Mumm, R., Simon, H.

Verhandlungsbericht

1956

|60|

Verhandlungsbericht

 

Von Reinhard Mumm und Helmut Simon

 

Die Tagung begann mit den vorstehend abgedruckten Referaten von Wolf und Scheuner. Die anschließende Aussprache diente zunächst einer terminologischen Bereinigung. Es wurde angeführt, daß seit dem Göttinger Gespräch über die theologische Begründung des Rechts eine rückläufige Bewegung eingesetzt habe. Während man sich damals um eine Überwindung der Gegensätze bemüht habe, sei später eine „trinitarische” Rechtsbegründung zu einer „christologischen”, „christomonistischen” oder gar „christomanen” polemisch in Gegensatz gebracht worden. Dies habe eine übereilte Verhärtung der Standpunkte zur Folge gehabt. Der Grad der Berechtigung dieser Gegenüberstellung, in welche unverkennbar gewisse Unterschiede des Ansatzes sichtbar werden, würde verschieden beurteilt; jedoch bestand die gemeinsame Bereitschaft, sie positiv zu überwinden.

Im folgenden geben wir zunächst die kritischen Bemerkungen zu diesem Thema wieder. So wurde ausgeführt: Die vorhandenen sachlichen Unterschiede ließen sich mimt diesen allenfalls als Vorverständnis brauchbaren Begriffen schon deshalb nicht zureichend erfassen, weil in einer trinitarischen Theologie die Christologie nicht fehlen könne. Zudem sei eine statische trinitarische Rechtsbegründung, die alle drei Artikel des Glaubensbekenntnis partiell nebeneinander heranziehen wolle, nicht haltbar, da eine rechte Erkenntnis nur im Glauben an Christus möglich sei. Eine wirkliche Sachposition werde lediglich durch die Bezeichnung „trinitarisch-heilsgeschichtlich” angedeutet, die jedoch nach Meinung einiger noch nirgends konkretisiert worden sei. Ein Teilnehmer erblickte sie im Anschluß an Formulierungen, welche sowohl bei Emil Brunner wie bei Peter Brunner vorkommen, darin, daß hier Christus zwar als die ratio cognoscendi, nicht aber als die ratio essendi für das Recht erkannt werde. Auf der anderen Seite wurde eingeräumt, daß die nachträglich gebildete Bezeichnung „christologisch” ebenfalls nicht eindeutig sei. Denn sie umfasse zugleich den gewagten christokratischen Ansatz Elluls und die wesentliche Fragestellung Barths in „Rechtfertigung und Recht” und überdecke ihre Unterschiede.

Im Zusammenhang mit diesen Erwägungen hielt man es für angezeigt, in der Göttinger These 2 statt „Gott der Schöpfer” zur Vermeidung von Mißverständnissen „Gott der Herr” einzusetzen. Ferner sollte der vieldeutige und verwirrende Begriff des Naturrechts ausgeschieden werden.

Das weitere Gespräch wandte sich dann sehr bald und ausschließlich dem Thema der „Institutionen” zu. Voraus ging auch hier die terminologische

|61|

Anregung, den stark belasteten Begriff der „Ordnungen” ebenso wie seine Abwandlungen z.B. „Anordnung” und „Verordnung” zu vermeiden, da diese — wie historisch erwiesen — allzu leicht zu statischem Ordnungsdenken verleiteten; Ordnung sei nicht Zustand, sondern Vorgang. Demgegenüber wurde von einer vorschnellen Entfernung von termini gewarnt: „Anordnung” (ordinatio) und „Erhaltungsordnung” (conservatio) erlaubten eine hilfreiche Abgrenzung gegenüber dem mittelalterlichen ordo-Denkens und der Lehre von den Schöpfungsordnungen, da darin gleichermaßen der Gedanke der creatio continua, der Erhaltung der Welt gegenüber chaotischen Mächten und der Eschatologie sichtbar werde.

Im Fortgang des Gespräches war dann nur noch von Institutionen als Stiftungen Gottes die Rede. Man wollte — wie zum Schluß der Tagung nochmals hervorgehoben wurde — mit der Wahl dieses Begriffes versuchen, das, was in der Überlieferung auseinandergebrochen war, wieder zusammenzubringen, nämlich das statische und das aktuale Element der Ordnung. Dafür erschien der unbelastete Begriff der Institution geeigneter, der noch sehr flüssig und nicht einmal juristisch, schon eher soziologische geprägt ist. Er wird in eine etymologischen Wörterburch erläutert, einmal mit Regel, Verfassung, Einrichtung, und ferner mit bilden, unterweisen, vornehmen, vorhaben, machen, daß etwas sein Wesen erhalte.

