I. Das in der christlichen Gemeinde zu erfragende, aufzurichtende und auszuübende Recht muß von ihrem Grundrecht her auf alle Fälle den Charakter und Sinn von Dienstrecht, Recht im Rahmen einer Dienstordnung haben. Die Gemeinde Jesu Christi existiert (als der Leib, dessen Haupt Er ist), indem sie Ihm dient. Und es existieren ihre Glieder, die Christen (als Glieder dieses seines Leibes), indem sie sich — durch den von ihnen dem Herrn gemeinsam zu leistenden Dienst auch unter sich verbunden — auch untereinander dienen. Diese erste und entscheidende Bestimmung alles Kirchenrechtes gründet darin, daß der Herr selbst, der die Gemeinde als Haupt seines Leibes regiert, „nicht gekommen ist, damit ihm gedient werde, sondern damit er diene” (Mark. 10, 45). Er ist (in seiner Auferstehung als solcher offenbar geworden, durch seinen Heiligen Geist als solcher regierend) König und Herr der Welt und der Gemeinde als der am Kreuz Unterliegende und so Siegreiche, Erniedrigte und so Erhöhte. Er ist König und Herr als der seinem Vater und

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damit den Seinigen und so allen Menschen Dienende. Als dieser Dienende herrscht Er und verlangt Er Gehorsam. Er tut es also nicht als einer von den Herren, die selber nicht dienen, sondern nur herrschen, um das Dienen Anderen zu überlassen. Er herrscht, indem Er zuerst Gottes und aller Anderen Knecht ist. Beides läßt sich nicht trennen und nicht umkehren: Es ist also nicht so, daß er herrscht und daneben auch noch dient — oder dient, indem er daneben auch herrscht. Sondern eben indem Er dient, herrscht Er. Eben als der erniedrigte Gottessohn ist Er ja der erhöhte Menschensohn. Und so kann der seinem Herrschen entsprechende Gehorsam seiner Gemeinde nur Dienst, so kann das in ihr geltende Recht — Recht nach Maßgabe ihres Grundrechtes, das in der in ihr aufgerichteten Herrschaft Jesu Christi besteht — nur Dienstrecht sein. Die Gemeinde ist als sein Leib in Ordnung, wenn und indem ihr Tun Dienst ist. Und so sind auch ihre Glieder, die Christen, in Ordnung, wenn und indem sie im Dienst stehen. Im Unterschied zu allen anderen menschlichen Gemeinschaften ist in der christlichen Gemeinde die Scheidung zwischen Anrechten und Pflichten, Ansprüchen und Beanspruchungen, Würden und Bürden undurchführbar. Nur in und mit den Pflichten, den Beanspruchungen, den Bürden des Dienstes, nur in diesem beschlossen und verborgen, gibt es da auch Ansprüche, Anrechte, Würden. „Wer unter euch der Erste sein will, der sei euer aller Knecht” (Mark. 10, 44). Heiligung heißt — auf die Gemeinde als solche und auf alle ihre Glieder gesehen — Erhebung, aber eben (weil Erhebung in die Gemeinschaft mit dem, der gekommen ist zu dienen) Erhebung in die Niedrigkeit, in der Er gedient hat und noch dient, um als Dienender zu herrschen. Gerade indem die Gemeinde in ihrem Herrn (exemplarisch für die ganze Menschheit) dieser Erhebung teilhaftig ist, gerade indem sie mit ihm herrscht, kann sie und kann jeder Einzelne in ihr nur dienen, kann es sich in dem in ihr geltenden Recht — im Kirchenrecht — nur um die Richtigkeit ihres Dienstes handeln.

Diese Bestimmung ist (1) eindeutig, undialektisch, unumkehrbar. Es ist also in der Gemeinde nicht so, daß das in ihr

