|30|

 

Recht und Religion.

 

Religion ist (subjektiv betrachtet) die Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote.
 Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, IV 1.

Wir haben in den seitherigen Ausführungen eine Kennzeichnung des Verhältnisses von rechtlicher Betrachtung und religiösem Empfinden vorgenommen.

Wir können die Scheidung nicht in dem Stoffe bedingter Inhalte von menschlichem Wollen und Tun finden, so daß die Handlungen der Menschen in zwei Klassen zerfielen und entweder dem Rechte oder der Religion zugehörten. Sondern alles Wollen, und hier dasjenige, das sich auf das Zusammenwirken bezieht, untersteht beiden Richtungen des Bewußtseins. Der Unterschied ist nur der: ob man den Blick ausschließlich auf die bedingte Zwecksetzung und ihre mögliche grundsätzliche Richtigkeit lenkt, oder ob die Hingabe an das absolut leitende und richtende Prinzip als solche in Frage steht.

|31|

Es war eine mehr urwüchsige und sinnenfällige Ausdrucksweise, wenn das Mittelalter die Lehre von den zwei Schwertern aufstellte, von der weltlichen und geistlichen Obrigkeit, die in dem Kaiser und dem Papste ihre Spitze hätten. In Wahrheit kann es sich hier nur um verschiedene Grundarten des Denkens handeln, die in dem Unterschiede von Recht und Religion auftreten, nicht aber um bestimmte Organisationen, die angeblich gleichmäßig neben oder auch in der äußeren Rangordnung übereinander stehen und nun — wieder in stofflich bedingter Zufälligkeit — über die eine oder die andere Klasse menschlicher Willensinhalte das Wort zu führen hätten.

Wir halten danach fest: Soweit es sich um verbindendes Wollen und um die Möglichkeit seiner Richtigkeit handelt, haben wir es mit rechtlichen Bedenken zu tun, — falls die grundsätzliche Hingebung an das Richtige in Frage steht, ist es der Religion zuzurechnen. In diesem Sinne ist dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist, — nicht gerade in der Meinung, daß es zwei Sphären sind, in denen man sich bewege (so Feine, Evangelium und Krieg (1916) 37, vgl. 11), vielmehr des Sinnes: daß der Zweifel, ob ein bestimmtes menschliches Wollen rechtliche Richtigkeit besitze, nicht mit der

|32|

göttlichen Frage nach dem Urgrund des Richtigen überhaupt zu vermengen sei.

Wenn sonach die besprochene Unterscheidung die Richtungen betrifft, in denen sich die Gedanken über den gleichen Gegenstand bewegen können, so treten wohl zuweilen zwei oder mehr Menschen sich gegen-über, von denen jede Seite der einen Richtung einseitig und ausschließend ihre Aufmerksamkeit zuwendet. Dann entsteht ein Gegensatz, der als ein solcher zwischen Recht und Religion, im besonderen zwischen Staat und Kirche erscheint, in Wahrheit aber nicht in der Sache begründet ist. Er besteht entweder in einer Verschiedenheit der Ansichten über das rechte Prinzip in der einen oder in der anderen Richtung der Gedanken, also darüber, was gerade als oberste Aufgabe des Rechtes zu nehmen sei, vielleicht auch, in welchem Sinne die Religion vorzugehen habe; es liegt also ein Streit nicht zwischen den beiden Denkweisen, sondern innerhalb der einen oder der anderen von ihnen vor. Oder aber: es führt sich die Meinungsverschiedenheit auf die soeben erwähnte Einseitigkeit zurück. Jenes erste mochte vornehmlich in den früheren Kämpfen, von Papsttum und Kaisertum zu beobachten sein, soweit sie auf grundsätzliche Gegnerschaft zurückgingen; das zweite kommt mehr in der neueren Zeit vor.

|33|

in der Tat sind jedoch beide Weisen des Erwägens notwendig verbunden. Keine kann ohne die andere auskommen, wenn anders folgerichtig gedacht sein soll. Die Darlegung der möglichen Gesetzmäßigkeit eines Wollens bleibt unvollständig und hilflos, wenn nicht für die Hingebung an das Richtige gesorgt wird; und die bloße Beschränkung auf die letztere müßte ihren Gegenstand einbüßen, wenn nicht die Bedingungen der Richtigkeit eines gegebenen Strebens eingesehen und ihre mögliche Umsetzung in die begrenzte Wirklichkeit erkannt wurden.

Es wird nun darauf ankommen, diese kritische Klärung in der Praxis zu verwerten. Wir haben so-nach in jedem einzelnen Streitfall zu prüfen: welche der beiden Gedankenrichtungen in einer gerade auf-geworfenen Frage zur Erwägung steht. Ist es die rechtliche Betrachtung, so sind die einschlägigen Rechtsbestimmungen anzuwenden, — handelt es sich um die religiöse Aufgabe, so sind allein die daraus veranlaßten Folgerungen zu ziehen.