In einem längeren Votum berichtet Dombois sodann über Erfahrungen und Beratungsergebnisse der Eherechtskommission der EKiD, deren allgemeinere Bedeutung er in einem Aufsatz über „Das Problem der Institutionen und die Ehe” ausgewertet hatte1. Gegenüber vereinseitigten mißbräuchlichen Auffassungen der Institutionen entweder als statischer, schicksalhafter Gegebenheit oder als frei verfügbarer, wandelbarer Aktualität betonte er die notwendige Zusammengehörigkeit von Akt und Status. Durch den grundsätzlich freien Akt des Eintritts und der Hingabe gelange der Mensch in einen trotz weitgehend freier Gestaltungsfähigkeit im Kern vorgegebenen, unverfügbaren Status, der ohne die fortdauernden Integrationsakte des instituere nicht zur Wirksamkeit komme. Je größer dabei der Grad der Vorgegebenheit sei, je weniger sich der Mensch aus der Institution ablösen könne, desto stärker sei der Institutionscharakter. Hierher gehörten politische Gemeinschaft, Ehe, Sachherrschaft und ebenfalls die Kirche, die im Gegenüber zum Staat stehe. Alle diese Institutionen könnten in ihrem Wesen nicht abschließend material definiert, sondern nur beschrieben werden. Der Versuch des Preußischen Allgemeinen Landrechts, die Ehe zu definieren, sei nicht nur praktisch, sondern grundsätzlich verfehlt. Das gleiche gelte für entsprechende Versuche in dem Entwurf eines Familiengesetzbuches der Deutschen Demokratischen Republik, gegen welche deshalb


1 Vgl. dazu den ausführlichen Auszug S. 55 ff.

|62|

die kirchliche Ostkonferenz Stellung genommen hat. Mit der Definition dringen immer heteronome Zweckgesichtspunkte ein. Er schlage daher vor, die Institutionen als den rechtlichen Ausdruck typischer Beziehungsformen anzusprechen, die zwar weitgehend gestaltungsfähig, aber im Ansatz vorgegeben seien. Theologisch sei von Bedeutung, daß die Institutionen an der Heilsgeschichte teilnähmen, womit sich der herkömmliche Gegensatz zwischen infra- und supralapsarisch erledige.

In dem weiteren Gespräch bemühten sich die Teilnehmer weniger um fertige Ergebnisse als um eine Analyse und versuchten, bestimmte Kennzeichen und Elemente der Institutionen zu erhellen und Möglichkeiten aufzuzeigen. Dabei wurden theologische und ontologisch-phänomenologische Gesichtspunkte nebeneinander genannt. Es drängte sich daher bald die wichtige Frage auf, von wo aus gültige Aussagen zu gewinnen sind. Als Menschen im nachkantischen Zeitalter können wir auf erkenntniskritisch begründete philosophische Erkenntnisse nicht verzichten. Doch bleibt der verbindliche Maßstab die Heilige Schrift (vgl. These 6a) und wir müssen uns immer wieder darüber Rechenschaft geben, in welchem Verhältnis die ontologischen Beobachtungen zur theologischen Erkenntnis stehen. Wichtig ist dabei, daß nicht eine allgemeine Ontologie der „schöpfungsmäßigen Gegebenheiten die theologische Aussage bestimmt. Wir dürfen nicht „Deum ex re”, sondern wir müssen die „res ex Deo” zu erkennen trachten und werden dabei feststellen, daß die Heilige Schrift durchtränkt ist von rechtlichen Phänomenen. Ontologie und Theologie sind von der Bibel her keine Gegensätze. Die rechte Theologie begreift die Ontologie in sich wie Gloege, auf den die Formulierung der These 4 zurückgeht, mit allgemeiner Zustimmung bemerkte. Wir sollen nicht versuchen, die Institutionen aus phänomenologischen Beobachtungen zu erklären; auf solchem Wege würden wir zu einer falschen „Ordnungstheologie” kommen. Der Weg führt vielmehr umgekehrt: Gottes Setzung bildet den ontischen Felsengrund für die Institutionen, sie sind analog zu den Sakramenten in Gottes Wort begründet.

