen eigentümlichen Einrichtungen, aber alles das führt nicht zu einem besonderen System der Kirchenverfassung. Im Gebiet des Zwinglianismus hat sich gerade so wie in dem des Luthertums ein solches Übergewicht der weltlichen Obrigkeit in kirchlichen Dingen entwickelt, dass die Kirche es zu keiner eigenen Verfassung brachte und mit dem Staate zusammen Ein Ganzes, Ein geistlich-weltliches Gemeinwesen bildete. Ja, während die lutherische Kirche wenigstens an den Konsistorien und Superintendenten trotz ihres landesherrlichen Charakters einer sachgemässen Führung ihrer Angelegenheiten besass, genoss die reformierte Kirche im Gebiete des Zwinglianismus nicht einmal dieses bescheidene Mass einer eigenen Organisation. Die weltliche Obrigkeit führt als christliche das Kirchenregiment bald mit, bald ohne den Beirat der Geistlichen. 1)


1) Wenn auch daher der Zwinglianismus aus unserer Darstellung ausscheidet, so geschieht doch vielleicht manchem ein Dienst, wenn wir hier diejenigen Rechtsquellen anführen, aus denen die Kenntnis der gegenwärtigen Kirchenverfassung der schweizerischen Kantone im Gebiete des Zwinglianismus zu schöpfen ist, und die sämmtlich auf amtliche Mitteilungen nach dem Stand des Jahres 1897 beruhen.
1. Zürich: a) Gesetz vom 20. August 1861 betr. das Kirchenwesen des Kantons Zürich (enthält in 261 Paragraphen eine vollständige Ordnung des evangelischen Kirchenwesens); abgeändert in einzelnen Paragraphen einmal durch b) Gesetz betr. Abänderung einiger Bestimmungen des Gesetzes über das Kirchenwesen des Kantons Zürich vom 20. August 1861, vom 14. Dezember 1873, und sodann durch c) Gesetz. betr. die Kirchensynode, sowie die Wahlart und Zusammensetzung des Kirchenrates, vom 3. November 1895. Die unter a) und b) ➝

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Unser Gebiet verengert sich aber noch weiter dadurch, dass ausser dem Zwinglianismus auch der Anglikanismus ausscheidet. Dieser hat eine so eigenartige Verfassung ausgebildet, dass sie einen Typus für sich darstellt, der nicht mit der Verfassung der anderen reformierten Kirchen zusammen behandelt werden kann. Überdies hat der Anglikanismus, wie schon seine Name sagt, eine nur lokale Bedeutung erlangt, und so sind wir auch aus diesem Grunde berechtigt, hier von ihm abzusehen. 1)


➝ genannten Gesetze sind zusammen met den auf Religion und Unterricht sich beziehenden Bestimmungen der Bundesverfassung und der Kantonsverfassung vom 18. April 1869 und anderen hier einschlagenden Gesetzesvorschriften in der vom Kirchenrat herausgegebenen Sammlung: „Das Reformierte Kirchenwesen des Kantons Zürich. Zusammenstellung der zur Zeit in Kraft stehenden Verfassungsbestimmungen, Gesetze und Verordnungen” Zürich 1888 enthalten.
2. Bern: Gesetz über die Organisation des Kirchenwesens im Kanton Bern, vom 18. Januar 1874.
3. Basel-Stadt: Gesetz über die Organisation der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Basel-Stadt, vom 5. Januar 1874, und Gesetz betr. die Abänderung dieses Gesetzes, vom 12. November 1896, sowie Gesetz betr. die Wahl der Geistlichen der ev.-reformierten Landeskirche, vom gleichen Tage.
4. Basel-Land entbehrt einer das gesamte evangelische Kirchenwesen des Kantons regelnden Ordnung.
5. Schaffhausen: Gesetz der Kirchen-Organisation betr., vom 21. und 22. November 1854.
6. St. Gallen: Organisation der evangelischen Kirche des Kantons St. Gallen, vom 20. Juni/29. Novbr. 1892 (von der Synode beschlossen, vom Grossen Rat staatlich sanktioniert).
7. Thurgau: Grundgesetz betr. die Organisation der evangelischen Kirche des Kantons Thurgau, vom 3. Mai 1870.
8. Aargau: Organisation der ev.-reformierten Kirche des Kantons Aargau, von der Synode am 27. September 1893 beschlossen, vom Grossen Rat am 28. Mai 1894 staatlich genehmigt.
9. Freiburg: Kirchengesetz und Kirchenordnung für die reformierte Landeskirche des Kantons Freiburg, vom 3. Juli 1873 (ersteres ist Staatsgesetz, letzteres ist von der Synode vorgelegt und vom Staatsrat genehmigt worden).
10. Glarus: Revidirte evangelische Kirchenordnung, vom dreifachen Landrate genehmigt den 18. Januar 1882.
11. Appenzell ausser Rhoden: Ordnung für die ev.-reformierte Landeskirche des Kantons Appenzell a.Rh., angenommen von 19 Kirchengemeinden den 23. September 1877, vom Kantonsrate genehmigt den 12. November 1877.
12. Graubünden: Kirchliche Gesetzessammlung für den Kanton Graubünden evangelischen Teils. In Kraft getreten den 1. Januar 1896, vom evangelischen Kirchenrate vorgelegt, vom Kleinen Rate staatlich genehmigt den 5. November 1895.
Für das Geschichtliche verweise ich auf das treffliche Werk von G. Finsler, Kirchliche Statistik der reformierten Schweiz 1854, für die neuere Zeit auf Gareis und Zorn, Staat und Kirche in der Schweiz, 2 Bde. 1877 und 1878.
1) Die beste Darstellung dieser Kirchenverfassung ist nicht von englischer, sondern von deutscher Seite ausgegangen: Felix Makower, Die Verfassung der Kirche von England. 1894.

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Das was man im Unterschied von der lutherischen die spezifisch reformierte Kirchenverfassung zu nennen pflegt, hat sich lediglich im Gebiet des Calvinismus entwickelt. Diesem dritten Zweige des reformierten Protestantismus war es vorbehalten, ein bestimmt ausgeprägtes, auf eigentümlichen dogmatischen Grundanschauungen ruhendes System kirchlicher Organisation zu schaffen. Calvin, nicht Zwingli ist der Urheber der reformierten Kirchenverfassung: die kalvinische Verfassung ist die reformierte Kirchenverfassung. Während der Zwinglianismus in der Hauptsache auf die deutsche Schweiz, der Anglikanismus auf England und die englischen Kolonien beschränkt blieb, hat sich der Calvinismus über die ganze Erde ausgebreitet: ihm kommt eine wahrhaft internationale Bedeutung zu; in der alten wie in der neuen Welt hat er festen Fuss gefasst.

Doch ist dabei zweierlei im Auge zu behalten.

Der reformierte Protestantismus in dem näher bezeichneten Sinne ist sich im Verlaufe seiner Geschichte vom Reformationszeitalter bis zur Gegenwart nicht gleich geblieben. Der moderne Calvinismus unterscheidet sich in wichtigen Punkten von dem des 16. und 17. Jahrhundert. Es vollzog sich seit dem 17. Jahrhundert ganz allmählich, zuerst kaum merkbar, später immer greifbarer, eine Art von Modernisierung der altreformierten Kirchenverfassung, ein Seitenstück zu dem Verwandlungsprozess, dem zur selben Zeit die lutherische Kirchenverfassung unterlag. Die ursprünglichen Motive, aus denen die Verfassungseinrichtungen hervorgegangen sind, wurden von neuen Ideen abgelöst, ohne dass zunächst die Einrichtungen selbst in ihrem äusseren Bestande davon betroffen wurden; erst später treten die Wirkungen des neuen Geistes auch in den rechtlichen Gestaltungen hervor. Es ist deshalb auch keine so einfache Sache, die Prinzipien der reformierten Kirchenverfassung zu fixiren und zu formuliren; manches, was für eine eigentümliche Grundanschauung der reformierten Kirche gilt, hat sich erst im Laufe der Zeit herausgebildet. Es gilt also im Gebrauche der Quellen grosse Vorsicht zu üben und zwischen den älteren und den neueren zu unterscheiden.

Das zweite Moment, das eine Darstellung der reformierten Kirchenverfassung nicht ausser Acht lassen darf, ist, dass der reformierte Protestantismus vielfach keinen ganz reinen, sondern einen gemischten Typus darstellt. Es gilt dies insbesondere von Deutschland. Hier ist der reformierte Protestantismus fast durchweg von Hause aus lutherischen Ursprungs und hat sich erst später nach den reformierten Seite hin entwickelt, ist daher in der Regel lutherisch temperirt. Die reformierten deutschen Kirchenordnungen stellen deshalb fast nirgends den rein kalvinischen Kirchenverfassungstypus dar; in der Regel enthalten sie auch lutherischen Verfassungselemente.

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Haben wir damit unsere Aufgabe näher bestimmt und begrenzt, so liegt uns jetzt ob, die Quellen zu beschreiben, die wir unserer Darstellung zu Grunde legen.

Hier ist es vor allem wichtig, sich darüber klar zu werden, dass es nicht Eine reformierte Kirche im Rechtssinne gibt, sondern viele von einander unabhängige, gegen einander selbständige. 1) Und doch kann man von Einer kalvinisch-reformierten Kirchenverfassung reden. Die Einheit und Gleichheit der vielen kalvinisch-reformierten Kirchen in der Verfassung ist viel grösser als die der vielen lutherischen. Es hängt dies damit zusammen, dass die kalvinische Kirchenverfassung auf gewissen dogmatischen Grundanschauungen beruht, die zum ersten Male bei Calvin und in der Verfassung der Genfer Kirche auftreten und für alle kalvinisch-reformierten Kirchen das gleiche Mass von Verbindlichkeit haben. Fehlt es daher auch den reformierten Kirchen an der Rechtseinheit, so ist die geistige Einheit um so grösser, die durch Calvin und die Genfer Kirche repräsentirt wird. 2)

1. Ist Calvin der geistige Urheber der reformierten Kirchenverfassung, dann ist es natürlich, dass vor allem seine Werke als Quelle in Betracht kommen. Aus ihnen lernen wir die Motive und Grundgedanken der reformierten Kirchenverfassung kennen. Während die Kirchenordnungen und überhaupt die eigentlichen Rechtsquellen hierüber oft schweigen, enthüllen uns die Schriften Calvins den dogmatischen Untergrund der von ihm begründeten Kirchenverfassung. Unter


1) Man kann nicht einmal von Einer reformierten Kirche als Bekenntniseinheit sprechen. Denn die Reformierten besitzen kein gemeinsames Bekenntnis. Am verbreitetsten sind der Heidelberger Katechismus, die Helvetica posterior und das Westminster confession. Vgl. Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte, (2. Aufl. 1890) S. 420. — Neuerdings haben die britisch-amerikanischen reformierten Kirchen einen Vereinigungspunkt in The Alliance of the Reformed Churches throughout the World holding the Presbyterian System, dessen Organ das alle 4 Jahre zusammentretende Panpresbyterian Council ist; das erste Mal fand dieses Council in Edinburgh 1877 statt.
2) Über die Vorbildlichkeit der ecclesiae optime reformatae, zu denen an erster Stelle die Genfer Kirche gehört, vgl. z.B. den Eingang der Beschlüsse des Weseler Konvents von 1568 (Werken der Marnix-Vereeniging II, 3 p. 9): Praecipit Apostolus Paulus ut in ecclesia Dei omnia fiant ordine et decenter: Quo non modo unanimis ecclesiae in doctrina, verum etiam in ipso ordine et politica ministerii gubernatione constet ac habeatur consensus. Vt autem earum rerum consimilis ratio in omnibus Belgicis ecclesiis seruari possit, visum fuit haec subsequentia capita, de quibus apud optime reformatas ecclesias consultatum est, ordine proponere, quo ad salutarem ecclesiae fructum a Belgii ministerio vnanimi consensu et obsignentur et observentur.

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ihnen steht obenan das Hauptwerk seines Lebens, die Institutio religionis christianae in verschiedenen Ausgaben, von denen die wichtigeren die von 1536, 1539, 1543 und 1559 sind (vol. I und II der opera Calvini im Corpus reformatorum). Von der Kirchenverfassung handelt die erste Ausgabe nur kurz (Opp. Calvini I p. 205ff.); die späteren Ausgaben gehen in Cap. VIII unter dem Titel De ecclesia genauer darauf ein, insbesondere findet sich das kalvinische System in der Ausgabe von 1543 bereits abgeschlossen (Opp. I p. 537ff.). Endlich in der letzten Ausgabe von 1559 ist das vierte Buch (Liber Quartus [Opp. II p. 745ff.]: De externis mediis vel adminiculis quibus Deus in Christi societatem nos invitat et in ea retinet) der Kirchenverfassung gewidmet.1)

Daneben sind aber auch andere Schriften Calvins, insbesondere seine Kommentare und Predigten über die Pastoralbriefe,2) seine zahlreichen Briefe (Thesaurus epistolicus Calvinianus in den opp. vol. Xa-XX) und gelegentliche Äusserungen über die Kirchenverfassung in den übrigen Schriften zu berücksichtigen.

2. Zu den Werken Calvins, aus denen seine kirchenrechtlichen Grundsätze zu erheben sind, gehört auch die Genfer Kirchenordnung. Die Ordonnances ecclésiastiques de Genève vom 20. November 1541 sind der Preis, den Genf für die Rückkehr Calvins zahlte; an ihrer Ausarbeitung hat der Reformator den hervorragendsten Anteil genommen, und wenn er auch in manchen Stücken hat nachgeben müssen, so trägt doch keine Kirchenordnung so sehr den Stempel seines Geistes wie die Genfer;3) nach ihrem Muster sind zahlreiche reformierte Kirchenordnungen gearbeitet. Ihr ursprünglicher Text ist in einer Abschrift erhalten, die sich an der Spitze der Aufzeichnungen der Genfer Vénérable Compagnie findet; die Herausgeber der opera Calvini (im Corpus Reformatorum) haben in vol. Xa p. 15ff. den von Calvin in Verbindung mit seinen Amtsbrüdern und sechs Mitgliedern des Rates ausgearbeiteten Entwurf der Kirchenordnung (Projet d’Ordonnances Ecclésiastiques Septembre et Octobre 1541) abgedrückt und in Fussnoten die Abweichungen jener Abschrift von diesem Entwurfe


1) Über die verschiedenen Ausgaben von Calvins Institutio vgl. J. Köstlin in den theologischen Studien und Kritiken 1868.
2) Von den zwei Briefen an Timotheus sagt Calvin in einem Briefe an den Herzog von Sommerset (opp. XIII p. 13): in his duabus epistolis quasi in viva tabula depictum habemus verum ecclesiae regimen.
3) Vgl. C.A. Cornelius, die Gründung der Calvinischen Kirchenverfassung in Genf 1541. Aus den Abhandlungen der k. bayer. Akademie der Wiss. III. Cl. XX. Bd. II. Abth. 1892.

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sorgfältig verzeichnet. Daraus kann sich also jeder den ursprünglichen Text der Genfer Kirchenordnung ohne Mühe konstruiren. Dagegen ist der von Richter in seiner Sammlung der evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts Bd. I S. 342-353 veröffentlichte Text nicht der ursprüngliche, sondern in der Hauptsache der Text einer späteren Ausgabe.1). Die Ordonnances Ecclésiastiques erhielten nämlich im Laufe der nächstfolgenden Jahre allerlei Zusätze, und so wurde 1561 eine neue, erweiterte Ausgabe der Ordonnances veranstaltet, die die Herausgeber der Werke Calvins a.a.O. p. 91-124 abgedruckt haben. Eine weitere Ausgabe erschien 1576; sie ist mir nicht zugänglich gewesen; doch scheint sie keine wesentlichen Änderungen gebracht zu haben.2)

Die geltende Gesetzgebung für die evangelische Kirche Genfs (l’Eglise nationale protestante de Genève) ist enthalten in der offiziellen Sammlung Lois sur le Culte Protestant et Règlements Généraux de l’Eglise nationale protestante de Genève. Genève 1895. In der Hauptsache beruht die gegenwärtige Verfassung der evangelischen Kirche Genfs auf dem Chapitre Ier des Titre X der Constitution de la République et Canton de Genève vom 24. Mai 1847 in der durch die Beschlüsse vom 25. März/26. April 1874 und vom 6. Juli/7. August 1892 modifizirten Gestalt, und auf der loi organique sur le culte protestant vom 3. bezw. 19. Oktober 1874.

Neben der Eglise nationale protestante de Genève besteht seit 1848 eine Eglise évangélique libre de Genève, zu deren Bildung die vom Grossen Rate proklamirte Bekenntnislosigkeit der evangelischen Nationalkirche den unmittelbaren Anstoss gegeben hat. Die ursprüngliche, noch im Jahre 1848 geschaffene Verfassung dieser Kirche ist abgedruckt bei Gareis und Zorn, Staat und Kirche in der Schweiz, Anhang p. LXXIXff.; die gegenwärtige Verfassung wurde am 13. Dezember 1883 angenommen und am 24. März 1891 revidirt; sie ist separat erschienen.3)

3. Für die gleichen Grundsätze, die Calvin in Genf vertrat, wirkten in Neuenburg Guillaume Farel (1489-1565) und in Lausanne Peter Viret (1511-1571), beide Freunde und Gesinnungsgenossen des


1) Vgl. Kampschulte, Johann Calvin I S. 394 Anm. 2.
2) Vgl. darüber Finsler, Kirchliche Statistik der reformierten Schweiz S. 524.
3) Zur Geschichte dieser Kirche vgl. Hermann von der Goltz, die Reformierte Kirche Genfs im neunzehnten Jahrhundert, 1862 S. 432ff. Finsler, Kirchliche Statistik der reformierten Schweiz S. 556ff. Gareis und Zorn, Staat und Kirche in der Schweiz II S. 232ff.

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Genfer Reformators. In Neuenburg1) hatte jede Gemeinde, hauptsächlich zur Übung der Kirchenzucht, ein Konsistorium (Consistoire admonitif), über ihm als eine höhere Instanz eine Art Oberkonsistorium (Consistoire seigneurial); über den Gemeinden bestanden Kolloquien, die aber keine grosse Rolle spielten. Die obersten kirchlichen Organe des Landes waren die Klasse d.h. la Vénérable Compagnie des Pasteurs und die Synode. Die ganze Organisation beruhte mehr auf Herkommen als auf ausdrücklicher Festsetzung oder staatlicher Genehmigung2), wurde aber, als Neuenburg 1707 an den König von Preussen kam, von diesem feierlich bestätigt. Erst die Revolution von 1848 machte wie der politischen so auch der althergebrachten kirchlichen Verfassung ein Ende. Die jetzige Verfassung der reformierten Kirche des Kantons Neuenburg beruht zum Teile auf der Loi règlant les rapports de l’Etat avec les Cultes, vom 20. Mai 1873, zum Teil auf dem Règlement général de l’Eglise nationale vom 19. März 1874.3)

Eben diese neueste Gesetzgebung war für eine Anzahl Pastoren und Laien der Anlass, aus der Landeskirche auszutreten und sich zu einer freien Kirche zu vereinigen (Eglise évangélique Neuchâteloise, indépendante de l’État). Eine konstituirende Synode nahm am 15. Januar 1874 die Constitution de l’Église évangélique Neuchâteloise, indépendante de l’État an, die dann auch von den einzelnen Gemeinden angenommen wurde. Nach Art. 1 der Constitution hat sich diese freie Kirche gebildet pour maintenir, conformément aux principes de l’ancienne Eglise neuchâteloise, la souveraineté du Seigneur Jésus-Christ sur son Eglise et la prédication du pur Evangile.4)

4. Grösseren Schwierigkeiten begegnete die von Viret angestrebte Einführung einer Kirchenverfassung nach kalvinischen Grundsätzen und insbes. einer strengen Kirchenzucht im Waadtlande.5) Dieses Land


1) Vgl. Finsler, Kirchliche Statistik der reformierten Schweiz S. 481ff. Boyve, Annales historiques du Comté de Neuchatel et Valangin T. II. III. für die neuere Zeit. Gareis und Zorn, Staat und Kirche in der Schweiz I S. 616ff.
2) Interessant sind die von der Synode 1562 aufgestellten Articles de la discipline ecclésiastique, die, wenn sich auch von der Staatsgewalt nicht förmlich bestätigt worden sind, doch die Grundsätze zeigen, nach denen die Kirche regiert und die Kirchenzucht geübt wurde. Sie stehen bei Boyve a.a.O. T. III p. 116-128.
3) Sie sind mit anderen kirchlichen Gesetzen und Verordnungen in der offiziellen Ausgabe: République et Canton de Neufchatel. Actes Législatifs Arrêtés, Règlements, Etc. concernant les Cultes 1889, zusammengestellt.
4) Vgl. Gareis und Zorn a.a.O. Bd. II S. 252. Die Constitution ist im Anhang p. LXXXIXff. abgedruckt.
5) Vgl. Finsler, Kirchliche Statistik der reformierten Schweiz S. 399ff. Gareis und Zorn, Staat und Kirche in der Schweiz S. 592ff.