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geltende Dienstrecht doch auch noch allerlei Herrschaftsrecht nach sich zöge und dann irgendwo neben sich hätte — als ob die von ihr und in ihrem Raum zu tragende Bürde doch auch mit allerlei Würde verknüpft wäre, als ob die ihr und jedem Christen widerfahrende Beanspruchung auch zu allerlei Ansprüchen legitimierte, als ob die ihr auferlegte und in ihre wirksame Verpflichtung zum Dienst doch auch allerlei Anrechte begründete. So mag es in jeder anderen menschlichen Gemeinschaft zugehen und in Ordnung sein. In der christlichen Gemeinde geht es nicht so zu. Sie ist — und es ist ein jedes ihrer Glieder — gefordert: schlechterdings zum Dienst gefordert. In diesem Gefordertsein besteht und erfüllt sich ihr ganzes Recht. Nach der rechten Form, in der sie diesem ihrem Gefordertsein, in der auch ein jedes ihrer Glieder seinem besonderen Gefordertsein zu entsprechen hat, ist zu fragen. Ein von diesem Gefordertsein abstrahiertes, ihm irgendwie gegenüberstehendes Fordern kann für sie und kann in ihr nicht recht sein. Sie hat für sich und es hat in ihr Keiner etwas für sich zu fordern. Berechtigtes Fordern kann für sie und kann in ihr immer nur das Fordern dessen sein, was dazu nötig ist, um dem gemeinsamen Gefordertsein zum Dienst gerecht zu werden: nur die Würde der Bürde also, nur der Anspruch der Beanspruchung, nur das Anrecht der Pflichterfüllung — nur das Herrschen, das selbst und als solches Dienst und nur Dienst ist. Die Freiheit der Gemeinde und die Freiheit eines jeden der in ihr versammelten Christenmenschen ist eindeutig, mit keinem spekulativen Zweck verwirrt, diese Freiheit: die Freiheit zum Dienen.

Es gibt kein rechtes Kirchenrecht, das versäumen dürfte, der Eindeutigkeit dieser Bestimmung Rechnung zu tragen, keines, das — dem Vorbild des Rechtes anderer Gemeinschaften folgend — einem dem Gefordertsein gegenüberstehenden Fordern, einem vom Dienen unterschiedenen Herrschen Raum geben, ihm auch nur die Türe öffnen oder doch offen halten dürfte. Es gibt in der Gemeinde wohl auch ein Herrschen, wohl auch Anrechte, Ansprüche, Würden. Es gibt da wohl auch Forderungen, die die Gemeinde an ihre Glieder und ihre Glieder an die Gemeinde, oder eines ihrer Glieder an ein anderes zu richten hat. Es mögen auch Forderungen in Frage kommen, die hin und her zwischen einer Gemeinde und einer anderen oder hin und her

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zwischen einer der verschiedenen Gemeinden gemeinsamen Leitung und ihnen entstehen, oder kirchliche Forderungen, die gegenüber dem Staat oder anderen weltlichen Partnern geltend zu machen sind. Sie alle werden — und dazu hat das zu erfragende rechte Kirchenrecht Anweisung und Anleitung zu geben — genau und streng darauf zu prüfen sein, ob es sich dabei nicht etwa um ein abstraktes Fordern von Herrschaft, um ein abstraktes Geltendmachen von Anrecht, Anspruch und Würde dieser oder jener Art, sondern um ein dienstliches, d.h. um ein solches Fordern handelt, das schlechterdings nur im Zusammenhang und im Vollzug des Dienstes geboten ist und Raum hat, das eben selbst nur das Angefordertsein der Gemeinde und aller ihrer Glieder zum Ausdruck bringt. Solches und nur solches Fordern kann — solches soll freilich im rechten Kirchenrecht anerkannt, geregelt, geschützt werden. Wogegen es alles solch Fordern nicht nur zurückzubinden, sondern auszuschließen hat, in dem die Gemeinde oder jemand in der Gemeinde sich selbst durchzusetzen und zu behaupten oder wenigstens sich selbst sichern zu wollen unternehmen sollte. Rechtes Kirchenrecht kann weder der Gemeinde als solcher, noch jemanden in der Gemeinde ein außerdienstliches Recht verschaffen. Die Gemeinde weiß und rechnet damit, daß es anderwärts auch außerdienstliches Recht gibt. Ihr Recht aber ist Dienstrecht.

Diese Bestimmung ist (2) total, will sagen: Es ist im Leben der christlichen Gemeinde nicht so, daß es da eine rechtlich und nun also dienstrechtlich geordnete Sphäre gäbe, aber auch andere, in denen es nicht den Sinn und Charakter von Dienst hätte, in denen es unter irgend einer anderen Bestimmung stünde oder für andere, vielleicht wechselnde Bestimmungen frei gegeben wäre. Dienst ist nicht eine unter den Funktionen des Seins der Gemeinde, sondern Dienst ist ihr Sein in allen seinen Funktionen. Es gibt nichts, was da getan werden und geschehen mag, das der Frage entzogen wäre: ob und inwiefern die Gemeinde damit ihrem Herrn und seinem Werk in der Welt und ob und inwiefern ihre Glieder damit auch einander dienen möchten — Einer dem Anderen dazu nämlich, um ihn zur Beteiligung am Dienst des Ganzen frei zu machen? Was dieser Frage nicht standhält, was nur eben so geschieht, weil es, ohne dienlich zu sein, immer geschah oder weil zufällig die Meinung aufkommt, daß es, ohne dienlich zu sein, auch noch geschehen könnte, das geschieht in der Gemeinde nicht zu Recht, sondern zu Unrecht, das muß entweder als ihr wesensfremder Ballast in Wegfall