Ein Beispiel bildet hier das Gespräch in der Eherechtskommission. Dort stand man vor der Frage: Welche Aussagen der Heiligen Schrift sind für die Institution der Ehe theologisch bleiben gültig? Wieweit ist etwa der Apostel Paulus in einer zeitgeschichtlich-phänomenologischen Betrachtung des Verhältnisses der Geschlechter befangen? Es läßt sich nicht übersehen, daß es in der Bibel phänomenologische Einsichten gibt.

Auch Dombois betonte, daß seine phänomenologisch anmutende Sicht außerhalb der Theologie nicht möglich sei. Er vertrat dabei seine bereits anderweitig entwickelte These, daß sich die Struktur des Rechtsproblems wesentlich mit der Struktur der Offenbarungstheologie decke und daß es auch deshalb eine legitime Parallele zwischen Rechtsontologie und Theologie gebe.

|63|

Die Erörterung der Strukturelemente der Institutionen wandte sich zunächst der Frage zu, wieweit die Institutionen als vorgegeben anzusehen sind. Das Neue Testament selbst spricht von einem göttlichen Vorgegebensein. Dies ist — wie übereinstimmend festgestellt wurde — nicht gleichbedeutend mit Vorfindlichkeit, vielmehr ist zwischen dem bloß Vorfindlichen und dem, was von Gott vorgegeben ist, sorgfältig zu unterscheiden. Worin der Unterschied im einzelnen zu erblicken ist, bedarf noch der Klärung. Man wollte mit der Wahl des Begriffes „vorgegeben” in den Thesen bewußt ontische und suprlapsarische Mißverständnisse vermeiden. Wenn von Vorgegebenheit der Institutionen die Rede ist, dann — so wurde ausgeführt — heißt dies etwa: Wir können uns unserer geschlechtlichen oder unserer politischen Existenz nicht entziehen. Angesichts der Institutionen stehen wir vor der Nötigung, uns zu entscheiden, gerade auch im politischen Raum und prinzipiell, ebenso im Geschlechtsbezug. Wenn wir dann in die institutionellen Lebensbereiche eintreten, dann können wir das nicht mit Vorbehalten tun; denn dieser Eintritt ist — juristisch gesprochen — bedingungsfeindlich, wir gelangen in einen Inbegriff von Rechten und Pflichten ohne Rücksicht darauf, ob wir sie gewollt haben oder nicht. Selbst der Entschluß, passiv zu bleiben, ist bereits eine Entscheidung.

Wir müssen naturgemäß vorsichtig sein, wenn wir eine bestimmte Institution, etwa den Staat, in einer bestimmten Auffassung als von Gott so vorgesehen beschreiben wollen. Es wurde insbesondere darauf hingewiesen, daß die Staatsauffassung des 16. Jahrhunderts von der Obrigkeit und dem Untertan zeitbedingt gewesen sei und daher heute von uns nicht zur Norm erhoben werden könne.

Die Institutionen sind nur in ihrem Grundriß vorgegeben. Dies beruht auf ihrer göttlichen Einsetzung. Insoweit sind sie unverfügbar und auch unableitbar. Es ist aber zu fragen, ob sie nicht an der Heilsgeschichte teilnehmen und daher auch in ihrem vorgegebenen konstanten Kern heilsgeschichtlich wandelbar sind. Die Teilnehmer beschränken sich darauf, dies als Frage aufzuwerfen (These 6b). Neben den vorgegebenen konstanten Grundriß treten aber noch zweifelsfrei veränderbare, geschichtlich wandelbare, verfügbare Elemente, wenn man auch insoweit noch eine relative geschichtliche Konstanz feststellen kann, da die Veränderungen meist nur periodisch und nicht etwa tagtäglich auftreten. Ob sich die konstanten und variablen Faktoren reinlich voneinander scheiden lassen, wurde bezweifelt.