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war von 1536 bis 1798 bernisches Untertanenland und wurde in kirchlicher Hinsicht nach den in Bern anerkannten Grundsätzen des Zwinglianismus regiert. Vergebens bemühten sich Viret und die mit ihm gleichgesinnten meist französischen Geistlichen um eine selbständige Verfassung der Kirche; als die Klasse Lausanne im Jahre 1558 das vollständig ausgeführt Projekt einer Presbyterial- und Synodalverfassung dem Rate in Bern überreichte, kam es zur Entlassung Virets und seiner Gesinnungsgenossen, und damit hatte das bernische System über das kalvinische den Sieg davongetragen: das Verhältnis von Staat und Kirche wurde im Sinn eines ausgesprochenen Staatskirchentums geregelt.1) Und dabei blieb es auch, nachdem das Waadtland von Bern unabhängig und seit 1803 selbständiges Glied der schweizerischen Eidgenossenschaft geworden war. Diese starke Bevormundung der Kirche führte im vierten Dezennium unseres Jahrhunderts zur Gründung der Eglise évangélique libre du canton de Vaud, deren geistiges Oberhaupt Alexander Vinet war.2) Am 12. März 1847 erfolgte ihre Konstituierung durch Annahme einer Verfassung.3) Nach Art. 1 derselben ist die Bildung einer freien Kirche geschehen pour maintenir de concert les droits de Jésus-Christ sur son église, la pureté du ministère évangélique, la liberté religieuse et la saine doctrine. Es lässt sich nicht verkennen, dass in der freien Kirche des Waadtlandes die kalvinischen Ideen der Selbständigkeit der Kirche wieder erwacht sind. Inzwischen ist nun aber auch die Verfassung der waadtländischen Kirche freier und mehr in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Calvinismus geregelt worden (Loi ecclésiastique du canton de Vaud du 19 Mai 1863 modifiée par le Décret du 2 décembre 1874, et suivie de la Loi du 2 février 1874 sur le traitement des Pasteurs).

5. Von Calvin und der Schweiz wenden wir uns zu Frankreich. Die reformierte Kirche dieses Landes ist die älteste Tochter der Genfer


1) Näheres über den waadtländischen Kirchenkonflikt von 1558/59 findet sich bei Finsler a.a.O. S. 403ff. Ruchat, Histoire de la Réformation de la Suisse ed. L. Vuillemin Tom. VI. Hundeshagen, die Konflikte des Zwinglianismus, Lutherthums und Calvinismus in der Bernischen Landeskirche von 1532 bis 1558. Viele Aktenstücke, die hierher gehören, finden sich in Calvini opp. vol. XVII. Das im Text genannte Verfassungsprojekt scheint bis jetzt nirgends in extenso abgedruckt zu sein; Ruchat und Hundeshagen geben nur Auszüge davon.
2) Über die Geschichte der Entstehung der freien Kirche, auf die wir hier nicht näher eingehen können, siehe Finsler a.a.O. S. 439ff. Gareis und Zorn a.a.O. Bd. II S. 241ff. Cart, Histoire de la liberté des cultes dans le canton de Vaud 1890 p. 59ff. Siehe auch unten im zweiten Teil, VII.
3) Abgedruckt bei Gareis und Zorn a.a.O. Anhang p. LXXXIIff. Sie ist seitdem in einigen Artikeln 1871, 1874, 1887 und 1893 modifizirt worden.

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Mutterkirche; ehe sie an der Synodalverfassung das alle evangelische Gemeinden zusammenhaltende Band erhielt, war der Genfer Reformator ihr geistiger Mittelpunkt. Von ihr kommen zwei Dokumente in Betracht: ihr Glaubensbekenntnis und ihre Kirchenordnung, beide auf der ersten konstituirenden Versammlung der evangelischen Gemeinden zu Paris am 26. Mai 1559 beraten und angenommen. Die Confession de Foy besteht aus vierzig Artikeln, von denen für uns die über die Kirche und ihre Verfassung (Art. 29ff.) wichtig sind. Ihren ältesten französischen Text finden wir in der gewöhnlich dem Schüler Calvins, Theodor von Beza, zugeschriebenen Histoire Ecclésiastique des Eglises Réformées au Royaume de France Tome I p. 173-185. 1) Die Discipline Ecclésiastique zählt gleichfalls vierzig Artikel. Mit ihrem Text hat es eine eigentümliche Bewandnis: sehr frühe, schon im Jahre 1562, fanden sich so verschiedene Texte dieser Kirchenordnung, dass man nicht mehr wusste, welches der ursprüngliche sei. 2) Die vorhin genannte Histoire Ecclésiastique teilt P. I p. 185-190 einen Text mit, den sie selbst als le premier projet bezeichnet. Davon weicht der Text, den Aymon in seinem gleich zu erwähnenden Sammelwerke P. I p. 1 ff. mitteilt, nicht unerheblich ab; er stimmt mit der Praxis überein, die in den nächsten Jahren nach jener konstituirenden Versammlung geherrscht hat, während jener Entwurf wohl dem Zustande, wie er bisher gewesen, entspricht. 3) In der Folgezeit wurde die Discipline ecclésiastique auf den französischen Nationalsynoden fortwährend verändert und erweitert. Als daher auf der 19. Nationalsynode zu Loudun 1659/1660 über die verschieden lautenden Abdrücke der Discipline Ecclésiastique Klage geführt wurde, ordnete die Nationalsynode an, dass eine sehr genaue und korrekte Ausgabe nach den Beschlüssen der Nationalsynoden mit den Sätzen und Bemerkungen (les Canons et les Observations) dieser Synoden am Rande veranstaltet werde, und beauftragte damit den reformierten Pfarrer und Professor der Theologie in Saumur Amiraud. 4) Doch verhinderte ihn der Tod daran. An seine Stelle trat sein Kollege in Saumur, D’Huisseau, und gab, jedoch als Privatarbeit, 1666 die Discipline Ecclésiastique in 14 Kapiteln mit 252 Artikeln in der Weise heraus, dass er den einzelnen Artikeln die Bemerkungen der Nationalsynoden hinzufügte und dadurch die


1) Eine Edition nouvelle avec commentaire, notice bibliographique et table des faits eet des noms propres haben die Strassburger Gelehrten G. Baum und Ed. Cunitz 1883ff. besorgt; die Seitenzahlen der Originalausgabe, nach denen gewöhnlich zitirt wird, sind am Rande angegeben.
2) Aymon (s. nachher) I p. 72 art. I.
3) So E. Marcks in seinem „Gaspard von Coligny” Bd. I, 1 S. 329.
4) Aymon (s. nachher) II p. 764 art. VII.

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allmähliche Erweiterung der Kirchenordnung anschaulich machte. In dieser Gestalt erlangte die Discipline Ecclésiastique eine grosse Verbreitung, und überall da, wo sie nach Kapiteln und Artikeln zitirt wird, ist diese Redaktion von d’Huisseau gemeint. Späteren Ausgaben dieses Werkes ist von einem Larroque für jeden einzelnen Artikel beigegeben: La Conformité de la dite Discipline avec celle des anciens Chrétiens (Amsterdam 1710).

Den Text der Beschlüsse und Verhandlungen der zwanzig Nationalsynoden der Hugenottenkirche von 1559 bis 1662 hat Aymon unter dem Titel: Tous les Synodes Nationaux des Eglises Réformées de France in zwei Bänden (Haag 1710) herausgegeben.

Auch nachdem in Folge des Widerrufs des Edikts von Nantes im Jahre 1685 die Hugenottenkirche die rechtliche Basis ihrer Existenz verloren hatte, erhielt sich noch ihre Organisation; Nationalsynoden wurden bis 1763 acht gehalten und die Provinzialsynoden fanden in einigen Provinzen ziemlich regelmässig bis 1796 statt.1) Nach den Stürmen der Revolution empfing die reformierte Kirche aus der Hand Napoleons I. durch die organischen Artikel des Gesetzes vom 18. Germinal des Jahres X (8. April 1802)2) eine neue Organisation, die, wenn sie auch dem Namen nach wieder Älteste, Konsistorien und Synoden einführte, doch von der altreformierten Kirchenverfassung sehr weit entfernt war. Danach bilden 6000 Protestanten innerhalb desselben Departements eine Konsistorialkirche (Église consistoriale); and ihrer Spitze stehen die Pastoren und das Konsistorium (consistoire). Dieses setzt sich zusammen aus den Pastoren der Konsistorialkirchen und Ältesten, die aus den Höchstbesteuerten (les plus imposés) gewählt werden und zwar das erste Mal, in den Kirchen, wo bisher kein Konsistorium bestanden hat, von der Vereinigung von 25 höchstbesteuerten Familienhäuptern; später erneuert sich das Konsistorium zur Hälfte alle zwei Jahre aus den Kreisen der Höchstbesteuerten. Die Zahl der Ältesten beträgt wenigstens 6, höchstens 12. Der Vorsitz im Konsistorium führt der älteste Pastor (d.h derjenige, der am längsten der Konsistorialkirche angehört). Die Aufgabe des Konsistoriums ist, über die Aufrechterhaltung der Kirchenordnung (discipline) zu wachen, das kirchliche Vermögen und die Almosengelder zu verwalten und, vorbehältlich der Bestätigung der Regierung, die Pfarrer zu ernennen. Über den Konsistorien erhebt sich die Bezirkssynode (le synode d’arrondissement), deren Bezirk 5 Konsistorialkirchen umfasst und deren Mitglieder die Zahl zehn nicht


1) Vgl. Armand Lods, Traité de l’Administration des Cultes Protestants 1896 p. 2.
2) Den Text s. bei Friedberg, die geltenden Verfassungsgesetze des evangelischen deutschen Landeskirchen S. 1001ff.

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überschreiten darf: jede Konsistorialkirche entsendet je Einen Pastor und je Einen Ältesten zur Bezirkssynode. Diese Synode darf nicht ohne Ermächtigung der Regierung zusammentreten und nur in Gegenwart des Präfekten oder des Unterpräfekten tagen, der über die Verhandlungen an die Regierung berichten muss; alle ihre Beschlüsse unterliegen der Bestätigung der Regierung. Zur Kompetenz der Synode gehört alles, was sich auf Kultus, Lehre und kirchliche Verwaltung (la conduite des affaires ecclésiastiques) bezieht.

Zwar enthielt die reformierte Kirche Frankreichs durch dieses Gesetz wieder einen festen Rechtsboden, aber es fehlte trotz Konsistorien, Ältesten und Synoden viel zur Wiederherstellung der alten Verfassung. Das Konsistorium des Gesetzes vom 18. Germinal X ist keine Gemeindebehörde, sondern eine Distriktsbehörde. Man half sich dadurch, dass man in den einzelnen Gemeinden eine Art von Unterkonsistorien einrichtete. Synoden hielt man bis 1850 überhaupt kaum ab, da den Reformierten wegen der strengen Staatsaufsicht, unter der sie standen, an ihrem Zusammentritt nichts lag. Endlich vermisste man ein Zentralorgan der Kirche, ähnlich der früheren Nationalsynode. So standen die Konsistorien ohne Zusammenhang neben einander. Vorstellungen und Bitten der Reformierten hatten lange keinen Erfolg. Ein von der Regierung 1839 ausgearbeiteter Entwurf, der Parochieen mit einem Conseil presbytéral vorsah, begegnete im Staatsrate so vielen Bedenken, dass er zurückgezogen wurde. Erst unter der Regierung des zweiten Kaiserreichs wurden die Wünsche der Reformierten wenigstens teilweise erfüllt. Das Gesetz (Décret-loi) vom 26. März 18521) schafft für jede Parochie oder Sektion der Konsistorialkirche einen Conseil presbytéral, der aus den Pastoren und 4 bis 7 Laienmitgliedern besteht. Dies letzteren werden durch das allgemeine Stimmrecht aller Gemeindemitglieder (le suffrage paroissial) gewählt, und erneuern sich alle drei Jahre zur Hälfte. Der Conseil presbytéral verwaltet die Parochie unter Aufsicht des Consistoire. Die Geistlichen werden vom Consistoire ernannt, dem der Conseil presbytéral eine alfabetisch geordnete Liste von drei Kandidaten vorlegen kann. Ausserdem wurde durch jenes Gesetz ein zentrales Organ der reformierten Kirche eingesetzt: le conseil central mit dem Sitz in Paris zur Vertretung der reformierten Gemeinden bei der Regierung. Er besteht aus protestantischen Notabeln, die von der Regierung ernannt werden, und den zwei ältesten Pastoren von Paris, im Ganzen 15 Mitgliedern.2) Dieser


1) Abgedruckt bei Friedberg a.a.O. 1005-1007.
2) Durch ein Dekret vom 3. juli 1879 wurden neun neue Mitglieder ernannt „qui, joints aux six membres en exercice, complètent le nombre de quinze membres adopté lors de la première organisation de ce corps” (Lods a.a.O. p. 300).

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Conseil central hat keine eigene Jurisdiktion, er ist eine lediglich beratende Behörde und befasst sich mit den Fragen allgemeinen Intereses, die ihm teils vom Kultminister, teils von der Kirchen vorgelegt werden.

Endlich hat die Regierung des Präsidenten Thiers 1871 auch die Generalsynode wiederhergestellt. Da die Legalität dieses Aktes von der liberalen Partei bestritten wurde, so hatte der Staatsrat darüber zu entscheiden. Merkwürdigerweise sprach sich dieser am 13. November 1873 dahin aus, dass die Generalsynode durch die Gesetzgebung des Jahres X gar nicht aufgehoben worden sei, und dass die reformierte Kirche, die presbyterial und synodal geblieben sei, ohne die Generalsynode nicht die Autorität besitze, an der Verfassung der Kirche eine Änderung vorzunehmen oder irgend eine der Entscheidungen zu treffen, die ihr nach Artikel 4 der organischen Artikel zukommen.1)

Der Stand der gegenwärtigen Gesetzgebung der reformierten Kirche Frankreichs ist zu ersehen aus Armand Lods, La Législation des Cultes Protestants (1787-1887), Paris 1887, wozu das von uns bereits zitierte Werk desselben Verfassers: Traité de l’administration des Cultes Protestants, Paris 1896, S. 437-548 einen Nachtrag enthält.

Heutzutage zählt die reformierte Kirche Frankreichs 101 églises consistoriales und 533 paroisses mit 638 Pastoren.2) Die reformierte Bevölkerung Frankreichs wird auf eine starke halbe Million geschätzt.3)

Seit 1849 gibt es neben der vom Staate anerkannten und unterstützten reformierten Kirche in Frankreich auch eine gewöhnlich Eglise libre genannte, vom Staat völlig unabhängige Kirche, die den Titel „Union des églises évangéliques de France” führt.4) Sie ist durch orthodoxe Geistliche und Gemeindemitglieder (insbes. Graf Gasparin und Friedrich Monod) begründet worden, die die reformierte Kirche Frankreichs verliessen, weil sie ihnen im Punkt der Lehre und des Bekenntnisses nicht streng genug war. Die konstituirende Synode fand den 20. August 1849 und die folgenden Tage in Paris statt. Eine Reihe freier reformierter Gemeinden, die bis dahin für sich bestanden hatten, schlossen sich der neuen Kirche an. Die Verfassung, die von jener Synode angenommen wurde und auch ein kurzes Glaubensbekenntnis enthält, stellt es den Gemeinden anheim, ihre


1) Dieser Artikel lautet: Aucune décision doctrinale ou dogmatique, aucun formulaire sous le titre de confession, ou sous tout autre titre, ne pourront être publiés ou devenir la matière de l’enseignement, avant que le Gouvernement en ait autorisé la publication ou promulgation.
2) Vgl. Lods, Traité de l’administration des Cultes Protestants p. 555f.
3) Vgl. Lods, a.a.O. p. 555 Anm. 1.
4) Vergl. H. Hellmar, Entstehung und Wesen der neuen evangelisch-reformierten Unionskirche in Frankreich, in Niedners Zeitschrift für die historische Theologie 1851 S. 398-466.

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besondere Verfassung nach ihrer Einsicht und ihren Bedürfnissen selbst zu bestimmen (Art. 3). Doch muss sie gewisse Bedingungen erfüllen, um an der Union des églises évangéliques teilnehmen zu können (Art. 4); sie muss z.B. nach dem Grundsatz der individuellen Bekenner des Glaubens gebildet sein und eine Bürgschaft für die Ausübung der Disciplin in ihrer Mitte bieten, für ihre Ausgaben durch freiwillige Beiträge sorgen und keinerlei Unterstützungen vom Staate annehmen, in einer vollkommen unabhängigen Lage sich befinden, weder in ihrer geschriebenen Verfassung noch in ihren Gebräuchen etwas haben, was der gegenwärtigen Verfassung der Union widerspricht u.s.w. Das eigentliche Organ der Union ist die von allen Gemeinden beschickte Synode, die sich regelmässig alle zwei Jahre versammelt und über die allgemeinen Angelegenheiten der Gemeinden berät. In der Zwischenzeit führt die aus 5 Mitgliedern bestehende Synodalkommisison die Geschäfte.

6. Neben der französischen Kirche stand ein Jahrhundert land die selbständige Organisation der reformierten Kirche des Landes Béarn, wo sich unter dem Schutze der Königin von Navarra, Jeanne d’Albret, die Reformation ausgebreitet hatte. J. Raymond Merlin gab den reformierten Kirche des Landes eine eigene Verfassung, von der er in einem Briefe an Calvin (opp. Calvini XX p. 87) sagt, dass er sich bei ihrer Abfassung die Genfer Kirchenordnung zum Muster genommen habe. Sie wurde noch nicht so lange zum ersten Male herausgegeben: Discipline Ecclésiastique du Pays de Béarn, publiée pour la première fois par Ch.-L. Frossard. Paris 1877. 1631 bezw. 1637 vereinigte sich die Kirche von Béarn mit der französischen.