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kommen, oder aber (was oft nicht leicht sein wird) nachträglich dienstbar gemacht werden. Auf keinen Fall darf es da tote Winkel geben, in welchen irgend ein fremder Herr sein bedenkliches oder mindestens unnützes Wesen treibt. Die Gemeinde hat weder Zeit noch Kraft an Allotria zu verlieren. Die Frage nach dem Dienstcharakter alles kirchlichen Tuns darf aber nicht nur kritisch, sie muß auch divinatorisch gestellt werden: es möchten ja alte, brachliegende, zu Unrecht obsolet gewordene Möglichkeiten des Dienstes wieder zu entdecken und zu reaktivieren und es möchten neue, bisher zu Unrecht nicht bedachte Möglichkeiten neu zu entdecken und zu realisieren sein. Wo und wann sollte sich die Gemeinde bei dem ihr jetzt geläufigen Tun beruhigen können, als ob sie damit die Totalität des von ihr geforderten Dienstes und also dessen, was für sie und in ihr recht ist, schon erschöpft habe oder — immer so weitermachend wie bisher — zu erschöpfen im Begriff stehe? Gerade die Grenzen der Totalität, in der sie ihrem Herrn und in der ihre Glieder sich untereinander zu dienen haben, bestimmt nicht sie, sondern ihr lebendiger Herr selber, dessen Halt! oder Vorwärts! sie als seine lebendige Gemeinde zu folgen hat. Also: welches die Totalität ist, in der sie zu dienen hat, das darf sie nie schon zum vornherein und endgültig zu wissen meinen. Sie muß aber wissen, daß sie auf alle Fälle in der Totalität ihres Seins und Tuns du dienen hat.

Man bedenke von hier aus, wie ohnmächtig es doch ist, daß gerade die Begriffe διακονία und ministerium weithin zur Bezeichnung besonderer Funktionen des gemeindlichen Lebens verwendet wurden und noch werden: „Diakonie” zur Bezeichnung der kirchlichen Liebes- und Hilfstätigkeit an Armen, Kranken usw., „Ministerium” zur Bezeichnung des berufsmäßigen Predigtdienstes. Als ob die der Gemeinde geschenkte und in der Gemeinde zu betätigende Freiheit zum Dienst so beschränkt wäre! Als ob nicht das ganze, alles ihr Tun Diakonie und ministerium Verbi divini sein dürfte und müßte! Als ob es anderweitige Sparten gäbe, in denen es das nicht wäre! Oder irgend ein neues Tun in noch unerschlossenen Sparten, in welchen es nicht wieder als Dienst Gestalt gewinnen dürfte und müßte! Rechtes Kirchenrecht wird dem Entstehen solcher falschen Grenzziehungen zu wehren, schon gezogene Grenzziehungen dieser Art zu beseitigen, es wird die grundsätzliche Offenheit des ganzen gemeindlichen Lebens für seine

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Bestimmung zum Dienst festzustellen und gelten zu machen haben. Um ein paar Beispiele zu nennen: Kirchliche Verwaltung (in der es ja weithin um den Umgang der Kirche mit ihrem Geld gehen wird) fällt auch unter die Frage der Dienlichkeit, kann also nicht plötzlich, als sei eine Eigengesetzlichkeit dieses Gebietes selbstverständlich, bureaukratisiert und kommerzialisiert werden. Unter die Frage der Dienlichkeit fällt auch die kirchliche Wissenschaft, die Theologie: muß und darf sie in der Wahl und Anwendung ihrer Methoden jede denkbare Freiheit beanspruchen, so kann doch eine andere Freiheit als die — nicht der Kirche, geschweige denn einer Kirchenbehörde, aber in der Kirche zu dienen, für sie nicht in Frage kommen. Eine Eigengesetzlichkeit philosophischer oder historischer Interessen wird sie also auch unter diesem Gesichtspunkt gerade nicht geltend machen dürfen. Dasselbe gilt von der in der Kirche zu übenden Disziplin: das fiat iustitia et pereat mundus würde bei deren Ordnung und Durchführung, weil es mit dem dienstlichen Charakter auch dieses Tuns unvereinbar ist, in der Gemeinde gerade nicht Recht, sondern Unrecht sein. Und weil es sich bei jeder Ausübung von Leitung in der Kirche nur um Dienst und nicht um Machtübung handeln kann, werden so offenkundig auf die Ausübung von Macht zielende Begriffe wie Mon-Archie, Aristo-Kratie, Demo-Kratie (wenn man sie nicht am besten ganz ausschaltet) das Verständnis des in der Christo-Kratie begründeten kirchlichen „Herrschens” auf keinen Fall anders bestimmen dürfen, als indem „Herrschen” energisch als ein ausgezeichnetes „Dienen” interpretiert wird!