In dieser doppelten Gegebenheit wurde eine Parallele zum Dekalog erblickt, der ebenfalls einerseits der Deutung aus der Zeit, der Geschichtlichkeit zugänglich ist, andererseits aber auch unverfügbare Elemente aufweist, deren Konstanz auf dem ersten Gebot beruht. Wie weit diese als wichtig angesehene Parallele geht, blieb bewußt offen (vgl. These 6d), doch wurde die Hoffnung ausgesprochen, daß der Gedanke der Institution sich für die Gesetzeslehre als fruchtbar erweisen werde. Denn einmal tritt hier das geschichtliche Element klar

|64|

zu Tage und ferner dürften die Institutionen wie z.B. die Ehe einen deutlichen und notwendigen Bezug nicht nur zum Gesetz, sondern auch zum Evangelium haben. —

Dombois hatte in seinem Votum stark die notwendige Zusammengehörigkeit von vorgegebenem Status und freiem Akt hervorgehoben. Er sah daher in den Institutionen mehr als ein bloßes kausales Produkt des Aktes. Andrerseits hielt er die Institution nicht ablösbar von dem Akt des Eintritts in sie, der — grundsätzlich frei — zur Selbstpreisgabe führe. Dies habe sich überraschenderweise bei der Untersuchung des Eheschließungsvorganges gezeigt, der meist fälschlich als ein bloßer consensus aufgefäßt werde. Es ergab sich alsbald die Frage, ob sich dieser Eintrittsakt auch bei anderen Institutionen feststellen läßt, oder ob hier Unterschiede vorliegen und ob jener Akt durch den Begriff des Eintritts zureichend erfaßt werden könne. Gibt es beispielsweise einen Eintritt in den Staat oder wird man nicht in ihn hineingeboren, wobei die Geburt allerdings mehr eine Anwartschaft auf spätere Vollzugehörigkeit sein könnte? Die angelsächsische Bundestheologie kann sich durchaus den Akt eines Eintritts in den Staat vorstellen, dagegen ist die lutherische Theologie eher geneigt, den Staat als Gegebenheit anzusehen und die Bürger als seine subditi. Wie steht es mit dem modernen demokratischen Staat? Läßt er Raum für den Akt des Eintritts und ist er der Institution Staat daher am gemäßesten? Tatsächlich wird der Bürger auch hier kaum besser als ein subditus behandelt. Doch lassen sich in der staatlichen Wirklichkeit in der Tat Akte ständigen Hineinnehmens beobachten. Es könnte sogar sein, daß dort, wo im Staat das aktuale Moment fehlt oder verkümmert, bereits eine gefährliche Verhärtung besteht. Wenn auch nicht jeder Akte, etwa eine Wahl, ebensowenig einen völlig neuen Eintritt wie jeder eheliche Verkehr darstellen kann — das wäre ein existentialistisches Mißverständnis — so sind doch alle diese fortwährenden Akte erforderlich, um ein Absterben der Institution zu verhindern.

Ebenso problematisch ist diese Frage bei der Kirche, sofern diese überhaupt als Institution aufgefaßt werden kann. Ist etwa die Taufe der Eintritt (Erwachsenentaufe?) oder handelt da nicht vielmehr die Kirche im Namen des Dreieinigen Gottes am Menschen? Richtiger müßte man hier wohl von einer Antwort auf das Heilsangebot reden. Vielleicht wäre der Eintritt überhaupt besser als Antwort auf ein Angebot zur Existenzverwirklichung aufzufassen, was allerdings beim Staat zu Schwierigkeiten führt. Ein anderer Teilnehmer schlug den Begriff „Zustimmung” vor, da darin zugleich die consensuale Seite deutlich werde, die sich bei der Ehe ebenso wie bei Wahlen zeige, was wiederum für die Kirche bedenklich wäre. Bei der Formulierung der Thesen einigten sich die Teilnehmer auf den Begriff „Annahme”. Durch diesen Akt der Annahme, der Entscheidungscharakter hat, wird der Mensch in einen übergeordneten Zusammenhang hineingenommen, er gibt sich hin, wiewohl nicht völlig preis.

|65|

In diesem Zusammenhang stellt ein Teilnehmer die Frage, ob für den Eheschließungsakt die Mitwirkung der Gemeinschaft irgendwie erforderlich oder gar konstitutiv sei. Daran sei — so wurde geantwortet — insoweit etwas Richtiges, als die Ehe in den status publicus hineingeschlossen werde. Hier wurde auf die Arbeiten der Eherechtskommission zum Eheschließungsrecht des Näheren hingewiesen. Daß die Ehe der Öffentlichkeitsgarantie bedürfe, werde beim Konkubinat sichtbar, wo es infolge Verweigerung des status publicus an einer Vollhingabe fehlt. Aber der status publicus sei nur der Hintergrund für die Eheschließung, die Ehe sei keinesfalls eine Funktion der Gesellschaft. Ebensowenig wie durch die Kirche werde die Ehe durch den Staat gestiftet. Denn damit würde ihr selbständiger Institutionscharakter aufgehoben.

