Dombois, H.

Das Problem der Institutionen und die Ehe (Auszug)

1956

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Das Problem der Institutionen und die Ehe

 

Von Hans Dombois

 

Auszug aus:
„Familienrechtsreform” (Glaube und Forschung, Band VIII, S. 132 ff.)

Das Problem, welches mit dem Verhältnis von Eheschließung und Trauung, von Consens und Publizität angeschnitten is, ist das der Institutionen. Um es zu behandeln, müssen zunächst einmal die zahlreichen spiritualistischen Vorurteile beiseite gelassen werden, die im protestantischen Raum einer zulänglichen Klärung entgegenstehen. Das Ausspielen von Person gegen Institution, von geistlicher Innerlichkeit und äußerlicher Ordnung, von Akt gegen Sein führt regelmäßig zu Kurzschlüssen.

Das lateinische Wort institutio ist ursprünglich doppeldeutig. Es bedeutet 1. vorfindliche Rechtseinrichtungen unterschiedlicher Art, 2. die Begabung mit Rechten, aber auch 3. ganz allgemein die Lehre außerhalb des rechtlichen Bereiches. Calvins institutio religionis christianae ist mit Einübung ins Christentum nicht ganz treffend übersetzt. Instituere in der Bedeutung des Lehrens heißt eher „unterrichten”, wenn man dabei das Moment des Richtens, Einrichtens, Hinweisens hervorhebt. Der Lehrer bringt den Schüler an den richtigen Ort, an dem er sich im Gesamtzusammenhang der Welt und Umwelt richtig zu verstehen hat und lernt. Damit ist auch die Verbindung zu dem juristischen Gebrauch des Begriffs gegeben. Institutio bedeutet zunächst einen Akt, ein Einrichten, und nicht das Ergebnis oder eine Einrichtung als solche. Durch diesen Akt wird der Mensch in einen Status versetzt. Die Wurzel stare ist in dem Wort ja enthalten. Status aber bedeutet ein kontinuierliches Sein an einem Standort, Ort oder Raum, der schon durch seine Räumlichkeit in einem bestimmbaren und geordneten Verhältnis zu anderen Orten und Räumen steht. Der vulgäre Begriff der Institution als eines mehr oder minder formalen und deswegen an sich schon fragwürdigen Rahmens beruht also auf einer Vernachlässigung der aktmäßigen Seite, abgesehen von aller sonst darinliegenden Vorabwertung.

Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, daß die Institution ohne den Akt des instituere nicht zur Wirksamkeit kommt. Das gilt für alle Institutionen, insbesondere auch für den Staat. Die neuere Staatslehre, insbesondere die Integrationslehre Rudolf Smends hat einen falschen statischen Begriff des Staates als Objektivum oder Idee überwunden und gezeigt, daß er in einer Kette sich immer wieder erneuernder intentionaler Integrationsakte besteht und lebt, die auf die Institution, in

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den Status, die Verfassung der politischen Kräfte hinführt. Man kann die Institutionen für sich allein darstellen und beschreiben; aber man kann sie ohne den Akt des Vollzugs nicht erfüllen, nicht in sie eintreten. Akt und Sein gehören hier zusammen. Die Institution gleicht einem Hause, welches man beziehen muß. Das ist seine Bestimmung; ohne das verfällt es. Man muß es mit Leben erfüllen; man kann es auch in gewissen Grenzen umbauen; aber seine architektonische Gesamtkonzeption unter Einschluß seiner Standorts, seiner Umgebung ist unverrückbar vorgegeben. Mit den Einzug aber bin ich unweigerlich verpflichtet, die Lasten und Risiken meines Wohnens zu tragen, das Verhältnis zur Nachbarschaft, Steuern und Brandgefahr. Mit dem guten Tropfen des Status ist der böse Tropfen der sachgebundenen Beziehungen und Lasten verknüpft.