Ein lehrreicher Rechtsstreit war dieser (RG. 57, 250):

Eine Ehe war vom Landgericht geschieden, der Mann für den schuldigen Teil erklärt worden. Er legte Berufung ein. Vor ihrer Erledigung kam ein Vergleich zustande. Nach ihm wurde die Berufung zurückgenommen; die vermögensrechtlichen Ansprüche und die Kostenfrage

|34|

wurden geregelt. Und dazu bestimmt: Der Mann verpflichtet sich, in die rituelle Scheidung zu willigen und die nach den Vorschriften des mosaischen Gesetzes erforderlichen diesbezüglichen Erklärungen auf Verlangen der Frau abzugeben.

Die darüber gepflogenen gerichtlichen Verhandlungen lehrten, daß der Kernpunkt des jüdischen Ehescheidungsverfahrens die Ausstellung und Aushändigung des Scheidungsbriefes nach Mose 5, 24 sei. Dies erfolge vor versammeltem Rabbinatskollegium, gewöhnlich aus dem Ortsrabbiner und zwei kundigen Beisitzern bestehend, das die Wahrung der Formalitäten überwache. Eine Beurkundung der Akte stehe dem Kollegium nicht zu. Nur dem Manne stehe die Ausstellung eines Scheidebriefes, aber — seit etwa 800 Jahren — nicht gegen den Willen der Frau zu. Der Brief werde auf Verlangen des Mannes von einem Schriftkundigen in hebräischer Sprache geschrieben und von zwei Zeugen, aber nicht von dem Manne selbst, unterschrieben. Der Mann übergebe den in herkömmlichem Wortlaut abgefaßten Brief der Frau mit den Worten: Dies ist Dein Scheidebrief, nimm ihn an, und durch ihn wirst Du frei sein jedem Mann. Die Frau nehme ihn mit hochgehobenen Händen entgegen. Werde der Scheidebrief in der vorgeschriebenen Form nicht übergeben, so gelte die Ehe als fortbestehend. Ob die Vorschriften

|35|

des jüdischen Gesetzes über die Ehescheidung.— fügten die beiden als Sachverständige gehörten Rabbiner bei — rituellen, religiösen Charakters oder Vorschriften des Ehescheidungsrechtes seien, sei schwierig zu beantworten, da diese Vorschriften aus einer Zeit stammten, wo Recht und Religion noch nicht unterschieden worden seien, wie jetzt.

In dem fraglichen Fall erfüllte der Ehemann seine sonstigen Verpflichtungen, weigerte sich aber, den besprochenen Scheidebrief auszustellen. Die Frau beantragte, ihn durch Geldstrafen zur Erfüllung der übernommenen Verpflichtung anzuhalten; dagegen erhob der Mann Klage, daß der Teil des Vergleiches, der sich auf die rituelle Scheidung beziehe, für nichtig erklärt werde, weil in der Zwangsvollstreckung aus jenem Vergleich ein unzulässiger Gewissenszwang für ihn liege.

In den beiden ersten Instanzen wurde die Klage abgewiesen. Sie verneinten es, daß die vom Kläger abzugebende Erklärung für diesen einen Widerspruch mit seiner Überzeugung als der eines sogenannten Freigeistes enthalte und ihn zum Heuchler machen würde. Es handle sich um einen Akt, der im wesentlichen rechtlicher Natur sei, gewissermaßen ein Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit, da er unabhängig von dem Glauben an Gott und dem Bekenntnis zu Gott und frei von Andacht und Gebet sei.

|36|

Dagegen gab das Reichsgericht der Klage nach und erklärte den abgeschlossenen Vergleich für nichtig und die Zwangsvollstreckung aus diesem Vergleiche zur Erzwingung der Einwilligung des Klägers in eine rituelle Scheidung der Parteien für unzulässig. Durch die heutige deutsche staatliche Ehegesetzgebung sei der ganze rechtliche Gehalt, der in den Vorschriften der verschiedenen Religionsgemeinschaften über die Ehe enthalten war, völlig ausgeschöpft worden. Alle Vorschriften über die Ehe, die nicht auf dem Gebiete der staatlichen Gesetzgebung liegen, seien — aus jenem Grunde — nicht rechtlicher Natur. Wenn sie diesen Charakter auch früher gehabt haben mögen, jetzt haben sie ihn völlig verloren. Sie stellen gegenwärtig, wenn sie noch festgehalten werden, lediglich Akte religiöser Wesensart dar. Deshalb entziehe sich die Durchführung dieser Akte dem Arm des Staates. Die Parteien hätten im vorliegenden Falle etwas rechtlich Unmögliches vereinbart.

Diese Ansicht unterliegt bei methodischer Kritik den größten Bedenken.

Ob eine bestimmte Anweisung dem Gebiet der Religion angehört, das kann niemals durch ein einzelnes Staatsgesetz entschieden werden. Das Wesen der Religion steht ein für allemal fest. Es ist einzigartig und von dem Begriffe des Rechtes in allen seinen

|37|

Bedingungen getrennt. Es ist eine Frage geläuterter Lehre, was nach dem allgemeinen Sinn der Religion ihr zufällt; und nur aus dem Gedanken dieser Aufgabe der Religion hätte auch in unserem Fall das Verlangen auf Erteilung eines Scheidebriefes geprüft werden müssen.