Noch problematischer als die Frage des Eintritts in die einzelnen Institutionen erschien der Austritt aus ihnen. Kann der Mensch aus einer Institution austreten, oder würde das Existenzverfehlung sein und zur Zerstörung, jedenfalls zur starken Schädigung der Institutionen führen? Mindestens für die Kirche kann das schwerlich zutreffen. Denn erhalte ich nicht mit der Taufe einen unaufhebbaren Status, aus dem ich beispielsweise nicht einmal durch Übertritt zum Islam entlassen werde? Zerstört wird die Kirche durch den Austritt einzelner sicherlich nicht. In diesem Zusammenhang wurde angedeutet, daß dies nur für die wahre Kirche zutreffen könnte, die ihrerseits vielleicht überhaupt nicht als Institution anzusprechen wäre. Auch bei anderen Institutionen dürfte kaum eine legitime Austrittsmöglichkeit gegeben sein. In Betracht käme allenfalls ein Ausscheiden aus der konkreten Institution und ein Übertritt zu einer anderen. Für die Ehe erscheint selbst dies bedenklich, da eine Scheidung zur Zerstörung der konkreten Ehe führt und auch die Ehe als Institution verletzt. Eine Wiedertrauung würde die Verfehlung noch verschlimmern. Entsprechend dürfte sich der Verrat an einem Staat durch Eintritt in einen anderen nicht wieder gutmachen lassen. Wenn allerdings die Institution, etwa der Staat, schon in sich zerstört ist, läßt sich ein Austritt als Grenzmöglichkeit ins Auge fassen. Selbst Luther, der häufig als Vertreter des Untertanenstaates angesehen wird, hat in der Zirkulardisputation von 1539 den Widerstand gegenüber dem Monstrum, das die Herrschaft über Leib und Seele beansprucht, nicht nur erlaubt, sondern geboten und damit möglicherweise einen derartigen Grenzfall anvisiert. Der Kreis ließ es auch hier bei der Fragestellung bewenden (vgl. These 6g).

Immer wieder war im Laufe des Gespräches die Frage nach einer Tafel der Institutionen und einer etwaigen Rangordnung angeschnitten worden. Doch wurden entsprechend der Zielsetzung der Tagung auch hier nur Möglichkeiten angedeutet. Es blieb insbesondere streitig, ob die Kirche hierher und zwar an die oberste Stelle gehört. Vielleicht hilft die Drei-Stände-Lehre Luthers weiter, wenn man sie neu durchdenkt und nicht einfach am Überlieferten anknüpft. Luthers

|66|

Grundansicht ist ja durchaus fortführbar. Auch er dachte nicht statisch-starr, sondern funktional. So war ihm beispielsweise der Kurfürst einmal Obrigkeit für das Volk, zugleich aber Untertan unter dem Kaiser, der seinerseits wiederum Gott untertan ist. Ob man den Staat entsprechend der Ansicht des 16. Jahrhunderts von der Familie her aufbauen könne, wurde bezweifelt.

Umstritten blieb der Institutionscharakter des Eigentums. Dafür wurde vorgebracht, daß auch das Eigentum keine rein verfügbare Angelegenheit sei; denn aus seiner Beziehung zur Sache könne sich der Mensch nicht lösen. Hinzu komme ferner das für Institutionen charakteristische Moment der Verantwortlichkeit. Zudem sei bemerkenswert, daß rechtsgeschichtlich die typischen Formen des Sachenrechts institutionelle Züge aufwiesen. Eine Art negativen Beweises sei in dem asketischen und chiliastischen Mißverständnis des Eigentums zu sehen; es werde von Schwärmern ebenso angegriffen wie Staat und Ehe.