7. Eine andere Tochter der Hugenottenkirche ist die reformierte Kirche der Normannen- oder Kanal-Inseln (Iles de la Manche, Channel Islands) Jersey, Guernesey, Sark und Aurigny.1) Zwar waren sie als ein Teil des Herzogtums der Normandie seit dem 11. Jahrhundert in politischer Hinsicht mit England vereinigt, gehörten jedoch in kirchlicher Hinsicht zur Normandie (zum Bistum Coutances), auch als diese an Frankreich gekommen war. So drangen denn auch von Frankreich her die Ideen der Reformation und des Calvinismus hier ein und konnten sich unter der Regierung des Königs Eduard VI. ungestört ausbreiten. Die Königin Elisabeth erlaubte 1565, dass die reformierten Kirchen dieser Inseln dieselbe Gottesdienstordnung gebrauchten wie die Kirche


1) Vgl. de Schickler, Les Eglises du Refuge en Angleterre, Tome II (1892) p. 361ff.

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zu Genf und die französische Kirche zu London.1) Zwar wurden die Inseln in kirchlicher Hinsicht dem Bischof von Winchester unterstellt, doch hinderte das die Durchführung einer presbyterialen und synodalen Organisation nach kalvinischen Grundsätzen nicht. Auf einer Synode, die vom 28.-30. Juni 1576 tagte, wurde eine Kirchenordnung förmlich und feierlich festgesetzt, die des Bischofs von Winchester als geistlichen Oberhirten nicht einmal erwähnt, vielmehr die ganze Kirchengewalt den Consistoires der einzelnen Gemeinden, den zwei Colloques und der Einen Synode überträgt. Die Discipline ecclésiastique des Iles de la Manche ist uns in zwei Redaktionen erhalten: die Eine, etwas umständliche und weitschweifige, ist vom Jahre 1576 (zum ersten Male abgedruckt bei Schickler a.a.O. III p. 311-356); die andere, kürzer und präziser gefasste, hat jene im Jahr 1597 ersetzt; sie ist mehrfach gedruckt worden, zuletzt in dem Werke des Rev. Lee, La Discipline ecclésiastique des Iles de la Manche publiée avec les Actes du Consistoire de St. André 1615-1655 (Guernsey 1885); diese zweite Redaktion habe ich nicht zu Gesicht bekommen.

Im Laufe des 17. Jahrhunderts jedoch erlag die kalvinische Verfassung der Kanalinseln der uniformirenden Kirchenpolitik der Stuarts: 1623 wurde die Ordnung der anglikanischen Kirche auf Jersey, 1662 auf Guernsey auf königlichen Befehl eingeführt; die kleineren Inseln mussten dem Beispiele der grösseren folgen. So wurde die kirchliche Sonderstellung dieser Inseln bis auf einige unbedeutende Reste, die sich zum Teil bis auf den heutigen Tag behauptet haben, der Uniformität geopfert.2)

8. An Frankreich reihen wir die benachbarte Niederlande. Calvinische Grundsätze hatten von Frankreich her zunächst in den südlichen, wallonischen Provinzen Fuss gefasst und waren dann weiter in die nördlichen, vlämischen oder niederdeutschen Landesteile vorgedrungen. Ihr erstes Glaubensbekenntnis erhielten die Reformierten der Niederlande in der Confession de Foy des Eglises réformées wallonnes et flamandes (Confessio Belgica), die der wallonische Prediger Guy de Brès 1561 abfasste. Sie schliesst sich durchaus an die Confession de Foy der französischen Kirche an und ist nur in der Redaktion davon verschieden, wie es denn auch lediglich politische Gründe, insbes. die Abneigung der Niederländer gegen Frankreich und alles dorther Kommende waren, die zur Aufstellung eines besonderen belgischen


1) Zunächst freilich galt diese Erlaubnis nur den zwei Hauptgemeinden, allein die anderen machten gleicherweise davon Gebrauch. Vgl. Schickler, a.a.O. 376.
2) Vergl. die ausführliche Darstellung bei Schickler, a.a.O. II p. 459ff., 484ff.

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Glaubensbekenntnisses führten.1) Die ersten Synoden fanden in den wallonischen Landesteilen statt und waren wohl meist von Deputirten wallonischer Gemeinden beschickt. Eine am 1. Mai 1564 zu la Vigne (das ist der mystische Name für Antwerpen) gehaltene Synode stellt eine Kirchenordnung in 48 Artikeln auf, die mit den 40 Artikeln der französischen Discipline Ecclésiastique viel Ähnlichkeit haben und diesen offenbar nachgebildet sind.

Freilich wurde die evangelische Kirche der Niederlande bald durch den Herzog Alba, den Statthalter des Königs von Spanien, zerstreut und konnte sich zunächst nur auf deutschem Boden, in Ostfriesland und am Niederrhein behaupten. Aber auch jetzt wurden Synoden abgehalten. Die bekanntesten sind die von Wesel und Emden. Die Synode zu Wesel, die am 3. November 1568 ihren Anfang nahm, ist keine Synode im strengen Sinne, vielmehr nur eine vorbereitende Versammlung von einflussreichen Flüchtlingen. Dies geht deutlich aus Cap. I, 3ff. hervor, wo es heisst: Sed quia hoc tempore de istius modi rebus (sc. de Collegiis ac provinciarum Classibus) necdum quicquam decerni potest, antequam ipse usus rerumque experientia docuerit quae loca quibusque rebus futura sint maxime accommoda, Propterea existimamus postea quam Dominus Evangelii praedicationi januam in Belgio aperuerit, tum primo quoque tempore omnibus ecclesiis ecclesiarumque Ministris omni studio fore enitendum ut ad cogendam Synodum provincialem totius Belgii summi in commune conferantur: quo possit legitima Synodo statui quid in iis aliisque rebus omnibus ad communem ecclesiarum constitutionem ordinisque quam pulcherrimi observationem sequendum erit. Ad eam putamus esse referendum de Collegiorum institutione, Doctorum honorariis, munere, authoritate, Scholarum exercitiis, Theologicis professionibus, propositionum prophetiarumque observationibus, coetrisque omnibus ad eam rem pertinentibus etc. — Interea autem temporis quandoquidem patefacta Dei beneficio Evangelii janua cunctationi locus non erit, et tamen ordo aliquis ac decor in commune debebit observari quo tamen vinculo ecclesiarum communis consensus retineatur, videtur aliqua esse ineunda ac certis capitibus consignanda ratio; quam pro se quisque in ea cui praefectus erit ecclesia tantisper sequatur, donec coacta Synodo rectius aliquid atque perfectius constitutum fuert. Später heisst es dann wiederum: Atque id quidem donec Synodo provinciali certi quippiam in hujus modi rebus sancitum fuerit.2)


1) Vergl. Wenzelburger, Geschichte der Niederlande II (1886) S. 45f.
2) Nach Wolters in dem gleich anzuführenden Werke (S. 313) hat den missverständlichen Namen Synode der erste Bearbeiter des Weseler Konvents Adr. s’Gravezande in einer 1769 erschienen Jubiläumsschrift eingeführt.

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Die Beschlüsse dieses Weseler Konvents mit der Überschrift: Certa quaedam Capita seu articuli quos in ministerio ecclesiae Belgicae Ministri ejusdem ecclesiae partim necessarios partim utiles esse judicarunt, sind abgedruckt in Wolters’ Reformationsgeschichte der Stadt Wesel 1868, S. 335-358 und in den Werken der Marnix-Vereeniging Serie II Deel III p. 9-41.1)

Was der Weseler Konvent nur vorläufig beschlossen hatte, das erhielt seine definitive Gestalt auf der Emdener Synode vom 4. bis zum 13. Oktober 1571.2) Vertreten sind sowohl niederländische wie welsche Gemeinden, auber auch friesische, niederrheinische und pfälzische, Gemeinden unter dem Kreuze wie Flüchtlingsgemeinden. Der Vorsitz führte Caspar von der Heyden, früher reformierter Prediger in Antwerpen, jetzt in Freudenthal in der Pfalz. Es handelt sich auf dieser Synode weniger um die Organisation der einzelnen Gemeinden (diese wird vielmehr als bereits bestehend vorausgesetzt), als vielmehr um die Herstellung eines festen Verbandes der „verspreiten” Gemeinden der Niederlande, des Niederrheins, der Pfalz, Ostfrieslands und Englands, also um die Errichtung einer Synodalverfassung. Dass dabei die Discipline ecclésiastique der französischen Gemeinden zum Vorbild gedient hat, ist unverkennbar3), wie denn auch, um die Einigkeit der niederländischen Kirchen mit den französischen zu bezeugen, das Bekenntnis der französischen Kirche von sämmtlichen Mitgliedern der Synode unterzeichnet wurde. Zum Zwecke der Organisation des Synodalverbandes werden drei Kirchenprovinzen unterscheiden: Deutschland und Ostfriesland, sodann England und endlich die Kirchen unter dem Kreuze d.h. Belgien; die erste und die dritte Provinz wird in Klassen oder Quartiere eingeteilt, während es England überlassen wird, seine Kirchen in Klassen einzuteilen. In jeder Gemeinde soll ein Konsistorium bestehen, in jeder Klasse eine Klassikalversammlung, in jeder Provinz jährlich eine Provinzialversammlung, ausserdem alle zwei Jahre ein Konvent sämmtlicher belgischer Kirchen abgehalten werden.

Die Akten der Emdener Synode, die, wie aus dem bisherigen hervorgeht, noch nicht als rein niederländische bezeichnet werden kann, sind abgedruckt in lateinischer und niederländischer Sprache in den


1) Der von Richter in seiner Sammlung der evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts Bd. II S. 310ff. und von Jacobson im Auszug in seiner Urkundensammlung für die evangelische Kirche von Rheinland und Westfalen S. 45ff. mitgetheilte Text beruht auf einer fehlerhaften Abschrift, worüber Wolters a.a.O. S. 359ff. berichtet.
2) Vgl. B. van Meer, De Synode te Emden 1571. 1892.
3) So auch Jacobson, Geschichte der Quellen des ev. Kirchenwesens der Provinzen Rheinland und Westfalen S. 78. Lechler, Geschichte der Presbyterial- und Synodalverfassung S. 121. van Meer l.c. p. 162.

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Werken der Marnix-Vereeniging II, 3 p. 55-119, in dem nachher zu erwähnenden Livre synodal I p. 14-24 in französischer Sprache, ausserdem bei van Meer l.c. p. 229-261 in lateinischer Sprache. Einen hochdeutschen Text teilen mit Jacobson, Urkunden-Sammlung für die ev. Kirche von Rheinland und Westfalen S. 50-72 und Richter, die ev. Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts Bd. II S. 339-347.

Von den nun folgenden niederländischen Synoden kommen für unseren Zweck hauptsächlich die vier Nationalsynoden von Dortrecht 1578, von Middelburg 1581, vom Haag 1586 und wiederum von Dortrecht 1618 und 1619 in Betracht. Sie haben alle auf dem Grunde der Emdener Beschlüsse die Verfassung der reformierten Kirche der Niederlande weiter ausgebaut. Jede von ihnen stellt unter den fast immer unverändert wiederkehrenden Rubriken An den Diensten De functionibus, Van den Kerkelicken tsamencoemsten De conventibus ecclesiasticis, Van der Leere, Sacramenten ende anderen Ceremonien De Doctrina, sacramentis, aliis ritibus, Van den Censuren ende Kerkelicken Uermaninghen De censuris et admonitionibus ecclesiasticis die allgemeinen Grundsätze der kirchlichen Verfassung und Regierung in kalvinischem Sinne dar. Dabei ist aber zu bemerken:

1. Die Dortrechter Synode von 1618/19 hat insofern einen nicht eigentlich nationalen, sondern internationalen Charakter, als auch Vertreter der Reformierten in England, der Pfalz, Hessen, der Schweiz, insbes. auch Genf, Bremen und Emden teilnehmen; den Reformierten Frankreichs war von ihrem König die Absendung von Deputirten verboten worden. Aber auch auf der Dortrechter Nationalsynode von 1578 finden wir Abgeordnete deutscher reformierter Gemeinden.

2. Die von diesen Nationalsynoden aufgestellte Kirchenordnung hat nur teilweise die gesetzliche Anerkennung der Staatsgewalt gefunden. Die Beschlüsse der Nationalsynoden von 1578 und 1581 erlangten überhaupt keine Bestätigung und Anerkennung von Seiten der Staatsgewalt, die der Nationalsynode von 1586 nur eine vorübergehende durch den Statthalter der vereinigten Niederlande, Grafen von Leister, nach dessen Abgang im Jahre 1588 wieder der status quo ante eintrat. Aber eben so wenig traten die auf Veranlassung des Prinzen Wilhelm von Oranien ausgearbeiteten, das Recht der Staatsgewalt in Kirchensachen betonenden Kirchenverfassungen von 1576 und 1583 in Kraft. Auch der von der Dortrechter Nationalsynode 1618/19 beschlossenen Kirchenordnung, die sich an die Beschlüsse der Haager Generalsynode von 1586 anschloss, blieb die Genehmigung der Generalstaaten versagt. Da nun aber diese Synode die letzte niederländische General- oder Nationalsynode war und von da an nur noch Provinzialsynoden gehalten wurden, so kam es nun für Jahrhunderte überhaupt nicht zu

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einer einheitlichen und allgemeinen Verfassung der ganzen reformierten Kirche der Niederlande.

Es blieb somit nichts anderes übrig, als den schon nach dem Misslingen des Leister’schen Versuches eingeschlagenen Weg weiterzugehen und unter Verzicht auf eine allgemeine Kirchenordnung den einzelnen Staaten oder Provinzen die Regierung der kirchlichen Verfassung zu überlassen.

3. Die niederen synodalen Organisationen (Provinzialsynoden und Klassen) sind seit der Dortrechter Synode von 1578 Art. 46 nach den beiden Sprachen, der französischen und der niederländischen, geschieden. Die wallonischen Gemeinden haben demgemäss von da an ihre eigenen Klassenkonvente und Provinzialsynoden; dagegen treten sie auf den National- oder Generalsynoden mit den niederländischen Gemeinden zusammen.

Die Akten der niederländischen Synoden des 16. Jahrhundert sind in den Werken der Marnix-Vereeniging Serie II Deel III von F.L. Rutgers auf das sorgfältigste herausgegeben worden; die Beschlüsse der wallonischen Synoden von Anfang an bis 1685 sind veröffentlicht im Livre synodal, contenant les articles résolus dans les Synodes des Eglises wallonnes des Pays-Bas publié par la Commission de l’histoire des Eglises wallonees. Tome Premier 1563-1685. La Haye, 1896. Vgl. auch Bulletin de la Commission de l’Histoire des Eglises wallonnes, 1885ff. Die Ausgabe von C. Hooijer, Oude Kerkordeningen der Nederlandschen Hervormden Kerken 1865 kenne ich nur dem Titel nach.1)

In der beschriebenen Gestalt erhielt sich die Verfassung der reformierten Kirche bis zum Zusammenbruch der Republik der vereinigten Niederlande im Jahre 1795. Nach der Wiederherstellung des niederländischen Staates als Königreichs der Niederlande mit dem König Wilhelm I. im Jahre 1814 und 1815 war eine neue Regelung der Rechtsverhältnisse der reformierten Kirche notwendig geworden. Sie erfolgte durch Het Algemeen Reglement op het Bestuur der Hervormde Kerk vom 7. Januar 1816 (abgedruckt mit der gesammten, dadurch hervorgerufenen Gesetzgebung bei Hooijer, Kerkelijke Wetten voor de Hervormden in het Koningrijk der Nederlanden. 1846, p. 24ff.). Vgl. auch H.J. Royaards, Hedendaagsch Kerkregt bij de Hervormden in Nederland. 2 Teile 1834 und 1837.

Die heutige Verfassung der reformierten Kirche der Niederlande beruht auf dem Algemene Reglement voor de Hervormde Kerk in het


1) Für die Geschichte der niederländischen Kirche vgl. J. Reitsma, Geschiedenis van de Hervorming en de Hervormde Kerk der Nederlanden. 1893.

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Koningrijk der Nederlanden vom 23. März 1852, und verschiedenen im Zusammenhang damit und seitdem ergangenen kirchlichen Gesetzen und Verordnungen. Sie finden sich zusammengestellt in Bruna’s Reglementen en Besluiten voor de Nederlandsche Hervormde Kerk, Uitgaaf Februari 1897, besorgt von Dr. G.J. Vos, Az.1)

9. Nächst Frankreich und den Niederlanden kommt in Betracht Schottland, wo der Calvinismus so festen Fuss gefasst und bis auf den heutigen Tag behauptet hat wie sonst in keinem anderen Lande. Der Vertreter der kalvinischen Ideen war hier mit einigen anderen zusammen John Knox, der Reformator Schottlands und Schüler Calvins (1505-1572). Nur im Kampfe mit der Krone, deren Trägerin Maria Stuart war, drang die Reformation durch, und erst nachdem Maria Stuart vertrieben war, erlangte die reformierte Kirche die förmliche und feierliche Anerkennung als alleinige Nationalkirche. Das erste Glaubensbekenntnis dieser Kirche wurde von John Knox und einigen anderen Geistlichen im Jahre 1560 in 25 Artikeln abgefasst und vom schottischen Parlament am 17. August desselben Jahres genehmigt.2) Sein Titel lautet vollständig: The Confessioun of faith professit and belevit be the Protestantis within the Realme of Scotland, publischeit by thame in parliament, and be the estaitis thairof ratifeit and approvit, as hailsome and sound doctrine, groundit apoun the infallable trewth of Godis word, kurz the Scotch Confession of Faith, Confessio Scoticana genannt. Der genaueste Text davon ist in der von David Laing im Auftrage der Wodrow Society besorgten Ausgabe von The Works of John Knox vol. II (Edinburgh 1864) p. 93-120 enthalten.3) An dieses Bekenntnis schliesst sich die erste schottische Kirchenordnung The Buke of Discipline (im Unterschied von der gleich zu erwähnenden zweiten Kirchenordnung gewöhnlich The First Book of Discipline genannt) an. Sie ist ebenfalls das Werk von Knox in Verbindung mit einigen anderen Geistlichen; die erste schottische Generalsynode (General Assembly), die am 20. December 1560 zusammengetreten war, nahm


1) Vergl. G.J. Vos, De Tegenwoordige Inrichting der Vaderlandsche Kerk beschreven en naar de beginselen der gereformeerde Kerkenordening beoordeeld. Handboek tot Beoefening en Toepassing van het Kerkrecht. Dordrecht 1884. — Mr. D.P.D. Fabius, Het Reglement van ’52. Historisch-Juridische Studie over het Hervormd Kerkbestuur. Amsterdam 1888.
2) Vgl. The Acts of the Parliaments of Scotland vol. II p. 526.
3) Im Unterschied von einem zweiten schottischen Bekenntnis von 1580, das aber ganz kurz ist und für unseren Zweck ausser Betracht bleiben kann, wird das Bekenntnis von 1560 auch als the First Scotch Confession of Faith bezeichnet.