Wohl kann in verschiedenen Zeiten der Geschichte religiöse Hingebung zu rechtlichen Einrichtungen hinzutreten, ihnen eine besondere Weihe geben oder versagen, aber dann bleiben doch jene rechtlichen Unterlagen eben als Fragen des Rechtes bestehen.

Rechtliches Wollen liegt nun nicht bloß dann vor, wenn eine Leistung wegen eines technisch geformten Staatsgesetzes gefordert wird, sondern auch dann, wenn solches auf Grund eines Rechtsgeschäftes geschieht. Wenn nun die heutige staatliche Gesetzgebung die bürgerliche Ehe in abgerundeter Geschlossenheit geregelt hat, so ist damit allein über die Zulässigkeit rechtlich bindender Verträge über Leistungen, die im Gesetze nicht genannt sind, noch gar nichts gesagt. Es kommt hier auf die Grenzen der Vertragsfreiheit an. Ein Vertrag ist nichtig, der auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist (BGB. 306). Dies liegt hier nicht vor, auch nicht im Sinn einer rechtlichen Unmöglichkeit. Die beiden Parteien hatten in einem Rechtsverhältnis miteinander gestanden

|38|

und waren noch im Vergleich juristisch verbunden. Die Leistung, die der vormalige Ehemann vornehmen sollte, war nicht wesentlich als eine göttlich gebotene verlangt, sondern als äußerliche Handlung beansprucht, die — wie das Reichsgericht zugibt — eine innere Anteilnahme des Mannes nicht erforderte.

Auch lag kein Grund vor, das abgegebene Versprechen deshalb für nichtig zu erklären, weil es gegen gesetzliches Verbot (BGB. 134) oder gegen die guten Sitten (BGB. 138) verstoßen hätte. Das erste Würde sich auf eine rechtliche Sonderbestimmung berufen müssen, die es hier nicht gibt; das zweite entfällt begründetermaßen gleichfalls. Freilich ist es nicht günstig, wenn man sich bei dem angeführten Verlegenheitsausdruck der guten Sitten einfach auf ein dunkles Meinen verlassen wollte, man weiß nicht, von wannen es kommt, und was es eigentlich sei. Und es hilft die Umstellung in unsittliche Rechtsgeschäfte auch nichts; denn entweder bedeutet hier das Wort sittlich soviel, wie Frage des Innenlebens, im Gegensatz zu sozialem Dasein, dann wäre die Forderung der Sittlichkeit von Rechtsgeschäften überhaupt auf einen falschen Weg gelangt; oder aber es besagt sittlich soviel wie richtig, dann erhebt sich ja gerade die Frage, woran man dfese Eigenschaft erkennen und darlegen kann. Hier ist sonach nur möglich, auf das Merkzeichen des sozialen Ideales,

|39|

den richtenden Gedanken reiner Gemeinschaft, zurückzugehen. Es ist dann ein Rechtsgeschäft grundsätzlich verwerflich, wenn ihm zufolge der eine als bloßes Mittel zu subjektivem Begehren des anderen behandelt werden würde, ohne im Sinn des Gemeinschaftsgedankens in jener Sonderverbindung seine eigenen Zwecke gewahrt zu sehen. Das ist in dem nun hier erledigten Tatbestand nicht gegeben. Es war die Sühne einer Schuld und eine Genugtuung für den unschuldigen Teil, die objektiv gerechtfertigt war und die Eigenart der Form den bedingten Richtlinien des Lebens jener Beteiligten ohne besonderen Druck entnahm.

Anders, als in dem seither besprochenen, lag die Sache in folgendem Falle, dessen Tatbestand in der Christlichen Welt vom 8. 6. 1916 mitgeteilt wird.

Eine Bauernmagd hatte auf Geheiß ihres Dienstherrn an einem Bittgang für Segnung der Fluren teilgenommen. Auf dem Rückweg wurde sie durch einen Blitzstrahl betäubt. Infolgedessen stellte sich eine Gelenkentzündung ein. Die Kranke erhob Entschädigungsansprüche, weil ein Betriebsunfall vorliege. Die Berufsgenossenschaft lehnte den Anspruch ab, da es sich bei dem Bittgang um eine religiöse Betätigung gehandelt habe. Das zuständige Oberversicherungsamt verurteilte dagegen zur Rentenzahlung. Es seien auch wirtschaftliche Gründe, die den religiös denkenden

|40|

Landwirt veranlassen, dem Bittgang nicht fern zu bleiben und auch aus seinem Betrieb einen Dienstboten zu entsenden. Die Auffassung, daß die Beteiligung am Bittgang eine landwirtschaftliche Betriebstätigkeit bedeute, werde daher nur dem allgemeinen religiösen Empfinden gerecht. Aber auch ohne das würde die Verletzte einen Versicherungsschutz, aus der Reichs-Versicherungsordnung 924 in Anspruch nehmen können, weil sie bei anderen Dienstleistungen, zu denen sie von dem Betriebsunternehmer auf Grund des Arbeitsverhältnisses herangezogen wurde, den Unfall erlitten habe.