Dem wurde entgegengehalten, daß das Neue Testament vordem Eigentum warne und daß ihm schwerlich ein institutioneller Ewigkeitscharakter zukomme. Vielleicht handele es sich beim Eigentum nur um eine Materie, die unter der Institution des politischen Gemeinwesens zu erfassen sei, nicht aber um eine eigene Institution. Müsse man nicht jedenfalls das Problem des Eigentums richtiger unter dem Gesichtspunkt des Mandates der Arbeit durchdenken? Dann werde auch deutlich, daß es beim Eigentum nicht um bestimmte Rechte gehe, sondern um die Verantwortung, die der Mensch für die zum Beruf dienenden Sachen trage, gleichgültig, ob sie ihm selbst gehören oder nicht. Demgegenüber bemerkte der erste Sprecher, daß die Arbeit nur das aktuale Moment der Institution Eigentum sei; der Mensch geb sich durch die Arbeit an die Sache so preis, daß sie die seine werde, ohne daß das Eigentum bloßes Produkt der Arbeit sei2. Je nach dem Intensitätsgrad dieser Preisgabe lasse sich eine graduale Abstufung der Eigentumsarten vornehmen. Sicherlich habe das Eigentum auch eine öffentlich ökonomische Bedeutung, es gehe aber nicht in der Institution des Gemeinwesens auf, der Staat habe keinen Anspruch auf alle Ökonomie. Übereinstimmend hielt man es schließlich für richtiger, für Eigentum den Begriff der allgemeinen Sachherrschaft einzusetzen im Sinne des Mandates Gen. 1, 28, wonach es um die Herrschaft des Menschen über die Dinge geht. Auch kam zum Ausdruck, daß die anderen Institutionen dem Eigentum an existentieller Dichte weit voraus sind, daß es wohl nur bei stärkere Formulierung des Institutionenbegriffes darunter gefaßt werden könne und daß hier jedenfalls der veränderliche Teil wesentlich weiter reichen werde.

Auf eine Tafel der Institutionen wurde bewußt verzichtet, da erst nach mühsamen theologischen, rechtlichen und phänomenologischen Untersuchungen im Einzelnen ermittelt werden könne, was alles zu


2 Dombois, Mensch und Sache, Z. f.d. ges. Staatswissenschaft, 1954, S. 239 ff.

|67|

den Institutionen gehöre. Für diese Untersuchungen sei der Begriff der Institutionen im übrigen mehr ein fruchtbares heuristisches Prinzip, das im Unterschied zur Theologie der Schöpfungsordnungen auch den Zugang zu bislang verschütteten Sachfragen freigebe. Man begnügte sich mit der Aussage, daß die Institutionen sich auf diejenigen Grundverhältnisse des menschlichen Daseins beziehen, die von größter existentieller Dichte sind (vgl. These 5d). Gerade darüber gebe auch die Bibel Auskunft. Dabei sei nicht entscheidend, ob die Schrift eine analoge Formel für die Institutionen habe. Wichtig sei nur, ob die Schrift zu dem, was hier als Grundlegung der Sozialethik versucht werde, etwas aussage, insbesondere zu den konstanten Elementen der Institutionen. Als mögliche Institutionen wurden von einigen Teilnehmern Kirche, Staat, Ehe und Sachherrschaft angesehen. Genannt wurde auch die Strafe. Andere Teilnehmer äußerten gegenüber einzelnen Bedenken, insbesondere blieb die Frage nach der Kirche als Stiftung Gottes und möglicher Institution offen.

Solange jene konkreten Untersuchungen noch nicht geleistet sind, läßt sich auch noch keine Rangfolge der Institutionen aufstellen. Der grundsätzlich mögliche Versuch einer Stufung wird wohl an der unterschiedlichen existentiellen Dichte der einzelnen Institutionen anknüpfen können. Doch wird dies nicht einfach auf eine hierarchische Ordnung hinauslaufen dürfen. Wenn auch keine völlige Trennung der Institutionen voneinander angenommen werden kann, so darf doch keine Institution die andere aufsaugen, über die andere verfügen. Das ist von erheblicher Tragweite für das Gegenüber von Staat und Familie und Kirche und Staat, womöglich bis hin zum Problem der politischen Predigt (vgl. These 6c).

Mehr beiläufig wurde in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Verhältnis der Institutionen zum Recht angeschnitten, das seinerseits nicht als Institution anzusprechen ist. Leben die Institutionen in der Dimension des Rechts, sind sie vom Recht nicht ablösbar, gehört es notwendig hinzu? Wie steht es ferner mit ihrem Zwangscharakter? Sie werden sich nicht einfach — wie es verschiedentlich geschieht — mit der Macht identifizieren lassen. Die Sicht der Institutionen als Mandat und damit als Ermächtigung könnte sich hier als fruchtbar erweisen und zugleich zu einer gewissen Entmächtigung hinleiten, etwa einer Auffassung des Staates als Erscheinung fast mythischer Macht vorbeugen. Gerade in diesem Punkte ist noch eine beträchtliche Aufräumungsarbeit zu leisten.