Es ist zunächst der Akt zu betrachten, durch den ich in die Institution eintrete. Er ist grundsätzlich frei. Es mag eine zwingende Notwendigkeit bestehen, eine Unterkunft zu suchen; aber grundsätzlich und in der Konkretion ist der Akt dennoch ein solcher der freien Selbstbestimmung, der Wahl nicht allein zwischen verschiedenen Institutionen, sondern auch zwischen verschiedenen Konkretionen der gleichen Institution. Was aber schafft nun, daß ich gerade in diese Institution — generell betrachtet — eintrete? Das ist aus der Interpretation des erklärten rechtsgeschäftlichen Willens nur dort zu erschließen, wo dieser Wille den Rechtserfolg wesentlich bestimmt und gestaltet. Bei der Institution ist es gerade so, daß ich unweigerlich in einen Inbegriff von Rechten und Pflichten eintrete, ohne Rücksicht daraus, ob ich sie im einzelnen gewollt habe. Erscheinen mir diese Folgen unerträglich, so kann ich sie nicht einfach ablösen, sondern ich muß aus dem ganzen Verhältnis ausscheiden. Genau umgekehrt ist die Institution bedingungsfeindlich; man kann in sie mit wesentlichen Vorbehalten nicht eintreten. Nicht die Summe der rechtsgeschäftlichen Willensinhalte, sondern die Typizität des Aktes bestimmt den Erfolg. Die Institutionen haben Namen, die mehr sind als eine bloße begriffliche Umschreibung. Man kann durch die Verwendung des Namens wie Miete, Besitz usw. anzeigen, was typisch gemeint ist. Diese Bezeichnung kann irrtümlich ein und aus dem sachlichen Erklärungsinhalt berechtigt werden. Trotzdem bleibt der Name ein wichtiges Merkmal der Institution. In gewissem Betracht verschafft erst das nomen die res, den Inhalt. Tiefer tritt den Vorgang der Begriff der Intention. Rechtsprechung und Gesetzgebung haben oftmals über die Folgen zu entscheiden, wenn in einem bestimmten Sinne gehandelt worden ist, in einer intentionalen Richtung, in einem animus. Die Absicht rechtswidriger Zueignung beim Diebstahl, der Wille, Besitzer oder Besitzdiener zu sein, Stellvertreter oder Bote, ist entscheidend für Rechtsfolgen, die aus einem hierdurch selbstgewählten Rechtsstatus sich ergeben. Das ist dann nur noch eine Erkenntnisfrage. Obwohl hier der Name des Intendierten meist nicht genannt und das Gewollte nur indirekt erschlossen wird, hat doch der Status einen Namen, bei dem man behaftet wird. Man ist

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plötzlich Dieb oder Besitzdiener, weil man eine bestimmte Intention vollzogen hat. Je nach der Intention gewinnt das reale Handeln eine ganz verschiedene Bedeutung.

Aus dem Gesagten ergibt sich weiter, daß trotz einer gewissen Veränderlichkeit der Kern jeder Institution in ihrer Vorgegebenheit, ihrer Unverfügbarkeit liegt. Die Freiheit des Eintritts und die Freiheit zur Veränderung des institutionellen Gehalts sind zweierlei. Aus der Freiheit des Eintritts kann nicht die Freiheit unbegrenzter Veränderung der Institution gefolgert werden. Es steht mir frei zu heiraten oder in eine Handelsgesellschaft einzutreten. Aber die damit typisch, d.h. institutionell verknüpften Verbindlichkeiten vermag ich nicht abzuwälzen oder auszuschließen. Eine rationalistische Definition der Ehe, wie sie das preußische Allgemeine Landrecht bringt, läßt neben der Ehe im Regelfall („Zweck”: Erzeugung und Erziehung der Kinder) eine Ehe zur nur wechselseitigen Unterstützung zu. Aber das Gesetz läßt sie zu; eine willkürliche Vertragsgestaltung ist sonst nicht zulässig; sie hört sonst auf, Ehe zu sein. Sonst entstehen typische andere Rechtsformen der Geschlechtsverbindung, wie das Konkubinat.

Eben dies und selbst der rationalistische Definitionsversuch macht sichtbar, daß die Institution zwar beschrieben und in ihren Einzelheiten ausgestaltet werden, aber in ihrer Ganzheit und Singularität nicht abschließend definiert werden kann. Es gibt keine erschöpfende Aufzählung der Rechtswirkungen einer Institution, welche weitere Rechtswirkungen ausschließen könnte, die in der Definition nicht enthalten sind. Das Wesen der Institution bestimmt unabdingbar die Rechtsfolgen. Es führt daher jeder Versuch abschließender Definition einer Institution (was einer nur hinweisenden Umschreibung nicht entgegensteht) — meistens ausgehend von einem teleologischen Zweckgedanken — zu einer Verkürzung des lebensmäßigen Gehaltes, weil aus der Definition zugleich eine Begrenzung auf die dort genannten Merkmale und Zwecke und damit die Ausschließung anderer definitionsmäßig nicht hinreichend erfaßbarer Momente folgt. Daraus ergibt sich dann wieder eine falsche Spaltung zwischen „ethischem” und „rechtlichem” Gehalt und ein zerstörendes Ausspielen beider gegeneinander.