Nach genauer Unterscheidung der rechtlichen und der religiösen Frage dürfte die jetzige Angelegenheit aber nur dem letztgenannten Gebiet zuzuweisen sein.

Der gläubige Landwirt, der für seine Fluren den Segen des Himmels erfleht, setzt sich nur von sich aus mit der Gottheit in Beziehung. Es ist eine vertrauende Bitte an den allmächtigen Schöpfer, dem er den Ertrag seiner Arbeit befiehlt. Es gipfelt in der Hingebung an die Macht, deren Gebote er als göttliche Pflichten erkennt und anerkennt.

Dagegen handelt es sich hier nicht um den Inhalt eines verbindenden Wollens, durch das er mit anderen im Betriebe der Landwirtschaft zusammengefügt ist. Es werden weder ihm für diesen besonderen Zweck andere Menschen rechtlich

|41|

verknüpft, noch auch erscheint er seinerseits in jenem Sonderziel als Mittel für andere. Das geschieht auch nicht durch die Gemeinsamkeit des Bittganges oder durch die Teilnahme von Dienstboten daran. Denn für die Eigenart jenes ist das gemeinsame Gebet zu Gott wesentlich, und es kam in der vorgelegten Streitsache nicht auf die Weise der Vereinigung an, die für sich natürlich rechtlich bestimmt war. Wenn aber die Magd ihr Gebet mit dem des Landwirtes vereinte, so war dieses Erbitten der gnädigen Hilfe Gottes von religiöser Art und nicht eine andere Dienstleistung, die sie dem Vermögen des Betriebsunternehmers im Rechtssinne zugewandt hätte.

In einer eigentümlichen Weise findet sich seit alten Zeiten die religiöse Empfindung in das rechtliche Gebiet hineingezogen in dem Eid. Er geschieht als Beteuerung der allgemeinen Hingebung an richtiges Wollen, die nun in dem besonderen Fall bewährt wird. Gegen diese Beteuerung der eigenen Wahrhaftigkeit ist an sich nichts einzuwenden, doch nicht jede Art des Schwörens, die von früher überliefert war, ist zu verteidigen (s. Matth. 5, 34-38). Das Gesetz verlangt dabei Einsicht in das Wesen und die Bedeutung des Eides und stellt ein Alter der Eidesmündigkeit mit 16 Jahren sowie andere Voraussetzungen einer beeidigten Vernehmung fest (ZPO. 393). In einem

|42|

Prozesse, der in erster Instanz vor dem Konsulargericht Tientsin verhandelt war, entschied das Reichsgericht, daß Chinesen als eidesunfähig anzusehen sind (RG. 85, 76). Das Schwören kommt im heutigen Recht aber nicht nur in Prozessen vor, als Eid der Parteien, Zeugen und Sachverständigen, sondern auch als Offenbarungseid in der Zwangsvollstreckung und bei Inventarerrichtungen, Rechnungslegungen u. dgl. Bis hierher handelt es sich um einen bestätigenden Eid dahin, daß nach bestem Wissen und Gewissen der Schwörende bei der Wahrheit bleibe. Daneben besteht der versprechende Treueid bei dem Soldaten und dem Inhaber eines weltlichen oder geistlichen Amtes, auch bei dem Vormunde und Familienrat in der Form eidesstattlicher Versicherung. Dagegen ist es außer Brauch gekommen, den .Eid als Bestärkungsmittel privatrechtlicher Geschäfte zu benutzen, wie es in früheren Rechten vielfach vorkam. So brauchte nach römischem Rechte eine Frau, die eine fremde Schuld als ihre eigene übernommen, z.B. sich verbürgt hatte, das Versprochene nicht zu bezahlen, außer wenn sie es eidlich bestärkt hatte; die Willenserklärungen von Minderjährigen über vierzehn Jahre wurden durch ihren Eid gültig u.a.m. Uns ist dieser Gebrauch des Eides im Privatleben so fremd geworden, daß gerade umgekehrt nach ziemlich konstanter Praxis des Reichsgerichts die Verpfändung

|43|

des Ehrenwortes in einem vermögensrechtlichen Vertrage diesen Vertrag völlig nichtig macht (bes. RG. 78, 258). Das ist nach den oben angegebenen Grundsätzen über die Grenzen der Vertragsfreiheit wohl berechtigt; denn es übt einen zu starken Druck auf den Schuldner aus, den es auch bei ganz unverschuldetem Nichtleisten mit einem Makel behaftet. Im Militärstrafgesetzbuch 159 ist freilich der Bruch des Ehrenwortes durch.einen Kriegsgefangenen mit Todesstrafe bedroht.