Wenn die Institution nicht nur Zustand, sonder auch Vorgang ist, dann kommt es entscheidend auf ihre Integration an. Diese Aufgabe leitet hin zu der als wichtig angesehenen und näher erörterten Frage nach dem rechten Gebrauch, die zum Schluß der Tagung von Wolf und Schrey wie folgt zusammengefaßt wurde:

|68|

Zum Usus-Problem

(Prof. Schrey):

Das theologische Problem der Institutionen wird nicht nur in der Sachfrage nach der Gestalt von Recht und Institution sichtbar, sondern insbesondere auch in der Frage nach dem Verhältnis des Menschen zu den Institutionen und sein Verhalten in der Institutionen. Die Kommission verhandelt diesen Punkt unter dem Stichwort des Usus-Problems. Dabei wurde absolut deutlich, daß es sich hierbei nicht um die in der reformatorischen Theologie gebräuchliche Lehre von dem dreifachen Gebrauch des Gesetzes handelt, sondern um die in der Theologie Luthers immer wieder gestellte Frage nach dem rechten Brauch der Ämter usw. bis hier zu Frage nach dem rechten Brauch der Sakramente. Es ist die Frage, in welchem Sinne und mit welcher Absicht der Mensch sein Sein in den Institutionen versteht, ob als Mittel der Selbstdurchsetzung oder der Liebe und des Dienstes. Es wurde herausgestellt, daß der Christ die Institutionen als Gelegenheit der Nächstenliebe versteht, die aus dem Glauben stammt („der Glaube der Täter, die Liebe der Tat”). Insofern enthüllt sich erst dem Christen der Sinn der Institutionen als Mittel zur Verwirklichung der Nächstenliebe, wenngleich zugegeben ist, daß auch Nichtchristen die Möglichkeit haben, die „Werke des Gesetzes” zu tun. Der rechte Brauch der Institutionen in der Liebe befreit von der Illusion, als könnten sie je dazu dienen, die Existenz vor Gott zu begründen (keine Rechtfertigung an den Werken!), gibt der irdischen Existenz in den Institutionen zugleich aber den Sinn, sie als den Ort ernstzunehmen, an dem Gott Gehorsam geleistet wird. —

 

(Prof. Wolf):

Das Verhältnis des Menschen zu den Institutionen führt angesichts der Gestaltungsaufgabe (Integration) von die Frage des „rechten Gebrauchs”.

Diese Frage bezieht sich auf die vorgegebenen Stiftungen und Satzungen einerseits, die Qualifikationen des Subjekt des Gebrauchens andererseits und ist bestimmt durch Wesen und Intention, Mächtigkeit und ziel des zu Gebrauchenden.

In der traditionellen Lehre vom triplex bzw. duplex usus legis ist das Subjekt eindeutig und primär Gott als Legislator bezw. Gottes in seinem Gesetz sich aussprechender und mit ihm sich auswirkender Wille. Insofern scheidet diese reformatorische Formel vom „usus legis” als Analogon für das bei den Institutionen vorliegende Usus-Problem aus. Eher könnte man hinweisen auf das Problem des usus sacramenti und auf die Zuordnung des Empfängers als fidelis bezw. dignus zu ihm (fides virtus sacramento/dat. comm.). Noch näher jedoch auf die verschiedenen Mahnungen zur rechten Verwaltung anvertrauter Güter oder übertragener Macht im Mandat eines Amtes.

Hier steht der usus unter dem Gebot der Liebe, sofern Liebe identisch

|69|

ist mit der sachgerechten und intentionsgemäßen Erfüllung des Gesetzes bezw. Verwirklichung einer Gestaltungsaufgabe (und nach Luther das Liebesgebot inhaltlich mit dem „natürlichen Gesetz” übereinstimmt), die „plenitudo legis formaliter” darstellt (vgl. WA TR V, 5822: „dilectio est plenitudo legis formaliter, fides autem est plenitudo legis effective”; WA 17 II, 98, 26: „es bleybt der glaub der theter und die lieb bleybt die that”). Der wirksame Vollzug der Liebe hat jedoch die seinsmäßige Qualifikation des Subjekts zur Voraussetzung (also die fides), auch wenn einzelne Akte des Liebeshandelns ohne solche Qualifikation ihrem Effekt nach sichtbar und anerkannt werden (vgl. Luthers Beurteilung der Erfüllung des natürl. Gesetzes einschl. des Liebesgebotes etwa bei den Türken!). Diese Qualifikation ist der Glaube als Wesensmitte des wiedergeborenen Menschen (seine „persona”), als die Wirklichkeit des neuen Seins in Christus. Daher ist die fides, d.h. der in die Liebe Gottes versetzte neue Mensch — die „plenitudo legis effective”: mithin der in seinem Sein dem Sollen des Erfüllungs- bezw. Gestaltungsauftrag intentional positiv zugeordnete und dazu zugleich befähigte Christenmensch. Von da auch sind alle Sätze über die in Freiheit des Gehorsams verlaufende „Sachlichkeit” des Christen bei der Besorgung der innerweltlichen Gestaltungsaufgaben als berufener „Mitarbeiter” (aber nicht „Mitschöpfer”) Gottes abzuleiten. —