Die Bestimmung des in der Kirche geltenden Rechtes als Dienstrecht ist endlich (3) universal. Will sagen: Wie es keinen Bereich kirchlichen Handelns gibt, der nicht unter der Bestimmung des Dienstes stünde, so auch keinen in der Gemeinde existierenden einzelnen Menschen, der dem dienst entzogen oder nur in geringerem Grad und Ernst zu seiner Verrichtung berechtigt und verpflichtet wäre. Ein Christ und also ein Heiliger in der Gemeinde der Heiligen sein heißt: in und mit der christlichen Gemeinde dienen. Es haben nicht alle Christen gleich, d.h. in derselben Funktion, es haben aber alle Christen, und zwar an ihrem Ort in gleicher Auszeichnung und Belastung wie die anderen an ihren Orten, zu dienen. Wie die Gemeinde nur als Leib ihres Hauptes Jesus Christus existiert, so auch nur in der Gesamtheit der Glieder dieses Leibes, der als communio sanctorum kein Kollektiv ist, in welchem jeder Einzelne auch ausfallen,

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in seinem Werk sofort durch das Werk eines Anderen ersetzt werden könnte. Im Leben der christlichen Gemeinde kann kein Einziger fehlen, in der Verrichtung ihres Dienstes das Dienen keines Einzigen entbehrt werden. Ihr Dienst ist nicht das Vorrecht oder die besondere Mühsal Einiger, deren Bevorzugung dann wohl die Dienstbefreiung vieler Anderer als deren geringeres (oder besseres?) Teil gegenüberstünde. In die Gemeinschaft mit Jesus Christus erhoben ist jeder Christ als solcher in die Niedrigkeit seines Dienstes versetzt. Und wie sollte es ihm auferlegt sein — oder wie sollte er es sich nehmen können, sich für in geringerem Grad als Andere dahin versetzt und also beansprucht halten zu müssen oder zu dürfen? Grundsätzlich gesehen und gesagt ist aber auch die Gemeinde als solche nicht in Ordnung, wenn bei ihrem Dienst auch nur eines ihrer Glieder ausfällt und zurückbleibt. Grundsätzlich gesehen werden an solchem Versagen auch nur eines ihrer Glieder notwendig auch alle anderen zu leiden haben. Das Alles ist es, was nicht geschehen darf.

Daß die Einen mit ihrem Dienst für den ganz oder teilweise ausfallenden Dienst Anderer eintreten müssen, mag praktisch und tatsächlich immer der Fall sein, zeigt aber einen Notstand an, und nicht das, was in der Gemeinde Ordnung und Recht ist. Grundsätzlich gibt es in ihr keine Demissionen und keine (ganzen oder halben) Beurlaubungen, kein Delegieren des Dienstes auf Andere — gibt es nämlich keine Stellvertretung, ist Jeder — und Jeder in gleichem Ernst! — berufen, dabei zu sein, und zwar, als käme Alles gerade auf ihn an, ganz dabei zu sein. Und es wird auch die Besonderheit und also Verschiedenheit, in der die Einzelnen dabei zu sein, zu dienen haben, nicht etwa bedeuten dürfen, daß die im Besonderen hier Verantwortlichen der Verantwortlichkeit, die dort wahrzunehmen ist, überhoben wären, die dort verantwortlichen Brüder sich selbst überlassen dürften. Der Dienst der Gemeinde ist ein gegliederter; er ist aber ein gegliedertes Ganzes, so daß die Sorge des Einen, unbeschadet dessen, daß sie zunächst seine besondere Sorge ist, auch die des Anderen ist, so daß Keiner nur in seiner Sparte dienen wollen kann, ohne auch auf alle anderen Sparten zu