Wenn so das Recht in der Einrichtung des Eides die Gewalt des religiösen Gefühls für sich benutzt hat, so hat es sich im allgemeinen Inhalt seiner Satzungen davon unabhängig zu machen gesucht. ,Nach den bekannten Bestimmungen im Westfälischen Frieden und im Artikel 16 der Deutschen Bundesakte gründet sich der heutige Rechtszustand auf das Reichsgesetz vom 3. Juli 1869: Alle noch bestehenden, aus der Verschiedenheit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben. Das Gesetz fügt noch hinzu, daß insbesondere die Befähigung zur Teilnahme an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Bekleidung öffentlicher Ämter vom religiösen Bekenntnis unabhängig sein soll. (Vgl. noch ALR. II 11, 1. Preuß. Verf. 12.) Daß die Fähigkeit zu Ämtern in kirchlichen Gemeinschaften damit nicht berührt wird, ist

|44|

selbstverständlich. Die herrschende Lehre nimmt das Gleiche auch für die Anstellung an bestimmten einzelnen Anstalten an und erachtet den Artikel 4 der Hallischen Universitätsstatuten noch in rechtlicher Kraft: Der ursprünglichen Stiftung gemäß sind bei der Universität Halle-Wittenberg nur Lehrer und Beamte evangelischer Konfession zuzulassen und anzustellen.

Auch für Privatvereine, die sich religiösen Zwecken widmen, hat unser Recht besondere Vorschriften. Sie beziehen sich auf die Erlangung der juristischen Persönlichkeit. Solche Vereine, wie Brüderschaften, Bibelkränzchen, können rechtsfähig werden, wenn sie sich in das Vereinsregister des Amtsgerichtes eintragen lassen. Die Verwaltungsbehörde kann gegen einen darauf gerichteten Antrag binnen sechs Wochen Einspruch erheben; in Preußen ist hierfür zuständig der Landrat, in den Städten die Ortspolizeibehörde, die Entscheidung ist von dem Bezirksausschuß zu fällen (BGB. 61, vgl. 43; AV. z. BGB. 3). Verschieden davon werden wieder Religionsgesellschaften behandelt, ebenso wie Klöster, Stifte, Orden, die nach dem Sprachgebrauch des preußischen allgemeinen Landrechtes von 1794 (11,12) als geistliche Gesellschaften bezeichnet werden. Sie können Rechtsfähigkeit nur im Wege der Gesetzgebung erlangen (EG. z. BGB. 84; preuß. Verf. 13). Das ist geschehen bei den Herrenhutern, Böhmischen

|45|

Brüdern, Niederländisch Reformierten, Mennoniten, Baptisten und durch Gesetz vom 23. Mai 1908 für die von der Gemeinschaft der evangelischen Landeskirche sich getrennt haltenden Lutheraner. Auch die Synagogengemeinden der Juden zählen hierher. Ein Zweifel über die Eigenschaft einer Religionsgesellschaft wird im gegebenen Fall für die letztgenannte Frage kaum entstehen. Sollte für die vorher genannten Privatvereine eine Meinungsverschiedenheit darüber auftreten, ob ein religiöser Zweck verfolgt wird, z.B. bei Jünglings- und Jungfrauenvereinen, christlichen Studenten Vereinigungen, so ist sie im Sinne der hier gemachten Ausführungen über Begriff und Bedeutung der Religion unschwer zu erledigen.

Es ist somit in allen derartigen Fragen das selbständige Vorgehen des Rechtes gar nicht zu verkennen. Es erfüllt den ihm eigenen Beruf, indem es bei der Regelung des Zusammenlebens auf die im letzten Grund bewegenden Gefühle der in ihm Verbundenen Rücksicht nimmt.

Das hält das Recht auch fest, wenn das Strafgesetzbuch im elften Abschnitt von Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen, seine Paragraphen aufstellt (StGB. 166-168, vgl. 243, 1; 304 u. 306). Es betrifft vor allem die Strafbarkeit der Gotteslästerung, sowie die öffentliche Beschimpfung einer Kirche oder

|46|

ihrer Einrichtungen und Gebräuche. Es ist nicht an dem, daß unsere Rechtsordnung sich damit auf den Standpunkt der so geschützten kirchlichen Einrichtungen stelle. Sie folgt vielmehr lediglich ihrem Grundgedanken, ihr verbindendes Wollen im Sinne reiner Gemeinschaft auszugestalten. Dazu gehört aber, daß jeder den andern, der dem objektiv Richtigen in seiner Weise nachstrebt, im rechtlichen Sinne achtet und dessen auf das Gute gerichteten Gefühle äußerlich nicht verletzt, auch da nicht, wo er das Streben jenes, der es grundsätzlich gut meint, für irrig erachtet. Andernfalls erfährt man eine Verkennung des Gedankens, daß es sich um ein wechselseitiges Achten handelt, das nicht nach der Ansicht des einen von ihnen einseitig verletzt werden darf, so lange der andere Teil nach seinem besten Willen das Rechte sucht. Es wird dann übersehen, daß' nur die schuldige Rücksichtnahme auf den Gemeinschafter in Frage steht, aber nicht der Inhalt der jeweils verschieden aufgestellten Lehren. Es ist eine rechtliche Erwägung, die es begründetermaßen ablehnt, daß gegen den idealen Gemeinschaftsgedanken der eine rechtlich Verbundene in seiner Hingabe an den vollkommenen Abschluß seines Daseins und Wirkens von dem Träger einer abweichenden Grundauffassung äußerlich gekränkt und danach rechtswidrig geschädigt wird.