Die Institutionen sind also der rechtliche Ausdruck typischer Beziehungsformen oder Gemeinschaftsformen, die zwar weitgehend gestaltet, aber in ihrem Ansatz vorgegeben sind. Sie sind wie Pflanzen, die man setzen, beschneiden und auch verkümmern lassen kann, deren Ausgangsformen aber vorgegeben sind. Sie bieten also ein Problem des Verhältnisses von Freiheit und Determination, der doppelten Freiheit des Eintritts überhaupt und der begrenzten Gestaltung, und der Vorgegebenheit des Beziehungsschemas als solchen. Je größer der Grad der Vorgegebenheit ist, desto stärker der Institutionscharakter. Restlos verfügbare Lebensformen ermangeln dieses Charakters. Aber das ist eigentlich nur als Grenzwert, nicht als Typus vorstellbar, weil vollkommen verfügbare Formen überhaupt jeder Verbindlichkeit entbehren, und

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den Formcharakter völlig verlieren würden. Man kann sich also durch die Freigabe aller Lebensformen zur unbeschränkten Verfügbarkeit von den Institutionen — (die man verdächtigt, entwertet, verteufelt) nur um den Preis der Verbindlichkeit alles Zusammenlebens überhaupt, also der Anarchie, sei es mechanistisch, sei es schwärmerisch, befreiten. Eine Existenz von reiner Aktualität gibt es nicht. Andererseits verzerrt ein rein deterministisches Verständnis die eingangs dargestellte Doppelheit des Begriffs von Akt und Status und läßt die Institution als schlechthin irrationale Größe erscheinen, was sie nicht ist. Gerade eine falsche Trennung beider Momente lehrt auf der einen Seite eine freie, aktuale, wenn auch immer ethisch gebundene Verfügbarkeit des Handelns und auf der anderen Seite die irrationale Vorgegebenheit der Institution, die dann nicht mehr zueinander finden. Diese Trennung ist in bedenklichem Umfange der Ansatz protestantischer Staats- und Soziallehren gewesen. Hieraus hat sich im lutherischen Ansatz die Preisgabe an den Idealismus, im calvinischen Raum die Hinwendung zum Liberalismus und aus dieser ganzen Spaltung das tragische Widereinander deutscher und westlicher Staatsauffassungen ergeben. Weil man nicht erkennt, daß das Gesamtproblem und Phänomen der Institution verkannt und aufgespalten worden ist, hält man sich wechselseitig die Vereinseitigung vor: die Calvinisten den Lutheranern die einseitige Neigung zum Institutionellen, und die Lutheraner den Calvinisten die ebenso einseitige Neigung zur freien Verfügung über alle Bezüge, die Verkennung ihrer unabdingbaren Struktur. Beide Dinge gehören auf einer dritten Ebene zusammen, die für den Blick der protestantischen Soziallehre verlorengegangen ist.

Den Kern des Institutionsproblems werden wir also dort zu suchen haben, wo der Unverfügbarkeitscharakter klar ausgeprägt, aber nicht isoliert ist. Die Frage läßt sich auch anders stellen: Wo kommen die Institutionen her, wo gründen sie?

Die positivistische Antwort lautet: sie sind Ordnungsschemata, die das Recht für typische Abläufe aus Zweckmäßigkeitsgründen darbietet. Das verlagert den Fehler einer nur subjektiven Betrachtung von der Freiheit her nur auf eine höhere Ebene und erklärt nicht den Unverfügbarkeitscharakter, die relative Bedingungsfeindlichkeit, die ein genuines Merkmal, kein Moment der Erstarrung ist. Als zweite Möglichkeit ergibt sich die Versuchung, die Institutionen als Ideen oder Ordnung, als Wesenheiten eigener Art in eine mehr oder weniger weit durchgeführte Metaphysik einzubauen. Rudolf von Ihering hat mit barockem, aber grausamen Humor in seinem juristischen Begriffshimmel eine solche Rechtsmetaphysik ad absurdum geführt. Hier wimmeln nämlich alle Rechtsbegriffe bis zum nasciturus und der diligentia quam in suis personifiziert durcheinander; gerade die Vergleichung des Unvergleichbaren macht den Humor aus, dessen Entladung jede metaphysische Gliederung tötet. Gerade bei solcher metaphysischen Betrachtung entwertet sich der freie Akt zum bloßen Anlasser eines juristischen Automatismus und treibt dadurch umgekehrt zur Isolierung und Überwertung des Akts und der Freiheit. Es darf gerade die Institution von dem, der in sie eintritt, nicht gelöst werden.