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blicken, für die sein besonderer Dienst sicher indirekte Bedeutung hat, vielleicht aber auch sehr direkte Bedeutung gewinnen und haben kann, an deren andersartigen Problemen er, indem er seinen eigenen nachgeht, faktisch jeden Augenblick auch beteiligt ist. Notstand und nicht Recht und Ordnung wird also auch das sein, wenn die Gliederung und also Teilung des Dienstes praktisch und tatsächlich auf seine Zerteilung hinausläuft — wenn sie das bedeuten sollte, daß die besonderen und verschiedenen Dienste in gegenseitiger Unbekümmertheit nebeneinander her wuchern, sich womöglich wie die Gewächse eines schlecht gehaltenen Gartens gegenseitig Boden, Luft und Sonne wegnehmen und sonst in die Quere kommen dürfen. Vergebung ihrer Sünden werden bei ihrem Mittun im Dienst alle Christen, und zwar alle gleich nötig haben. Es darf aber die Vergebung der Sünden hier wie sonst nicht zum vornherein in dem Sinn einkalkuliert werden, daß man im Blick auf sie, was nur Notstand ist, für gerechtfertigt hält und als Recht und Ordnung proklamiert. Wird nach Recht und Ordnung gefragt — und eben danach muß gefragt werden — dann kann und darf sich niemand unter dem Vorwand, daß ja auch Andere ihn ersetzen könnten, von seiner Dienstpflicht frei oder doch teilweise frei sprechen — und niemand unter dem Vorwand, daß er nur in seinem Bereich zuständig sei, aus seiner Verantwortlichkeit für das Ganze in allen seinen Sparten entlassen werden. Ordnung und Recht in der Gemeinde ist nie und nimmer das besondere Priestertum einiger, sondern das allgemeine Priestertum aller Gläubigen.

Aufgabe des rechten Kirchenrechtes wird es sein, diese Wahrheit vor Verkehrung und Vergessen zu bewahren, sie ihnen immer wieder zu entreißen. Wird es nicht schon sprachlich den fatalen Begriff „Amt” zum Verschwinden zu bringen und durch den im Unterschied zu jenem auf alle Christen anzuwendenden Begriff eben des „Dienstes” zu ersetzen haben? Sicher ist, daß es ihn nur in diesem Sinn wird interpretieren und akzeptieren dürfen: in der christlichen Gemeinde sind entweder Alle Amtsträger oder Keiner — wenn aber Alle, dann Alle als Dienstleute. Rechtes Kirchenrecht wird aber auch da, wo das theoretisch anerkannt sein sollte, allem praktischen Klerikalismus um so entschiedener wehren müssen: allem Unterscheiden zwischen einer

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aktiven und einer inaktiven, bzw. passiven Kirche und allem Auseinanderreißen von regierender und regierter, von lehrender und hörender, von bekennender und ortsansässiger, steuerpflichtiger und stimmberechtigter Gemeinde. Mag es mit den da zu beachtenden Gegebenheiten stehen wie es will — als vom Himmel gefallen und also als normativ werden sie in einem ordentlichen Kirchenrecht auf keinen Fall betrachtet und behandelt werden dürfen. Ihnen wird es vielmehr die Einheit und Universalität des kirchlichen Dienstes — nicht als ein schönes Ideal, sondern als das, was in der Gemeinde schlechterdings gilt und also als conditio sine qua non ihres Lebens unerschütterlich entgegenhalten. Rechtfertigen und heiligen wird es solche Unterscheidungen also gerade nicht, sondern Punkt für Punkt zu ihrer Überwindung aufrufen und anleiten — in den auf Zeit und Zusehen gesetzten Grenzen vielleicht, aber innerhalb dieser Grenzen deutlich, vorwärtsweisend, suaviter in modo, aber fortiter in re, in der Sache kompromißlos. Und wenn es selbstverständlich zu seinen Aufgaben gehört, die Verteilung der verschiedenen Funktionen an die verschiedenen Glieder der Gemeinde zu regeln, sich über deren Qualifikation und Einsetzung zum Dienst in dieser oder jener Sparte klar zu äußern, so wird es bei den bei solcher Regelung unvermeidlichen Grenzziehungen scharf darauf achten müssen, daß aus ihnen keine Ressortpartikularismen, keine departementalen Isolierungen, Eigenmächtigkeiten, Prestige-Streitigkeiten erwachsen können, daß bei aller Respektierung der besonderen Gaben und Aufgaben und ihrer Schranken die Verantwortlichkeit Aller für Alle und für Alles gewahrt bleibt und zur Geltung kommt, daß die Unordnung, die Paulus 1. Kor. 14 am Beispiel des im damaligen Korinth wuchernden Zungenredens gerügt hat, auch in keiner anderen, anderen Zeiten vielleicht näher liegenden Form aufkomme und überhand nehme. Es ist Aufgabe des Kirchenrechtes, die Freiheit zum Gehorsam und gerade damit den Frieden des Dienstes der Gemeinde zu garantieren.