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sie zwar an, dagegen erteilte der Geheime Rat ihr die Genehmigung nicht; doch wurde sie von vielen Mitgliedern des Geheimen Rates, Edelleuten und Grundherren am 17. Januar 1561 unterzeichnet. Sie ist mit kritischem Apparat in der bereits genannten Ausgabe von John Knox’ Werken vol. II p. 183-258 abgedruckt (vgl. auch ib. p. 587-589). Erst durch die Gesetze vom 20. Dezember 1567 wurde der neue Stand der Dinge bestätigt, die reformierte Kirche als die einzig wahre Kirche des Königreichs anerkannt und das Versprechen, sie aufrecht zu erhalten, in den Krönungseid aufgenommen.1)

Im Jahre 1581 nahm das General Assembly eine zweite, unter der Leitung von Andreas Melville ausgearbeitete Kirchenordnung an, The Second Buik of Discipline, or Heidis and Conclusiones of the Policie of the Kirk, bestehend aus 13 Chapters.2) Diese Kirchenordnung wurde die eigentliche Grundlage der Verfassung der reformierten Kirche Schottlands. Doch wurden diese und andere Beschlüsse des General Assembly von der Regierung nicht anerkannt. Jakob I. war bestrebt, die bischöfliche Verfassung in Schottland aufrechtzuerhalten; politische Rücksichten nötigten ihn jedoch zu einem Kompromiss. Die früher zu Gunsten der reformierten Kirche erlassenen Gesetze wurden 1592 bestätigt und namentlich die Jurisdiktion des General Assembly anerkannt; die bischöfliche Verfassung wurde zwar beibehalten, aber die den Bischöfen 1584 verliehenen Rechte wurden ihnen wieder entzogen.3)

Aus dem 17. Jahrhundert kommen dazu noch ein weiteres Glaubensbekenntnis und eine weitere Kirchenordnung. Das englische Parlament, genannt das lange, berief nämlich auf 1. Juli 1643 eine Synode in die Westminsterabtei, daher der Name Westminstersynode, zur Beratung einer Reform der anglikanischen Kirche im puritanischen Sinne. Die schottische Kirche beteiligte sich auf Aufforderung des Parlaments


1) Vgl. The Acts of the Parliaments of Scotland vol. III p. 14ff. (auch in dem unten angeführten Werke The Booke of the Universall Kirk of Scotland ed. Peterkin p. 88ff. abgedruckt).
2) Diese Kirchenordnung ist abgedruckt, jedoch mit verschiedener Schreibart und Einteilung:
1. in dem Booke of the Universall Kirk of Scotland ed. Peterkin. 1839. S. 535-564.
Nach dieser Ausgabe zitiren wir.
2. in den Acts and Proceedings of the General Assemblies of the Kirk of Scotland from the Year M.D.LX. Part Second (1840) p. 488-512.
3. in David Calderwood’s History of the Kirk of Scotland, Ausgabe der Wodrow Society von Thomas Thomson vol. III p. 529-555.
3) The Acts of the Parliaments of Scotland vol. III p. 541 (auch in dem Booke of the Universall Kirk of Scotland p. 373ff. abgedruckt).

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um so lieber durch Delegirte an der Synode, als sie die Hoffnung haben durfte, dass ihre presbyterianische und synodale Verfassung auch in der englischen Kirche werde eingeführt und dadurch die so lang ersehnte Einheit in der kirchlichen Verfassung der beiden benachbarten und politisch verbundenen Nationen erreicht werden. Aus der langen Beratungen der Westminstersynode gingen hervor einmal ein neues streng kalvinisches Glaubensbekenntnis, das sog. Westminster Confession of Faith, eine neue Ordnung des Gottesdienstes: Directory for the public Worship of God, und eine neue Kirchenordnung: The Form of Presbyterial Church Government, abgedruckt im Appendix von Neals History of the Puritans (in der New-Yorker Ausgabe von 1844 vol. II, p. 468-474). Dennoch ging jene Hoffnung nicht in Erfüllung. Zwar wurde vom englischen Parlament eine Verordnung zur Einführung des presbyterial-synodalen Kirchenregiments erlassen, allein als Oliver Cromwell die Macht in die Hände bekam, liess er den Beschluss des Parlaments nicht zur Ausführung kommen. Dagegen nahm das schottische General Assembly nicht blos das neue Bekenntnis und die neue Ordnung des Gottesdienstes, sondern auch die neue Kirchenordnung an. Man bezeichnet dies gerne als die zweite Reformation Schottlands.

Die Grundlage für das Recht der heutigen schottischen Staatskirche bilden die nach der glorreichen Revolution erlassenen Gesetze von 1689 und 1690, durch die die bischöfliche Verfassung definitiv aufgehoben und die presbyterianisch-synodale Form der Kirchenregierung als die allein zu Recht bestehende Verfassung der Kirche anerkannt wurde. (Act Ratifying the Confession of Faith and settleing Presbyterian Church Government, sog. Revolution Settlement, in den Acts of the Parliaments of Scotland vol. IX p. 133).

Neben den von uns genannten Bekenntnisschriften und Kirchenordnungen bilden eine wichtige Quelle der Kenntnis der schottischen Kirchenverfassung die Verhandlungen und Beschlüsse des General Assembly von 1560 an. Sie liegen in folgenden Werken gedruckt vor:

1. The Booke of the Universall Kirk of Scotland: wherein the Headis and Conclusionis devysit be the Ministers and Commissionaris of the Particular Kirks thereof, are specially expressed and contained. Edited by Alexander Peterkin Esq. Edinburgh 1839 (enthält die Protokolle der General Assemblies von 1560 bis 1616).

2. Acts and Proceedings of the General Assemblies of the Kirk of Scotland from 1560 to 1618. Publication of the Bunnalyne club Nr. 69. 3 vol. Edinburgh 1839-1845 (enthält dieselben Protokolle, aber ergänzt hauptsächlich aus dem wichtigen Quellenwerk von David Calderwood, History of the Kirk of Scotland s.o. S. 22 Anm. 3).

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3. Acts of the General Assembly of the Church of Scotland 1638-1842. Reprinted from the original edition, under the superintendence of the Church Law Society. Edingburgh 1843 (enthält nicht die Verhandlungen — Proceedings —, sondern nur die Beschlüsse — Acts).1)

Ein Hilfsmittel zum Gebrauch dieses Werks ist: Index to the Acts and Proceedings of the General Assembly of the Church of Scotland from the revolution to the present time. By the Rev. John Wilson. Edinburgh and London 1863.

Diese Beschlüsse der Generalsynoden sind um so wichtiger, je weniger die aufgezählten Kirchenordnungen bestimmte Einzelvorschriften und Regeln enthalten. Von besonderem Interesse ist eine zunächst private Zusammenstellung von Anträgen, betreffend die Disziplin und das Verfahren der kirchlichen Gerichtshöfe Schottlands, die von der Generalsynode von 1705 den einzelnen Presbyterien zur Begutachtung zugesandt worden waren (Overtures concerning the discipline and method of proceeding in the ecclesiastical judicatories of the Church of Scotland: transmitted to the several Presbyteries to be farther considered, and they to send in their opinions thereanent to the General Assembly, or Commission thereof, in dem dritten der genannten Quellenwerke p. 337-381 enthalten). Mit dem in Chapt. I bis III enthaltenen Stoff haben sich verschiedene Komites der Generalsynode eingehend beschäftigt, aber die Generalsynode selbst nie; die Chapt. IV und V sind nie an die Presbyterien gelangt und daher noch viel weniger offiziell als die drei ersten Kapitel. Nichtsdestoweniger kann diese Zusammenstellung, mit Vorsicht gebraucht, gute Dienste leisten, um die Lücken der Kirchenordnungen auszufüllen.

Eine kurze, übersichtliche Darstellung des geltenden Verfassungsrechts der schottischen Kirche gibt die Schrift: The Constitution and Law of the Church of Scotland. With introductory note by the very Rev. Principal Tullock. New Edition, revised and enlarged, Edinburgh and London. 1886.2)

Seit 1843 besteht in Schottland neben der Staatskirche (The Church of Scotland) eine freie Kirche (The Free Church of Scotland). Sie ist aus der Bewegung der strenger Gesinnten (Nonintrusionists) gegen das Patronatrecht entstanden, während die Vertreter des gemässigten Standpunktes (Moderates) in der Staatskirche blieben. Die freie Kirche stimmt in allem mit der Staatskirche überein, nur


1) Zwischen 1618 und 1638 fand keine Generalsynode statt.
2) Vgl. auch die sorgfältigen Literaturangaben bei Makower, Die Verfassung der Kirche von England S. 108-110 not. a.

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im Punkt der Pfarrerwahl weicht sie von ihr ab. Sie ist trotz ihres modernen Ursprungs gut kalvinistisch, wie es auch die Staatskirche bis auf den heutigen Tag ist. Alsbald nach ihrer Sezession (der sog. Disruption) richtete sich die freie Kirche in der Verfassung genau so ein wie die von ihr verlassene Kirche mit Kirksessions, Presbyteries, Provincial Synods und einem General Assembly; die Bekenntnisse und Kirchenordnungen der Staatskirche sind auch die ihrigen.

Als Dokumente ihrer kirchenrechtlichen Grundsätze und Einrichtungen benutzen wir einmal den Catechism on the Principles and Constitution of the Free Church of Scotland. Issued by Authority of the General Assembly. Under the superintendence of the Publication Committee. New Edition. Edinburgh 1882 (bestehend aus 470 Questions und Answers und einem Appendix, der eine Reihe wichtiger Gesetze und Aktenstücke enthält), sodann The Practice of the Free Church of Scotland in her several courts. Fifth Edition, Revised. Prepared and Published by the Authority of the General Assembly. Edinburgh. 1898, endlich eine Privatarbeit: Forbes, Digest of Rules and Procedure in the inferior Courts of the Free Church of Scotland. Third Edition. Edinburgh 1869. Über die allgemeinen Grundsätze dieser Kirche vgl. William Wilson, Free Church Principles (The Chalmers Lecture 1887) Edinburgh 1887. Für die Geschichte des Disruption ist zu vergleichen Sydow, Die schottische Kirchenfrage mit der darauf bezüglichen Dokumenten. 1845 und Robert Buchanan, The Ten Years’ Conflict: being the History of the Disruption of the Church of Scotland. vol. I. II. New Edition 1854.

Eine weitere freie presbyterianische Kirche in Schottland ist die United Presbyterian Church, die als solche seit 1847 besteht und das Ergebnis der Vereinigung früher entstandener Secedersgemeinschaften ist. An Umfang und Bedeutung erreicht sie weder die Staatskirche noch die Free Church. Sie hat mit diesen das Westminster Confession und die beiden Katechismen (Larger und Shorter Catechism) gemeinsam; die Verfassung entspricht den Grundsätzen des Presbyterianismus.1)

10. Die englische Staatskirche (The Church of England) bietet die eigentümliche Erscheinung einer Kirche, die in der Lehre und dem Bekenntnis mit den übrigen kalvinisch-reformierten Kirchen


1) Vgl. William Blair, The United Presbyterian Church. A Handbook of its History and Principles. Published by United Presbyterian Synod. Second Edition 1890. J. Köstlin, Die schottischen Kirche S. 400ff.

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übereinstimmt, in der Verfassung jedoch einen eigenen Typus, den sog. anglikanischen, ausgebildet hat. Aus diesem Grunde kommt sie, wie bereits bemerkt (s.o. S. 4), für unsere Darstellung der reformierten Kirchenverfassung nicht in Betracht. Aber auch in England hat es nicht an solchen gefehlt, die im Gegensatz zu der anglikanischen Verfassung eine Ordnung des Kirchenwesens nach kalvinischen Grundsätzen anstrebten, sie sog. Presbyterianer. In der Geschichte des englischen Presbyterianismus sind drei Perioden scharf zu unterscheiden.1) Die älteste form ist, was man the Elisabethan Presbyterianism oder Cartwrightism zu nennen pflegt, eine Abart der auf Durchführung der Reformation der englischen Kirche in Calvins Geiste gerichteten Bestrebungen (Puritanism). Die Häupter dieses älteren Presbyterianismus sind Thomas Cartwright und Gualter Travers, die beide Genf besucht hatten; das hervorragende Dokument ihrer Anschauungen über die rechte Kirchenverfassung ist A Directory of Church Government, The sacred Discipline of the Church described in the Word of God (abgedruckt bei Neal, History of the Puritans, Appendix, in der New-Yorker Ausgabe II p. 440-445). Dieser Presbyterianismus hat es in der englischen Kirchengeschichte zu keiner grösseren Bedeutung gebracht; noch unter der Herrschaft der Königin Elisabeth ist er abgestorben.

Die zweite Periode des englischen Presbyterianismus, die mit jener ersten in keinem geschichtlichen Zusammenhange steht, bezeichnet Shaw als civil war, or covenant, Presbyterianism.2) Dieser Presbyterianismus ist praktischer und energischer als der frühere; er steht unter dem mächtigen Einfluss des schottischen Presbyterianismus; einen Höhepunkt erreicht er in dem Langen Parlament und der schon früher erwähnten Westminster Synode mit der von dieser beschlossenen schriftmässigen Kirchenordnung The Form of Presbyterial Church Government (s.o. S. 23), um darauf von Cromwell und den Independenten in den Hintergrund gedrängt zu werden.

Die dritte Form des englischen Presbyterianismus endlich repräsentirt der Presbyterianismus, wie er sich seit der Restauration in England entwickelt hat. Er ist eine Abart des grossen neben der Staatskirche bestehenden Dissent, hat es aber im Vergleich mit anderen Zweigen des Dissent zu keiner grossen Bedeutung gebracht; Shaw nennt ihn einfach English Presbyterianism.

Die gegenwärtige Verfassung der Presbyterianer in England ist


1) Vgl. William A. Shaw, Elizabethan Presbyterianism in The English Historical Review III (1888) p. 655ff.
2) Vgl. H. Delbrück, Anglikanismus und Presbyterianismus in den Historischen und Politischen Aufsätzen S. 65-88.

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enthalten in dem Book of Order or Rules and Forms of Procedure of the Presbyterian Church of England together with the Model Trust Deed. Revised Edition. London 1894.

11. Endlich besteht ausser in Schottland und England auch in Irland eine presbyterianische Kirche. Hierher waren im 17. Jahrhundert durch eingewanderte schottische Presbyterianer und englische Puritaner kalvinische Verfassungsgrundsätze verpflanzt worden; aber da die bischöfliche Kirche in Irland wie in England ausschliesslich als Staatskirche anerkannt war, so hatte die presbyterianische Kirche jahrhundertelang keine gesetzliche Existenz. Der Titel der in Kraft stehenden Verfassung (von 1886) lautet: The Constitution and Government of the Presbyterian Church in Ireland with a Directory for the Administration of Ordinances. Published by the Authority of the General Assembly. Belfast 1887. Dazu ein Nachtrag: Changes in the Book of the Constitution and Government up to April 1896. Für die Geschichte dieser Kirche ist zu vergleichen James Seaton Reid, A History of the Presbyterian Church in Ireland, 3 vol. new (third) edition, with additional Notes by William Dool Killen. Belfast 1867.

12. Auf die östlichen Länder Europas haben wir nur einen kurzen Blick zu werfen. Der Calvinismus fand hier eine Stätte in Polen (bestehend aus den drei Provinzen Lithauen, Grosspolen und Kleinpolen). In seiner kleinpolnischen Heimat wirkte insbes. Johannes a Lasco von 1556 bis zu seinem Tode (1560) für die Ausbreitung der reformierten Kirche. Schon vor seinem Eingreifen hatten die kleinpolnischen Gemeinden nach der Anweisung von Calvins Institutio ihr Kirchenwesen im Anschluss an die hl. Schrift und das Vorbild der apostolischen Gemeinden einzurichten unternommen. Bald traten die Gemeinden zu einem Synodalverband zusammen. Die erste evangeliche Synode Polens wurde im Oktober 1550 zu Pinczow gehalten. Die noch erhaltenen Protokolle der ältesten kleinpolnischen Synoden hat Dalton im dritten Bande seiner Beiträge zur Geschichte der evangelischen Kirche in Russland unter dem Titel „Lasciana nebst den ältesten evangelischen Synodalprotokollen Polens 1555-1561” (Berlin 1898) veröffentlicht. Die Grundsätze der Kirchenverfassung wurden auf der Synode zu Xionz im September 1560 festgestellt, aber nicht in rein kalvinischem Geiste. Denn einmal waren die Reformierten in Kleinpolen zunächst noch mit den böhmischen Brüdern vereinigt, die auf

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die Gestaltung der polnischen Kirchenverfassung Einfluss gewannen; sodann waren auch die nationalpolnischen Einrichtungen für sie von Bedeutung. So finden wir das Institut von geistlichen und weltlichen Senioren oder Superintendenten und ein Übergewicht der Patrone und des Adels, überhaupt eine einseitige Ausbildung der Synodalverfassung auf Kosten der Presbyterialverfassung. Überdies wurde die reformierte Kirche Polens bald durch die Gegenreformation fast ganz zerstört. Wir können daher für unsere Zwecke die polnische Kirchenverfassung nicht weiter berücksichtigen.1)

13. Auch über Ungarn und Siebenbürgen ist nicht viel zu sagen. Es waren hier hauptsächlich die Magyaren, die das kalvinische Bekenntnis annahmen, während die Deutschen lutherisch wurden. Zu einer richtigen Kirchenverfassung nach kalvinischen Grundsätzen kam es aber nicht. Es gab wohl Synoden, aber es waren Geistlichkeitssynoden, und eine Presbyterialverfassung fehlte ganz bis 1791. Die jetzt geltende Kirchenverfassung ist enthalten in den Kirchlichen Gesetzen der ungarländischen evangelischen Kirche helvetischen Bekenntisses, beschlossen in der vom 31. Oktober bis 24. November 1881, dann vom 10. bis 17. September 1882 zu Debreczin abgehaltenen Landes-Synode, sanctionirt mit allerhöchster Entschliessung Seiner kaiserlichen und apostolischen königlichen Majestät, ddto. Schönbrunn 11. Oktober 1882.

Nach § 2 dieser Verfassung verwaltet und regiert sich die ungarländer reformierte Kirche nach dem synodal-presbyterialen System. Jede Kirchengemeinde hat ihr Presbyterium, mehrere Kirchengemeinden zusammen bilden einen Kirchenbezirk mit einer Generalversammlung; die Vereinigung mehrerer Kirchenbezirke ist der Kirchendistrikt mit einer Generalversammlung; die obersten Organe der gesammten ungarischen reformierten Kirche sind die Synode und für die Zeit, da sie nicht beisammen ist, der Generalkonvent. Für die Ausübung der kirchlichen Gerichtsbarkeit bestehen meist besondere Kirchengerichte.

14. Wenn wir zu Deutschland übergehen, so sind in erster Linie


1) Vgl. Dalton, Geschichte der reformierten Kirche in Russland 1865. Derselbe, Beiträge zur Geschichte der evangelischen Kirche in Russland Band II: Urkundenbuch der evangelisch-reformierten Kirche in Russland. 1889. Lechler, Geschichte der Presbyterial- und Synodalverfassung seit der Reformation. S. 139ff. Skalsky, Zur Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in Österreich (Separatabdruck aus dem Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich, 1897 und 1898). 1898 S. 170ff.