|47|

Sobald es sich nun aber um eine Frage handelt, die nach systematischer Kritik als eine rechtliche Aufgabe aufzunehmen ist, so hat ihre inhaltliche Führung im Sinne des sozialen Ideales zu geschehen. Es kann dann nicht gespart werden, daß die grundsätzlich richtige Entscheidung nach methodischer Einsicht stets neu aufgenommen wird. Der bloße Umstand allein, daß seit alten Zeiten ein bestimmter äußerer Brauch von einer religiösen Gesellschaft geübt worden ist, kann nicht genügen, um ihn — der der sozialen Erwägung nach der Idee des Rechtes angehört — in seinem Inhalte bereits grundsätzlich zu rechtfertigen. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Schächten zu beurteilen, das die Fesselung und Niederwerfung des zu schlachtenden Tieres und sein langsames Ausbluten erfordert. Das Kammergericht hat schon vor längeren Jahren eine Polizeiverordnung für gültig erklärt, die in näherer Ausführung vorschreibt, daß Vieh nur nach Betäubung mittels Kopfschlages geschlachtet werden darf (Ges. u. R. 7, 319). In der Schweiz ist sogar durch Volksabstimmung im Jahre 1893 das Verbot des Schächtens in die Verfassung der Eidgenossenschaft aufgenommen worden. Wenn die juristische Ausführung zu dem zitierten Gerichtsurteil auch die Gefahr des Losreißens nicht betäubter Tiere für Menschen betonte, so kann das doch höchstens nebenher in besonders

|48|

gearteter Lage in Betracht kommen. Dagegen ist unrichtig, wenn dort gemeint war, daß mitleidige Befrachtungen, die das Tier vor jedem unnötigen Schmerz und vor allen Quälereien bewahren, für die Entscheidung des Gerichts nicht maßgebend sein konnten. Das Gegenteil ist richtig. Freilich nehmen wir ein rechtliches Wollen bloß für den Menschen an und nur zwischen ihnen bestehen Rechtsverhältnisse. Aber deshalb bleibt doch der Satz als Wahrheit: Der Gerechte erbarmet sich auch des Viehes. Wer die unschuldige Kreatur leiden läßt und gegen ihren Schmerz unempfindlich ist, wird nur zu leicht auch dem Menschen gegenüber also fühlen und tun; so gehört das Verbot des Quälens von Tieren und das Verwerfen grausamer Tötungsarten der Tiere mittelbar zur Pflege des gemeinschaftlichen Wollens unter Menschen.

Zum Schlüsse dieses sei es gestattet, einen Blick auf die Stellung zu werfen, die Recht und Gericht zu der Richtung eingenommen haben, die sich im besonderen als christliche Wissenschaft bezeichnet.

Man heißt sie auch den Szientismus. Diese Lehre ist in Nordamerika aufgekommen, geschaffen von Frau Baker Addy (1821-1910), besonders von ihr ausgeführt in dem Buche Science and Health (1875). Die Richtung ist seitdem weit verbreitet, auch in Deutschland, und soll nach Angaben ihrer Anhänger etwa

|49|

fünf Millionen ihr Zugeneigte zählen. Sie bedeutet eine geschlossene Weltauffassung, die sich selbst in einfacher Weise nach ihrer einheitlichen Grundlage wiedergibt. Über alles dies unterrichtet bestens die Schrift von Holl, Der Szientismus (2. Aufl. 1918).

Die sogenannte christliche Wissenschaft kennzeichnet sich in ihrem Wesen durch folgende Sätze.

Alles Leben ist in Wirklichkeit nur ein geistiges Leben. Es stammt von Gott her. Dieser ist der einzig wahre Geist. Er ist nicht im menschlichen Sinn als Person aufzufassen, die Gottheit hat gleiche Bedeutung mit Leben und Wahrheit, sie ist die Liebe. Der Mensch, als Geschöpf Gottes, hat als solches die gleiche geistige Natur, doch in der bedingten Weise eines begrenzt erschaffenen Wesens. Dagegen hat die Materie kein selbständiges Leben. Sie ist tot, ihr angeblich eigenes Leben ist nur ein trügerischer Schein. Da alles Leben sich in der unbedingten Allheit des göttlichen Geistes zusammenfaßt, so kann es nichts in Wahrheit geben, das diesem Geiste grundsätzlich widersprechen würde.

Nun treten doch anscheinend äußere Übel auf, Sünde und Tod und Krankheit. Allein alles Weh und Leiden liegt nur in den Gedanken, mit denen der Mensch es aufnimmt. Von Gott kann es nicht herrühren, denn sein Werk ist vollendet gut, — in der Materie kann es nicht gegeben sein, denn sie führt kein selbständiges

|50|

Leben. Also kommt es zur Bekämpfung solcher Übel darauf an, sich derartig in seinen Gedanken auf das Dauernde, das Gute und Wahre zu richten, daß das angeblich Unvollkommene gänzlich verschwindet. In solcher ununterbrochener eigener Läuterung wird Sünde und Tod überwunden und die Krankheit getilgt werden.