Wenn also die Institution weder als metaphysische Idee für sich besteht, noch das bloße kausale Produkt des Aktes ist, so muß die eigentümliche Verknüpfung von Akt und Sein in einer anderen Weise

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zustande kommen. Wer durch einen Akt den Eintritt in einen Status intendiert, geht ein doppeltes Risiko ein: Dasjenige des Rechtsbestandes und dasjenige der Erfüllung. Es gibt Verhältnisse, die erfüllbar, aber nicht rechtswirksam und solche die rechtswirksam, aber nicht erfüllbar sind. Ein Partner kann sich in einer gültigen Ehe eheuntauglich erweisen und ein tauglicher Partner kann rechtlich eheunfähig sein. Treu und Glauben als allgemeiner Rechtsgedanke ist ein Wechselbezug: Glauben heißt Eingehen des unvermeidlichen doppelten Risikos. Treue heißt die Beständigkeit — wessen? Gedacht ist im Zivilrecht an den Partner, ebenso bei öffentlich-rechtlichen Verträgen. Was jedoch der zweite Partner gewährleistet und was nicht, was über das zweite Risiko zu ermitteln ist, das sagt uns im allgemeinen die Gesetzgebung und Rechtsprechung. In jedem institutionellen Akt haben wir dergestalt zwei Partner — sozusagen mikrokosmisch den uns gleichwertigen Partner, makrokosmisch die Gesamtrechtsordnung. Bei öffentlich-rechtlichen Unterwerfungsakten fallen beide zusammen. Es ist wie im Versicherungswesen. Von einer gewissen Größenordnung an treten Verbände und Unternehmen als Selbstversicherer auf. Das Wesen der Souveränität ist die Garantieunbedürftigkeit. Nach fränkischem Recht wurde mit dem Tode bestraft, wer die Gültigkeit einer Königsurkunde auch nur bezweifelte. In der Form des magischen Realismus tritt hier die Koinzidenz der Gewährleistung zutage. Die Treue des Partners und die des Königs fallen zusammen.

Wenn die Quelle der konkreten Institutionen dort liegen muß, wo der Charakter der Unverfügbarkeit am deutlichsten sichtbar wird, so müssen sie sich an diejenigen Gemeinschaftsbezüge anschließen, aus denen sich der Mensch am wenigsten oder vielleicht überhaupt nicht lösen kann, die den höchsten Grad der Existentialität besitzen. Dies ist das Verhältnis von Mensch zu Mensch in der politischen Gemeinschaft, es ist die Ehe als Geschlechtsgemeinschaft und es ist das Verhältnis des Menschen zu Sache und Tier. Jedes dieses Verhältnisses hat seine Unlösbarkeit darin, daß der Mensch an seinem Partner oder für ihn handeln muß: Im Gemeinwesen stellvertretend in der Geschichte, in der Ehe als Geschlechtsgemeinschaft, im Verhältnis von Mensch und Sache in deren Beherrschung und Nutzung. Dem entspricht, daß zu allen Zeiten es Versuche gegeben hat, diesem Zwang des Handelns und damit der Unausweichlichkeit des Institutionellen konsequent zu entgehen, — durch politische Weltflucht, durch geschlechtliche Askese, durch Verzicht auf Eigentum.

Denn kraft der Intention dieses Handelns wird der Mensch in der Institution zugleich in unberechenbarer Weise verantwortlich gemacht; er muß für die Folgen einstehen; er verfällt mit diesem Handeln zugleich dem Bereich, in welchem er handelt. Das moderne Schwärmertum freilich wählt nicht mehr die asketische Alternative, welche in einer klaren Korrelation zur Institution steht, sondern versucht die Institutionen als solche aufzuheben.