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die Landschaften am Niederrhein und am Oberrhein zu erwähnen.1) Kalvinische Anschauungen wurden hier hauptsächlich durch reformierte Flüchtlinge aus den Niederlanden (daneben auch aus England und Frankreich) gepflanzt. Zunächst bildeten deshalb die reformierten Gemeinden am Niederrhein einen Teil des Verbandes der niederländischen reformierten Kirchen, der nach den Beschlüssen der Emdener Synode von 1571 aus drei Provinzen bestand: 1) Deutschland und Ostfriesland, 2) England, 3) die Niederlande selbst (s.o. S. 18). Die deutsche Provinz wurde weiter in vier Klassen oder Quartiers eingeteilt: 1) die Pfälzische, 2) die Jülische, 3) die Clevische, 4) die Emdener Klasse mit den ostfriesischen Fremdengemeinden. Für diese Kirche waren demgemäss neben den Beschlüssen des ersten Klassikalkonvents zu Wesel im Juli 1572 die Beschlüsse der Emdener Synode, sowie die der Dortrechter Synode von 1578, an der Vertreter von ihr teilgenommen hatten, massgebend. Mit der Zeit freilich konnte es nicht ausbleiben, dass sie sich vom Verbande der niederländischen Gemeinden emanzipirten und sich zu einer eigenen und selbständigen Organisation zusammenschlossen. Der Grund dazu wurde auf dem ausserordentlichen Konvente zu Düren am 17. August 1610 gelegt, indem hier der Plan zu einer allgemeinen Synode der reformierten Kirchen in Jülich, Cleve und Berg sammt angehörigen Graf- und Herrschaften gefasst wurde. Demgemäss trat am 7. bis 10. September 1610 die erste Generalsynode der reformierten Kirchen in den genannten Fürstentümern und vielen Graf- und Herrschaften zusammen; die pfälzische Kirche war ebenfalls vertreten. Was die Verfassung betrifft, so wurde der gesammte Organismus mit Presbyterien oder Konsistorien, ferner mit Klassen und Klassikalkonventen, weiter mit Provinzialsynoden und endlich mit einer Generalsynode als oberster Spitze als „zur Fortpflanzung und Erbauung der Kirchen sehr dienlich” erklärt.2) Die Schlüsse der reformierten General- und Provinzialsynoden von Jülich-Berg-Cleve-Mark seit 1610 bis 1653 hat Jacobson in seiner Urkundensammlung für die evangelische Kirche von Rheinland und Westfalen (als Anhang zur Geschichte der Quellen des evangelischen Kirchenrechts der Provinzen Rheinland und Westfalen) S. 171-179 in systematischer Ordnung zusammengestellt.

Die bisherige selbständige Entwicklung der kirchlichen Verfassung dieser Länder war dadurch begünstigt worden, dass die Landesherren


1) Vor allem ist zu nennen: Jacobson, Geschichte der Quellen des evangelischen Kirchenrechts der Provinzen Rheinland und Westfalen. 1844. Dort ist das Nähere zu finden, worauf wir hier nicht eingehen können.
2) Die Akten dieser ersten Duisburger Generalsynode siehe in der gleich zu erwähnenden Urkunden-Sammlung von Jacobson S. 164-171.

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von Cleve, Mark, Berg und Jülich wenn auch einer Reformation der Kirche nicht ganz abgeneigt, ihre lutherischen und reformierten Unterthanen als dissentirende Partei betrachteten und diesen dadurch bei aller Bedrückung und Verfolgung, die über sie erging, doch Gelegenheit zur Ausbildung einer selbständigen, von der Staatsgewalt unabhängigen kirchlichen Ordnung gaben. Im Jahre 1690 fielen die Länder nach dem Tode des kinderlosen Herzogs Johann Wilhelm von Cleve kraft Erbfolge unter das zuerst gemeinsame Regiment der evangelischen Fürsten von Brandenburg und Pfalz-Neuburg. Später kamen die Länder Berg und Jülich an Pfalz-Neuburg, dessen Landesherr inzwischen zur katholischen Kirche übergetreten war, die Länder Mark und Cleve an Brandenburg, dessen Landesherr auch den Evangelischen von Berg und Jülich seinen kräftigen Schutz angedeihen liess. Der kirchliche Verband der Reformierten der vier Landschaften blieb auch jetzt erhalten.

Eine allgemeine Kirchenordnung kam nach langen Verhandlungen und Vorarbeiten 1654 zu Stande und erhielt für die Reformierten in Cleve und Mark die Bestätigung des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg unterm 20. Mai 1662 (mitgeteilt im Auszuge in der Urkundensammlung von Jacobson S. 181-190, vollständig in neuhochdeutscher Sprache bei Snethlage, Die älteren Presbyterial-Kirchenordnungen der Länder Jülich, Berg, Cleve und Mark S. 83-118).

Für die Reformierten in Jülich und Berg wurde diese Kirchenordnung mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse dieser Landschaften einer Umarbeitung unterzogen. Zwar erhielt sie auch in dieser Gestalt nie die förmliche landesherrliche Bestätigung, aber unter dem Schutze der brandenburg-preussischen Fürsten war es den Reformierten möglich, diese ihre Kirchenordnung trotz aller Eingriffe der katholischen Landesregierung zu behaupten und zu befolgen. In der Hauptsache stimmt die Jülich-Bergische Kirchenordnung ganz mit der Cleve-Märkischen überein, wie aus der Zusammenstellung in Jacobsons Urkunden-Sammlung S. 181ff. hervorgeht; sie ist in extenso abgedruckt bei Snethlage a.a.O. S. 19-57.

Ausserhalb der genannten Landschaften gab es in den niederrheinischen Gebieten reformierte Gemeinden insbes. zu Köln (vgl. darüber Jacobson, Geschichte etc. S. 382ff. und Simons, Niederrheinisches Synodal- und Gemeindeleben „unter dem Kreuz”. 1897 S. 44-75, wo auch die Konsistorialordnung von 1572 und die Kirchenordnung von 1645 zum ersten Male mitgeteilt werden) und Aachen (vgl. Jacobson, Geschichte etc. S. 371ff., Simons a.a.O. S. 5) ferner im Fürstentum Mörs (vgl. Jacobson, Geschichte etc. S. 394ff.), in der Grafschaft Tecklenburg (vgl. Jacobson Geschichte etc. S. 404ff.),

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deren Kirchenordnung (von 1588 und 1619) und Synodalbeschlüsse Jacobson in der Urkunden-Sammlung S. 392ff. mitteilt, in der Grafschaft Steinfurt (vgl. Jacobson, Geschichte etc. S. 421ff.), in der Grafschaft Hohen-Limburg (vgl. Jacobson, Geschichte etc. S. 426ff.), in der Herrschaft Rheda und Gütersloh (vgl. Jacobson, Geschichte etc. S. 430ff.), in der Grafschaft Lingen (vgl. Jacobson, Geschichte etc. S. 433ff.), und in den Gräflich-Wittgensteinschen Landen (vgl. Jacobson, Geschichte etc. S. 572ff.).

Während der französischen Okkupation der Rheinlande (1794 bis 1814) wurden am linken Rheinufer die organischen Artikel des 18. Germinal des Jahres X (s.o. S. 12) als Kirchengesetz eingeführt, während am rechten Rheinufer sich im Ganzen der presbyterial-synodale Organismus erhielt. Als sodann Preussen im Jahre 1815 aus altem Besitz und neuem Erwerb die zwei Provinzen, die Rheinlande und Westfalen, bildete, sah es sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, die vielen Kirchenordnungen, die in den zahllosen früher selbständigen Gebieten nach und nach entstanden und in Geltung gewesen waren, durch eine einheitliche Ordnung zu ersetzen. Das Ergebnis der langen Verhandlungen zwischen der preussischen Staatsregierung und den kirchlichen Organen der beiden Provinzen1) war eine neue Kirchenordnung für die evangelischen Gemeinden der Provinz Westfalen und der Rheinprovinz, die, wie es in der begleitenden allerhöchsten Kabinetsorde vom 5. März 1835 heisst, „mit Berücksichtigung der verschiedenen, dort bisher geltenden Kirchen-Ordnungen und der eingeholten Gutachten der dortigen Synoden für alle Gemeinden beider evangelischer Konfessionen in den dortigen Provinzen” abgefasst ist. Diese rheinisch-westfälische Kirchenordnung stellt sich als eine Kombination der lutherischen Konsistorialverfassung und der reformierten Presbyterial- und Synodalverfassung unter unverkennbaren Übergewicht der reformierten Verfassungselemente dar. Eine Weiterbildung der Kirchenordnung in der Richtung auf eine grössere Selbständigkeit der kirchlichen Organe in ihrem Verhältnis zu den Staatsbehörden und den Organen des landesherrlichen Kirchenregiments fand achtzehn Jahre später statt, indem Friedrich Wilhelm IV. durch Kabinetsorde vom 13. Juni 1853 die Genehmigung zur Einfügung von 47 Zusätzen erteilte; eine weitere Abänderung brachte das Kirchengesetz vom 27. April 1891, durch das nicht weniger als 33 Paragraphen betroffen wurden.2)


1) Das Nähere über diese Verhandlungen ist zu finden bei Jacobson, Geschichte der Quellen des ev. Kirchenrechts der Provinzen Rheinland und Westfalen S. 861ff.
2) Eine sorgfältige Ausgabe der rheinisch-westfälischen Kirchenordnung in ➝

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Sonst sind von Deutschland hauptsächlich die Nassauischen und die Kurpfälzischen Lande zu nennen, in denen der Calvinismus sich festsetzte. In den Nassauischen Landen verdrängte der reformierte Typus den sächsisch-lutherischen, der zuerst hier Eingang gefunden hatte, noch im Laufe des 16. Jahrhunderts, und auf einer 1586 zu Herborn abgehaltenen Versammlung von Nassauischen, Wittgensteinischen, Solmsischen und Wiedischen Geistlichen wurde die reformierte Kirchenverfassung zum Abschlusse gebracht. Die hier festgestellten Artikeln lehnen sich an die Beschlüsse der Middelburger Synode van 1581 an; sie sind im lateinischen Original in Richters Evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts Bd. II S. 473-476 abgedruckt.

Ähnlich wie in Nassau musste auch in der Pfalz das zuerst zur Herrschaft gelangte Luthertum dem Calvinismus, dem der Kurfürst Friedrich III. persönlich zugethan war, den Platz räumen. Doch wurde mehr die Lehre als die Kirchenverfassung Calvins angenommen. Jene erhielt in dem von Caspar Olevian und Zacharias Ursinus ausgearbeiteten Heidelberger Katechismus (1562) einen klassischen Ausdruck, während die Kirchenverfassung durch die Kirchenordnung von 1563 (in Richters Ev. Kirchenordnungen Bd. II S. 257-275), die Kirchenratsordnung von 1564 (ebendas. S. 276-284) und das Edikt vom 13. Juli 1570 in einer Weise geordnet wurde, die keineswegs den Grundsätzen des Calvinismus entsprach, vielmehr eine Verbindung der presbyterialen Gemeinde-Ordnung mit der lutherischen Konsistorialverfassung darstellte: in jeder Gemeinde ein Kirchenkollegium (Presbyterium), an der Spitze der Kirche des ganzen Landes ein aus drei Theologen und drei weltlichen Räten zusammengesetzter Kirchenrat, in den einzelnen Kreisen (Diözesen) Inspektoren oder Superintendenten, daneben Klassenkonvente und (bei ausserordentlichen Veranlassungen) eine Generalsynode, aber stets nur aus Geistlichen gebildet.

Auch in der ehemaligen Grafschaft (dem heutigen Fürstentum) Lippe wurde die lutherische Konfession 1605 von der reformierten verdrängt. Zwar folgte im Jahre 1624 die Einsetzung von Presbyterien nach, aber daneben blieb der Organismus der landesherrlichen Kirchenregiments mit Konsistorium und Superintendenten bestehen. Derselbe gemischte Kirchenverfassungstypus begegnet uns in den grossen Kirchenordnung von 1684. In den 70er und 80er Jahren des 19.


➝ der aus den späteren Ergänzungen und Abänderungen sich ergebenden Fassung ist die von Blume-Hälschner, in 5. Auflage von Wilhelm Kahl besorgte Ausgabe von 1891. Der ursprüngliche Text der Kirchenordnung von 1835, der aus dieser Ausgabe nicht zu ersehen ist, findet sich z.B. bei Snethlage a.a.O. S. 176ff.

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Jahrhunderts wurde sodann die Kirche nach den Grundsätzen der modernen Kirchenverfassung mit Kirchenvorständen und Synoden organisirt.1)

 

Noch weniger als anderswo in Deutschland kam es in Bremen zu einer eigentlich reformierten Kirchenverfassung, obgleich sämmtliche Gemeinden mit Ausnahme der Domgemeinde der reformierten Konfession zugethan waren. Heutzutage sind im Bremer Stadtgebiet drei Gemeinden reformierter Konfession, während die übrigen Gemeinden teils nur lutherische, teils lutherische und reformierte Christen umfassen. Die Verfassung sämmtlicher Gemeinden aber ist bei aller Mannigfaltigkeit im Einzelnen doch in den Grundzügen dieselbe. Organe dieser Gemeinden sind neben den Pastoren, den Diakonen und den unteren Kirchenbeamten die Bauherren (zwei bis vier an der Zahl) als die eigentlichen Vorsteher und Vertreter der Kirchengemeinden (ein Institut, dessen Wurzeln im Mittelalter liegen), der Kirchenvorstand, bestehend aus den Bauherren, den Pastoren, einigen Diakonen und mehreren gewählten Mitgliedern der Kirchengemeinde, der Gemeindeausschuss, zu dem die Bauherren, die Pastoren, die abgegangenen und die fungierenden Diakonen und die abgegangenen und die fungierenden Mitglieder des Kirchenvorstands gehören, und endlich der Kirchenkonvent, der alle männlichen Mitglieder der Gemeinde umfasst, die einen Kirchenstuhl besitzen oder einen Beitrag zur Kirchenkasse zahlen.

Die Kirchenordnungen der reformierten Gemeinden, der U.L. Frauengemeinde, der Gemeinde zu St. Stephani und der St. Martini-Gemeinde finden sich abgedruckt bei Friedberg, Die geltenden Verfassungsgesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen S. 930ff., 943ff., 969ff.

 

In Ostfriesland2) fand die reformierte Konfession Eingang durch Johannes a Lasco, welcher unter den vormundschaftlichen Regierung der Gräfin Anna, die der reformierten Richtung zugethan war, 1543 zum Superintendenten ernannt wurde. Lasco legte den Grund zu einer kirchlichen Organisation, indem er 1544 in Emden einen Kirchenrat stiftete und einen Cötus als die regelmässige Versammlung sämmtlicher ostfriesischer Geistlichen errichtete. Die Aufgabe des Cötus


1) Vergl. Friedberg, Die geltenden Verfassungsgesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen S. 871f. Rieker, Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands S. 430 f.
2) Das Folgende nach dem „Gutachten eines Juristen über die Stellung des Cötus in der reformierten Kirche Ostfrieslands, und sein Verhältnis zu dem Königl. Konsistorium zu Aurich.” Emden 1857 (vom Moderamen des ostfriesischen Cötus veröffentlicht). Vgl. auch Friedberg, Evangelisches Verfassungsrecht S. 261f.

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war: die Kirchen Ostfrieslands und ihre Diener zu vereinigen, ein reines und erbauliches Leben der Geistlichen zu befördern, ungeratene Geistliche zu zügeln und zu bessern, oder ihre Entfernung aus dem Dienste zu bewirken. Der Versammlungsort wechselte zuerst, später war er stets Emden; in der ersten Versammlung jedes Jahres wurde in Präses für ein Jahr gewählt. Ursprünglich war der Cötus für sämmtliche Prediger Ostfrieslands bestimmt; als aber die Regierung die im Cötus hauptsächlich vertretene reformierte Richtung nicht mehr stützte, trennen sich die der streng lutherischen Richtung folgenden Geistlichen vom Cötus, und dieser repräsentirte nunmehr nur noch die reformierten Gemeinden Ostfrieslands. Da nach Lascos Tode das Amt eines Superintendenten nicht wieder besetzt wurde, trat der Cötus in seine Stelle ein. Doch sollte er sich keinerlei Jurisdiktion anmassen. Die Nomination der Geistlichen stand den Gemeinden zu, aber es durfte keiner zum Kirchendienst zugelassen werden, der nicht vom Cötus geprüft worden war. Zur Ausübung der Rechte des Landesherrn in der Kirche wurde auf Grund der Concordaten vom 2. Juli 1599 ein aus Theologis und Politicis zusammengesetztes Konsistorium errichtet, das die eigentliche jurisdictio ecclesiastica im Namen der Grafen ausüben sollte; dazu gehörte die Konfirmation der Geistlichen, die Erteilung von Dispensationen in Ehesachen, die Gerichtsbarkeit in Ehesachen, die Disziplinargewalt über Geistlich, soweit sie durch Strafen auszuüben war, die Absetzung von Kirchendienern, die Bestrafung kirchlicher Vergehen, die Entscheidung von Streitigkeiten nach Kirchenrecht, die Oberaufsicht über die Verwaltung der Kirchengüter u.s.w. Dagegen stand dem Konsistorium ein besonderes Oberaufsichtsrecht über den Cötus nicht zu, weil dieser keinerlei jurisdiktionelle Befugnisse hatte. Mit einer kurzen Unterbrechung von 1583-1603, während welcher Zeit er aufgehoben war, bestand der Cötus in der beschriebenen Verfassung trotz allem Wechsel der Landesherrschaft bis 1882, wenn auch schliesslich die Zugehörigkeit zu ihm für die Geistlichen nicht mehr obligatorisch war und das examen coetuale keine absolute Bedingung für die Anstellung im Kirchendienst bildete. Mit der Neuregelung des Prüfungswesens wurde ihm seine wichtigste Funktion entzogen, so dass er jetzt mehr den Charakter einer freien Vereinigung der evangelischen Geistlichen trägt.

Die reformierten Gemeinden Ostfrieslands unterstehen jetzt mit den übrigen reformierten Gemeinden der preussischen Provinz Hannover der vom König von Preussen als Träger des landesherrlichen Kirchenregiments durch Allerhöchsten Erlass vom 12. April 1882 veröffentlichten Kirchengemeinde- und Synodalordnung für die evangelisch-reformierte Kirche der Provinz Hannover. Darnach besteht in jeder

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Gemeinde ein Kirchenrat (Presbyterium) und eine Gemeindevertretung; in jedem der neun Synodalbezirke, von denen fünf auf Ostfriesland fallen, eine Bezirkssynode; die Vertretung der ganzen Kirche bildet die Gesammt-Synode. Sodann wurde durch Allerhöchsten Erlass vom 20. Februar 1884 (bei Friedberg a.a.O. I. Ergänzungsband S. 44f.) das evangelische Konsistorium zu Aurich als Kirchenbehörde für die ev.-reformierte Kirche der Provinz Hannover bestellt; zugleich wurden darin diejenigen Beschlüsse dieses Konsistoriums bezeichnet, bei denen das Stimmrecht nur den reformierten Mitgliedern zustehen soll.

 

In den östlichen Teilen der brandenburg-preussischen Monarchie1) bildeten sich und zwar hauptsächlich in Preussen und in den Marken reformierte Gemeinden. 1713 errichtete Friedrich Wilhelm I. für sie ein beständiges reformiertes Kirchen-Direktorium, das die Oberaufsicht über alle reformierten Kirchen und Schulen des Königreichs und der Provinzen führen sollte; nur die königlichen Hofprediger waren von seiner Jurisdiktion ausgenommen; auf die reformierten Kirchensachen von Cleve, Mark und Ravensberg wurde die Jurisdiktion des Kirchendirektoriums nicht ausgedehnt. Zugleich mit der Fundation dieser reformierten Oberkirchenbehörde wurde die Einteilung aller reformierten Kirchen und Schulen in Klassen unter der Leitung von Inspektoren, die Bestellung von Kirchenvorstehern oder Presbyterien, die Abhaltung jährlicher Klassikalkonvente und Visitationen sowie dreijähriger Provinzialsynoden der Inspektoren und der deputirten Prediger angeordnet. Im gleichen Jahre noch erschien die gesetzlich Regelung der kirchlichen Verhältnisse der reformierten Gemeinden unter dem Titel:

Königliche Preussische Evangelisch-Reformierte Inspektions-Presbyterial-Classical-Gymnasien- und Schulordnung. Ingleichen Prediger-Bestallungs-Puncte; nebst den drei Confessionen oder Glaubens-Bekändnüssen, welche in den Churfürstl. Brandenburg, die Religion betreffenden Edictis zu beobachten befohlen worden.2) In dieser Kirchenordnung sind wohl im allgemeinen die Grundsätze der presbyterial-synodalen Verfassung befolgt, aber mit der wichtigen Abweichung, dass nur die presbyteriale Basis vollständig vorhanden ist, die synodalen Organe dagegen schwach entwickelt sind: an ihre Stelle ist das landesherrliche Kirchenregiment und die Autorität des von ihm


1) Vgl. Jacobson, Die kirchlichen Verhältnisse der Reformierten in Preussen, vornehmlich in den östlichen Provinzen des Staats, in der Zeitschrift für Kirchenrecht III S. 291ff.
2) Abgedruckt bei Mylius, Corpus constitutionum marchicarum Teil I Abteilung I Nr. LXXXIII fol. 447-508.