Hier setzten nun die technisch gerichteten Maßnahmen ein, die das Interesse weiterer Kreise besonders erregt haben. Sie führten zu rechtlichen Streitfragen, die namentlich 1915 in einem vor dem Landgericht III in Benin verhandelten Strafprozeß zum Austrag kamen.

Zwei Künstlerinnen litten an verschiedenen Krankheiten. Sie waren seit längerem jeweils in ärztlicher Behandlung, kamen dann aber unter den Einfluß zweier Frauen, die den Szientismus vertraten und die Kranken dazu brachten, jede Hilfe eines naturwissenschaftlich vorgehenden Arztes abzulehnen und sich der christlichen Wissenschaft anzuvertrauen. In Ausführung der vorhin skizzierten Lehre wurden Arzneien und andere materielle Mittel ausgeschlossen und nur Fortschritte im Denken und im Gemüt angestrebt. Durch das vollendete Empfinden von Gottes Allgegenwart und Liebe, als der einzigen Wirklichkeit, sollte die Furcht entschwinden, von der die sogenannte Krankheit erregt wurde. Dadurch würde der letzteren der Boden entzogen, auf dem sie allein gedeihen könne. Allein der

|51|

Zustand der beiden Leidenden verschlimmerte sich jetzt immer mehr. Sie wurden schließlich zum Krankenhaus gebracht, wo sie bald darauf verstarben.

Nun wurde gegen die zwei Szientistinnen eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben. Sie hätten die Behandlung der Kranken ohne jede ärztliche Kenntnis übernommen; hierin liege eine grobe Fahrlässigkeit. Das Gericht schloß sich dem an und verurteilte die Angeklagten zu sechs Monaten Gefängnis. Das Reichsgericht (Entsch. in Strafs. 50, 37) bestätigte die Entscheidung. Die Angeklagten hätten die Pflicht gehabt, da sie die Kranken zu heilen übernommen, sorgfältig zu sein. Zum mindesten hätten sie, als sie angesichts der auffallenden Verschlimmerung sich über die Aussichtslosigkeit ihres Heilverfahrens klar wurden, ihren Platz am Krankenbett räumen und die Behandlung einstellen müssen.

Bei der Prüfung dieser Frage zeigt sich, daß es sich hier nicht um eine religiöse Betrachtung im genauen Sinne des Wortes handelt, sondern um rechtliche Erwägung. Denn es steht der Inhalt einer Regelung des Zusammenwirkens und die richtige Art des verbindenden Wollens zur Erörterung. Die dort Angeklagten hielten ihre soziale Betätigung als solche für gerechtfertigt und leiteten dieses aus einem eigenartigen wissenschaftlichen System her.

Aber konnten sie sich nicht auf den Satz berufen:

|52|

Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei (Preuß. Verf. 20)? Liegt eine Rechtswidrigkeit vor, wenn jemand einer grundsätzlichen Meinung folgt, die von anderen als eine Irrlehre bezeichnet wird ?

Es ist klar, daß es hier auf den Begriff der Wissenschaft ankommt.

Nun besteht das wissenschaftliche Denken in einem Ordnen dei einzelnen Erlebnisse nach einem unbedingt einheitlichen Grundplan. Ein Irrtum kann also in doppelter Art vorkommen: in der unzutreffenden Einfügung der Besonderheit in die einheitliche Art und Weise, oder aber in der Unhaltbarkeit dieser letzteren selbst.

Der Szientismus steht der Medizin in der grundlegenden Methode gegenüber. Es handelt sich bei ihm nicht um ein Gesundbeten, das etwa an die Stelle einer Operation oder einer Arznei treten sollte. Es steht überhaupt nicht eine Verschiedenheit der Ansichten über einzelne Mittel in Frage, sondern ein Gegensatz über die Grundauffassung des irdischen Geschehens überhaupt. Da die Materie, nach der besprochenen Lehre, sich in Schein auflöse, so sei auch gar nicht auf sie, im Sinne der medizinischen Wissenschaft einzuwirken. Eigentlich könne daher ein jeder nur sich selbst von allen Übeln befreien. Da dieses aber dermalen zu geringe Aussichten biete, so mögen

|53|

berufsmäßige Heiler eintreten. Sie haben ihr Denken zu Gott, dem Allgegenwärtigen, zu erheben und sich zugleich in den Kranken hineinzufühlen. So wäre freilich auch eine Fernheilung möglich. Nur sind zurzeit gewisse Grenzen der Erkenntnis nicht zu leugnen, und so ist es besser, bei äußeren Verletzungen einen Chirurgen zuzuziehen oder im Falle der Geburtshilfe einen Arzt zu rufen, auch den Patienten wieder an einen solchen zu verweisen, wo die volle Empfänglichkeit für die Heilung auf rein seelischem Wege fehlen mag.

Bei dieser Sachlage muß jedes Urteil, das in sich fest begründet sein will, über die einzelne Folgerung hinaus auf den letzten Grundgedanken eingehen, aus dem jene Folgerung gezogen ist. Diese kritische Prüfung leitet zu dem Gegensatz von Wirklichkeit und Schein, zu der Bedeutung des Unterschiedes von reiner und bedingter Erkenntnis.

