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Vorwort.

Die vorliegende Abhandlung ist keine Streitschrift, sondern eine wissenschaftliche Untersuchung. Sie soll das Urtheil finden helfen, welches von Rechts wegen in dem grossen Kampf von Staat und Kirche zu sprechen ist. Denn es ist ein Kampf um’s Recht. Es ist kein Kriegsverfahren, welches durch die physische Gewalt, sondern ein Rechts verfahren, welches, wenn schon durch kein Gericht, dennoch durch ideale Mächte entschieden wird.

In Preussen ist der Rechtsgang in sein erstes Stadium getreten. Die preussische Verfassung hatte der Kirche die Freiheit der Privatcorporation zu den Privilegien der öffentlichen Corporation gegeben. Diesen inneren Widerspruch wollen die Vorlagen der preussischen Regierung beseitigen. Die Beschränkungen des kirchlichen Selbstregiments bedeuten die volle Verbindung der Kirche als eines öffentlichen Gemeinwesens mit dem Staat. Wenn dagegen die eine Parthei im vermeintlichen Interesse der Kirche es für möglich

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hält, die Kirche zum Staat zugleich in Trennungsverhältniss (für die Selbstregierung) und in Verbindungsverhältniss (für die Privilegien) zu setzen, die andere Parthei im Interesse der Doctrin von der „Freiheit” die volle Trennung von Kirche und Staat anstrebt, als ob es möglich wäre, die Kirche rechtlich einem Gesangverein oder Turnverein gleich zu behandeln, so liegt hier wie dort ein Verkennen der rechtlichen Natur der Kirche zu Grunde, an dessen Beseitigung kein Anderer zu arbeiten fähig und berufen ist, als die Wissenschaft.

In diesem Sinne habe ich mich entschlossen, die vorliegenden Blätter aus der Verborgenheit einer kirchenrechtlichen Zeitschrift vor das grosse Publicum treten zu lassen.

Strassburg 22. Januar 1873.

Rudolph Sohm.