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bestellten Kirchendirektoriums getreten. Als am Anfang des 19. Jahrhunderts das gesammte Staats- und Kirchenwesens unter dem Drucke des schweren Heimsuchungen, die den preussischen Staat getroffen hatten, vollständig verändert wurde, konnte auch das deutsch-reformierte Kirchenwesen davon nicht unberührt bleiben: 1809 wurde das reformierte Kirchendirektorium aufgehoben, und die reformierten Kirchensachen wurden von den Schul- und Kirchendeputationen der Regierung besorgt. Als sodann 1815 wieder eigene Kirchenbehörden für die rein geistlichen Angelegenheiten in den einzelnen Provinzen unter dem Titel „Konsistorien” errichtet wurden, erstreckten sich ihre Konsistorialrechte auf die Protestanten überhaupt, also auch auf die Reformierten. Es entsprach dies den Unionsbestrebungen des preussischen Fürstenhauses, zu deren Verwirklichung eben jetzt die entscheidenden Schritte gethan wurden. Viele reformierte Gemeinden schlossen sich so vollständig der Union an, dass sie aufhörten, eigene Sprengel zu bilden, so die Gemeinden in der Provinz Brandenburg, die bisher sieben Inspektionen gebildet hatten. Dagegen behauptete sich in den Provinzen Preussen, Pommern, Sachsen je eine Inspektion. Hier wurden auch die Klassikalkonvente, die seit langer Zeit in Abgang gekommen waren, wieder ins Leben gerufen (in Pommern seit 1850, in Preussen seit 1853, in Sachsen seit 1856). Während diese Konvente sich bisher noch an die alte Klassikalordnung von 1713 angeschlossen hatten, publizirte das Konsistorium zu Königsberg am 29. Januar 1861 eine neue Klassikalordnung unter dem Titel: Statut für die Classical-Convente der reformierten Gemeinden in der Provinz Preussen.1) Es wird darin die regelmässige Abhaltung der Klassikalkonvente alle zwei Jahre angeordnet, für ihre Form, Zusammensetzung und Geschäftsordnung aber auf die Vorschriften der Klassikalordnung von 1713 verwiesen (die also weiter gelten soll), „soweit nicht die folgenden Bestimmungen eine Änderung zur Folge haben”. Zum Unterschied von der alten Klassikalordnung setzt die neue als Organ des Konvents nicht blos einen Inspektor oder Superintendenten, sondern auch ein Moderamen ein, das aus dem Superintendenten und zwei gewählten Mitgliedern, unter denen ein Geistlicher sein muss, bestehend den Konvent in der Zeit, da er nicht versammelt ist, zu vertreten hat. Im Übrigen bilden die reformierten Gemeinden auch jetzt noch einen Teil der evangelischen Landeskirche Preussens und sind dem landesherrlichen Kirchenregimente (Konsistorien und Oberkirchenrat) untergeben.

Eine besondere Berücksichtigung verdient noch die Frage nach dem Verhältnis dieser deutsch-reformierten Gemeinden zu der modernen


1) Abgedruckt in den Aktenstücken aus der Verwaltung des Evangelischen Ober-Kirchenraths Bd. V. S. 117ff.

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Kirchengesetzgebung, wodurch für die evangelische Landeskirche Preussens Gemeindekirchenräte, Kreis- und Provinzialsynoden und eine Generalsynode geschaffen worden sind.

Als durch Allerhöchsten Erlass vom 29. Juni 1850 Grundzüge einer evangelischen Gemeindeordnung für die östlichen Provinzen1) veröffentlicht wurden, stellte der Evangelische Oberkirchenrat gleich von Anfang an den Grundsatz auf, dass die neue Gemeindeordnung denjenigen Gemeinden nicht aufgedrängt werden sollte, die sich bereits einer in anerkannter Geltung stehenden kirchlichen Gemeindeordnung erfreuten, wie z.B. die französisch-reformierten Gemeinden in den Provinzen Brandenburg, Pommern und Sachsen.2) Auch die deutsch-reformierten Gemeinden durften sich dazu zählen. Ebenso wurde, als der Allerhöchste Erlass vom 27. Februar 1860 die Einrichtung von Kreissynoden, da wo sie ausführbar erschien, anordnete, davon auf die reformierten Gemeinden keine Anwendung gemacht; auch erhielten diese wenigstens in der Provinz Preussen, wie schon erwähnt worden, um dieselbe Zeit ein neues Klassikalstatut. Dagegen leidet die Kirchengemeinde- und Synodalordnung vom 10. September 1873 Anwendung auch auf die deutsch-reformierten Gemeinden: diese hatten, wie die Instruktion zu jener Ordnung aussprach3), ihre Gemeinde-Verfassung nach den neuen Vorschriften umzugestalten.

 

Die reformierten Gemeinden, die sich in den fränkischen Fürstentümern im 18., im gräflich Pappenheimischen Gebiet schon im 16. Jahrhundert aus fremden Einwanderern gebildet hatten, wurden, als diese Gebiete an Bayern fielen, zunächst einfach dem Regiment der lutherischen Kirchenbehörden unterstellt, was sich um so leichter vollzog, als diese reformierten Gemeinden zu jener Zeit unter sich in keinerlei organischer Verbindung gestanden hatten, bei den Konsistorien zu Ansbach und Bayreuth je ein reformierter Rat als Mitglied fungirte, und das Protestantenedikt von 1818 dies auch für das Oberkonsistorium anordnete (§ 2b). In den fünfziger Jahren jedoch machte sich das Verlangen der Reformierten nach Wiederherstellung ihrer früheren kirchlichen Selbständigkeit geltend. Nach mehrjährigen Verhandlungen wurde den reformierten Pfarrgemeinden durch königl. Entschliessung vom 26. Februar 1853 (bei Friedberg, Die geltenden Verfassungsgesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen S. 318ff.) gestattet, für ihre


1) Abgedruckt in den Aktenstücken aus der Verwaltung des Evangelischen Oberkirchenraths, Erstes Heft S. 6ff.
2) Vgl. ebendas. S. 22 und Bd. V. S. 10.
3) Aktenstücken aus der Verwaltung des Evangelischen Oberkirchenraths Bd. VII S. 204.

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Kirchenangelegenheiten eine besondere, jährlich einmal zusammentretende Synode abzuhalten und aus den geistlichen Mitgliedern der Synode ein Moderamen zu bilden. Die bisherige Kompetenz des Oberkonsistoriums aber wurde aufrecht erhalten, obgleich die reformierte Erlanger Synode von 1854 die Forderung aufgestellt hatte, dass das reformierte Moderamen direkt dem Kultusministerium unterstellt werde.

15. Eine eigentümliche Rolle spielen in der Geschichte des Calvinismus die Fremdengemeinden, d.h. Gemeinden solcher Reformierter, die um ihres Glaubens willen ihre Heimat verlassen mussten und auswärts Duldung und Schutz für ihre Religion und Religionsübung fanden. Es waren insbes. Reformierte Frankreichs und der Niederlande, die diese Fremdengemeinden bildeten. Eine der hervorragendsten und einflussreichsten Fremdengemeinden war die von dem Polen und Freunde Calvins, Johannes a Lasco, in London 1550 mit Genehmigung des Königs Eduard als unum corpus corporatum et politicum aus Franzosen und Wallonen, Deutschen und Niederländern organisirte Gemeinde.1) Genau genommen waren es zwei Gemeinden mit gesondertem Gottesdienst: die französisch-wallonische und die deutsch-flämische. Lasco war ihr gemeinsamer Superintendent, die von ihm verfasste Forma ac ratio tota ecclesiastici ministerii, in Peregrinorum, potissimum vero Germanorum Ecclesia observati, instituta Londini in Anglia per pientissimum Principem Angliae etc. Regem Eduardum, ejus nominis sextus, Anno 1550 (abgedruckt in Joannis a Lasco Opera ed. Kuyper vol. II p. 45ff.)2) ihre gemeinsame Kirchenordnung, das ebenfalls von Lasco verfasste Compendium Doctrinae de vera unicaque Dei et Christi Ecclesia ejusque fide et confessione pura: in qua Peregrinorum Ecclesia Londini instituta est, autoritate atque assensu Sacrae Majestatis Regiae 1551 (ib. p. 285ff.) ihr gemeinsames Glaubensbekenntnis. Dass Lasco bei Aufstellung jener Kirchenordnung hauptsächlich dem Vorbilde der Genfer Kirche gefolgt ist, tritt durchweg hervor, wird auch von ihm selbst am Schlusse der Praefatio ausgesprochen (sumpte exemplo a Genevensi et Argentinensi peregrinorum Ecclesia l.c. p. 50).

Mit der Thronbesteigung der Königin Maria 1553 löste sich die von Lasco begründete Fremdengemeinde auf, suchte sich aber alsbald nach ihrem Tode, diesmal jedoch ohne die Mitwirkung Lascos, der nicht mehr nach England zurückkehren sollte, wieder zu konstituiren. Doch gelang es ihr nicht, die früheren rechtliche Stellung wieder zu


1) Vgl. de Schickler, Les Eglises du Refuge en Angleterre I (1892) p. 24ff. Das Diploma regium in den opp. Joannis a Lasco II p. 279ff.
2) Für deutsche Verhältnisse 1555 verdeutscht von Martin Micronius (bei Richter, Evangelische Kirchenordnungen II S. 99ff.).

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erlangen: die Superintendenz wurde dem Bischof von London übertragen! Der erste Geistliche der französischen Gemeinde war der von Genf erbetene Des Gallars, der ganz nach dem Muster der Ordonnances ecclésiastiques de Genève für die neukonstituirte Gemeinde eine Kirchenordnung schuf: Forma politiae ecclesiasticae super institutae Londiniis coetus Gallorum. — Forme de police ecclésiastique instituée à Londres en l’église des François 1561.1) Eine dritte Kirchenordnung wurde von de la Fontaine 1578 entworfen und 1588 von allen französisch-wallonischen Gemeinden in England angenommen. Sie ist in zwei Redaktionen erhalten, über die Schickler a.a.O. I p. 340ff. berichtet. Die zweite ist in französischer Sprache abgefasst und hat den Titel: Police et Discipline, ecclésiastique observée ès Églises de la langue françoise recueillies en ce royaume d’Angleterre sous la protection de la sérénissime Royne Élisabeth que Dieu conserve en toute heureuse prospérité.

Was diese dritte Kirchenordnung von der vorherigen unterscheidet, ist, dass sie nicht mehr blos für eine einzelne Gemeinde, sondern, wie ihr Titel sagt, für eine Gesammtheit von Gemeinden bestimmt ist, und als Organ für diese Colloques einführt.

Endlich eine vierte Kirchenordnung wurde 1641 von einer Synode der Gemeinden französischer Sprache in England angenommen unter dem Titel: Police et Discipline ecclésiastique observée ès Églises de la langue françoise recueillies en ce Royaume d’Angleterre sous la protection de notre souverain Sire Charles (que Dieu conserve en toute heureuse prospérité) selon qu’elle a été revue, en l’an 1641 par le Synode des dites Églises. Die Discipline von 1588 dient ihr als Grundlage; die wenigen Abweichungen von ihr hat Schickler a.a.O. II p. 72-74 verzeichnet. Diese vierte Kirchenordnung ist nie förmlich abgeschafft worden; sie besteht formell noch heute zu Recht.2) Die Tendenz dieser Kirchenordnung bezeichnet Schickler so: C’est à la préponderance de l’action de ces Colloques que tend la quatrième Discipline 1641; elle cherche à profiter d’une éclipse momentanée de l’Église anglicane pour se dégager de son contrôle et assurer au fonctionnement presbytérien sa pleine indépendance et sa régularité.3)

Neben den Colloques fanden seit 1604 noch Synoden statt, d.h. Vereinigungen von Abgesandten der französischen, wallonischen, flämischen reformierten Gemeinden Englands.4)


1) Ich kenne sie nur aus der sorgfältigen Analyse, die Schickler a.a.O. I p. 103ff. davon gibt.
2) Schickler a.a.O. II p. 76.
3) a.a.O. II p. 76.
4) Vgl. Schickler, Table Générale Alphabétique s.v. Synodes.

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Für die Kenntnis der niederländischen Gemeinden in England kommen in Betracht die Acten van de Colloquia der Nederlandsche Gemeenen in England 1575-1624, in den Werken der Marnix-Vereeniging Serie II Deel I mit Aanhangsel: Uittreksels uit de Acten der volgende Colloquia 1627-1706 (p. 135-152 Corpus Disciplinae ofte Forme van Kerck-Ordeninge), ferner Kerkeraads-Protocollen der Hollandsche Gemeente te London 1569-1571 in den Werken der Marnix-Vereeniging Serie I Deel I, endlich das umfassende Werk von Hessels, Ecclesiae Londino-Batavae Archivum. 3 Tom. in 4 vol. 1887-1897.

Auf deutschem Boden am Niederrhein finden sich im 16. Jahrhundert einzelne niederländische Fremdengemeinden, abgesehen von Emden und Wesel (s.o. s. 17f.), in Köln, Aachen und sonst. Vgl. Acten van Classicale en Synodale Vergaderingen der verstrooide gemeenten in het land van Cleef, Sticht van Keulen en Aken, 1571-1579, in den Werken der Marnix-Vereeniging Serie II Deel II und Handelingen van den Kerkeraad der Nederlandsche Gemeente te Keulen 1571-1591, in den Werken der Marnix-Vereeniging Serie I Deel III.

 

Nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 bildeten sich in Folge von Einwanderung französischer Flüchtlinge zahlreiche Hugenottengemeinden in Deutschland, bes. in Brandenburg-Preussen. Für ihre Geschichte ist reiches Material zu finden einmal in den seit 1890 erscheinenden Geschichtsblättern des deutschen Hugenottenvereins (Magdeburg, Verlag der Heinrichshofenschen Buchhandlung) und in der umfassenden Geschichte der französischen Colonie von Magdeburg von Henri Tollin (1886-1894) (Verlag von Max Niemeyer in Halle a/S. und Faber in Magdeburg) in 6 Bänden.

Diese Hugenottengemeinden heilten durchweg an der Discipline Ecclésiastique des Eglises Réformées de France fest, haben daher auch in der Regel keine neuere Kirchenordnung hervorgebracht, was jedoch nicht ausschliesst, dass die Landesregierungen zum Teil vom Standpunkt des lutherischen Staatskirchenrechts aus die Bestimmungen jener Discipline Ecclésiastique modifizirt haben. So wurde durch eine Reihe von landesherrliche Anordnungen die Verfassung der Hugenottengemeinden in den preussischen Staaten ganz auf den Fuss der deutschen Kirchenverfassung gesetzt; insbes. wurden die synodalen Einrichtungen der französisch-reformierten Kirche nicht mit übernommen, vielmehr an ihre Stelle Inspektoren und ein französisches Oberkonsistorium gesetzt. Damit war die presbyterial-synodale Verfassung in einer für die spätere Entwicklung der evangelischen Kirchenverfassung bedeutungsvollen Weise mit dem konsistorialen Element der lutherischen

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Kirchenverfassung verbunden. So blieb nur die presbyteriale Gemeinde-Ordnung mit dem Consistoire im Wesentlichen unverändert. Sie wurde für Berlin geregelt durch die Règlements pour la Compagnie du Consistoire de l’Eglise françoise de Berlin 1791 (separat erschienen). Die hier getroffenen Einrichtungen sind ein Muster für die übrigen Gemeinden geworden. Die Compagnie du Consistoire besteht aus den Predigern, Ältesten und fünf Diakonen der fünf französisch-reformierten Parochieen, von denen ausserdem jede ihr eigenes Konsistorium und Diakonat hat. Doch nicht blos in kirchlicher, auch in bürgerlicher Hinsicht bildeten die französisch-Reformierten in Brandenburg-Preussen ein besonderes Gemeindewesen, sofern für sie ein eigenes französisches Kolonie-Departement mit einem besonderen Oberdirektorium (Conseil françois), einer französischen Zivil-Etats-Kasse, einem französischen Obergericht nebst den von demselben ressortirenden Koloniegerichten bestand. Die Umwälzung der gesammten staatlichen und kirchlichen Organisation im Jahre 1806 traf auch die französisch-Reformierten. Das Publikandum vom 16. Dezember 1808 über die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden hatte die Aufhebung des Kolonie-Departements und des Oberdirektoriums und die Verordnung vom 26. Dezember 1808 wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden den Wegfall des Oberkonsistoriums zur Folge. Die isolirte Verfassung der französisch-reformierten Kolonie hatte damit ihr Ende erreicht. An die Stelle der bisherigen kirchlichen Aufsichtsbehörden trat jetzt die geistliche und Schuldeputation der Provinzialregierungen und die Sektion für den Kultus und öffentlichen Unterricht im Ministerium des Innern, immerhin da, wo sich bedeutende Gemeinden der Kolonie befanden, durch Mitglieder der Kolonie verstärkt. Damit waren die französisch-Reformierten in die evangelische Landeskirche eingegliedert. Als 1815 und 1817 die Konsistorien wieder hergestellt wurden, übernahmen sie die Aufsicht über die Interna, während die Externa der Abteilung der Regierung für Kirchen- und Schulsachen zugewiesen wurden. Die innere Verfassung der einzelnen Gemeinden wurde durch alle diese Veränderungen im Wesentlichen nicht berührt. Die neuere Organisation der evangelischen Landeskirche Preussens, wie sie in der Kirchengemeinde- und Synodalordnung für die östlichen Provinzen vom 10. September 1873 und in der General-synodal-Ordnung für die acht (bezw. neun) älteren Provinzen vom 20. Januar 1876 enthalten ist, lässt ebenfalls die Verfassung der französisch-reformierten Gemeinden unberührt. Der § 48 der Kirchengemeinde- und Synodalordnung sagt ausdrücklich in Ziffer 1: Die Vorschriften dieses Abschnittes (sc. Organe der Gemeinde) finden keine Anwendung auf diejenigen französisch-reformierten Gemeinden,

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in welchen ein nach Vorschrift der discipline des églises réformées de France gebildetes consistoire oder Presbyterium eingerichtet ist.