Der Szientismus stellt einen ungeklärten Begriff von Wirklichkeit auf. Geht man dem nach, so zeigt sich, daß der damit eingeführte Gedanke die Ordnung bedingter Eindrücke und Strebungen bedeutet. Es ist dann ein Erlebnis wirklich, wenn es nach einer einheitlichen Art und Weise bestimmt und gerichtet ist. Aber es muß auch ein besonderer Stoff vorliegen. Würde man von diesem gänzlich Abstand nehmen, wie es in der folgerichtigen Ausführung jener Lehre

|54|

gelegen sein müßte, so bliebe man ganz im Leeren. Der bedingte Stoff äußerer Eindrücke kann niemals verschwinden, oder wir würden überhaupt keine wissenschaftliche Erwägung anzustellen haben. Es kommt für die wissenschaftliche Erfahrung lediglich darauf an, diesen bedingten Stoff nach gleichbleibenden reinen Formen zu bestimmen und dadurch zu beherrschen.

Diese Grundauffassung trifft der Szientismus gar nicht mit seiner Bekämpfung eines selbständigen Lebens der Materie. Die naturwissenschaftliche Betrachtung der uns in Raum und Zeit werdenden Erscheinungen verlangt gar nicht die mystische Vorstellung eines lebendigen Stoffes. Nur dieses ist zu fordern, daß man diesen Stoff der äußeren Wahrnehmungen gesetzmäßig beherrscht, aber nicht, daß er unbeachtet gelassen wird.

Wenn hiernach jeder denkende Mensch für sich zwischen diesen beiden Grundauffassungen wählen muß, so kommt auch das Recht um eine solche Wahl nicht herum. Und es hat sie getroffen. Es denkt bei dem Hinweise auf die Wissenschaft nur an die in kritischer Methode begründete Art des Wissens und Urteilens. Das ergibt sich zweifelsfrei aus der Geschichte der heutigen Verfassungen. Wenn sie die Freiheit der Wissenschaft verkündeten, so soll das Forschen nach Wahrheit einem jeden also freigestellt werden,

|55|

daß der Inhalt dessen, was als wissenschaftliche Erkenntnis anzunehmen ist, durch eine rechtlich verordnete Instanz nicht geliefert wird. Dagegen ist diese Freiheit nicht unbedingt. Sobald jemand in das rechtliche verbundene Dasein seiner Umgebung eingreift, mit Werk oder mit Worten, so untersteht dieses sein Eingreifen dem Spruche des Rechtes.

Es hat ihn nach bestem Wissen und Können zu fällen. Eine unfehlbare Instanz kennen wir freilich dafür nicht. Aber die Stellungnahme unseres Rechtes zu der Frage der Wirklichkeit und zu den daraus zu ziehenden Schlüssen vermögen wir, wie eben ausgeführt, nicht zu tadeln.

Auch ist es nicht an dem, daß damit das Recht etwa in das Gebiet der Religion hemmend und störend eingriffe. Deren Eintreten und Vorgehen bleibt unangetastet stehen. Ihr fällt die Pflege des Gottvertrauens anheim und danach die Erfüllung des Menschenberufes: dem richtigen Erkennen und Wollen in den Bedingtheiten des irdischen Daseins suchend und strebend sich hinzugeben.

Der Szientismus aber führt im Grunde auf eine unhaltbare Vorstellung von dem Berufe der Religion zurück. An die Stelle einer göttlich gesetzten Aufgabe, die Welt zu erkennen und zu vervollkommnen, tritt die eigentümliche Meinung, daß die ganze Schöpfung, so zu sagen, überhaupt nicht vorhanden sei.

|56|

Der barmherzige Samariter goß Öl und Wein in die Wunden des geschlagenen Mannes und führte ihn in die Herberge und pflegte sein. Er mißachtete nicht die äußeren Mittel, die zur Linderung der Leiden möglich sind, sondern wandte sie nach seiner Erfahrung von natürlicher Einwirkung an. Und nicht durch die Art der Wundbehandlung zeichnete er sich vor dem kaltherzigen Priester und Leviten aus, vielmehr durch die tätige Befolgung der Liebe zu dem Nächsten, das ist: zu dem Menschen, der ihn in besonderer Lage gerade am nötigsten hat. Die Materie seines Tuns war ihm bedingt gegeben, und er suchte sie nach den dabei waltenden Naturkräften bestens zu beherrschen: nun kam die Macht der Liebe, die sein Tun für alle Zeiten vorbildlich erscheinen läßt. In diesem helfenden Sinn zur Bruderliebe anzufeuern, das entspringt dem Quell des religiösen Glaubens.

Erneut sehen wir so die zwei Aufgaben, die einmal der gesetzmäßigen Ausgestaltung des sozialen Lebens in seinem bedingten Inhalt und zum andern als die Erfüllung des Gemütes mit der Hingebung an das Richtige aufgestellt sind.

Die Gedankenrichtungen des Rechtes und der Religion sind in kritischem Bedenken also geschieden. Es ist nun zu prüfen, wie sich die beiden, in dem Bau der Kirche vereint, wieder finden mögen.