Anläßlich der Erörterung dieses Usus-Problems kam zum Ausdruck, daß von hier aus erhebliche Vorbehalte gegenüber der überkommenen Lehre von den beiden Reichen anzumelden seien. Ein Teilnehmer machte ferner darauf aufmerksam, daß es angesichts dieser Feststellungen auch keine einfache Freigabe der sogen. Ermessensentscheidungen geben könne.

 

Gegen Schluß der Tagung versuchten die Teilnehmer, sich über die Tragweite des Institutionsproblems Rechenschaft zu geben, was unter dem Stichwort Exclusivität oder Generalität der Institutionenlehre erörtert wurde. Auf der einen Seite schimmerte eine gewisse Hoffnung durch, daß sie sich als mehr denn ein partielles Problem der theologischen Rechtslehre erweisen könnte, daß alle weiteren Erscheinungen neben den Institutionen entweder institutionelle Teilphänomene oder aber neutrale Verfügbarkeiten seien. Rechtsverhältnisse wie etwa der Kauf vollzögen sich innerhalb der Institutionen, und es bleibe lediglich zu prüfen, wie sich derartige interinstitutionelle Größen im Bereich der freien Wandelbarkeit verhielten. Auch die Lehre von den Menschenrechten, die früher stärker institutionell aufgefaßt worden seien, trete nicht selbständig neben die Institutionenlehre. Diese umfasse möglicherweise auch die theologische Lehre vom Gesetz, die ihrerseits vom Institutionenproblem her aufgelockert werden könne. Fraglich sei vielleicht, ob die Institution den ontischen Tatbestand meine und ob daneben das Gebot als das thetische Moment trete. In diesem Zusammenhang verwies ein anderer Sprecher gegenüber dem ständig wiederholten Versuch,

|70|

die ganze Sozialethik auf das „Gesetz” zurückzuführen, auf das thetische Moment der Unableitbarkeit der Institutionen.

Gegenüber derartig weitgehenden Hoffnungen wurde eindringlich davor gewarnt, die Institutionenlehre zum grundlegenden Schema der Sozialethik zu machen. Sie umfasse nur einige wenige Lebenswirklichkeiten, von denen für eine theologische Rechtslehre zudem nur diejenigen in Betracht kämen, die auf eine göttliche Stiftung zurückgeführt werden könnten, nicht also rein innerweltliche Angelegenheiten wie z.B. Aktiengesellschaften und Universitäten, obwohl diese ebenfalls in den Bereich institutioneller Phänomene gehörten. Daneben gebe es namentlich im Raum der Charitas Erscheinungen, die nur zu vorübergehenden Beziehungen ohne institutionelle Bindungen führten. Es sei sogar fraglich, ob die Probleme des Staates erschöpfend aus der Sicht der Institutionen geklärt werden könnten. Es müsse daher — wie Scheuner zum Schluß der Tagung unter weitgehender allgemeiner Zustimmung hervorhob — klargestellt werden, daß das Gespräch nicht die Gesamtheit aller Bemühungen um die theologische Rechtslehre umspannt, sondern sich auf die auf göttlicher Stiftung beruhenden Institutionen und diejenigen Phänomene, die daraus hervorgingen, beschränkt habe. Damit sei auch dargetan, daß etwaige Weisungen, die aus dem „Gesetz” hervorgehen könnten, nicht behandelt worden seien. So sei die Bedeutung des Dekalogs offen geblieben und ebenso die Frage, in welchem Verhältnis die Institutionen zum Gesetz stünden (vgl. auch These 6e).

Zum Schluß der Tagung wurden die nachfolgenden Thesen — vorwiegend als Anleitung zur Weiterarbeit — zusammengestellt. Als Thema für eine spätere Tagung wurde die Institution des Staates vorgeschlagen.