 

Hier ist auch die Konföderation der reformierten Kirchen in Niedersachsen (zu Braunschweig, Celle, Hannover, Göttingen, Münden und Bückeburg) zu erwähnen. Zwar ist dieser Kirchenbund aus einer Vereinigung nicht blos französisch-, sondern auch deutsch-reformierter Gemeinden entstanden, aber in der Kirchen-Unions- oder Vereinigungsakte, geschehen im Synodo zu Hameln 18. Juli 1703 verbanden sich diese Gemeinden, das Glaubensbekenntnis und die Kirchendisziplin der reformierten Kirche von Frankreich heilig und unverbrüchlich zu bewahren und einen einigen Synodum oder Colloquium zu formiren. Doch wurde auch darin ausgesprochen, dass die deutschen Gemeinden der Konföderation „in gewissen Fällen sich nicht allerdings an die Verordnungen der französischen Kirchendisziplin halten können, dass ihnen dies aber nicht hinderlich sein solle, an derselben Teil zu haben.” Im Laufe der Zeit erloschen die französischen Gemeinden oder gingen in den deutschen auf. So kam es, dass die alte französische Kirchenordnung fast ganz in Vergessenheit geriet; an ihre Stelle trat allmählich ein Auszug aus den Synodalschlüssen. Von 1799 bis 1816 wurde überhaupt keine Synode abgehalten und auch dann erst wiederum im Jahre 1829 zu Braunschweig. Die 1839 zu Göttingen versammelte Synode nahm eine neue Kirchenordnung an: Kirchenordnung für die konföderirten Gemeinden evangelisch-reformierter Konfession in Niedersachsen, die von der Königl. Hannoverschen, der Herzoglich Braunschweigischen und der Fürstlich Schaumburg-Lippischen Regierung bestätigt wurde. Sie ist abgedruckt bei Friedberg, die geltenden Verfassungsgesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen S. 121ff. und bei Th. Hugues, die Konföderation der reformierten Kirchen in Niedersachsen. Geschichte und Urkunden, 1873 S. 101ff.

Auch andere reformierten Gemeinden haben ihren ursprünglichen Charakter als Fremdengemeinden abgestreift, was sich nicht blos im Gebrauch der deutschen Sprache kundgibt, sondern auch darin, dass sie eine eigene Kirchenordnung aufgestellt haben. So die beiden reformierten Gemeinden im Königreich Sachsen, die zu Leipzig und die zu Dresden. An letzterem Orte hatte sich im 17. Jahrhundert bes. aus Personen, die im Dienste des Hofes standen, eine reformierte Gemeinde gebildet, die 1689 sich mit einem Prediger ihrer Konfession konstituirte, bald aber in eine Art von Abhängigkeitsverhältnis zu dem Consistoire supérieur in Berlin, von dem sie einen jährlichen Zuschuss von 50 Thalern annahm, geriet. In Leipzig, wohin der Handel und die Messe französische Reformierte gezogen hatte, die zunächst an der

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Kolonie der Réfugiés im benachbarten Halle einen Rückhalt hatten, wurde zum erstem Male im Jahre 1702 nach der Discipline des Eglises réformées de France ein Consistoire und 1704 ein Prediger gewählt. Die ganze Ordnung des Kirchenwesens hatte einen sehr aristokratischen Charakter: die kodifizirte Verfassung von 1766 liess als stimmberechtigte Mitglieder nur Männer vom Kaufmannsstande an aufwärts zum Stimmrecht zu, die revidirte von 1828 aus dem Herrenstande nur die vornehmeren.1) Nachdem den Reformierten durch Mandat vom 18. März 1811 freie und öffentliche Ausübung ihres Kultus, sowie das gleiche Mass von bürgerlichen und politischen Rechten zugestanden worden war, das den Angehörigen der lutherischen Landeskirche und der römisch-katholischen Kirche zukam, wurden die kirchlichen Verhältnisse der Reformierten im Königreich Sachsen durch das Regulativ vom 7. August 1818 (im Codex des im Königreiche Sachsen geltenden Kirchen- und Schulrechts, 3. Aufl. 1890 von Paul von Seydewitz S. 112ff.) geordnet. Die gegenwärtige Verfassung der beiden reformierte Gemeinden beruht teils auf jenem Regulativ, teils auf der durch Dekret vom 29. März 1870 in Verbindung mit dem Nachtragsdekret vom 6. Juni 1876 (ib. S. 409ff.) bestätigten „Verfassung der evangelisch-reformierten Gemeinden im Königreich Sachsen”. Organe der Gemeinde sind darnach das Konsistorium, das aus den Predigern und neun von der Gemeinde auf drei Jahre gewählten Gemeindehäuptern (Vorstehern) besteht und in gewissen Fällen durch Hinzuziehung von Gemeindehäuptern, hauptsächlich früheren Vorstehern, zu verstärken ist, und die Versammlung der Gemeindehäupter (Gemeindeversammlung), der das Konsistorium wichtigere Angelegenheiten wie Wahl der Prediger und Vorsteher, Veränderung in den Statuten und in der Liturgie u.s.w. zur Beschlussfassung vorzulegen hat. In dem Regulativ von 1818 § 8 und § 10 ist auch von einer allgemeinen reformierten Landessynode die Rede, deren nähere Organisation zu künftiger allerhöchster Resolution ausgesetzt wird.

 

In Württemberg hatte sich im Anfang des 18. Jahrhunderts aus französischen Flüchtlingen zu Cannstatt und Stuttgart, später auch zu Ludwigsburg eine reformierte Gemeinde gebildet, mit eigenem Geistlichen und Presbyterium. Was sonst im Lande als reformiert bezeichnet wurde, waren keine Reformierte, sondern Waldenser, die aus Savoyen eingewandert waren und wegen der französischen Sprache, die sie gebrauchten, und einiger mit den Hugenotten gemeinsamer Einrichtungen in Kultus und Verfassung mit den Reformierten


1) Vgl. A. Kirchhoff, Geschichte der reformierten Gemeinde in Leipzig von 1700-1725. 1874.

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zusammengeworfen wurden. Als 1823 eine Art von Union zwischen diesen Fremdengemeinden und der Landeskirche zu Stande kam, schlossen sich auch die reformierten Gemeinden Stuttgart-Cannstatt ihr vorläufig an (1827) und verzichteten auf die Wahl eines eigenen Geistlichen. Eine definitive Vereinigung kam aber nicht zu Stande, vielmehr traten die Reformierten von der provisorischen Vereinigung mit der Landeskirche zurück und erlangten 1847 die Herstellung einer eigenen Pfarrei mit Staatsbeitrag, 1848 Anerkennung des Rechts, ihren Pfarrer zu wählen, und Befreiung von der bisherigen Unterordnung unter das evangelische Konsistorium. 1850 konstituirte sich das Presbyterium aufs neue. Seitdem bilden die Reformierten in Stuttgart und Cannstatt die einzige Gemeinde reformierter Konfession im Lande.1) Ihre gegenwärtige Verfassung beruht auf der Kirchenordnung für die reformierte Gemeinde Stuttgart-Cannstatt vom 2. Juli 1893, genehmigt am 1. Mai 1894 (im Allgemeinen Kirchenblatt für das evangelische Deutschland 1894 S. 529ff.). Organe der Gemeinde sind das Presbyterium und die Gemeindeversammlung; ersteres vertritt die Gemeinde und verwaltet alle ihre Angelegenheiten, letztere wählt die Pfarrer und die Ältesten, bestätigt statutarische Ordnungen und wirkt insbes. bei einer Änderung und Erweiterung der Kirchenordnung mit.2)

 

In Frankfurt a.M.3) kam es frühe schon zur Bildung einer französischen (wallonischen) und einer deutschen reformierten Gemeinde, von denen sich jede mit Geistlichen, Ältesten und Diakonen organisirte. Diese Gemeinden erhielten sich auch, nachdem den Reformierten 1561 der öffentliche Gottesdienst verboten und 1601 eine Religionsübung nur ausserhalb der Stadtmauer gestattet worden war; erst am 15. November 1787 wurde ihnen das exercitium religionis privatum innerhalb der Stadt gewährt. Nachdem die Stadt 1815 die staatliche Selbständigkeit wieder erlangt hatte, wurde das Kirchenwesen neu geregelt. die


1) Irrtümlicherweise werden hie und da die separierten Gemeinden Kornthal und Wilhelmsdorf für reformiert erklärt (z.B. von Friedberg, das geltende Verfassungsrecht der evangelischen Landeskirchen in Deutschland und Österreich S. 33). Sie sind von der evangelisch-lutherischen Landeskirche separirte Gemeinden lutherischen Bekenntnisses, vgl. die Fundationsurkunde für die Gemeinde Kornthal vom 22. August 1819 im Allgemeinen Kirchenblatt für das evangelische Deutschland 1853 S. 237ff.
2) Vgl. Klaiber, Urkundliche Geschichte der reformierten Gemeinden Cannstatt-Stuttgart-Ludwigsburg 1884. Württembergische Kirchengeschichte, Herausgegeben vom Calwer Verlagsverein 1893. S. 510f. 641ff.
3) Vgl. Friedberg, die geltenden Verfassungsgesetze der evangelischen deutschen Landeskirchen S. 256ff. Trommershausen, Beitrag zur Geschichte des landesherrlichen Kirchenregiments in den evangelischen Gemeinden zu Frankfurt a/M. Programm des Lessing-Gymnasiums zu Frankfurt a/M. 1897.

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beiden reformierten Gemeinden erhielten auf ihren Wunsch durch Verordnung vom 8. Februar 1820 (bei Friedberg, die geltenden Verfassungsgesetze etc. S. 258ff.) nach dem Vorbilde des lutherischen Konsistoriums ein evangelisch-reformiertes Konsistorium, bestehend aus zwei reformierten Senatoren, von denen der ältere das Direktorium führt, den beiden ältesten Pfarrherren der beiden reformierten Gemeinden als Konsistorialräten, zwei Pastoren und einem rechtsgelehrten Aktuarius. Das Konsistorium hat für die Aufrechterhaltung des kirchlichen Zwecks der beiden Gemeinden Sorge zu tragen, die Befugnisse der beiden Presbyterien aber bleiben in ihrem bisherigen Bestande. Bei dieser Verfassung erhielten sich die reformierten Gemeinden bis zum Untergang der Selbständigkeit Frankfurts. Unter preussischer Herrschaft erlitt die Verfassung des Konsistoriums eine kleine Änderung, indem durch Zusatz vom 13. März 1882 an Stelle der zwei reformierten Senatoren ein vom König zu ernennender Vorsitzender reformierten Bekenntnisses und ein vom Magistrat der Stadt aus der Zahl der reformierten Gemeindeglieder zu wählendes Mitglied gesetzt wurden. Während die französisch-reformierte Gemeinde keine eigene Kirchenordnung besitzt, vielmehr in der Hauptsache die Discipline ecclésiastique des églises réformées de France als für sie verbindlich ansieht, hat sich die deutsche Schwestergemeinde erst neuerdings eine eigene Kirchenordnung gegeben: Gemeinde-Ordnung für die deutsche evangelisch-reformierte Gemeinde zu Frankfurt a.M. vom 9. November 1891, die aber vom Staate nicht bestätigt worden ist. Darnach dienen als Gemeindebehörden: das stehende Presbyterium, gebildet aus den Pfarrern der Gemeinde, sechs Ältesten und sechs Diakonen, das grosse Presbyterium, aus den jeweiligen und sämmtlichen früheren Mitgliedern des stehenden Presbyteriums zusammengesetzt, und endlich die Gesammtheit der stimmberechtigten Gemeindemitglieder.

16. Unsere Übersicht führt uns zuletzt in die neue Welt, nach Nordamerika. Keine andere christliche Konfession hat sich hier so ausgebreitet und festgewurzelt, wie der Calvinismus. Was uns unsere Aufgabe erschwert, ist die grosse Zersplitterung der reformierten Kirche in eine Anzahl von grösseren und kleineren Gemeinschaften. Es versteht sich von selbst, dass wir in unserer Darstellung von den ganz kleinen kalvinistischen Kirchengesellschaften absehen und nur die grösseren und bedeutenderen berücksichtigen.

Zur Orientierung dient neben älteren Werken, die Daniel Rupp, He pasa Ecclesia, An History of the religious denominations at present existing in the United States 1844, das vortreffliche Sammelwerk

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The American Church History Series, consisting of a series of denominational histories published under the auspices of the American Society of Church History 1893ff. Von besonderem Werte ist der einleitende Band (vol. I): The Religious Forces of the United States enumerated, classified, and described on the basis of the Government Census of 1890, by H.K. Caroll, LL.D. in charge of the Division of Churches, Eleventh Census. 1893.

Die grösseren presbyterianischen Kirchen in Nordamerika sind folgende:

 

1. The Presbyterian Church of the United States.1)

Verhältnismässig spät, erst gegen Ausgang des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts, fasste der Presbyterianismus in den britischen Kolonien von Nordamerika Fuss. Wohl waren schon im 17. Jahrhundert Schaaren von puritanischen Presbyterianern nach New England übergesiedelt, allein sie nahmen in Anschauungen und Einrichtungen viel von den dortigen Kongregationalisten an. The New England way, wie man diesen kongregationalisirten Presbyterianismus nannte, war deshalb nicht nach dem Geschmack der eigentlichen Presbyterianer in Schottland und England. Erst die schottisch-irischen Presbyterianer, die der Druck der anglikanischen Kirche aus Irland nach Nordamerika trieb, sind zusammen mit Hugenotten, die aus Frankreich einwanderten, als die Gründer der presbyterianischen Kirche in der neuen Welt zu betrachten, bes. in Maryland und South-Carolina. Zunächst gab es wohl presbyterianisch verfasste Gemeinden, aber noch keine höhere, zusammenfassende Organisation. 1705 wurde das erste Presbyterium in Philadelphia errichtet, und dieses blieb bis 1716 der einzige Verband für die presbyterianischen Gemeinden. In diesem Jahre aber wurde, da das eine Presbyterium jetzt nicht mehr ausreichte, eine Synode zu Philadelphia errichtet und unter ihr vier Presbyterien. Die Synode bestand zunächst noch aus allen Geistlichen und je einem Ältesten von jeder Gemeinde. Eine Spaltung, die 1741 eintrat und zur Errichtung einer abgesonderten Synode New York führte, wurde 1758 beseitigt indem sich die beiden Synoden zu einer Synode „Philadelphia und New York” auf der Grundlage der von der Westminster Synode aufgestellten Konfession und Kirchenordnung (Westminster Confession und Directory) wieder vereinigten. Endlich im Jahre 1788, nachdem sich die britischen Kolonien vom Mutterlande losgerissen hatten, wurde auch das Band, das die presbyterianischen Kirchen Nordamerikas bis


1) Vgl. Robert Ellis Thompson, A History of the Presbyterian Churches in the United States. 1895 (American Church History Series vol. VI).

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dahin immer noch mit der schottischen Kirche verbunden hatte, durchschnitten. Nach dem Vorbilde der Mutterkirche wurde eine Generalsynode (General Assembly) errichtet; ihr wurden die (4) Synoden und die Presbyterien untergeordnet. Zugleich wurden Bekenntnis, Liturgie und Kirchenordnung festgestellt durch Adoption des Westminster Confession (jedoch mit einer charakteristischen Änderung des chapter XXIII: of the civil magistrate), des Larger Catechism der Westminstersynode (mit einem auf die Duldung zich beziehenden Amendement), des radikal umgeänderten Directory of Worship derselben Synode und durch Aufstellung eines Form of Government and Discipline.

Im Jahre 1810 trennte sich das Cumberland Presbytery von der presbyterianischen Kirche und konstituirte sich als selbständige Synode der Cumberland Presbyterian Church (s. nachher).

Der hauptsächlich auf die Lehre sich beziehende Gegensatz der Alten und der Neuen Schule in der presbyterianischen Kirche führte auf dem General Assembly von 1837 zum Ausschluss von 4 Synoden mit 533 Kirchen. Auf dies hin kam es im folgenden Jahre zum förmlichen Bruche zwischen den beiden Richtungen und es gab von jetzt an zwei General Assemblies. Erst 1868/69 vereinigten sich die beiden Kirchen wieder zu Einer Gemeinschaft mit Einem General Assembly und 34 Synoden.

In der Zwischenzeit war aber die Sklavenfrage für jede der beiden presbyterianischen Kirchen Anlass zur Spaltung geworden: von dem New School Assembly hatten sich 1858 die südlichen Kirchen losgesagt, ebenso hatten sich 1861 von der Old School Presbyterian Church die südlichen Kirchen getrennt und selbständig gemacht (über diese beiden Zweige s. nachher).

Heutzutage umfasst die Presbyterian Church in the United States unter einem General Assembly 30 Synoden (darunter zwei ausländische) und 214 Presbyterien (darunter 18 ausländische).

Für die Kenntnis der Verfassung dieser Kirche ist das Hauptwerk: The Presbyterian Digest of 1886. A Compend of the Acts and Deliverances of the General Assembly of the Presbyterian Church in the United States of America. Compiled by the Order and Authority of the General Assembly. By the Rev. William E. Moore, D.D. Dieses Werk enthält 1. Form of Government, 2. Book of Discipline, 3. Directory for Worship, und zwar mit den Beschlüssen der General Assemblies zu den einzelnen Abschnitten der drei genannten Kirchenordnungen von Anfang an (d.h. von 1706 an) bis 1886.

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2. The Cumberland Presbyterian Church.1)

Diese Kirche ist eine Abzweigung der eben beschriebenen Kirche. Der Grund ihrer Entstehung ist folgender. Zur Zeit des grossen Revival am Anfang des 19. Jahrhunderts hatte das Cumberland Presbytery (Cumberland hiess ein Teil des südwestlichen Kentucky und ein angrenzender Teil von Tennessee) junge eifrige Leute ohne die nötige theologische Bildung als Prediger zugelassen. Als es deshalb von der ihm vorgesetzten Kentucky-Synode 1806 aufgelöst worden war, konstituierte es sich im folgenden Jahre als ein selbständiges Presbyterium und 1813 als Synode (Cumberland Synod). 1816 wurde das Westminsterbekenntnis mit Modifikationen2) adoptirt. 1828 teilte sich die bisherige Synode in 4 Synoden unter einer Generalsynode; Presbyterien sind es heutzutage 126. Bekenntnis und Verfassung der Cumberland Church sind enthalten in der offiziellen Sammlung Confession of Faith and Government of the Cumberland Presbyterian Church (Revised). Adopted 1883. Nashville, Tenn. 1893. Die Kirchenverfassung darin besteht aus einem Introductory Statement on Church Government, einem Constitution, das 60 Artikel umfasst, Rules of Discipline in 100 Artikeln, General Regulations und Rules of Order.

3. The Presbyterian Church in the United States (Southern).3)

Diese Kirche ist ebenfalls eine Abzweigung von der unter 1. beschriebenen Kirche. 1858 trennten sich die südlichen Kirchen der Neuen Schule (s.o. S. 47) wegen Differenzen in der Sklavenfrage von den nördlichen und konstituirten sich mit 4 Synoden und 15 Presbyterien als ein selbständiger Verband unter dem Namen The United Synod, South. 1861 sonderten sich aus demselben Anlasse in der alten Schule (s.o. S. 47) die südlichen Kirchen von den nördlichen, woraus The Presbyterian Church in the Confederate States of America hervorging (mit 11 Synoden und 47 Presbyterien). 1864 vereinigten sich die beiden südlichen Kirchengemeinschaften zu Einer unter dem Namen The Presbyterian Church in the United States; doch fügt man zur Unterscheidung von der Mutterkirche noch ein South oder Southern in der Regel hinzu; auch wie die Mutterkirche als die nördliche presbyterianische Kirche in den Vereinigten Staaten bezeichnet. Die südliche Kirche umfasst gegenwärtig 13 Synoden mit 72 Presbyterien.


1) Vgl. R.V. Foster in vol. XI des American Church History Series.
2) Die Abweichungen vom Westminder Confession sind bei Schaff, The Creeds of Christendom III4 p. 771ff. angegeben. 1883 wurde das Bekenntnis einer Revision unterzogen.
3) Vgl. Thomas C. Johnson in vol. XI des American Church History Series.

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Das Bekenntnis ist das Westminster Confession mit der üblichen Modifikation des Chapt. XXIII § 3 (von der weltlichen Obrigkeit), ferner der grössere und der kleinere Katechismus der Westminster Synode. Die Verfassung ist erhalten in dem Book of Church Order, das die Generalsynode 1879 adoptirt hat; das Directory for the Worship wurde 1894, die Rules of Parliamentary Order wurden 1866 angenommen. Alle diese Standards der südlichen presbyterianischen Kirche sind enthalten in der offiziellen Sammlung: The Constitution o the Presbyterian Church, in the United States. Richmond, Va. s.a.

4. The United Presbyterian Church of North America.1)

Diese Kirche ist die Hauptrepräsentantin der dissentierenden schottischen Kirchengemeinschaften in Nordamerika. Ihre Geschichte ist sehr verwickelt.

Den Grundstock bilden die Covenanters oder Old Dissenters, d.h. diejenigen schottischen Presbyterianer, die schon Karl II. den Treueid (oath of allegiance) verweigert hatten und auch, als die presbyterianische Staatskirche in Schottland durch die Gesetzgebung Wilhelms III. wiederhergestellt war, sich gegen die Staatskirche abschlossen als eine vom Covenant abgefallene Kirche und 1743 ein eigenes Presbyterium, The Reformed Presbytery, bildeten. Von 1720 an finden wir solche Covenanters in Nordamerika, aber erst 1774 konstituierten sie sich als The Reformed Presbytery of America. Ihrem Glaubensbekenntnis ist eigentümlich die Weigerung, einer unmoralischen Regierung Treue zu geloben. Wohl lehrten sie, dass die weltliche Obrigkeit von Gott sei, aber noch nur eine moralische: it is not the fact that it does exist, but its moral character, that determines whether it be the ordinance of God or not.

1782 vollzog sich eine Union zwischen dem Reformed Presbytery und dem Associate Presbytery (s. nachher); der neue Verband nannte sich The Associate Reformed Church. Doch schlossen sich nicht alle Covenanters-Gemeinschaften dieser Union an, und so bildete sich, von dem Reformed Presbytery of Scotland geleitet und versorgt, 1798 ein neues Reformed Presbyter of America, das bis auf die Gegenwart Vertreter jener schottischen Dissentersgemeinschaft geblieben ist (s. über sie Caroll a.a.O. p. 308f.).

 

Im Jahre 1733 traten einige Pfarrer (darunter Ebenezer Erskine) und Gemeinden aus der schottischen Staatskirche aus, weil diese ihren


1) Vgl. James B. Scouller in vol. XI des American Church History Series. Von demselben Autor: A Manual of the United Presbyterian Church of North America 1751-1885. Second Edition 1887.

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strengen Anschauungen und ernsten Grundsätzen nicht entsprach: es hatten in ihre die Moderates die Oberhand, die die Herrschaft der Staatsregierung in der Kirche begünstigten und die Rechte der Gemeinden zu Gunsten der Patrone verkümmern liessen. Schon am 6. Dezember 1733 konstituierten sich diese Seceders als ein eigenes Presbyterium, The Associated Presbytery. 1744 war die neue Gemeinschaft bereits so stark, dass aus dem einen Presbyterium drei gebildet und über ihnen eine Synode errichtet wurde. Bald aber führte die Frage der Zulässigkeit des Bürgereides (burgess oath) zu einer Spaltung. Die Worte, die darin vorkamen: I profess and allow with my heart the true religion presently professed within this realm, and authorized by the laws thereof, schienen den Einen nur die protestantische Religion im Unterschied von der römisch-katholischen zu bezeichnen, während die Anderen darin eine Anerkennung der Staatskirche in ihrem gegenwärtigen Zustande erblickten und es darum nicht mit ihrem Gewissen vereinigen konnten, diesen Bürger-Eid zu leisten. 1747 teilte sich daher die Synode in zwei Zweige, the Burgher und the Antiburgher, und erst 1820 vereinigten sie sich wieder zur United Secession Church.

Schon früh verpflanzte sich diese schottische Dissentersgemeinschaft nach Nordamerika. Im Jahre 1753 gingen zwei Geistliche der Antiburgher-Synode nach Pennsylvanien und bildeten noch im gleichen Jahre ein besonderes Presbyterium, the Associate Presbytery of Pennsylvania, in Unterordnung unter the Associate Anti-Burgher Synod of Scotland. Als dann auch einige Burghers in Pennsylvanien festen Fuss fassten, schlossen sich diese einfach an das Associate Presbytery an, und die Burgher-Kontroverse war damit in Amerika begraben. 1763 war die Gemeinschaft so stark geworden, dass das bisherige einzige Presbyterium von Pennsylvanien geteilt und neue Presbyterien in New-York und New-England, ebenfalls in Unterordnung unter die Synode des Mutterlandes, errichtet wurden.

Im Jahre 1782 kam es zur Union zwischen dem Associate Presbytery of Pennsylvania und dem Reformed Presbytery (s.o.) auf der Grundlage gewisser Thesen, über die man sich geeinigt hatte (offiziell the Constitution of the Associate Reformed Church, gewöhnlich nur the Little Constitution genannt). Als Symbole wurden die der Westminster Synode mit gewissen ausdrücklich bezeichneten Ausnahmen adoptiert. Der Name der durch diese Vereinigung entstandenen Kirche ist the Associate Reformed Church.

Mit dieser Union waren aber nicht alle Mitglieder des Associate Presbytery of Pennsylvania einverstanden. Mehrere Geistliche und Älteste sagten sich von der Mehrheit los und konstituierten sich als

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besondere Gemeinschaft mit dem Anspruche, das wahre und echte Associate Presbytery of Pennsylvania zu sein. Zwar fand dieses Presbyterium die Zustimmung und Billigung der schottischen Muttersynode, allein nichtsdestoweniger suchte es diese Abhängigkeit abzuschütteln, was ihm auch gelang, da diese Unterordnung im Laufe der Zeit alle praktische Bedeutung verloren hatte. Schließlich erweiterte sich das Presbytery of Pennsylvania zur Synode unter dem Namen the Associate Synod of North America (1801). Nur solche wurden zur Predigt des Evangeliums oder zum geistlichen Amte zugelassen, die den Covenant beschworen hatten.

Endlich nach 14jährigen Verhandlungen kam es 1857/58 zur Verbindung der beiden Kirchen, der Associate Church of North America und der Associate Reformed Church unter dem Namen the United Presbyterian Church of North America.

 

Ehe wir die neue Kirche weiter verfolgen, müssen wir noch einmal zur Associate Reformed Church zurückkehren, die wir 1782, in dem Jahre ihrer Begründung, verlassen haben. Das allmähliche Wachstum nötigte die Kirche, 1802 sich in 4 Synoden mit je 2 Presbyterien zu teilen und über ihnen eine jährliche Generalsynode zu errichten. Die 4 Synoden waren New York, Pennsylvania, Scioto und the Carolinas (das bereits 1786 errichtete Presbyterium für New England, bekannt unter dem Namen the Presbytery of Londonderry, hatte sich 1793 mit einem unabhängigen Presbyterium, dem Presbytery of the Eastward, vereinigt und sich allmählich so selbständig gemacht, dass die Synode der Associate Reformed Church 1801 die Verbindung mit ihm aufhob; aber schon 1809 vereinigte sich jenes Presbyterium mit der Presbyterian Church.)

Von den 4 genannten Synoden konstituirte sich die von Scioto, die das Gebiet westlich von den Allegheny Mountains umfasste, 1820 als ein selbständiger Kirchenkörper unter dem Namen the Associate Reformed Synod of the West. Ihrem Beispiele folgte die Synode der Carolinas und machte sich als the Associate Reformed Synod of the South selbständig. So blieben nur noch die Synoden von New York und Pennsylvanien im Verband der Generalsynode, und diese beschloss am 21. Mai 1822, obgleich nur ¾ der Delegirten erschienen waren, mit ganz geringer Majorität, sich mit der Presbyterian Church zu vereinigen. Aber nur eine Minderheit vollzog die Union. Die Synode von New York missbilligte den Beschluss der Generalsynode und betrachtete sich als rechtmässige Nachfolgerin und Erbin der Generalsynode. 1855 verband sie sich mit dem Associate Reformed Synod of the West zu Einer Organisation. Aber schon 1858 vereinigte sich

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die Associate Reformed Church, wie wir bereits erzählt haben, mit dem Associate Synod zu Einer Gemeinschaft, der United Presbyterian Church.

 

Die Grundlage der Union von 1858 bildete das Westminsterbekenntnis mit einer Modifikation, die sich auf die Gewalt der weltlichen Obrigkeit circa sacra bezog, sodann der grosse und kleine Westminsterkatechismus, endlich ein sog. Judicial Testimony, das verschiedene wichtige Punkte betraf, die in dem Westminster Confession entweder gar nicht berührt, oder nicht genügen ausgeführt sind.1) Die erste Generalsynode der neuen Vereinigung trat am 18. Mai 1859 in Xenia, O., zusammen. Im Jahre 1893 umfasste der Verband der Generalsynode der United Presbyterian Church 12 Synoden und 62 Presbyterien.

Für die Kenntnis der Verfassung dieser Kirche kommen in Betracht: das Digest of the Principal Acts and Deliverances of the General Assembly of the United Presbyterian Church of North America, from 1859 to 1891. Pittsburgh 1892, mit folgendem Inhalt: I. Government and Discipline. II. Directory for Worship. III. Rules of Order. IV. Digest of the Deliverances of the General Assembly (alphabetisch geordnet), sodann die Sammlung The Subordinate Standards of the United Presbyterian Church of North America. Published by Authority of the General Assembly. Pittsburg 1895.

5. The Reformed Church (German) in the United States.2)

Den Grundstock der deutsch-reformierten Kirche Nordamerikas bilden die im 18. Jahrhundert in die neue Welt auswandernden Pfälzer, die sich hauptsächlich in Pennsylvanien ansiedelten und in kirchlicher Hinsicht von Schottland aus versorgt wurden. Ihr Bekenntnis war der Heidelberger Katechismus; nach dem Vorbild der Heimatkirche konstituirten sich diese deutsch-reformierten Gemeinden mit Pastoren, Ältesten und Diakonen, die den Kirchenrat (Presbyterium) bildeten. Die älteste Kirchenordnung ist von Johann Philipp Böhm 1725 aufgesetzt und von den deutsch-reformierten Gemeinden angenommen worden (Auszug daraus bei Dubbs a.a.O. p. 267-270). Ein Verband der verschiedenen Gemeinden wurde von dem Schweizer Theologen Michael Schlatter, den die niederländische Kirche 1746 zur Ordnung


1) Abgedruckt in The subordinate Standards of the United Presbyterian Church of North America 1895. p. 535-593.
2) Vgl. Joseph Henry Dubbs in vol. VIII des American Church History Series p. 213-423.

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der niederländischen wie der deutschen kirchlichen Verhältnisse nach Amerika gesandt hatte, als Cötus von Philadelphia 1747 ins Leben gerufen. Dieser Cötus unterzog die Böhm’sche Kirchenordnung einer Revision und publizirte sie 1748 als der Reformierten Kirchen in Pennsylvanien Kirchenordnung. Dabei blieb aber der Cötus den niederländiscen Synoden untergeordnet und hatte nicht das Recht zu ordiniren.

Erst im Jahre 1791 wurde der Verband mit der holländischen Mutterkirche gelöst und 1793 zu Lancaster, Pa., die erste Synode gehalten; hier wurde eine Synodalordnung angenommen, zu der im Jahre 1800 Zusätze hinzugefügt wurden (kurzer Bericht darüber bei Dubbs a.a.O. p. 330-332). Der offizielle Titel der Kirche war jetzt Synod of the Reformed German Church in the United States of America. 1819 teilte sich die Synode in 8 Distrikte oder Klassen, die ihr untergeordnet waren und auf ihren jährlichen Versammlungen die Delegirten zur Synode wählten; das Recht die Ordination zu erteilen stand den Klassen nicht zu.

Als die Kirche sich mehr und mehr nach Westen ausdehnte, wurde 1820 die Klasse von Ohio organisirt, die sich aber schon nach weinigen Jahren unter dem Namen Evangelical Reformed Synod of Ohio (gewöhnlich kurz the Western Synod genannt im Unterschied von der alten Synode, die the Eastern Synod hiess) selbständig machte. Der Grund dieser Sezession war die Verweigerung des Rechts zur Ordination, das die Synode für sich ausschliesslich beanspruchte und keiner Klasse zugestehen wollte. 1863 vereinigten sich die beiden Synoden zu einer Generalsynode. 1869 beschloss die Generalsynode das Wort German im Titel der Kirche zu streichen, und der offizielle Name lautet jetzt: The Reformed Church in the United States.

Im Jahre 1894 umfasste die Generalsynode 8 Distriktssynoden (von denen 5 überwiegend englisch und 3 deutsch sind), 55 Klassen und 1646 Kongregationen.

Eine ältere Kirchenordnung stammt aus dem Jahre 1846; die gegenwärtig geltende ist enthalten in Constitution (New). Rules of Order and Forms of the Reformed Church in the United States. Philadelphia s.a.

6. The Reformed Church (Dutch) in America.1)

Die Reformierten der niederländischen Kolonie in Nordamerika New Netherland, mit der Hauptstadt New-Amsterdam (später


1) Vgl. E.T. Corwin in vol. VIII des American Church History Series p. 1-212.

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New-York) blieben zunächst von der Mutterkirche, insbes. von der Amsterdamer Klasse abhängig und wurden von ihr mit Geistlichen (der erste kam 1628) versorgt. Diese kirchliche Abhängigkeit dauerte fort, auch als die niederländische Kolonie durch Eroberung an England gekommen war (1664) und auch andere als Niederländer, insbes. Hugenotten aus Frankreich, sich den niederländischen Gemeinden anschlossen. Doch wurde dadurch immerhin die Tendenz auf Unabhängigkeit vom Mutterlande genährt. 1747 gewährte die Amsterdamer Klasse den Kolonisten das Recht einen Cötus zu bilden, der ihr aber untergeordnet bleiben und das Recht zur Ordination nicht haben sollte. Bald jedoch genügte diese Einrichtung nicht mehr, und der Cötus konstituirte sich 1755 als selbständige Klasse. Zwar trat jetzt eine Spaltung ein, die 16 Jahre anhielt, aber 1771 wurde sie wieder beseitigt, und auf Grund einer freundschaftlichen Verständigung mit der Amsterdamer Klasse kam eine Organisation zu Stande, die ebenso dem Bedürfnis kirchlicher Selbständigkeit wie der Pietät gegen die Mutterkirche gerecht zu werden suchte. Der Zusammenhang mit der Mutterkirche wurde durch Beibehaltung ihrer Bekenntnisse und ihrer Kirchenordnung nach den Beschlüssen der Dortrechter Synode gewahrt; auch sollten Appellationen nach Holland gehen. Der die niederländischen Gemeinden umfassende Verband hiess General Body, seine Teile Particular Bodies, entsprechend ungefähr der Synode und den Klassen der Mutterkirche, nur dass die Ordination dem General Body vorbehalten blieb.

Nachdem die nordamerikanischen Kolonien ihre Unabhängigkeit von England errungen hatten, wurden die Namen General Body und Particular Bodies mit den den Reformierten geläufigeren Bezeichnungen Synode und Klassen vertauscht. Die 84 Artikel der Kirchenordnung der Dortrechter Synode wurden 1792 durch 73 Explanatory Articles ergänzt, die jene Kirchenordnung den amerikanischen Verhältnissen anpassen sollten. Als Bekenntnisse der Kirche galten nach wie vor die Confessio Belgica, der Heidelberger Katechismus und die Canones der Synode von Dortrecht. 1794 trat die erste Generalsynode nach der neuen Ordnung zusammen. 1832 wurden die beiden Kirchenordnungen, die Dortrechter und die der Explanatory Articles, ohne wesentliche Änderung in eine Kirchenordnung zusammengefasst. Eine dritte Revision der Kirchenordnung wurde 1872 bis 1874 vorgenommen.1) 1867 nahm die Kirche den offiziellen Titel the Reformed Church in America an, liess also die nationale Bezeichnung Dutch ebenso wie die deutsch-reformierte Kirche (s.o.) fallen, so dass die beiden Kirchen


1) Alle diese Kirchenordnungen waren mir nicht zugänglich.

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sich nur noch dadurch unterschieden, dass die eine sich als the Reformed Church in America, die andere als the Reformed Church in the United States bezeichnet.

Heutzutage zählt die Kirche 4 Synoden und 33 Klassen.

17. Endlich ist noch eine eigentümliche Quelle für die Erkenntnis der Grundgedanken und Grundanschauungen des reformierten Protestantismus zu nennen: der Independentismus oder Kongregationalismus. Es ist das eine protestantische Richtung und Gemeinschaft, die freilich mit dem Calvinismus nicht identifizirt werden darf, aber sie ist geschichtlich betrachtet, aus diesem hervorgegangen und bildet zusammen mit dem Baptismus den linken Flügel des reformierten Protestantismus. Ihre Grundsätze stellen vielfach eine Weiterentwicklung der Ideen des Calvinismus dar und so ist es für die Erkenntnis dieser manchmal von Nutzen, jene zur Vergleichung beizuziehen.

Als der Stifter des Kongregationalismus gilt Robert Browne, ein Geistlicher, der aus den englischen Puritanerkreisen hervorgegangen ist, und ungefähr um 1580 die erste kongregationalistische Kirche zu Norwich gegründet hat, daher der ursprüngliche Name für seine Anhänger Brownisten war. In England gewann die von Browne begründete Richtung unter Cromwell, der ihr selbst angehört hat, an Umfang und Bedeutung. Die Verfolgungen, die schon früher über sie ergangen waren und nach der Restauration sich erneuerten, trieben viele Independenten in die neue Welt, wo sie in den englischen Kolonien Nordamerikas sich freier entfalten konnten als im Mutterlande. So wurde New-England die eigentliche Heimat des Kongregationalismus, und bis auf den heutigen Tag nimmt diese Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten von Nordamerika unter den zahlreichen Denominationen einen der ersten Plätze ein.

Das Prinzip des Kongregationalismus oder Independentismus ist, wie seine Name sagt, dass jede Gemeinde (congregation) eine wahre und unabhängige Kirche ist, die mit allen anderen Gemeinden auf dem Fusse völliger Gleichheit verkehrt. Synoden als eine höhere Autorität über den Einzelgemeinden werden verworfen; Christus ist ihr einziges Haupt.

Die Bekenntnisse und Verfassungen, die der Kongregationalismus hervorgebracht hat, enthält die mustergültige Ausgabe von Williston Walker, The Creeds and Platforms of Congregationalism. New-York 1893. Derselbe hat auch eine Geschichte des Kongregationalismus geschrieben, die als vol. III in The American Church History Series unter dem Titel A History of the Congregational Churches in

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the United States, New-York 1894 erschienen ist. In vortrefflicher Weise orientirt über Geschichte, Verfassung, Lehre u.s.w. des Kongregationalismus Henry Martin Dexter, A Hand-Book of Congregationalism. Boston, s.a. Viel Material zur Geschichte des Independentismus findet sich in dem grossen Werke von David Masson, The Life of John Milton, narrated in connection with the political, ecclesiastical and literary history of his times, 6 vol. and Index. 1859ff. New Edition 1881ff.